Hoheitsgebiete - Berit Brockhausen - E-Book

Hoheitsgebiete E-Book

Berit Brockhausen

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  • Herausgeber: Südwest
  • Kategorie: Ratgeber
  • Sprache: Deutsch
  • Veröffentlichungsjahr: 2012
Beschreibung

Revierkämpfe in der Liebe?

Was soll das denn sein? Wer sich liebt, kämpft doch nicht. Oder wenn, dann stimmt entweder mit der Liebe oder mit der Beziehungsfähigkeit der beiden Beteiligten etwas nicht. Dort, wo man es am wenigsten will, nämlich in der Liebesbeziehung, kommt das Tier im Menschen am heftigsten durch. Leider nicht nur im Bett, sondern auch am Frühstückstisch, bei den notwendigen Alltagsabsprachen und bei der Kindererziehung. Wer das leugnet, bekommt ziemlich schnell ein Problem: Vorwürfe von fehlendem Respekt, Dominanz oder von Machtspielchen machen es fast unmöglich, das zugrunde liegende Problem zu erkennen oder gar zu lösen. Denn wenn man sich klar macht, dass es sich gerade um einen stinknormalen Revierkonflikt handelt, lässt sich dieser schnell und partnerschaftlich lösen. Das Thema „Territorialität in der Paarbeziehung“ ist kaum bekannt, spielt aber eine wichtige Rolle. Deshalb ist dieses Buch sowohl für Betroffene wie auch für Fachleute eine längst überfällige und differenzierte Einführung in das Thema.

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Seitenzahl: 251

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Inhaltsverzeichnis

In eigener Sache
WIDMUNG
ETWAS STIMMT NICHT
Eine Liebesbeziehung – aber warum eigentlich?Wer sich liebt, kommt sich in die Quere
LIEBST DU MICH ÜBERHAUPT NOCH?MACHTKAMPF? DER SCHEIN TRÜGT
Liebe und Respekt ? Fehlanzeige!
WAS IST NUR MIT DIR LOS?
Fazit
GRENZVERLETZUNGEN
Kämpfe ohne GewinnerHoheitsgebieteMeins
BesitzRaumZeitRückzugAufmerksamkeitDie eigenen Gedanken, Gefühle und WahrnehmungenVerantwortungDer eigene Körper
Besetzen, erobern, abluchsen … alles hat seinen PreisWer um Gemeinsamkeit kämpft, hat schon verloren
SEHNSUCHT NACH GEMEINSAMKEIT
Problemzonen
DIE HOFFNUNG STIRBT ZULETZT
Fazit
DIE BITTERE WAHRHEIT
Der Schrecken der LiebeHilflos ausgeliefert?
BEDÜRFNISSEGEFÜHLEKONFLIKTEGRENZEN
Überlebensstrategien
ABHÄNGIG, ABER NICHT AUSGELIEFERT
Bedürftigkeit vermeiden – oder meistern?Fazit
ÜBERGRIFFE
Dein Wunsch ist mir Befehl
KUHHANDEL
Das Dilemma der LiebendenNotwehrRevierkämpfe führen
BESETZENABLUCHSENFORDERNBEHARRENWESHALB DIESE WAFFEN WIRKEN
Fazit
VERSTRICKUNGEN
Schutzreflexe mit Schädigungspotenzial
DIE ERSTE VERSTRICKUNG: „DEIN WUNSCH SEI MIR BEFEHL“DIE ZWEITE VERSTRICKUNG: DER „RICHTIG-WICHTIG-KREISLAUF“DIE DRITTE VERSTRICKUNG: „MACH DAS – LASS DAS!“
Gefährliche Automatismen
WENN KONTROLLE IMMER HILFLOSER MACHT
Fazit
DIE INNERE UNABHÄNGIGKEITSERKLÄRUNG
SelbstverantwortungEndlich erwachsenSchluss mit Falsch und Richtig
DIE EIGENEN GEFÜHLE ERNST NEHMENDIE EIGENEN BEDÜRFNISSE NICHT MEHR ÜBERGEHENEINZIGARTIG STATT EIGENARTIGNEU UND UNGEWOHNT – NA UND?
Ein eigener MaßstabDer Verrat an den eigenen BedürfnissenKontakt findet an Grenzen statt
ALTE MUSTER UND NEUE WEGE
Fazit
UNTERSCHIEDE NUTZEN
Was ist nur mit dir los?
DEUTUNGSHOHEIT
Was ist eigentlich das Problem?
MEIN PROBLEM – DEIN PROBLEM – UNSER PROBLEM
Zwei Kulturen
DA SIND WIR EBEN VERSCHIEDEN
Zwei LösungsstileInterkulturelle KommunikationWer ist der Bestimmer?Fazit
LIEBE LEBEN
Experten im Gespräch
DAS EXPERTENWISSEN NUTZEN
Die Geister aus der VergangenheitWünschen
ERFOLGREICH BEKOMMEN, WAS MAN BRAUCHTETWAS NEUES PROBIERENBEDÜRFNISMANAGEMENT
Fazit
UMKÄMPFTE GEBIETE
Exklusivität leben
EIFERSUCHTAUFMERKSAMKEITEX
Kinder erziehenSexualität genießen
BEZIEHUNGSSEX – BESSER ALS SEIN RUFSTÖRUNGFÜR IMMER UND EWIGGLEICHBERECHTIGUNG ALS EROTIKKILLER?
Über Geld sprechenMit Asymmetrie umgehen
DIE TÜCKEN DER ELTERNZEITKLUG ENTSCHEIDENWER ZAHLT, BEFIEHLT?KEIN RÜCKZUGSGEBIETGEWALTDAS GLÜCK DER KINDERARRANGEMENT ODER VERÄNDERUNG?
Fazit
SOUVERÄN ABHÄNGIG
Vom souveränen Umgang mit den Hoheitsgebieten
STREITMUSTER UNTERBRECHEN
Diplomatische Verhandlungen
RESPEKT UND SELBSTRESPEKTDAS GEMEINSAME ZIEL
Souveräne Lösungssuche
STALLBURSCHE UND KÜCHENMÄDCHENANGEBOTEEINE NEUE KULTUR
Kein Zacken aus der Krone
Copyright

