Hirn und Hupen - Vreni Frost - E-Book

Hirn und Hupen E-Book

Vreni Frost

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Beschreibung

Die Frau und ihr Körper, ihre Gesundheit, Psyche und Sexualität, ohne Tabus und falsche Scham – darüber sprechen Kawai und Frost in ihrem Buch. Von unerfülltem oder nicht vorhandenem Kinderwunsch genauso wie über weibliche Lust und Unlust, Körperwahrnehmung oder die »Datenlücke Frau« in der Medizin. Das Autorinnen-Duo will diese Themen zum selbstverständlichen Gesprächsstoff machen, getrieben von dem Wunsch aufzuklären, zu verbinden und zu stärken. Dabei erzählen sie unverkrampft und sehr ehrlich an eigenen Beispielen von Bodyshaming und Depression, Haarausfall und Regelbeschwerden. Fazit: Von A wie Altern bis Z wie Zyklus – wir müssen uns für nichts schämen.

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Bildnachweis:

Illustrationen Community-Icon, Hupen-Icon, Hirn-Icon: Heike Kmiotek, DüsseldorfIllustrationen Icon Miyabi Kawai und Vreni Frost: Buch-Werkstatt GmbH, Bad Aibling

Originalausgabe

1. Auflage 2023

Verlag Komplett-Media GmbH

2023, München

www.komplett-media.de

E-Book ISBN 978-3-8312-7139-9

Lektorat: Redaktionsbüro Diana Napolitano, Augsburg

Korrektorat: Elisa Garrett, Bayreuth

Umschlaggestaltung: FAVORITBUERO, München

Layout und Satz: Buch-Werkstatt GmbH, Bad Aibling

Dieses Werk sowie alle darin enthaltenen Beiträge und Abbildungen sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung, die nicht ausdrücklich vom Urheberrecht zugelassen ist, bedarf der vorherigen schriftlichen Zustimmung des Verlags. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Bearbeitungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Speicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen sowie für das Recht der öffentlichen Zugänglichmachung.

INHALT

WARUM DIESES BUCH?

WARUM HIRN UND HUPEN GANZ SCHÖN GEIL SIND

BIN ICH SCHÖN?

PUSSY POWER – REISE NACH NARNIA

SOLO SEXYTIME, SEXY SOLOTIME – SELBSTBEFRIEDIGUNG

MOPSPARADE – UNSERE BRÜSTE

TO MUM OR NOT TO MUM … – MUTTERSCHAFT

THERE WILL BE BLOOD – DER ZYKLUS

AT YOUR SERVICE – DIE WEIBLICHE SEXUALITÄT

MIT HAUT UND HAAR

WHAT THE HEALTH … – ERKRANKUNGEN VON FRAUEN

GAME OVER – DIE WECHSELJAHRE

LET’S GO MENTAL! – PSYCHISCHE GESUNDHEIT

WILL YOU STILL LOVE ME?

JA, WIR WOLLEN DIE UNGLEICHBEHANDLUNG! – GENDERMEDIZIN

UND NU?

DANKSAGUNG

WARUM DIESES BUCH?

Als Vreni und ich vor drei Jahren begannen, »Körperkram«, den Vorläufer unseres Podcasts »Hirn & Hupen«, auf Audible aufzunehmen, war es uns ein Anliegen, den weiblichen Körper und alles, was ihn betrifft, zu besprechen. Ohne Scham und Tabus.

Also redeten wir über unsere Brüste, den Zyklus, tauschten uns explizit über unsere Verdauung und unsere Orgasmen aus. Sprachen über Vrenis Depressionen, die Essstörung, das Borderlinesyndrom, die Sexualisierung unserer Körper, Migräne, fehlenden oder verpassten Kinderwunsch. Von Analfissur bis Zervixschleim, wie Vreni es so gern betont, ist alles dabei.

Wir mögen im Jahr 2023 leben, aber unsere Körper, ihre Funktionen, Eigenarten, Krankheiten und Belange werden nach wie vor tabuisiert, sind mit Scham behaftet, werden nicht oder kaum erforscht, im Alltag oder Berufsleben nicht berücksichtigt. Wie kann das sein, wo wir Frauen doch gut die Hälfte der Weltbevölkerung ausmachen? Wieso liegt so viel Scham auf unseren natürlichsten Körperprozessen? Warum ist Periodenblut eklig, aber in Filmen und Co splattert uns das Blut nur so entgegen? Dabei ist das Periodenblut mit das einzige, das nicht durch Gewalt austritt (okay, da kann man noch mal drüber diskutieren, wenn man bedenkt, was während des Zyklus mit uns passiert, aber dazu später mehr).

