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1830 und 1831 war Wienbarg Hauslehrer von Charles Ernst Alexander Selby, dem Sohn des Dänischen Gesandten in Den Haag, Baron Charles Borre Selby. In dieser Zeit schrieb er seine Reiseberichte "Holland in den Jahren 1831-32".
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Seitenzahl: 346
Veröffentlichungsjahr: 2012
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Holland in den Jahren 1831 und 1832
Ludolf Wienbarg
Inhalt:
Ludolf Wienbarg – Biografie und Bibliografie
Holland in den Jahren 1831 und 1832
Erster Theil
Bentheim.
Oldensal.
Ankunft im Haag.
Der Spatziergang im Busch.
Brief in die Heimath.
Brief eines holländischen Matrosen.
Die Nordsee.
Naivitäten.
Allgemeiner Blick auf die Beschaffenheit des Landes.
Allgemeine Charakteristik der Bewohner.
Der Haag und seine Merkwürdigkeiten.
Die Diplomaten.
Schevelingen.
Die Dünen.
Hut- und Mützencapitel.
Batavische Republik.
Neueste Geschichte.
Politische Zukunft.
Portraits der königlichen Familie.
Delft und die Familiengruft der Nassauer.
Leiden.
Die Belagerung von Leiden.
Harlem.
Der Harlemmer Koster.
Zweiter Theil
Vorwort.
Orgelconcert.
Der Rhein und Vondel.
Der Rhein und ich.
Die Maatschapijen.
Geschichte des Handels.
Seereisen und Colonien.
Java und die Javanesen.
Der holländische Apis.
Het huis in Busch.
Holländische Geldsorten.
Amsterdammer und Haager Gemäldesammlung.
Gegenstände der heutigen Malerei.
Jan Steen.
Rembrand.
Die todten Maler.
Die holländische Schule.
Die Gemälde auf dem Stadthause zu Leiden.
Die Glasfenster der Kirche zu Gauda.
Neue und alte Volkslieder.
Holland in den Jahren 1831 und 1832, L. Wienbarg
Jazzybee Verlag Jürgen Beck
86450 Altenmünster, Loschberg 9
Deutschland
ISBN: 9783849639990
www.jazzybee-verlag.de
www.facebook.com/jazzybeeverlag
Schriftsteller, geb. 25. Dez. 1802 in Altona, gest. 2. Jan. 1872 in Schleswig, studierte in Kiel und Bonn Theologie, dann Philosophie, habilitierte sich 1834 an der Universität in Kiel, wo er aber nur ein Semester lang Vorlesungen über Ästhetik und deutsche Literatur hielt, lebte darauf in Frankfurt a. M., am Rhein, auf Helgoland und seit dem Ende der 1830er Jahre meist in Hamburg. Das Bundestagsverbot vom 10. Dez. 1835 gegen die Schriften des Jungen Deutschland (s. d.), das auch ihn namentlich ausführte, schädigte seine Entwickelung und verbitterte ihn für lange Zeit. Im Hamburg war W. als Mitarbeiter und Herausgeber beteiligt an den »Literarischen und kritischen Blättern der Börsenhalle«, der »Hamburger neuen Zeitung« und des »Altonaer Merkurs«. Am schleswig-holsteinischen Kriege 1848 nahm er als Stabsadjutant im Freikorps, 1849 als freiwilliger Jäger teil. Wienbargs Hauptwerk sind die »Ästhetischen Feldzüge« (Hamb. 1834), ein Buch voll fruchtbarer Gedanken, das die jungdeutschen Literaturanschauungen geistvoll präzisierte, und das in den Schriften »Die neueste Literatur« (Mannh. 1835, 2. Ausg., Hamb. 1838) und »Wanderungen durch den Tierkreis« (das. 1835) bedeutsame Ergänzungen fand. In den »Geschichtlichen Vorträgen über altdeutsche Sprache und Literatur« (Hamb. 1838) suchte er die Ergebnisse der jungen germanistischen Wissenschaft weitern Kreisen zugänglich zu machen. Das Buch »Holland in den Jahren 1831 und 1832« (Hamb. 1833, 2 Bde.) lehnt sich an Heines »Reisebilder« an, das »Tagebuch von Helgoland« (das. 1838), voll lyrischer Schönheiten, ist ein reinerer Ausdruck seines Innern. Später schrieb er noch: »Darstellungen aus den schleswig-holsteinischen Feldzügen« (Kiel 1850–1851, 2 Bde.), »Das Geheimnis des Worts« (Hamb. 1852) und eine »Geschichte Schleswigs« (das. 1862, 2 Bde.). Vgl. Schweizer, Ludolf W. als jungdeutscher Ästhetiker und Kunstkritiker (Leipz. 1896).
