Hitlers Staatsfinanzen - Hermann Dommach - E-Book

Hitlers Staatsfinanzen E-Book

Hermann Dommach

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Beschreibung

Die zeitgeschichtliche Studie über Hitlers Staatsfinanzen befasst sich mit der bisher kaum beachteten Frage, welche Rolle der Reichsrechnungshof in der Zeit des Nationalsozialismus spielte und wie der Reichsschatzmeister der NSDAP die staatliche Kontrolle der Parteifinanzen verhinderte. Da dem Rechnungshof während des Krieges die Auflösung drohte, konzentrierte er sich auf die von Hitler gewollte Korruptionsbekämpfung. Gleichzeitig mobilisierte er Personal der öffentlichen Verwaltung für den Fronteinsatz. Außerdem beteiligte sich der Rechnungshof an der Ausplünderung der besetzten Gebiete im Westen und Osten unter dem Vorwand, die Beute dem Reichsvermögen zuzuführen.

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Hermann Dommach

Hitlers Staatsfinanzen

Der Rechnungshof des Deutschen Reiches im Nationalsozialismus 1933–1945

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Impressum

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikationin der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographischeDaten sind im Internet über http://dnd.d-nb.de abrufbar

wbg Academic ist ein Imprint der wbg© 2019 by wbg (Wissenschaftliche Buchgesellschaft), DarmstadtDie Herausgabe des Werkes wurde durch dieVereinsmitglieder der wbg ermöglicht.Satz und eBook: Satzweiss.com Print, Web, Software GmbH

Besuchen Sie uns im Internet: www.wbg-wissenverbindet.de

ISBN 978-3-534-40291-5

Elektronisch sind folgende Ausgaben erhältlich:eBook (PDF): 978-3-534-40293-9eBook (epub): 978-3-534-40292-2

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Impressum

Inhalt

1. Der Reichsrechnungshof (RRH) in der Weimarer Republik

1.1 Der RRH besitzt das Kontrollmonopol

1.2 Präsident Saemisch will allein „regieren“

1.3 Der Reichssparkommissar (RSK) überflügelt den RRH

1.4 Der Kontrollverlust des RRH bei der Reichswehr

1.5 Der Verlust der Reichsbahnprüfung

2. Der RRH nach der Machtergreifung Hitlers in der Amtszeit seines Präsidenten Saemisch (1933–1938)

2.1 Das Jahr 1933 wird für den RRH zum Schlüsseljahr

2.2 Der RRH verliert seinen wichtigsten Ansprechpartner

2.3 Hitler: „Die Unabhängigkeit des Rechnungshofs bleibt unangetastet“

2.4 Bormann: „Der Führer würde diese Prüfungen nicht zulassen“

2.5 Kabinettsbeschluss: „Die Rechnungsprüfung bei der Wehrmacht soll getarnt vor der Öffentlichkeit erfolgen“

2.6 Präsident Saemisch soll als Aufsichtsratsvorsitzender der Revisionsgesellschaft Treuarbeit abgelöst werden

2.7 Saemisch: „Das Gesetz muss autoritär eingeführt werden“

2.8 Reichsschatzmeister Schwarz: „Künftig werden sämtliche für die SA zu zahlenden Reichsmittel meiner Kontrolle unterstellt“

2.9 „Bisher ist noch kein einziger Beamter des Rechnungshofs der Partei beigetreten“

2.10 Der RRH wird zum „Veilchen im Verborgenen“ und „Asyl für politisch untragbare Beamte“

2.11 Bormann: „Künftig sollen nach Möglichkeit auch verdiente Nationalsozialisten in die maßgeblichen Stellen des Rechnungshofs gelangen“

2.12 Die SS-Führung bedankt sich bei Präsident Saemisch für sein „tiefes Verständnis“ und die „väterliche Betreuung“

2.13 Präsident Saemisch pflegt besondere Beziehungen zur Wehrmacht und eine Männerfreundschaft mit Johannes Popitz

2.14 Der RRH gerät ins Visier seiner Gegner

2.15 Hitler zum Reichsschatzmeister der NSDAP: „Für die Partei sind Sie der oberste Rechnungshof“

2.16 Der Postminister Ohnesorge will den RRH abschaffen

2.17 Das Büro des Reichssparkommissars wird zur Gutachterabteilung des RRH umfunktioniert

2.18 RRH: „In den Gefangenenlagern der SA muss auch auf die Erhaltung der Arbeitskraft der Gefangenen Bedacht genommen werden“

2.19 Das Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums trifft auch einen höheren Beamten des RRH

2.20 Präsident Saemisch kämpft um das Ernennungsrecht

2.21 Die Landesrechnungshöfe werden Außenabteilungen des RRH

2.22 „Freudig erregt begrüßt der Österreichische Rechnungshof den Deutschen Rechnungshof“

