Hexen - Schamaninnen Europas - Catrin von Nahodyl - E-Book

Hexen - Schamaninnen Europas E-Book

Catrin von Nahodyl

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Beschreibung

Die Hexe ist weder ein Teufelsweib noch eine nette Esoterikerin. Sie ist eine Frau mit besonderen Kräften und Zauberwissen, die in Verbindung mit der Welt der Geister und der Toten steht. Sie kann ihre Kräfte auf schädigende, aber auch auf helfende Weise zum Ausdruck bringen. Für sie sind die Welt der Lebenden und die der Toten, der Menschen und der Geister, nicht streng voneinander getrennt. Die Hexe steht wie eine Schamanin mit dem einen Fuß in der Menschenwelt und mit dem anderen im Reich der Geister. Sie reitet auf dem Zaun, der beide Welten voneinander trennt, zaubert, weissagt, heilt, beschwört, gerät in Ekstase, redet mit den Geistern. Sie ist ein Überbleibsel aus einer Zeit, in der die Menschen in Europa noch naturreligiös waren. Sie ist die reisende Schamanin, die zaubernde Medizinfrau und Seherin, eine Wandernde zwischen den Welten.

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Das Titelbild stammt aus dem Buch Der hürnen Siegfried und sein Kampf mit dem Drachen, illustriert von Wilhelm von Kaulbach 1848.