In eigener Sache

Hier müsste eigentlich die obligatorische Anmerkung stehen, dass ich der Einfachheit halber von der Leserin und ihrem Partner spreche, aber dass selbstverständlich alle anderen (also die Leserinnen mit ihren Partnerinnen, die Leser mit ihren Partnern und die Leser mit ihren Partnerinnen) „mitgemeint“ sind.

Leider find ich das blöd. Deshalb weise ich an dieser Stelle explizit darauf hin, dass es in diesem Buch fröhlich durcheinandergehen wird. Manchmal spreche ich über Männer, manchmal über Frauen, manchmal über gleichgeschlechtliche Beziehungen und häufig über heterosexuelle Partnerschaften. Und ich hoffe sehr,

› dass Sie sich beim Lesen nicht allzu sehr über sperrige Formulierungen ärgern, zum Beispiel wenn ich von „dem oder der Liebsten“ spreche, und› dass Sie sich grundsätzlich immer dann angesprochen fühlen, wenn Ihnen etwas bekannt vorkommt. Ganz gleich, welches Geschlecht Sie selbst haben oder der Mensch an Ihrer Seite.

WIDMUNG

Dieses Buch ist für alle, die spüren, dass sie etwas zu verteidigen haben. Es ist für die Paare, die mir gezeigt haben, was es so schwierig macht, die Liebe friedlich zu leben. Widmen möchte ich es meinen Brüdern, den geliebten Rivalen und ebenbürtigen Herausforderern meiner Kindheit. Und meinen Söhnen, die gerade dabei sind, ihre Hoheitsgebiete zu erkunden und in Besitz zu nehmen.

Wenn Sie sich ebenfalls auf diesen aufregenden und lohnenden Weg machen wollen, freue ich mich darauf, Sie mit diesem Buch dabei zu begleiten.

Es geht um Liebe, Sex und Kämpfe. Wenn nicht klar ist, worum man kämpft, funktioniert der Sex nicht, und die Liebe nimmt Schaden. So einfach ist das. Zeit, die Kampfhandlungen zu unterbrechen und sich zu fragen, was eigentlich gerade geschieht.

Eine Liebesbeziehung – aber warum eigentlich?

Allen Scheidungsstatistiken zum Trotz tun sich Menschen unverdrossen zu Paaren zusammen. Männer mit Männern, Männer mit Frauen, Frauen mit Männern und Frauen mit Frauen. Aber warum eigentlich? Es gibt heutzutage kostengünstigere Möglichkeiten, an ein warmes Abendessen zu kommen. Auch ein Urlaub ist ohne Beziehung deutlich weniger streitträchtig. Die Auswahl des neuen Autos wäre ohne lästige Kompromisse möglich, und die Ordnung im Werkzeugschrank bliebe unangetastet. Selbst die Sexfrequenz sinkt in längeren Beziehungen über die Jahre hinweg und kann deshalb nicht als Grund für das Zusammenbleiben überzeugen.

Warum nehmen Menschen all die Unannehmlichkeiten in Kauf, die eine Liebesbeziehung mit sich bringt? Man denke nur an die Verunsicherung des Verliebtseins, an die heftigen Auseinandersetzungen beim Zusammenziehen, an die Entfremdung nach der Geburt des ersten Kindes oder an die bösartigen Sticheleien eines älteren Ehepaars. Selbst gleichgeschlechtliche Beziehungen bieten keinen Ausweg, denn dort wird ebenfalls gestritten und gelitten, sei es wegen der Flaute im Bett oder den Krümeln auf dem Parkettboden.

Doch all diesen Erfahrungen zum Trotz verlieben sich die Menschen. Sie ziehen zusammen und gestalten ein gemeinsames Leben. Sie wünschen sich Kinder, sie bekommen welche oder sie bekommen keine, sie genießen den gemeinsamen Sex oder leiden unter dessen Veränderungen. Und wer keinen Partner hat, sehnt sich danach: nach dem Liebsten, einer Lebensgefährtin. Einem ebenbürtigen Gegenüber. Nach jemandem, der einen schätzt und achtet, der einen so akzeptiert, wie man ist, der einen will, begehrt und liebt.

