Historisch Vergleichen - Hartmut Kaelble - E-Book

Historisch Vergleichen E-Book

Hartmut Kaelble

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Beschreibung

Der internationale Vergleich ist Bestandteil der politischen Öffentlichkeit, aber auch ein etabliertes Forschungsinstrument in den Geschichts- und Sozialwissenschaften. In dieser Einführung, einer vollständigen Überarbeitung seines Standardwerks »Der historische Vergleich« (1999), gibt Hartmut Kaelble einen Überblick über die Definitionen des historischen Vergleichs, über die Intentionen und lebhaften Debatten, über die enge Verbindung von Vergleich und transnationaler Transferuntersuchung sowie über die neuen thematischen Richtungen in der geschichtswissenschaftlichen Vergleichsforschung. Anhand zahlreicher Beispiele zum 19. und 20. Jahrhundert gibt das Studienbuch Empfehlungen dafür, was man im historischen Vergleichen bei der Fragestellung, der Fallauswahl, der Quellen und des historischen Kontexts bedenken sollte. Nicht zuletzt zeigt es, wie man mit historischem Vergleichen andere Gesellschaften besser verstehen kann.

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Hartmut Kaelble

Historisch Vergleichen

Eine Einführung

Campus Verlag Frankfurt / New York

Über das Buch

Der internationale Vergleich ist Bestandteil der politischen Öffentlichkeit, aber auch ein etabliertes Forschungsinstrument in den Geschichts- und Sozialwissenschaften. In dieser Einführung, einer vollständigen Überarbeitung seines Standardwerks »Der historische Vergleich« (1999), gibt Hartmut Kaelble einen Überblick über die Definitionen des historischen Vergleichs, über die Intentionen und lebhaften Debatten, über die enge Verbindung von Vergleich und transnationaler Transferuntersuchung sowie über die neuen thematischen Richtungen in der geschichtswissenschaftlichen Vergleichsforschung. Anhand zahlreicher Beispiele zum 19. und 20. Jahrhundert gibt das Studienbuch Empfehlungen dafür, was man im historischen Vergleichen bei der Fragestellung, der Fallauswahl, der Quellen und des historischen Kontexts bedenken sollte. Nicht zuletzt zeigt es, wie man mit historischem Vergleichen andere Gesellschaften besser verstehen kann.

Vita

Hartmut Kaelble war von 1971 bis 1991 Professor für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte an der FU Berlin und von 1991 bis 2008 Professor für Sozialgeschichte an der HU Berlin. Von 1998 bis 2009 war er Mitdirektor des Zentrums (später: Berliner Kolleg) für vergleichende Geschichte Europas.

Inhalt

1.Einleitung

1.1 Veränderungen des Alltags

1.2 Politische Anstöße

1.3 Veränderungen in der Geschichtswissenschaft

1.4 Anmerkungen zur Neuauflage

2.Was ist ein historischer Vergleich? Definition und Forschungspraxis

2.1Nur in derselben Epoche vergleichen?

2.2Welche Räume vergleichen?

2.3Nur Unterschiede untersuchen?

2.4Nur wenige Vergleichsfälle?

2.5Vergleich nur in der Strukturgeschichte?

2.6Gesamtvergleich oder Spezialvergleich?

2.7Vergleich und auch Beziehungsgeschichte?

2.8Was ist das Geschichtswissenschaftliche am historischen Vergleich?

Exkurs: Der Vergleich zwischen Weltregionen

3.Welche Intentionen hat der historische Vergleich?

3.1Der analytische Vergleich

3.2Der aufklärende und urteilende Vergleich

3.3Der verstehende Vergleich

3.4Der historische Identitätsvergleich

4.Welche Debatten über den historischen Vergleich gab es?

4.1Die Debatten der 1960er bis 1990er Jahre: individualisierender und generalisierender Vergleich

4.2Die Debatten der 1990er Jahre bis 2010er Jahre: historischer Vergleich und transnationale Geschichte

4.3 Die Debatten der 2010er Jahren: ein anderer Vergleich?

5.Wie stehen historischer Vergleich und Beziehungsgeschichte zueinander?

5.1Warum Beziehungsgeschichte im historischen Vergleich?

5.2Begriffe

5.3Grenzen

5.4Historisches Vergleichen mit Transferuntersuchung

Historische Vergleiche weniger Fälle

Historische Vergleiche vieler Fälle

5.5Historischer Vergleich, Verflechtung, wechselseitige Bilder

Zusammenfassung

6.Wie bearbeitet man einen historischen Vergleich?

6.1Forschungsstand

6.2Die vergleichende Fragestellung

Gezielter Vergleich

Fragestellung und Vergleichsfälle

Fragestellung und Methode

Vergleichsansatz

Vergleichsintentionen

Fragestellung und intellektuelle Landschaft

6.3Die Wahl der Vergleichsfälle

Vergleichbarkeit des Untersuchungsgegenstands

Zahl der Fälle

Untersuchungszeitraum

Mikro- oder Makrovergleich

6.4Der historische Kontext

Kontexte von Unterschieden, Kontexte von Ähnlichkeiten

Kontexte bei internationalen Prozessen

Der lange historische Kontext

Kontext bei analytischem Vergleich, Kontext bei verstehendem Vergleich

6.5Die Auswahl der Quellen

7.Was leistete der historische Vergleich bislang?

7.1Zunahme oder Abnahme des historischen Vergleichs?

7.2Unterschiede zwischen einzelnen Ländern

7.3Ist die Europazentrik zurückgegangen?

7.4Wird der historische Vergleich in allen Themenfeldern praktiziert?

7.5Zusammenfassung

Literatur

1.Einleitung

Der Vergleich und dabei auch die Untersuchung von transnationalen Beziehungen sind heute etablierte Forschungsinstrumente in den Geschichtswissenschaften genauso so wie in anderen Geistes- und Sozialwissenschaften. Sie gehören zwar nicht zum Arbeitsalltag jedes Historikers, aber mehr Historiker als vor einem halben Jahrhundert machen von diesen Methoden Gebrauch. Dahinter stehen teils Veränderungen unseres Alltags, teils neue Entwicklungen in der Politik, teilweise aber auch Veränderungen in der Geschichtswissenschaft in den letzten Jahrzehnten.