Kaum eine von uns wird genügend über den eigenen Körper aufgeklärt, weder in Schulen noch von den meisten Müttern oder in den Mainstream-Medien. Und so machen wir vieles mit uns selbst aus, denken, es stimme etwas nicht mit uns, wenn Ausfluss die Farbe in unserem Slip wegätzt, es untenrum juckt oder Flüssigkeit aus der Brustwarze läuft. Was davon komplett normal ist, was easy behandelbar und was hingegen vielleicht sogar lebensbedrohlich sein kann, wir ahnen es nicht. Wir wachsen auf mit einem genormten Bild, wie unsere Brüste auszusehen haben, symmetrisch und gleich groß, unsere Vulva eine perfekte, geschlossene Muschel, weil nur diese Varianten dargestellt werden, wenn überhaupt. Eine Erhebung des Portals Statista zeigt auf, dass der prozentuale Anteil der Intimkorrekturen sich seit 2020 verdoppelt hat.

Niemand spricht darüber, dass es während der Periode zu Durchfall kommen kann, welche Schmerzen »normal« und erträglich sind und das »Durchbluten« von Hosen schon jeder mal passiert ist. Wie viele Frauen wurden bei schlimmen Bauchschmerzen vom Arzt abgekanzelt mit »Das ist normal, nehmen Sie Buscopan Plus und ne Wärmflasche, dann geht es schon wieder«, bevor sie, meist Jahre später, endlich die Diagnose Endometriose bekamen. Nicht falsch verstehen, keine Frau freut sich über diese Diagnose, aber bestätigt zu bekommen, dass man tatsächlich etwas hat und wie man es behandeln kann, ist einfach Gold wert. Und ehrlich gesagt auch ein dicker Mittelfinger an alle, die einem vorher den Schmerz und dessen Relevanz absprechen wollten.

Wir wollen hier in diesem Buch zusammenfassen, wie es um unsere Körper steht, was die Mythen dahinter sind, was die Facts. Wir wollen aufklären, mit Tabus und falscher Scham aufräumen, unsere Geschichten erzählen und damit aufzeigen, dass nichts an unseren Körpern falsch oder ein Einzelschicksal ist. Nicht aus Expertinnen-Sicht, sondern als Frauen wie ihr, zwei unter vielen, denn auch wir lernen jeden Tag dazu. Das wollen wir ohne erhobenen Zeigefinger tun, aber ob wir den Mittelfinger immer rauslassen, können wir nicht versprechen.

WARUM HIRN UND HUPEN GANZ SCHÖN GEIL SIND

»Hirn und Hupen« – klingt nicht nur gut, sie sind auch ziemlich nice. Unser Hirn steht für Wissen, für Neugierde, für neue Informationen, für Emotionen und Gedanken. Die Hupen sind die weibliche Sicht auf das Thema Frauengesundheit, was leider noch zu wenig im Fokus der Öffentlichkeit ist. Vieles hier ist schambehaftet, dabei geht es um etwas ganz Erstaunliches, nämlich unseren Körper.

Auf Instagram haben wir euch darum gebeten, uns zu verraten, für was ihr euch schämt oder geschämt habt, euren Körper betreffend. Hier eine kleine Auswahl eurer Antworten:

»Als junge Erwachsene bin ich bei der Selbsterkundung meines Körpers auf meinen Muttermund gestoßen. Dieser kann unterschiedliche Formen haben und ist je nach Zyklustag mehr/weniger tastbar. Er fühlte sich zapfenförmig an, sodass ich dachte, das wäre ein kleiner Penis und ich keine echte Frau.«

»Ich war früher verunsichert, wenn nach dem Sex das Sperma wieder rauskam. Ich dachte immer, es bleibt einfach in mir.«

»Ich habe mich immer sehr für meinen Zervixschleim geschämt, ich wusste nicht, dass es normal ist.«

»Oft schäme ich mich dafür, dass ich ziemlich schnell wund werde und nach zu langem Sex Schmerzen habe. Mir reichen 5 Minuten vollkommen.«

»Ich leide unter Blasenschwäche. Wie die meisten Frauen in meinem Alter. Aber es spricht ja keiner drüber, was in den Wechseljahren mit einem so passiert.«