Und nahezu jedes Paar startet mit der Idee, dass ihm all das Negative nicht passieren wird, was die anderen vorleben. Warum auch? Warum sollten Sie Vorwürfe machen, nörgeln oder gar streiten? Der andere ist perfekt, es gibt keinen Grund, ihn zu verändern. Und in ihm haben Sie endlich den Menschen gefunden, für den Sie goldrichtig sind. Eine absurde Vorstellung, dass er Ihnen jemals Vorschriften machen oder Ihnen Erpressung vorwerfen könnte. Wer sich wirklich liebt, kämpft doch nicht! Nein, Sie tragen einander aus freien Stücken auf Händen, und wenn Sie dem geliebten Wesen die Wünsche von den Augen ablesen, dann nur deshalb, weil es Ihr ureigenes Bedürfnis ist, es glücklich zu sehen. Es gibt Aufmerksamkeit, Zärtlichkeit und Sex, soviel man will. Sie entscheiden sich jeden Tag, nein, jede Minute voller Überzeugung neu für Ihren Partner.

Und Sie sind überzeugt davon, dass Ihre Beziehung bei allen Veränderungen im Laufe der Zeit in einem unverändert bleiben wird: Sie werden sich immer lieben und respektieren. Sie werden einander Sicherheit geben und auf den anderen vertrauen. Sie werden nicht nur Liebende, sondern auch ebenbürtige Gefährten sein.

Woher ich das weiß? Wenn Sie daran nicht glauben würden, hätten Sie sich doch längst getrennt, vermutlich bereits nach dem Abflauen der ersten Verliebtheit. Spätestens aber nach dem ersten Streit, der länger als einen Tag für Funkstille zwischen Ihnen beiden sorgte. Nur die Überzeugung, dass Sie als liebevolle Partner gemeinsam durch das Leben gehen werden, hielt Sie bisher davon ab, bei den ersten Schwierigkeiten davonzulaufen.

Doch leider wird sich Ihre Hoffnung so nicht erfüllen. Keine Sorge, es liegt nicht daran, dass Sie einander nicht genug lieben. Sondern die große Nähe, die Sie sich wünschen, birgt ganz zwangsläufig die Gefahr, Grenzen zu verletzen. Schon wenn Sie mit Ihrem Liebsten irgendwo stehen und hingebungsvoll knutschen, gibt es unvermeidlich einen Moment, in dem sein Ellbogen im Weg ist, sich Ihre Brillen verhaken oder Sie ihm bei der Entlastung des Standbeins unabsichtlich auf die Füße treten. Das ist kein Drama, sondern sorgt meist für Erheiterung.

Doch wenn ähnlich Ungeschicktes bei der Bewältigung des Alltags geschieht, sind wir alarmiert (Zeichnung unten). Was passiert hier? Warum reagierst du so heftig? Wie kommst du dazu, Forderungen zu stellen? Wieso verweigerst du mir, was ich brauche? Sie sind verwirrt, und Zweifel regen sich in Ihnen. Ihr Geliebter reagiert auf einmal nicht verständnisvoll, sondern feindselig. Das macht Ihnen Sorge, aber es ärgert Sie auch. Sie beschimpfen ihn als respektlos, er wirft Ihnen unerträgliche Dominanz vor. Jeder fühlt sich im Recht und verteidigt sich gegen die unverschämten Angriffe des anderen. Ist das noch Liebe? Irgendwann geben Sie die Hoffnung und die Kämpfe auf. Vielleicht waren Sie ja doch nicht füreinander bestimmt. Nur warum tut es so weh?

Wer sich liebt, kommt sich in die Quere

Wer sich nahekommt, läuft Gefahr, Grenzen zu übertreten. Wenn Sie das vermeiden wollen, müssen Sie solo bleiben. Doch sobald Sie Liebe riskieren, werden Sie immer wieder Verletzungen Ihrer persönlichen Hoheitsgebiete erleben. „Musst du wirklich morgen Abend auf diese Veranstaltung gehen?“ Eigentlich ist es ja wunderschön, dass der Liebste die Zeit gern mit Ihnen verbringen will. Andererseits gehen Sie aber schon seit Jahren einmal im Monat zu diesem Stammtisch. Doch jedes Mal mault er und versucht Sie dazu zu bewegen, zu Hause zu bleiben. Wieso kann er Ihnen nicht einfach einen schönen Abend gönnen? Schon bekommen Sie ein schlechtes Gewissen und erklären ihm, wie wichtig diese Veranstaltung für Ihr berufliches Fortkommen ist. Gleichzeitig ärgern Sie sich über seinen vorwurfsvollen Blick und darüber, dass Sie sich rechtfertigen müssen. Was als Diskussion begann, kann schnell zu einem Streit führen. Der Mensch, mit dem Sie das Leben teilen wollen, wird zu Ihrem Gegner.

Kommt es wiederholt zu solchen Situationen, reagieren beide immer gereizter. Sie kämpfen gegeneinander um den freien Abend, das Recht, selbst zu entscheiden, und darum, sich nicht dem anderen zuliebe verbiegen zu müssen. Ihre Sehnsucht nach Nähe, Unterstützung und Zärtlichkeit bleibt immer häufiger unerfüllt. Am Ende stellen Sie mit Erschrecken fest, wie einsam Sie geworden sind. Das ist der Moment, in dem Sie eine Entscheidung treffen werden: Manche Paare trennen sich. Andere melden sich zur Paarberatung an. Viele versuchen zunächst, ihre Erwartungen herunterzuschrauben, doch bald stellen sie fest, dass sie zunehmend unzufrieden werden. Und wieder andere richten sich in den Dauerstreitereien irgendwie ein.