1.1 Veränderungen des Alltags

Vergleichen ist allerdings weit älter. Europa ist schon in der Antike aus dem Vergleich mit anderen Kulturen entworfen worden. Internationale oder interkulturelle Vergleiche verstärkten sich seit dem 18. Jahrhundert mit der Zunahme des Reisens und der Reiseberichte und im 19. Jahrhundert weiter mit dem Aufbau von Statistiken, allmählich auch im internationalen Zuschnitt. Vergleichen stieß zwar immer auch auf strikte Ablehnung, auf das Festhalten an unvergleichbaren Besonderheiten von Orten, Ländern oder Zivilisationen. Diese Ablehnung gibt es bis heute. Das Vergleichen wurde aber gleichzeitig von der Zunahme des Wettbewerbs in einer Reihe von Lebensbereichen, nicht nur in der Wirtschaft, vorangetrieben. Es ist deshalb eigentlich erstaunlich, dass sich die Geschichtswissenschaft erst in den letzten Jahrzehnten intensiver mit dem historischen Vergleich beschäftigte. Aber ohne die lange Einübung des Vergleichens gäbe es heute keinen historischen Vergleich und auch nicht dieses Buch (aufschlussreich für die Geschichte der Praxis des Vergleichens: Steinmetz 2019; Epple/Erhart 2015; zu Europa vgl. zuletzt Kocka 2021).

In den vergangenen Jahrzehnten sind vor allem zwei weitere Anstöße für den Vergleich hinzugekommen. Die geographische Ausweitung der persönlichen Erlebnisräume ist eine erste solche Veränderung, die sich auch seit dem Erscheinen der ersten Auflage dieses Buches im späten 20. Jahrhundert weiter verstärkte. Im Alltag machen wir heute weit mehr Erfahrungen mit anderen Ländern als in der Mitte des 20. Jahrhunderts, vor allem durch Auslandsreisen, durch Ausbildung und Berufstätigkeit im Ausland, durch familiäre Verbindungen mit Menschen aus dem Ausland, auch durch ausländische Waren, Dienstleistungen und Medien im eigenen Land. Über große Entfernungen gereist wurde schon seit der Steinzeit, aber zu einer Normalerfahrung der großen Mehrheit der Bevölkerung wurden das Reisen und damit das erlebte Vergleichen erst in den letzten Jahrzehnten. Noch in den 1950er Jahren hatte nur rund ein Viertel der Bevölkerung der Bundesrepublik ein anderes Land durch Reisen und Auslandsaufenthalte unabhängig vom Krieg kennengelernt. Unter den jungen Europäern von heute kennt umgekehrt nur noch eine Minderheit andere Länder überhaupt nicht. Angesichts dieser breiten Erfahrung anderer Länder bleiben der internationale Vergleich und die damit verbundenen Beziehungen in der Geschichtswissenschaft nicht mehr eine exklusive Sichtweise von gelehrten Experten. Sie ist eine Alltagsperspektive geworden, mit der man sich entweder im Wettbewerb mit anderen Ländern im Sport, in der Wirtschaft, in der Bildung oder in der Gesundheit sieht oder andere Länder besser zu verstehen sucht.

Darüber hinaus hat sich der Vergleich auch jenseits der internationalen Dimension im Alltag in den vergangenen Jahrzehnten erheblich verstärkt. Das fortwährende Vergleichen von Konsumgütern und Dienstleistungen wurde ebenso zu einer Alltagsprozedur wie das Ranking von Städten, von Schulen und Universitäten, von Büchern und Autoren, von Unternehmen und öffentlichen Verwaltungen, von Krankenhäusern und Ärzten. Die Digitalisierung hat dieses Vordringen des Vergleichens im Alltag noch weiter beschleunigt.

1.2 Politische Anstöße

Vergleiche werden darüber hinaus häufiger aus politischen Gründen gezogen: Der Eindruck der wachsenden internationalen Verflechtungen, aber auch der Abhängigkeiten und der Konfliktausgesetztheit des eigenen Landes, ob zutreffend oder nicht, motiviert zum internationalen Vergleich. Ein rein nationaler Blickwinkel lässt diese Außenverflechtungen und äußeren Konflikte in Politik, Wirtschaft und Kultur außer Acht.

Von der Politik wurde der Vergleich mit anderen Machtzentren und Staaten ebenfalls schon immer betrieben, gleichgültig ob es sich um die Größe von mittelalterlichen Kirchen und Burgen, um die Pracht frühneuzeitlicher Höfe, um das Ausmaß der Kolonialimperien oder um politische Reformen im 19. Jahrhundert ging. In den letzten Jahrzehnten waren es vor allem internationale Organisationen, die den Vergleich stärker betreiben. Sie stellen Länder als Modelle für Reformen oder abschreckende Beispiele des Reformunwillens einander gegenüber, setzen ebenfalls oft das Ranking ein und mobilisieren dadurch Öffentlichkeiten. Die OECD erzeugte mit der PISA-Studie besonders viel Furore und erregte in einigen Ländern die Öffentlichkeit mit den von ihr vergebenen schlechten Noten für das nationale Bildungssystem. Die Europäische Union nutzt das Instrument des internationalen Vergleichs intensiv für ihre Politik der offenen Methode der Koordinierung, mit der sie ihre Empfehlungen und Leitlinien durch den Vergleich mit den besten politischen Lösungen unter den Mitgliedsländern untermauert. Die WHO setzte dieses Instrument zuletzt in der Corona-Pandemie ein. Der fortwährende Vergleich soll die Regierungen zu einer Politik der Nachahmung bewegen. Vergleiche und Untersuchungen transnationalen Austauschs wurden dadurch nicht nur häufiger, sondern auch politisch aufgeladener.

Der historische Vergleich bietet für aktuelle Debatten über die Herausforderungen der globalen Politik und Wirtschaft oft ganz neue Perspektiven, unabhängig davon, ob es eher um internationale Rivalitäten, um einseitige internationale Abhängigkeiten oder um verstärkte Zusammenarbeit in gemeinsamen supranationalen Institutionen geht. Ein Beispiel zu internationalen Rivalitäten: Die heutigen Beziehungen zwischen China und Europa erscheinen ohne historischen Vergleich in einem ganz anderen Licht als mit historischem Vergleich. Ohne historischen Vergleich erscheint der dramatische Aufstieg Chinas vom armen, hinter Europa weit zurückliegenden Dritte-Welt-Land zur zweiten wirtschaftlichen und politischen Weltmacht einzigartig und ziemlich rätselhaft. Im historischen Vergleich erscheint der Auftritt Chinas dagegen eher als ein Wiederaufstieg, nachdem China bis in das 18. Jahrhundert wirtschaftlich und wissenschaftlich im Vergleich mit Europa gleichrangig oder häufig sogar überlegen war. Mit einem solchen historischen Vergleich versteht man auch die chinesischen Erwartungen besser.