2.23 Für Präsident Saemisch wird die Amtszeit verlängert

2.24 Der Nachfolger des Präsidenten soll den RRH „völlig umkrempeln“

2.25 Hitler entscheidet sich für Heinrich Müller

2.26 Präsident Saemisch geht im Groll

2.27 Kurt Heinig: Im Rechnungshof hat sich „dauerhaft ein beachtlicher Widerstand gegen das Regime gehalten“

3. Der RRH in der Amtszeit seines Präsidenten Dr. Heinrich Müller (1938–1945)

3.1 Präsident Müller betritt Neuland

3.2 Präsident Müller holt seinen persönlichen Referenten Dr. Hillebrecht vom Rhein an die Havel

3.3 Der Zulauf zur NSDAP verläuft im RRH in Etappen

3.4 Der Geheime Regierungsrat Emil Stengel wird zur grauen Eminenz im RRH

3.5 Präsident Müller übernimmt den Vorsitz im Aufsichtsrat der Revisionsgesellschaft Treuarbeit

3.6 Präsident Müller führt die Beratungs- und Betreuungsrevision ein

3.7 Albert Speer plant einen Neubau für den RRH

3.8 Das Finanzministerium fordert vom RRH Gutachten an

3.9 Der neue Präsident hält eine Grundsatzrede

3.10 Präsident Müller will einen starken Reichskontrollhof

3.11 In Wien entsteht eine neue Außenabteilung des RRH

3.12 Präsident Müller verzichtet auf Einnahmeprüfungen

3.13 Bormann ist mit dem RRH unzufrieden

3.14 Die Wehrmachtsprüfung wird drastisch vereinfacht

3.15 Der RRH verliert bei Kriegsausbruch ein Drittel seines Personals

3.16 Der RRH mutiert zum Kriegskontrollhof

3.17 Der RRH prüft die Haupttreuhandstelle Ost

3.18 Der RRH prüft die Gauleiter-Erich-Koch-Stiftung

3.19 Der RRH gerät ins Fadenkreuz alter und neuer Gegner

3.20 Der Postminister Ohnesorge attackiert weiterhin den RRH

3.21 Der RRH passt seine klassischen Prüfungsgrundsätze „den Bedürfnissen des NS-Regimes“ an

3.22 Der RRH vereinfacht die Rechnungslegung und die Vorprüfung

3.23 Der RRH prüft die „Wirtschaftlichkeit“ des Ghettos von Litzmannstadt

3.24 Der Generalgouverneur für die besetzten polnischen Gebiete, Hans Frank, errichtet seinen eigenen Rechnungshof

3.25 Der RRH dehnt seine Prüfungskompetenz auf die annektierten und besetzten Gebiete aus

3.26 Der RRH überlässt der Revisionsgesellschaft Treuarbeit und der Reichsprüfungsgesellschaft Prüfungsaufgaben in den besetzten Gebieten

3.27 Der RRH prüft in den besetzten Gebieten des Westens, Nordens und Südostens Europas

3.28 Der RRH kämpft um seine Anerkennung als kriegswichtige Einrichtung

Der „Schrei“ der Verwaltung nach dem Rechnungshof

3.29 Der RRH unterstützt die Rechnungshöfe befreundeter Mächte

3.30 Der RRH schließt einen Burgfrieden mit dem Reichsschatzmeister der NSDAP durch ein Abgrenzungsabkommen

3.31 Der RRH prüft die SS auch in einigen KZ-Lagern

3.32 In Metz und Posen entstehen weitere Außenabteilungen des RRH

3.33 Präsident Müller schließt seine Gutachterabteilung in Berlin

3.34 Präsident Müller platziert seinen persönlichen Referenten in der Parteikanzlei

3.35 Der RRH kooperiert mit dem Sonderstab des Generals von Unruh

3.36 Der RRH will auch in den besetzten Ostgebieten prüfen

3.37 Präsident Müller strebt eine „gefestigte Legitimation“ des RRH an

3.38 Dem RRH droht die Auflösung

3.39 Der RRH paktiert mit Goebbels als Reichsbeauftragter für den totalen Kriegseinsatz

3.40 Der Zusammenbruch

4. Die Wiederbelebung der staatlichen Finanzkontrolle in der Nachkriegszeit

4.1 Die Potsdamer Zentrale zieht Bilanz und versucht einen Neustart

4.2 Große oder kleine Lösung?

4.3 Die Potsdamer Zentrale des RRH schließt resigniert ihre Pforten

4.4 In Westdeutschland entstehen Landesrechnungshöfe

Abkürzungen

Literaturverzeichnis

Personenregister

1 Der Reichsrechnungshof (RRH) in der Weimarer Republik

Der Blick auf den RRH im Nationalsozialismus erfordert einen Rückblick auf die Zeit der Weimarer Republik, in der es bereits unter dem Rechnungshofpräsidenten Moritz Saemisch zu erheblichen Verwerfungen der staatlichen Finanzkontrolle kam, sodass der RRH im Jahr 1933 bereits geschwächt die Bühne des neuen Regimes betrat.

1.1 Der RRH besitzt das Kontrollmonopol

Nach der Reichshaushaltsordnung (RHO) von 1922 war der RRH eine der Reichsregierung gegenüber selbständige oberste Reichsbehörde, die nur dem Gesetz unterworfen war. Er hatte den gesamten Reichshaushalt zu prüfen1. Im Mittelpunkt der Kontrollen stand die Frage, ob die Verwaltungsbehörden mit den Haushaltsmitteln ordnungsgemäß, sparsam und wirtschaftlich umgehen. Die mit richterlicher Unabhängigkeit ausgestatteten Mitglieder des Rechnungshofs entschieden nach dem Kollegialprinzip über Zeitpunkt, Art und Umfang der Prüfungen, die von Prüfungsbeamten am Sitz des RRH oder vor Ort bei den Verwaltungen vorgenommen wurden2. Das zuständige Kollegium, dem jeweils ein Abteilungsleiter (Direktor) und ein Ministerialrat als Prüfungsgebietsleiter angehörten, entschied nach dem Prinzip der Einstimmigkeit, ob die Beanstandungen der Verwaltung als sogenannte Erinnerungen vorgeworfen werden sollten, damit diese in einem kontradiktorischen Verfahren zu den Vorwürfen Stellung nehmen konnte. Schwerwiegende Verstöße gegen das Haushaltsrecht, die im Entlastungsverfahren von Bedeutung sein konnten, wurden jährlich vom Gesamtkollegium in sogenannten Bemerkungen (Jahresbericht) zusammengefasst und dem Parlament zur Entscheidung vorgelegt 3. Eigene Sanktionsmöglichkeiten besaß der RRH nicht. Er war nur Prüfungsorgan und im parlamentarischen Entlastungsverfahren Berichterstatter.