Ich rufe mir gern den Abend ins Gedächtniß zurück, als ich nach einer lästigen und langweiligen Reise über die westphälische Haide hinter Osnabrück, mich im Städtchen Bentheim, an der Grenze von Deutschland und Holland, eine halbe Nacht ausruhte. Es war ein lieblicher, elfenartiger Mondschein im Frühjahre 1831; der Postillon fuhr mich halb im Schlafe die dunkle Schlucht nach Bentheim hinunter, zu gleicher Zeit blies er einige schlaftrunkene Stoßseufzer auf seinem Horn – es klang mir, wie
Schlaf' wohl mein liebes Deutschland,
Liebes Deutschland, schlaf' wohl.
Die Bentheimer hatten schon ihre Lichter ausgethan und sich aufs Ohr gelegt. Aber im Posthause gab es noch muntere Leute. So eben war ein russischer Feldjäger nach dem Haag durchgegangen, und der Postmeister dampfte noch von den neuesten Nachrichten, die er vermuthlich aus dem Felleisen herausgerochen. Er nöthigte mich sehr artig in sein Haus. Im Hintergrunde der hohen westphälischen Scheundiele brannte lustiges Feuer, rings herum saßen am Spinnrade der Frau Postmeisterin Mägde mit feldbraunen Gesichtern und westphälischen Schinkenhüften, dicht an der Flamme kauerte ein altes Weib, die einen Faden spann, der immer zerriß, und eine Gespenstergeschichte erzählte, die ihr böser Husten alle Augenblicke unterbrach.
Müde und zerstoßen, wie ich war, ließ ich mir ein Zimmer geben, um einige Stunden zu schlafen. Allein ich konnte kein Auge zuthun. Ich stand daher wieder auf und machte einen Spaziergang im Freien, der mich aus Bentheimer Schloß führte. Die Natur hat bei Bentheim einen Fels hingeworfen, die alten Grafen von Bentheim haben sich darauf feudaliter eingerichtet, und ihre Unterthanen, die treuen Bentheimer, haben sich unten im Thal angesiedelt und machen seit uralters Pergament. Gute Deutsche, die Bentheimer, obgleich sie an der Grenze wohnen. Sie machen Pergament – Schuhleder für die Pfauenfüße des deutschen Hochmuthteufels.
Das alte Schloß von Bentheim ist massiv und fest gebaut. Ich erinnerte mich aus der Zeit, als ich Heinrichs deutsche Reichsgeschichte las, daß die von Bentheim sich oft hinter diesen Mauern und Thürmen vertheidigt. Sonst kenne ich die Geschichte derer von Bentheim nicht ganz genau; ich glaube, sie sind aus Grafen zu Fürsten promovirt. Aber das Wappen über ihrem Schlosse vergesse ich in meinem Leben nicht. Es war ein hochgewölbter, blaustählerner Schild, im Mittelfelde ein silberner Halbmond, rings zerstreut funkelnde Sterne, Alles in natürlicher Größe und fast übernatürlichem Glanze. Eine schöne Nacht. Der Mond spiegelte sich in den Bogenfenstern des Schlosses, und vor dem Thor stand ein Bentheimer Schildwache. Ein bentheimer Soldat ist an sich schon keine geringe Merkwürdigkeit, wenn man bedenkt, daß die flora Soldatesca Benthemiana eine der seltensten Gewächse in Europa ist und kaum ein Dutzend Exemplare davon auf diesem Felsen krüppeln.