Ein zweites Beispiel zu internationalen Abhängigkeiten: Die Transfers von den USA nach Europa gerieten seit dem Aufstieg der USA zur Supermacht nach dem Zweiten Weltkrieg in die Diskussion auch der Historiker. Sollen diese Transfers seit den späten 1940er Jahren als kulturelle Säule des amerikanischen Imperiums angesehen werden, mit dem die USA immer mehr den europäischen Konsum, die europäischen Lebensweisen und Werte in ihre Abhängigkeit brachten? Oder standen die Zeichen, wenn man amerikanischen und europäischen Konsum vergleicht, vor allem seit den 1970er Jahren eher auf einen wechselseitigen Austausch und auf eine Verdichtung der Beziehungen zwischen den USA und Europa, angesichts der wachsenden Präsenz von europäischen Waren und Lebensstilen, europäischen Autos und europäischen Flugzeugen, europäischem Essen und Trinken, europäischen Discountern und Möbelketten in die USA? Ist es ein Anzeichen des Rückgangs einer europäischen Abhängigkeit, dass bis in die 1980er Jahre viele Ängste vor einer amerikanischen kulturellen Übermacht und einer »Cocacolaisierung« Europas geäußert wurden, etwa Ängste vor den Burger-Restaurants, obwohl es zahlreiche europäische Erfindungen von Schnellimbissen wie Wurstbuden, Dönerbuden, Crêperien, Pizzerien gab – und dagegen heute von der Digitalisierung, nicht von einer Amerikanisierung der sozialen Medien gesprochen wird, obwohl die Übermacht amerikanischer Firmen im Vergleich weit größer ist als einst mit den Schnellrestaurants? Solche Fragen lassen sich nur durch eine vergleichende historische Untersuchung von europäisch-amerikanischen Transfers und den Einstellungen zu diesen Transferprozessen beantworten.

Ein drittes Beispiel, diesmal zur internationalen Zusammenarbeit: Der historische Vergleich zwischen Frankreich und Deutschland, die heute politisch und wirtschaftlich eng verflochten sind, ruft in Erinnerung, wie groß die Kontraste zwischen beiden Ländern im 19. Jahrhundert und auch noch in der unmittelbaren Nachkriegszeit nach 1945 waren, wie sehr die politische und wirtschaftliche Verflechtung der beiden Länder seit den 1960er Jahren die europäische Zusammenarbeit erleichterten und wie anders die weiterhin bestehenden, oft durchaus produktiven Unterschiede in der längeren historischen Perspektive bewertet werden.

1.3 Veränderungen in der Geschichtswissenschaft

Historiker arbeiten heute auch deshalb mehr mit Vergleichen, weil sich die Geschichtswissenschaft in den vergangenen Jahrzehnten neue Aufgaben gewählt hat. Im 19. und frühen 20. Jahrhunderts sah die Geschichtswissenschaft ihre Aufgabe vor allem im Aufbau und der Verteidigung des Nationalstaats. Sie wollte nicht immer, aber in erster Linie der Stärkung des Nationalbewusstseins dienen, sammelte nationale historische Quellen und interpretierte sie oft mit Konzepten nationaler Überlegenheiten oder Unterdrückungen, Befreiungen, Siegen und Niederlagen. In den letzten Jahrzehnten traten dagegen andere Aufgaben und Motive in den Vordergrund. Historische Prozesse wie Demokratisierung und Diktaturermächtigungen, wirtschaftliche und gesellschaftliche Epochenveränderungen und Krisen, Kultur- und Werteumbrüche zu analysieren und den historischen Weg des eigenen Landes innerhalb dieser internationalen Wandlungsprozesse zu untersuchen, wurde vorrangig. Heutige Probleme durch den Blick in die Geschichte zu reflektieren und anders zu sehen, betrachten viele Historiker als ihre Aufgabe.

Historiker beschäftigen sich darüber hinaus zwar weiterhin oft mit der Geschichte von Identitätsbindungen, orientierten sich dabei aber auf zweifache Weise grundlegend um: Einerseits befassten sie sich nicht mehr primär mit nationalen Identitäten, sondern auch mit anderen historischen Identitäten der Region, der Stadt, der eigenen Kontinents, der Geschlechter, des sozialen Milieus, der Kirche, des Berufs, der Gewerkschaft oder des Unternehmens. Andererseits akzeptierten sie die von der Geschichtswissenschaft teilweise hervorgebrachten, mitgetragenen und veränderten Identitäten und Erinnerungsorte nicht mehr fraglos, sondern setzten sich mit ihnen auseinander und ordneten sie in den historischen Kontext ein.

Auch aus diesen neuen Aufgaben der Geschichtswissenschaft entsteht ein größeres Bedürfnis nach historischen Vergleichen, nach Vergleichen von fundamentalen historischen Wandlungsprozessen oder von aktuellen Problemen in der Geschichte ebenso wie nach Vergleichen der Erfindung und Umdeutung von Identitäten und Erinnerungsorten. Auch die Geschichte des Vergleichens als kulturelle und wissenschaftliche Praxis ist ein neues Thema für Historiker geworden.

Der historische Vergleich und die damit verbundene Untersuchung von Beziehungen sind schließlich auch weniger schwierig geworden. Das Internet bietet einen leichteren Zugang zu Publikationen über andere Länder. Zahlreiche neuere internationale Darstellungen über Institutionen und Statistiken eröffnen zudem einen besseren Zugang zum Vergleich. Internationale, oft binationale Doktorandenschulen, Auslandsstipendien für Studium und Forschung, internationale Gastprofessuren, ein ganzes Netz historischer Auslandsinstitute erleichtern das historische Vergleichen. Auch die Fremdsprachenkenntnisse und die Auslandserfahrung der meisten jungen Forscher liegen heute auf einem erheblich höheren Niveau als noch um die Mitte des 20. Jahrhunderts.

Ganz offensichtlich vergleicht nicht jeder Historiker. Auch dafür gibt es gute Gründe: Viele historische Fragestellungen kommen ohne Vergleich und Transferuntersuchung aus. Die Quellen, mit denen Historiker arbeiten, und der jeweilige Forschungsstand zu einem Thema des Vergleichs sind von Land zu Land oft verschieden. Das erschwert den historischen Vergleich. In manchen Themenfeldern muss auf Vergleiche wegen fehlender Quellen ganz verzichtet werden. Überdies meiden Historiker manchmal Vergleiche, weil sie durch die Grunderfahrung der enormen Unterschiede zwischen Epochen und Kulturen besonders sensibel sind für Gegensätze oder sogar die Unvergleichbarkeit von Strukturen, Institutionen, Mentalitäten, Werten, Sprache und Symbolen. Historiker haben deshalb oft besonders große Schwierigkeiten, Gemeinsamkeiten zwischen Gesellschaften zu sehen, ohne die Vergleiche kaum möglich sind. Schließlich sind sie gewohnt, so komplex wie möglich zu argumentieren, die Vieldeutigkeit eines historischen Gegenstandes zu erfassen und die Vielfältigkeit seiner Bedingungen und Ursachen zu verfolgen. Dieser antrainierte Blick für die Komplexität kann den Zugang zum Vergleich ebenfalls erschweren. Alle diese Gründe und dazu auch die unvermeidbar begrenzten Fremdsprachenkenntnisse schrecken nicht wenige Historiker vom Vergleich ab.

