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Der Ausdruck Hippie trail (englisch trail, Spur, Pfad) beschreibt die Reiseroute der Hippies in den 1960er und 1970er Jahren von Europa über Land nach Asien. Diese Reisekultur wurde später zum Vorbild zahlreicher Rucksacktouristen. Vielen Reisenden ging es dabei um Selbstfindung, Sinnsuche und um die Kommunikation mit anderen Völkern. Das Buch beschreibt die Eindrücke einer, mit Aquarellen und Zeichnungen verzierten, Allein-Reise, wo diese Themen Bedeutung erlangen. Man könnte sagen: "Salz trifft auf Wunde!" und eine "Dosis Drama" ist auch mit dabei. Im Vordergrund steht aber der Wunsch, die Welt zu erkunden. Sich an ihren Wundern zu erfreuen und vielleicht einen Ort oder auch Menschen zu finden, wo man länger verweilen möchte. Früher waren die meisten Rucksackreisenden junge Leute, obwohl auch ältere Reisende oder ganze Familien eine derartige Tour unternahmen. Das Reisen per Anhalter war populär. Es gab günstige Bus-und Zugtickets und vereinzelt fuhren die Menschen die gesamte Strecke mit dem Auto, Motorrad oder auch mit dem Wohnmobil, das zumeist ein VW-Bus war. Unter bekannten Hippie-trail-Reisenden sind Uschi Obermaier, Steve Jobs und Raja Ram zu nennen. Mit Illustrationen von Uwe Klöden
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Seitenzahl: 249
Veröffentlichungsjahr: 2021
Autor: Knut Troeger, 1954 in Hof/Saale geboren ist am Chiemsee aufgewachsen. Es folgten sieben Jahre in Erlangen und Umgebung, mit Umzug 1977 nach Berlin. Dort arbeitete er als Taxifahrer und studierte Medizin. Nach einer langjährigen ärztlichen Tätigkeit im psychiatrisch-psychosomatischen Bereich wechselte er 2009 in den sozialmedizinischen Dienst einer öffentlichen Einrichtung und ist heute berentet. Der Autor lebt in Berlin.
Illustrationen: Uwe Klöden. Geboren 1960 in Dresden. Erster Mal- und Zeichenunterricht während der Schulzeit in einem Zeichenzirkel. 1984 Ausreise nach West-Berlin. Berufstätig als Bibliothekar. Belegung verschiedener Kurse im Bereich Skulptur, Zeichnen und Malerei. Aktzeichenabende bei Enrico Pietracci. Modezeichnen an der Universität der Künste.
Vorwort
26. Dezember 2019
27. Dezember 2019
28. Dezember 2019
29. Dezember 2019
30. Dezember 2019
31. Dezember 2019
1. Januar 2020
2. Januar 2020
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27. Januar 2020
28. Januar 2020
29. Januar 2020
30. Januar 2020
31. Januar 2020
1. Februar 2020
2. Februar 2020
3. Februar 2020
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26. Februar 2020
27. Februar 2020
28. Februar 2020
29. Februar 2020
1. März 2020
2. März 2020
3. März 2020
4. März 2020
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24. März 2020
25. März 2020
26. März 2020
27. März 2020
Nachtrag
Schlussbetrachtung
Erinnerungen aus die Hippie-Zeit
Berlin, den 7. Dezember 2019
Eine Überlandfahrt in Richtung Osten! Wunschtraum oder Wirklichkeit? Der Gedanke schwelte lange in mir und flammte immer wieder auf. Ich trug ihn jahrelang mit mir herum. Luftschloss, Seifenblase oder Wolkenkuckucksheim? Wäre das Fahrrad eine Möglichkeit? Diese Vorstellung wird in meinem Alter schnell wieder verworfen. Öffentliche Verkehrsmittel kommen in Betracht, werden wegen des Rucksack-Schleppens aber ebenso ausgeschlossen.
Manch einer läuft Tausende Kilometer zu Fuß durch die Welt oder fliegt mit einem Ultra-Leichtflugzeug in die Ferne. Auch Motorroller, Moped oder Motorrad kommen mir in den Sinn. Im Winter keine gute Idee. Früher gab es einmal die Überlegung, mit einem Esel durch die Lande zu ziehen. Ich entscheide mich schließlich für das Auto.
Die Vorbereitungen laufen! Mit dem »Reiseführer Iran« fängt im Herbst 2019 alles an. Ein sonderbares Gefühl, so ein abgeschottetes Land besuchen zu wollen. Es folgt ein Merkzettel mit viel aufgelistetem Zubehör. Dieses reicht von einer Campingausrüstung über Werkzeug und Ersatzrad bis hin zu warmer Winterbekleidung. Von nun an gibt es kein Zurück. Die Akutphase der Reiseplanung hat begonnen. Das iranische Visum wird mir nach einer Woche Wartezeit von einer Vermittlungs-Agentur als e-Paper ausgedruckt. Ein moosgrüner 100-Euro-Schein wechselt daraufhin den Besitzer.