Aber der oben schildernde Bentheimer hatte in meinen Augen noch einen besondern und fast rührenden Reiz. Es war ein alter Mann, er sah so alt, so grau, so mährchenhaft aus im Mondschein, daß ich ihn Anfangs für das Gespenst der deutschen Reichsarmee hielt, die der alte Fritz im siebenjährigen Kriege in die Pfanne hieb. Dann dachte ich wieder, er lebt noch und erwartet nur, als ein treuer Soldat, den Tod auf seinem Posten. Er kreuzte seine Arme über seinem Schießgewehr, dessen rothverrosteter Lauf keinen Strahl des Mondes mehr auffing, eben so wenig wie seine Augen, die unter langen grauen Wimpern klein und blind in den Nachthimmel hinausstarrten. Er suchte dort oben etwas, oder er sah etwas, vielleicht sah er den Himmel offen, den lieben Gott, mit Caroli Magni Bart und Scepter, sitzen auf kaiserlichem Thron, an seiner Seite die Paladine des Reichs, die Erzengel, den Erzmundschenken, die apostolischen Nuntien St. Peter, St. Paul u.s.w. auf der Himmelswiese die Reichsarmee der Seligen, die seligen Reichsbürger und den ganzen seligen Pöbel, hier und da einhauende Cherubime, welche im Himmel als Polizeibeamte angestellt sind. –
Denn, Lavater, in seinen »Aussichten in die Ewigkeit« mag sich die Sache vorstellen, wie er will, ich behaupte, daß die Polizei im Himmel eben so nöthig, wie auf Erden und vielleicht noch nöthiger ist. Der Bauer, ich will nur von Bauern sprechen, ist weder gewöhnt an den himmlischen Müssiggang seines Pfaffen, noch an den weltlichen seines gnädigen Herrn, und man weiß, wie er's treibt, wenn er hier unter dem Mond an Sonn- und Festtagen nur ein bischen selig ist.
Dort oben aber, wo er einen ewigen Sonntag feiert, wo er nicht mehr pflügt und drischt, nicht mehr schwitzt und keucht, nicht mehr geplackt und geschunden wird, dort oben, meine ich, wird er vor Seligkeit sich kaum zu lassen wissen. Gnade Gott, wenn sein gnädiger Junker ihm in den Wurf kommt, er macht ihn selbst im Himmel todt; daher auch jener mecklenburgische Edelmann vom lieben Gott sich einen gesperrten Sitz im Himmel ausbat.
Als es anfing zu tagen, fuhr ich bereits über die Haide von Overyssel, eingehüllt in meinen Mantel und einen dicken Nebel. Ich versank in nebelhafte Gedanken. Nebel zeugt Nebel, nebelhafte Bilder, ossian'sche Geister, nordische Götter. Nebel befeuchtet die Pflanzen, Bäume, die Poeten des Nordens, Nebelzug wittert durch die Saga's, die Nibelungen, den Erlkönig, und vielleicht ist auch die ganze Welt, wie die nordische Poesie aus Nebel entsprungen und wird sich einmal wieder in Nebel verflüchtigen, wie ein Gespenst auf der Haide von Caledonien. Nur in Holland, scheint es, hat der Nebel keine poetischen Zeugungskräfte, die Holländer haben den schönen Nebel, aber, wie man sagt, keine Poesie. Ich werde den »lustigen Geneverstocker von Schiedam« lesen.