»Was mir lange peinlich war: Vaginapupse beim Sex. Wusste anfangs nicht, warum das passiert, aber es war mir jedes Mal so unfassbar peinlich, dass ich auch nicht weitermachen wollte. Erst als ich es gegoogelt hatte, war ich entspannter und konnte drüber lachen.«

»Ich wusste ewig nicht, dass frau, nachdem der Eisprung rum ist, bis zum nächsten Eisprung nicht schwanger werden kann. Warum erzählt einem das keiner bei der Aufklärung?! Das hätte mir ein paar Hormondröhnungen der Pille danach aus Panik erspart.«

»Ich habe lange gedacht, mit meinen Brustwarzen stimmt etwas nicht, weil ich Schlupfwarzen habe. Erst mit Anfang 20 habe ich gehört, dass es so etwas gibt, und konnte es dann besser einordnen und akzeptieren. Ich schäme mich aber immer noch dafür.«

»Ich wusste ewig nicht, was überhaupt bei meinem Zyklus alles passiert und vor allem, woran ich es bei mir selbst erkennen kann. Einmal im Monat waren die Tage da und die hatte man gefälligst selbst eklig zu finden und sich dafür zu schämen. Und dem Wann war man ohne Vorzeichen hilflos ausgeliefert.«

»Ich habe lange nicht verstanden, warum ich immer so eine erhöhte Darmaktivität und somit Durchfall bekomme, wenn ich meine Tage hatte. Hatte lange nicht verstanden, dass es zusammengehört und dass andere das auch haben. Ich nehme seit Längerem da kein Blatt mehr vor den Mund.«

All eure Erzählungen zeigen, warum wir dringend über unseren Körper und seine Vorgänge sprechen sollten. Auch mir war früher der Zervixschleim unfassbar peinlich, weil ich einfach keine Ahnung hatte, dass der Ausfluss völlig normal ist. Heute schäme ich mich für nichts mehr, was meinen Körper betrifft, und rede offen darüber. Einzige Ausnahme: meine Eltern. Ich komme ja aus einem Medizinerhaushalt, und da wird über alles gesprochen, was Krankheiten und den Körper betrifft, aber Sexualität, Selbstbefriedigung und Co haben wir jetzt nicht am Frühstückstisch besprochen – ganz im Gegensatz zu Stuhlkonsistenzen oder diabetischen Füßen (beides möchte ich nicht zwingend beim Essen besprechen). Meinen Eltern habe ich also verboten, dieses Buch zu lesen, weil mir einige Stellen vor ihnen peinlich sind. Lustigerweise könnte ich über genau dieselben Themen in einer Halle vor tausend Menschen sprechen, ohne jegliche Probleme. Aber so ist das oftmals mit den engsten Personen im Leben. Da ist man so nah und traut sich dann doch nicht, bestimmte Dinge zu besprechen. Kennen viele bestimmt auch gut aus Beziehungen.

Wenn wir aber Dinge ändern wollen, dann müssen wir über unseren Schatten springen und reden. Nur wenn wir Probleme benennen, Dinge in den Fokus rücken und aufzeigen, wie wir mit bestimmten Themen umgehen möchten, können wir etwas ändern.

Unser Buch ist nicht dazu da, um unsere Körperfunktionen oder bestimmte Krankheiten im Detail zu erklären. Dafür gibt es ganz großartige Sachbücher. Wir wollen allen Mut machen und ein Gefühl von Gemeinschaft vermitteln – und euch vor allem zeigen, dass ihr nicht allein seid.

Ihr findet im Buch immer wieder kleine Illustrationen: Das Gehirn zeigt euch, dass hier Fakten zu einem bestimmten Thema kommen. Die Hupen sagen euch, dass jetzt die weibliche Sicht gefragt ist. Und es gibt noch die Community, die uns ganz viel Realität vermittelt. Denn wir binden eure Geschichten regelmäßig hier mit ein. Wie bereits beim Podcast habt ihr uns auch hier als Community wahnsinnig unterstützt, und durch eure ehrlichen Geschichten wird dieses Buch erst komplett.