1.2 Präsident Saemisch will allein „regieren“

Das Kollegialprinzip geriet bereits 1922 ins Wanken, als der neue Rechnungshofpräsident Saemisch nach seinem Amtsantritt verlangte, die Geschäftsanweisung zu ändern und ihm präsidiale Befugnisse einzuräumen, die die RHO nicht berücksichtigt habe. Er wollte das lästige Korsett der Kollegialität abstreifen und den Rechnungshof autoritär führen. Im Rechnungshof sollte der Präsident alleinbestimmen können, wer, was, wann und wie intensiv geprüft wird. Sein Ansinnen rief das Gesamtkollegium auf die Barrikaden, das selbstbewusst nach innen das Kollegialprinzip und nach außen seine Unabhängigkeit verteidigte. Es verweigerte über zehn Jahre lang seine Zustimmung zu einer neuen, präsidial ausgerichteten Geschäftsanweisung, bis es dem Präsidenten 1933 mit dem Rückenwind des neuen Regimes durch die Zweite Novelle zur RHO gelang, das Gesamtkollegium auszuschalten und im RRH das Führerprinzip einzuführen4.

Der Konflikt zwischen Präsident Saemisch und dem Kollegium, dem er selbst angehörte, löste im RRH erhebliche Spannungen aus, die bis zum Ende seiner 16jährigen Amtszeit nicht ausgeräumt werden konnten. Die von Anfang an bestehende Kluft zwischen dem Präsidenten und dem Kollegium ließ den umtriebigen Saemisch allerdings nicht in Resignation fallen. Er entdeckte schon bald in seiner neuen Funktion als Reichssparkommissar (RSK) seine Parallelwelt, in der er seine autoritäre Gesinnung ausleben und den Rechnungshof übertrumpfen und aus wichtigen Prüfungsfeldern verdrängen konnte5.

Es waren vor allem drei Ereignisse, die dem Rechnungshofpräsidenten einen Machtzuwachs, dem Rechnungshof als Ganzem aber einen erheblichen Kontrollverlust einbrachten: die Konkurrenz des Reichssparkommissars, die Einschränkung der Wehrmachtsprüfung und der Verlust der Reichsbahnprüfung.

1.3 Der Reichssparkommissar (RSK) überflügelt den RRH

Als dem Präsidenten des RRH kurz nach seinem Amtsantritt die Mammutaufgabe eines Reichssparkommissars angetragen wurde, sträubte er sich zunächst gegen die Übernahme eines solchen Regierungsauftrags, wonach er im Alleingang und ohne personellen Unterbau die Reichsfinanzen umfassend überprüfen sollte6. Schon bald erkannte Saemisch aber, dass er durch den Aufbau eines hochkarätigen Gutachterteams, dem späteren Sparbüro, nicht nur seinen autoritären Führungsstil ausleben, sondern in Konkurrenz zu seinem eigenen Rechnungshof treten konnte, ein klassischer Fall eines Interessenkonflikts. Saemisch übte die Funktion des Reichssparkommissars ohne gesetzliche Grundlage 14 Jahre lang aus, bis sein Sparbüro im Jahr 1936 mit dem Rechnungshof verschmolzen wurde7. Saemisch überstand 20 Regierungswechsel, ließ sein Mandat aber von jeder Regierung erneuern8.

Präsident Saemisch verschaffte sich als Reichssparkommissar Zugang zu den Sitzungen des Reichskabinetts und hatte nicht nur dadurch, sondern auch durch die Kenntnis der Haushaltsplanung einen Wissensvorsprung vor dem Rechnungshof9. Er versammelte in seinem Sparbüro Spitzenkräfte, deren Vergütung er selbst festlegen konnte, und zog Personal sowie Prüfungsthemen aus dem Rechnungshof an sich, eine Methode, die nach dem Krieg auch noch zwischen dem Bundesrechnungshof und dessen Präsident als Bundesbeauftragter für die Wirtschaftlichkeit in der Verwaltung (BWV) praktiziert wurde.

Saemisch konnte seine Prüfungs- und Gutachtertätigkeit auf die Länder und größere Kommunen ausweiten, sodass er schon bald als der beste Kenner der Staatsfinanzen in der Weimarer Republik und in der Öffentlichkeit als bekannteste Persönlichkeit galt10. Den RRH hebelte Saemisch auch dadurch aus, dass er vorrangig Wirtschaftlichkeitsuntersuchungen betrieb, während dem Rechnungshof die Prüfung der Ordnungsmäßigkeit der Staatsfinanzen verblieb, die er mit den Vorprüfungsstellen der Verwaltung erledigte. Die in den Verwaltungen installierten Vorprüfungsstellen hatten alle Rechnungen rechnerisch und förmlich vorzuprüfen. Die sachliche Kontrolle blieb dem RRH vorbehalten.

Diese unterschiedliche Entwicklung spielte nach Ausbruch des Kriegs eine erhebliche Rolle, als der RRH die Kontrolle der Ordnungsmäßigkeit als Kernaufgabe betrieb, um Konflikte mit dem NS-Regime zu vermeiden und sich als kriegswichtige Instanz zu etablieren.

1.4 Der Kontrollverlust des RRH bei der Reichswehr

Als der Phönix-Lohmann-Skandal die geheime Aufrüstung der Reichswehr und damit den Verstoß gegen den Versailler Vertrag aufdeckte, nutzte Saemisch die Gelegenheit, den RRH aus der Prüfung der Reichswehr zu verdrängen. Auf seine Initiative wurde ein sogenannter Mitprüfungsausschuss11 gebildet, der unter seiner Mitwirkung die Prüfung der Reichswehr in ein Vorprüfungsfeld verlagerte und damit verhinderte, dass der RRH Beanstandungen bei der Reichswehr in seine Bemerkungen aufnahm und diese dadurch an die Öffentlichkeit gelangten. Im Kern ging es also um eine Beschneidung der Berichterstattung des RRH an das Parlament12.