Ein Schluck vor dem bösen Nebel, sagte der Postillon und setzte seine grüne Knobbrigte an den Mund. Ein närrischer Kauz der Postillon, eine Art Till Eulenspiegel, verkappt in den rothen Rock eines königlich hannöverschen Postbeamten. Wie die Sonne aufging, knallte er mit der Peitsche und schrie aus vollem Hals, Oranje boven, Oranje boven. Hoho! lachte er spöttisch, hoho! nun wird es Ernst mit der Sache, nun erklärt sich der Himmel selbst für die Nassauer, er hat seine große Oranjecocarde an seinem grauen Hut aufgesteckt. Du lieber Himmel, wer heut zu Tage nicht drei Ellen Pommeranzenband auf dem Deckel trägt, wird als Meutling und Brabanter in Holland platt geschlagen. Mir könnte das eben recht sein, fügte er mit einem satyrischen Seitenhieb auf seinen Höcker hinzu; aber mir thun sie nichts, ich bin eine geheiligte Person und scheere mich den Teufel um ihre naßsauren Gesichter. Allein mein Vetter ist übel mit ihnen daran. Mein Vetter, Herr, ist ein armer Leineweber in Oldensal. Der hat sich da mit den Oldensalern in eine erzdumme Geschichte verzettelt. Das macht, daß die Oldensaler erzkatholisch sind, wie hier der ganze Strich nach dem Münsterschen zu. Deswegen wollten sie nicht ausziehen gegen die blauen Kittel und stellten sich auf die Hinterbeine, als die Aushebung vor sich gehen sollte. Ein langer Uhrmacher predigte sogar offenbaren Aufruhr. Er sagte ihnen, es sei an der Zeit, das Joch des ketzerischen Königs ganz und gar abzuschütteln. Ich kenne ihn, seine Uhren gehen immer falsch. Vetter, sagte ich zu meinem Vetter, seid keine Esel, gebt eure Lümmel heraus, sonst schickt euch euer König Willem einige Escadronen schockschwerenöthige Dragoner auf den Hals, und die binden den Jan und den Jantje an die Schwänze ihrer Pferde, und euch fressen sie auf in Zeit von zweimal vierundzwanzig Stunden. Aber mein Vetter ballte die Faust und dünkte sich klüger, als ein königl. hannöverscher Postillon. Was geschah? Tripp trapp kamen die Dragoner ins Thor geritten und kehrten das unterste zu oberst. Der Uhrmacher hatte sich aus dem Staube gemacht. Das war sein Glück, sie hätten ihn mit seinen langen Beinen aufgeknüpft an den Weiser der Thurmuhr, die er aufzuziehen pflegte. Die holländischen Dragoner, mein Herr, sind böse Gäste, Heuschrecken in Stiefel und Sporn. Wenn unser einer sich zu Tisch setzt, so ißt er so lange, bis er satt ist, diese Leute aber fressen so lange, bis sie wieder hungrig werden. Sehen Sie nur, da trabt einer von ihnen aus dem Dorf. Jes Marie, was hat der Kerl für einen gotteslästerlichen Bauch, was schneidet er für leibgrimmige Gesichter. Vermuthlich hat er sich schon im Dorf verfressen. Dag Kameraad, hoe laat is het? (wie viel ist die Uhr?) Bemerken Sie seine Butterdose, Horolootschie nennen sie das Ding. Een kwart over zeven, sagte der gutmüthige Dragoner. Ik dank u wel. Freßsack, der du bist, ein viertel über sieben und schon stickend voll. Großer Fritz und wie stank er nach Genever.
So plaudernd gab er seiner trägen Liese etliche Peitschenhiebe, die aber eher nichts fruchteten, als bis sie das Wirthshausschild im Dorfe wahrnahm. Wie der Wagen hielt, ward er sogleich von kleinen pausbackigten Holländern umringt, im steifen sonntäglichen Putz, nicht muthwillig und tobend, wie unsere Dorfjugend, sondern kleine vernünftige Abdrücke ihrer Väter und Mütter, welche Pferde, Wagen, Postillon und mich neugierig erst betrachteten. Der Castellan stand in der Thür, Hut auf dem Kopf, Pfeife in der Hand, und sagte, as u belieft, mijn Heer, in mijn huis aftestappen. Als ich in die Stube trat, credenzte seine Tochter mir eine kleine weiße Thonpfeife sehr zierlich mit ihrer kleinen weißen Hand. As u belieft, mijn Heer, en Pijpje te smooken, sagte sie. As u belieft, mijn Heer, wie putzig, wie närrisch niedlich das klingt in einer hübschen Holländerin Munde. Und Antje, so hieß sie, war ein mooi meisje. Ich streichelte ihr neugierig die weiße Hand und die Wange, so kühl, fest und fein, wie das feine chinesische Porcellan, das auf dem Tische stand. Antje, sagte ich, merk' auf, ich will dir ein holländisches Lied vorsingen. Ich kannte wirklich ein solches Lied von meinen Kinderjahren her:
Als Antje vor der Thüre stand
Und Jan ging da vorbei u.s.w.
