Hochzeitsküsse und Pistolen - Katrin Koppold - E-Book

Hochzeitsküsse und Pistolen E-Book

Katrin Koppold

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  • Herausgeber: BookRix
  • Kategorie: Krimi
  • Sprache: Deutsch
  • Veröffentlichungsjahr: 2019
Beschreibung

"Ich habe Tränen gelacht." (Claudia Winter, Autorin des Spiegelbestsellers "Aprikosenküsse") Cathy ist so aufgeregt. Schon in wenigen Tagen soll die langersehnte Traumhochzeit mit dem attraktiven Polizisten Simon stattfinden, und Cathy ist sich sicher: Das wird das rauschendste Fest, das Wilbury on the Woods jemals erlebt hat. Doch ausgerechnet auf der Burgruine Glenford Castle, wo ihre romantischen Hochzeitsfotos gemacht werden sollen, wird die Postbotin Veronica ermordet aufgefunden. Und was noch viel schlimmer ist: Simon soll den Fall übernehmen und so schnell wie möglich aufklären. Cathy sieht ihre Hochzeit in Gefahr, und beschließt ihren Verlobten tatkräftig zu unterstützen. Verdächtige gibt es genug, denn das Opfer war eine boshafte Klatschtante. Bei ihren Ermittlungen tappt Cathy nicht nur von einem Fettnäpfchen ins nächste: Auch der Mörder wird bald auf die übereifrige Hobbydetektivin aufmerksam. "Eine gelungene Mischung aus unterhaltsamen Chicklit-Elementen, Ermittlerkrimi und skurrilen Dorfbewohnern. Vor allem die Protagonistin Cathy hat mich zwischenzeitlich angenehm an Sophie Kinsella-Romane erinnert. Wer diese mag, sollte hier unbedingt zugreifen, denn ich bin mir sicher, dass er auch "Hochzeitsküsse und Pistolen" sehr mögen wird." (Alexandra) "Ich muss zugeben mit diesem Täter habe ich persönlich so gar nicht gerechnet. (...) Die sehr gut dargestellten Charaktere, der humorvolle lockere Stil und die Wendungen und Überraschungen in der Handlung haben mich wirklich wunderbar unterhalten. Klar zu empfehlen!" (Manjas Bücherregal) "Was mich an den Romanen der Autorin immer besonders beeindruckt, ist das hohe sprachliche Niveau! Ich lese gerne und viel und wurde schon oft mit schlechten Formulierungen und einfacher Sprache enttäuscht, das passiert einem bei den Büchern von Katrin Koppold nicht! (Seemownay)" Außerdem von Katrin Koppold erschienen Aussicht auf Sternschnuppen (Sternschnuppen-Reihe) Zeit für Eisblumen (Sternschnuppen-Reihe) Sehnsucht nach Zimtsternen (Sternschnuppen-Reihe) Hoffnung auf Kirschblüten (Sternschnuppen-Reihe) Mondscheinblues (Spinoff zur Sternschnuppenreihe) Zimtzauber Liebe hoch 5 (Kurzgeschichten-Anthologie mit Katelyn Faith, Adriana Popescu, Nikola Hotel und Ivonne Keller) Und unter dem Pseudonym Katharina Herzog: Immer wieder im Sommer Weitere Informationen über die Autorin finden Sie auf ihrer Homepage und auf Facebook.

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MEIN BUCH

KATRIN HOHME

INHALT

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Epilog

Danksagung

Liebe Leserinnen und Leser!

Veröffentlichungen

Über den Autor

1

«Meinst du, sie schläft?» Ich zog meine Strickjacke ein wenig enger um meine Schultern.

«Mit offenen Augen? Wohl kaum.» Janinas Unterlippe zitterte.

«Hallo! Aufwachen!» Ich stupste unsere Postbotin mit der Spitze meines Pumps an.

«Mensch, Cathy!» Meine beste Freundin starrte mich an. «Du kannst doch eine Tote nicht treten.»

«Bist du dir sicher, dass sie tot ist?»

«Natürlich ist sie das!»

«Dann bekommt sie doch sowieso nichts mehr mit.»

«Trotzdem.» Janina schürzte die Lippen. «Es ist respektlos.»

«Wie reagiert man denn deiner Meinung nach richtig, wenn man auf der Suche nach einem romantischen Platz für seine Hochzeitsfotos ist und über eine Leiche stolpert?» Verärgert blickte ich auf Miss Finch hinunter. Selbst im toten Zustand schaffte sie es, … irgendwie boshaft auszusehen.

«Jedenfalls tritt man sie nicht.» Unsicher beugte sich Janina über die leblose Person am Boden und fasste sie sanft am Arm. «Miss Finch, hören Sie mich?» Doch die Augen der alten Frau starrten weiterhin ins Leere. Janina fuhr zurück. «Was hast du?» Ich schaute meiner Freundin über die Schulter.

«Da … da ist Blut unter ihrem Kopf. Und …», Janina fröstelte, «… sie ist noch warm.»

«Ja, und?» Ich konnte ihr nicht folgen, aber das war wohl der Schock. Schließlich fand man nicht jeden Tag eine Leiche. Genau genommen hatte ich noch nie eine gesehen. Meine Eltern hatten selbst Katzen, Mäuse und Hamster immer verbuddelt, bevor sie mir von deren Ableben erzählten. Vor allem meinem Dad war nach wie vor sehr daran gelegen, seinen rotgelockten und grünäugigen Wonneproppen vor allen Widrigkeiten des Lebens zu bewahren.

