Hilfe, Jesus, ich bin Jude - Anatoli Uschomirski - E-Book

Hilfe, Jesus, ich bin Jude E-Book

Anatoli Uschomirski

4,9

Beschreibung

Anatoli Uschormirski wird 1959 in Kiew geboren und wächst als Sohn jüdischer Eltern in der Ukraine auf. Als Jugendlicher beginnt er die Geschichte seiner Familie und seiner jüdischen Herkunft zu erforschen und macht eine furchtbare Entdeckung: Verschleiert als "Umsiedlungsmaßnahme" wurden 1941 alle sich in Kiew befindenden Juden aufgefordert, sich in Babi Jar einzufinden, einer Schlucht nahe Kiew. In einem grausamen Massaker wurden binnen weniger Tage 33.771 Juden hingerichtet - darunter auch einige von Anatolis Verwandten. Er beginnt die Deutschen zu hassen, bis ein Ereignis sein Leben verändert. Dadurch findet er zu seiner jüdischen Identität - und zum Glauben an den Messias Jesus. Heute lebt er selbst in Deutschland und setzt sich für Versöhnung zwischen Deutschen und Juden ein. Die spannende Biografie eines beeindruckenden Lebens. Inklusive 16-seitigem Bildteil

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Seitenzahl: 285

Veröffentlichungsjahr: 2016

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Der SCM Verlag ist eine Gesellschaft der Stiftung Christliche Medien, einer gemeinnützigen Stiftung, die sich für die Förderung und Verbreitung christlicher Bücher, Zeitschriften, Filme und Musik einsetzt.

ISBN 978-3-7751-7326-1 (E-Book)

ISBN 978-3-7751-5699-8 (lieferbare Buchausgabe)

Datenkonvertierung E-Book:CPI books, Leck

© der deutschen Ausgabe 2016

SCM-Verlag GmbH & Co. KG · Max-Eyth-Straße 41 · 71088 Holzgerlingen

Internet: www.scmedien.de · E-Mail: info@scm-verlag.de

Artikel auf S. 204-206 zuerst erschienen in idea-spektrum 17/2015, © idea

Soweit nicht anders angegeben, sind die Bibelverse folgender Ausgabe entnommen:

Neues Leben. Die Bibel, © der deutschen Ausgabe 2002 und 2006

SCM-Verlag GmbH & Co. KG, Witten.

Weiter wurden verwendet:

L: Lutherbibel, revidierter Text 1984, durchgesehene Ausgabe in neuer Rechtschreibung,

© 1999 Deutsche Bibelgesellschaft, Stuttgart.

GN: Gute Nachricht Bibel, revidierte Fassung, durchgesehene Ausgabe in neuer Rechtschreibung,

© 2000 Deutsche Bibelgesellschaft, Stuttgart.

Umschlaggestaltung: Kathrin Spiegelberg, Weil im Schonbuch

Titelbild: Autor: Lea Weidenberg; Hintergrund: shutterstock.com

Bildteil: Foto S. 15 oben, Martin Weinbrenner (www.martinweinbrenner.de); restliche Fotos privat

Satz: typoscript GmbH, Walddorfhäslach

Ich möchte dieses Buch meiner lieben Frau Irina widmen.

Sehr dankbar bin ich für die 37 Jahre, die wir gemeinsamunsere Lebensreise Hand in Hand gehen durften.

Ohne ihre Unterstützung und Liebewäre dieses Buch nicht entstanden.

INHALT

Ein Geschenk Gottes für uns!

Hilfe, ich bin ein Jude!

Juden in der Ukraine

Meine Familie – und meine Clique

Gibt es Gerechtigkeit?

Eine schreckliche Entdeckung

Ein Brief aus Kiew

Gott redet durch Menschen

Gott klopfte zweimal bei mir an

Die beste Ehefrau von allen

Beim Militär

Hochzeit mit Hindernissen

Auf der Suche nach der Wahrheit

Düstere Zeiten

Das Buch »Verraten«

Ist das Neue Testament antisemitisch?

Eine messianische Gemeinde oder: Warum sind diese Menschen anders?

Die erste Gebetserhörung

Der Wendepunkt

Auswanderung nach Deutschland

Es gab genügend Gründe

Warum wandern Juden gerade nach Deutschland aus?