1.5 Der Verlust der Reichsbahnprüfung

Durch die Privatisierung der Reichsbahn im Jahr 1924 verlor der RRH seine Prü-fungskompetenz13. Die Prüfung der Bilanz und der Gewinn- und Verlustrechnung stand der Reichsregierung zu, die allerdings die Prüfung von Jahr zu Jahr dem Rechnungshof übertrug. Gleichzeitig richtete die Reichsbahn ein Hauptprüfungsamt als selbständiges Vorprüfungsorgan ein. Als im Jahr 1930 eine Novellierung des Reichsbahngesetzes anstand, kam es zu einem schweren Konflikt zwischen dem Präsidenten des RRH und dem Gesamtkollegium. Saemisch, der mit den bisherigen Prüfungen des RRH unzufrieden war und ihn in kaufmännischen Fragen für überfordert hielt, vereinbarte hinter dem Rücken des Kollegiums mit der Reichsregierung, die Bilanzprüfung bei der Reichsbahn künftig nur noch ihm und einem Direktor der Revisions- und Treuhandgesellschaft (Treuarbeit) zu überlassen, dessen Aufsichtsratsvorsitzender er war. Die Geheimabsprache, die dem Kollegium auf Umwegen bekannt wurde, löste im RRH einen Sturm der Entrüstung aus und soll sogar im Jahr 1932 zum vorzeitigen Ausscheiden des Vizepräsidenten Markmann geführt haben14. Das Kollegium verzieh seinem Präsidenten den Winkelzug nie, dessen Widerstand bestärkte aber Saemisch in seinen Bemühungen, die Abschaffung des Kollegialprinzips zu betreiben und durch das Führerprinzip zu ersetzen. Auch nach der Verstaatlichung der Reichsbahngesellschaft im Jahr 1937 wurde die Prüfung der Eisenbahnrechnungen dem eigens dafür gegründeten Hauptprüfungsamt und der alleinigen Begutachtung des Jahresabschlusses durch Präsident Saemisch übertragen15.

 

 

 

     1 Abschnitt IV §§ 87ff. Reichshaushaltsordnung (RHO) vom 31.12.1922, RGBl 1923 II S. 17ff.

     2 Ebenda, Abschnitt V § 121 RHO.

     3 Ebenda, § 108 RHO.

     4 Zweite Änderung der RHO (kurz: Zweite Novelle zur RHO) vom 13.12.1933 RGBl II, S. 1007ff., Borzikowsky, Finanzkontrolle und Rechnungsprüfungswesen, S. 215.

     5 Dommach, Der Reichssparkommissar Moritz Saemisch in der Weimarer Republik, S. 37ff.

     6 Von Pfuhlstein, Der Weg von der Preußischen Oberrechnungskammer zum Bundesrechnungshof, S. 74ff.

     7 Vierte Novelle zur RHO vom 17.6.1936 RGBl II, S. 209.

     8 Bracher, Nationalsozialistische Diktatur 1933–1945, S. 17.

     9 Richtlinien vom 18.2.1927, Reichsfinanzblatt, S. 141.

    10 Dommach, Von Potsdam nach Frankfurt, S. 24.

    11 Ebenda.

    12 Oshima in FinanzArchiv NF 38 Bd. 2, S. 197.

    13 Das Reichsbahngesetz vom 12.2.1924 ließ zu, das Unternehmen nach kaufmännischen Grundsätzen zu führen.

    14 BA (Bundesarchiv), bestand N 171 (NL Saemisch) Bd. 126 Deutsche Reichsbahn, S. 1–81. Als das Kollegium des RRH am 5.2.1931 verlangte, der Reichsregierung seine Auffassung zur Reichsbahnfrage darzulegen und darauf hinzuweisen, dass das Verhalten der Reichsregierung geeignet sei, der Stellung des Rechnungshofs Abbruch zu tun, vereitelte Präsident Saemisch die Absendung des Schreibens und sorgte dafür, dass die Reichsregierung der Intervention des Kollegiums durch einen von ihm formulierten Brief zuvorkam.

    15 Reichsgesetz vom 10.2.1937.

2 Der RRH nach der Machtergreifung Hitlers in der Amtszeit seines Präsidenten Saemisch (1933–1938)

2.1 Das Jahr 1933 wird für den RRH zum Schlüsseljahr

Schon im ersten Jahr der Machtergreifung Hitlers am 30. Januar 1933 wurde der RRH mit so vielen Veränderungen konfrontiert, dass es für ihn ein Schlüsseljahr wurde. Es kam zu erheblichen Kontrollverlusten, aber auch zu marginalen Zugewinnen, wobei die Veränderungen nicht nur vom neuen Regime ausgingen, sondern teilweise auch hausgemacht waren. Bis dahin wurde der RRH in der Öffentlichkeit und von der Beamtenschaft als unabhängiges und unbestechliches Kontrollorgan wahrgenommen, das den Umgang mit den Staatsfinanzen peinlich genau und ohne Ansehen der Person prüft und dem Parlament darüber berichtet. Mit diesem Ruf stand der RRH in der Tradition der altehrwürdigen Preußischen Oberrechnungskammer, die ihre Finanzkontrolle bereits seit dem Jahr 1719 in völliger Unabhängigkeit ausübte, ihren Sitz ebenfalls in Potsdam hatte und vom Präsidenten des RRH in Personalunion geführt wurde16. Weniger bekannt waren die Rechnungshöfe der Länder, die die Landeshaushalte zu prüfen hatten. Im nationalsozialistischen Regime sah sich der RRH einem bedrohlichen Klima ausgesetzt. Es soll bereits im Jahr 1933 konkrete Pläne gegeben haben, den RRH als überflüssiges Relikt aus der Weimarer Zeit sofort abzuschaffen. Hitler soll dem heftig widersprochen haben. Er wollte das hohe Ansehen des RRH und seines Präsidenten nutzen, um seine eigene Stellung in der Beamtenschaft zu festigen und der Öffentlichkeit die oft beschworene Ordnung, Sauberkeit und Sparsamkeit der Verwaltung vorzuführen, insbesondere sollten Korruption und Verschwendungssucht bekämpft werden, zwei Anliegen, die dem RRH nach Ausbruch des Krieges das Überleben sicherte und ihn zur kriegswichtigen Einrichtung werden ließ. Einzelne Machthaber hielten den RRH für einen unpolitischen und zahnlosen Tiger, der nicht im Rampenlicht steht und von dem sie glaubten, dass er ihnen weder lästig noch gefährlich werden könnte und dessen Prüfungen ihnen sogar ein Gütesiegel verschaffen könnte.