«Sie ist noch warm, Cathy! Sie kann also noch nicht lange tot sein.» Janinas blaue Augen hinter den dicken Brillengläsern wirkten noch riesiger als sonst.

«Oh!» Ich sah mich nervös um, hatte mich aber sofort wieder im Griff. Es musste für alles eine logische Erklärung geben. «Sie ist bestimmt gestürzt, die Arme. Sie war ja wirklich nicht die Schlankeste und der Boden ist ziemlich uneben.» Um meine Worte zu bekräftigen, scharrte ich mit meinem Schuh über die Grasfläche.

«Meinst du?» Janina biss sich auf die Unterlippe. «Wie ist sie überhaupt hereingekommen? Die Burg ist schließlich abgesperrt.» Sie sah mich fragend an.

«Wir haben es doch auch geschafft.»

Ich war selbst überrascht darüber gewesen. Denn obwohl ich im Gegensatz zu meiner kleinen, zierlichen Freundin zum Schreien unsportlich war, hatte ich doch erstaunliches Geschick dabei bewiesen, mich zuerst auf die brusthohe Mauer hochzuziehen und dann an einem Pfosten des schmiedeeisernen Tores vorbeizubalancieren.

Skeptisch beäugte ich die tote Postbotin vor mir. Wäre sie noch am Leben, würde ich ihr raten, zu einem guten Hairstylisten zu gehen. Ihre Frisur sah aus, als hätte ihr jemand einen Kochtopf aufgesetzt und dann wahllos an den herunterhängenden Strähnen herumgesäbelt. Und zu einem Zahnarzt. Denn viele Zähne waren ihr nicht geblieben. Dafür umso mehr Haare am Kinn. Wie immer trug sie eine dieser unsäglichen rosafarbenen Kittelschürzen und ihre Beine waren trotz der kühlen Temperaturen am Morgen nackt. Auf der roten Holzbank, auf der sie wohl kurz zuvor noch gesessen hatte, stand eine Thermoskanne. Auf dem Boden lag eine Zeitung.

Ich ließ meinen Blick im Innenhof der Ruine umherschweifen. Nebel hing wie Fäden von Zuckerwatte im feuchten Gras und der Turm von Glenford Castle ragte als mahnender Zeigefinger in den zartblauen Himmel. Nur noch wenige halbzerfallene Steinwände zeugten von der einstigen Pracht und Größe des ehemaligen Wahrzeichens von Wilbury. Ein mulmiges Gefühl machte sich in meinem Magen breit. Bei meinen vorherigen Besuchen auf der Burg war mir nie aufgefallen, wie … gespenstisch diese Kulisse wirkte.

Janinas Stimme riss mich aus meinen Gedanken. «Wir müssen unbedingt die Polizei informieren.» Sie schob ihre pinkfarbene Brille ein Stückchen höher auf ihre Nase. «Ruf Simon an!»

«Das geht nicht.»

«Warum nicht?»

«Er … er darf nicht wissen, dass wir hier sind. Genau genommen weiß er noch nicht einmal, dass ich weg bin. Er hat vorhin nämlich noch geschlafen.»

Janina hob eine Augenbraue.

Ich betrachtete eingehend meine Fingernägel. «Du weißt doch, wie gesetzestreu Simon ist. Er hat bestimmt kein Verständnis dafür, dass wir beide hier eingestiegen sind.»

«Cathy, du musst ihn informieren.» Janina verschränkte die Arme vor der Brust. «Schließlich liegt hier eine Leiche herum. Oder willst du gleich auf der Polizeiwache anrufen?»

Nein. Das würde mir Simon nie verzeihen. Wo er doch immer alles selbst in die Hand nehmen wollte. Janina hatte recht. Leider. Schicksalsergeben zog ich mein Handy aus der Hosentasche und wählte die Nummer unseres Festnetzanschlusses. Doch es erklang kein Freizeichen. Ein Blick auf das Display zeigte mir auch warum nicht: Glenford Castle befand sich in einem Funkloch. Genau genommen war ganz Wilbury ein einziges Funkloch.

«Was ist los?» Janina trat von einem Fuß auf den anderen. «Ist Simon nicht da?»

«Ich habe keinen Empfang.»

«Oh nein.» Die Augen meiner Freundin weiteten sich entsetzt, ganz so, als wäre der fehlende Handyempfang ein Garant dafür, dass gleich ein vermummter Mensch mit Maschinenpistole aus dem Gebüsch herausspringen würde.

«Ich gehe ein Stück in Richtung Burgmauer. Vielleicht kann ich von dort aus telefonieren.»

Mein Handy wie eine Wünschelrute vor mich haltend schritt ich einige Meter nach vorne. Doch auf dem Display regte sich nichts. Wütend starrte ich das unselige Ding an.

«Mein Gott! Irgendwo in diesem Nest muss es doch Empfang geben.»

Ich zog meine Pumps aus und kletterte auf einen Felsbrocken. Von dort aus hatte ich eine ganz wundervolle Aussicht auf unser schönes Dörfchen, das sich im milchig gelben Licht des frühen Morgens verschlafen an den mächtigen Burgberg kauerte. Was ich aber leider auch hier nicht hatte, war … ein funktionierendes Netz!