Sprichwort: »Alles wohlbedacht und auch das End betracht‘t?«
Am 18. Dezember 2019 ist mein letzter Arbeitstag als Arzt im öffentlichen Dienst. Bei Kaffee und Kuchen reagieren meine Kolleg*innen mit Erstaunen bis hin zu ungläubigem Kopfschütteln, als sie von meiner geplanten Winterreise erfahren. Es fehlen noch die Visa für Pakistan und Indien. Das »Carnet de Passage« für den Peugeot ist beim ADAC beantragt und kostet neben 5000 Euro Kaution noch 200 Euro Bearbeitungsgebühr. Es wird hoffentlich bis zum 23. Dezember 2019 per Post eintreffen. An diesem Tag gibt es einen runden Geburtstag im Familienkreis zu feiern. Dann ist Weihnachten und am 25. Dezember 2019 soll es noch ein Abschiedsessen geben.
»Wem Gott will rechte Gunst erweisen, den schickt er in die weite Welt. Dem will er seine Wunder weisen, in Berg und Tal und Strom und Feld.
Die Trägen, die zuhause liegen, erquicket nicht das Morgenrot. Sie wissen nur von Kinderwiegen, von Sorgen Last und Not ums Brot!«
Joseph von Eichendorff (1788-1857)
»Bilder haben eine heilende Wirkung. Sie öffnen ein Fenster, damit man hinausschaut und besondere Menschen, ein schönes Licht, liebliche Blumen, anmutige Tiere oder eine malerische Landschaft entdeckt.«
(Anselm Grün, geb. 1945)
26. Dezember 2019
Donnerstag, 10:30 Uhr. Es geht los. Langsam rollt der chilirote Peugeot 207 auf die Autobahn in Richtung Dresden, im Kofferraum und auf der Rückbank voll beladen. Das Auto ist zehn Jahre alt und hat schon einiges hinter sich. 135.000 Kilometer, neue Bremsen, ein repariertes Kühlsystem und leicht abgefahrene Winterreifen. Und dazu 120 PS bei einer Maximalgeschwindigkeit von 190 km/h. Die Abschiedsgefühle vor dieser mehrmonatigen Fahrt schwanken zwischen Unwirklichkeit und Abenteuerlust. Nun ist es endlich so weit. Lang schwebte mir diese Reise vor. Mit dem eigenen Auto in Richtung Asien unterwegs zu sein, auf der Strecke, die einst als »Hippie-Highway« bezeichnet wurde und bis Bangkok führte. Allein. Ein(e) Beifahrer(in) wäre schön, aber wer hat schon so lange Zeit und auch noch das nötige Kleingeld dafür? Und überhaupt, mit Verbrennungsmotor und dann noch gen »Muslimistan«! Das Ziel heißt Indien und dann werde ich weitersehen. Mit Auto und Schiff nach Europa zurück? Nach Afrika übersetzen? Oder die Rückfahrt via Kirgisistan und Kasachstan einschließlich Russland wagen? Jetzt kommt erst mal das Dreieck Spreewald und der Peugeot biegt, einer langgezogenen Rechtskurve folgend, in Richtung Dresden ab. Die Elbmetropole »August des Starken« ist das erste Ziel heute. Im Drei-Sterne »Hotel Windsor«, altenglischer Stil, knarren die Dielen, dass man glaubt, der Nachbar stünde direkt im Zimmer. Dazu ein blütenweißes Doppelbett in der Mansarde, gleich unter dem Dach. Schräge Wände, an denen man sich schön den Kopf stößt. Aber Schwamm drüber! Die Freundlichkeit an der Rezeption und der Hinweis, dass draußen noch nie ein Auto geklaut worden sei, machen alles wieder wett.
27. Dezember 2019
Das Wetter drückt auf das Gemüt. Es herrscht trübseliges Grau in dunkelsten Schattierungen und die Wolken hängen tief. Sie können sich bei plus drei Grad kaum in der Luft halten. Und dazu noch der Wind. Aber der Peugeot springt tadellos an und schon klebt die erste Vignette an der Windschutzscheibe. »Fahr‘n Se erst mal zu den Tschechen rein und halten dann an der ersten Raststätte an!«, hat der Tankwart gestern in Dresden noch gesagt. »Da gibt‘s dann die Mautplakette! Oder geh‘n Se zum ADAC!« Aber der hat heute zu! Beim Geldwechsel von 20 Euro in 388 tschechische Kronen sitzt eine weibliche Schönheit hinter der Glasscheibe und lässt sich zu der Frage: »Change?« hinreißen. Eine Perle ohne Unterleib. Ihr langes, champagnerfarbenes Haar fließt glatt über beide Schultern, aber die Augen bleiben kühl, geradezu eisig. Geld schafft Distanz. Erinnerungen an Paloma werden wach, die ich in Dresden noch besucht habe. Weihnachtsgrüße und Zärtlichkeiten austauschen.