LIEBST DU MICH ÜBERHAUPT NOCH?

Till und Sophie sind Anfang dreißig. Sie haben vor zwei Jahren Zwillinge bekommen, die anfangs oft krank waren – eine sehr anstrengende Zeit für alle. Beide Eltern sind selbstständig und teilen sich deshalb die Betreuung von Nele und Nicki. Till arbeitet zu Hause, und Sophie hat zusammen mit Kolleginnen ein Büro ganz in der Nähe gemietet.

Doch während die Kinder sich jetzt gut entwickelten, ging es dem Paar immer schlechter. Sophie regte sich zum Beispiel furchtbar auf, als Till ihr mitteilte, dass er einen Kundenbesuch im Ausland festgelegt hatte. Das hätte er doch mit ihr absprechen müssen, anstatt sie einfach für die Betreuung der Kinder einzuplanen! Till war fassungslos: Musste er Sophie neuerdings um Erlaubnis bitten für Entscheidungen, die in seinem Job nötig waren? Wie kam sie dazu, die Notwendigkeit dieser Reise infrage zu stellen? Und wie unverschämt von ihr, zu verlangen, er solle den Termin verlegen! Wie er seinen Beruf vernünftig machte, wusste er ja wohl immer noch selbst am besten! Überhaupt ging es ihm zunehmend auf die Nerven, dass sie ständig alles besser wusste und ihm erklärte, wie die Dinge zu laufen hatten!

Auch Sophie tobte innerlich. Till war so was von egoistisch und rücksichtslos! Legte seine Dienstreise wirklich genau in die Zeit, in der ihre Kundenpräsentation war. Außerdem hatten die Zwillinge einen Impftermin, der groß und deutlich im Kalender stand. Bisher hatten die beiden nach jeder Impfung Fieber bekommen. Wenn dies wieder der Fall wäre, säße sie nicht nur während Tills Abwesenheit mit zwei kranken Kindern zu Hause. Nein, sie riskierte auch noch, dass ihr Kunde absprang, weil sie ihn mit der Präsentation auf später vertrösten musste. Aber vermutlich war das Till ganz recht. So, wie er sich verhielt, hatte er gar kein Interesse an einer erfolgreichen Partnerin. Alles, was er wollte, waren seine Freiheit und eine Frau, die Kinder und Haushalt erledigte und ihm den Rücken freihielt. Aber so nicht mit ihr!

Till und Sophie werden sich noch viele, viele Male um solche Dinge streiten. Manchmal werden sie zähneknirschend Kompromisse schließen, die sie dem anderen anschließend verübeln. Sie kämpfen nicht nur um Zeit und um abgesicherte Kinderbetreuung, sondern es geht auch um die Dringlichkeit, die Wichtigkeit und den Wert ihrer Anliegen. Doch wie sollen sie entscheiden, wessen Arbeitstermine wann Vorrang haben? Till versucht, die bessere Bezahlung seiner Projekte als Argument zu nutzen, damit er sie wie geplant durchführen kann. Dann ist Sophie gekränkt, denn sie hört heraus, dass er ihre Arbeit nicht schätzt. Und ganz gleich, was die beiden am Ende aushandeln, sie wird es ihn spüren lassen, wie verletzt sie ist. Dann wird Till sich immer mehr zurückziehen, weil er Sophies Verhalten als völlig ungerechtfertigte Bestrafungsaktion versteht, die er nicht verdient hat. Obwohl beide so viel Einsatz für den Alltag ihrer kleinen Familie bringen, gehen sie immer kühler miteinander um. Sie wollen es sich noch nicht eingestehen, doch in manchen Momenten verachtet jeder den anderen.

MACHTKAMPF? DER SCHEIN TRÜGT

Sophie und Till reagieren so empfindlich, weil sie bereits mit dem Rücken zur Wand stehen. Kein Kampf ist so extrem wie der, in dem es um das Minimum, um die letzte Bastion geht. Beide sind tief getroffen und schlagen nur noch blind zurück. Das geht so schnell und automatisch, dass gar keine Zeit dafür bleibt, zu verstehen, worum es eigentlich geht. Für Till und Sophie gibt es nur eine Erklärung, und die tut richtig weh: Der andere liebt mich nicht mehr.

Schlimmer noch: Er will, dass ich für ihn Dinge aufgebe, die mir wichtig sind.

Streite wie der zwischen Till und Sophie folgen einem ganz bestimmten Muster. Vordergründig spricht man schnell von Machtspielchen. Doch das täuscht. Es geht nicht um Macht, denn die ist nur Mittel zum Zweck. Es geht vielmehr um die Sicherheit, dass man über sich selbst und alle Dinge entscheidet, die einen betreffen und die einem wichtig sind. Wenn Sie den Eindruck haben, dass Ihr Partner Ihre Grenzen verletzt, dann wird es existenziell. Der Befreiungsschlag wird gnadenlos erfolgen, selbst wenn es um scheinbar banale Anlässe geht wie die Frage, wer heute Abend die Kinder ins Bett bringt… Wer sich bedroht fühlt, wird dem anderen nicht entgegenkommen, sondern seine Ansprüche verteidigen. Im Zweifel wird ein Anliegen des Partners erst einmal abgeschmettert. Doch unter dieser Angriffslust, von außen schwer zu erkennen, leiden die Streitenden. Sie fühlen sich einsam. Und sie vermissen den anderen schmerzlich.