Inhalt

Einleitung

Die Hexenkraft

In Holdas Gefolge

Heilende Hexensprüche

Hexenkräuter

Die Hexe als Schadzauberin

Einleitung

Mit dem Begriff „Hexe“ verbinden viele Menschen etwas Unheimliches, Gefährliches und Dämonisches. In einigen Leuten steckt noch immer eine tiefe Angst vor der Hexe, auch wenn sich ihr Bild in der heutigen Esoterik-Szene gewandelt und immer mehr eine positive Bedeutung gewonnen hat. Doch der Durchschnittsbürger glaubt entweder nicht an die Existenz von Hexen, oder er fürchtet sich vor ihnen. Viele von uns kennen noch die Märchenhexe, wie sie bei „Hänsel und Gretel“ erscheint: Als altes Weib in einer Hütte im Walde hausend und kleine Kinder verspeisend. Oder man sieht in ihr eine Braut des Teufels, eine Schadenszauberin und Feindin von Mensch und Vieh. In der heutigen Zeit gibt es aber auch ein Gegenbild dazu: Die Hexe als weise Frau, als hilfreiches Kräuterweiblein oder Priesterin einer alten vorchristlichen Religion. Je ruhiger, friedlicher und sicherer die Zeiten werden, desto freundlicher erscheint auch das gesellschaftliche Bild von der Hexe. Doch die Hexe ist weder ein Teufelsweib noch eine nette Esoterikerin. Sie ist eine Frau mit besonderen Kräften und Zauberwissen, die in Verbindung mit der Welt der Geister und der Toten steht. Sie kann ihre Kräfte auf schädigende, aber auch auf helfende Weise zum Ausdruck bringen. Die Hexe wirkt als Mensch und Geistwesen gleichermaßen auf ihre Umgebung ein. Für sie sind die Welt der Lebenden und der Toten, der Menschen und der Geister, nicht streng voneinander getrennt. Sie steht wie eine Schamanin mit dem einen Fuß in der Menschenwelt und mit dem anderen im Reich der Geister. Sie reitet auf dem Zaun, der beide Welten voneinander trennt; deswegen heißt sie auch „Zaunreiterin“ (mittelhochdeutsch „zunrite“, altnordisch „tunridha“). Möglicherweise leitet sich das altdeutsche Wort für Hexe, „Hagzisse“, von „Hag-Idise“, her. Der Hag oder Hain ist ein durch Hecken oder Zäune eingehegter, also geschützer Bereich. Die Hecke soll nach altem Glauben auch böse Geister abwehren; somit stellt der Hag einen magisch geschützen Bereich, einen heiligen Hain dar, in dem sich die Hexe aufhält. „Haghetisse“ ist ebenso eine alte Bezeichnung der Eidechse, die sich gerne an Hecken aufhält und in einigen Gegenden als Hexentier gilt. „Idise“ ist der alte germanische Name für ein weibliches Geistwesen, eine Frau oder eine Göttin. In der Glossenliteratur des 9. Jahrhunderts erscheint der Begriff hazus, hazis und wird mit strio, erynnis, lamia, larva, hecate oder furia übersetzt. Interessant ist, daß "striga" an einer Stelle mit "herbaria" (Kräuterfrau) übersetzt wird. Im 10. Jh. schildert ein Mönch die „hazessa“ als Menschenfresser. Ob dies auf christliche Dämonisierung, auf antikem Dämonenglauben oder tatsächlichem Volksglauben beruht, ist ungewiß. Jedenfalls verstand man im christlichen Sinne darunter eine (meist weibliche) Person, die mit dem Teufel im Bunde steht und Mensch und Vieh auf zauberische Weise schädigt. Nun gab es im heidnischen Glauben unserer noch naturreligiösen Vorfahren keinen Teufel, jedoch die Vorstellung von Schadzauberern und schädigenden Geistern. Die heidnischen Germanen kannten den Glauben an Geister, wie Truten (weibliche Dämonen, die den Menschen aussaugen, ihnen schaden), Mare (sie setzen sich auf die Brust des Schlafenden und drücken ihn), Bilwisse, Schrättel (Geister in Kindergestalt), Elben, Holde, Wechselbälger, Riesen (meist feindliche Geister; Riesinnen hießen im alten Norden Europas Hála oder Scass), Trolle, Zwerge, Unterirdische usw. Und man kannte und kennt Menschen, die durch schamanische Praktiken (den sogenannten „Gand“-Ritt) ihren Geist aussenden können. Diese Menschen können sowohl Schaden stiften als auch helfen oder heilen. Dazu gehören die Zaunreiterinnen (Tunridha) und Nachtfahrerinnen (Myrkridha). Sie können beispielsweise dadurch schaden, indem sie die Ernte verderben. Solche Schadzauberer und –zauberinnen wurden bestraft, manchmal sogar getötet. So mußte nach den altdeutschen Gesetzbüchern ein Zauberer, der die Ernte des Nachbarn verdorben hatte, diesen und dessen Familie zur Strafe ein Jahr lang miternähren. Das Wort Hexe ist aber damals noch nirgends finden; es taucht im süddeutschen Bereich zuerst auf und gelangt erst relativ spät in den Norden. Im Christentum wurde jede Form von Zauberei, gute oder böse, unter Strafe gestellt, die Zaubernden als Hexen bezeichnet. Doch die meisten der Menschen, die seit dem Spätmittelalter als Hexen getötet wurden, waren gar keine Zauberer oder Teufelsbündler, sondern ganz normale Leute, welche aufgrund von Haß, Neid, Bosheit oder Hysterie anderer Personen dem Hexenwahn zum Opfer fielen. Einige von ihnen waren auch Wahrsager, Heiler oder Hebammen. Außerdem ging es der Kirche auch darum, jegliche Spuren des alten Heidentums zu beseitigen, z. B. die Wahrsagerei oder kleine harmlose Zauberpraktiken, wie sie im Volke noch lange üblich waren. Seit dem ausgehenden Mittelalter wurden nun die Bezeichnungen Unholde, Nachtfahrende und Zauberinnen gleichgesetzt und unter dem Begriff „Hexe“ zusammengefaßt.

Eine echte Hexe besitzt angeborene geistige Kräfte, mit denen sie anderen Personen Gutes oder Schlechtes zufügen kann. Sie hat diese Kräfte geerbt. Zaubersprüche, Medizinen oder magische Gegenstände dienen zur Potenzierung und Lenkung der Hexenkraft. Eine Hexe wurde gefürchtet, weil sie mit den Gottheiten und Geistern des Totenreichs in Verbindung steht und daher als "unrein" galt. Darum ist die Hexe Außenseiterin und lebt stets etwas Abseits der Gemeinschaft (in ihrem heiligen Hain/Hag), ist jedoch zugleich ein wichtiger Teil von dieser, da die Gemeinschaft den Rat und die Hilfe der Hexe benötigt. Die Hexe ist vergleichbar mit den schwarzen Schamanen der naturreligiösen Völker, die im Gegensatz zu den weißen Schamanen (Priestern) mit der Unterwelt verbunden sind. Die Hexe zaubert, weissagt, heilt, beschwört, gerät in Ekstase, redet mit den Geistern. Sie ist ein Überbleibsel aus einer Zeit, in der die Menschen in Europa noch naturreligiös waren. Sie ist die reisende Schamanin, die zaubernde Medizinfrau und Seherin, eine Wandernde zwischen den Welten.