Wegweiser nach Teplice und Most ziehen an dem Reisenden vorüber, die Erinnerungen an frühere Urlaube wachrufen. Die Landschaft gleitet wellenförmig an dem Peugeot vorbei und der Tscheche pflegt einen ruppigen Fahrstil. Zu schnell, zu dicht und zu ungeduldig. Die Höchstgeschwindigkeit von 130 km/h auf der Autobahn ebnet die fahrige Getriebenheit aber schnell wieder ein.
Das Vier-Sterne »Hotel Vista« in Brno (Brünn) wirkt modern und verspricht Ruhe in einem geräumigen Zimmer. Einkaufen bei »BILLA« mit Fröhlichkeit an der Kasse. Es wird nach der Herkunft gefragt und von der Verkäuferin kommt beim Bezahlen ein lachendes »Danke« zurück. Als Alleinreisendem ist mir jede Unterhaltung stets sehr willkommen.
28. Dezember 2019
Im tschechischen Brünn lacht morgens die Sonne vom Himmel, aber es wird kälter. Bei null Grad ziehen Schneegriesel auf. Glücklicherweise bleibt nichts davon auf der Fahrbahn liegen. Bächlein schwatzen im frühen Morgenglanz, springen glitzernd und wispernd über die Wurzeln der Bäume hinweg.
Die Slowakei wartet mit ramponierten Straßen auf, aber die Dörfer sind lieblich anzusehen. Sie strahlen einen maroden Charme aus.
Ungarn gibt sich moderner und lässt auf den sprachlich Unkundigen ein Feuerwerk an Straßenschildinformationen einprasseln, bei denen man fast das Autofahren vergisst. Ellenlange Wortungeheuer wie »Mosonmagyaróvár« oder »Hegyeshalom«, die Orte bezeichnen, geraten dem Reisenden in den Blick. Dazu kommen noch Warnungen wie »Abstand halten«, »Seitenwind« und »Höchstgeschwindigkeit«, die auch gesehen werden wollen. Budapest rückt näher. Die Donau-Metropole zieht viele Erlebnishungrige in ihren Bann. Kaiserliche und königliche Reminiszenzen an die K & K-Monarchie, die seit 1867 zwischen Wien und Budapest bestand, lassen aufhorchen. Das »New York Palace Hotel« wird von Japanern belagert. Im hoteleigenen Café lässt man sich wie »Anno Dunnemals« in tiefrote Samtsessel fallen, plaudert über Belanglosigkeiten und ist in Streicheleinheiten verliebt. Draußen krümmt sich ein Bettler in einer windgeschützten Ecke zusammen und isst trockenes Brot. Ein anderer Hungerleider berührt, wie zum Gebet gebeugt, mit seiner Stirn den nassen Asphalt und streckt vorbeieilenden Passanten in einer demütigen Ergebenheitspose seinen Pappbecher entgegen. Vor McDonald‘s rutscht einem Youngster im Drogenrausch die Hose bis zu den Waden hinab und Eiseskälte fegt durch die Gassen. Budapest ist bei Jung und Alt beliebt. Es wird viel gestohlen und nach Liebe gelechzt.
29. Dezember 2019
Die Stadt erwacht in hellem Sonnenglanz. Budapest hat sich an diesem Sonntag hübsch gemacht und auch wieder beruhigt. Wenig Blaulicht, keine Martinshörner und kein wildgewordenes Hupen stören den nachweihnachtlichen Frieden. Mein Ziel heute heißt Belgrad. Raus aus der Europäischen Union und rein in das Reich der Serben. Wie schön war es doch gewesen, beim Reisen von einem Land ins andere keinen Pass vorzeigen zu müssen. Die Vignette, wahlweise auch elektronisch über das Smartphone zu buchen, ist bequem. In Serbien hält man noch an den altbekannten »Péage-Stationen« fest. Bei der Einfahrt ein Ticket ziehen und beim Rausfahren bezahlen. Fünf Euro für 150 Kilometer. Die brettflache Landschaft lädt wenig zu romantischem Träumen ein. Sich endlos dahinziehende Felder wecken Erinnerungen an die ehemalige DDR mit ihren Transitstrecken. Der Peugeot rollt einsam über holprigen Asphalt und draußen grüßen verfallene Dörfer herüber. Ein Mann steht, aufgeregt winkend, an der Autobahn und bittet darum, mitgenommen zu werden. Er stamme aus der Ukraine, sei selbst Fahrer und habe noch 700 Kilometer vor sich. Ihm sei auf der Gegenspur kurz vor Ungarn der Diesel ausgegangen. Er zieht einen Fünf-Liter-Reservekanister unter dem Mantel hervor, bedankt sich überschwänglich und möchte nach wenigen Kilometern an seinem Transporter herausgelassen werden. Die Landschaft wechselt bei einem Grad unter null ins Winterliche und die Glatteiswarnungen nehmen zu. Belgrad zeigt sich von Kriegsruinen verunstaltet, die wie faule Zähne in einem maroden Gebiss vor sich hin rotten. Aber das Zentrum ist festlich geschmückt. Lichterglanz spiegelt sich in fröhlichen Kindergesichtern und heiße Maronen werden überall verkauft. Lichtumflossener Budenzauber. Dazu verleihen Kostbarkeiten wie das Nationalmuseum und das Staatstheater der Innenstadt einen altehrwürdigen Glanz, der an Budapest denken lässt. Die Donaustädte eben, wo in Beograd die Save mündet. Im Sommer spielt sich das Leben draußen am Fluss ab, wo die Hitze erträglich ist. Mit der Freundin Musik hören und die Beziehung vertiefen. Im Winter ist man auf die Innenstadt angewiesen. Das Design-Hotel »Mr. President« hat sich in einer quirligen Gegend um den Busbahnhof herum angesiedelt. Feudales Entrée mit einem abgeranzten Zimmer. Die Fensterscheibe ist gesprungen und ein süßlich-modriger Geruch liegt in der Luft. Dafür hängt ein großes Gemälde von GANDHI an der Wand und das Auto auf dem bewachten Hotelparkplatz ist sicher vor Dieben aller Art!