In einer Krimiserie war mal gezeigt worden, wie ein Mann sein Handy hoch in die Luft geworfen hatte, um Empfang zu bekommen. Natürlich durfte man nicht alles glauben, was man im Fernsehen sah, aber einen Versuch war es wert. Kurz entschlossen holte ich Schwung und schmiss das weiße mit Swarovski-Kristallen verzierte Gerät nach oben.

«Was zum Teufel machst du da?», rief Janina, doch ich reagierte nicht.

Beeindruckt sah ich meinem Mobiltelefon nach. Zu welchen Höchstleistungen ein Mensch in Stresssituationen doch in der Lage war! Den Schleuderball hatte ich im Schulsport nie so kraftvoll von mir gedonnert. Leider versagte ich auch dieses Mal beim Fangen – und das Handy plumpste in einen Ginsterstrauch, der sich am Fuß des Burghangs befand. Sch … ade. Es war neu gewesen. Und so hübsch! Hektisch kraxelte ich von dem Felsbrocken hinunter und warf mich zwischen die stacheligen Äste. Zum Glück sah ich das Handy sofort. Ein paar Zweige hatten es aufgefangen. Ich schnipste ein silberfarbenes Kaugummipapier beiseite … und schrie im nächsten Augenblick entsetzt auf.

«Was hast du?», fragte Janina aus sicherer Entfernung.

«Ddddd … da liegt eine Pistole.»

Janina stieß einen erstickten Laut aus und sprang hinter eine Steinmauer. Auch ich grabschte nach meinem Handy, um mich so schnell wie möglich aus der Gefahrenzone zu bringen. Denn auch ohne dazugehörigen Besitzer hatte das metallisch glänzende Ding etwas unbestreitbar Bedrohliches an sich. «Ich muss zum Haupttor. Vielleicht habe ich dort Empfang», sagte ich und schaffte es nur mit Mühe, das Zittern in meiner Stimme zu unterdrücken.

«Und ich soll allein hier oben bleiben?» Janina kam aus ihrem Versteck hervor und klammerte sich an meinem Arm fest. «Der Mörder kann immer noch hier sein.»

«Wer sagt denn, dass jemand Miss Finch ermordet hat? Vielleicht ist sie auf ihrer morgendlichen Zeitungsrunde von Abenteuerlust übermannt worden, über das Geländer geklettert und gestürzt.»

Janina sah mich mitleidig an. «Das glaubst du doch wohl selbst nicht.»

Es wäre zumindest die einfachste und bequemste Lösung. Aber nein, natürlich glaubte ich es nicht. Miss Finch wäre körperlich nämlich überhaupt nicht dazu in der Lage gewesen, über die Mauer in das Schloss zu gelangen. Mich hatte sie immer an einen der Zwillinge aus Alice im Wunderland erinnert, mit ihrem Tennisballkörper und den Stummelbeinen. Einen Schlüssel zur Burg besaß sie, soweit ich wusste, auch nicht. Den hatte nur der Besitzer, Mr Winterbottom, der mit seiner Frau in Exeter wohnte und ein Bekannter meines Vaters war. Abgesehen davon, dass Miss Finch den Winterbottoms während ihres Aufenthalts in Wilbury jeden Morgen die Zeitung in den Briefkasten stopfte, hatten sie bestimmt keinen näheren Kontakt zu der Postbotin gehabt. Wie um Himmels willen war sie also hineingekommen? Und auch diese verflixte Pistole widerlegte meine Theorie mit dem Unfall.

Plötzlich lief es mir kalt den Rücken herunter. Hatte sich dort hinten zwischen den verfallenen Mauern nicht etwas bewegt? Und der leichte Wind, der um die Burg strich … Auf einmal kam es mir vor, als würden kalte Finger nach mir greifen.

«Komm mit!» Ich fasste Janina an der Hand und wir rannten zum Eingang.

Erleichtert atmete ich auf, als ich auf das Handy-Display schaute. Zwei Balken. Ich drückte auf die Wahlwiederholungstaste. Unverzüglich ertönte ein Freizeichen. Doch zunächst ging niemand ans Telefon. Nachdem ich schon fast aufgeben wollte, hörte ich die verschlafene Stimme meines Mannes: «Gunn.»

Leider kein Witz. Simon hieß tatsächlich mit Nachnamen Gunn und auch ich würde in zwei Wochen den altehrwürdigen Namen Walsingham ablegen, um mich künftig so zu nennen. Zwischen Simon und mir, das musste wirklich wahre Liebe sein! Und angesichts meines Funds im Gebüsch wurde mir der Name Gunn noch unsympathischer als zuvor. Doch ich nahm mich zusammen.

«Hallo, Schatz, hier ist Cathy», flötete ich ins Telefon.

«Wo bist du?» Simon klang mürrisch. Er war ein ausgesprochener Morgenmuffel. «Solltest du nicht neben mir im Bett liegen?»

«Das sollte ich wohl.» Ich schenkte seiner schlechten Laune keine Beachtung. «Aber der Morgen war so schön und ich war so früh wach und da dachte ich, fahr ich doch mal schnell zur Burg rauf und schau nach, an welchen Stellen die Fotografin unsere Hochzeitsfotos machen könnte.»

«Ach, Cathy!» Simon stöhnte auf. «Lass mich raten: Du hast es irgendwie geschafft über das Tor zu klettern, kommst aber nicht mehr zurück.»

Ich verdrehte die Augen. «Nein, Simon, natürlich komme ich wieder raus. Beziehungsweise wir. Janina ist bei mir.»