sie ward sehr vergnügt. Als ich meine Zeche bezahlt und Anstalt machte, aufzubrechen, sah ich, daß sie einen großmütterlichen Schrank aufmachte, dessen Thürflügel mit goldenen Blumen und Schnörkeln verziert waren. Sie zog eine Schieblade auf und griff den schönsten rothen Apfel heraus, der noch am Stengel saß, trippelte damit zu mir, sah mich mit ihren hellbraunen Augen freundlich an, und bot mir den Apfel mit den Worten: as u belieft, mijn Heer, en Appelje van mij aanteneemen. Ich dachte an Eva, an den alten Adam, ich entschuldigte Letzteren sogar ein wenig für seinen gottvergessenen Apfelbiß, angenommen und vorausgesetzt, daß Eva eben so hübsch war, wie Antje, und daß die Redensart as u belieft, mijn Heer, en Appelje in der Sprache des Paradieses eben so lustig verführerisch klang, wie in Antje's Sprache.
Till, sagte ich zu Till, als wir wieder auf dem Wagen saßen, Till laß es gut sein, es gibt in Overyssel hübschere Mädchen, als in Westphalen. Ja, sagte er, weiße Pfeifen und weiße Mädchen, auf deren Fabrication verstehen sich die Mijnheers; beide sind nur klein, aber fett, glatt, wohlthätig für die Lippen, brechen nicht leicht, nehmen nicht leicht was übel, sind dabei schlank und wohl gebacken und sehr vorsichtig ausgebrannt, über langsamem Feuer, der Holländer läßt Alles sacht angehen.
In Oldensal lauteten die Glocken zur Messe, aber die Sabbathruhe der Einwohner von Oldensal war durch kriegerische Gäste gestört. Pferde trampelten, Pallasche rasselten übers Pflaster, Reiter in aufgestreiften Hemdsärmeln striegelten ihre Thiere, trugen mit Heu und Stroh und nur hier und da schlich eine andächtige Seele bedrückt und seufzend nach der Kirche.
As u belieft, mijn Heer, en Pijpje,sagte der Wirth zu mir, vor dessen Hausthür Till ankerte. Es fehlte viel, daß es so angenehm klang, wie aus Antje's Munde. Der Wirth war eine lange, bleifarbige, tiefbrummende Orgelpfeife, behängt mit schwarzsammtnem Camisol und desgleichen Pluderhosen, Hut auf dem Kopf, weiße Pfeife vor dem Mund, wie gewöhnlich. Im Vorgrunde der saubern Hausflur war ein aufgetrepptes Zimmer vollgepfropft mit zechenden und lärmenden Reitern, im Hintergrunde saßen schwarze Männer und Frauen, Gebetbücher unterm Arm finster und schweigend um ein Caminfeuer. Ich setzte mich zu ihnen, keine Seele achtete auf mich, außer einer blanknasigen Kaffeeschwester, welche trotz der allgemeinen Landescalamität das Cokettiren nicht lassen konnte, ich meine die spiegelhelle riesige Kaffeekanne, die in der Mitte des Tisches prunkte, umringelt von vierzig kleinen Täßchen mit buntjapanischen Jäckchen und Liliputerärmchen, welche sie trotzig in die Seite stemmten. Aus dem aufgetreppten