Präsident Saemisch ist verunsichert

Präsident Saemisch konnte nicht einschätzen, was das neue Regime mit ihm und dem RRH vorhatte. In einem Brief an seine Ehefrau vom 8. April 193417 bekannte er, dass er „noch nie die voraussichtliche Entwicklung so wenig habe überblicken können wie jetzt“.

Saemisch hatte nach seinen Tagebuchaufzeichnungen die NSDAP nicht gewählt. Er soll der DVP nahegestanden haben. Der NSDAP trat Saemisch ebenso wenig bei wie sein Vizepräsident Mussehl. Seine kritische Einstellung zum Nationalsozialismus wurde bereits im Jahr 1933 erkennbar, als der Bevollmächtigte Preußens im Reichsrat, Arnold Brecht, ins Visier von Goebbels geriet, weil er in Preußen den staatlichen Fonds zur Bekämpfung des Nationalsozialismus verwaltet hatte. Goebbels bezichtigte Brecht in der Öffentlichkeit der Unterschlagung öffentlicher Gelder, worauf Saemisch dem Beschuldigten Rückendeckung gab18. Ansonsten hielt sich Saemisch während seiner gesamten Dienstzeit politisch bedeckt, bewegte sich aber auch privat in einem Milieu (u.a. in der sogenannten Mittwochsgesellschaft), aus dem allmählich Widerstand gegen das Regime erwuchs.19

Im Frühjahr 1933 setzte gegen Saemisch im sogenannten Flaggenstreit eine Pressefehde ein, die ihn zur Aufgabe seines Amtes zwingen wollte. Als er nämlich am 10. März 1933 von einer Dienstreise nach Potsdam zurückkehrte und das Gebäude des RRH mit Hakenkreuzfahnen beflaggt vorfand, ordnete er die sofortige Entfernung an20.

Auch unter der Mehrheit der Mitglieder des Kollegiums kam es weder zu einer auffälligen Politisierung noch zu einer Nazifizierung. Nur vier von insgesamt 26 Ministerialräten waren bereits im Jahr 1930 der NSDAP beigetreten. Sie gehörten zur Riege der „Alten Kämpfer“. Bis März 1933 gab es acht weitere Parteimitglieder innerhalb des Kollegiums, dem ebenso viele parteilose Mitglieder angehörten.21

Am 4. März 1933 nahm Präsident Saemisch auf Einladung Hitlers am Staatsakt anlässlich der Eröffnung des Reichstags, dem sogenannten „Tag von Potsdam“ teil.

Am 6. März 1933 fand die Machtübernahme in Hessen statt. Der Finanzamtsvorsteher von Alsfeld, Dr. Heinrich Müller, wurde mit Telegramm des Reichsinnenministers Frick zum Reichskommissar von Hessen bestellt. Am nächsten Tag ernannte Müller den 29-jährigen Werner Best zum Polizeichef in Hessen. Müller übernahm das Innen-, Justiz- und Finanzressort22. Als am 5. Mai 1933 der Gauleiter Sprenger zum Reichsstatthalter von Hessen ernannt wurde, entließ er sofort seinen Rivalen Müller, der daraufhin Oberfinanzpräsident in Köln wurde. Fünf Jahre später wurde Heinrich Müller Präsident des RRH in Potsdam.

2.2 Der RRH verliert seinen wichtigsten Ansprechpartner

Als der Reichstag durch das Erste Ermächtigungsgesetz vom 24. März 1933 aufgelöst wurde, verlor der RRH das Entlastungsorgan, dem er seine Jahresberichte, die sogenannten Bemerkungen, zur Entlastung der Reichsregierung von ihrer Haushaltsverantwortung vorzulegen hatte.

Die Bemerkungen zu den Haushaltsrechnungen der Jahre 1927–1929 hatte der Haushaltsausschuss des Reichstags bereits beraten und am 13. Januar 1933 den Entlastungsantrag gestellt23. Zur Entlastung durch den Reichstag konnte es nun nicht mehr kommen. Die Zweite Novelle zur RHO24 vom 13. Dezember 1933 stellte lapidar fest, die Entlastung gelte für die Haushaltsjahre 1927–1929 als erteilt. Die Vierte Novelle zur RHO25 dehnte die Entlastung sogar noch auf die Rechnungsjahre 1930–1932 aus. „Vorübergehend“ sollte die Entlastungsbefugnis unter Ausschluss der Öffentlichkeit auf die Reichsregierung selbst übergehen26. Die Bemerkungen des RRH sollten nur noch dem Reichsrat vorgelegt und dort – vor der förmlichen Entlastungsentscheidung der Reichsregierung – unter der Beteiligung des Rechnungshofpräsidenten beraten werden27.

Der RRH produzierte dennoch Jahr für Jahr vertraulich eingestufte Bemerkungen mit Denkschriften des Präsidenten, die mangels eines (parlamentarischen) Entlastungsverfahrens in den Schreibtischen des Reichsfinanzministeriums verschwanden. Seine letzte vertrauliche Denkschrift gab der Nachfolger Saemischs, Präsident Müller, am 4. Mai 1944 zur Haushaltsrechnung 1940 heraus.

2.3 Hitler: „Die Unabhängigkeit des Rechnungshofs bleibt unangetastet“

Die Gelegenheit, die Einstellung Hitlers zum RRH in Erfahrung zu bringen, ergab sich für Präsident Saemisch am 30. März 1933, als Hitler ihn zu einem Antrittsbesuch empfing. Der Ablauf und Inhalt des Gesprächs sind nur in Umrissen bekannt geworden. In seinem Tagebuch hielt Saemisch lediglich nüchtern fest, Hitler habe sich eingehend für die Notwendigkeit einer Rechnungskontrolle ausgesprochen28. Nach den Erinnerungen seiner Ehefrau hat Saemisch seinen Rücktritt angeboten. Hitler habe ihn aber gebeten, auf seinem Posten zu bleiben, Sachverstand sei wichtig29.