Wir schalten also jetzt das Hirn ein und schnallen die Hupen fest, denn nun gehts los auf die rasante Reise durch den weiblichen Körper. Frauengesundheit in die Front Row! Viel zu lange wurde über Dinge geschwiegen, wurde der Mann als Standard in der Medizin angesehen – was fatale Folgen für uns Frauen haben kann –, und es herrscht immer noch falsche Scham über ganz natürliche Dinge. Deshalb: Lasst uns gemeinsam Tabus brechen und endlich über all das reden, was wir tagtäglich mit unserem Körper erleben.

Let’s go!

PS: An dieser Stelle gehen noch liebste Grüße raus an Mama und Papa, die sich natürlich nicht an mein Verbot halten werden. Ich hab euch lieb.

BIN ICH SCHÖN?

»Körperwahrnehmung« – per Definition eigentlich das bewusste Lenken der eigenen Aufmerksamkeit auf den gesamten Körper, bestimmte Regionen und das Körperinnere. Das Ziel ist es, körperliche, geistige und emotionale Zustände bewusst wahrzunehmen, Signale zu erkennen und auf seine Bedürfnisse eingehen zu können. Ein Zustand, der ein gesundes Körperbewusstsein, Selbstbewusstsein fördert und Harmonie und Entspannung bringen kann.

Aber zu oft bleiben wir nur an der Oberfläche, haken uns fest an der äußeren Hülle, hadern mit ihr, definieren uns über sie, gefangen in einem Karussell ewiger Unzufriedenheit und ewigen Optimierungswahns. Doch wie bei einem Karussell führt die Reise nirgendwohin, wir drehen uns im Kreis. Uns wird schwindlig, wir verlieren den Fokus – und kommen nie an.

Und warum? Wir sollen nie ankommen.

Die Idee, schön, jung, schlank, genug zu sein und dann endlich im Einklang mit uns und der Welt zu leben, ohne Handbremse, ohne Unsicherheit, von der Gesellschaft und unserem Umfeld angenommen, ist ein Mythos. Und eine Industrie verdient Milliarden daran. Unsere Unzufriedenheit wird gefüttert, sie ist der Motor, der das Karussell am Laufen hält, die Kassen klingeln lässt. Und uns kleinhält. Denn eine Frau, die ständig mit sich kämpft, hat keine Energie mehr für andere Kriegsschauplätze. Spiel, Satz, Sieg fürs Patriarchat.

Das System hat Methode, der Kapitalismus treibt uns zu immer mehr und mehr Konsum und ist dabei so genial wie perfide. Wo sonst kann einem Produkt für Produkt angedreht werden, die allesamt nicht (oder nicht nachhaltig) funktionieren und trotzdem wieder und wieder gekauft werden?

Stellt euch vor, man würde euch ein Auto verkaufen und versprechen, es würde mit jedem Kilometer schöner, windschnittiger, schneller werden. Brav fahrt ihr es, pflegt es, wartet es, gebt ihm das richtige Benzin, und doch, nach anfänglichen Fortschritten, wird es mit der Zeit immer langsamer, fährt sogar rückwärts. Oder bleibt stehen.

Wer wäre dann schuld? Ganz klar, das Auto ist nicht in Ordnung, oder nicht? Stellt euch vor, ihr bringt es ins Autohaus zurück und der Verkäufer sagt euch, ihr hättet anderes Benzin nehmen müssen, besseres. Weniger. Und nur vor 18 Uhr tanken dürfen. Besser, ihr fahrt es gar nicht, sondern joggt nebenher. Wenn der Wagen stehen bleibt, joggt einfach auf der Stelle, jetzt gilt es durchzuhalten. Am besten ihr kauft noch ein zweites Modell dazu, plus Anhänger. Und mal was an eurer Einstellung ändern, denn nur mit positiven Gedanken fährt der Wagen auch vorwärts. Wenn überhaupt. Not gonna happen, right? Das Auto wärt ihr los, bevor der Verkäufer »Nur Gutschrift« rufen kann, Ihr wärt aufs Fahrrad umgestiegen und hättet auf eurem Weg raus noch mal freundlich mit dem Mittelfinger (da isser wieder!) gewunken.

Ganz anders, wenn es um unsere Körper, unser Aussehen geht. Die nächste überteuerte Anti-Cellulite-, Anti-Pickel-, Anti-Falten-Creme, die nicht hält, was sie verspricht, der nächste Diät-Shake, das nächste Ernährungsprogramm, das uns erst erzählt, Fett wäre der Feind, dann Zucker, dann Kohlenhydrate, dann die Kombination des einen mit dem anderen, die Uhrzeit, die Menge, irgendein Hormon, das den Stoffwechsel hemmt … Was auch immer es ist, funktioniert es nicht, suchen wir die Schuld bei uns. Wir haben versagt, mal wieder. Und setzen unsere Hoffnung in den nächsten Marketing-Coup.