Mit dem Zug nach Westen

Das neue Leben in Deutschland

Im Übergangswohnheim

»Sagen Sie niemandem, dass Sie Jude sind!«

Zum ersten Mal in die Synagoge

Die Bibel vom Sperrmüll

Irina Uschomirski erzählt

»Wann gehen Sie nach Israel?«

Mein neuer Auftrag in Deutschland

Eine entscheidende Begegnung

Eine neue Berufung – ein neuer Dienst

Josef – ein Vorbild

Als Mitarbeiter beim »Evangeliumsdienst für Israel«

Meine geistlichen Eltern

Marga und unsere neue Wohnung

»Haben Sie einen Auftrag vom Oberkirchenrat?«

Noch ein Puzzlestück

Gemeindegründung

Die Begegnung mit einem ehemaligen Nazi

»Ist es ein Fluch, Deutscher zu sein?«

Evangelische Kirche und messianische Juden

»Da gedenkt man der Toten und will die Lebenden nicht haben«

Meine Berufung zum Leiter

Eine neue Perspektive: messianische Jugendfreizeiten

Ich habe keine Erfahrung mit Jugendlichen!

Eindrückliche Erfahrungen mit Jugendlichen

Gott spricht in mein Leben hinein

Eine schwere Erfahrung

Was bedeutet es, ein Jude zu sein, der an Jeschua glaubt?

Ein neuer Impuls von Gott: Theologie studieren!

Eine neue Berufung wird sichtbar

Sie betete: »Gott hat Israel zu mir nach Hause gebracht!«

»Diese sechs Stühle hängen mir am Hals!«

»Judenschwein« und »Nazischwein«

Monika erzählt von ihren Großeltern

Simon, ein ungewöhnlicher Junge

Michaela bittet mich, ihr und ihrem Vater zu vergeben

Gisela und ihr nationalsozialistischer Vater

Mit Horst in Auschwitz

Mit Hartmut Renz in Yad Vaschem

»Die Deutschen werden den Juden Auschwitz nie verzeihen«

Musste man unbedingt Juden umbringen, um sich schuldig zu fühlen?

Frau Mayer bittet um Vergebung

»Du musst diesen Menschen helfen!«

»Ich will segnen, die dich segnen«

»Ich strecke mich aus nach wirklicher Buße, nach Vergebung …«

Anhang zu verschiedenen Themen

Die Bibel zur Frage des Generationenfluches

Warum deuten Juden und Christen Jesaja 53 unterschiedlich?

Zur Frage der »Fischer und Jäger«

Eine jüdische Taufe?

Messianische Juden und die christliche Kirche

Die Verfolgung der Juden im Mittelalter

Martin Luther und die Juden

Die Aufklärung und die Neuzeit

Jüdische Wurzeln des christlichen Glaubens

Die Entwicklung der messianischen Bewegung

Was hat der Kirchentag mit messianischen Juden zu tun?

Kirche und Juden

Leserbriefe

Wer sind messianische Juden?

»Wir wollen Brücken bauen!« – Interview mit dem ERF Online

Bildteil

Anmerkungen

[ Zum Inhaltsverzeichnis ]

Ein Geschenk Gottes für uns!

Vorwort von Ulrich Parzany

Ich freue mich über dieses Buch. Es beweist mir die Treue Gottes zu seinem Volk Israel. Ich kann es nur als ein Zeichen der unverdienten Gnade Gottes sehen, dass trotz der Verbrechen an jüdischen Menschen in der Nazizeit heute wieder so viele Juden in Deutschland leben. Ein besonderes Wunder sind die kleinen, aber wachsenden Gemeinden messianischer Juden.

Anfang 2012 war ich zu Gast bei Anatoli und Irina Uschomirski in ihrer Wohnung in Echterdingen. Irina hatte ein wunderbares Abendessen bereitet. Ich hörte staunend, was beide mir aus ihrem Leben erzählten. Beim Lesen dieses Buches fühlte ich mich an jenen Abend zurückversetzt – erschüttert und beschenkt. Ein jüdisches Ehepaar findet den Messias Jesus, und durch ihn entdeckt es seine jüdische Identität.

Das verstehen viele nicht. Sie meinen, dass ein Jude zum Christentum konvertiert, wenn er an Jesus Christus glaubt. Nein, Jesus war Jude, alle zwölf Apostel waren Juden, Paulus war Jude, die Jerusalemer Urgemeinde bestand aus Juden. Sie wären nie auf den Gedanken gekommen, etwas anderes zu sein. Sie haben in Jesus die Erfüllung der Geschichte Gottes mit dem Volk Israel erlebt. Und sie erlebten staunend, dass Gott den Bund mit Israel für die Völker öffnete. An der Lebensgeschichte von Anatoli und Irina Uschomirski wird das unmittelbar verständlich. Anatoli zeigt den Lesern, wie Fehlentscheidungen in der Kirchengeschichte und skandalöses Fehlverhalten der Kirchen bis heute messianischen Juden das Leben schwer machen.

