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Peter Maffay

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Beschreibung

Seit der Pandemie steht die Welt endgültig an einem Scheidepunkt. Immer lauter wird die Frage, wie wir in Zukunft leben wollen. Schon lange verwirklicht Peter Maffay seine Vision einer besseren Zukunft auf dem Biohof Gut Dietlhofen. Er ist überzeugt: Wenn jeder sein Gegenüber unabhängig von Herkunft, Religion und Geschlecht respektiert, einen kleinen Beitrag zum Umwelt- und Klimaschutz leistet und das Gemeinwohl über den Eigennutz stellt, dann ist eine krisenfeste, bessere Welt keine Utopie mehr.

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Seitenzahl: 258

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Inhalt

Cover

Über das Buch

Über die Autoren

Titel

Impressum

Vorwort

Ich wär so gern ein Landwirt

Der Dietlhofer Bach

Die Tiere auf dem Gut

Gesunde Ernährung

Der Hofladen

Die Kirche

Vom Wohnen und Bauen

Die Begegnungsscheune

Das Gästehaus

Kinder und Bildung

Durch Wald und Flur

Die Hütte

Bildteil

Über das Buch

Immer mehr Menschen klagen über soziale Kälte, Stress am Arbeitsplatz und die Ökonomisierung aller Lebensbereiche. Peter Maffay hat einen Ort geschaffen, der frei ist von Hektik und Leistungsdruck: seinen Biohof Dietlhofen. Verbunden mit sehr persönlichen Einblicken in sein Leben erzählt er, wie er auf dem Gut Gemüse und Kräuter anbaut. Wie erfüllend es ist, den Hof zu einer Begegnungsstätte zu machen. Und wie ein neues Verständnis von Natur und Schöpfung uns Sinn und Orientierung geben kann.

Über die Autoren

Peter Maffay ist einer der erfolgreichsten Musiker Deutschlands und begeistert seit mehr als 50 Jahren Millionen von Fans. Doch noch wichtiger als die Musik sind für ihn benachteiligte und traumatisierte Kinder. Die Peter Maffay Stiftung unterhält Ferienhäuser, in denen jedes Jahr über 2000 Kinder, die ein schweres Schicksal tragen, zu einer Auszeit vom Alltag eingeladen sind. In seinem Buch erzählt er sehr persönlich von Gut Dietlhofen und seinem Lebenskonzept, in dem Menschen und Tiere ihren Platz haben und die Natur den Rahmen dafür bildet.

Gaby Allendorf studierte Geschichte und Germanistik, bevor sie nach einem Zeitungsvolontariat und verschiedenen journalistischen Stationen ihre Agentur für Künstlermanagement und Medienberatung gründete. Sie ist für die Presse- und Öffentlichkeitsarbeit von Peter Maffay zuständig.

PETER MAFFAY

mit Gaby Allendorf

HIER UND JETZT

Heute die Welt von morgen gestalten

Vollständige E-Book-Ausgabedes in der Bastei Lübbe AG erschienenen Werkes

Originalausgabe

Bildnachweise für den TafelteilPeter Maffay Stiftung: 2, 6, 11, 12, 17, 22, 26Wolfgang Köhler, Hamburg: 1, 3–5, 7, 8, 10, 13–15, 18, 19, 21, 27–30Guido Frebel: 9Red Rooster Musikproduktion: 16, 20, 23–25

Copyright © 2020 by Bastei Lübbe AG, KölnCopyright der überarbeiteten Neuausgabe © 2021 by Bastei Lübbe AG, Köln

Textredaktion: Dr. Matthias Auer, Bodman-LudwigshafenTitelmotiv: © Zephyr18/Getty Images; Guter Punkt, München; ekkawit998/Getty ImagesUmschlaggestaltung: Guter Punkt, MünchenE-Book-Produktion: two-up, Düsseldorf

ISBN 978-3-7325-8649-3

www.luebbe.dewww.lesejury.de

VORWORT

»JEDE ZEIT hat ihre Herausforderungen und Chancen.« Mit diesem Satz begann das Vorwort zur Hardcover-Ausgabe dieses Buches, das im Januar 2020 erschien. Etwas mehr als ein Jahr später kommt nun das Taschenbuch auf den Markt. In »normalen« Zeiten verändern sich die Gegebenheiten binnen eines Jahres kaum. Die vergangenen zwölf Monate waren aber voll von außergewöhnlichen Ereignissen und Herausforderungen. Eine noch nie dagewesene Berg- und Talfahrt, ein Wechsel von Ups and Downs. Und auch 2021 ist weit von dem entfernt, was wir unter Normalität verstehen.

Das, was wir in den vergangenen Monaten erlebt haben, hätten wir zuvor für ein Science-Fiction-Szenario gehalten. Eine Vollbremsung von hundert auf null. Mehr Veränderung auf einmal geht nicht! Solange wir Einfluss auf das haben, was in unserem Leben geschieht, solange wir alles im Griff haben, fühlen wir uns gut und sicher. Wenn uns aber die Kontrolle über unser Leben aus den Händen gerissen wird, reagieren wir mit Angst und Unsicherheit.

Im März 2020 war der kollektive Zustand plötzlich Ohnmacht. Wir waren verurteilt zum Nichtstun, zum Warten. Das war ein harter Einschnitt und für viele Menschen die Höchststrafe, insbesondere für diejenigen, die auch noch mit einem Berufs- bzw. Gewerbeverbot belegt wurden, also beispielsweise Gastronomen, Friseure, Einzelhändler und eben auch Künstler. Unser Jubiläumsjahr, das so harmonisch und voller Enthusiasmus begonnen hatte, der Auftakt zu der großen Konzerttour, all das hat eine dramatische Wende genommen, mit existenz­bedroh­lichen Folgen für viele Kolleginnen und Kollegen, die hinter den Kulissen tätig sind.

Die Corona-Pandemie hat allen Menschen rund um den Erdball einen Berg von Problemen aufgebürdet: medizinische, wirtschaftliche, soziale und gesellschaftliche. Das Virus ist in einem atemberaubenden Tempo kreuz und quer durch die Welt getragen worden und hat uns eindrücklich vor Augen geführt, was Globalisierung ganz konkret bedeutet, nämlich, dass es keine Grenzen mehr gibt, dass alles mit allem zusammenhängt: soziale Sicherheit, Gesundheit, Wohlstand, Freiheit, Glück und die Verantwortung der Menschen füreinander.

Zugleich ist klar geworden, wie fragil unser Lebensmodell ist. Wer hätte gedacht, dass uns in unserem jetzigen Staatssystem jemand verbieten würde, nachts auf die Straße zu gehen? Wer hätte geglaubt, dass alles, was als »nicht systemrelevant« eingestuft wird, von jetzt auf gleich untersagt ist: Partys, Konzerte, Festivals, Stadtfeste, Weihnachtsmärkte, das Vereinsleben, Restaurantbesuche – alles weg. Viele Existenzen wurden vernichtet. Wir wissen inzwischen: Das Virus macht nicht nur krank. Teile der Gesellschaft werden verarmen.

Es ist die junge Generation, die von den wirtschaft­lichen Folgen besonders hart betroffen ist. Der Schuldenberg, den wir aufgetürmt haben, ist gigantisch. Aber nicht nur der finanzielle Gau sollte uns beunruhigen, sondern auch die Bildungsdefizite bei unseren Kindern, die sich durch monatelanges Homeschooling ergeben, und die Not der Schulabgänger, die keine Lehrstellen finden, weil manche Arbeitgeber mit einer unsicheren Per­spektive keine neuen Jobs schaffen.

Viele Menschen sorgen sich um unsere Demokratie. Ich auch, denn weitreichende Entscheidungen wurden ohne Hinzuziehung des Parlaments und ohne öffentliche Debatte getroffen. Die Bedürfnisse und legitimen Interessen einiger Bevölkerungs- und Berufsgruppen wurden weitgehend ausgeblendet, ihre Vertreter nicht hinreichend gehört.

Demokratie lebt aber vom Diskurs. Warum entwickeln sich totalitäre Staaten viel langsamer als freie Gesellschaften? Weil sie keine Kritik und keine abweichenden Standpunkte dulden, kaum ergebnisoffene Forschung ermöglichen und die freie Lehre unterbinden. Weil Diskussionen im Keim erstickt werden. Wer hingegen ernsthaft an der besten Lösung für alle interessiert ist, ist offen für unterschiedliche Standpunkte, hört zu und verteufelt nicht von vornherein die Sicht des anderen. Ein Grundgedanke der Demokratie ist der Pluralismus. Das Wort bedeutet Vielfalt und besagt, dass alle Menschen und alle gesellschaftliche Gruppen in ihrer Unterschiedlichkeit akzeptiert werden. Es bedeutet auch, dass der Wettbewerb unterschiedlicher Ideen und Standpunkte wichtig und wünschenswert ist.

In dieser Hinsicht haben einige der Verantwortlichen in Politik und Gesellschaft während der Corona-Pandemie zuweilen versagt. Für Bestnoten reicht ihre Performance nicht aus. Deshalb sind wir als Bürger mehr denn je angehalten, unsere demokratischen, im Grundgesetz verbrieften Rechte vor schleichender Erosion zu schützen, indem wir Fragen stellen, Zweifel anmelden und Kritik üben.

Beim ersten Lockdown haben wir gehofft, dass die Krise dauerhaft zu einem neuen »Wir-Gefühl« und mehr gesellschaftlichem Zusammenhalt führt. Inzwischen müs­sen wir uns eingestehen, dass unser Miteinander wieder deutlich distanzierter und kühler geworden ist. Die Angst, die uns anfangs zusammengeschweißt hat, schlägt immer mehr in Wut um. Die Gräben in unserer Gesellschaft sind tiefer geworden, die Kluft zwischen Arm und Reich größer. Was sich momentan ereignet, ist elementar. Die Welt scheint so zerbrechlich zu sein wie seit vielen Jahrzehnten nicht mehr.

Ich glaube, dass wir an einer Weggabelung stehen und eine Entscheidung treffen müssen. Wir müssen uns da­rüber klar werden, wie wir in Zukunft miteinander leben wollen, in Deutschland, in Europa und auf dem ganzen Erdball. Dieses Miteinander schließt ausdrücklich alles ein, was lebt und atmet, also auch die Pflanzen und die Tiere.

Ich wünsche mir für die ökologische Krise genauso viel Aufmerksamkeit, Engagement und weltweite Kooperation wie für die Bekämpfung der Corona-Pandemie. Denn die Umweltzerstörung nimmt ein kaum vorstellbares Ausmaß an. Die Ausbeutung der Natur und der Klimawandel werden das Gesicht unserer Erde unwiderruflich verändern, wenn wir nicht endlich in einer kollektiven Anstrengung das Ruder herumreißen. Während des Lockdowns hat die Natur uns gezeigt, dass sie im Stande ist, sich selbst ein Stück weit zu regenerieren, sobald wir sie in Ruhe lassen. Das zeigt doch, dass es noch Möglichkeiten gibt, Fehlentwicklungen zu stoppen und die Dinge zum Guten zu wenden.

Immer, wenn im gesellschaftlichen und politischen Leben Differenzen oder Defizite gravierender Art auftreten, ist es wichtig, dass es Menschen gibt, die die Funktion von Vorbildern oder »Leuchttürmen« übernehmen. Es wird nur etwas passieren, wenn Aufklärungsarbeit geleistet wird und genügend Personen da sind, die den Mut haben, die Dinge beim Namen zu nennen. Künstler und Künstlerinnen, egal, ob Maler, Bildhauer, Schriftsteller oder Schauspieler, aber auch Journalistinnen und Journalisten sowie alle, die die Möglichkeit haben, Informationen und Standpunkte zu multiplizieren, sind aufgefordert, sich zu positionieren. Musiker bilden da keine Ausnahme. Zwischen zwei Liedern kann man etwas erzählen, und auch in den Liedern kann man natürlich seine Haltung »rüberbringen«. Jeder kleine Baustein ergänzt das Mosaik, bis am Ende aus allen Bausteinen ein Bild entsteht.

Der Vorteil von Liedern liegt darin, dass man gezwungen ist, mit wenigen Worten auf den Punkt zu kommen, der Nachteil, dass man nicht jeden Gedanken und jedes Argument unterbringen kann, um ein Thema von allen Seiten zu beleuchten. Dafür ist ein Song nicht unbedingt das richtige Medium. Für eine umfassende Betrachtung eignen sich Reden, Diskussionen und Bücher meistens weitaus besser. Ich bin nicht der große Redner, und auch in Talkshows fühle ich mich eher fehl am Platz. Da fallen sich die Diskutanten oft gegenseitig ins Wort, hören nicht richtig zu und spulen häufig vorgefertigte Statements ab.

Es bleibt also das geschriebene Wort. Wenn es für mich einen richtigen Zeitpunkt dafür gibt, dann jetzt, und dabei geht es nicht darum, die Rolle eines Experten einzunehmen. Das wäre vermessen. Alles, was ich machen kann, ist, von meinen Erfahrungen, Erkenntnissen und Einsichten, aber auch von meinen Irrwegen und Fehlern zu erzählen und meine heutige Sicht zu schildern:

meine Sicht darauf, wie wir miteinander umgehen sollten, meine Sicht auf den Natur-, Umwelt- und Klimaschutz, meine Sicht auf den Umgang mit Tieren, meine Sicht auf Fragen des Glaubens und der Religion, meine Sicht auf die Zukunftschancen unserer Kinder, meine Sicht auf das, was unser Leben sinnvoll macht und erfüllt.

Ich habe gute Gründe, mir Gedanken über die Perspektive kommender Generationen zu machen, denn wir haben eine kleine Tochter und einen 17-jährigen Sohn. Nichts ist mir wichtiger, als Anouk und Yaris in eine sichere, lebenswerte Zukunft zu entlassen, so wie alle Mütter und Väter auf der ganzen Welt es sich für ihre Kinder wünschen. Aber uns rennt die Zeit davon. Wir müssen etwas tun, uns zusammenschließen, Mehrheiten bilden und auf künftige Entwicklungen positiv einwirken. Wir dürfen nach Corona nicht zurück zur Ellbogengesellschaft, der Kampf »Jeder gegen jeden« muss aufhören. Wir haben jetzt die Chance für eine neue Sichtweise. Das ist die gute Seite an unserer gesellschaftlichen Situation.

In meinem eigenen Leben habe ich mich bemüht, mich meinen Idealen anzunähern und ein Umfeld zu schaffen, in dem ich meine Vorstellung von einem sinnvollen, erfüllten Leben umsetzen kann, zusammen mit den Menschen, die mir wichtig sind: Das sind meine Familie und meine Freunde, die Musiker in meiner Band, mein Team im Büro, in der Stiftung und im Musikstudio sowie die vielen Partner und Wegbegleiter, die unsere Werte und Visionen teilen.

Seit ein paar Jahren gibt es einen Ort, an dem sich unsere Ideen und Vorstellungen manifestieren: das Gut Dietlhofen bei Weilheim in Oberbayern, eine kleine, intakte Welt, eingebettet in eine wunderschöne Landschaft. Dorthin würde ich Sie, liebe Leserinnen und Leser, gern einladen.

Sie werden in diesem Buch oft das Wort »wir« statt »ich« lesen, wenn es um Musik oder die Peter Maffay Stiftung geht. Dafür gibt es zwei Gründe: Erstens wäre ich ohne dieses Wir, also ohne die Menschen um mich herum, weder imstande, Musik aufzunehmen oder Konzerte zu geben, noch die gemeinnützige Arbeit in der Stiftung für traumatisierte, kranke oder anderweitig hilfebedürftige Kinder zu leisten. Alles, was wir tun und in den vergangenen 50 Jahren getan haben, ist ein Gemeinschaftswerk und nicht das Werk eines Einzelnen. Zweitens ist »wir« für mich auch ein Statement.

Aus meiner Sicht sind Gemeinschaft und Zusammenhalt in unserer Zeit wichtiger denn je. Das Gemeinwohl muss an erster Stelle stehen und nicht der Eigennutz. Eine Gesellschaft, in der nur das »Ich« zählt, kann auf Dauer nicht funktionieren. Wir wissen nicht, wie die Welt von Morgen aussieht und ob es uns gelingt, unseren geschundenen und missbrauchten Planeten noch zu retten. Wir wissen aber sehr wohl, dass die Herausforderung elementar ist und nur gemeinsam bewältigt werden kann.

Wir brauchen neue Ideen und neue Lösungen, aber auch die Rückbesinnung auf grundlegende Werte. Es ist Zeit für die Vernetzung von Menschen, die unabhängig denken und handeln und dabei ein echtes, ehrliches, unvoreingenommenes Interesse an der Position des anderen mitbringen sowie die Bereitschaft, über dessen Argumente nachzudenken.

Vielleicht kann der eine oder andere Gedanke aus diesem Buch als Anregung oder Inspiration dienen. Oder meine Sicht auf die Dinge ruft Widerspruch hervor. Auch gut! Das gehört zu einer lebendigen, offenen Gesellschaft dazu.

Wichtig ist, dass wir uns alle mit den drängenden Fragen unserer Zeit auseinandersetzen und uns positionieren. Jede Zeit hat ihre Herausforderungen und Chancen. Auch diese. Nutzen wir sie! Wenn wir wollen, dass etwas passiert, müssen wir handeln, hier und jetzt!

Gut Dietlhofen im Januar 2021

Peter Maffay

ICH WÄR SO GERN EIN LANDWIRT

Von Kanada über Spanien nach Dietlhofen

DER »PFAFFENWINKEL« ist ein sehr reizvoller Landstrich im oberbayerischen Alpenvorland zwischen Ammersee und Starnberger See. Er verdankt seinen Namen der Tatsache, dass es hier sehr viele Klöster und Kirchen gibt, angeblich sind es 159, was selbst im katholischen Bayern bemerkenswert ist. Zu den berühmtesten Sakralbauten gehören die Wieskirche und die Benediktinerabtei Kloster Andechs.

Die hiesige Landschaft ist geprägt durch Wiesen, Wälder, Hügel, Moore, Seen und Flussläufe und natürlich durch den Blick auf die nahen Alpen. Die Priester, Mönche und Nonnen trafen eine gute Wahl, als sie sich in dieser Gegend niederließen, denn das Panorama ist so schön, dass es einem schier die Sprache verschlägt.

Mitten in diesem landschaftlichen Idyll liegt nahe der Stadt Weilheim das Gut Dietlhofen, ein verträumtes Fleckchen Erde mit alten Bäumen und naturbelassenen Hecken, einem plätschernden Bach, einem ruhigen Weiher, Biotopen, Streuobstwiesen und einem großen Tier- und Pflanzenreichtum. Auf dem 70 Hektar großen Anwesen wird eine Biolandwirtschaft betrieben, das heißt, wir produzieren dort gesunde und hochwertige Lebensmittel nach Bioland-Standard.

Von Norden kommend führt eine Allee aus Laubbäumen mit Linden, Eichen und Ahorn zum Gut. Eingangs lässt man auf der Landstraße nach Weilheim links ein buntes Feld liegen, auf dem Blumen zum Selberpflücken angeboten werden.

Im Frühjahr wachsen dort Narzissen und Tulpen, im Sommer gedeihen Gladiolen, Ringelblumen, Sonnenblumen und Dahlien, und schließlich gibt es Astern in herbstlichen Farben. Bevor ich in die Allee zum Gut einbiege, nimmt mich die Blütenpracht jedes Mal für einen Moment gefangen, weil die bunten Blumen stets eine Augenweide sind.

Freitags oder samstags halte ich dort an und pflücke einen Strauß für das Wochenende. Ich habe gern frische Blumen auf dem Tisch. Im Büro gibt es immer montags neue Blumensträuße. Darauf lege ich großen Wert.

Sobald man die Landstraße verlassen und die Bahngleise überquert hat, führt die enge Straße leicht bergab, denn Dietlhofen liegt in einer Senke. Rechter Hand erstreckt sich der Dietlhofer See, der im Sommer ein beliebtes Ausflugsziel für zahlreiche Badegäste ist.

Wer sich dem Gut nähert, muss nicht lange überlegen, ob er unbefugt privaten Grund betritt oder ob er willkommen ist. In zwei aus hellen Feldbrandsteinen gemauerten Säulen rechts und links des Weges sind Metalltafeln eingelassen, auf denen »Grüß Gott auf Gut Dietlhofen« steht. Darunter ist eine Abbildung von Tabaluga, denn alles, was unser kleiner grüner Drache verkörpert, soll hier auf Dietlhofen gelebt werden: die Achtung und der Respekt vor jedem Lebewesen, der Schutz der Natur, die Bewahrung der Schöpfung, die Toleranz, die Freundschaft und das Miteinander, die Hoffnung, die Liebe, die Zuversicht und die Freude am Leben.

Wenn Gut Dietlhofen in Norddeutschland läge, hätten wir »Moin, moin« auf die Säulen geschrieben, im Ruhrgebiet »Glück auf« und in Berlin vielleicht »Schön’ juten Tach!«. Hier in Bayern sagen wir »Grüß Gott«.

Tabaluga lebt in der Märchenwelt Grünland. Der Name ist Programm. Tabaluga ist keine Fiktion mehr, und Grünland gibt es wirklich: Es liegt in Dietlhofen.

Ich glaube, alles im Leben hat auf irgendeine geheimnisvolle Weise seinen Grund und seine Ursache. Was ist also der Grund dafür, dass mich mein Weg hierher geführt hat? Warum habe ich dieses Faible für die Landwirtschaft?

Ich bin in Kronstadt aufgewachsen, einer von den Karpaten umgebenen Großstadt in Siebenbürgen. Die Rumänen nennen sie Brașov. Vor rund 800 Jahren besiedelten Deutsche diesen Landstrich, die Siebenbürger Sachsen. Sie kamen auf Einladung der Österreicher, denn damals gehörte Siebenbürgen noch zu Ungarn und damit zum Habsburgerreich Österreich-Ungarn. Meine Mutter war Siebenbürger Sächsin, mein Vater ist ungarischer Abstammung. Zuhause sprachen wir Deutsch. Auf der Straße unterhielten wir uns auf Deutsch, Ungarisch und Rumänisch, je nachdem, ob wir mit deutschen, ungarischen oder rumänischen Kindern spielten. Die Menschen unterschiedlicher Herkunft und unterschiedlicher Konfession lebten über lange Zeiträume in Frieden und Harmonie zusammen.

Die Eltern meines rumänischen Schulfreundes Costică besaßen einen kleinen Garten, in meinen Kinderaugen ein richtiges Wunderland, in dem es im Frühjahr und Sommer täglich etwas zu bestaunen gab. Ich war davon fasziniert, wie aus einem Setzling ein großer Salatkopf wurde und aus einem Samenkorn eine prächtige Sonnenblume. Noch interessanter erschien mir die Frage, warum ein Obstbaum ohne menschliches Zutun jedes Jahr wieder neue Früchte trägt und wie es überhaupt möglich ist, dass aus einer zartrosa Blüte ein kräftiger roter Apfel entsteht. So ein Garten ist ein Paradies, dachte ich und war manchmal ein bisschen neidisch, denn meine Familie lebte in einer Einzimmerwohnung mit Küche – ohne Garten, versteht sich.

Im damals kommunistischen Rumänien war es ein großer Luxus, einen Garten zu besitzen. Die Menschen wurden dadurch unabhängiger von staatlichen Läden, in denen die Regale meistens leer waren. Außerdem konnte ein Gartenbesitzer mit Nachbarn und Verwandten einen Tauschhandel betreiben: Äpfel gegen Gurken, Salat gegen Kirschen, Bohnen gegen Kartoffeln. Das war ein in sich geschlossener Wirtschaftskreislauf, der super funktionierte, aber denjenigen, die nichts zu tauschen hatten, leider verwehrt blieb.

Noch besser waren diejenigen dran, die neben einem Garten noch einen Acker und ein bisschen Weideland besaßen. Mein Vater nahm mich gelegentlich mit auf die Jagd. Wir kamen dann in abgelegene Dörfer, die zwar keinen Strom und kein fließendes Wasser hatten, aber weitgehend autark leben konnten. Die Bewohner besaßen eine Kuh, ein Schaf, ein paar Hühner und ein wenig Ackerland sowie einen Gemüsegarten. Alles, was sie zum Leben brauchten, erzeugten sie auf ihrer eigenen Scholle. Sich selbst versorgen zu können schien mir der Garant für ein menschenwürdiges Leben zu sein. Ein Selbstversorger musste nicht stundenlang anstehen, um ein Stück Brot zu kaufen und am Ende vielleicht sogar abgewiesen zu werden, weil die Theke leer war. Ich empfand das als zutiefst demütigend. Die Leute auf dem Land bauten etwas Getreide an, konnten daraus ihr eigenes Mehl mahlen und Brot backen. Diese Unabhängigkeit hat mich beeindruckt.

Ich merkte, dass die Leute in den Dörfern zufriedener und ausgeglichener waren als die in der Stadt. Die Städter waren permanent damit beschäftigt, sich alle möglichen Tricks und Kniffe einfallen zu lassen, um etwas Fleisch oder ein Kilo Obst zu ergattern. Das machte sie oft mürrisch und führte zu ständigem Konkurrenzdenken, denn es war ja nicht genug für alle da. Also musste jeder sehen, dass er dem anderen zuvorkam und ihm das Huhn oder den Salat vor der Nase wegschnappte. Ich erlebte, dass sogar Menschen, die einander gut kannten, missgünstig wurden, wenn die Erdbeermarmelade oder die Blutwurst im Einkaufskorb des anderen landeten und nicht im eigenen.

Am allerbesten hatten es aber die Landwirte getroffen. Meine Vorfahren mütterlicherseits waren siebenbürgische Bauern. Deren Landleben habe ich in meiner Kindheit noch aus eigener Anschauung kennengelernt, denn die Ferien habe ich oft in einem kleinen Ort namens Brenndorf bei den Verwandten meiner Mutter verbracht.

Vermutlich hat sich damals bei mir die Idee festgesetzt, dass Freiheit und Unabhängigkeit unter anderem bedeuten, sich jederzeit aus eigenen Mitteln und aus eigener Kraft ernähren zu können. Deshalb, so schlussfolgerte ich, sollte man auf dem Land leben und einen eigenen Hof bewirtschaften.

Die Situation für die Angehörigen ethnischer Minderheiten verschlechterte sich in Rumänien in den 50er Jahren zusehends. Der kommunistische Diktator Ceaușescu ließ Minderheiten wie Roma, Deutsche und Juden verfolgen, drangsalieren, verschleppen und foltern. Auch mein Vater, der zwar der ungarischen Minderheit angehörte, aber mit einer Deutschen verheiratet war und als junger Mann im Krieg bei der deutschen Wehrmacht gedient hatte, wurde von der Geheimpolizei, der berüchtigten Securitate, mehrfach bei Nacht und Nebel abgeholt. Meine Mutter und ich sind dann vor Angst fast verrückt geworden, denn niemand wusste, wohin mein Vater gebracht wurde und was mit ihm geschah. Recht und Gesetz gab es nicht mehr. Es herrschte pure Willkür. Mein Vater wurde schwer misshandelt, mit dem Ziel, ihn psychisch und moralisch zu brechen.

Wer konnte, verließ damals das Land. Dazu brauchte man entweder Verwandte im Westen, die das »Kopfgeld« zahlten, das der rumänische Staat verlangte, oder man musste es auf die Dringlichkeitsliste schaffen und durch die Bundesrepublik Deutschland freigekauft werden. Die Rumänen haben damals ein gutes Geschäft damit gemacht. Ceaușescu sagte: »Die Deutschen und die Juden sind mein bester Exportartikel.« Das war menschenverachtender Zynismus in seiner übelsten Form.

Mein Vater stellte für unsere Familie einen Ausreiseantrag. Die Zeit danach war die schwerste unseres Lebens. Mein Vater wurde sofort arbeitslos. Um zu überleben, verkauften meine Eltern das wenige, das wir besaßen.

Eines Tages standen Polizisten vor der Tür und sagten, dass wir in den nächsten Tagen ausreisen dürften, wenn wir »die Formalitäten erledigen«, also das notwendige Geld hinterlegen und Flugtickets vorweisen könnten. Meine Oma in den USA hat dann ihre Ersparnisse geopfert, damit unsere Ausreise möglich wurde.

Meine Mutter packte das Nötigste zusammen, vor allem wichtige Dokumente wie Geburtsurkunden, Zeugnisse und natürlich unsere Pässe sowie ein paar Fotoalben und ein bisschen Kleidung. Es ging plötzlich alles wahnsinnig schnell. Am 23. August 1963 flogen wir von Bukarest über Köln nach München.

Eigentlich wollten wir weiter in die USA, aber die Amerikaner hatten damals schon eine Einwanderungsquote. Wir hätten zwei bis drei Jahre auf ein Visum warten müssen. Da meinte mein Vater: »Das machen wir nicht. Wir müssen zur Ruhe kommen und eine sichere Zukunft aufbauen. Wir bleiben hier.« So kamen wir in München zunächst bei einer befreundeten Familie unter, die einige Zeit vor uns aus Rumänien nach Deutschland übergesiedelt war. Von da zogen wir nach Waldkraiburg, eine Stadt, in der viele Aussiedler und Vertriebene lebten.

Im Nachkriegsdeutschland kamen Millionen deutschstämmige Flüchtlinge und Heimatvertriebene aus Schlesien, Ostpreußen, Pommern, dem Sudentenland, dem Banat und aus Siebenbürgen in die Bundesrepublik Deutschland. Die Eingliederung dieser vielen Menschen war eine enorme Leistung des Staates und der einheimischen Bevölkerung. Es vergingen viele Jahre, bis die Neuankömmlinge sich eingelebt hatten.

Ich dachte fortan nicht mehr an Gärten und Ackerland, denn ich war mit ganz anderen Dingen beschäftigt, nämlich neue Freunde zu finden, in der Schule zurechtzukommen und Musik zu machen. Ich interessierte mich für Gitarren, Mädchen und Motoren. Karotten und Küchenkräuter waren nicht angesagt.

Das änderte sich schlagartig, als mir Anfang der 80er Jahre zufällig ein Buch in die Hände fiel, das mich sofort gefesselt und begeistert und meine alte »Landlust« zu neuem Leben erweckt hat: Das große Buch vom Leben auf dem Lande, die Selbstversorger-Bibel von John Seymour. Der Autor war ein britischer Farmer. Er beschrieb in seinem Werk minutiös und in für Laien verständlicher Form, wie man ein kleines Grundstück so bewirtschaftet, dass ein möglichst geschlossener und gesunder natürlicher Kreislauf entsteht und man sich von den Erträgen seiner Parzelle ernähren kann. Das war für mich wie eine Offenbarung – die praktische Anleitung, um das umzusetzen, was mir in Rumänien wieder und wieder durch den Kopf gegangen war. John Seymours Ansatz und die Idee, ein Stück Land zu besitzen und zu bewirtschaften, ließen mich fortan nicht mehr los.

Ich war zu dieser Zeit gerade mit meiner damaligen Frau nach Tutzing am Starnberger See gezogen. Sie hatte diesen wunderschönen Ort entdeckt und sich in ihn verliebt. Wir haben uns eine Weile den Kopf darüber zerbrochen, wie wir uns dort niederlassen könnten, ohne dabei wirtschaftlich »den Bach runterzugehen«. Ich hatte ja kein gesichertes Einkommen. Die ersten Schallplatten hatten sich zwar sehr gut verkauft, aber niemand wusste, ob die nächsten Scheiben auch noch erfolgreich sein würden. Für ein Bankdarlehen jedenfalls reichten meine Sicherheiten nicht aus.

Doch wir hatten Glück. Wir lernten das Ehepaar Inga und Hans Gemperle kennen. Das waren ganz großartige Leute. Sie wollten ihr Haus verkaufen und boten uns an, den Kaufpreis in Raten abzuzahlen. Darum hatten wir nicht etwa gebeten, nein, sie brachten uns viel Vertrauen entgegen und machten von sich aus dieses großzügige Angebot. Ohne diese Unterstützung wäre der Kauf des Hauses zu diesem Zeitpunkt nicht möglich gewesen.

Damals lernte ich auch deren 16-jährigen Sohn Hans kennen, der davon träumte, Toningenieur zu werden. Meine erste Begegnung mit ihm fand im Garten seines Elternhauses statt. Er schoss mit Pfeil und Bogen auf eine Scheibe. Seine Treffsicherheit fiel mir sofort auf. Und ihm sind mein Cowboyhut und meine Westernstiefel bis heute in Erinnerung geblieben. Das war damals mein bevorzugter Look.

Ich öffnete Hans dann beruflich einige Türen, vermittelte ihm Kontakte und einen Ausbildungsplatz in den berühmten Hansa Studios in Berlin. Um die Geschichte abzukürzen: Hans Gemperle wurde nicht nur Toningenieur, sondern auch ein guter Freund. Wir arbeiten schon seit vier Jahrzehnten zusammen, sind gemeinsam durch dick und dünn gegangen und ein unzertrennliches Gespann geworden.

Zunächst war ich einerseits sehr gern zuhause in Tutzing, aber andererseits ebenso gern auf Reisen, denn ich war neugierig auf andere Länder und fremde Kontinente. Mein Weg führte mich unter anderem auch nach Kanada. Ich war begeistert von diesem Land: Die Weite, das Gefühl von grenzenloser Freiheit und Abenteuer faszinierten mich sehr. Daheim geriet ich ins Schwärmen, sobald ich auf meinen Kanada-Trip angesprochen wurde. Ich träumte davon, in Kanada zu leben. In den 90er Jahren hielt ich den Zeitpunkt für gekommen, wir zogen auf eine Farm in Britisch-Kolumbien.

Damals war Europa noch in den freien Westen und den kommunistischen Osten geteilt, und zwei feindliche Militärblöcke standen sich bis an die Zähne bewaffnet gegenüber. Die Konfrontationslinie lief mitten durch Deutschland, entlang der innerdeutschen Grenze. Die DDR gehörte zum Warschauer Pakt, die Bundesrepublik Deutschland zur NATO. Der Rüstungswettlauf zwischen den Kontrahenten erreichte mit der Stationierung nuklearer Raketensprengköpfe einen weiteren besorgniserregenden Höhepunkt. Die Waffensysteme wurden immer gefährlicher, deren Vernichtungskraft immer größer. Dabei rechtfertigten Ost wie West das Wettrüsten damit, dass die andere Seite eine Überlegenheit anstrebe und man gezwungen sei, immer einen Schritt schneller zu sein als der Gegner. So entwickelte sich eine Rüstungsspirale, die sich weiter und weiter drehte.

Viele Menschen hatten Angst, dass das Pulverfass explodieren und uns der ganze Wahnsinn um die Ohren fliegen würde. Mir ging es auch so, deshalb suchte ich einen Ort, an dem diese Waffenarsenale und Bedrohungsszenarien weit weg waren und wo ich mir ein zweites Zuhause schaffen konnte. Ich entschied mich schließlich für eine entlegene Farm von 150 Hektar Größe in Britisch-Kolumbien. Das klingt nach viel, ist in Kanada aber nichts Außergewöhnliches, denn es gibt Platz im Überfluss. Die Kanadier nennen so ein Anwesen »Weekend Farm«. Eine richtige Farm ist in ihren Augen noch viel größer. Dietlhofen misst übrigens mit 70 Hektar weniger als die Hälfte dieser Fläche.

Wir genossen die neue Freiheit, badeten im kalten Wasser des Shuswap River, beobachteten Elche mit dem Fernglas und fuhren mit einem alten Pick-up in die Berge. Ich hielt mich viel im Freien auf und versuchte mich in dieser und jener landwirtschaftlichen Tätigkeit. So richtete ich eine Werkstatt ein, denn ich stellte mir vor, dass ich selbst Zäune repariere, so wie wir es alle von den Cowboys aus den Westernserien im Fernsehen kennen. Wenn Ben Cartwright, begleitet von seinen drei Söhnen Adam, Hoss und Little Joe, mit versteinerter Miene von der Ponderosa-Ranch ritt, weil irgendwo wieder ein Zaun durchbrochen und die Rinder ausgebüxt waren, dann ritten wir doch alle in Gedanken mit ihm und den Jungs durch die staubige Weite, entschlossen, die zerborstene Stelle im Holz zu finden und zu reparieren. Das war Bonanza! Wenn ich ehrlich sein soll, muss ich zugeben, dass ich in Kanada nicht einen Zaun eigenhändig repariert, geschweige denn einen neuen aufgestellt habe …

Aber das macht nichts. Für den Kopf und für die Seele war das Leben in den Weiten Kanadas sensationell, jedoch nur eine gewisse Zeit lang. Irgendwann musste ich mir eingestehen, dass ich auf mein persönliches und künstlerisches Umfeld in Deutschland und auf die Musik nicht verzichten wollte und es bis heute auch nicht möchte. In Kanada war ich viel zu weit weg vom Schuss. Zudem erforderte die Zeitverschiebung, dass ich nachts aufstand, um mit meinem Büro in Tutzing, meiner Band und meiner damaligen Plattenfirma zu telefonieren.

Tagsüber war ich dann natürlich müde. Diesen Rhythmus konnte ich auf die Dauer nicht durchhalten. Wenn ich eine gute Idee hatte, war es nicht möglich, sie spontan mit jemandem zu teilen, denn in Deutschland lagen die Menschen im Tiefschlaf, während ich putzmunter war. Man sagt mir nach, dass ich früher meine Mitarbeiter und Partner nachts durch Anrufe geweckt hätte. Asche auf mein Haupt, ja, das stimmt! Das passierte tatsächlich, denn manchmal fand ich einen Gedanken so überwältigend oder eine Frage so wichtig, dass ich trotz der unterschiedlichen Zeitzonen zum Hörer griff. Langfristig war das kein akzeptabler Zustand. Ich musste also eine Wahl treffen und entschied mich dafür, mein Anwesen wieder zu verkaufen.

Obwohl ich Kanada aus tiefster Überzeugung Lebewohl gesagt hatte, wollte ich jedoch nicht ganz auf einen ländlichen Wohnsitz mit landwirtschaftlicher Nutzung verzichten. Und so entschied ich mich für Mallorca.

Nach dem Tod des Militärdiktators Franco war in Spanien ein Gesetz abgeschafft worden, das Ausländern verboten hatte, Grund und Boden außerhalb geschlossener Ortschaften zu kaufen. Das Land öffnete sich dann mehr und mehr seinen europäischen Nachbarn. Ich kannte damals Mallorca schon recht gut, insbesondere die Gegend um Pollença, und gab meinen dortigen Freunden und Bekannten zu verstehen, dass ich daran interessiert sei, eine Finca zu erwerben, um eine kleine Landwirtschaft zu betreiben. Bald wurde mir Ca’n Sureda angeboten, und ich musste nicht lange überlegen. Die Lage in den Bergen, das schöne alte Haus, das früher mal eine Ölmühle war, Oliven- und Zitronenplantagen: Genau so hatte ich mir mein Zuhause auf der Insel vorgestellt.

1995 unterschrieb ich den Kaufvertrag. Die Finca dient nicht nur als Wohnsitz, sondern vor allem auch der ökologischen Landwirtschaft und der artgerechten Tierhaltung. Die Mitarbeiter belegten Kurse in einer Käserei, bildeten sich im Anbau von Öko-Getreide weiter und experimentierten mit verschiedenen Gemüse- und Obstsorten. Schließlich bauten wir sogar Wein an. Ich lernte Spanisch, knüpfte Kontakte zu den Einheimischen, es entstanden Freundschaften.

Ich liebe Mallorca. Die Insel ist ein Kraft-Ort, an dem ich auftanken kann. Mir gefallen das Lebensgefühl, das Klima, die Vegetation, der Geruch, die Geräusche. Damals gab es noch keine Autobahnen. Man tingelte von Palma aus über die Dörfer auf schmalen Straßen in den Norden der Insel. Es existierte schon Tourismus, klar, aber noch dezenter als heute.

Pollença war zu dieser Zeit bereits ein sehr kosmopolitischer Ort mit vielen Künstlern wie Musikern, Malern und Bildhauern aus aller Herren Länder. Ich schloss enge Freundschaft mit einem Maler namens Dick Campiglio, einem Amerikaner italienischer Herkunft, den ich in der Bar Español im Zentrum der Stadt kennengelernt hatte. Dick war eine faszinierende Persönlichkeit, ein Lebenskünstler, der nie Geld hatte, aber immer gut drauf war und die tollsten Partys schmiss. In seiner Nähe musste man sich einfach wohlfühlen. Wenn wir uns trafen, redeten wir stundenlang über Gott und die Welt und fanden kein Ende. Wir verbrachten sehr viel Zeit miteinander. Ich liebte es, ihm beim Malen zuzusehen. Als wir 1985 das Album Sonne in der Nacht