Hey Hirn! - Leon Windscheid - E-Book
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Leon Windscheid

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Beschreibung

Alltagspsychologie unterhaltsam und zum Staunen lehrreich

Überarbeitete Taschenbuchausgabe des Buches "Das Geheimnis der Psyche"

Wie viel Ötzi steckt noch in uns? Kann man seinen Kopf trainieren? Und welche verblüffenden Erkenntnisse liefert die moderne Hirnforschung zum Sinn des Lebens und zur Suche nach dem Glück?

All diesen und vielen weiteren hochspannend beantworteten Fragen widmet sich Leon Windscheid in „Hey Hirn!“ – und macht damit die ungeahnten Kräfte der Psyche erlebbar. Windscheids Mission ist es, seine Begeisterung für die Psychologie mit den Lesern zu teilen und ihnen einen Zugang zu den Wundern ihrer eigenen Psyche zu schaffen.

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Seitenzahl: 366

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DR. LEON WINDSCHEID

HEY HIRN!

Warum wir ticken, wie wir ticken

Wilhelm Heyne Verlag

München

Dieses Buch erschien 2017 unter dem Titel Das Geheimnis der Psyche im Ariston Verlag.

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Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.

Copyright © 2017 Ariston Verlag

Der Wilhelm Heyne Verlag, München, ist ein Verlag der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH,

Neumarkter Straße 28, 81673 München

Covergestaltung: Nele Schütz Design, München, unter Verwendung eines Fotos von Daniel Witte

Satz und E-Book Produktion: Satzwerk Huber, Germering

ISBN 978-3-641-23707-3V004

www.heyne.de

Inhalt

Bye-bye, Psychoangst!

Eine Hommage an die Psychologie

1Das gesprengte Selbst

Willkommen in Ihrem Kopf

2Von Gehörnen, der Seele und denkenden Toastern

Das kleine große Wunder unserer Psyche

3Unterhosenmillionär

So durchbricht man die Spirale der Angst

4Aufmerksamkeitsgummibärchen

Warum wir die Wirklichkeit in Wirklichkeit nie sehen

5Hellgrau verrückt

Gegen unseren gestörten Umgang mit psychischen Störungen

6Frisch ausgekotzter Kirschkuchen

Wie man sich mit der klassischen Konditionierung dressieren und umdressieren kann

7Karohemd und Samenstau

Darum ist faules Denken oft schlaues Denken

8Besser im Bett

Warum Einschlafhilfen ohne Nebenwirkungen voll psycho sind

9Alles eine Frage des Rahmens

Wie man als Iraner mexikanische Burritos an den Mann bringt

10Käsekuchen, Pappkisten und Labormäuse

Warum uns alles, was wir selber machen, besser gefällt

11Vollassis zähmen für Anfänger

So kann man mit der sich selbst erfüllenden Prophezeiung (ein wenig) die Zukunft bestimmen

12Jesus mit Mundgeruch

Was George Clooneys Charme mit Kaffeekapseln zu tun hat

13Darf noch ein bisschen mehr Geld aus dem Fenster geworfen werden?

Unser falscher Umgang mit den versunkenen Kosten

14Fast tödliche Gedanken

Warum was wir denken sich anfühlt wie was wir tun

15Jedi-Ritter mit Eiterpickel

Wie man mit Mnemotechniken Millionenwissen schaufelt

16Ankern im Hirn

Vorsicht vor Gedankenhaken

17Da kann ich nichts für

Der fundamentale Attributionsfehler

18Von Kacka und Klapperstörchen

Warum SPIEGEL-Leser doch nicht mehr wissen

19Lecker Pizza Bollo

Erfolgreich verhandeln mit Dönerbonzen, Gebrauchtwagenhändlern und der besseren Hälfte

20Voll im Flow

So schön ist es, Berge zu versetzen, wenn man die Welt um sich vergessen hat

21Stresspusteblumen

Warum es keinen Sinn macht, Stressoren wegzublasen

22Zusammen sind wir ein paar weniger

Wie soziales Faulenzen ganze Teams lahmlegen kann

23Vier Bier vor vier

Da kommen unsere Süchte her, und so jagen wir sie wieder weg

24Heute hatte ich viel vor, jetzt habe ich morgen viel vor

Der Fluch der Aufschieberei

25Das ist sicher so, auch wenn es sicher nicht so ist

Warum es gefährlich wird, wenn unser Hirn einmal überzeugt ist

26Mit der Machete durchs Synapsenwirrwarr

Wie man mit Bahnung im Gehirn schneller ans Denkziel kommt

27Danke, dass es Ihnen schlecht geht, Herr Nachbar

Wie groß ein Fisch ist, kommt nur auf den Teich ein

28Unendlich spannend langweilig

Wieso Nichtstun sehr viel mit Kreativität zu tun hat

29Tausche Tofu gegen Diesel

Der moralische Freibrief in unserem Kopf

30Max Mustermann setzt sich ein Ziel und schafft es wieder nicht

Warum falsch hoffen so hoffnungslos macht

31Knapp, knapper, am wunderbarsten

Was wir haben wollen, darf es nicht geben

32Hilfe, helft mir nicht!

Warum viele Retter den Rettungsbrei verderben

33Nett nachtragend sein

So schützt man sich vor berechnender Freundlichkeit

34Immer schön rational irrational

Ein einfaches Spiel zeigt, dass wir Menschen gerecht sind

35Auf der Suche nach dem Wichtigsten

Den Sinn im Leben gibt es nicht, aber man kann ihn finden

36120 auf der Autobahn ist ohne Bremse doof

Warum Abschalten auch anstrengend ist

37Bauchgefühle im Kopf

Warum es sehr viel wert sein kann, seine Intuitionen zu verstehen

38Die Glücks-Gesundheits-Maschine

Egal wie es ist, es möge bitte so bleiben

39Alleine peinlich sein

Warum wir immer dann stolpern, wenn alle gucken

40Egal warum, wenn nur weil

Solange es einen Grund gibt für das, was wir tun, sind wir zufrieden

41Was der Bauer nicht kennt, sollte er öfter essen

Warum die Angst vor Ungewissheit uns viel zu oft blockiert

42Es ist nicht geil, ein Arschloch zu sein

Warum wir um jeden Preis möchten, dass in unserem Kopf alles zusammenpasst

43Ende gut, gar nichts gut

Warum wir nur im Rückblick keine Fehler machen

44Jeder ist gern besser als der Rest, nur wer soll dann der Rest sein?

Warum wir uns permanent selbst überschätzen und das auch noch gut ist

45Sorgenfürze

Über das Missverständnis eines unschönen Gefühls

46Ich bin das, was wir sind

Warum unsere soziale Identität durch »wir« und »die« wächst

472 mal 3 macht 4, widdewiddewitt und 3 macht 9e

Unser Hirn macht sich die Welt, wie sie ihm gefällt

48Der schlimmste Denkfehler

Über einen toten Winkel im Hirn

49Schnipp, schnapp, Pinocchio-Nase ab

Über die Kunst des anderen Lügens

50Glück kann man kaufen, aber nicht besitzen

Warum erfahren so viel schöner ist als haben

Das wollte ich noch sagen

Kurz zum Schluss

Dank

Literatur

Bye-bye, Psychoangst!