Anfang April 1933 unterrichtete Präsident Saemisch in einer eilig einberufenen Sitzung das Kollegium „in groben Zügen“ von seiner Unterredung mit Hitler. Nach mehr als sechsstündiger Beratung und der Einsetzung eines Redaktions-kommitees beschloss das Kollegium, das immerhin zur Hälfte aus Parteimitgliedern bestand, einstimmig, Hitler selbstbewusst, moderat und diplomatisch zu antworten und dabei vor allem die Unabhängigkeit des Rechnungshofs gegenüber den Reichsbehörden zu betonen30. Hitler kam auf die „Unabhängigkeitserklärung“ des Rechnungshofs erst am 8. Dezember 1933 im Zusammenhang mit der Übersendung der Zweiten Novelle zur RHO zurück, wobei er erneut betonte, dass er die Rechnungsprüfung für notwendig halte. Gleichzeitig beteuerte er, dass die Unabhängigkeit des RRH unangetastet bleibe31.

Als Saemisch am 13. Dezember 1933 die Reichskanzlei um Veröffentlichung der Garantieerklärung“ Hitlers bat, lehnte die Reichskanzlei dies mit dem Hinweis ab, ein derartiger „Ordensersatz“ komme nicht in Frage32. Der RRH berief sich allerdings später immer wieder auf diese Bestandsgarantie, wenn er sich Angriffen ausgesetzt sah, die seine Einschränkung oder Auflösung forderten. Der Nachfolger, Präsident Müller, deutete das Schreiben Hitlers sogar als Führerbefehl.

Die richterliche Unabhängigkeit der Mitglieder des RRH wurde verbal nochmals durch die Novellierung des Deutschen Beamtengesetzes vom 26. Januar 193733 bestätigt.

2.4 Bormann: „Der Führer würde diese Prüfungen nicht zulassen“

Im krassen Widerspruch zu den Unabhängigkeitsbeteuerungen Hitlers standen Führererlasse und oft nicht nachprüfbare Führerbefehle, die sich einzelne Machthaber verschafften, um den RRH von sich fern zu halten. So intervenierte der Reichskommissar in den besetzten Niederlanden, Seyss-Inquart, bei dem Chef der Reichskanzlei, Lammers, als der RRH in seinem Herrschaftsbereich prüfen wollte. Daraufhin erklärte der Leiter der Parteikanzlei, Bormann, den Seyss-Inquart ebenfalls eingeschaltet hatte, dem Staatssekretär der Reichskanzlei: „Ich brauche Ihnen wohl nicht zu sagen, dass der Führer diese Prüfungen nicht zulassen würde“34.

Es gab auch den Fall, dass Hitler selbst unter Missachtung der zugesicherten Unabhängigkeit Prüfungen des RRH anordnete. Als Korruptionsvorwürfe bei Beschaffungen der Reichswehr erhoben wurden, wies Hitler zwei Tage nach der „Unabhängigkeitserklärung“ den RRH am 6. April 1933 an, den Vorwürfen nachzugehen und das Beschaffungswesen bei der Reichswehr umfassend zu prüfen35.

Vermutlich gehörten dazu auch die Bestrebungen des NS-Regimes, die traditionsreiche Waffenfabrik Simson & Co im thüringischen Suhl zu arisieren, was im Sprachgebrauch der Nationalsozialisten Zwangsenteignung bedeutete. Das Unternehmen gehörte zu den maßgebenden Waffenherstellern des Deutschen Reichs. Es belieferte seit dem Jahr 1925 die Reichswehr exklusiv mit leichten Maschinengewehren. Der Prüfungsauftrag an den RRH sollte den Beweis erbringen, dass die Firma übermäßige Gewinne erzielt habe. Nachdem der RRH den Verdacht nicht bestätigte, wurde der Firmeninhaber Arthur Simson wegen Betrugs und Übervorteilung des Reichs angeklagt, aber nicht verurteilt. Erst nach einer Prüfung durch die Deutsche Revisions- und Treuhand AG (kurz: Treuarbeit), kam es im Jahr 1935 zur Enteignung der Brüder Julius und Arthur Simson, wofür der Gauleiter Frick der Treuarbeit öffentlich seinen Dank aussprach36.

Hitler hatte einen gewissen Respekt vor dem RRH. Als Bormann im November 1939 die Erstattung der Kosten für das Führerhauptquartier aus der Reichskasse verlangte, die er während des Polenfeldzugs übernommen hatte, drohte der Chef der Reichskanzlei, Lammers, mit einer Überprüfung durch den RRH, um Bormann beim üppigen Umgang mit den Finanzen in die Schranken zu weisen. Da Bormann nur eine globale Zusammenstellung ohne Belege vorlegte, bestand Lammers für eine korrekte Verrechnung mit dem Finanzministerium auf der Einreichung und Bereithaltung entsprechender prüffähiger Rechnungsunterlagen für den Fall, dass der RRH die Ausgaben prüfe. Anfang 1940 legte Bormann bei der zweiten Teilabrechnung Belege vor, die u.a. Privatausgaben, darunter Friseurleistungen für Sekretärinnen in der Reichskanzlei, betrafen. Als Lammers um Vervollständigung nach dem geltenden Haushaltsrecht bat, verwies Bormann auf die Unmöglichkeit, während des Kriegs gegen Polen die Ausgaben ordnungsgemäß zu verbuchen und die Rechnungslegungsvorschriften zu beachten sowie darauf, dass „der Führer selbst es keinesfalls billigen würde, wenn der Rechnungshof diese Dinge im Einzelnen prüfen würde“37. Anschließend wies Hitler in seinen Tischgesprächen Lammers an, die Kosten des Führerhauptquartiers aus seiner Privatschatulle zu übernehmen, „um bürokratischen Auseinandersetzungen mit dem Rechnungshof zu begegnen“. Seitdem verzichtete Lammers auf die Vorlage und Prüfung von Einzelbelegen38. Bis März 1945 wurden Bormann Aufwendungen in Höhe von 6,5 Mio. RM erstattet, ohne dass der RRH die Verfügungsmittel prüfen konnte.