Der vorliegende Überblick soll den historischen Vergleich erleichtern, seine Vorzüge herausstreichen, seine Probleme aufzeigen, Lösungen vorschlagen und über die Praxis und die Erfahrungen beim historischen Vergleich informieren. Im Anschluss an diese Einleitung wird im zweiten Kapitel beschrieben, was unter historischem Vergleich verstanden wird und welche Schwerpunkte in der Forschungspraxis gelegt werden. Im dritten Kapitel werden die verschiedenen Intentionen des historischen Vergleichs behandelt, ihre Ziele geschildert, ihre Vorzüge und Probleme erörtert. Das vierte Kapitel behandelt die lange Debatte der Historiker seit den 1970er Jahren darüber, was ein historischer Vergleich ist und wie er aussehen sollte. Auch die älteren Debatten lohnt es sich zu vergegenwärtigen, wie sich zeigen wird. Das fünfte Kapitel befasst sich ausführlich damit, wie die Beziehungen zwischen den verglichenen Gesellschaften untersucht werden können und bislang untersucht wurden. Es ist inzwischen unbestritten, dass der historische Vergleich nicht nur gegenüberstellt, sondern auch Verflechtungen und Beziehungen verfolgt. Wie unterschiedlich der historische Vergleich mit der Untersuchung solcher Beziehungen in der Praxis verbunden wird, ist aber bisher kaum dargestellt worden. Das soll in diesem Kapitel geschehen. Im sechsten Kapitel werden die praktischen Anforderungen an den historischen Vergleich behandelt, die Schwierigkeiten vorgestellt und Lösungen vorgeschlagen. Das letzte Kapitel schließlich stellt die bisherigen Leistungen der vergleichenden Geschichtswissenschaft mit einem Überblick über die Häufigkeit, die Themenfelder und die Geographie von historischen Vergleichen in der europäischen und amerikanischen Geschichtswissenschaft dar. Eine Auswahlbibliographie vergleichender historischer Arbeiten schließt den Überblick ab.

Diese kurze Einführung in den historischen Vergleich ist für den Leser geschrieben, der sich grundlegend informieren will. Dem Studenten, der den historischen Vergleich bislang kaum kennt, wird ein Überblick über die grundsätzlichen Ziele und die neuere Entwicklung dieses Forschungsansatzes gegeben. Dem Forscher, der sich an eine vergleichende historische Untersuchung machen will, werden Anregungen für grundsätzliche Entscheidungen über die Konzeption einer solchen Arbeit gegeben. Dem Forscher, der selbst schon verglichen hat, erschließt das Buch die vergleichenden Arbeiten in anderen Themenfeldern und Ländern. Grundsätzlich soll diese Einführung die Vorzüge und Erfolge des Vergleichs herausstellen, ohne seine Schwierigkeiten zu verharmlosen oder Illusionen über seine Verbreitung zu wecken. Sie möchte vor allem den Zugang zum historischen Vergleich erleichtern, Skepsis und Hemmungen ihm gegenüber abbauen, den manchmal einseitigen Blick für die Schwierigkeiten eines Vergleichs korrigieren und ihm als Methode der Geschichtswissenschaft weitere Anerkennung verschaffen.

1.4 Anmerkungen zur Neuauflage

Diese Einführung ist in erster Auflage 1999 erschienen. Seit damals haben sich nicht nur die Kontexte für Vergleich und Beziehungsuntersuchungen verändert. Auch die Stellung des historischen Vergleichs in der Geschichtswissenschaft ist nicht mehr dieselbe. Der historische Vergleich besaß in den 1990er Jahren noch immer den Charme des Neuen und des Aufbruchs. Heute ist er etabliert. Die Verbindungen der vergleichenden historischen Forschung mit anderen Disziplinen, vor allem der Politikwissenschaft und der Soziologie, waren am Ende des 20. Jahrhunderts noch erheblich enger. Amerikanische Forscher spielten im historischen Vergleich eine größere Rolle. Der historische Vergleich war europazentrischer. Gleichzeitig begann damals schon die Kritik am historischen Vergleich, die im ersten Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts noch erheblich stärker wurde. Die transnationale Geschichte etablierte sich inzwischen. Sie konzentrierte sich auf grenzüberschreitende Transfers von Menschen, Wissen und Waren, stand dem Vergleich häufig skeptisch gegenüber, erwähnte ihn teilweise sogar überhaupt nicht mehr. Es geschah daher viel mit dem historischen Vergleich in den vergangenen zwei Jahrzehnten.

Als der Campus Verlag an mich mit dem Vorschlag einer Neuauflage herantrat, zögerte ich deshalb. Lange zwanzig Jahre Abstand zwischen einer ersten und einer zweiten Auflage stimmen erst einmal bedenklich. Aber da kein zweiter kurzer Überblick zu diesem Thema vorliegt oder, soweit ich weiß, im Entstehen begriffen ist, entschloss ich mich zu einer Neuauflage und glaube, mit sieben Veränderungen die Distanz zur ersten Auflage überbrücken zu können: eine aktualisierte Einleitung, die umzuschreiben für den Autor selbst eine wichtige Erfahrung war; eine erweiterte Definition des historischen Vergleichs; ein neuer Abschnitt zur Debatte über den historischen Vergleich während der letzten zwanzig Jahre; ein neues Kapitel über historische Transferforschung in Verbindung mit historischem Vergleich; ein anderes, neues Kapitel über die Erfolge des historischen Vergleichs, das sich nicht mehr auf Sozialgeschichte beschränkt, sondern sich generell mit Geschichtswissenschaft befasst; und schließlich die Einarbeitung vieler neuer Vergleichsstudien, ohne die Vergleiche der 1970er und 1980er Jahre völlig über Bord zu werfen. Fast zwei Drittel des Buches wurden daher neu geschrieben und die anderen Teile gründlich durchkorrigiert. Der etwas andere Titel und das andere Cover sollen das ebenfalls ausdrücken.