Die Begegnung mit Anatoli Uschomirski ist für mich die Fortsetzung einer vierzigjährigen Geschichte mit meinem Freund und Lehrer Alfred Burchartz, dem Gründer und langjährigen Geschäftsführer des Evangeliumsdienstes für Israel. Er ist als Jude durch tiefes Leid gegangen und erkannte auf schier unfassbare Weise Jesus als seinen Messias. Er hat mich und viele Christen gelehrt, das Neue Testament gründlicher aus jüdischer Perspektive zu verstehen. Nur so kann es überhaupt verstanden werden.

Als Ende der 1970er-Jahre in den evangelischen Kirchen bestritten wurde, dass die Verkündigung des Evangeliums von Jesus zuerst den Juden gilt (Römer 1,16), hat Alfred Burchartz in Wort und Schrift dagegen die Position messianischer Juden vertreten. Im Dezember 1979 veröffentlichte er in dem von mir herausgegebenen Magazin SCHRITTE einen Vortrag zum Thema »Judenmission – eine andere Art Holocaust? Stellungnahme zu einer Kontroverse«. Leider wurde die Stimme des an Jesus glaubenden Juden in der evangelischen Kirche nicht gehört.

Anatoli Uschomirski setzt diesen Dienst als Theologischer Referent des Evangeliumsdienstes für Israel fort. Er und andere messianische Leiter der jüngeren Generation können uns in den christlichen Gemeinden helfen, die biblischen – und das heißt: jüdischen – Wurzeln unseres Glaubens an Jesus Christus besser zu verstehen. Sie sind ein Geschenk Gottes an uns. Hoffentlich wissen wir das zu schätzen!

Ulrich Parzany

[ Zum Inhaltsverzeichnis ]

HILFE, ICH BIN EIN JUDE!

Juden in der Ukraine

Ich wurde am 8. April 1959 als Kind jüdischer Eltern geboren. Meine Familie lebte in Kiew, der Hauptstadt der Ukraine. Diese ist eine riesige Metropole mit ca. 3 Millionen Einwohnern, von denen sehr viele Juden waren, die meisten von ihnen assimiliert. 70 Jahre Kommunismus sind auch an ihnen nicht spurlos vorbeigegangen. Oft war es nur der Nachweis im Pass, der ihre jüdische Identität bescheinigte. Auch meine Familie war nicht besonders religiös und eher säkular geprägt, auch wenn wir auf dem Papier Juden waren.

Die meisten ukrainischen Juden kannten kaum die Geschichte ihres Volkes und wussten nichts vom Gott ihrer Väter. Trotzdem konnte man Juden von den Ukrainern unterscheiden. Ihre Gesichtszüge, Gewohnheiten, Sprache, Witze, Essen waren einfach anders. Es gab schon immer offenen oder auch verborgenen Antisemitismus in der Ukraine. In den Überlieferungen, Witzen und Erzählungen hat man Juden als gierige und hässliche Personen verabscheut. Im Personalausweis musste man unter Punkt 5 die Nationalität eintragen. Wer dort als Ukrainer oder Russe registriert war, hatte Glück. Alle Türen standen ihm offen: ein Studium, gute Arbeitsstellen … Für die Juden sah es anders aus. Es gab ein ungeschriebenes Gesetz, dass auf der Universität in Kiew nur ein geringer Prozentsatz von Juden aufgenommen werden durfte. So verhielt es sich auch in den Betrieben: Es gab kaum Juden, die eine große Firma leiteten. Gleichzeitig versuchte jeder Chef, einen jüdischen Berater einzustellen, weil Juden schon immer sehr gebildet waren.

Als ich später die Geschichte der Juden studierte, habe ich verstanden, warum unser Volk so viel Wert auf Bildung legt. Die Juden wurden durch die Jahrhunderte überall gejagt und vertrieben. Oft mussten sie fliehen, um ihr Leben zu retten, ohne ihre Habseligkeiten mitnehmen zu dürfen. Das Einzige, was sie immer dabeihatten, waren ihre Intelligenz und ihre hohe Bildung. Deswegen haben Juden schon immer enorme Leistungen erbracht, um ihren Kindern ein Studium zu ermöglichen.

Punkt 5 im Personalausweis war für die Juden in der UdSSR wie ein gelber Stern. Es gab auch viele Witze darüber, bis zur Bezeichnung: »die Behindertengruppe 5«. Kein Jude wollte, dass andere in seinen Personalausweis blicken. Sich öffentlich als Jude zu bekennen, war peinlich.