Als Till und Sophie sich kennenlernten, waren sie voneinander fasziniert. Till bewunderte, wie Sophie selbstbewusst ihren Platz in einer männerdominierten Branche erobert hatte und wie viel Anerkennung sie von Kunden und Kollegen bekam. Sophie fand sehr reizvoll, dass Till sich beruflich in allen Ländern der Welt aufhielt und wie interessiert er dort an Kultur und Politik war. Sie mochte seine Kreativität und die Tatsache, dass er nicht schmalspurig im Denken war.

Doch jetzt kam es ihnen so vor, als ob der eine seine attraktiven Eigenschaften auf Kosten des anderen ausleben wollte. Für Till sah es so aus, als müsse er seine Reisen zurückstellen, damit Sophie vor ihren Kunden glänzen konnte. Und Sophie war es herzlich leid, dass sie zu Hause mit einem schlecht gelaunten Till zu tun hatte, der sich bei jeder Gelegenheit der gemeinsamen Verantwortung entzog, während er in der Öffentlichkeit wieder der charmante und attraktive Mann war, den sie kennen- und lieben gelernt hatte. So hatten sie sich ihr Familienleben nicht vorgestellt! Sie hatten sich die Kinder als Zeichen der Liebe gewünscht und als Ausdruck ihrer tiefen Verbindung. Jetzt verbanden sie nur noch Frust, Schuldgefühle und Ärger auf den anderen. Jeder fühlte sich ausgenutzt und übervorteilt.

Liebe und Respekt ? Fehlanzeige!

Wie kann es sein, dass zwei Menschen wie Till und Sophie, die ihre Beziehung so voller Liebe und Bewunderung begonnen haben, einander plötzlich so feindselig gegenüberstehen? Wie oft hat sich die Erfahrung bereits wiederholt, dass der Mensch, der Ihnen auf der ganzen Welt am allerwichtigsten ist, Sie zur Weißglut bringt? Und zwar so sehr, dass Sie manchmal ernsthaft an seinem Wohlwollen Ihnen gegenüber zweifeln? Wie oft halten Sie ihn für Ihren Feind, obwohl Sie sich einander in guten Zeiten immer wieder Ihre Liebe versichern? Finden Sie das nicht merkwürdig? Diese Verwirrung sollte Sie dazu veranlassen innezuhalten. So, wie Sie dachten, dass Ihre Liebesbeziehung sein wird, läuft es ganz offensichtlich nicht. Anstatt Vertrauen und Respekt spüren Sie immer wieder Unverständnis und Feindseligkeit. Anstatt sich bei Ihrem Liebsten geborgen und sicher zu fühlen, erleben Sie ihn als Bedrohung. Etwas stimmt ganz eindeutig nicht.

Irritation ist zunächst ein unangenehmes Gefühl. Doch sie ist unverzichtbar, wenn es darum geht, eine glückliche Beziehung zu führen. Vorausgesetzt, Sie nehmen sie ernst. Denn …

… Irritation ist eine Unterbrechung

Sie stört als Unbehagen gewohnte Abläufe und signalisiert Ihnen, dass etwas nicht zusammenpasst. Sie holt Sie aus Ihrem Alltagstrott und fordert Sie heraus, die Situation zu überprüfen. Sie eröffnet Ihnen die Chance, rechtzeitig etwas zu verändern, damit Sie sich wieder wohlfühlen.

… Irritation ist ein Signal

Sie weist uns unmissverständlich darauf hin, dass gerade unser Revier verletzt wird. Wenn Sie das durchschauen, können Sie selbstbewusst darauf reagieren. Sei es, dass Sie die Einmischung gelassen zurückweisen, sei es, dass Sie mit Ihrem Partner über dieses Hoheitsgebiet verhandeln.

… Irritationen verschaffen Entscheidungsspielraum

Sie müssen nicht sofort zu einem Gegenschlag ausholen, wenn Ihr Partner sich scheinbar aggressiv verhält. Reagieren Sie auf Ihre Verwirrung und fragen Sie einfach nach: „Was ist los? Ich weiß, dass du mir nichts Böses willst, aber durch dein Verhalten fühle ich mich gerade angegriffen. Merkwürdig.“

… Irritation ist eine Gelegenheit, sich seiner selbst zu vergewissern

Wenn Sie aufgrund der Reaktion Ihres Partners plötzlich Zweifel bekommen, ob Ihr Anspruch vielleicht überzogen oder unberechtigt ist, dann ist das eine gute Gelegenheit, den eigenen Standpunkt zu überprüfen: Was genau stört mich? Was brauche ich? Wie habe ich das gemeint? Kann ich mir mein Bedürfnis erlauben, oder finde ich es selbst unangemessen? Worum geht es mir? Die Antworten auf diese Fragen erlauben Ihnen, souverän für das einzutreten, was Sie richtig finden.