Für Diskussionen und viele wichtige Anregungen bei der Vorbereitung dieser Neuauflage danke ich den Teilnehmern des Kolloquiums des Bielefelder Sonderforschungsbereichs »Praxis des Vergleichs« und den Teilnehmern meines Kolloquiums an der Humboldt-Universität zu Berlin, zudem Christophe Charle, Angelika Epple, Heinz-Gerhard Haupt, Jürgen Kocka, Barbara Potthast, Hannes Siegrist und Béla Tomka. Dem Lektor des Campus Verlags, Jürgen Hotz, danke ich für seine volle Unterstützung. Christoph Roolf bin ich für die Lektorierung des Manuskripts dankbar.

2.Was ist ein historischer Vergleich? Definition und Forschungspraxis

Unter einem historischen Vergleich versteht man im Allgemeinen die explizite und systematische Gegenüberstellung von zwei oder mehreren historischen Gesellschaften, um Gemeinsamkeiten und Unterschiede, Annäherungen und Auseinanderentwicklungen zu erforschen. Verglichen werden Orte, Regionen, Staaten, Zivilisationen, Institutionen, Prozesse, Aufstiege oder Niedergänge ganzer Gesellschaften, Umbrüche oder Revolutionen, Ereignisse oder Persönlichkeiten. Der Vergleich stellt häufig die Vergleichsfälle nicht nur einander gegenüber, sondern verfolgt auch die Beziehungen zwischen ihnen, die Austauschbeziehungen und Verflechtungen ebenso wie die Bilder der Zeitgenossen von dem jeweils anderen, verglichenen Fall.

Zu den Zielen eines Vergleichs gehören entweder die Erklärung der vorgefundenen Unterschiede und Gemeinsamkeiten oder ihre Typisierung. Erklärung und Typisierung haben verschiedene Ziele: Die Erklärung sucht normalerweise nach Ursachen für Unterschiede und für Gemeinsamkeiten aus einem größeren gemeinsamen Zusammenhang heraus. Die Typisierung behandelt eher die unterschiedliche innere Logik der gleichen Phänomene in verschiedenen Gesellschaften und lässt damit ihre Besonderheiten verständlicher werden.

Diese Definition des historischen Vergleiches ist üblich und allgemein akzeptiert (Haupt/Kocka 2009; Welskopp 2010; Siegrist 2003; Haupt 2001; Detienne 2009; Arndt/Häberlen/Reinecke 2011; Azarian 2011). Es gibt wenig grundsätzliche Diskussionen darüber. Seitdem das Nachdenken über die Prinzipien des historischen Vergleichs in den 1920er Jahren mit Marc Bloch, Otto Hintze und Henri Pirenne intensiver wurde, gibt es auch keine fundamentalen Umbrüche im Grundverständnis. Schon für Marc Bloch bedeutete Vergleichen eine Erweiterung und Schärfung des Instruments des historischen Verstehens und Erklärens, um »Ähnlichkeiten und Unterschiede festzustellen und diese so weit wie möglich zu erklären« (Bloch 1994: 122, 138 ff.). Otto Hintze erblickte im historischen Vergleich auch die Chance, »ein Allgemeines zu finden, das dem Verglichenen zugrunde liegt«, oder den historischen Gegenstand »in seiner Individualität schärfer zu erfassen und von dem anderen abzuheben« (Hintze 1964: 251). Auch die Verflechtungen zwischen den verglichenen Gesellschaften waren von Anfang an im Blick des historischen Vergleichens. Am ergiebigsten erschien 1928 Marc Bloch der Vergleich von »Nachbargesellschaften in derselben historischen Epoche, die sich ununterbrochen gegenseitig beeinflussen« (Bloch 1994: 125). Mit diesem Verständnis des Vergleichs unterscheidet sich darüber hinaus die Geschichtswissenschaft generell nur wenig von anderen sozialwissenschaftlichen Disziplinen und auch nicht von der erwähnten, bereits älteren Verwendung des Vergleichs. John Stuart Mills viel zitierte Unterscheidung zwischen dem diskriminierenden und dem parallelen Vergleich hob in den 1840er Jahren genauso auf die Untersuchung von Unterschieden und von Gemeinsamkeiten ab.

In der Praxis des Vergleichs der Historiker blieb es freilich nicht bei dieser allgemeinen Definition. In acht Richtungen kristallisierten sich in der vergleichenden Forschung Einschränkungen, manchmal auch Ausweitungen heraus. Diese Modifikationen in der Praxis sind nicht von so grundsätzlicher Art, dass man sie in die Definition des historischen Vergleichs aufnehmen müsste. Trotzdem ist es wichtig, diese Praxis zu kennen, da man sie aus der bloßen Definition nicht erschließen kann und sie sich auch ändert. Diese Kenntnis der Praxis hilft weiter, wenn man einen Vergleich plant und dabei mehr über die Fragen wissen will, die sich bei einem vergleichenden Forschungsvorhaben stellen.

Es geht darum, wie stark sich vergleichende historische Forschung (1) in der Zeit und (2) im Raum einschränkt; (3) ob der historische Vergleich sich vorrangig nur mit Unterschieden, mit Auseinanderentwicklungen und Annäherungen oder auch mit Gemeinsamkeiten und gemeinsamem Wandel befasst; (4) ob der historische Vergleich immer nur wenige historische Vergleichsfälle behandelt oder auch viele Fälle erfassen kann; (5) ob der historische Vergleich nur in der Strukturgeschichte oder in allen Themenfeldern verwendet werden kann; (6) ob sich der gründliche historische Vergleich besser auf spezielle Themen konzentriert oder ob ganze Gesellschaften, also ganze Städte, ganze Regionen, ganze Länder oder sogar ganze Zivilisationen, verglichen werden können; (7) ob sich der historische Vergleich auf die Gegenüberstellung der Vergleichsfälle einschränkt oder auch die Beziehungen zwischen den historischen Vergleichsfällen behandelt; und (8) schließlich was man unter einem geschichtswissenschaftlichen Vergleich versteht und wie scharf die Grenzen zu anderen Sozial- und Kulturwissenschaften gezogen werden.

Dabei sollte hinzugefügt werden, dass sich die Grenzen zwischen Vergleich und Nicht-Vergleich nicht immer scharf ziehen lassen. Zahlreiche Bücher – über internationale Themen wie beispielsweise die Revolution von 1848 oder über Kapitalismus oder über die Weltkriege oder den Kalten Krieg – präsentieren sich nicht als Vergleich, streuen aber immer wieder Vergleiche in ihre Darstellung ein. Sie mussten in dieser Einführung meist unberücksichtigt bleiben. Sie sind allerdings kein Zeichen für verbreitete Berührungsängste der Historiker mit der Methode des Vergleichens, sondern zeigen eher, wie verbreitet diese Methode in der Geschichtswissenschaft inzwischen ist.