«Janina? Ihr hätte ich mehr Verstand zugetraut. Wisst ihr eigentlich, dass ihr Hausfriedensbruch begeht?»

Ich erwiderte nicht, dass es bestimmt kein Hausfriedensbruch war, sich zu einer Burg Zutritt zu verschaffen, für die man eine Woche später sowieso einen Schlüssel bekommen würde. Hausfriedensbruch hatte, wenn überhaupt, Miss Finch begangen. Mein Verlobter konnte so kleinlich sein.

«Also, Cathy, das geht einfach nicht», fuhr Simon fort. «Was sollen denn die Leute denken, wenn ausgerechnet du als meine zukünftige Frau …»

«Simon, jetzt hör mir mal zu», unterbrach ich seine Moralpredigt kurzentschlossen. «Auf dem Burghof liegt eine Leiche herum. Und wenn du nicht in fünf Minuten hier erscheinst, dann ruf ich auf der Wache in Barnstaple an.»

«Eine Leiche?»

«Veronica Finch, mitten in einer Blutlache.»

Simon schnappte hörbar nach Luft.

«Aber nur in einer ganz kleinen», fügte ich hinzu.

Am anderen Ende der Leitung herrschte Stille.

«Simon? Bist du noch dran?»

«Fasst bitte nichts an! Ich komme sofort.» Die Leitung wurde unterbrochen.

2

Man sah Simon an, dass er fünf Minuten vor seiner Ankunft auf Glenford Castle noch im Bett gelegen hatte. Denn er war in ungewohnt derangiertem Zustand. Seine dunklen Haare standen nach allen Seiten ab und statt eines gebügelten Hemdes und einer Jeans oder seiner Polizeiuniform trug er einen grauen Kapuzenpulli und Jogginghosen. Seine Hand wanderte zum Torknauf.

«Das Tor ist zu. Du musst über die Mauer klettern», sagte ich.

«Nicht, wenn man das hier hat.» Simon zog einen Dietrich aus der Tasche seiner Sporthose.

Bewundernd beobachtete ich, wie er sich am Schloss zu schaffen machte. Er sah so sexy dabei aus. Überhaupt war Simon ziemlich heiß: groß, breitschultrig, dunkelhaarig, mit grauen Augen, einem wirklich hübschen kleinen Po und einem überhaupt nicht kleinen … Nun ja, sagen wir, es war keine Banane, die sich durch den Stoff seiner Boxershorts stets so verheißungsvoll abzeichnete.

Ich hatte schon ein paar Mal versucht, Simon dazu zu überreden, seine Polizeiarbeit in unser Liebesspiel zu integrieren. Doch leider war ich bisher weder in den Genuss gekommen, ihm seine Uniform vom Leib zu reißen, noch durfte ich eine Gefangene spielen, die von ihm an unser Metallbett gekettet wurde.

Das Tor glitt mit einem rostigen Quietschen auf und ich warf mich Simon entgegen.

«Ich bin so froh, dass du da bist», schniefte ich und vor Erleichterung darüber, ihn zu sehen, zu spüren und zu riechen, knickten mir fast die Beine weg.

Simon nahm mich in seine muskulösen Arme und strich mir beruhigend über den Rücken. «Wo liegt sie?»

«Im Innenhof.» Nur zögernd löste ich mich aus seiner Umarmung.

Er nahm mich an der Hand und zog mich hinter sich her.

«Unglaublich, wie einfach es ist, so ein Tor zu öffnen», rief ich Janina, die uns in einigem Abstand folgte, über meine Schulter hinweg zu. «Mit so einem Dietrich hätten wir beide uns in den letzten fünfzehn Jahren so einiges an Kletterei ersparen können.»

«Ihr beide wart also schon öfter hier oben.» Simon blieb stehen und ließ seinen Blick vorwurfsvoll von mir zu Janina wandern.

«Sag bloß, du bist früher nie hier eingestiegen, um heimlich Alkohol zu trinken, zu rauchen oder deine Freundinnen zu küssen?»

«Das wäre Hausfriedensbruch gewesen.»

Ich verdrehte die Augen. Warum fragte ich überhaupt? Simon war wahrscheinlich schon mit einem Gesetzestext in der Hand auf die Welt gekommen.

Janina und ich führten ihn den u-förmigen Weg entlang bis in den Innenhof der Burg, wo wir Miss Finchs leblosen Körper zurückgelassen hatten.

Simon zog scharf die Luft ein. Sein Blick wanderte zu der Thermoskanne und der am Boden liegenden Zeitung und huschte dann im Burghof hin und her.

«Geht jetzt nach Hause, Cathy», sagte er abwesend. «Hier könnt ihr nichts mehr tun. Ich habe bereits einen Einsatzwagen und das Team von der Spurensicherung informiert.»

«Bestimmt nicht. Jetzt, wo es spannend wird. Außerdem habe ich eine Pistole im Gebüsch gefunden.» Ich stampfte mit dem Fuß auf.

«Eine Pistole! Wo?» Plötzlich hatte ich seine volle Aufmerksamkeit.

Ich führte ihn zu dem Ginsterbusch. «Hier ist …» Doch die nächsten Worte blieben mir im Halse stecken. Denn die Pistole war fort!

Simon sah mich abwartend an.

«Aber … hier … hier war sie», stotterte ich. «Ich bin mir ganz sicher. Der Busch direkt neben dem Felsen, auf den ich geklettert bin, um Handyempfang zu bekommen. Du hast sie doch auch gesehen?» Ich blickte Janina auffordernd an.