30. Dezember 2019
Als Gratisgeschenk gibt es morgens düsteres Winterwetter bei minus drei Grad. Aber die Sonne soll noch kommen. Schnell hat es der Peugeot auf die E 75 geschafft, die nach Bulgarien führt. 400 Kilometer sind heute bis Sofia geplant. Und die Sonne hält, was sie verspricht. Das südliche Serbien zeigt sich von seiner schönsten Seite, ist aber von Armut geprägt. Oft verdient man hier nicht mal den Mindestlohn von 250 Euro im Monat. Der Peugeot fliegt durch eine verwaiste Landschaft. An diesem Montagmorgen vor Silvester sind kaum Lastwagen unterwegs. Gähnende Leere auf einer gut asphaltierten Autobahn. Die säuselnden 130 km/h bewirken eine Art Trance-Gefühl. Man möchte am Steuer fast meditieren. Dazu ein breites Tal mit in Reih‘ und Glied gepflanzten Weinstöcken. Die Berge, leicht mit Schnee bestäubt, glitzern wie in den Dolomiten, nur lieblicher und von Sanftmut rundgeschliffen. Nicht so schroff wie der »Watzmann« am Königssee mit seinen sieben Kindern oder der »Wilde Kaiser« mit seinen zackigen Graten. Serbische Dörfer schimmern beschaulich in der Morgensonne. Sie sind gerade erst aufgewacht. Der Anblick strahlt Ruhe und Zufriedenheit aus. Bis auf die Autobahn. Wer in Serbiens Süden geboren wurde, wird sich ein Leben lang daran erinnern. Es sieht hier aus wie in Italien. Das breite Etschtal südlich von Bozen. Aber Serbien ist ruhiger, weniger modern und doch recht hübsch. Textilarbeiterinnen bekommen hier gerade mal den Mindestlohn und Postangestellte müssen sich trotz eines langen Streiks mit 370 Euro im Monat zufriedengeben. Ein Arzt bringt es auf 700 Euro pro Monat. Wer kann, verlässt das Land und die Frauen bleiben alleine zurück. Die Autobahn, ein leergefegter Strich in der Landschaft. Einsamer Asphalt. Nach Nis rückt Bulgarien näher. Nur vorher noch das Wegegeld an der »Péage-Station« bezahlen. In den Häuschen sitzen hagere Serbinnen und nehmen lustlos Euroscheine entgegen. Der serbische Dinar sieht besser aus. Die serbisch-bulgarische Grenze wird wenig frequentiert. Trotzdem sind drei Fahrspuren geöffnet und jeder möchte die Richtige erwischen; d. h., der Schnellste sein. Die Grenzbeamten erfüllen ihre staatstragende Pflicht, geben sich distanziert und machen Dienst nach Vorschrift. Nur der Bulgare fragt mit meinem Pass in der Hand: »Single?« Und bekommt »It‘s only me!« als Antwort zurück. Einzelreisende sind hier eine selten anzutreffende Spezies. Nach der Grenze zeigt sich Bulgarien von seiner buckeligen Seite. Die Straße verläuft krumm und schief und bis Sofia wird sie fast eine einzige Baustelle sein. Über die Höchstgeschwindigkeit, die zumeist auf 50 km/h begrenzt ist, lacht das halbe Land. So etwas nimmt hier niemand ernst, auch nicht den Hinweis auf Radarkontrollen. Es gibt ja schließlich »Warn-Apps«, mit denen man sich vor unliebsamen Strafzahlungen schützen kann. Das Drei-Sterne-«Park-Hotel Vitosha« in Sofia bietet lauschige Zimmer mit Blick auf das gleichnamige Gebirge. Ein beliebtes Ausflugsziel vor den Toren der Stadt. Auch Julya schwärmt davon, die ich nachmittags kennenlerne und die mich mit ihrem jugendlichen Charme verzaubert.