Zimmer wurde von Zeit zu Zeit zur Thür herausgeschrieen, en glas Genever, en Speel kaarten, en glasje klaare met zuiker, en glasje Bittere u.s.w. Die Wirthin zeigte sich als freundlich kluge Frau, lief ab und zu und bediente die unwillkommenen Gäste ohne Murren. Dagegen orgelte ihr langer Herr Gemahl sehr viele schwarze Flüche durch die schwarzen Zähne, lief in seinen vier Pfählen wüthend auf und ab, und hätte gern, wie es schien, sich seines Hausrechtes bedient, wären ihrer nicht zu viele gewesen. Endlich wurzelte er vor seiner Frau still, blies ihr den Dampf seiner Pfeife ins Gesicht und fragte sie, wo ist Grietje? In der Messe, sagte die Frau. In der Messe? Und Willem? Im Stall, glaube ich. Blixem! fuhr er auf und warf seine Pfeife an die Wand, blixem! weiß sie nicht, daß sie nicht in die Messe gehen soll ohne Willem? Keinen Fuß soll sie aus dem Hause setzen ohne mich oder Willem. Wenn nun die verdammten Kerle sie aufgreifen und anpacken, das Volk kennt nichts als Fluchen, Spielen, Fressen, Saufen – seine Frau hielt ihm die Hand vor den Mund, und rief mit ihrer schmeichelnd fetten Stimme mehrmals beschwichtigend: Papatje, Papatje. Darüber kam die Tochter aus der Messe zurück und der Sturm ging glücklich vorüber. Ein blaßkatholisches Kind mit silbernem Kreuz auf der Brust. Der Brummbär streichelte ihr zärtlich die schwarzen Haare, küßte sie auf die Stirn und verbot ihr mit einer Stimme, die väterlich liebend durch den rohen Groll seiner Seele hindurchbrach, künftig nicht ohne Begleitung ihres Bruders die Messe zu besuchen.
Dann kam Till und nahm Abschied.
Ein Traum, ein so himmlischer Traum mitten in Böotien! Träume, was sind Träume? haben sie Flügel, sind sie Engel, fliegen sie mitunter vom Himmel auf die platte Erde? – Ach nein! Träume sind keine Engel, Träume kommen nicht aus den Wolken, sie kommen aus dem Magen. Den schönsten Traum meiner Nächte verdankte ich dem fetten Stolker, den du gestern Abend verzehrtest. – Aber die Gestalt, die mich so himmlisch anlächelte, die mich, die ich – die Gestalt, die dich so himmlisch anlächelte, die dich, die du – genug diese Gestalt war eine seraphinische Blähung.
Blasphemie! rief ich aus, und sprang aus dem Bett, sehr aufgebracht über den platten Einfall, welchen ich im Zorn eine Einblasung des Eidammer Apoll nannte. So wandelt denn, murmelte ich, kein Mensch ungestraft weder unter Palmen, noch unter Butterfässern.
Uebrigens war es hohe Zeit aufzustehn. Die Uhr der St. Jakobskirche stand auf zehn, mein Nachbar zur Rechten, meine Nachbarin zur Linken, klapperten bereits seit einer Stunde mit den Theetassen, und meine Nachbarin zur Linken war gewiß schon bei der zwanzigsten.