2.5 Kabinettsbeschluss: „Die Rechnungsprüfung bei der Wehrmacht soll getarnt vor der Öffentlichkeit erfolgen“

Am 3. April 1933 hatte Präsident Saemisch, ohne die bevorstehenden Veränderungen zu erahnen, beschlossen, künftig die zuständigen Direktoren des RRH in die Kontrolle der geheimen Rüstungsausgaben einzubinden, die bisher der Mitprüfungsausschuss unter Vorsitz von Präsident Saemisch und unter Ausschluss des Kollegiums wahrgenommen hatte. Saemisch rechnete damit, dass sich der Rechnungshof in stärkerem Maß mit der Prüfung der Wehrmacht werde befassen müs-sen39. Einen Tiefschlag musste Präsident Saemisch hinnehmen, als er – auf Umwegen – von dem geheimen Kabinettsbeschluss vom 4. April 1933 erfuhr, den von ihm geleiteten Mitprüfungsausschuss abzuschaffen und die Rechnungsprüfung bei der Reichswehr dadurch drastisch einzuschränken, dass der Reichswehrminister Blomberg von allen haushaltsrechtlichen Bindungen dispensiert wurde40. Nach dem Kabinettsbeschluss sollten nun die Haushaltsmittel „bis auf Weiteres“ der Wehrmacht abweichend von den gesetzlichen Bestimmungen global zu Verfügung gestellt werden und die Rechnungslegung und Rechnungsprüfung sollten getarnt vor der Öffentlichkeit erfolgen.

Als Saemisch über den Finanzminister von dem Kabinettsbeschluss erfuhr, fühlte er sich vom Reichswehrminister hintergangen. Im sofort einberufenen Kollegium erklärte er, der Kabinettsbeschluss gebe dem Reichswehrminister Vollmachten wie im Krieg, nämlich das zu tun, was dieser für notwendig und zweckmäßig halte. Saemisch verlangte eine sofortige Unterredung mit dem Reichswehrminister, die nicht zustande kam. In einer Besprechung mit dem Reichswehrministerium am 12. April 1933 über die künftige Gestaltung der Rechnungsprüfung bei der Reichswehr41 kam es zu dem faulen Kompromiss, wonach der Rechnungshof zwar Beanstandungen in seine Bemerkungen aufnehmen könne, diese aber der Reichsregierung unmittelbar zuleiten müsse. Am nächsten Tag erklärte Saemisch resigniert im Kollegium, man müsse sich mit dem Kabinettsbeschluss, ebenso wie es der Finanzminister tue, abfinden42.

2.6 Präsident Saemisch soll als Aufsichtsratsvorsitzender der Revisionsgesellschaft Treuarbeit abgelöst werden

Um die größte deutsche Revisions- und Wirtschaftsprüfungsgesellschaft (kurz: Treuarbeit oder DRT), die die meisten Reichsbetriebe prüfte, unter ihre Kontrolle zu bringen, legten die Nationalsozialisten dem parteilosen Präsidenten Saemisch nahe, seinen Posten als Vorsitzender des Aufsichtsrats aufzugeben, den er seit 1925 innehatte. Traditionsgemäß stand die Position dem jeweiligen Präsidenten des RRH zu. Als Saemisch den Vertretern der NSDAP erklärte, sein Rücktritt komme erst in Frage, wenn ein geeigneter Nachfolger gefunden sei, wurde ihm der regimetreue Konsul Dr. Rolf Reiner als Aufpasser zur Seite gestellt. Er sollte die Revision der Privatunternehmen überwachen, während Saemisch die Betreuung der direkten Reichs- und Staatsunternehmen behielt43. Nachdem Reiner im Zusammenhang mit dem sogenannten Röhmputsch Ende Juni/Anfang Juli 1934 mehrere Monate lang inhaftiert war, legte er sein Aufsichtsratsmandat im Jahr 1935 ohne Begründung nieder44. Ihm folgte „auf Anweisung des Führers“ Wilhelm Keppler, der lange Zeit Hitlers Berater in Wirtschaftsfragen und Kontaktmann zwischen NSDAP und Wirtschaft war45. Auch die Zusammensetzung der übrigen Aufsichtsratsmitglieder änderte sich radikal zugunsten überzeugter Parteimitglieder, während in der Weimarer Republik Vertreter der Rechnungshöfe und des RMF sowie des RMWI den Aufsichtsrat dominierten46. Der Aufsichtsrat verstand sich als Teil der Leitungsebene der Treuarbeit und entschied vor allem über den Ausbau des weitverzweigten Niederlassungsnetzes und verschaffte ihr allmählich ein Prüfungsmonopol für öffentliche Unternehmen. Sie prüfte nach Richtlinien, die ihnen Präsident Saemisch und das RMF im Jahr 1925 auferlegthatten47. Der RRH hatte ein eigenes Prüfungsrecht bei der Treuarbeit und den Reichsbetrieben. Präsident Saemisch trat für eine Zusammenarbeit mit der Treuarbeit ein. Bei der Prüfung von öffentlichen Unternehmen, die nach kaufmännischen Grundsätzen wirtschafteten (z.B. Reichspost, Reichsbranntweinmonopol und Reichsdruckerei) sollte der RRH den Sachverstand der Treuarbeit nutzen. Im Jahr 1935 forderte er letztmals – mit mäßigem Erfolg – den RRH auf, private Wirtschaftsprüfungsgesellschaften, insbesondere die Treuarbeit, stärker in die eigenen Prüfungen einzubeziehen48. Präsident Saemisch blieb nach seiner Pensionierung noch bis 2. November 1938 Aufsichtsratsvorsitzender der Treuarbeit. Sein Nachfolger wurde Präsident Heinrich Müller, der das Amt ab 1943 wieder allein ausüben konnte.