2.1Nur in derselben Epoche vergleichen?

Eine erste Einschränkung betrifft die Zeit, also eine für den Historiker besonders wichtige Dimension. Vergleiche werden normalerweise in derselben Epoche angestellt. Vergleiche zwischen verschiedenen Epochen des gleichen Landes, auch Vergleiche zwischen verschiedenen Generationen, Alterskohorten, zwischen Alten und Jungen desselben Landes werden normalerweise nicht als historischer Vergleich angesehen. Nicht nur die Historiker, sondern auch die sozialwissenschaftlichen Gegenwartsdisziplinen bezeichnen das nicht als Vergleich, sondern in der Regel als Untersuchungen von sozialem Wandel, von Umbrüchen, Revolutionen oder Reformen, obwohl sie in der Methode dem historischen Vergleich stark ähneln. Die Gegenüberstellung einer Region in Baden mit einer benachbarten Region im Elsass in der Zwischenkriegszeit würden wir somit als historischen Vergleich ansehen, den Vergleich dieser badischen Region im Nationalsozialismus mit derselben Region in der Nachkriegszeit hingegen nicht. Auf den ersten Blick wirkt das willkürlich.

Bei näherem Hinsehen ähneln sich nämlich der Vergleich zwischen historischen Räumen und die Gegenüberstellung von historischen Epochen stark. Die Ähnlichkeiten und Unterschiede zwischen zwei oder drei historischen Epochen zu untersuchen ist die gleiche gedankliche Operation, wie die Kontinuitäten und Umbrüche zwischen zwei oder drei Epochen zu verfolgen. Auch die später noch eingehend diskutierten Transfers von Personen und Institutionen beim Vergleich zwischen zwei historischen Räumen (vgl. Kapitel 5) haben ihre Entsprechung in den Kontinuitäten von Personen und Institutionen zwischen verglichenen Epochen. Das Eindenken in Fremdes stellt sich bei einem entfernten Raum ähnlich dar wie bei einer zeitlich entfernten Epoche.

Warum nennen Historiker trotzdem Gegenüberstellungen im Raum in der Regel Vergleich, Gegenüberstellungen von Epochen in der Regel nicht? Warum betonen sie diesen Unterschied so stark? Offensichtlich sehen sie die Geschichte eines Raumes, also eines Ortes, einer Region oder eines Landes, und damit auch die Verfolgung von Kontinuitäten und Epochenumbrüchen als das ureigenste Untersuchungsobjekt von Historikern an, viel mehr jedenfalls als den Vergleich verschiedener Räume. Nur so erklärt es sich, dass es als ganz unproblematisch gilt, in der Geschichte eines Ortes ganz unterschiedliche Epochen miteinander zu vergleichen, etwa das bedeutungslose mittelalterliche Landstädtchen Berlin mit der heutigen Millionenstadt, während ein Vergleichen zwischen einem kleinen Städtchen und einer Großstadt in derselben Epoche, also ein räumlicher Vergleich, in der Regel auf wenig Verständnis stoßen würde. Ein zweiter Grund: Das Unterscheiden zwischen Epochen und die Erfindung von Begriffen wie Altertum, Mittelalter, Neuzeit, Humanismus oder Aufklärung gehen auf ganz andere intellektuelle Traditionsstränge zurück als die ähnlich lange Geschichte des Vergleichens. In der prägenden Entstehungszeit der modernen Geschichtswissenschaft erhielt das Unterscheiden zwischen Epochen einen höheren Wert. Epochen wurden als »unmittelbar zu Gott« (Leopold von Ranke) angesehen, während der Vergleich nie solche höheren Weihen erhielt. Auch daraus erklärt sich, warum Historiker in ihrer Sprache beim Vergleich vor allem an den räumlichen Vergleich denken. Diese Verwendung des Begriffes »Vergleich« bei Historikern ist daher vielleicht nicht logisch, aber doch erklärbar.

Ganz konsequent ist die Forschungspraxis in dieser Einschränkung des historischen Vergleichs in der Zeit allerdings nicht. Zwar wird überwiegend in derselben Epoche verglichen. Es gibt aber zwei wichtige Ausnahmen.

Die erste, recht häufige Ausnahme vom Vergleich in derselben Epoche: Vergleiche von gleichartigen Ereignissen oder des gleichen Prozesses in verschiedenen Epochen. Sie waren schon Teil des Repertoires des klassischen historischen Vergleichs. Max Webers Vergleich der Stadt in verschiedenen historischen Zivilisationen zu unterschiedlichen Zeiten, im alten Ägypten, in der arabischen Welt, in Indien, in China und Europa ist ein klassisches Beispiel eines Vergleichs verschiedener Epochen. Die klassischen Vergleiche von Revolutionen, der englischen Revolutionen des 17. Jahrhunderts, der Französischen Revolution von 1789, der europäischen Revolutionen von 1848, der russischen Revolutionen von 1905 und 1917 und der Revolution von 1989 sind ebenfalls historische Vergleiche in verschiedenen Epochen. Der Vergleich von Kriegen und die Thesen vom Rückgang von Kriegen und von der Veränderung des Charakters von Kriegen behandeln ebenfalls verschiedene Epochen, genauso wie der Vergleich von ethnischen Säuberungen. Auch der Diktaturvergleich zwischen der UdSSR, China und dem kommunistischen Osteuropa oder dem Franco-Regime und den lateinamerikanischen Diktaturen der 1960er bis 1990er Jahre oder der Diktaturen in Deutschland, dem NS-Regime und der DDR, in jüngster Zeit auch der Vergleich mit früheren Epidemien, sind zentrale Themen des historischen Vergleichs von verschiedenen Epochen (Weber 1921; Tilly 1993; Deutsch 1957; Langewiesche 2019; Münkler 2004; Ther 2011; Naimark 2016; Kocka 1993: 24 ff.; Hürter/Wentker 2019). Schließlich werden auch häufig Persönlichkeiten aus verschiedenen Epochen miteinander vergleichen, etwa Karl V. mit Napoleon oder Napoleon mit Hitler.