Kapitel 1

Die Hexenkraft

„Zur Hexe wird man geboren, nicht erst erkoren“, so heißt es im Volksglauben. Es gibt Menschen, denen bestimmte Fähigkeiten und Kräfte angeboren sind. Oft sind dieses ererbte Kräfte oder Begabungen. So glauben viele Menschen der Naturvölker, daß man zum Schamanen geboren sei und einem die Geister dazu beriefen. Manche sagen, ein Werwolf oder eine Drude (eine Person, die nachts als Geist die Schlafenden quält) sei man von Geburt an, und es gäbe bestimmte Zeiten, in denen solche Menschen geboren würden. Von den Hexen wird ebenfalls oft behauptet, daß sie von Geburt an Hexen seien. Man sagt, die Hexenkraft vererbe sich oder sei überhaupt in bestimmten Familien vorhanden. Dieser Glaube findet sich unter anderem in Schwaben, Böhmen und Friesland, ist also in Deutschland weitverbreitet. Aber die Hexenkraft kann in einer Familie auch ein paar Generationen überspringen, bevor sie sich wieder bei einem der Sippenmitglieder bemerkbar macht. Ähnliche Vorstellungen finden sich auch bei Agrippa von Nettesheim, einem bekannten deutschen Magier des sechzehnten Jahrhunderts. Von Nettesheim zitiert in seinen Magischen Werken das alte Zauberbuch Arbatel; dort steht geschrieben:

>Aus dem Mutterleibe wird der Mensch zur Magie geboren, der ein rechter Magier sein soll. Andere aber, die sich selbst in solches Amt eindringen wollen, denen geht es unglücklich. Hierher gehört der Spruch Johannis des Täufers: Niemand mag ihm etwas nehmen, es sei ihm denn von oben herab gegeben.<

Johannes Hartlieb berichtet im fünfzehnten Jahrhundert von einer Wahrsagerin, die von der Erblichkeit des Zauberns und Wahrsagens erzählt. Sie meint >daß die Kunst lange Jahre in ihrem Geschlecht gewesen wäre, und nach ihrem Tode käme die Gnade auf ihre Älteste<, damit meinte sie ihre älteste Tochter. In manchen Familien vererbt sich die Kunst von der Mutter auf die Tochter, bei anderen vom Vater auf die Tochter und von der Mutter auf den Sohn. Im alten heidnischen Griechenland galt die Kunst des Wahrsagens als erblich; es gab regelrechte Wahrsager-Geschlechter.

Die Hexenkraft kann jedoch auch unter bestimmten Umständen erworben werden. Dieses geschieht beispielsweise durch einen Geist, den man durch Vererbung, Schenkung oder auf irgendeine andere Weise bekommen hat. Dieser Geist kann sich auch als Haustier der Hexe zeigen, beispielsweise als schwarzer Kater oder schwarzer Hund. Schwarz ist die bevorzugte Farbe dieser Geister, da sie die Nacht, die Erde und die Unterwelt, das Reich der Toten, symbolisiert. Schwarz zieht Energien auf sich und schützt gleichzeitig vor schädlichen Mächten. Daher lautet eine alte Bauernweisheit:

>Die schwarze Katz, das schwarze Huhn

soll niemand aus dem Hause tun.<

Nach alter heidnischer Auffassung bedeutet die schwarze Farbe die Fruchtbarkeit der Erde, aber auch Würde und Festlichkeit. Aus diesem Grunde war die frühere Hochzeits- und Festtagskleidung schwarz, während man bei der Trauer um die Toten die weiße Farbe bevorzugte. Noch heute ist bei vielen Völkern Weiß die klassische Trauerfarbe, beispielsweise in China und Indien. In unserer christlich geprägten Region trauert man jedoch in Schwarz und heiratet in Weiß. Die unheilabwehrende Kraft der schwarzen Farbe kommt auch in einem alten Spruch zum Ausdruck, welchen man bei Anbringung dreier Kreuzzeichen zur Abwehr böser Geistwesen auf die Tür zeichnet. Die weißen Kreuzzeichen gelten dabei als weniger kraftvoll, wobei hingegen die roten und schwarzen Zeichen von größter Abwehrwirkung sind:

>Wit is for’n Schiet,

Rot is Christi Blood,

Swart, dat is hart!<

Nach altem Volksglauben wandelt man unter Hersagen eines bestimmten Gebetes mit einem schwarzen Huhn unterm Arm dreimal rücklings um eine Kirche, um die Hexenkraft zu erwerben.

Nach einer deutschen Sage läßt die Göttin Frau Holle/Frau Harke eines ihrer schwarzen Hündchen zurück, mit denen sie in der Adventszeit durch die Lüfte zieht. Das Hündchen wird von einem Bauern gehegt und gepflegt; und zum Dank dafür belohnt die Göttin ihn anschließend mit Goldstücken und nimmt ihr Hündchen wieder mit.

Schwarze Katzen, vor allem Kater, gelten im Volksglauben als ausgesprochene Hexentiere. Es heißt, wenn schwarze Katzen sieben oder neun Jahre alt geworden sind, würden sie selber zu Hexen und gingen in der Walpurgisnacht zur Hexenversammlung. Die Katze ist im Norden Europas der heidnischen Liebes- und Zaubergöttin Freyja heilig, welche zum Göttergeschlecht der Wanen gehört und sehr der römischen Göttin Venus und der griechischen Aphrodite ähnelt. Freyjas Wagen wird von zwei Katern gezogen, darum lautet eine von Freyjas Bezeichnungen „Herrin der Kater“.

Schwarze Tiere gelten seit alten Zeiten als Boten der Unterwelt und der Erdmutter, welche in der Erde gebietet. In der Erde begrub man die Toten; daher gilt sie oftmals als Jenseitsreich, als Aufenthaltsort der Totengeister. Im finnischen Epos Kalewala wird die Erdmutter als „Alte unter dieser Erde“ bezeichnet, als „Ackermutter“ und „Erdenherrin“. Der germanische Göttervater Wodan wird von den Tieren der Unterwelt begleitet, zwei schwarzen Raben und zwei Wölfen. Wolf und Hund sind in vielen alten heidnischen Religionen Wächter der Unterwelt; so kannten die alten Griechen den Hund Kerberus, der die Tore zum Hades, dem Schattenreich der Toten, bewacht.. Wodan selbst ist Führer der Toten, Herr des Geisterheeres (die Wilde Jagd) und Gott der Schamanen und Zauberer. Hexen, Zauberer und Schamanen stehen mit der Unterwelt und den Geistern der Toten in Verbindung. Alles, was mit dem Tod zu tun hat, wird von den Lebenden gefürchtet und gilt in vielen Religionen und Gesellschaften als unrein. Dementsprechend gelten auch die klassischen Totentiere als unreine Tiere, als „Teufelstiere“. Das gleiche gilt für Hexen, Zauberer und „schwarze“ Schamanen, also für die Schamanen, welche Kontakt zum Reich der Toten und Unterirdischen haben. Hingegen befassen sich die „weißen“ Schamanen mit den Göttern und sind als Priester tätig, müssen ein reines Leben führen, das heißt, sie dürfen sich nicht an Toten verunreinigen. Die schwarzen Schamanen, die Zauberer und Hexen, leben in der Regel immer etwas außerhalb des Dorfes und der Gemeinschaft, da man sie als unrein fürchtet. Trotzdem werden sie um Rat und Hilfe gebeten, da sie durch ihren Kontakt mit der Geisterwelt große Zauberkraft besitzen. Weiß und Schwarz hat also nichts mit Gut und Böse zu tun, sondern zeigt lediglich an, ob etwas in Verbindung zur Ober- oder Unterwelt steht. Manche Naturvölker kennen die Einteilung der Welt in drei Reiche: Himmel, Erde und Totenreich. Die Hexe steht vor allem mit der Welt der Toten unter der Erde in Verbindung, dem Reich der Totengöttin Frau Holle, und wird daher auch von den Tieren der Unterwelt begleitet: Rabe, schwarzer Hund, schwarzer Kater, Fledermaus, Eule und Kröte gelten als die Verbündeten der Hexe. Die Hexe und ihre Verbündeten gelten als unheimlich und mitunter als gefährlich, denn sie verkehren mit der dunklen Welt der Geister. Und diese Geister können den Lebenden gefährlich werden. Doch spenden die verstorbenen Ahnen auch Fruchtbarkeit und schützen die Lebenden. Bei manchen schamanischen Völkern können Frauen im Gegensatz zu den Männern immer nur schwarze Schamaninnen sein, niemals weiße. Diese schwarzen Schamaninnen entsprechen ziemlich genau dem Bild unserer Hexe.