Doch die schüttelte den Kopf. «Du hast mich gleich gepackt und zum Tor gezerrt.»

Simon zog die Zweige des Ginsterbuschs auseinander. «Vielleicht hast du in der Aufregung das Kaugummipapier mit einer Pistole verwechselt.» Er zeigte auf den silbrigglänzenden Streifen.

«Simon Gunn!» Ich baute mich vor ihm auf. «Ich verwechsele doch ein Kaugummipapier nicht mit einer Waffe!»

«Wir werden den gesamten Bereich untersuchen. Vielleicht taucht die Pistole ja noch irgendwo auf.» Richtig überzeugt wirkte Simon jedoch nicht.

Er schien tatsächlich zu glauben, dass mir meine Nerven einen Streich gespielt hatten. Und ohne auf meinen lauten Protest zu achten, geleitete er uns mit sanfter Gewalt zu meinem cremefarbenen Mini Cooper, den ich am Fuß des Burgberges geparkt hatte.

«Wenn Simon und ich übernächsten Samstag mit der Fotografin zu Glenford Castle hinaufgehen, werde ich bestimmt die ganze Zeit an Miss Finch denken müssen», murrte ich, nachdem Simon wieder im Burghof verschwunden war. «Nicht zu fassen. Nie passiert etwas in diesem Kaff, und kurz bevor ich heirate, liegt auf einmal eine Leiche hier rum.» Wütend trat ich gegen einen Stein. «Ich sollte mich nach einem anderen Platz für die Fotos umschauen.»

«Mensch, Cathy! Eine Frau wurde heute Morgen getötet und du denkst nur über deine Hochzeit nach. Hast du denn gar kein Mitleid mit der Armen? Schließlich kennen wir sie schon unser ganzes Leben.»

«Miss Finch war ein gehässiges altes Klatschweib, das seine Nase ständig in Sachen gesteckt hat, die es nichts angehen», verteidigte ich mich. «Und du, tu nicht so scheinheilig. Du mochtest sie auch nicht.»

Miss Finch hatte Anfang dieses Jahres nämlich überall herumerzählt, dass Tom Beckett, der Tierarzt von Wilbury, auf der letzten Young Farmers Disco seine Hand auf das Knie von Janinas Mutter Fiona gelegt hatte. Obwohl das Gerücht nicht bewiesen werden konnte, sprach dessen Frau seitdem kein Wort mehr mit Fiona.

Ich musste gestehen, ich traute diese Tat sowohl Janinas Mutter als auch unserem attraktiven Tierarzt zu. Mir war zwischen den beiden schon öfter eine gewisse Anziehungskraft aufgefallen. Wie dem auch sei, da aber auf der Party alle Tische getreu des Mottos 1001 Nacht mit bodenlangen Orientstoffen behängt worden waren, konnte Miss Finch unmöglich Zeuge der heimlichen Fummelei geworden sein. Es sei denn, sie hätte den ganzen Abend unter dem Tisch gesessen. Ich beschloss, das Thema zu wechseln.

«Ich habe um neun Uhr einen Friseurtermin. Möchtest du mitkommen?»

Janina schüttelte den Kopf. «Ich muss um halb zehn im Buchladen stehen. Warst du nicht erst letzten Mittwoch im Cuts and Curls?»

«Es geht auch nicht um meine Frisur, sondern um die von Simon.»

Kurz vor neun ergatterte ich den letzten Parkplatz vor dem Cuts and Curls. Kaum hatte ich den Laden betreten, sah ich auch schon Polly Featherstone, die straff gewickelt unter einer Wärmehaube saß.

«Cathy!», rief sie, als sie mich entdeckte. «Hast du schon gehört? Veronica Finch ist ermordet worden.»

Na, sieh mal an! Um halb sieben hatten Janina und ich die Tote gefunden, um sieben war die Burg abgeriegelt worden und kaum zwei Stunden später hatte sich die Nachricht bereits im Dorf verbreitet. Meine unrühmliche Rolle bei dem Ganzen würde ich Polly auf jeden Fall nicht auf die Nase binden. Zumindest nicht jetzt.

«Ach du meine Güte», antwortete ich betont überrascht. «Das ist ja unglaublich. Weiß man denn schon etwas Näheres?»

«Das wollte ich dich gerade fragen. Ich habe nämlich deinen Simon in einem Streifenwagen wegfahren sehen», entgegnete Polly listig.

«Du weißt doch, Simon trennt sein Berufs- und Privatleben strikt.»

Und das stimmte leider. Bestimmt wusste Simon, wer vor ein paar Wochen das Ortsschild von Wilbury umgefahren und unser Dörfchen dadurch endgültig in vollkommene Unbedeutsamkeit gestoßen hatte. Aber er verriet es mir nicht.

Demonstrativ setzte ich mich in den Wartebereich und vergrub meine Nase in der Hello, um zu zeigen, dass das Gespräch für mich beendet war.

«Was kann ich für dich tun?», fragte mich Lucy, meine Friseurin, kurze Zeit später, als ich auf einem der bequemen Frisiersessel Platz genommen hatte. «Möchtest du noch eine andere Hochzeitsfrisur ausprobieren?»

«Nein, nein. Ich bleibe bei dem Knoten und der Orchidee. Ich bin wegen Simon hier.»

Lucy sah mich überrascht an.