Eine Hommage an die Psychologie

»Ich studiere Psychologie.« Das ist im Grunde nichts weiter als eine harmlose Feststellung. So dachte ich zumindest, als ich vor etwa sieben Jahren ganz naiv in Münster ankam. Wer zu Beginn des Studiums, wie ich damals, frisch von der Schule kommt, möchte natürlich nicht gleich als »Ersti« entlarvt werden. Dafür empfiehlt es sich abzugucken, was die erfahrenen Studenten höherer Semester machen. Als ich also kurz vor dem Uni-Start endlich zur ersten WG-Party meines Lebens eingeladen wurde, wollte ich genauso cool und souverän wie alle anderen auftreten. Eine anscheinend einfache Mission, denn zur Vorstellung auf WG-Partys gibt es einen Goldstandard unter Studenten: Nenne zunächst brav deinen Namen, dann dein Studienfach. Macht jeder so, und das aus gutem Grund. Wenn man nämlich Fächer wie Zahnmedizin, Ökotrophologie, Französisch auf Lehramt oder Germanistik studiert, wird das sicher der perfekte Einstieg ins Gespräch. Das fremde Gegenüber macht einen kleinen Witz über den vermutlich angestrebten Berufsstand oder über die skurrilen Inhalte des Faches (haha, kurz höflich lachen), nennt dann den eigenen Namen und das eigene Studienfach (am besten jetzt ein kurzer Witz zurück – haha, beide lachen), und schon ist man im Gespräch.

Das Ganze verhält sich völlig anders, wenn man Psychologie studiert. Wer in einer Gruppe Fremder so unvorsichtig wie ich damals auf der WG-Party freiheraus verkündet: »Ich heiße Leon und studiere Psychologie«, erreicht mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit eine von drei Reaktionen. Eher selten kommt: »Wow! Psychologie finde ich suuuperinteressant. Wollte ich auch immer machen.« In diesem Fall gilt es sofort, zwischen den Zeilen zu lesen. Je zynischer das »Wow« daherkommt und je länger das »u« in »super« gezogen ist, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass noch ein kleiner Nachsatz à la »Leider war ich in der Schule kein Streber« folgt. Tatsächlich ist Psychologie nur minimal besser als Medizin, was die Streberquote angeht. Das Fach ist ein regelrechtes Sammelbecken für Fingerschnipser und Klassensprecher. Ohne sehr gute Noten im Abitur oder einen reichen Papa, der klagt, ist es fast unmöglich, in Deutschland einen Studienplatz zu bekommen. Insofern ist es zwar nicht unbedingt erfreulich, als Streber abgestempelt zu werden, im Grunde aber (meist) zutreffend und damit einfach als halb so wild hinzunehmen.

Die zweite typische Reaktion auf die Beichte, Psychologiestudent zu sein, ist die Nachfrage, welche eigenen Dachschäden man mit dem Studium heilen wolle. Tatsächlich, wer sich die Mühe macht und zu Beginn des Semesters eine Psychologievorlesung besucht, wenn Studenten noch in Scharen und hoch motiviert in die Uni rennen, wird feststellen, dass dort eine ganze Menge Leute mit mittelschweren bis schweren Dachschäden sitzt. Macht ja auch Sinn. Wer ein Faible für Kunst hat, studiert Kunst, in den Sportseminaren schwitzen die Sportler und in der Psychologievorlesung hocken die Psychopathen – alte Mensaweisheit. Wer sich freiwillig mindestens zehn Semester lang mit Neurosen, Störungen und Komplexen rumschlägt, der hat doch selbst nicht mehr alle Latten am Zaun. Und wenn die Abinote reicht, bietet es sich doch regelrecht an: studieren statt therapieren! Ich gebe zu, viele Psychologiestudenten haben eine Macke. Aber mindestens genauso viele Jurastudenten, Lehramtsstudenten und besonders Germanistikstudenten sind doch auch Erste-Sahne-Psychos mit ganz normalen Dachschäden.

Wer Interesse an Psychologie zeigt, dem wird gerne unterstellt, einen an der Waffel zu haben. Mit den Jahren weiß ich heute, dass man gegen diesen Vorwurf am besten genauso vorgeht wie gegen die Unterstellung, schlechte Laune zu haben. Nämlich gar nicht oder mit Humor. Wer auf die falsche Feststellung: »Du bist aber schlecht drauf heute« mit zu viel Nachdruck erwidert, er habe keine schlechte Laune, erntet postwendend: »Mensch, du bist ja richtig zornig!« Nichts ist weniger effizient für einen nicht psychopathischen Psychologen, als auf ein unterstelltes Verrücktsein mit Verneinung und Gegenargumenten zu reagieren. Die Leute glauben einem nicht. Je vehementer man es versucht, desto schlimmer wird es. Was wirklich hilft, ist, erst mal ganz locker zu bleiben. Dann kurz mit den Augen rollen, wild mit den Armen schlackern und kichernd bestätigen, dass man nicht mehr sauber tickt. Das ist politisch zwar nicht ganz in Ordnung, aber in diesem Fall aus meiner Sicht vertretbar, weil es der schnellste und sicherste Ausweg aus der misslichen Lage ist.

Viel schlimmer und für mich bis heute ungelöst ist die dritte Art von Reaktion. Mit Abstand am häufigsten folgt auf die Vorstellung als Psychologiestudent nicht viel mehr als ein kleinlautes, nur halb gehauchtes »Ohh«. Dann lange Stille. Wie das einsame Bambi auf der Waldlichtung, das in der Morgenröte plötzlich innehält, weil es den Jäger mit seiner tödlichen Flinte wittert, wird das Gegenüber stocksteif. Einmal habe ich das Entstehen einer so ausgeprägten Gänsehaut beobachten können, dass mir selbst ganz anders wurde. »Psychologie, aha, mhm, nun ja«, kommen als erste gestotterte Satzfetzen, sobald die Schockstarre, ausgelöst durch die Begegnung mit einem Psychologen, überwunden ist. Die Angst springt einen aus den Augen des anderen buchstäblich an: jetzt bloß an nichts denken. Der kann doch Gedanken lesen!« Während die meisten eine kurze Ausrede herauspressen, um dann flink wie Bambi ohne Mama vor dem Jäger davonzuflitzen, gibt es wenige Mutige, die bleiben und ihre Sorgen offen aussprechen. Das klingt dann meist wie folgt: »Soso, Psychologie. Dann analysierst du mich gerade bestimmt, wie der Typ mit dem Rauschebart und der Couch.« Es folgt ein kurzes, unsicheres Lachen, das schnell verhallt, denn die Angst sitzt doch viel zu tief.

In den seltenen Situationen, in denen auf den Satz »Ich studiere Psychologie« nicht alle geflohen sind, helfen Erläuterungen, dass Psychologie mit Gedankenlesen oder Telepathie genauso viel zu tun hat wie mit Alchemie oder Hexerei, also nur wenig. Der Grundverdacht, doch in die Fänge des gemeinen Psychologen mit seinen Tricks zu geraten, ist viel zu groß.

Für mich steht fest, dass in den meisten Hirnen irgendwo eine kleine Psychoangst sitzen muss. Den Großteil der Zeit hockt sie faul in der Ecke. Aber wehe, wenn am Horizont irgendetwas auftaucht, das nach Psychologie aussieht oder riecht. Dann springt sie auf und schlägt Alarm. Die kleine Psychoangst lebt von gefährlichem Halbwissen. Denn die meisten haben zwar eine vage Vorstellung davon, was Psychologie ist, aber keine wirkliche Ahnung.

Kennen Sie das Gesellschaftsspiel Tabu? Wer dran ist, muss den anderen Spielern einen Begriff erklären, ohne dabei fünf verbotene Wörter zu benutzen. Das Gemeine ist aber, dass genau diese Wörter jedem als Erstes in den Sinn kommen, um den gesuchten Begriff zu umschreiben. Für »Kaktus« zum Beispiel sind das »Pflanze«, »Wasser«, »Stachel«, »Wüste« und »spitz«. Was, meinen Sie, wären fünf gute verbotene Wörter für den Begriff »Psychologie«? Wenn Sie hundert Leute fragen, bin ich sicher, dass in etwa »Sigmund Freud«, »Tintenklecks«, »Couch«, »Hypnose« und so was wie »Zwangsjacke« am Ende die Top Five bilden würden. Bei diesen Wörtern denkt jeder sofort an Psychologie. Und damit haben wir den Salat. Denn diese Vorstellung von Psychologie ist ungefähr so zutreffend wie die Zusammenfassung der Medizin als »Tatütata«, »Aderlass« und »Bachblütensalbe«.

Die Skepsis gegenüber uns Psychologen, die ich selbst immer wieder am eigenen Leib erfahre, gemischt mit einem verkrampften Umgang mit Psychothemen im Allgemeinen, ist doof. Mich begleitet die Psychologie schon sehr lange. Am Anfang war auch ich skeptisch wie die meisten. Aber je näher ich sie kennengelernt habe, desto mehr hat mich die Psychologie fasziniert und gefesselt. Nach fünf Jahren Studium, mehr als drei Jahren Forschung für meine Doktorarbeit und der Durchführung ganz unterschiedlicher psychologischer Studien und Experimente kann ich mir nichts vorstellen, das mich mehr interessieren würde als die Psychologie. Ich würde sogar so weit gehen, zu sagen, dass ich mich ein bisschen in das Fach verliebt habe. Es ist sehr schwer, seine Liebe mit fünf verbotenen Wörtern zu umschreiben. Aber wenn ich müsste, wären das für mich »Wissenschaft«, »Gehirn«, »Mensch«, »Verstehen« und »Werkzeugkoffer«.

In erster Linie habe ich die Psychologie im Studium als Wissenschaft kennengelernt. Und zwar nicht als Geistes-, sondern als Naturwissenschaft. Naturwissenschaftler zu werden ist ein hartes Brot. Für uns Studenten hieß das, vor allem ganz viel Mathe auf dem Stundenplan zu haben. Es mag komisch klingen, aber am Ende von psychologischer Forschung stehen meist Zahlen. Ziemlich viele Zahlen in ziemlich komplizierten Datensätzen. Und um die auszuwerten und zu verstehen, muss man rechnen. Zu Mathe gesellen sich dann noch Biologie, Chemie und Physik, womit wir beim Gehirn wären. Jeder unserer Gedanken besteht am Anfang aus nichts anderem als Zellen, Säure und Elektrizität, die in dem kleinen grauen Klumpen in unserem Kopf zusammen ein wahres Wunder vollbringen. Dieses Wunder, unsere Psyche, ist am Ende das, was jeden von uns zu dem macht, was er ist. Ein Mensch. Mensch sein ist Psychologie pur.

Die Psychologie interessiert sich für die Prinzipien und Regeln, nach denen das Menschsein funktioniert. Warum ticken wir so, wie wir ticken? Welche Regeln gelten für alle und welche Regeln nur für bestimmte Gruppen? Jeder Mensch ist einzigartig. Aber niemand sollte unterschätzen, wie sehr wir alle uns doch ähneln. Was Lachen heißt, dass uns bestimmte Werte etwas bedeuten oder wovor wir Angst haben, das sind universelle Regelmäßigkeiten, die für alle Menschen gelten. Zwar lacht ein Asiate vielleicht aus einem anderen Grund als ein Europäer, und vielleicht hat ein Sachse vor anderen Dingen Angst als ein Berliner, aber auch das sind Muster unseres Menschseins, die die Psychologie zu entschlüsseln und zu beschreiben versucht.

Damit sind wir beim Verstehen. Die Psychologie ist der Schlüssel hierzu. Wir möchten begreifen, warum wir so sind, wie wir sind, und andere so sind, wie sie sind. Dieser Drang treibt uns Menschen schon immer an. Ich habe im Psychologiestudium zum Beispiel verstanden, woher meine Angst vor Vorträgen kam, und so gelernt, sie abzuschütteln. In einem Seminar habe ich Schicksale kennengelernt, die es mir begreiflich machten, wie ein Mensch drogenabhängig werden kann, und in einem anderen Seminar, wie man erfolgreich verhandelt. Wenn ein Jugendlicher mit der Pumpgun in die Schule zieht und seine Lehrer und Mitschüler eiskalt abknallt, möchte man das Unbegreifliche begreifen. Die Psychologie knackt nicht jedes Schloss. Aber sie ist der beste Schlüssel, den wir haben.

Wer die Psyche erforscht, hockt also nicht mit Tintenkleckstafeln vor einer Couch, um irgendwelche Gedanken zu lesen. Wir Psychologen hocken mit weißem Kittel im Labor vor dem Kernspintomografen, um herauszufinden, woher die Liebe kommt. Wir verbringen Monate vor dem Computerbildschirm, um eine repräsentative Umfrage online zu bringen, in der Tausende Menschen uns verraten, was sie zum Glücklichsein brauchen. Wir führen Experimente durch, um Therapien für Leute mit Depression, Burn-out oder Magersucht zu entwickeln, um Teams effizienter zu machen, um Stress und Flow zu verstehen oder Phobien loszuwerden. Wissen zu schaffen ist kompliziert. Nach mehreren Jahren Promotion, in denen ich selbst verschiedene Experimente mit Forschern aus den USA, der Schweiz und Belgien durchgeführt und stapelweise Bücher und Studien gelesen habe, weiß ich, wie anstrengend es ist, Doktor zu werden und Wissenschaftler zu sein, wenn man alles selbst schreibt und nicht abschreibt. Aber wenn das Wissen dann einmal da ist, muss es geteilt werden, und zwar so, dass es genutzt werden kann. Dazu gehört für mich vor allem, aus dem Komplizierten etwas Handfestes zu machen, womit wir bei meinem letzten verbotenen Wort für die Beschreibung der Psychologie angekommen sind.

Psychologie ist für mich ein Werkzeugkoffer. Das klingt jetzt ein wenig nach Managerseminar, aber tatsächlich trifft das Bild mit dem Werkzeugkoffer am besten das, was für mich den großen Reiz an der Wissenschaft Psychologie ausmacht. Ich kann sie einsetzen und für mich nutzen. Der Werkzeugkoffer steht in meinem Kopf, und er wird immer voller. Nicht von alleine, sondern weil ich lese, forsche und vor allem immer wieder übe. Psychologische Phänomene können wie Werkzeuge sein. Sie helfen uns, besser zu funktionieren, klarzukommen, weniger anzuecken, effizienter zu werden, uns selbst und andere zu verstehen. Jeder von uns besitzt diesen Werkzeugkoffer, denn jeder von uns betreibt – gewollt oder nicht – permanent Psychologie. Die Idee, dass irgendwer Nichtpsychologe ist, ist Unsinn. Vielleicht nicht mit Studienabschluss oder Doktorhut – aber mit den Kollegen im Büro, mit der Freundin oder dem Freund im Bett, beim Gebrauchtwagenkauf oder auf dem Stuhl bei Günther Jauch findet Psychologie statt. Wir alle sind also irgendwie Psychologen. Der Unterschied besteht nun darin, wie voll unsere Werkzeugkoffer sind.

Dieses Buch ist eine Hommage an die Psychologie. Ich erzähle darin von meiner Zeit als Student in Münster, meinen kuriosen Erfahrungen als Partyveranstalter und meinem Weg zur Million. Diese persönlichen Erfahrungen bilden den Rahmen, aber den Inhalt bilden die vielen psychologischen Phänomene, die ich Ihnen vorstellen möchte. Sie kennenzulernen, zu verstehen und sich zunutze machen zu können, ist das Ziel dieses Buches. Manchmal sind es bizarre Methoden und Kniffe, manchmal ist es auch nur die reine Existenz von Mechanismen in unseren Köpfen, die ich Ihnen vorstellen möchte. Wichtig ist vor allem, dass Sie die wichtigsten Erkenntnisse vermittelt bekommen und für sich selbst etwas davon mitnehmen können. Mir persönlich hat die Psychologie schon in zahlreichen Lebenslagen geholfen, und ich weiß, dass ich vieles ohne sie nicht geschafft hätte. Möglicherweise wird es Ihnen genauso gehen.

Natürlich ersetzt ein solches Buch kein Psychologiestudium – und natürlich hat es nicht den wissenschaftlichen Anspruch einer Doktorarbeit. Dem aufmerksamen Leser wird auch nicht entgehen, dass manche Stellen mit einem Augenzwinkern zu verstehen sind. Aber am Ende – das verspreche ich Ihnen – werden Sie das Seepferdchen in Psychologie absolviert haben. Das ist zwar noch nicht Gold, aber besser, als mit der kleinen Psychoangst ein Leben lang im Psycho-Nichtschwimmerbecken rumzustehen, ist es allemal.

1

Das gesprengte Selbst

Willkommen in Ihrem Kopf

Meine Reise in die fabelhafte Welt des Gehirns fing als echtes Abenteuer an. »Stellen Sie sich vor, es ist ein wunderschöner Morgen. Obwohl es noch sehr früh ist, wärmen die ersten Sonnenstrahlen schon Ihr Gesicht. Sie steigen auf Ihr Pferd und reiten los, denn Sie haben eine Mission …« Ungefähr so begann in der Psychologievorlesung der seltsame Fall des Phineas Gage.

Es ist 1884 und Sommer in New England. Phineas ist jung und athletisch, ein typischer Yankee. Mit gerade einmal fünfundzwanzig Jahren ist er schon Vorarbeiter bei Rutland Railroad, einer der größten Eisenbahngesellschaften der Vereinigten Staaten. Seine Vorgesetzten schätzen ihn als den tüchtigsten und fähigsten Mann im Unternehmen. Er leitet einen Gleisbautrupp – die »Gang« –, mit der er sich seit Wochen mühselig Richtung Cavendish am Black River vorarbeitet. Das Terrain ist von festen Gesteinsschichten durchzogen, und oft muss gesprengt werden. Die Sprengungen sind Chefsache und laufen nach dem immer gleichen Prozedere ab: Loch bohren und Sprengpulver einfüllen. Das Sprengpulver mit Sand bedecken und den Sand mit einer langen Eisenstange feststampfen, damit der Explosionsdruck in die Tiefe wirkt. Dann Zündschnur einfügen, anzünden, weglaufen, Ohren zuhalten. Eigentlich ist an diesem Nachmittag alles wie immer. Phineas ahnt nicht, dass er in den nächsten Sekunden zu einem anderen Menschen werden wird.

Mit lässiger Routine schüttet er ordentlich Schwarzpulver in das nächste Sprengloch und will gerade nach dem Sandeimer greifen, als hinter ihm jemand etwas ruft. Phineas dreht sich um. Nur ein grüßender Hilfsarbeiter. Nichts Wichtiges. Er wendet sich wieder dem Loch zu und führt die Metallstange ein. Als er zum ersten kräftigen Stoß ausholt, passiert es. Ein Funke springt auf das Schwarzpulver und löst eine donnernde Explosion aus. Phineas hat den Sand vergessen. Und damit ist die Katastrophe perfekt.

Mit einem lauten Knall rast die Metallstange raketenähnlich aus dem Loch. Sie bohrt sich direkt in Phineas’ linke Wange, durchstößt dann den vorderen Teil seines Gehirns und schießt mit Affenzahn wieder aus der Schädeldecke heraus. Die Gang ist wie versteinert. Da steht ihr Chef. Voller Blut, aber offensichtlich lebendig. Man sieht sein Hirn pulsieren. Trotzdem ist er bei vollem Bewusstsein. Auf einem Ochsenwagen fahren die Männer ihn eilig zur nächsten Ranch. Dort ruft man sofort Dr. John Harlow. Den Arzt begrüßt Phineas mit den Worten: »Hier gibt es einiges für Sie zu tun, Doc.«

Es scheint unglaublich, aber nach nur wenigen Wochen wird Phineas für vollkommen genesen erklärt und von Dr. Harlow entlassen. Zugegeben, ein Auge fehlt – aber ansonsten kann der Mann genauso gut sprechen, erinnern, denken und hören wie vor der Explosion. Schnell wird allerdings klar, dass mit Phineas etwas nicht stimmt.

Seine Persönlichkeit hat sich verändert. Der einst ambitionierte, beliebte und zielstrebige Eisenbahner ist plötzlich launisch, kindisch und impulsiv. Dr. Harlow beschreibt die Flüche des jungen Mannes später als so abscheulich, dass man feine Damen vor ihm warnen musste und bat, lieber nicht im selben Raum wie Phineas zu verweilen. In den kommenden Monaten beginnt Phineas Gage, seine Mitmenschen ganz miserabel zu behandeln. Er trifft unmoralische Entscheidungen und macht derart absurde Zukunftspläne, dass seine Chefs ihm schließlich verzweifelt kündigen müssen. Sein Zustand wird nie wieder besser. »Gage war nicht mehr Gage«, lautet das traurige Fazit eines seiner früheren Kumpel.

Der Fall Phineas Gage macht deutlich, was Psychologie ist. Denn in ihm kommt fast alles vor, was das Fach ausmacht. Phineas ist erst mal ein Mensch. Das passt, denn wir Psychologen interessieren uns, wie eingangs beschrieben, für Menschen. Dann gibt es da die Umwelt, die Frauen, die Phineas beschimpft, den Job, den er verliert, den Freund, der ihn nicht wiedererkennt. Das passt auch, weil wir Psychologen uns sehr für die Interaktionen zwischen Menschen und für ihr Verhalten mit und in ihrer Umwelt interessieren. Der Hauptakteur in der Geschichte ist aber – neben der Eisenstange – das Gehirn von Phineas. Und über dieses Gehirn gelangt man zu einer Frage, die am Anfang der Psychologie steht: Was hat das Gehirn mit unserem Wesen, mit unserer Psyche zu tun?

Die Menschheit weiß schon lange, dass es da eine Verbindung gibt. Eine Verbindung zwischen dem Inhalt unserer Köpfe und dem, was wir sind, wie wir fühlen und was wir machen. Aber wie wichtig diese Verbindung ist, dass sie in Wahrheit alles ist, diese Einsicht ist ziemlich neu.

Da schießt also eine Eisenstange durch den Kopf eines jungen Mannes und raubt ihm ein Stückchen seines Gehirns. Es fehlt plötzlich eine Ecke im Oberstübchen. Danach ist dieser Mann nicht wiederzuerkennen. Äußerlich beinahe unverändert und rein körperlich soweit fit, ist seine Psyche wie ausgetauscht. Der Fall Phineas Gage macht klar, dass man jemanden eigentlich nicht von ganzem Herzen, sondern von ganzem Hirn liebt. Ähnlich ist es mit der Laus, die einem angeblich über die Leber läuft und für Verstimmung sorgt. Diese Redewendung geht auf die mittelalterliche Annahme zurück, dass die Leber der Sitz des Temperaments und damit auch des Zorns sei. Doch sind weder Leber noch Herz Orte, von denen Gefühle ausgehen, sondern es ist das Gehirn. Und selbst wenn der Magen »verstimmt« ist, schwimmt dort zwar vielleicht etwas, das da nicht reingehört, die Übelkeit aber entsteht im Hirn.

Der Fall des Phineas Gage ist der perfekte Start in die Welt der Psychologie, weil er zeigt, dass alles im Kopf beginnt. Eine ganz entscheidende Sache, finde ich, fehlt aber. Denn was uns Psychologen neben den Menschen mit ihren Hirnen und der Umwelt, in der sie agieren, am meisten antreibt, ist der Wille, ihnen dabei zu helfen, dass es ihnen besser geht, dass die Dinge reibungsloser funktionieren, dass man sich selbst und andere versteht. Kurzum, dass man klarkommt.

All das ist in der recht düsteren Eisenstange-zerfetzt-Hirn-von-Phineas-Geschichte noch nicht enthalten. Sicher, der Doc flickt den jungen Bahnarbeiter nach seinem Unfall wieder zusammen und beobachtet den jungen Patienten genau. Aber wirklich helfen konnte Dr. Harlow nicht. Genau hier würde dann die Psychologie ansetzen.

Als ich im ersten Semester im Hörsaal saß und gespannt der Erzählung von Phineas’ Schicksal lauschte, fühlte ich mich, als hätte ich noch nie etwas von Psychologie gehört. Das Studium hatte gerade erst angefangen, und mir war noch vollkommen unklar, wohin die Reise gehen würde, was Psychologie ist und was sie kann. Nachdem ich dann aber den bedauernswerten Phineas »kennengelernt« hatte, war mir vieles klarer. Die Einsicht, dass eine heftige Verletzung im präfrontalen Kortex, also dem Hirnlappen direkt hinter der Stirn, dazu führen kann, dass sich ein Charakter schlagartig zum Schlechten verändert, während der Rest soweit normal bleibt, war für mich wie – bildlich gesprochen – eine Fußmatte vor dem großen Haus Psychologie, auf der steht: »Willkommen in Ihrem Kopf!«

2

Von Gehörnen, der Seele und denkenden Toastern

Das kleine große Wunder unserer Psyche

»Das heißt nicht Gehörn«, bekommt man als Rheinländer in Münster ungefähr so oft zu hören wie »Guten Tag« oder »Auf Wiedersehen«. Zugegeben, meine Aussprache ist nicht astrein. Das weiß ich spätestens, seit ich mein faules Gehörn wiederholt dabei ertappte, Torte mit »ch« statt »r« zu schreiben. Tochte, Güchtel, Förma und Gehörn stoßen jedem echten Westfalen ganz übel auf. Zum Glück hatte ich zu Beginn meines Studiums schon in verschiedenen Ländern gelebt und wusste, wie man in der Fremde klarkommt. Man passt sich an. Aus Güchtel machte ich also Gürteehl und aus Gehörn eben Gehiiern. Mit dieser sprachlichen Adaptation war ich gut beraten, denn das Wort »Gehirn« braucht ein Psycho-Ersti unweigerlich fast jeden Tag.

Der Grund dafür liegt auf der Hand. Unser Hirn ist, was wir sind. Das hatte der Professor uns Studenten mit dem seltsamen Fall des Phineas Gage klarzumachen versucht. Stellen Sie sich vor, alle Organe in Ihrem Körper müssten transplantiert werden. Herz, Niere, Leber, Augen und so weiter, all dies käme neu aus einem fremden Körper in Ihren. Solange die Organe fleißig tun, wofür sie da sind, wären Sie nach so einer krassen Operation immer noch Sie selbst. Die Idee allerdings, dass Sie mit dem transplantierten Hirn einer anderen Person noch immer Sie selbst wären, ist absurd.

Dieser Umstand führt zu einem Problem. Unser Hirn besteht aus Nervenzellen. Etwa hundert Milliarden Stück. Die genaue Zahl ist unklar, aber man ist sich einig: Es sind extrem viele. Diese vielen Nervenzellen sind über Synapsen miteinander verbunden und bilden so ein riesiges Netzwerk. Das Netzwerk ist hungrig nach Energie, die aus der Verbrennung von Glukose, also Zucker, gewonnen wird. Obwohl unser Hirn – proportional gesehen – nur einen Bruchteil vom Körper ausmacht, ist es ein echter Energiefresser und verbraucht ein Fünftel aller Power, die wir zur Verfügung haben. Klingt alles ein bisschen erschlagend, aber am Ende ist das, worauf es ankommt, nicht viel.

Die Nervenzellen schalten und walten mit Chemie und Elektrizität. Irgendeine Säure mit vier Positronen da, eine andere Säure mit zunächst nur drei, dann plötzlich fünf Elektronen dort, und schon entsteht ein Signal, das von einer auf die nächste Zelle überspringt. Und das ist dann schon die Grundlage allen Denkens und Handelns.

Wenn unser Hirn alles ist, was wir sind, und dieses Hirn nur mit Zellen, Säuren und ein bisschen Strom arbeitet, wie kann es dann über sich selbst nachdenken und ein Bewusstsein entwickeln? Oder anders gefragt: Wenn unser Körper, zu dem das Gehirn gehört, nur aus Dingen besteht, dann stellt sich die Frage, wieso diese Dinge zusammengenommen denken können?

Am Ende sind wir nichts anderes als ein biologischer Apparat, der auf zwei Beinen durch die Gegend rennt. Und in diesem System schaltet die Chemie und wirkt die Physik. Klingt doch alles irgendwie nach Maschine, oder? Heute sind wir vielleicht noch nicht so weit, aber wenn wir Menschenmaschinen eine Psyche haben können, warum sollte dann nicht in ein paar Hundert Jahren auch ein megaschlauer Toaster mit viel Arbeitsspeicher – von mir aus auch mit ein paar Chemikalien – ein Bewusstsein entwickeln?

Das Leib-Seele-Problem, wie die Philosophen es nennen, gibt es schon viel länger, als wir Menschen von Computern wissen oder uns fühlende Toaster vorstellen können. Der schlaue Philosoph René Descartes schlug in der frühen Neuzeit vor, Leib und Seele zu trennen. Man nennt das Dualismus. Körper als Maschine oder Hülle hier, Seele als etwas anderes, etwas Übernatürliches da. Zwei voneinander völlig verschiedene Dinge. Die Seele stellte sich Descartes als nichtphysisches Irgendwas vor und den Körper als physischen Rest. Zusammen macht das dann den Menschen. Den Job mit den Gefühlen, dem Bewusstsein, unserem Denken und jeder willentlichen Handlung schrieb Descartes der Seele zu, die für den augenscheinlich gottesfürchtigen Philosophen natürlich auch ohne die Körperhülle – unsterblich – weiterbestehen würde. Eigentlich eine schöne Idee, dass da irgendwas ist, was nicht zu unserem Körper gehört, das kein Ding, sondern etwas Höheres darstellt.

Der Begriff »Seele« wird ganz unterschiedlich definiert und ist sehr vielschichtig. Zu einem gewissen Grad beinhaltet er aber immer das Transzendente. Etwas Übernatürliches, das sich in den Religionen findet. Im Altertum wurde der Begriff der Seele mit dem Begriff der Psyche gleichgesetzt. Ich persönlich bin nicht getauft und nicht gläubig und insofern froh, dass Psyche im heutigen Sprachgebrauch für die wissenschaftliche, die faktische Betrachtung unseres geistigen Inneren steht. Aber auch wenn sich die beiden Begriffe »Seele« und »Psyche« auf unser Wesen, unser Sein und unseren »Geist« beziehen, bleibt das Leib-Psyche-Problem bestehen.

Wenn ich auf dem Zehnmeterturm im Schwimmbad stehe und ins Wasser springe, taucht mein Körper wie ein nasser Sack ins kalte Blau. Und wer hat meinen Beinen den Befehl gegeben, über die Kante des Sprungbretts hinauszutreten? Meine Psyche. Runter fällt dann mein Körper inklusive Hirn, aber die Anweisung kam doch ganz eindeutig von woanders. Oder? Jetzt lege ich noch eine Schippe drauf: Vielleicht kennen Sie das Gefühl, wenn man sich fragt, warum man gerade so gute Laune hat. Sich gute Laune als eine Verkettung von feuernden Nervenzellen in unserem Hirn vorzustellen, geht für mich klar. Aber wie kann ich mir das Denken über mein Fühlen erklären? Oder noch schlimmer, wie geht es, dass ich mit meinem Hirn über mein Denken nachdenke, wenn dieses Denken selbst meinem Hirn entspringt? Ziemlich verwirrend. Der schlaue Physikprofessor John Barrow aus Cambridge hat mal etwas über das Universum gesagt, das der schlaue Psychologieprofessor David Myers wiederum auf unsere Psyche angewandt hat: Ein Gehirn, das einfach genug gebaut wäre, um es zu verstehen, wäre zu einfach, um eine Psyche zu produzieren, mit der man es dann verstehen könnte.

An dieser Stelle mache ich einen Cut. Wenn Sie gerne an die Existenz eines unsterblichen Etwas glauben möchten, das unser Wesen ausmacht, dann tun Sie das. Ich werde in keiner Weise versuchen, Sie davon abzubringen. Denn was die Psychologie Ihnen als Wissenschaft im Vergleich anzubieten hat, ist zwar hoch spannend, aber noch lange nicht fertig und wird es vermutlich auch nie werden. Sie können jetzt also selbst entscheiden, den Text weiterzulesen und Descartes’ schöne Idee auseinanderzupflücken oder den Rest dieses Kapitels zu überspringen. Falls Sie unentschlossen sind, lesen Sie vielleicht doch weiter. Am Ende biete ich Ihnen nämlich einen Kompromiss an, mit dem ich persönlich ganz gut zurechtkomme.

René Descartes wurde 1596 geboren. In dieser finsteren Zeit konnte man ohne Weiteres noch auf dem Scheiterhaufen enden für die Idee, irgendwem den Kopf aufschneiden zu wollen, um zu schauen, wie das da drinnen alles funktioniert. Und auch Dr. Harlow einige Jahrhunderte später, der den seltsamen Fall des Phineas Gage für die Nachwelt dokumentierte, hätte sich vermutlich im Traum nicht vorstellen können, was für Möglichkeiten wir mittlerweile haben, unserer Psyche auf den Pelz zu rücken.

Die moderne Neurowissenschaft macht möglich, was den Philosophen und anderen Hirninteressierten vergangener Tage vorenthalten blieb. Heute können wir Hirne scannen und so Licht ins Dunkel bringen. Die Verfahren dazu haben ziemlich freakige Namen wie Positronen-Emissions-Tomografie, Magnetresonanztomografie oder die Elektroenzephalografie. Besser bekannt sind sie den meisten unter ihren Abkürzungen: PET, MRT und EEG. Die genaue Funktionsweise ist jeweils recht kompliziert. Beim PET zum Beispiel bekommt man erst eine leicht radioaktive Flüssigkeit gespritzt. Dann geht es in die Röhre. Die radioaktive Flüssigkeit verteilt sich in allen Körperzellen, und das Gerät in der Röhre kann diese Flüssigkeit dann am Monitor »sichtbar« machen. Eine Zelle, die besonders viel Energie verbraucht, nimmt viel von der radioaktiven Flüssigkeit auf, was dann als hell leuchtendes Areal im computerberechneten Bild erscheint. So weiß man, wo im Körper Action ist, und entsprechend auch, was in den Hirnzellen so vor sich geht. Die anderen Verfahren verfolgen das gleiche Ziel: eine Abbildung unseres Innenlebens, unserer Psyche.

Seitdem wir nun immer besser darin werden, unsere Hirne zu entschlüsseln, kristallisiert sich etwas heraus: Körper und Psyche (oder Leib und Seele, wie Descartes es nannte) gehören zusammen. Um zum Beispiel herauszufinden, wo Liebe wie wirkt, steckten die beiden Forscher Andreas Bartels und Semir Zeki in einer Studie des renommierten University College London ihre Probanden in die Röhre. Sobald die Versuchspersonen ein Foto ihrer großen Liebe sahen, zeigte sich Aktivität in Hirnregionen, die die Wissenschaft bisher mit Drogenkonsum in Verbindung gebracht hatte. Ein findiger Journalist schrieb daraufhin, dass man Liebe, beurteilt nach den rechtlichen Standards des Substanzmissbrauchs, als absolut illegal betrachten und rigoros verbieten müsse.

Die Auswertung der Wissenschaftler zeigte eindeutig, dass es im Hirn bestimmte Liebeshauptdarsteller gibt. Zum einen der vordere Kortex, der für das Erkennen von Emotionen verantwortlich ist, also genau der Bereich, den sich der arme Phineas zersprengt hatte. Außerdem der Nucleus caudatus, eine Bohne mit Schwänzchen, und das Putamen, zu Deutsch die Schale, beide im Großhirn ansässig und für die erotische Würze verantwortlich, sowie der Insellappen, der als Teil der Hirnrinde unsere Sinneseindrücke verarbeitet. Fertig ist die Erklärung von Liebe im Hirnscanner.

Einen anderen Versuch zur Verbindung von Körper und Psyche, der heute wohl zu den meistdiskutierten Experimenten der Neurowissenschaften zählt, unternahm der amerikanische Physiologe Benjamin Libet. Er begab sich auf die Suche nach dem freien Willen, und zwar mit einem einfachen wie genialen Versuchsaufbau. Der Wissenschaftler setzte seine Probanden vor eine schnell laufende Uhr auf einem Monitor. Die Aufgabe der Probanden bestand darin, dass sie sich, wenn sie den bewussten Drang verspürten, ihre Hand zu heben, merken sollten, wie spät es gerade auf der Uhr war. Nun sollte man annehmen, dass der Ablauf so aussieht: Wir fällen die Entscheidung, unsere Hand zu heben, und dann gibt unser Hirn den Befehl, genau das zu tun. Es ist also so und so spät auf der Uhr, wenn wir die Entscheidung fällen, und ein bisschen später, wenn wir die Hand tatsächlich heben. Die Probanden waren während ihrer Aufgabe verkabelt. Handgelenk und Kopf hingen an Elektroden. So konnte Libet messen, wann genau die Hand gehoben wurde und was im Kopf der Probanden vor sich ging. Die Auswertung ergab, dass der Zeitpunkt der Entscheidung weniger als eine Viertelsekunde vor dem Heben der Hand lag. So weit, so klar. Erst entscheiden, dann Hand hoch.

Völlig überraschend war nun aber, dass im motorischen Kortex, also dem Teil des Gehirns, der willkürliche Bewegungen steuert, die Hirnströme weit vor dem Zeitpunkt einsetzten, zu dem sich die Probanden bewusst entschlossen hatten, die Hand zu heben. Um genau zu sein, etwa eine Drittelsekunde vorher, was in der Neurologie eine halbe Ewigkeit ist. Das muss man sich einmal auf der Zunge zergehen lassen. Der Wille sagt: »Jetzt die Hand hoch«, aber unser Hirn sagt: »Hab ich schon längst befohlen.« In einem ähnlichen, wenngleich sehr viel moderneren Experiment forderte ein Team um den Wissenschaftler John-Dylan Haynes Probanden dazu auf, einen linken oder einen rechten Knopf zu drücken. Stolze sieben Sekunden, bevor sich die Probanden bewusst wurden, ob es nun links oder rechts werden würde, konnte die Entscheidung schon im Probandenhirn gemessen werden. Haynes’ Schlussfolgerung daraus ist eindeutig: Wie kann ich einen Willen »mein« nennen, wenn ich noch nicht mal weiß, wann er auftaucht und was der Wille zu tun entschieden hat? Libets und Haynes’ Versuche werden oft als Argument gegen die Willensfreiheit angeführt. Das geht vielleicht zu weit, und mittlerweile gibt es auch alternative Deutungen der Ergebnisse. Was die Versuche aber in Bezug auf unsere Willenskraft sicher zeigen, ist, dass unser Hirn der Boss unserer Psyche ist.

Wie passen die Liebe im Hirnscanner und die Macht unseres Gehirns über unser Handeln jetzt zu Descartes’ Idee zur vom Körper losgelösten Seele? Gar nicht. Die Neurologie kann heute noch lange nicht alle Fragen beantworten. Was aber feststeht, ist, dass unsere Psyche nichts anderes ist als ein fantastisches Netzwerk aus Nervenzellen, zusammengepackt in unserem Körper, mit einem Schaltzentrum nördlich des Nackens.

Dieses Schaltzentrum, unser Gehirn, ist das bisher spannendste bekannte Organ des Universums. Denn es vollbringt ein Wunder: das Wunder, eine Psyche entstehen zu lassen. Und wenn man sich mit der Idee irgendwie anfreunden kann, dass damit das, was uns ausmacht, am Ende aus einer schwabbeligen Albinowalnuss entspringt, die nichts anderes ist als eine hochkomplexe Denkmaschine, hat das einen immensen Vorteil. Es hilft einem, sich auf den Gedanken einzulassen, dass diese Psyche veränderbar ist. Wie bei jeder Maschine gibt es Rädchen, an denen man drehen kann, Stellschrauben, mit denen sich adjustieren lässt, was sonst aus den Fugen gerät. Auch wenn wir von dieser Psyche heute vielleicht erst so viel wissen wie vom Universum, in dem alle Hirne segeln, gibt es doch schon eine ganze Reihe von hoch spannenden Geheimnissen, die die Psychologie zutage gefördert hat.

Und damit ergibt sich für mich ein wunderbarer Kompromiss. Als Wissenschaftler und Psychologe glaube ich nicht an Wunder oder irgendetwas übernatürlich Transzendentes. Aber die Idee, dass wir es irgendwann vielleicht schaffen, die Funktionsweise unserer Psyche so weit zu entschlüsseln, dass wir einem Toaster zum Orgasmus verhelfen können, ist doch mindestens so wunderbar wie der Glaube an eine Seele, die zu Gott fliegt. Und bis es so weit ist, freue ich mich über jedes neue Geheimnis, das die Psychologie unserer Psyche entlockt.

3

Unterhosenmillionär

So durchbricht man die Spirale der Angst

Mein Wer wird Millionär?-Abenteuer begann mit meiner Unterhose und hatte ziemlich viel mit meiner Psyche zu tun. Davon hat man im Fernsehen jeweils nichts gesehen. Bevor man als Kandidat bei Wer wird Millionär? das erste Mal überhaupt wirklich aktiv wird, hat man nur einen Job. Und zwar strahlend in die Kamera zu gucken, die einem am Nachmittag bei der Studioprobe zugewiesen wurde. Kamera eins oder zwei. Keine so leichte Aufgabe, wenn man aufgeregter ist als jemals zuvor. Während man nämlich sein schönstes Colgate-Grinsen in Millionen deutsche Wohnzimmer halten soll, liest eine verheißungsvolle Erzählerstimme aus dem Off einen kleinen Spruch zum jeweiligen Kandidaten vor. Wer dabei in die falsche Kamera guckt, kommt gleich ziemlich verpeilt rüber. Und natürlich ist die Sorge vor einer öffentlichen Blamage eine der größten Ängste, die man hat, wenn man bei Günther Jauch im Studio sitzt.

So grinste ich also etwas verspannt korrekt in Kamera eins, während die Erzählerstimme vorlas: »Leon Windscheid aus Münster. Der Psychologe hat sich in Unterhosen auf die Sendung vorbereitet.« Irgendwie kamen Jauch und ich dann aber gar nicht auf die Unterhose zu sprechen. Schade eigentlich, denn ich weiß, dass mir meine zugegebenermaßen etwas spezielle Psycho-Vorbereitung auf dem Weg zur Million sehr geholfen hat.

Als unser Dozent in Psychologie Semester eins, »Anleitung zum wissenschaftlichen Arbeiten«, Themen für unser erstes Referat an der Uni zuteilte, blieb ich ganz entspannt. Eine Viertelstunde Vortrag? »Nichts leichter als das«, dachte ich und stellte am Abend vorher ein paar PowerPoint-Folien zusammen. Üben? Nicht nötig. Wir waren zum freien Vortragen aufgefordert worden. Auf einer Seite in meinem Collegeblock hatte ich also in Stichpunkten die wichtigsten Eckdaten der Studie notiert, die ich vorstellen sollte. Eine witzige Einleitung und das Fazit würde ich mir dann spontan überlegen. So der Plan. Aber alles kam anders.

Am Morgen des Referats beschlich mich am Eingang des grauen Betonklotzes, in dem die Westfälische Wilhelms-Universität ihre Psychologiestudenten unterbringt, zum ersten Mal ein noch eher unbewusstes Gefühl von Beklemmung. Ein Fachvortrag vor dreißig Studenten, die man kaum kennt – das war doch etwas anderes als ein Referat in der Schule. Das wurde mir schlagartig bewusst, als unser Dozent seine kurze Begrüßung schwungvoll mit dem verheißungsvollen Spruch »The stage is yours, Leon Windscheid« beendete.

Mit einem Mal war die Angst voll da. 62 Augen richteten sich erwartungsvoll auf mich. Jetzt spürte ich jede Ader in meinem Körper. Mir wurde heiß. Sehr heiß. Obwohl es schon Ende Oktober war, fühlte ich mich nassgeschwitzt wie in der Sauna. »Bumm, bumm, bumm«, hämmerte es in meinem Kopf, und ich wartete nur darauf, dass mein Hirn wegen Überhitzung den Geist aufgab. Das Schlimmste: Es war weiter gar nichts passiert. Ich saß noch immer auf meinem Platz in Reihe vier.

An den Vortrag selbst habe ich keine Erinnerungen. Irgendwie muss ich das Ganze halb stotternd, halb schweißwischend überstanden haben. Jedenfalls lebe ich noch. Nachher war ich stinksauer auf mich. Woher kam die Angst? Es gab doch gar keinen Grund dafür. Und wieso hatte mich die Angst so aus der Bahn werfen können? Die Antwort zeichnete eine Dozentin ein paar Wochen später in einem anderen Seminar mit einem dicken schwarzen Edding auf ein Flipchart: eine Windhose aus nur einer Linie. Darüber schrieb sie in großen Lettern: Die Spirale der Angst.

»Die Spirale der Angst«, so erklärte sie, »ist der Feind von Menschen mit Angststörung.« Angststörungen sind sehr verbreitet. Sie reichen von Spinnenphobie oder Höhenangst über Zwangsstörungen mit krankhaftem Händewaschen bis hin zu Ängsten vor sozialen Kontakten. Wenn man eine Angststörung aus psychologischer Sicht verstehen möchte, muss man zuerst klären, was Angst überhaupt ist. Auch wenn jeder das unangenehme Gefühl Angst kennt, wissen nur wenige, dass Angst überlebenswichtig ist. Unsere Angstreaktionen sind alt. Mit ›alt‹ meine ich: steinalt. Wenn der Neandertaler einen Bären sah, stieg sein Blutdruck. Er atmete schneller, und das Blut wurde aus Händen und Füßen abgezogen, um in die quer gestreifte Muskulatur zu fließen. Das bereitet den Körper auf Flucht und Kampf vor. Alle furchtlosen Macho-Neandertaler wurden vom Bären gefressen. Die auf die Flucht vorbereiteten Angsthasen konnten fliehen. Psychofakt eins zur Angst ist also, dass sie eine ganz natürliche und durchaus nützliche Reaktion ist.

Natürlich ist es leichter, nicht vom Bären gefressen zu werden, wenn man dem Bären gar nicht erst begegnet. So haben wir alle auch heute noch ein paar Neandertaler-Angsthasengene in uns. Und die bewirken, dass wir nicht nur dann Angst kriegen, wenn wirklich ein Grund dafür besteht – wenn der Bär also plötzlich vor uns auftaucht –, sondern sicherheitshalber auch dann schon, wenn es nur sein könnte, dass irgendwo hinter uns ein Bär steht. Rascheln im Busch? Ein komischer Geruch in der Luft? Für nicht lebensmüde Neandertaler muss das gereicht haben, um Angst zu bekommen und zu fliehen. Lieber umsonst weglaufen als einmal vom Bären gefressen werden. Psychofakt zwei zur Angst ist, dass wir auch dann Angst bekommen können, wenn gar keine echte Gefahr im Verzug ist.

Und genau hierin besteht das Problem. Menschen, die unter einer Angststörung leiden, machen bei der Bewertung von Situationen »Fehler«. Sie reagieren zu stark. Während ein normaler Kinobesucher im Dunkeln den Film genießt, macht dem Angstpatienten die Dunkelheit richtig zu schaffen. Wohin fliehen, wenn es anfängt zu brennen? Man kann ja kaum den Ausgang sehen. Und diese engen Gänge zwischen den Stuhlreihen – was, wenn eine Panik ausbricht? Dann sterben doch alle.«

Diese Gedanken sind der Anfang der Spirale der Angst. Jeder von uns kennt sie, auch wenn längst nicht jeder an einer Angststörung leidet. Vielleicht haben Sie sie so wie ich erlebt, bei einem Vortrag vor Kommilitonen oder Kollegen (»Oh Gott, ich schwitze, und alle können es sehen«), beim Weg zur S-Bahn (»Habe ich den Stecker vom Bügeleisen sicher rausgezogen?«) oder aber im Keller (»Da sitzt eine riesige schwarze Spinne in der Ecke«).

Der Kerngedanke bei der Spirale der Angst ist, dass sich unsere Angstreaktion aufschaukeln kann. Genau das hatte ich bei meinem Referat in der Uni erlebt. Ein kleines Anzeichen von Angst bringt uns in Habachtstellung. Jetzt sind wir besonders sensibel für alles, was eine Gefahr sein könnte: Ich denke, dass ich schwitze. Das ist peinlich. Alle sehen das. Jetzt steigt mein Angstniveau. Sofort wird mir noch wärmer. Jetzt sehe ich, dass ich unter den Achseln schon zwei Schweißpfannkuchen auf dem Hemd habe. Die Mädels in Reihe drei fangen an zu kichern, oder? Für mein Hirn sind das alles Gefahren. Was tun bei Gefahr? Noch mehr Angst! Ich fange an, mich zu verhaspeln. Mein Vortrag wird in einem Fiasko enden!