Mit zehn Jahren wurde ich zum ersten Mal mit meiner jüdischen Identität konfrontiert. Zwei Mitschüler verprügelten mich grausam ohne jeglichen Grund. Dabei hörte ich von ihnen die Worte: »stinkender Jude«. Offensichtlich hatte das aber nichts mit meiner Hygiene zu tun.

Woran konnte man erkennen, dass ein Kind aus einer jüdischen Familie stammt? Es gab in den Schulklassen Namenslisten von allen Schülern, auf denen nicht nur die Namen, sondern auch die Nationalität der Schüler standen. Wir vier Juden in der Klasse hatten immer Angst, wenn der Lehrer diese Liste in den Pausen auf seinem Tisch offen liegen ließ. Wir wollten auf keinen Fall, dass unsere Klassenkameraden in die Liste gucken und unser Geheimnis entdecken.

Ich habe damals nicht verstanden, warum ich so abschätzig als stinkender Jude bezeichnet wurde. Jahrzehnte später habe ich erfahren, woher der Ausdruck stammt. Im Anhang werde ich erläutern, woher diese Beschimpfung stammt. Damals, in meiner Kindheit, hätte ich das nicht wissen können. Also wollte ich herausfinden, was es damit auf sich hatte. Zu Hause stellte ich meiner Mutter viele Fragen: Was heißt Jude? Ist es etwas Schlechtes, ein Jude zu sein? Warum hasst man uns? Kann ein Jude ein Nichtjude werden, um sich alle Unannehmlichkeiten im Leben zu ersparen? Meine Mutter war nicht in der Lage, mir solche Fragen zu beantworten. Sie glaubte an die kommunistische Partei, den Internationalismus und an große sowjetische Ideale. Ihr Bruder war mit 19 Jahren im Krieg gegen die Deutschen ums Leben gekommen. Vier ihrer Onkel ließen ihr Leben im Kampf für die Sowjets. So versuchte sie mir beizubringen, dass es einfach schlecht erzogene Kinder waren, die mich in der Schule beleidigten und schlugen. Das konnte ich nicht glauben, entschied mich aber, meine jüdische Identität nicht bei jeder Gelegenheit einfach so preiszugeben.

Man konnte die Juden auch an ihren Namen erkennen. Es gab ausdrücklich jüdische Namen wie Rosenfeld, Shapira, Rabinowitsch. Mein Name Uschomirski war nicht besonders jüdisch. Der Mädchenname meiner zukünftigen Frau war Kaz. Dieser Name war wie ein gelber Stern während des Zweiten Weltkriegs. Meine Frau erinnert sich: »Ich hatte keine Freunde beim Spielen im Hof, weil ich jüdisch war. In der Schule raufte ich mich ständig mit jemandem, weil ich oft gehänselt wurde. Das alles führte dazu, dass wir, jüdische Kinder und später junge Leute, uns zusammenschlossen und eigene Gruppen bildeten. Für mich war es so wichtig, mein Volk auf keinen Fall zu verraten und meine jüdische Identität nicht zu verlieren.«

Nach dem Berufsschulabschluss sollte jeder Absolvent vor ein Komitee treten, damit ihm sein künftiger Arbeitsplatz zugewiesen wurde. Es gab gute und weniger gute Arbeitsplätze. Für die Juden blieben oft nur die schlechten übrig. Es gab auch Betriebe, in denen Juden nicht arbeiten durften, weil in ihnen Waffen produziert wurden. Als ich vor das Komitee trat, wurde mir mitgeteilt, dass ich in einem ebensolchen Betrieb einen Arbeitsplatz bekommen sollte. Ich konnte meinen Ohren nicht trauen! Aber der Vorsitzende bestätigte mir, dass es wahr sei. Erst als ich die Papiere in meinen Händen hielt, fragte mich einer aus dem Komitee: »Verzeihen Sie, ist Ihr Namen nicht jüdisch?« Aber da waren die fertigen Papiere, die man nicht für ungültig erklären konnte. Deshalb fragte ich sehr frech zurück: »Und Ihr Name ist nicht jüdisch?« Später habe ich verstanden: Sie waren zu faul, um in den Personalunterlagen meine Nationalität festzustellen, und begingen einen riesigen Fehler. Meine zukünftige Frau mit ihrem typisch jüdischen Namen Kaz hatte keine Chance, einen guten Arbeitsplatz zu bekommen.