«Ich finde, Simons Frisur braucht vor der Hochzeit dringend eine kleine Auffrischung, aber er ist in dieser Hinsicht ja leider alles andere als innovativ. Mum hat mir erzählt, du hast Folien, mit denen simuliert werden kann, wie man mit verschiedenen Frisuren aussieht.» Ich holte aus meinem Portemonnaie ein Passfoto von Simon hervor. «Wenn er erst mal weiß, wie toll er mit einem anderen Haarschnitt aussehen würde, wird er vielleicht etwas mutiger.»

Simon trug seinen Haarschnitt nämlich schon so lange, wie ich ihn kannte. (Wir waren im Kindergarten beide in der Hasengruppe gewesen.) Mir war nie etwas Negatives an seinen Haaren aufgefallen, bis Nick seine Frisur letzte Woche als solide bezeichnet hatte. Ich fand dieses Attribut mehr als abwertend, ja, ich fand es sogar noch schlimmer als interessant. Und da Nick, der neben Janina zu meinen engsten und längsten Freunden gehörte, immer exzellent gekleidet und darüber hinaus auch noch schwul war, musste ich gestehen, dass mich diese Bezeichnung etwas verunsichert hatte. Diese Hochzeit sollte einen dramatischen Einschnitt in Simons Leben bilden und dieser dramatische Einschnitt erforderte unbedingt einen neuen Haarschnitt. Bei meinem Mann zumindest.

Während ich auf Lucy und ihre Folien wartete, startete Polly einen erneuten Versuch, mich auszuquetschen, und rollte mit ihrem Frisierstuhl so dicht an mich heran, dass ich fast auf ihrem knochigen Schoß saß.

«Man soll ja nicht schlecht über Tote reden», flüsterte sie mir vertraulich zu, «aber Veronica war unmöglich. Kannst du dir vorstellen, dass sie jeden Morgen meinen Daily Telegraph gelesen hat? Außerdem hat sie ihre Augen und Ohren überall gehabt. Sie hat nur die Post im Dorf ausgetragen, um möglichst viel zu erfahren. Es würde mich nicht wundern …», sie machte eine dramatische Pause, «… wenn sie ihre Nase in etwas gesteckt hätte, das ihr zum Verhängnis geworden ist.»

«Hast du einen Verdacht?» Zu meiner Schande musste ich gestehen, dass ich tatsächlich neugierig geworden war.

«Den hab ich.» Polly machte ein überlegenes Gesicht.

«Erzähl!», hauchte ich gespielt beeindruckt.

«Phineas Hicks.»

Phineas Hicks! Mr Hicks war mein ehemaliger Musiklehrer.

«Genau der. Veronica hat ihn dabei beobachtet, wie er mit einer Decke auf dem Bauch auf seinem Sofa gelegen und Mittagsschlaf gehalten hat.» Sie senkte bedeutungsschwer die Stimme. «An einem ganz gewöhnlichen Wochentag. Um zwölf Uhr.»

«Diese Lehrer!» Ich schüttelte ungläubig den Kopf, um Polly zum Weiterreden zu animieren. «Während andere noch hart arbeiten, bereits einen Mittagsschlaf halten!»

«Veronica hat es im ganzen Dorf herumerzählt. Seitdem haben die Hicks blickdichte Vorhänge und müssen den ganzen Tag im Dunkeln sitzen.»

Ich prustete los und verschluckte mich dabei an meinem Kaffee, sodass ich heftig zu husten begann. Mord wegen fehlenden Sonnenlichts. Das musste ich unbedingt Simon erzählen. Der Übeltäter war ertappt. Doch bereits im nächsten Moment verging mir das Lachen.

«Ich frage mich, wie Jonathan es aufnimmt», fuhr Polly fort. «Er war ja ihr einziger noch lebender Verwandter.»

«Jonathan Beauchamps, der Besitzer der Moulin d’Or? Der war mit der bedauernswerten Miss Finch verwandt?» Simons und meine Hochzeitsfeier würde in diesem Restaurant stattfinden.

«Die beiden waren Geschwister.» Polly grinste hämisch. «Jonathan hat nach seiner Heirat den Namen seiner Frau angenommen. Hat sich ja schon immer für etwas Besseres gehalten, der feine Herr. Er und Veronica waren sich seit Jahren spinnefeind.»

«Geschwister?» Ich schnappte nach Luft. Nicht auszudenken, wenn sich Mr Beauchamps wegen des Todes seiner Schwester außerstande sehen würde, meine Hochzeit auszurichten! Dann musste ich nicht nur über eine andere Kulisse für meine Hochzeitsfotos nachdenken, nein, eventuell war es nötig, einen anderen Platz für die gesamte Hochzeitsfeier zu finden. Mir brach der Schweiß aus. Schlimmer hätte es nicht kommen können. Es sei denn, Reverend Scott, der Geistliche, der uns trauen sollte, hatte Miss Finch umgebracht. Erschöpft ließ ich mich im Stuhl zurücksinken.

Lucy kam zurück und legte eine der Folien über Simons Passbild. Der erste Haarschnitt war seitlich tief gescheitelt und fiel modisch über das rechte Auge. Ich verzog das Gesicht. Schick, aber ein solcher Pony würde Simon nur bei der Arbeit behindern. Die zweite Frisur, einen Mini-Irokesen à la David Beckham, fand ich auch nicht schlecht, aber damit würde Simon wohl Schwierigkeiten haben, als Chief Inspector ernst genommen zu werden. Auch die dritte, vierte und fünfte Frisur schien mir nicht polizeigeeignet, aber ich konnte mich auch nicht mehr richtig konzentrieren. Das verwandtschaftliche Verhältnis von Mr Beauchamps und Miss Finch ging mir nicht aus dem Kopf. Wo sollte ich so kurzfristig noch eine andere Location auftreiben? Es war August. Hochsaison für Hochzeiten. Garantiert waren sämtliche Locations schon seit Monaten ausgebucht. Alle, bis auf Roddy’s Pub. Oh Gott! Das wäre mein gesellschaftlicher Exitus.