Die St. Jakobskirche hat einen langen vierschrötigen Thurm, darüber einen geschnörkelten Aufsatz, worin eine Versammlung großer und kleiner Glocken, die gerade im Augenblicke, als ich aus dem Fenster sah, den alten Wilhelmus van Nassouwen herabspielten, und was der Zufall bedeutend genug fügte, auf den Kopf eines Nassauers, der vor meinem Fenster vorüberritt. Es war der Prinz Wilhelm von Oranien, ich hatte ihn schon gesehen bei Quatrebras, kampfschwitzend und in bloßen Hemdärmeln an der Spitze seiner Reiter, nämlich im Kupferstich an der Wand einer Dorfschenke. Er saß leicht und schlank zu Pferde, blickte heiter und sorgenlos in die Welt, wie Göthe's Egmont auf dem Markt zu Brüssel, vielleicht war der Engländer, den er ritt, dasselbe edle Thier, das mit ihm über die Barricaden der wüthenden Brüsseler glücklich hinweggesprengt war. Nun ritt der Prinz wieder über einen Markt, aber die Sache war nicht so gefährlich, Schildwachen präsentirten, ehrsame Bürgersleute nahmen ihren Hut ab und ließen ihn mit Ehren ruhig durch, es war der Markt im Haag, denn der Prinz, der Engländer, die St. Jakobskirche und ich, wir befanden uns sämmtlich in der Residenz des Königs von Holland, im grünen Haag. Ich sage im grünen, denn Haag oder s'Gravenshage ist eine Stadt, wie andere holländische Städte, und wie London schwarz aussieht, Paris weiß, Berlin roth, so hat der Haag wegen seiner Canäle, Bäume und Häuser einen grünlichen Anstrich, und als ich bei meiner Ankunft über eine Brücke fuhr, begegneten mir Arm in Arm zwei Damen mit grünen Brillen, grünen Kleidern und grünen Regenschirmen, welche sie gegen den Nebel aufgespannt hatten.
Auf dem Sopha ausgestreckt, dachte ich an meinen Traum und legte in Gedanken meine schnelle Reise noch einmal wieder zurück. Wie glänzt man, wie leuchtet man, wie dichtet man, wenn man dahinläuft, sagt irgendwo Jean Paul. Göthe würde gesagt haben, wenn man dahinfährt in bequemer Berline mit vier Rappen bespannt; Byron, wenn man dahintrottirt auf einem langen Engländer. Jeder nach seiner Art. Göthe ist die Poesie in der Hofkutsche, Byron die Poesie zu Roß, Jean Paul die himmlische Fußboten-Poesie, die Poesie per pedes Apostolorum.
Die holländischen Dichter mögen die Poesie in der Treckschuite vorstellen. – In Holland sieht man selten einen Reiter, nicht einmal einen Probenreiter, noch seltener einen Fußgänger. Alles fährt und schifft. Die holländischen Landstraßen sind aber auch vortrefflich. Selbst über die Haiden von Overyssel und Geldern läuft ein bequemer, gemüthsruhiger Weg; nirgends eine hohe obrigkeitliche Erlaubniß, sich den Hals zu brechen, wie auf der Haide von Westphalen. Hinter Amersfort wird der Weg dielenplatt. Man denke sich, die holländischen Landstraßen sind belegt mit jenen allerliebsten gelben Klinkern, womit man bei uns zu Lande hübsche Häuser aufführt und Keller und Höfe aussetzt. Darüber rollt der Wagen so leicht und stoßsicher hinweg, wie nur über die Basaltstraßen am Rhein, oder die Lavastraßen von Italien. Diese zierlichen, unter den Rädern des Wagens klingenden Wege sind freilich nicht so stark und dauerhaft, wie die steingroben Chausseen in Norddeutschland. So einer von den himmelhohen Frachtwagen, die caravanenartig die Lüneburger Haide durchziehen, würde in Holland seine Spur durch eine lange Verwüstung kenntlich machen. Allein solche Unbill haben die holländischen Wege nicht zu befahren. Alles, was Fracht und Last heißt, wird in Holland zu Schiff gepackt und auf Canälen weiter befördert. Die Canäle sind die eigentlichen Landstraßen in Holland. Man hört weder das Knallen der Fuhrmannspeitsche noch das Hoho der Kärrner; nur leichtbeladene Fuhrwerke rollen hin und her und selbst die Heu- und Mistwagen der Landleute sind leicht, schmal und zierlich gebaut. Diligencen gibt es in diesem kleinen Lande nach allen Richtungen; außer ihnen Treckscheuten für Personen, welche als regelmäßige Wasserposten täglich, stündlich ab- und zugehen. Geht es mit den Treckscheuten auch nicht auf Flügeln des Windes, so kommt der reisende Holländer doch immer um den stolpernden Schritt eines büschelbeinigen Gauls weiter in der Welt; dabei kann er sein Pfeifchen rauchen und mit seinem Nachbarm im Ruf ein kleines gepraatje über Wind und Wetter, Krieg und Frieden anbinden. Vielleicht ist China das einzige Land auf der Welt, das einen ähnlichen Anblick von Brücken, Canälen, Junken, Schiffern und Reisenden gewährt.