Die zweite, seltenere Ausnahme ist der sogenannte zeitversetzte Vergleich, in dem die verglichenen Fälle zu verschiedenen Epochen gehören. Ein Vergleich zwischen Gesellschaften in derselben Epoche kann problematisch sein, wenn sie sich in ganz unterschiedlichen Entwicklungsstadien befinden und beispielsweise die eine vor der Industrialisierung, der Nationenbildung oder der Demokratisierung steht, die andere dies hingegen schon erreicht hat. Wenn Themen verglichen werden, die eng mit solchen Entwicklungen zusammenhängen, kann ein zeitversetzter Vergleich sinnvoller sein. Ein Vergleich der Industriellen Revolution in England und Deutschland oder der Alphabetisierung in Schweden und Süditalien oder der Anfänge der staatlichen Sozialversicherung in Großbritannien und den USA wird normalerweise ein Vergleich in verschiedenen Epochen sein. Solche zeitversetzten Vergleiche sind aber nur bei präzise fassbaren Entwicklungsunterschieden sinnvoll. Sie haben auch Nachteile, denn sie müssen vor allem auf den gemeinsamen breiteren Epochenkontext verzichten, auf den sich Vergleiche in derselben Epoche beziehen können. Trotz dieser gewichtigen Ausnahmen überwiegt der Vergleich in derselben Epoche.

2.2Welche Räume vergleichen?

In der räumlichen Dimension wird in der Praxis häufig eine zweite, gewichtige, allerdings angreifbare Einschränkung des historischen Vergleichs vorgenommen. Darauf muss etwas länger eingegangen werden. An sich haben die Historiker ebenso wie andere Kultur- und Sozialwissenschaftler die Wahl, zwischen verschiedenen Räumen zu vergleichen: zwischen Weltregionen wie etwa Europa, Afrika, Lateinamerika, Ostasien oder Südostasien; zwischen Staaten, die oft, aber nicht nur Nationalstaaten waren; zwischen Regionen und Orten, zwischen Flusslandschaften wie den Rhein oder Amazonas, zwischen Gebirgslandschaften wie den Alpen oder den Atlasgebirge oder den Anden, zwischen Meeren wie etwa dem Mittelmeer oder dem Südatlantik, zwischen Grenzregionen, zwischen Metropolen, Städten oder Dörfern, zwischen Stadtvierteln oder Familienräumen, also einer großen Palette von Räumen. 

Trotzdem sind historische Vergleiche ganz überwiegend Vergleiche zwischen Staaten und Nationalstaaten. Vergleiche zwischen Regionen, Städten oder Dörfern sind erheblich seltener und dann, wenn es um Regionen oder Orte in verschiedenen Ländern geht, am Ende manchmal doch wieder Vergleiche zwischen Nationen oder Staaten. Auch Vergleiche zwischen ganzen Weltregionen mutieren oft wieder zu Vergleichen zwischen Nationen, wenn aus Gründen der Machbarkeit nicht Weltregionen als Ganzes, sondern einzelne Staaten aus verschiedenen Weltregionen verglichen werden, etwa Großbritannien und Japan als Fallbeispiele für den Vergleich zwischen Europa und Ostasien.

Diese Einschränkung des historischen Vergleichs auf Nationen und Staaten ist problematisch. Gegen sie sprechen eigentlich drei Argumente:

Für wichtige Epochen und Weltregionen ergibt der Vergleich zwischen Nationen oder Staaten keinen Sinn. Für die Antike und das Mittelalter lässt sich diese Einschränkung des historischen Vergleichs nicht halten, weil es Nationalstaaten oder auch Staaten im modernen Sinne noch nicht gab. Auch auf die Geschichte vieler außereuropäischer Gesellschaften lässt sich aus demselben Grund dieses enge Verständnis des historischen Vergleichs nicht anwenden. Selbst für das Europa des frühen 19. Jahrhunderts kann man die Einschränkung des historischen Vergleichs auf Nationalstaaten nicht zur Regel erheben. Erhebliche Teile Europas, das Zarenreich, das Habsburger-Reich, das Osmanische Reich, auch Preußen bis 1871 waren keine Nationalstaaten. Man kann vielleicht Staaten, aber noch nicht immer Nationalstaaten vergleichen.

Darüber hinaus griffen und greifen viele Prozesse und Strukturen über einzelne Nationen und auch über einzelne Staaten hinaus und spalteten sie gleichzeitig. Gleichgültig ob man die Industrialisierung, die Durchsetzung der parlamentarischen Demokratie, die großen Seuchen, die demographische Transition, die Typen der Familie, die großen Kunstströmungen und intellektuellen Richtungen oder die Geschichte von Wissen untersucht: Immer stößt man auf die Schwierigkeit, dass Nationen oder Staaten eigentlich eher hinderliche räumliche Kategorien sind, weil diese Prozesse einerseits nicht an staatlichen Grenzen halt machen, andererseits in fast jedem Land in manchen Regionen voll auftreten, in anderen Regionen dagegen nur wenig zu finden sind.

Schließlich werden Nationen häufig ohne viel Nachdenken als Vergleichseinheiten verwendet, auch wenn sie sich von ihrer Größe und damit auch ihrem Charakter grundlegend unterscheiden. Die OECD, die ILO, die UNESCO, auch Eurostat setzen ohne große Kommentare die USA und Island oder China und Luxemburg in ihren Statistiken in fragwürdiger Weise nebeneinander, obwohl bei näherem Hinsehen Island oder Luxemburg kleiner sind als viele amerikanische oder chinesische Städte und nur sehr eingeschränkt mit den großen Ländern vergleichbar sind.

Trotzdem lässt es sich nicht übersehen, dass der Vergleich zwischen Nationen und Staaten vorherrschend bleibt, und zwar vor allem aus drei Gründen. Zumindest die moderne Welt war erstens in weiten Teilen nach Staaten und zunehmend auch nach Nationalstaaten organisiert. Gegenteilige Prozesse des Abbaus der Nationalstaaten waren auch in der jüngsten Geschichte nicht wirklich durchschlagend: weder die internationale Blockbildung im Kalten Krieg noch die durch internationalen Terrorismus oder durch internationale Mafias entstandenen »failed states« noch die Übertragung wichtiger Kompetenzen der Nationalstaaten auf internationale Organisationen, die außerhalb der Europäischen Union jedenfalls nicht vorgenommen wurden. Daher erscheint der Nationenvergleich als natürliche Vergleichsmethode.

Die Quellen für den historischen Vergleich, die Archive, oder die Medien, die Statistiken und auch die digitalisierten Quellen sind zweitens meist nach Staaten, jedenfalls nicht entlang von internationalen Prozessen organisiert. Für viele Themen ist es deshalb schwierig, den internationalen Wandel zu verfolgen, weil die Quellen und Statistiken in den einzelnen Ländern ganz unterschiedlich aussehen.