Die Katze ist ein altes Hexentier – schon die altnordische Zaubergöttin Freyja erscheint mit einem Katzenwagen. Zeichnung von Ludwig Pietsch, 1860.

Die Hexenkraft unterscheidet sich von der einfachen Volkszauberei. Diese Volkszauberei ist etwas, was auch der Mensch erlernen kann, der kein Hexer bzw. keine Hexe ist. So trägt man Amulette, um sich vor bösen Geistern zu schützen, klopft dreimal auf Holz, um Unheil zu verhindern, oder spuckt dreimal aus. Das sind die kleinen Zaubereien des Alltags; aber es gibt auch kompliziertere Rituale und schließlich die sogenannte „Hohe Magie“. Zauberei und Hexerei sind nicht unbedingt dasselbe, auch wenn es viele Hexen gibt, die ebenfalls Zauber erlernen und durchführen. Sie lernen, ihre angeborene oder erworbene Hexenkraft im Zauber anzuwenden. Es gibt aber auch mit besonderen Kräften geborene Frauen, die niemals Zauber erlernen. Diese Frauen verfügen über bestimmte geistige Kräfte, wissen aber oft nichts davon, weil sie es entweder verdrängen oder sie diese Kräfte nicht bewußt lenken können. Denn auch eine angeborene Gabe bedarf der Bewußtwerdung und der Förderung, denn sonst verkümmert sie oder wird in falsche Bahnen gelenkt. Deswegen braucht eine Hexe, die ihre Kräfte gezielt einsetzen möchte, eine langjährige magischen Ausbildung, ebenso wie ein musikbegabtes Kind einer entsprechenden Schulung bedarf .

Hexen besitzen die Fähigkeit, einen anderen Menschen körperlich, seelisch und geistig zu beeinflussen, und zwar auf jene Weise, daß von der Hexe eine besondere Kraft ausströmt, die den anderen Menschen entweder schädigt, schwächt, kräftigt, heilt oder sonst irgendwie beeinflußt. Manche Hexen können nur schaden, andere nur heilen; doch die meisten Hexen können beides. Sie besitzen also besonderes „Heil“ oder „Unheil“. Manchmal geschehen diese Dinge auch unbewußt und ohne böse oder gute Absicht, vor allem dann, wenn die Hexe nicht gelernt hat, mit diesen angeborenen Fähigkeiten richtig umzugehen. Der Hexenhammer (Malleus maleficarum) von Sprenger und Institoris aus dem Jahre 1487 erwähnt sowohl schädigende als auch heilende Hexen. Darin heißt es im Teil 2, Kapitel 2:

>Wie die Hexen in dreifacher Art auftreten, (...) nämlich solche, die schädigen, aber nicht heilen können, solche, die heilen, aber auf Grund eines besonderen Paktes mit dem Teufel nicht schädigen können, und solche die schädigen und heilen.<