Ich bin da ganz vorn mit dabei. Seit frühesten Teenagerjahren konsumiere ich Frauenmagazine, lese jeden Artikel über die neueste Diät, die aktuellen Beautytrends, Supermodels sind meine Vorbilder. Ich creme, färbe, schminke, frisiere, was das Zeug hält und mein Taschengeld hergibt. Und ich mache Diäten, die erste mit 14 Jahren. Mit Kleidergröße 34 und ohne jeglichen Leidensdruck. Weil es halt alle Mädchen machen und ich dazugehören, mitreden will. Damit setze ich schon früh eine Jo-Jo-Effekt-Spirale in Gang, die mich mein Leben lang begleiten und belasten wird.

Vreni traf es da wesentlich härter. Mobbing in der Schule und mangelndes Selbstbewusstsein trieben sie in die Magersucht. Hier ihre Geschichte:

Ich wollte auf Teufel komm raus dünn sein. Ich verschlang keine Mahlzeiten, sondern stapelweise Frauenmagazine – die bis heute falsche Körperideale zeigen. Ich schnitt mir Bildchen von Kate Moss und den damals klar magersüchtigen It-Girls Lindsay Lohan und Nicole Richie aus und klebte sie mir als Inspiration in ein Heft. Ich war süchtig nach Bildern von spindeldürren Models und Schauspielerinnen – Thinspiration nennt man das (ein Wortmix aus thin, also dünn und Inspiration).

Heimlich war ich Mitglied in einem Internetforum für sogenannte Pro-Anas. Pro-Ana bedeutet pro Anorexie. Ausschlaggebend dafür war eine Dokumentation über Pro-Ana, die ich im TV gesehen hatte. Gemeinsam mit anderen Mädchen tauschte ich mich in einem passwortgeschützten Bereich und nach einem ellenlangen »Aufnahmeverfahren« darüber aus, was wir heute alles nicht gegessen hatten, wir notierten akribisch jegliche Kalorie und klopften einander virtuell auf die Schulter, wenn jemand für den ganzen Tag unter 300 Kalorien blieb. Regelmäßig trainierte ich die gegessenen Kalorien auf dem Stepper oder Fahrrad wieder ab, um tatsächlich an manchen Tagen eine Null- oder sogar Minusrechnung zu haben. Jeden Abend löschte ich meinen Browserverlauf, damit mir ja niemand auf die Schliche kam. Niemand wusste von meinem Zweitleben im Internet Bescheid.

Ich stand in Umkleidekabinen und freute mich diebisch, wenn Größe 34 zu groß war. Genauso freute ich mich, wenn Freunde besorgt äußerten, ich sei zu dünn. Das war für mich die beste Bestätigung überhaupt. Ich fühlte mich anderen überlegen, einfach nur aufgrund des Fakts, dass ich spindeldürr war. Absurd! Und traurig.

Jahrelang stand ich dennoch nackt vor dem Spiegel und sagte: »Ich hasse dich.« Tatsächlich auch noch vor knapp 10 Jahren, aber damals trug ich keine Größe 34 mehr, sondern eine 42/44. Mein Essverhalten besserte sich mit Mitte 20, als ich meine erste Therapie machte. Mit 30 brach bei mir eine Autoimmunerkrankung aus, und ich habe über ein Jahr lang eine relativ hohe Dosis an Cortison geschluckt. Wer dieses Zeug schon mal einnehmen musste, der weiß, dass Cortison einen dicken Bauch und ein aufgequollenes Gesicht macht. Ich nahm also mehr als 20 Kilo zu.

Wenn man also täglich voller Selbsthass vor dem Spiegel steht, könnt ihr euch vorstellen, wie ewig es dauerte, bis ich wirklich auch selbst begriffen habe, dass ich mich ziemlich gut finde. Es sollten zehn Jahre vergehen, bis ich mich nicht mehr durch meine psychischen und physischen Einschränkungen stigmatisierte, sondern endlich als gesunde Frau betrachtete. Immer noch arbeite ich an mir und immer noch finde ich meinen Bauch an manchen Tagen dick und mag ihn nicht, aber ich mag mich.