31. Dezember 2019
Silvester! Der Tag, ein einziges Grau und minus sechs Grad. Beim Frühstück fallen junge Männer im Jogginganzug mit dem Logo »Egypt« auf. Alle fast zwei Meter groß, auch die Mädchen. Wahrscheinlich Basketballer zum Wettkampf in der EU. Um zehn Uhr klart der Himmel auf. Gefrorener Raureif glitzert in der Sonne. Die Temperatur steigt von minus sechs auf plus neun Grad an. Ein Hauch von Frühling liegt in der Luft. Noch für ein paar Stunden ist Plovdiv, die »Stadt der Maler«, Kulturhauptstadt 2019 und die Altstadt, eine der ältesten überhaupt, kann sich sehen lassen. Grobes Kopfsteinpflaster durchzieht steile Gassen, die von herausgeputzten Häusern flankiert werden. Kleine Museen, Kunstausstellungen und idyllische Minihotels lassen das Herz der Besucher höherschlagen. Wie woanders auch reist man hier mit dem Bus an und durchwandert das Gebiet. Widmet sich dem Objekt seiner Lust. Vorneweg schreitet ein altehrwürdiger Stadtführer von 200 Kilogramm Lebendgewicht mit langem, schwarzem Mantel und bunten Orden auf der Brust. Man könnte ihn auch »Gassen-Stolzierer« nennen. Sein schwarzer, breitkrempiger Hut schützt vor der blendenden Sonne und signalisiert, wer hier das Sagen hat. Missmut steht ihm ins Gesicht geschrieben. Die Stadt nach eigenem Gutdünken zu erkunden, liegt mir da näher. Das kleine Kunst-Museum von Atanas Krastev (1922-2003) beherbergt manche Kostbarkeit verschiedener Maler. Ein einziges Schmuckstück, das ganze Haus, und ich bin sein einsamer Gast, nur ein paar Meter von der Hauptbesichtigungsroute entfernt. Das alte Amphitheater aus römischer Zeit kostet umgerechnet zwei Euro Eintritt. An der Kasse sitzt eine liederlich gekleidete 50-Jährige mit gelbem Synthetik-Pullover und kaut auf ihrem Mittagessen herum. Die großen Löcher in ihren Ärmeln scheinen hier niemanden zu stören, ganz im Gegenteil. Sowas ist heute modern, nur nicht so schäbig und abgerissen. Auf meine Frage, ob man hier mit Kreditkarte oder in Euro bezahlen könne, kommt ein schnippisches »We are in Bulgaria here! Cash only in Leva!«. Also nur Landeswährung. Das Amphitheater ist gestrichen. Aber auch von der Straße aus kann man das Theater gut einsehen. Wer jemals in die Nähe von Plovdiv kommt, sollte diese Stadt besuchen. Die 8000-jährige (Kunst)-Geschichte, die älter ist als die von Rom und Athen, stellt zu jeder Jahreszeit ein lohnenswertes Ziel dar.
Zurück auf der Autobahn geht es jetzt Silvester entgegen. Goldglänzende Spätnachmittagssonne. Meine Befürchtung war, dass viele Bulgaren zum Jahreswechsel ihre Verwandten in der Türkei besuchen und sich der Verkehr an der Grenze staut. Schnell wird klar, dass es sich ganz anders verhält. Unter dem strahlenden Blau des Himmels ist der Peugeot fast allein unterwegs. Zeitweilig fühlt sich der bulgarische Asphalt so rau an, als stamme er von Hitler persönlich. Zum Glück kann man sich dann aber wieder über beste Straßenqualität freuen. Zu meiner Linken leuchten die Schneegipfel des Zentralen Balkangebirges herüber und rechts wird die Autobahn von den Rhodopen begrenzt. Der Peugeot schwebt mit 140 km/h sachte dahin. Ein Bremer Passat gesellt sich kurz zu ihm, dann kommt die bulgarisch-türkische Grenze. Bei einigen Lastwagen scheint es Unregelmäßigkeiten zu geben und auf der PKW-Seite stehen ganze drei Autos. Freundliche Zöllner wünschen viel Glück und haben keinen Nerv für die große Gepäckkontrolle. Kurz wird nach Elektronik gefragt und der Benzinkanister inspiziert, sonst nichts. An der ersten Poststelle (Ptt) bedauert man, keine e-Vignette ausgeben zu können. Das System sei gestern abgestürzt. Ich solle bitte 25 Kilometer weiterfahren, bis zur nächsten Autobahnraststätte. Davor liegt Edirne mit seinem Drei-Sterne »Balta Hotel« für 30 Euro die Nacht, incl. Frühstück. Dort will ich die Silvesternacht verbringen. Im nahegelegenen »Erasta-Zentrum«, einer modernen Shopping-Mall, kann man gut Geld wechseln und erste türkische Eindrücke sammeln, unter welchen neben strengen Kopftüchern auch bunte Miniröcke zu finden sind. Um Mitternacht wird kräftig geknallt, was nicht nur die Hunde erschreckt, wobei erstaunlich wenige Raketen zu sehen sind.