Nachdem Lucy bestimmt dreißig weitere Frisuren über das lächelnde Gesicht meines Verlobten gelegt hatte und ich mir sicher war, dass er auch davon keine akzeptieren würde, gab ich mich geschlagen: Simon würde mit seiner soliden Frisur alt werden. Auf meiner Hochzeit lastete ein Fluch!

3

«Ich wusste gar nicht, dass Mr Beauchamps und Miss Finch Geschwister waren. Die beiden sahen sich überhaupt nicht ähnlich», jammerte ich und biss in ein Stück Trüffel-Nougat-Schokolade. «Es ist der totale Albtraum. Alles läuft schief.»

«Jetzt warte es doch erst einmal ab.» Mum nahm mich in den Arm und ich wurde von einer tröstenden Wolke Chanel No 5 eingehüllt. «Ich glaube nicht, dass Veronicas Tod Jonathan derart aus dem Gleichgewicht bringt, dass er sich ein Geschäft entgehen lässt. Die beiden hatten noch nie ein enges Verhältnis. Wie hast du denn davon erfahren?» Sie reichte mir ein Taschentuch mit einem aufgestickten M für Molly darauf.

Ich putzte mir ausgiebig die Nase. «Polly hat es mir vorhin beim Friseur erzählt.»

Die Lippen meiner Mutter kräuselten sich. «Die hat garantiert nicht geweint, als sie von Veronicas Tod erfahren hat.»

«Was meinst du?»

«Veronica hat ihr die Rolle als Solistin im Kirchenchor weggeschnappt.»

«Miss Finch konnte singen?»

Sie strich sich die tizianrot gefärbten Haare aus der immer noch verdächtig glatten Stirn und ein spitzbübischer Ausdruck huschte über ihr Gesicht. «Schöner als Polly.» Doch dann verdüsterte sich ihre Miene sofort wieder. «Was wird eigentlich aus Harold? Jetzt, wo die arme Veronica tot ist.»

«Harold? Hatte Miss Finch einen Freund?»

«Kind, bekommst du denn gar nichts vom Dorfleben mit?» Mum legte den Kopf schief. «Harold ist Veronicas Kater. Wer kümmert sich nun um ihn? Ich glaube nicht, dass Jonathan ihn bei sich aufnimmt.»

Das sah meiner Mutter ähnlich. Mein Eheleben lag noch vor der Trauung in Trümmern und sie sorgte sich um einen Kater. Ich verdrehte die Augen. «Mum, wir haben bereits eine neurotische Katze. Ich flehe dich an, hol dir nicht noch eine zweite ins Haus.»

Mum hatte Betsy als fünf Wochen altes Kätzchen aus dem Tierheim gerettet. Betsy fraß ihr Futter ausschließlich von einem silbernen Teller. Ihr Wasser trank sie nur aus einer dekorativen Schale, auf der drei Seerosen schwammen. Sie war ausgesprochen boshaft und der ganze Sinn ihres Daseins schien darin zu bestehen, wahlweise die Nachbarskatzen, diverse Sofakissen oder Mum und mich zu verhauen. Mum entschuldigte ihr aggressives Wesen jedoch schon seit Jahren mit einer vermeintlich schlimmen Kindheit. Und nun hatte sie ein neues Adoptivkind im Auge. Ich erkannte es an ihrem gierigen Blick.

«Harold ist schließlich gerade Vollwaise geworden. Wir können dem armen Kerl doch wenigstens einen Happen zu essen vorbeibringen.» Sie klapperte mit ihren auf Hochglanz polierten Fingernägeln auf dem Tisch herum. Im Gegensatz zu mir benutzt Mum niemals Nagellack. Ihrer Meinung nach war das etwas für Bauernmädchen, die den Dreck unter den Nägeln verstecken mussten.

«Wieso wir?» Abwehrend hob ich die Hände. «Kannst du nicht alleine fahren? Oder dir eine andere Begleitperson suchen?»

«Du kannst doch nicht von mir verlangen, dass ich mutterseelenallein zum Haus einer Toten fahre. Und außer dir», sie schenkte mir einen flehenden Augenaufschlag, «hat an einem Wochentag ja niemand Zeit.»

Zeit! Ja! Ich stöhnte auf. Zeit hatte ich im Übermaß. Warum hatten mich meine Eltern nie darauf hingewiesen, dass die Fächerkombination Kunstgeschichte und Italienisch meine spätere Berufswahl ganz immens einschränken würde?

Obwohl Wilbury on the Woods sich malerisch in die hügeligen Ausläufer des Dartmoor National Parks schmiegte und sowohl das Seebad Plymouth als auch Exeter kaum dreißig Kilometer entfernt lagen, verirrten sich nur wenige Touristen in unser Dorf. Seitdem wir kein Ortsschild mehr hatten, kamen genau genommen gar keine mehr. Ich fand das ein wenig schade. Nicht, dass ich die Einwohner von Plymouth und Exeter beneidete, die sich in der Hochsaison kaum aus dem Haus wagen konnten, ohne von einem Reisebus überrollt zu werden. Aber ein bisschen frischer Wind hätte unserem verschlafenen Dörfchen durchaus gutgetan. Und Glenford Castle war wirklich hübsch.