Meine beste Freundin sagte einmal zu mir: »Vreni, es ist so abgefahren. Da hast du heute 3 Kleidergrößen mehr und bist so glücklich. Du hättest es vor zehn Jahren niemals, never ever für möglich gehalten, dass du mit so einem Körper so glücklich sein könntest.«

Ja, vor zehn Jahren war ich allerdings auch mit dem damaligen Körper nicht glücklich und das ist der entscheidende Punkt. Ich war damals so furchtbar auf die falschen Dinge im Leben fixiert, dass ich überhaupt keine Ahnung hatte, was Glück und Zufriedenheit bedeutet. Heute weiß ich, Schönheit liegt im Auge des Betrachters. Ich bin der Betrachter und ich habe die Power zu sagen: Ich bin schön. Das ist dann Gesetz. Mein Gesetz.

Ich bin schön. Mein Gesetz.

Das gefällt mir. Ich bin da noch nicht. Oder nicht mehr.

Irgendwann in meinen Teenagerjahren habe ich dieses Gefühl verloren und versuche seitdem, wieder Frieden mit meinem Körper zu machen. Dieser Prozess ist nicht abgeschlossen. Und wird es wahrscheinlich nie sein. In gewisser Weise habe ich richtig Glück. Ich rutsche ohne tiefere Traumata durch die Pubertät. Zumindest was mein Aussehen angeht. Sexualisierung, sexuelle Gewalt werden meine Themen sein, aber davon ahne ich erst mal noch nichts. Ich bin überdurchschnittlich schlank, überdurchschnittlich attraktiv. Ich bin schön ist mein Gesetz.

Unsympathisch meint ihr? Wir Frauen sind es ja gewohnt, uns eher kleinzumachen, um gemocht zu werden. Aber so ist es. Noch hat niemand an diesem Selbstverständnis gerüttelt. Ich bin schön, warum sollte ich es auch nicht sein? Dass ich weitestgehend dem gängigen Schönheitsideal entspreche, hilft. Ich starte aus einer privilegierten Position. Als weiß gelesene CIS-Frau, schlank und jung, ohne nennenswerte Hautprobleme oder Mobbingerfahrungen.

Außer einem kleinen Zwischenfall in der Umkleide und einem Schwimmbad-Ausflug, als die Mädchen aus der B-Klasse mir die nagelneuen Cowboystiefel klauen und mich dann, unbeschuht, einfach stehen lassen, bleibe ich verschont von Häme, Beleidigungen oder Hass.

Ich bin schön, nicht schöner als irgendjemand. Dass ich trotzdem demnächst ein Leben im ständigen Vergleich leben werde, ist noch weit weg. Aber der Einfluss einer Welt voller Werbebildästhetik beginnt schon auf mich abzufärben. Sie strahlt mir aus den Magazinen, Fernsehserien und Plakaten an der Bushaltestelle entgegen und nimmt mich zusehends in den Bann.

In der Retrospektive verstehe ich nicht, was zum Teufel mein f…ing Problem war, aber die ganze Pubertät über bin ich kreuzunglücklich. Ich verstehe mich nicht mehr. Und sehe mich als ein orientierungsloses Bündel voller Unzulänglichkeiten und Sehnsüchte. Obwohl kein Mobbing meine Selbstwahrnehmung ins Wanken bringt und meine äußeren Merkmale mir objektiv in die Karten spielen. Mich auf meinen Körper zu konzentrieren ist so viel einfacher, als den Blick nach innen zu richten, wo nur Verwirrung und Angst auf mich lauern.

Ich bin schön.

Das Gefühl gerät zunehmend ins Wanken, wird von einer Tatsache zur Frage, die ich immer weniger klar mit Ja beantworten kann. Dieses neue Gefühl ist diffus. Ich weiß nicht, woher es kommt, aber auf einmal ist es da. Und es nimmt mich ein. Plötzlich wird mir mein Äußeres bewusst. Überbewusst.

Nicht nur, weil mir, seitdem ich neun bin, die Brüste unaufhörlich wachsen. Nicht nur, weil ich mit fünfzehn, beim ersten Urlaub ohne Eltern, in Italien von einem Carabiniere die Auflage erhalte, mir ein T-Shirt über den Bikini und die Jeansshorts zu ziehen, und mir klar wird, dass mein Körper nicht mehr nur mir gehört. Man hat eine Meinung zu meinem Körper. Das verunsichert mich. Und ich werde fortan meinen Körper so betrachten wie alle anderen: von außen. Ich werde ihn bewerten und vergleichen.