1. Januar 2020
In Edirne ist alles ruhig. Fast könnte man meinen, es sei ein ganz normaler Sonntag. Aber es ist Mittwoch und Neujahr. Zum Frühstück gibt es Linsen und etwas undefinierbar Frittiertes. Nicht Fisch, nicht Fleisch. Sieht aus wie Schnitzel, was hier natürlich nicht auf den Tisch kommt. Dann probiere ich noch Rührei mit Chili und zum Schluss soll es noch eines dieser zuckersüßen Kuchenstückchen sein, die an Bienenstich erinnern. Ach, was soll‘s! Nimm doch gleich zwei! Der Tag is‘ noch lang! Dazu noch eine Tasse schwarzen Tee, der schon lang im Samowar köchelt und bitter schmeckt. Der Zuckerkuchen stellt sich als salzhaltige »Eierschecke« heraus, die nicht so recht rutschen will. Mit leichter Verspätung bei plus zwei Stunden Zeitverschiebung geht es schließlich los. Eine Ptt-Postfiliale kommt in Richtung Istanbul nicht in Sicht und dann ist es so weit. Die elektronische Mautkontrolle der Autobahn tut sich vor dem Peugeot auf. »OGS«- und »HGS-Passage« wird auf großen Lettern angezeigt. Bei mäßigem Verkehr gibt es jetzt kein Zurück. Mehrere Einfahrten sind, wie bei einer normalen »Péage-Station«, möglich. Vor der Durchfahrt, über der in Riesen-Buchstaben »OGS« steht, wurde im Internet dringend gewarnt. Bloß nicht machen. Das ist ausschließlich für Leute mit »OGS«-Gerät. Die passieren den »Péage-Bereich« fast ungebremst und rechnen nicht damit, dass so ein »HGS«-Nobody im Weg steht, was schon zu schweren Unfällen geführt hat. Also vorsichtig auf die »HGS«-Schranke zufahren, die offen steht und grünes Licht signalisiert. Wahrscheinlich schaltet jetzt gleich alles mit einem schrillen Pfeifton auf Rot, wenn das elektronische Kontroll-System merkt, dass der Peugeot keine Vignette an Bord hat. Und weit und breit ist kein Mensch zu sehen, den man hätte fragen können. Langsam rollt der Peugeot auf die offene »HGS«-Schranke zu, die zu 30 km/h auffordert. Voller Erwartungsspannung passiert er die Einfahrt und auch in den Häuschen mit den kleinen Schiebefenstern sitzt niemand. Also die Luft anhalten, durchfahren und warten, was passiert. Und siehe da, es passiert nichts. Nach der Schranke steht rechts ein kleiner Flachbau, wo man sicher Hilfe bekommt und sich erkundigen kann. Nicht meine Schuld, dass die Vignetten-Elektronik gestern defekt war. Vor dem Haus steht ein Mann in orangefarbenem Overall mit roter Flagge in der Hand und winkt. Also anhalten. Der Mann ist vermummt. So kalt ist es nun auch wieder nicht! Es scheint sogar ein bisschen die Sonne an diesem Neujahrs-Morgen. Der Mann winkt und winkt, und irgendwann wird klar: Es ist eine Attrappe! Den Peugeot zieht es dennoch zu dem Flachbau hinüber, wo unvermittelt ein echter Mann mit einer roten Fahne in der Hand aus der Tür stürzt und wild gestikulierend zum Umdrehen auffordert. Das scheint hier die Fahrspur für die LKW-Waage gewesen zu sein. Also Rückwärtsgang einlegen und langsam davonfahren. Erst viel später kommt die Autobahnraststätte, wo eine junge Dame mit Sonnenlächeln »HGS«-Vignetten verkauft. 80 türkische Lira das Stück, was 13 Euro bedeutet. Cash only. »Vignette car window!«, ruft sie mir noch lachend hinterher, und der Neujahrsmorgen ist gerettet.
Alles läuft jetzt auf die Supermetropole Istanbul zu. Der Verkehr wird dichter und 20 Kilometer vor der Stadt tauchen die ersten Wohntürme auf. Stadtlandschaften in Beton gegossen. Meist als Ensemble vereint, müssen die 15 Millionen Menschen ja irgendwo hin. Dazwischen befinden sich kleinere Hausansammlungen. Mal jung und frisch. Mal ältlich und verfallen. Aber jede Gruppe immer in demselben Stil kreiert, dass man in der welligen Landschaft den Eindruck gewinnt, alles gehöre irgendwie zusammen. Die Großen passen auf die Kleinen auf. Autos wirken in diesem Wohnmaschinen-Kabinett wie bunte Spielzeuge. Mit Spiegelglas verblendete »Skyscraper« lassen an Amerika denken und man möchte sich nicht die Schäden vorstellen, die ein Erdbeben hier anrichten könnte. Eine solche Katastrophe war im August 1999 geschehen. Mit einer Momenten-Magnitude von 7,6 forderte es damals 18.000 Tote. Zuletzt hat Istanbul am 26. September 2019 gezittert. Bei einer Momenten-Magnitude von 5,7 starb ein Mann an einem Herzinfarkt. Schnell überquert der Peugeot die Bosporus-Brücke und ich kann das Schwarze Meer schon riechen.
2. Januar 2020
Nach der gestrigen Ankunft in Karasu stellt sich das Hotel »Elmas« als Glücksfall dar. Ganz in Meeresnähe gelegen, ist es mit einer Suitenähnlichen Ausstattung auch noch spottbillig. 16 Euro die Nacht, mit Frühstück. Dieses wird auf einem großen Tablett in Form von Omelett, Wurst und Käse, Gurken und Tomaten, gebratenem Fleisch und Süßigkeiten serviert. Dazu kommt noch schwarzer Tee, und die Reichhaltigkeit ist kaum zu überbieten. Das wissen auch die beiden Hunde draußen. Ein struppiger, deutscher Schäferhund. Kräftig von Statur und gutmütig im Umgang. Kein gefürchteter Raufbold. Der andere etwas kleiner, in schmuddeliges Weiß gehüllt. Eine Dame. Sie sind die Chefs um das Hotel »Elmas« herum. Nachts wird bei Streitigkeiten kräftig gebellt und auch mal herzhaft zugebissen. Der daraus folgenden Tagesmüdigkeit gebietet man mit einem kleinen Mittagsschläfchen Einhalt. Am besten direkt vor einer Metzgerei, um ja nichts zu verpassen. Falls entsprechende Gerüche in die Nase ziehen, ist man sofort hellwach. Für die Nacht steht eine alte Couchgarnitur vor dem Hotel bereit. »Schneeweißchen« räkelt sich darauf, die Schnauze tief unter der Vorderpfote vergraben, während ihr altdeutsches Pendant, der große Hundejunge, sich mit dem verschlissenen Korbsessel zufrieden geben muss, auf dem er sich zusammenrollt. Hunde sind in Karasu, ebenso wie Katzen, häufig anzutreffen. Sie streunen planlos herum und scheinen niemandem zu gehören. Die meisten sind gut genährt und verhalten sich friedlich. Nach Ende des Frühstücks fliegen übriggebliebene Wurst- und Käsescheiben aus dem Küchenfenster, was ganz ohne Reibereien abgeht und den Vierbeinern höchst willkommen ist, ja begeistert honoriert wird. Kein Knurren, Brummen oder Zähnefletschen kommt ihnen über die Lippen. Man kennt sich. Trotzdem will jeder der Schnellste sein und arbeitet auf eigene Rechnung. Und das Frühstück kann sich sehen lassen. Die weiße Hündin ist flexibler, wenn es um das geschickte Auffangen von Wurstscheiben geht. Vielleicht lässt ihr zotteliger Göttergatte ihr aber auch den Vortritt. Ich füttere beide durch das offene Schiebefenster des Frühstücksraumes hindurch, das direkt auf die Straße zeigt, und höre immer wieder das gierige Zuschnappen der Kiefer, egal ob bei Wurst, Fleisch oder Hüttenkäse. Man ist hier nicht wählerisch. Und überhaupt scheint der Türke ins Essen verliebt zu sein. Alle Nase lang begegnet einem ein Dönergrill, Adana-Kebab, Pide-Laden oder Börek-Salonu oder ein sonstiges Essensangebot kreuzt den Weg des Reisenden. Vom kleinen Drehspieß angefangen bis hin zum Nobelrestaurant gibt es hier alles, was das Herz begehrt, und das in einem Radius von 100 Metern zumeist in doppelter Ausführung.
Die Sonne hält sich tapfer an diesem ersten Werktag des Jahres und nach dem Geldwechsel steht ein Strandspaziergang an. Der kastanienbraune Sand wirkt wie weichgespült und sieht nicht übermäßig verschmutzt aus, wenn auch immer wieder Plastikmüll angeschwemmt wird, ebenso wie Knäuel alter Fischernetze und viele kleine Glasflaschen, die aus Apotheken zu stammen scheinen. Zwischendrin liegt ein toter Delfin, äußerlich unverletzt und über einen Meter lang. Beim Rumdrehen sieht man dann aber doch die schwere Kopfverletzung. Mittags kann man in der Sonne baden, die einem hier schon kräftig einheizt. Es ziehen immer wieder dicke Quellwolken auf und gegen Abend fängt es zu regnen an. Glücklich darf sich schätzen, wer jetzt ein schönes Zuhause hat, was es in Karasu häufig zu bestaunen gibt. Schicke Appartementwohnungen und schmucke Reihenhäuser mit liebevoll gestalteten Vorgärten, in denen Katzen herumtollen, sind keine Seltenheit. Hier lässt es sich leben.