Begrüßen Sie also die Verunsicherung, denn dann können Sie reagieren, bevor eine Verletzung geschieht. Sie können sich wehren, ohne bereits mit dem Rücken zur Wand zu stehen. Der andere ist noch nicht zum Gegner geworden, sondern zunächst nur Auslöser einer kurzen Verwirrung. Und das gilt übrigens in jedem Kontakt, nicht nur in der Liebesbeziehung  – dort allerdings ist es ganz besonders wichtig!

WAS IST NUR MIT DIR LOS?

Bei Till und Sophie waren Irritationen an der Tagesordnung. Immer wieder verstanden sie nicht, warum der andere sich so unkooperativ verhielt. Doch sie übergingen diese Verwunderung. Stattdessen ärgerten sie sich. Und dann kam es zum nächsten Streit. Was sie an Liebe und Wohlwollen füreinander empfunden hatten, war inzwischen ziemlich aufgebraucht. Beide zweifelten an der Beziehung und dachten manchmal, dass sie ohne die Kinder sicher schon längst getrennt wären.

Wann immer das Thema Frust in unseren Gesprächen auftauchte, griff ich es auf. Denn Till und Sophie wurden wütend, weil sie enttäuscht waren. Und die Ent-Täuschung war nichts anderes als eine Irritation. Das, was man sich gewünscht und erwartet hatte, war nicht eingetreten. Warum eigentlich nicht?

Wir sprachen über den vorangegangenen Abend. Da saß Till auf dem Sofa vor dem laufenden Fernsehapparat, während Sophie um ihn herumfuhrwerkte und sich halb laut murrend darüber beschwerte, wie Küche und Wohnzimmer wieder aussahen und wieso solche Sachen eigentlich immer an ihr hängen blieben.

„Was hat Sie denn in diesem Moment so aufgebracht?“, fragte ich Sophie, und es sprudelte nur so aus ihr heraus: Die ganze Woche schon hätte sich Till beklagt, dass er sein Arbeitspensum nicht schafft, wenn Sophie auf ihren Bürozeiten besteht. Also hätte sie sich abgehetzt, um früher zu Hause zu sein, und trotzdem ständig ein schlechtes Gewissen gehabt. Und als sie gestern fix und fertig von der Arbeit kam, sah sie, dass der ganze Haushalt liegen geblieben sei. Also hätte sie den noch erledigt, obwohl das eigentlich zu Tills Pflichten gehörte. Die Krönung für sie aber war die Tatsache, dass Till, der angeblich so viel zu tun hatte, vor dem Fernseher saß, anstatt zu arbeiten. Natürlich würde er sich am nächsten Tag wieder beklagen, wenn sie ins Büro musste und er die Kinder übernehmen sollte. Denn seine Berichte hatte er ja nicht geschafft.

„Okay“, sage ich. „Es gab zwei Dinge, die Sie beim Nachhausekommen irritierten. Erstens: Wenn Till so viel Arbeit hat, aus welchem guten Grund beschließt er trotzdem, an diesem Abend freizumachen? Vor allem wenn diese Entscheidung möglicherweise Auswirkungen auf Ihre Absprachen am nächsten Tag hat? Und zweitens: Was war los, dass Till seine Haushaltsaufgaben nicht erledigt hat, die Ihrer Meinung nach in sein Hoheitsgebiet fallen? Interessanterweise haben Sie diese Verwunderung übersprungen und sofort entschieden, das Aufräumen zu übernehmen und sauer auf ihn zu sein.“ Ich zwinkere ihr zu, damit klar ist, dass ich sie nicht kritisiere. „Spannende Fragen“, stelle ich fest. „Vielleicht ist es an der Zeit, sie auch zu stellen?“ Und ich schaue Till auffordernd an.

Till beginnt zu berichten. Wie er am Nachmittag noch einen dringenden beruflichen Anruf bekam. Wie er versucht hat, souverän mit dem Kunden zu verhandeln und gleichzeitig dafür zu sorgen, dass die Kinder nicht störten. Wie diese immer mehr außer Rand und Band gerieten und er schließlich mit ihnen noch einmal auf den Spielplatz ging, damit sie sich dort austoben konnten. Wie Nicki vom Klettergerüst gefallen war und getröstet werden musste. Wie er beide Kinder später außerplanmäßig in die Badewanne steckte, weil die Windeln nicht dicht gehalten hatten. Wie er deshalb erst viel zu spät das Abendessen machte. Wie lange Nele mit dem Einschlafen brauchte, sodass Till sich schließlich nur noch abgekämpft vor den Fernseher fallen ließ. Den Stress, den Sophie dann beim Heimkommen machte, konnte er wirklich gar nicht gebrauchen. Und er hatte es satt, sich ständig vor ihr rechtfertigen zu müssen für das, was er tat oder nicht tat. Keiner der Männer von Sophies Freundinnen beteiligte sich so viel an der Kinderbetreuung wie er!