Ich bin schön. Bis ich es plötzlich nicht mehr bin.

Die Jagd nach Anerkennung beginnt. Ich lerne schnell, dass Schönheit einen Wert hat in unserer Gesellschaft, sie birgt Privilegien, ist gerade für uns Frauen die Eintrittskarte. Dieses Verständnis von Schönheit wird nicht mehr durch mich bestimmt, meine Eigenwahrnehmung messe ich an der Reaktion der anderen. Ich will aussehen wie die Models in Werbung und Magazinen, die Stars in Hollywood, Popsternchen und später Influencerinnen, denn Schönheit scheint immer einherzugehen mit Erfolg, Bewunderung oder auch nur Akzeptanz. Alles, was nicht durch die »Schön gleich jung gleich schlank«-Schablone passt, findet nicht statt oder ist nur Randfigur. Aber ich will gesehen werden, ich will stattfinden. Ich bin schön, also bin ich. Schönheit ist eine Währung, und ich bin bereit einzuzahlen. Versuche, an einem Spiel teilzunehmen, das davon lebt, dass nicht alle mitspielen können, und uns in stetige Konkurrenz setzt. Denn nur so bleibt es exklusiv und begehrenswert. Und lukrativ.

Eine Influencerin auf Instagram stellte letztens einen bildlichen Vergleich auf, den ich als sehr treffend empfinde. Sie sagt, es ist ein bisschen so, als ob man alle Olympionikinnen nur in einer Sportart misst. Also die zarte Gymnastin, die Langstreckenläuferin und die Kugelstoßerin ins Schwimmbecken schubsen und gegen die Schwimmerin antreten lässt. Wer würde wohl gewinnen? Aber macht es die anderen Sportlerinnen weniger bemerkenswert?

Wir Frauen sind nicht nur »schön«, wir sind auch klug, begabt, analytisch, warmherzig, organisiert usw. Warum messen wir uns dann alle an einem Kriterium?

Ich weiß das alles. Aber wo stehe ich jetzt, knapp drei Jahrzehnte später, nachdem ich verlernt hatte, mich einfach ganz selbstverständlich schön zu finden?

Gefühlt noch immer am Anfang.

Obwohl ich weiß, wie sehr die Medien unser Bild von Schönheit verzerren, verspüre ich immer noch den Drang, mich einem unmöglichen Bodytype anzupassen, ich kann mich dieser Maschinerie nicht entziehen. Aber ich lerne dazu.

Fast 150 Kandidatinnen von »Schrankalarm«, meiner Umstylingsendung, die ich drei Staffeln lang auf VOX moderieren durfte, haben mich gelehrt, dass jede Frau, von der zwanzigjährigen Studentin bis zur 80-jährigen Rentnerin, unzufrieden mit sich und ihrem Aussehen ist.

Ein Leben in der Öffentlichkeit, mit Pressebildern und Social Media haben mich resilienter werden lassen. Ich weiß um die Blicke und die Beurteilung, denen nicht nur ich ausgesetzt bin.

Letztens erst war ich mit Vreni in einer Clubanlage auf Fuerteventura. Da trafen wir auf Ellen, eine rüstige Endfünfzigerin mit blondiertem, sorgfältig frisiertem Haar. Eine Frau, die noch an »gesunde Bräune« glaubt und an die Macht von Glitzeroberteilen. Im Gespräch erzählt ihr Vreni, dass ich mal eine Fernsehsendung moderiert habe, ob sie die kenne? Und Ellen kennt sie: »Die Sendung mit der Dicken und ihrem Lebensgefährten?« Während Vreni nach Luft schnappt, sage ich nur: »Jepp, genau. Die Dicke bin ich.«

Ellen ist dies sichtlich unangenehm. »Nein, das kann doch nicht sein! Ich hätte dich gar nicht erkannt. Du hast dich ja praktisch halbiert, sachma!« Und merkt dabei nicht mal, dass sie es damit sogar noch schlimmer macht.

So unsensibel Ellens Reaktion ist, ich werfe es ihr nicht vor. Ich weiß, dieser Blick ist gelernt. Ich sehe ihr an, dass sie sich auch selbst so betrachtet. Ich sehe, wie sie noch ein bisschen fester an ihrer Kippe zieht, wenn das Kuchenbuffet am Pool aufgebaut wird. Und ich finde diesen Blick in mir. Noch immer, wider besseren Wissens.