Meine Familie – und meine Clique

Als ich elf Jahre alt war, starb mein Vater. Er hatte Lungenkrebs. Er wurde operiert, aber nach der Narkose blieb sein Herz stehen, und man konnte ihn nicht mehr wiederbeleben. Das war meine erste Konfrontation mit dem Tod in der eigenen Familie. Den Sarg mit der Leiche meines Vaters bahrte man in unserer kleinen Zweizimmerwohnung auf, und ich fürchtete mich sehr, vorbeizulaufen, wenn ich auf die Toilette musste. An der Beerdigung nahm ich nicht teil. Meine Oma meinte: »Man darf die Kinder nicht mit zum Friedhof nehmen.« Das würde mich traumatisieren. Neun Jahre später heiratete meine Mutter einen anderen jüdischen Mann, den sie noch aus ihrer Kindheit kannte. So bekam ich einen Stiefvater.

Trotz des latenten Antisemitismus gab es manche Möglichkeiten für jüdische Jugendliche, nicht Außenseiter zu bleiben. Mit 16 Jahren war ich Mitglied einer Clique. Ihr Leiter war ein zwei Jahre älterer hochgewachsener Ukrainer Wolodya. Wir wohnten im gleichen Plattenbauwohnhaus. Der Vater von Wolodya ging, als er zu viel Wodka getrunken hatte, im Hof umher und schrie: »Gib mir eine Sokyra1, ich möchte den Juden den Kopf abhauen!« Alle in unserer Clique wussten, dass ich Jude bin. Diese Tatsache störte ihn allerdings nicht, weil ich mich als guter Kamerad erwiesen hatte und mich mit anderen gut schlagen konnte. Außerdem duldete ich ihre antisemitischen Witze, die sie ab und zu rissen. Es ist mir peinlich, das einzugestehen, aber ich hatte einfach Angst, und meine jüdische Identität war damals durch negative Erfahrungen geprägt worden. Interessanterweise habe ich viele Jahre später ähnlich peinliche Situationen erlebt. Zu diesem Zeitpunkt war ich schon Jesus begegnet, hatte aber bis dahin nicht viel Erfahrung mit meinem Glauben. Ich saß in einer Gruppe ungläubiger Männer. Einer erzählte einen vulgären Witz über Jesus. Ich lachte nicht mit, aber widersprach auch nicht. Doch danach habe ich beschlossen, nie wieder bei solchen Gelegenheiten zu schweigen. Trotzdem kann ich nachvollziehen, dass ein Mensch, der kein Held ist, in solchen Situationen versagt.

Nachdem ich schon drei Jahre in Deutschland gelebt hatte, besuchte ich zum ersten Mal meine Heimatstadt Kiew. An eine ganz besondere Begegnung kann ich mich recht gut erinnern. Ich traf Wolodya, den Führer unserer Clique, der zu diesem Zeitpunkt schon einige Jahre Gefängnis hinter sich hatte. Wir hatten uns schon seit 13 Jahren nicht mehr gesehen, sodass ich ihn kaum erkennen konnte. Er freute sich sehr, mich zu sehen, und war sehr freundlich. Er sah überhaupt nicht wie ein Krimineller aus. Und dann erzählte mir Wolodya mit Begeisterung, dass er nach dem Knast in einer Pfingstgemeinde zum Glauben an Jesus gefunden hatte. Wir unterhielten uns sehr gut, und er erzählte mir lange, warum er als Christ das jüdische Volk so sehr liebt. Ihm war es eine besondere Ehre, mir das mitzuteilen. Ich konnte damals kaum begreifen, dass dieser Jesus solche Kraft hat, aus einem Antisemiten einen Judenfreund zu machen!

[Zum Inhaltsverzeichnis]

GIBT ES GERECHTIGKEIT?

Eine schreckliche Entdeckung

In meiner Jugend begann ich, mich heimlich für meine jüdische Herkunft zu interessieren. So forschte ich in der Geschichte und im Leben meiner Vorfahren. Zu Hause fand ich ein Buch, das mir ziemlich komisch vorkam. Nur Namen. Lauter jüdische Namen und einige Bilder. Ich fand heraus, dass das die Namen der Juden waren, die in der Schlucht von Babij Jar am 29. und 30.September 1941 zusammengetrieben und umgebracht worden waren. Leider wurde die Geschichte des »Holocausts« in der ehemaligen Sowjetunion verschwiegen. Die Ideologie der Kommunisten war schon antisemitisch geprägt, und man wollte den Juden keine »Extrarolle« im Zweiten Weltkrieg zuteilen. Als nach dem Krieg das Verbrechen der Nazis in Babij Jar an die Öffentlichkeit drang, vertauschte man in den Berichten das Wort »Juden« mit dem Begriff »die sowjetische Zivilbevölkerung«.

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

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