Ich schaue ihn an. „Sie klingen so, als ob Sie sich verteidigen. Das ist doch merkwürdig. Denn gleichzeitig berichten Sie, dass Sie den Nachmittag mit den Kindern so gut gestaltet haben, wie es Ihnen unter den Umständen möglich war, oder?“ Er nickt. Ich fahre fort: „Wenn Sie davon überzeugt sind, könnten Sie doch eigentlich ganz locker bleiben. Okay, Sophie war nicht dabei und kann das alles nicht wissen. Sie hätte manches vielleicht auch anders gemacht. Aber diese Zeit mit den Kindern war Ihr Hoheitsgebiet. Wie zufrieden sind Sie selbst mit dem Ablauf des Nachmittags?“ Er stutzt zunächst und sagt dann: „Völlig!“

Ich fahre fort: „Nun, dann lehnen Sie sich doch einfach zurück und nehmen Sie Ihre Verwunderung ernst. Sie waren doch verwundert, oder?“ Er denkt etwas nach und schaut dann Sophie an. „Ich habe deine Reaktion wirklich nicht verstanden. Ich fand sie ungerecht und ich habe mich geärgert, weil ich dachte, du gönnst mir meine Verschnaufpause nicht. Und ich war sauer, weil du ganz selbstverständlich davon ausgegangen bist, ich hätte aus Faulheit die Küche nicht gemacht. Wieso kommst du nicht auf die Idee, dass es ein harter Nachmittag mit den Zwillingen gewesen sein muss, wenn ich mein Pensum nicht schaffe?“

Noch ist nichts gelöst zwischen Till und Sophie. Aber die Voraussetzungen für das weitere Gespräch haben sich verändert. Dadurch, dass jeder seine Irritation wahrnimmt und beachtet, ohne sich zu verteidigen oder einen Gegenangriff zu starten, ist ein Spielraum entstanden. Ein Raum, von dem aus beide wieder auf die Probleme schauen können, ohne sofort den anderen als Ursache dieser Schwierigkeiten bekämpfen zu müssen.

Fazit

› Obwohl wir uns nach Liebe und Respekt, Vertrauen und Geborgenheit sehnen, kommt es in jeder Liebesbeziehung unausweichlich zu Kämpfen und zu Feindseligkeit. Diese Diskrepanz ist verwirrend und irritierend.› Irritation signalisiert, dass etwas nicht zusammenpasst. Es lohnt sich, innezuhalten und zu überprüfen, was eigentlich nicht stimmt.› Wenn Sie diesen Schritt überspringen, werden Sie sich in Kämpfen wiederfinden, die Sie nicht gewinnen können. Und Sie werden den Menschen, den Sie lieben, verletzen – wie er Sie auch.

Wer sich liebt, der kommt sich in die Quere. Wenn Ihr Liebster Sie zur Weißglut bringt, wenn Ihre Liebste plötzlich zur Furie wird, können Sie davon ausgehen, dass unsichtbare Grenzen überschritten wurden.

Kämpfe ohne Gewinner

Sie haben sich vorgenommen, in Zukunft darauf zu achten, ob Sie etwas irritiert? Großartig! Denn auf diese Weise werden Sie vermutlich den einen oder anderen Kampf mit Ihrem Liebsten oder Ihrer Liebsten vermeiden, weil Sie aufklären können, wer von Ihnen dem anderen womöglich gerade in die Parade gefahren ist. Das geschieht nämlich nicht nur schneller, als Ihnen lieb ist, sondern ist auch genauso unvermeidlich wie das Verhaken der Brillengestelle beim Küssen. Doch es braucht noch etwas mehr, damit Sie nicht immer wieder fassungslos feststellen, dass der Mensch, dem Sie vertrauen und mit dem Sie Ihr Leben verbringen wollen, Ihnen aus unerfindlichen Gründen manchmal mit Aggressionen begegnet. Und Sie selbst – wenn Sie ehrlich sind – zu Ihrer Schande gestehen müssen, dass Sie ihn ebenfalls nicht mit Samthandschuhen anfassen.

Robert und Simone sind um die vierzig Jahre alt und Dozenten an der Universität. Dort sind sie sehr engagiert, was bedeutet, dass sie wirklich viel arbeiten. Sie haben kaum noch Zeit für gemeinsame Unternehmungen. Auch die Sexualität ist seit einigen Jahren eingeschlafen. Stattdessen streiten sie, und das sogar ziemlich leidenschaftlich.

Vor allem an den seltenen Abenden, an denen sie tatsächlich zufällig einmal beide freihaben und an denen es Zeit für Gemeinsamkeit und Entspannung gäbe. Dann fragt Robert zum Beispiel: „Ich gehe ins Fitnessstudio, kommst du mit?“ Und Simone ist sofort sauer. Wie selbstherrlich er über ihre gemeinsame Zeit verfügt! Meist begleitet sie ihn trotzdem, doch der Abend wird nicht besonders erfreulich. Spätestens beim Heimkommen geraten die beiden aus nichtigem Anlass aneinander. „Immer bestimmt er, was wir in unserer Freizeit machen! Und ich kann dann entscheiden, ob ich treudoof hinterherlaufe oder ob wir uns gar nicht sehen”, wütet Simone in der Beratung.

Robert ist sich keiner Schuld bewusst. Nach seinem Verständnis hat er nicht über gemeinsame Zeit, sondern nur über seine persönliche Zeit eine Entscheidung getroffen. Da hat Simone ihm gar nichts reinzureden. Schon gar nicht, wenn er sie einlädt, mitzukommen – schließlich findet er ja auch, dass sie sich viel zu wenig sehen.