In den letzten Jahren habe ich mich viel mit der Thematik auseinandergesetzt, setze mich gegen Bodyshaming ein, engagiere mich in der Bodypositivity-Bewegung, designe Plus-Size-Kollektionen und durfte Schönheit in all ihrer Diversität und Bandbreite sehen und erleben. Und ich stehe komplett dahinter.

Bodypositivity bedeutet für mich Respekt. Nicht, was ich denke, was attraktiv ist. Nicht, was ich für »gesund« erachte. Meine Meinung zählt da herzlich wenig. Ich beurteile, ich verurteile nicht mehr. Ich vergleiche nicht mehr. Und ich habe so viel Schönheit mit diesem unvoreingenommenen Blick entdecken dürfen.

Aber bei mir, da klappt es einfach nicht. Meine eigene Körperwahrnehmung, der Blick auf mich selbst ist noch immer der meines verunsicherten fünfzehnjährigen Ichs an der Promenade in Süditalien. Dieser Blick ist so internalisiert, ich weiß gar nicht, wo er beginnt und ich aufhöre.

Was sich verändert hat, ist meine Haltung dazu. Ich versuche nicht mehr, diesen Blick loszuwerden. Ich bin zu sehr Kind dieser Narrative, dass schlank schön ist, dass jung schön ist, dass schön ein Wert ist. Intellektuell kann ich den Fehler erkennen, intuitiv beherrscht mich diese Denkweise. Ich lerne keinen Frieden, aber ich lerne Milde. Wenn mein Jo-Jo-Pendel wieder in die obere Skala ausschlägt, hasse ich mich nicht mehr dafür.

Selbstliebe ist dabei ein unverzichtbares Instrument für mich geworden. Wobei ich Selbstliebe nicht definiere als Schwärmerei oder Überhöhung. So wie ich Kaiserschmarrn oder Keanu Reeves liebe. Auf beide lasse ich nichts kommen (und nein, da diskutiere ich nicht!). An beiden ist alles toll, immer und ohne Ausnahme … ;)

So liebe ich mich nicht. Ich liebe mich, wie ich meine beste Freundin oder meinen Partner liebe. Ich mag sie nicht immer, sie gehen mir auch mal gehörig auf die Nerven, ich verstehe nicht alles, was sie tun. Aber ich halte ihre Haare, wenn sie sich die Seele aus dem Leib kotzen, ich küsse sie mit ungeputzten Zähnen und ich liebe sie auch, wenn sie doof oder unaufmerksam sind. Mir diese Liebe auch selbst entgegenzubringen, war ein Gamechanger. Ich betrachte mich noch immer, und wahrscheinlich für immer, durch die Brille der Gesellschaft, fühle mich wohler mit weniger Kilos, glatter Haut und vollem Haar. Aber ich messe nicht mehr meinen Selbstwert daran. Ich bin immer genug. Ich bin immer wertvoll. Ich werde immer geliebt. Von mir.

Das hat mir so viel geschenkt. Und zurückgeschenkt. Essen ist für mich nicht mehr nur Kalorien. Essen ist Geschichte, Kultur, Familie, Dankbarkeit. Essen kann Liebe zeigen, es kann einen Raum voller Fremder in Freunde verwandeln. Es kann uns trösten oder lang verloren geglaubte Erinnerungen zurückbringen.

Bewegung ist keine Strafe für vermeintlichen Exzess, es ist Fürsorge. Ich begegne nicht nur mir, sondern allen anderen mit mehr Nachsicht und Verständnis. Und Respekt.

Ich finde meine Cellulite nicht schön, sehe nichts Göttliches oder Heroisches an Dehnungsstreifen, betrachte mit Argwohn jede Falte, die sich tiefer in meine Haut gräbt, fluche über meinen Blähbauch. Ich creme, schminke, frisiere noch immer, was das Zeug hält. Aber ich sehe auch die Schönheit in der Weichheit meiner Kurven, meiner schweren Brüste, der Zartheit meiner Haut, der Wärme in meinem Blick.

Ich habe die Frage wieder zu einer Tatsache gemacht. »Bin ich schön?« ist wieder zu »Ich bin schön« geworden. Nicht mehr, nie mehr, eine Selbstverständlichkeit. Kein Gesetz. Aber eine Entscheidung. Die richtige. Für mich.