Nun mag das meiste aus dem Hexenhammer ein buntes Zusammenwürfeln der verschiedenen Hexen-, Teufels- und Dämonenvorstellungen sein, doch an diesem Punkt beschreiben die Autoren das, was auch im Volke geglaubt wurde. Noch heute sagt man mancherorts, daß es diese drei Arten von Hexen gäbe. Die Hexe ist also ein ambivalentes Wesen. Was allerdings nichts mit irgendeinem Teufel zu tun hat, sondern eine angeborene, naturgegebene Anlage ist. Irgendwann teilen einem die Geistwesen diese Kraft dann mit, wenn man innerlich bereit ist, diese Kraft bewußt anzunehmen. Einmal ist der richtige Moment im Leben des Menschen gekommen, dann erscheinen ihm bestimmte Geister und offenbaren ihm seine Berufung. Der Schamane muß dann dieser Berufung folgen, da eine Verweigerung unangenehme Konsequenzen für ihn hätte. Bei den Hexen in der sogenannten zivilisierten Gesellschaft sieht es hingegen oft anders aus: Nur wenige Menschen glauben noch an Geister und Magie; die Gesellschaft ist von einem naturwissenschaftlichen, materiellen Weltbild geprägt. So erfahren viele Frauen gar nicht, daß sie die Anlage zur Hexe tragen, obwohl sie und auch ihre Umgebung spüren, daß da eine besondere Kraft vorhanden ist.

Es gibt nun verschiedene Möglichkeiten, wie diese Kraft zum Ausdruck kommen kann. Eine davon ist die Fähigkeit des Hexenrittes oder Hexenfluges, eine schamanische Fähigkeit. Der Schamane sendet seinen Geist aus, der durch die verschiedenen Jenseitswelten fliegt, während der Körper in Trance auf der Erde bleibt. Dieser Flug findet ebenfalls bei mancher Hexe statt. Während sie schläft oder sich in Trance befindet, sendet sie ihren Geistkörper aus und fliegt mit diesem umher. Die Hexenkraft zeigt sich also hier in der Fähigkeit, mit dem Geistkörper durch die Luft zu fliegen. Hexen sind Zaunreiterinnen, welche sich auf der Grenze zwischen Wachen und Träumen, Menschen- und Geisterwelt bewegen. Die altnordische Zauberin und Seherin, die „Völva“, trug einen besonderen Stab bei sich, der das Zeichen ihres Standes war. Dieser Stab hieß „Völr“, und davon hatten diese Frauen ihren Namen. Der Stab ist ein Symbol des Weltbaumes, durch den die verschiedenen Welten, die der Menschen, Götter und Geister, miteinander verbunden sind. Auf dem Weltbaum, seinem Stab, reist der Schamane durch diese Welten; meist sind es drei oder neun Welten. Die Völva verfügt ebenfalls über schamanische Fähigkeiten und kann in die Welt der Geister schauen, um diese zu befragen. In den nordischen Sagas finden wir einige Völvas erwähnt. Die Haupttätigkeit der Völvas scheint die Zukunftsschau gewesen zu sein; aber es finden sich auch Zauberinnen unter ihnen, die man als „Seidfrauen“ bezeichnete. „Seidr“ ist der altnordische Begriff für Zauberkunst oder Magie. Die Seidkunst war in erster Linie eine Kunst der Frauen und wurde nach altnordischer Überlieferung von der Göttin Freyja ausgeübt. Es galt für Männer in der Regel als unschicklich, sich mit dieser Kunst zu befassen, obwohl es auch Seidmänner gab.

In der Saga von Erich dem Roten erscheint eine weissagende, mit einem dunkelblauen Mantel bekleidetet Völva auf dem Hofe eines Bauern. Sie wird dort reichlich bewirtet und sagt den Leuten ihre Zukunft voraus, indem sie sich auf einen hohen Zauberstuhl setzt und einen Ring von Frauen um sich versammelt, von denen eine ein Zauberlied, einen „Wardlokkur“, singt, um die Geister anzulocken. Diese Geister werden nun von der Völva befragt und erteilen ihr Auskunft, was sich in Zukunft ereignen werde. Dies wird von der Völva den Hofbewohnern verkündet. Ebenfalls von einer Seidfrau berichtet die nordische Vatnsdoela saga; hier ist es eine Finnin, welche den Seidr durchführt: