Hieronyma - Max Kommerell - E-Book

Hieronyma E-Book

Max Kommerell

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Beschreibung

Hieronyma, die Gattin des Marquese von Velez, hat ein Auge auf den schönen, Sonette schreibenden Giron de Ribolledo geworfen. Don Velez wiederum hat die junge, korallenlippige Urraca zur Geliebten. Der Marquese verkleidet sich als Räuber, um Giron, der auf dem Weg zu Hieronyma ist, gemeinsam mit einem Spießgesellen zu überfallen und sich an ihm zu rächen. Hieronyma hat schon eine Strickleiter herabgeworfen, um den Geliebten zu empfangen. Doch da steigt ein anderer die Leiter hinauf ...Biografische AnmerkungMax Kommerell (1902–1944), Germanist, Romanist und Dichter, schrieb außer umfangreichen geisteswissenschaftlichen Arbeiten Gedichte, dramatische Dichtungen und den Roman "Der Lampenschirm aus den drei Taschentüchern". Seit 1941 wirkte Kommerell als Ordinarius für deutsche Literaturgeschichte an der Universität Marburg. In seinem Nachlass fanden sich neben den "Kasperle-Spielen für große Leute" Fragmente einer in Spanien spielenden Dichtung, zu der die Erzählung "Hieronyma" gehört.-

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Max Kommerell

Hieronyma

Saga

In der ingrimmig leichtfertigen Stimmung, zu weleher die vornehme Seele der Gattin des Don Velez herabgewürdigt war, hatte sie sich den herausgesucht, der seinem Aussehen nach geboren schien, eine Art Gegenbild zu jener Zofe abzugeben, die das reine und geistige Glück ihrer Ehe so getrübt hatte, und ihr also an dem Gatten, der in einer gewissen Beschränktheit hingerissen worden war, durch sündigen Vorsatz eine gewisse Rache zu verschaffen.

Man konnte nicht nichtssagender und hübscher zugleich aussehen als dieser blondschopfige Giron de Ribolledo, der eine Britin als Ahnin haben mochte. Wie schlenkerte er elastisch oder wie dehnte er faul seine Reitbeine, wie schwang er sich beim Gehen, besonders bergauf, in seiner gertenschlanken Hüfte, wie warf er den Hals zurück, wenn er am meisten in sich verliebt war. Die Augen blitzten spöttisch, an dem nicht ganz geraden Mund war die Oberlippe voller und bog sich etwas heraus, geziert durch ein paar Flaumhaare .. die von viel Frauengedanken geküßte, die viel lieber ein geistreiches Wort zu formen als sich dem Kuß zu bequemen schien. Denn sie lag fest auf den Zähnen, von denen die schmale Unterlippe einen blitzenden Rand freilegte. Sein grüner Hut hatte eine gelbe Fasanen- und eine weiße Reiherfeder .. Das geistreiche Wort blieb aus, statt dessen ließ er sich den Schatten dieses Hutes geschickt schräg über das Antlitz fallen oder lüftete ihn ausdrucksvoll, damit die Sonne in seinem unsäglich vollen und weichen Gelock spielte, seidenfein und ein wenig silbrig .. Er stand im Geruch, gute Sonette zu machen. Schön, dumm und ein Dichter, lächelte die traurige Frau; darin kann wohl ein Schmerz ertrinken. »Ich brauche bloß das Fleisch meiner Hand mit dem in Silber gefaßten Saphir meines seltensten Ringes auszuzeichnen .. blau, silber und inkarnat, das macht den Halbwüchsigen verrückt, und er wählt mich.«

Und ihr Scharfblick trog sie nicht etwa. So gab sie sich dazu her, Urbild für dies Urbild gewichtloser und gefühlloser, in sich verliebter Jugend zu sein und versprach sich Gelächter und viel Schlaf, gesunden Schlaf, und, im heimlichsten Winkel ihres Herzens, eine heilsame Aufregung ihres Mannes, wenn, was sicher geschähe, ein nachgesandter Page ihm von den – möglichst sichtbar gewährten – Parallelgünsten berichten würde ..

Sie hatte also bei der ersten Zeremonie seinen neuen Namen, welcher Nemoroso hieß, fast vorschriftswidrig ausdrucksvoll, nämlich zwischen neckisch und verheißend, ihm zugerufen und ihm als ein in der blumigen Schäfergirlande verstecktes Narrenseil um den schönen und charakterlosen Hals geworfen, denn sie war von Anfang an des Sinnes, das Schäferspiel souverän und mit Ironie zu traktieren .. und was sind vier Silben eines Namens nicht für eine Gelegenheit, damit die wissende Stimme einer Frau Nuancen hineinlege. Sie ließ das schmelzende Augenblau des fürstlichen Steins mit sinnlichem, ein wenig goldgelbem Blaßrosa ihrer ganz schmalen Hand in der Sonne spielen und hatte alsbald den Mohn in der Hand, den sie den törichten Menschen zu tragen zwang, als eine Art Anspielung auf das Korngold seiner Mähne, das zugehörige Unkraut gewissermaßen: ihm Poesie, ihr Schlaf, und kicherte in sich hinein hinter ihren Schleiern; und als sie bei der dritten Zeremonie (sie hatte sich beim Zeremonienmeister genau vergewissert, welche Liebesart sie körperlich am wenigsten anstrengen würde, freilich ohne auch nur mit einem ihrer köstlichen Mundwinkel dies Anliegen zu gestehen) ihm auf dem Brückenfirst begegnete, war sie entschlossen, seine tote Geliebte zu sein. Würde da ihr Mann nicht glauben müssen, daß ihre weibliche Ehre unverletzt blieb?

Als er also, vergeblich ein gewisses Vibrato in seine Stimme legend, lispelte: »Hohe Dame, was ist das Schicksal meiner Liebe?« antwortete sie streng und etwas zu laut: »Der Tod –.« Und da sie den Armen, der auch nicht im Scherz dies unfruchtbare Wort auf sich anwenden mochte, ein wenig zusammenzucken sah, setzte sie mit spöttischem Mitleid hinzu: »Nicht Euer, sondern mein Tod ist es leider, den ich als bittern Mandelgeschmack unserer sonst so süßen Liebe leider prophetisch vorausschmecke. Und nun lernt bitte ein wenig um mich weinen.«

Ganz unverfänglich – das fühlte sie wohl – war indessen der Blick nicht, den sie ihm beim Umwenden zuwarf, und sie wußte auch, woher sie plötzlich für ihn mit mindestens einem Dutzend solcher Blicke begabt war: Sie war verrückt auf Sonette, und es war vielleicht ein schwerer Fehler gewesen, daß sie kurz nach der Hochzeit schnippisch den Mund verzog, als ihr damals höchst feuriger Gatte auf die Aufforderung, sie mit solchen zu begrüßen, verlegen schwieg. Und sie seinigen, Girons de Ribolledo, jetzt Nemoroso, waren so geschmeidig wie seine Hüften, und die Reime saßen so gut wie die langen Fingernägel im Fleisch seiner verwöhnten Finger .. Er schaute dumm, nein so herrlich dumm; mit dem Phantasietod wußte er nichts anzufangen, aber das Wort war Signal, zu schmachten, sie dumm anzuschmachten .. Wirklich, sein Fischauge beschlug sich etwas – göttlich unecht! Sie drehte rechtzeitig um, um die nicht gerade feierliche Zufriedenheit ihres Mienenspiels zu verbergen.

Auf eins freilich war sie nicht gefaßt. Zuerst ließ sich die Zeremonie der Liebesklage leidlich an. Die Espartosänfte war gut gemacht, und die Hirten, die sie trugen, vermieden jedes unnötige Schaukeln und jeden Ruck. Sie hatte nicht umsonst in ihre Schatulle gegriffen .. Das Rosmarin und Laudanum, mit dem sie besteckt war, duftete köstlich, der Marmorknabe wedelte hinlänglich mit dem Palmettofächer, und sie fühlte, daß sie außerordentlich tot aussah. Zumal wenn sie, nachdem sie einigemal träg auf ihren wehklagenden Hinterlassenen hingeblinzelt hatte (der Zeremonienmeister, der mit den anderen – die Trauer ehrend – in einer gemessenen Entfernung folgte, konnte es nicht sehen), einschlief, und wie ähnlich ist nicht der Schlafende dem Toten – richtig, da kam es auch schon im Gedicht vor, nur umgekehrt:

O Celia, so soll mein Klagen gellen,

Daß dies dein Totsein drob zum Traume wird,

Den du abschüttelst, mit erschrocknem Blicke

Mich Klagenden zu fragen, was ich klage ..

ja, umgekehrt; der Zauber des Gedichts war ein Schlafzauber. Sie schlief.

Einmal erwachte sie an einem seltsamen Reiz an ihrer Schläfe .. etwas Lebendiges, was ein noch so kleines Luftreich um sich bewegte, hie und da und an ihrer Haut tastete; sie brauchte ihre Wimpern nicht zu lüften – das Gedicht zeigte es an .. welch begabter Improvisator:

Den Trauermantel dieser dein Gesicht

Schatten befächelnden Begräbnisstunde,

Ich spieße ihn auf einen spitzen Reim

Denn wie du heimgingst, so geht im Gedicht

das Lehen, des es Zeugnis ist und Kunde,

Ins tödlich seiende Gedenken heim ..

Nun aber, womit sie nicht gerechnet hatte: der sinnreich mit Steinen und Dornen besäte Felsenpfad des tödlichen Vermissens ward trotz getragenem Schirmdach und Palmenwedel heiß und heißer, und die Rolle des Totseins schien ihr auf die Dauer doch nicht mehr so mühelos. Sie bemerkte an den sich entfernenden Stimmen, daß die Begleiter sich niedergelassen hatten unter einer Korkeiche. Da verließ sie wieder das Bewußtsein, nachdem ihr letzter wacher Gedanke gewesen war, ob nicht ihr jetziges Versteck den Gatten zum eifrigen Sucher mache .. Hinweg, hinweg .. Plötzlich erwachte sie an der stockenden Bewegung vollkommen, und o Wunder, was sah sie: Phantasietränen. Der Fant schloß jene Trauermantelmetapher, mit der er eben zum Ende kam, und schmolz an seinem Einfall. Er schämte sich, da sie ihn einen Augenblick ansah, und, ihm dies zu ersparen, schloß sie die Augen wieder. Nun, wußte sie, begann die Stanze ›letzte Worte‹, und er sagte sie, während sie feststellte, daß niemand sie sehen konnte. Der Knabe, das hörte sie an seiner Stimme – eine schöne Stimme, schön, voll, sonor, wie nur eine gediegene durch keine Sorge um andere Sinnlichkeit, die noch nicht von Liebe bebte, sie haben kann .. Nun, wußte sie, wird eine Pause sein; wenn sie weiterhin die Augen geschlossen hält, kommt alles auf ihren Ausdruck an.