3. Januar 2020
Nach dem Frühstück und einem Spaziergang an dem weiten Sandstrand, wo sich ein rabenschwarzer Krebs heillos in einem alten Fischernetz verfangen hat und befreit wird, beginnt die Küstenstraße. Anfangs noch als vierspurige Schnellstraße ausgebaut, ziehen Berg und Tal eilends vorüber und das Auge des Reisenden erfreut sich an einem gesunden Mischwald. Kahle Laubbäume teilen sich das Land mit immergrünen Kiefern und anderen Nadelbäumen. Waldeinsamkeit. In der Ferne kann man hohe Gebirge erkennen, die bis in tiefe Lagen mit Schnee bedeckt sind. Zeitweilig wirkt es wie in den Alpen oder wie in Südfrankreich. Links ruht das tiefblaue Meer, an dessen Küste sich beschauliche Dörfer schmiegen, und rechts ragen schroffe Felswände majestätisch gen Himmel. Gottes Granithäupter. Am Beginn mancher Bergpässe, die kurz und steil sind, wird auf Schneeketten verwiesen. Glücklicherweise hat es plus neun Grad und eine helle Sonnenpracht belebt die Landschaft. Trotz allem kommen in dem Peugeot-Fahrer Sinnlosigkeitsgedanken auf. Was soll so eine Reise eigentlich sein. Jeder Lastwagenfahrer kann seiner Tour mehr Bedeutung abgewinnen als so ein einsamer Alleinreisender mit seinem PKW. Die Frage, warum man sich auf so eine Tour begibt, fährt plötzlich mit. Heldenmut? Die Welt erkunden? Sich an ihren Wundern erfreuen? Herausforderungen bestehen oder lernen, mit sich alleine zurechtzukommen? Das könnten alles Ziele sein. Vielleicht einen Ort finden, an dem man länger verweilen möchte? Fast 3000 Kilometer hat der Peugeot nun schon zurückgelegt und es kommt mir vor, als wäre die Abreise erst gestern gewesen. Die Welt ist riesig und klein zugleich. Überall könnte Heimat sein und damit ein Gefühl von Ruhe und Geborgenheit einkehren.
Hinter Zonguldak geht es dann richtig los. Die breite Überlandstraße verwandelt sich in eine enge Bergpiste, die sich die Küste entlangschlängelt. Mehrmaliges Verfahren zerrt an den Nerven, besonders wenn man Bodenwellen übersieht und das Auto unten hart aufsetzt. Auch Schlaglöcher sind gefährlich, was zum Achsbruch führen kann. Nach zwei Stunden ist die Anstrengung überwunden und der Peugeot schnurrt wieder über eine breite Fernstraße in Richtung Amasra. Pünktlich zum Einbruch der Dunkelheit erreicht er das Drei-Sterne-Hotel »Diamond«, etwas verlassen an einem Hang gelegen, aber mit freundlichem Personal.
4. Januar 2020
Die nächste Etappe wird etwas länger werden. Es soll bis nach Sinop gehen. Da auf der Karte keine größeren Orte verzeichnet sind, kann ich kein Hotel vorbuchen. 300 Kilometer Küstenstraße. Eine der spektakulärsten Landschaften der Türkei. Es herrschen fünf Grad plus und Nieselregen. 30 km/h im Schnitt würden zehn Stunden Fahrtdauer bedeuten, was hieße, drei Stunden in Dunkelheit unterwegs zu sein. Das wünscht man hier niemandem, in dieser Berg-Einöde, da auch immer die Angst mitfährt, mit dem Auto könnte etwas sein. Eine Reifenpanne oder dass wirklich ein Unfall geschieht, in stockdunkler Nacht bei eisigen Temperaturen. Wehe, wenn hier der Winter einbricht, was die zahlreichen Hinweise auf Schneeketten durchaus als Möglichkeit erscheinen lassen. In Plovdiv hat die Museumsführerin noch gesagt, es hätte im Januar bisher immer Schnee gegeben. Nur die letzten zwei Jahre nicht. Die hiesige Landstraße zeigt sich nass und die Kurven sind eng. An diesem Samstagmorgen scheint die Türkei noch selig zu schlummern. Nur wenige Autos begegnen dem Peugeot und noch seltener ist ein Lastwagen oder ein Bus unterwegs, der die verstreuten Dörfer miteinander verbindet. Steile Berganfahrten sind nur über Serpentinen zu bezwingen und dann geht es wieder tief ins Tal hinab, wo man sich am Meer erholt. Eine Alpinfahrt mit Hindernissen und unzähligen Pässen. Bergab schont der erste Gang die Scheibenbremsen und zehn Prozent Gefälle sind fast zur Normalität geworden. Am Nachmittag geht die schroffe Bergwelt in liebliche Rundungen über, die Erinnerungen an die Voralpen wecken. An Ruhpolding oder an Reit im Winkel. Die D 010 wird hier breiter und führt direkt am Meer entlang. Jetzt beginnt wieder das Wettrennen gegen die Dunkelheit. Als das letzte Tageslicht gerade verlischt, erreicht der Peugeot das Drei-Sterne-Hotel »Sinop Antik«, wo ein Zimmer mit Meerblick und das sanfte Plätschern der Wellen das aufgewühlte Gemüt des Reisenden beruhigen.
5. Januar 2020