Auch wenn es um den Urlaub geht, wird es schwierig. Einer von beiden hat immer berufliche Verpflichtungen. Doch diesmal blieb Simone hartnäckig und setzte sich gegen Roberts Bedenken mit ihrem Terminwunsch durch. Sie buchte ein wunderschönes Hotel und den Flug und sie freute sich auf gute Gespräche, anregende Ausflüge, gemeinsames Faulenzen und romantische Momente. Doch Robert war den ganzen Urlaub lang eigentlich nur körperlich anwesend. Wie er es im Vorfeld schon befürchtet hatte, kam es bei seinem aktuellen Projekt zu Schwierigkeiten. Während Simone allein an den Strand ging oder auf der Terrasse saß, versuchte er, telefonisch und per Mail die Studie aus der Ferne zu retten. Die Reise war ein Fiasko. Simone fühlte sich noch einsamer als zu Hause. Nach der ersten Woche hörte sie auf, Robert Vorwürfe zu machen, und dachte stattdessen ernsthaft über eine Trennung nach.

Entsprechend resigniert kam sie auch in die Beratung. Der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen gebracht hatte, war Roberts Geburtstag. Simone wollte an frühere Zeiten anknüpfen und schenkte ihm ein festliches Abendessen, das sie für ihn zubereiten und zu dem sie ihre gemeinsamen Freunde einladen wollte. Robert gefiel die Idee. Und weil er schon länger vorhatte, seine Fachbereichskollegen auch einmal privat zu treffen, schlug er vor, dieses Essen umzuwidmen. Er konnte überhaupt nicht verstehen, warum Simone plötzlich so wütend wurde. Er fand ihre Reaktion unangemessen und hysterisch. Und genau das sagte er ihr auch.

In all diesen Auseinandersetzungen merkten Robert und Simone gar nicht, wie aggressiv sie dabei auf den anderen wirkten, erlebte sich doch jeder als Opfer des anderen, selbst wenn sie nicht laut stritten. Immer wieder bekämpften sie einander, obwohl es ihnen darum ging, es gut miteinander zu haben. Dieses Muster eskalierte, als Robert im Urlaub zum Beispiel unbedingt noch ein Schloss besichtigen wollte und Simone dringend eine Pause und einen Milchkaffee brauchte. Robert konterte ihren Wunsch mit dem Hinweis, dass aufgrund der Öffnungszeiten die Besichtigung später nicht mehr möglich wäre. Er überhörte ihren Protest, und sie lief wutschnaubend hinter ihm her. Sein Verhalten bestätigte ihre schlimmsten Befürchtungen, nämlich dass sie ihm inzwischen völlig gleichgültig war (Zeichnung unten). Stinksauer warf sie ihm vor, wie rücksichtslos er wäre. Selbst sein alter Freund Christian hätte ihr neulich gegenüber festgestellt, dass Robert sich nur noch für seine Karriere interessierte.

Dieser fühlte sich angesichts dieser virtuellen Übermacht so in die Ecke gedrängt, dass er zunächst verstummte. Schließlich stellte er resigniert die „Sinnfrage“. War es nicht besser, sich zu trennen? Er erreichte damit, dass Simone völlig außer sich geriet. Typisch Robert! Um sich durchzusetzen, war ihm jedes Mittel recht, sogar Erpressung! Ursprünglich sollte die Reise mehr Nähe zwischen den beiden ermöglichen. Doch nach diesem Streit verbrachten sie den Rest der Zeit in feindseliger Distanz.2

Hoheitsgebiete

Ebenso wie Till und Sophie so übergehen auch Robert und Simone immer wieder ihre Irritation und werden stattdessen sofort wütend. Sie greifen einander an, weil sie den anderen als Gegner erleben, gegen den sie sich zur Wehr setzen müssen. Leider führen ihre Kämpfe nicht zu einer Entspannung, sondern vielmehr zu einer Verschärfung der Situation.

Wenn Sie das nicht wollen, sollten Sie die Verwirrung zum Anlass nehmen, sich zu orientieren: Was genau stimmt hier nicht? Irritation signalisiert nämlich zuverlässig, dass eines unserer Hoheitsgebiete bedroht ist. Überprüfen Sie also, ob Ihr Liebster gerade Ihre Grenzen verletzt hat, auch wenn es ihm vielleicht gar nicht bewusst war.

Territorialität bezeichnet ein Verhalten, das zunächst bei Tieren beobachtet und beschrieben wurde. Hunde zum Beispiel markieren ihr Revier, und versuchen, unbekannte Eindringlinge mit Gebell, Drohgebärden oder wenn nötig mit Beißen daraus zu vertreiben. Der Gesang von Vögeln dient weniger dem Zweck, ein Weibchen anzulocken, als vielmehr das Gebiet zu kennzeichnen, auf das sie Anspruch erheben.

Tiere nähern sich einem anderen Wesen nur auf eine Entfernung, die im Fall von Gefahr noch die Flucht ermöglicht. Auch bei Menschen ist die angenehme Entfernung zu anderen davon abhängig, wie sehr man ihnen vertraut. Dieser Abstand wird als Fluchtdistanz bezeichnet und ist unterschiedlich. Menschen, die Ihnen nahestehen, dürfen Ihnen auch räumlich näher kommen. Direkter körperlicher Kontakt ist meist nur der Familie, intime sexuelle Berührungen nur dem Partner oder der Partnerin vorbehalten.