Schließlich bleibt drittens der Vergleich zwischen Nationen politisch und intellektuell besonders reizvoll. Die Hauptanstöße zum Vergleich kommen in der Gegenwart vor allem von internationalen Organisationen, aber auch von nationalen Regierungen. Sie vergleichen fast immer Nationalstaaten und lassen sich nur selten auf kleinere Regionen oder auf ganze Zivilisationen ein. Auch wissenschaftliche Debatten, aus denen historische Vergleiche entstanden, drehten sich meist um nationale Unterschiede und Sonderwege, etwa um den deutschen Sonderweg, um den »American exceptionalism«, die »exception française«, um die Besonderheit japanischer Unternehmen.

Die Regionalgeschichtsschreibung ist dagegen traditionell selten vergleichend. Die Besonderheiten Aquitaniens, Kaliforniens oder Bayerns im Vergleich herauszuarbeiten, besitzt nicht den gleichen intellektuellen Reiz wie nationale Sonderwegsvergleiche. Regionalgeschichte heißt ganz überwiegend die Vertiefung in eine einzelne Region, oft in die ganze Breite ihrer Struktur, ihrer Lebensweisen, Politik und Kultur. Keine der klassischen historischen Regionalstudien war vergleichend. Nichts spricht dafür, dass sie durch einen Vergleich besser geworden wären, also wenn etwa in Klassikern der Regionaluntersuchung Charles Tilly die Vendée oder Rudolf Braun das Züricher Oberland oder Klaus Tenfelde die Arbeiter im Ruhrgebiet mit anderen Regionen verglichen hätten (Tilly 1976; Braun 1979; Tenfelde 1977).

All das sind aber eher praktische Gründe, keine grundsätzlichen Einwände gegen den Regional- und Lokalvergleich oder gegen den Vergleich ganzer Weltregionen, auf den in einem Exkurs am Ende dieses Kapitels ausführlicher eingegangen wird. Eine theoretische Einschränkung der Definition des historischen Vergleichs auf den nationalen Vergleich würde wenig sinnvoll sein.

2.3Nur Unterschiede untersuchen?

Eine dritte Einschränkung der klassischen Definition des Vergleichs ergibt sich daraus, dass sich die meisten historischen Vergleiche– anders als in der anfangs genannten Definition – vor allem um Unterschiede drehen. Sie arbeiten sie heraus, erklären sie und zeichnen ihre innere Logik nach. Gemeinsamkeiten spielen dagegen häufig nur eine Nebenrolle. Sie werden nicht selten nur erwähnt, um sich gegen den Vorwurf abzusichern, völlig Unvergleichbares zu vergleichen oder Unterschiede zu überschätzen. Aber als wirklich interessant für den historischen Vergleich gelten oft Unterschiede. Manche Historiker sind sogar so weit gegangen, die Untersuchung von Unterschieden als die Besonderheit und die besondere Leistung des historischen Vergleichs anzusehen und ihn damit vom sozialwissenschaftlichen Vergleich abzugrenzen.

Die analytische Trennschärfe des Historikers würde allerdings bedenklich eingeengt, wenn er nur noch Unterschiede sehen wollte und damit vor einem Teil der historischen Wirklichkeit, zu der auch Gemeinsamkeiten zwischen Gesellschaften gehören, die Augen verschließen würde. Schon Marc Bloch hat sich in seinem grundlegenden, schon öfters erwähnten Aufsatz von 1928 ausführlich mit der Untersuchung von Ähnlichkeiten im historischen Vergleich befasst (Bloch 1994: 122, 138 ff.). Für Otto Hintze gehörte, wie schon gesagt, die Suche nach Ähnlichkeiten ebenfalls zum Vergleich (Hintze 1964: 251). Er führte in seinem bekannten Aufsatz über den Feudalismus auch vor, wie ein historischer Vergleich aussieht, der Ähnlichkeiten aufspürt (Hintze 1961: 84 ff.). Um Unterschiede richtig einschätzen zu können, sollten auf jeden Fall Ähnlichkeiten ebenfalls untersucht und gegenüber den Unterschieden zwischen den verglichenen Fällen abgewogen werden. Ähnlichkeiten und Konvergenzen stehen darüber hinaus in einer Reihe von historischen Vergleichen genauso im Fokus wie Unterschiede. Jede Geschichte von europäischen Verfassungen oder von europäischen Parteien und Wahlen oder von europäischen Gesellschaften stellt sich die Frage, wie tief die Unterschiede waren und wie viele Ähnlichkeiten gleichzeitig zu finden sind. Handbücher zur Weltgeschichte, aber auch zur Geschichte von Weltregionen (etwa zu Europa oder Afrika oder Südostasien oder Lateinamerika) behandeln neben der Vielzahl von Divergenzen zwischen den einzelnen Ländern in der Regel auch die gemeinsamen Entwicklungen und Ähnlichkeiten. Aber auch Untersuchungen von Meeren oder Flusstälern oder Gebirgslandschaften stellen sich diese Frage nach Gemeinsamkeiten. Das klassische Werk von Fernand Braudel über das Mittelmeer ist ein schönes Beispiel dafür. All das spricht dafür, bei der klassischen Definition von Marc Bloch und Otto Hintze zu bleiben und den Vergleich nicht auf die Suche nach Unterschieden einzuschränken.

Dahinter steht allerdings eine weiter gehende Frage, ob ein Vergleich sich mit universalen Themen befasst, die für alle Gesellschaften der Welt bedeutsam sind – wie etwa Industrialisierung, demographische Tradition, Veränderung der Geschlechterbeziehungen, Wandel der Familien und Arbeitswerte, Urbanisierung, Professionalisierung, Klassenbildung und Klassenauflösung, Durchsetzung der Konsumgesellschaft, Säkularisierung, Menschenrechte und Demokratie, Krieg und Systeme der Friedenssicherung –, oder ob es sich um Themen handelt, die nur für bestimmte Weltregionen bedeutsam sind, wie etwa Unterschiede innerhalb der katholischen Kirche oder des Islam oder die Unterschiede innerhalb der Europäischen Union oder ob es um einen Vergleich zwischen zwei Ländern mit besonders engen Beziehungen gehen oder sich schließlich im Extremfall um Themen drehen soll, die nur für ein einziges Land wichtig sind, wie etwa die Machtübernahme der Nationalsozialisten 1933 oder die Französische Revolution oder die USA als Einwanderungsland, das sich eine Verfassung schuf und die Aristokratie und Monarchie abschaffte. Über diese Frage universaler oder individueller Themen wurde unter Komparatisten ausgiebig diskutiert. Wir kommen darauf im Kapitel 4 zurück.