Miss Finch hatte in der Main Road in einem Häuschen aus Natursteinen gewohnt, direkt am Fuß der Burg. Ein rotes Polizeiabsperrungsband klebte nun über dem Türrahmen.

Harold hielt in der warmen Sonne auf der Bank vor dem Haus ein Mittagsschläfchen. Auf mich machte er keinen traumatisierten Eindruck. Mum war jedoch anderer Meinung.

«Harold, du armer, armer Junge. Ich habe dir etwas Feines mitgebracht.» Auf ihren hohen Sandaletten trippelte sie auf ihn zu und fuchtelte mit einem Stück Wurst vor seiner Nase herum. Der Kater öffnete ein Auge und blickte damit gelangweilt in die Luft.

«Schau, ich habe auch Katzenmilch dabei», startete sie einen erneuten Versuch, den dicken Harold vor dem sicheren Hungertod zu retten und hielt ihm eine Schale direkt unter das Mäulchen. Von ihren Bemühungen jetzt deutlich genervt, stand er auf, dehnte sich und plumpste von der Bank hinunter.

«Ach Gott! Du bist ja völlig verängstigt, du Armer.» Mum streckte die Arme aus, um ihn hochzuheben. Doch das war endgültig zu viel des Guten. Der Kater fauchte sie an und rannte zur Haustür. «Komm zu mir, Harold. Hier macht dir niemand mehr auf», versuchte sie ihn zum Bleiben zu überreden.

Aber Harold hatte genug von ihren Aufdringlichkeiten und stupste mit seiner Pfote gegen die Haustür. Zu meiner Überraschung sprang sie auf.

Langsam folgte ich dem Kater unter dem Absperrband hindurch in den dunklen Flur und schaute mich um. Mein erster Besuch musste zwanzig Jahre zurückliegen. Janina, Nick und ich hatten Miss Finch um eine Spende für Oxfam gebeten. Zu unserer Überraschung hatte sie sich großzügig gezeigt und uns dreißig Pfund gegeben. Seitdem hatte sich in ihrem Flur nicht viel verändert. Dort klebte immer noch die scheußliche orangefarbene Tapete mit dem Wellenmuster und auch das Puzzle, auf dem Prince Charles und die junge Lady Di abgebildet waren, hatte sie nicht entfernt. Daneben hing ein Schwarz-Weiß-Foto, auf dem drei Mädchen und drei Jungen stolz ihre Zahnlücken der Kamera präsentierten. Alle sechs kamen mir vage bekannt vor, aber ich wusste ihre kindlichen Gesichter nicht genau einzuordnen.

Mein letzter Besuch war erst zwei Wochen her. Miss Finch hatte nämlich aus Gründen, die sie uns nicht näher erläutern wollte, gleich an zwei Tagen hintereinander keine Zeitung bei uns eingeworfen. Und da für Simon ein Tag ohne den Daily Telegraph nur schlecht werden konnte, beschloss ich, die Postbotin am nächsten Morgen noch vor ihrer Zeitungsrunde abzupassen, um sie so auf ihre Verfehlung hinzuweisen. Tatsächlich hatte sie diesen Wink wohl verstanden, denn seitdem befand sich das Blatt wieder stets pünktlich zu Simons Schichtbeginn in unserer Zeitungsrolle.

«Kind, komm sofort zurück! Du kannst nicht einfach so hier einbrechen», zischte Mum.

«Du wolltest doch unbedingt den Kater retten, nicht ich.» Ohne weiter auf sie zu achten, ließ ich meinen Blick durch den Flur schweifen. «Das ist ja seltsam!»

«Was?» Die Neugier meiner Mutter siegte über ihre Gesetzestreue und sie trat ins Haus, nicht jedoch ohne die Tür sorgfältig hinter sich zu verschließen.

«Warum hat Miss Finch einen Spaten im Flur stehen?»

«Vielleicht wollte sie heute Morgen im Garten arbeiten.»

Doch dazu war es nicht mehr gekommen. Mich fröstelte es.

Ich ging weiter und stieß eine Tür auf. Der Eingang zum Keller. Harold kauerte mit gesträubtem Nackenhaar und peitschendem Schwanz dahinter.

«Hier bist du also, du Stromer!»

Der Kater warf mir einen vernichtenden Blick zu.

Ein Geräusch ließ mich zusammenzucken. Schwere Schritte näherten sich dem Häuschen.

«Oh Gott! Der Mörder», flüsterte Mum und versteckte sich hinter meinem Rücken. «Er kommt an seinen Tatort zurück!»

«Red doch nicht so einen Unsinn. Miss Finch ist auf Glenford Castle ermordet worden.» Trotzdem packte ich Mum am Arm und zerrte sie durch den Flur. Sicher war sicher. Gerade noch rechtzeitig verschwanden wir in der angrenzenden Küche, als die Haustür mit einem quietschenden Geräusch aufsprang und ein dunkler Schatten im Eingangsbereich erschien.

«Cathy?», ertönte die Stimme meines Verlobten.

Starr vor Schreck hielt ich den Atem an und zog den Bauch ein, vermutlich in dem irrigen Glauben, ich könne dadurch unsichtbar werden.