2.7 Saemisch: „Das Gesetz muss autoritär eingeführt werden“

Das Schlüsseljahr 1933 endete für den RRH mit einem Paukenschlag. Als im Jahr 1933 eine Novellierung der RHO anstand, witterte Präsident Saemisch die Gelegenheit, das Kollegialprinzip abzuschaffen und das Führerprinzip einzuführen. In Arbeitsteilung mit dem befreundeten Staatssekretär im Reichsfinanzministerium, Johannes Popitz, erstellte er den als Fassung Saemisch-Popitz bekanntgewordenen Gesetzentwurf49. Beide träumten von einer umfassenden Reichsreform, zu der als Vorstufe auch eine Vereinheitlichung des Haushaltsrechts und der Haushaltskontrolle gehöre. Der Entwurf sah vor, im RRH die Präsidialverfassung einzuführen.

Bevor das Gesetz erlassen wurde, bat Saemisch den Reichsfinanzminister inständig, von einer Beteiligung des Kollegiums abzusehen. Das Gesetz müsse autoritär eingeführt werden. In der nachträglich erstellten Gesetzesbegründung wurde die Neufassung des Kontrollwesens sogar als Kern der Novellierung bezeichnet50.

Die Zweite Novelle zur RHO vom 13. Dezember 1933 bestätigte zwar formal die Unabhängigkeit der Mitglieder des RRH, führte aber gleichzeitig die Präsidialverfassung und damit das von Saemisch angestrebte Führerprinzip ein51. Damit war Präsident Saemisch zum Totengräber des Kollegialsystems geworden, das in der Preußischen Oberrechnungskammer seit 1719 und seit seiner Gründung auch im RRH gegolten hatte.

2.8 Reichsschatzmeister Schwarz: „Künftig werden sämtliche für die SA zu zahlenden Reichsmittel meiner Kontrolle unterstellt“

Als Trostpflaster übertrug die Zweite Novelle zur RHO dem Rechnungshof neue Prüfungsrechte. Nach § 64 a RHO konnte der Rechnungshof erstmals staatliche Zuwendungen an private Empfänger prüfen. Damit bekam er auch Zugang zu parteinahen Einrichtungen, die in erheblichen Umfang aus der Staatskasse subventioniert wurden52. Die SA hatte bereits im Jahr 1933 Zuschüsse aus der Reichskasse in Höhe von 45 Mio. Reichsmark erhalten und sich geweigert, entsprechende Nachweise über die Verwendung der Mittel vorzulegen. Der Reichsschatzmeister der NSDAP, Schwarz, verhinderte allerdings Prüfungen des RRH unter Berufung auf einen angeblichen Führerbefehl, wonach „künftig sämtliche für die SA zu zahlenden Reichsmittel meiner Kontrolle unterstellt werden“.

Im Jahr 1935 sprang der damalige Leiter der Parteikanzlei, Rudolf Hess, dem RRH durch das Zugeständnis bei, der RRH habe ein Prüfungsrecht, wenn Einrichtungen der Partei erheblich vom Reich finanziert werden. Der Rechnungshof prüfte unter Berufung auf § 64 a RHO die Hermann-Göring-Stiftung und später auch die Gauleiter-Erich-Koch-Stiftung, in der der Oberpräsident von Ostpreußen, Erich Koch53 eine millionenschwere Latifundienbildung betrieb.

Die Neuregelung des § 88 a RHO ermächtigte den Finanzminister, dem Rechnungshof die Prüfung der zahlreichen öffentlichen Sammlungen zu übertragen; der RRH rügte allerdings, dass davon kein Gebrauch gemacht werde54.

2.9 „Bisher ist noch kein einziger Beamter des Rechnungshofs der Partei beigetreten“

In die Personalpolitik ließ sich Präsident Saemisch anfangs von der Partei nicht hineinreden. Er blieb seinem Grundsatz treu, dass nur Befähigung und Leistung und nicht das Parteibuch zählt. Obwohl bereits, wie bereits erwähnt, im Jahr 1930 vier Mitglieder und im März 1933 acht weitere Ministerialräte der NSDAP beigetreten waren, wandte sich am 19. Dezember 1933 der Bund Deutscher Reichssteuerbeamten an Saemisch mit der Behauptung, bisher sei noch kein einziger Beamter des Rechnungshofs der Partei beigetreten, Saemisch solle künftig vorzugsweise Parteimitglieder mit gültigem Parteiausweis einstellen55. Eine Antwort des Präsidenten ist nicht bekannt. Im Frühjahr 1937 berichtete der Leiter der Außenabteilung Hamburg, Haaser, der Gauleiter Kaufmann verlange von ihm, sämtliche Beamte der Außenabteilung als Mitglieder der NSDAP anzumelden56.

Vizepräsident Mussehl darf den Präsidenten mit „Lieber Herr Saemisch“ ansprechen

Als im Jahr 1933 im RRH die Stelle eines Vizepräsidenten eingerichtet wurde, besetzte Saemisch den Posten mit dem parteilosen Staatssekretär Mussehl, der im Februar 1933 aus seinem Amt im Reichslandwirtschaftsministerium verdrängt worden war57. Zwischen beiden entwickelte sich bald eine vertrauensvolle Zusammenarbeit, wobei Mussehl wiederholt die Statthalterrolle im Rechnungshof übernahm, weil Saemisch wegen seines Gesundheitszustandes öfters pausieren musste. Präsident Saemisch behielt sich alle Personalentscheidungen vor und ließ sich wöchentlich von Mussehl auf den neuesten Stand im Rechnungshof bringen58. Nach seiner Pensionierung ließ sich Saemisch von ihm mit „Lieber Herr Saemisch“ anreden, ein Privileg, das er keinem anderen Mitglied des RRH zugestand.

Im RRH entsteht die „Fachschaftsgruppe Rechnungshof“

Im Rechnungshof etablierte sich bereits ab 1. Juni 1932 eine kleine Zelle strammer SA-Männer und Alter Kämpfer der Partei. Der nationalsozialistischen Beamtenarbeitsgemeinschaft gehörten 12 Mitglieder an. Amtsrat Renner, der später zum Oberregierungsrat aufstieg, war Träger des Blutordens, weitere Mitglieder in niedrigen Rängen waren wie der spätere Präsident Heinrich Müller Träger des Goldenen Ehrenzeichens der NSDAP59.