Mir machte die Reise nach dem Haag ein kindisches Ergötzen. O Butterland! o Käseland! rief ich, gelobtes Land meiner Kinderjahre, sei mir gegrüßt. Und auch du, o Jan Koxin, alter Feldwebel, mit dem ich so oft an der Elbe spatzieren ging, als die Franzosen bei uns waren und ich noch die ersten Hosen trug, sei mir gegrüßt, alter Jan Koxin, der mir so oft erzählt – was mich in die tiefste Rührung versetzte – daß die artigen Kinder in Holland zum Frühstück fingerdicke Butter und ein daumdickes Stück Käse auf ihre Bemme bekämen. Ach Koxin, schrie ich damals, wie wollte ich artig sein, wäre ich ein kleiner Holländer; ist Holland weit von hier? Holland ist sehr weit von hier, sagtest du langsam; ma–a–r die Welt ist rund und du kannst einmal dahinkommen.
Jetzt war ich da und glaubte den Geist des alten Feldwebels neben mir in der Kutsche sitzen zu sehen, wie er sein spanisches Rohr ausstreckte und mich auf alle Gegenstände aufmerksam machte, von denen er mir früher erzählt. Es war Alles ebenso, wie ich mir gedacht. Diese Städte mit ihren stumpfen Thürmen und Glockenspielen, ihren Grachten – man sieht in eine Gracht hinein, wie in einen Guckkasten, in der Mitte einen dunkelgrünen Canal mit Torf- und Kartoffelschiffen, eine perspectivische Reihe von Brücken, Bäumen, Krahnen, Häusern, schlafenden verschlossenen Häusern mit hohen verhängten Fenstern, Winkelspiegeln, Klingelzügen, hohen Schornsteinen, den einen noch wunderlicher gebaut, wie den andern, so daß man sagen kann, die Phantasie der Holländer hat sich an ihren Schornsteinen erschöpft.
Diese Dörfer mit ihren schmalen Gassen, ihren kleinen bunten Häusern, diese Bauer- und Milchwirthschaften mit ihren blanken Kesseln und Heuschobern, diese Landschaften, verhaßt der Diana, der Göttin des Wildes und Waldes, weil sie weder Wild noch Wald enthalten, verhaßt dem Apoll, weil sie sein poetisches Gefühl durch Schnupftabacksmühlen beleidigen, verhaßt selbst dem Pan und den Feldgöttern, sonst Liebhabern von Vieh, weil ihnen keine Hirtenflöte oder auch nur ein Kuhhorn entgegenschallt, aus gänzlichem Mangel an Hirten; diese Landschaften, die immer und ewig dasselbe Gesicht behalten, und unveränderlich mit Gras, Kühen, Canälen und Windmühlen abwechseln, vielleicht von allen Göttern und Göttinnen nur geliebt von der Himmelskönigin Juno, welche die Welt aus einem ökonomischen Gesichtspunkt betrachten muß, da sie nach Homer Kuhaugen hat.
Alles fand ich, wie ich's mir gedacht. Nur die Menschen nicht. Der Krieg mit Belgien hatte sie völlig aus den Angeln ihrer Gemüthsart gehoben, das bedächtige Volk war durch ein neues Gefühl, Ritterthum, Ehre, in ein fremdes Element hineingeplumpt, die Jungen erhitzten die Alten, die Zeitungsschreiber Alle. Sie machten aus einer Angelegenheit der Familie Nassau eine Volkssache, gebärdeten sich so isegrimmig, als ob sie allen Belgiern nur einen Hals wünschten, um ihn mit einem Streich abzuschlagen. Einem ward unwohl in ihrer Gesellschaft. So traf ich im Wirthshaus zu Amersfort einen Kreis junger Officiere von der Schütterei, oder holländischen Landwehr, die häßlich renommirten und ihren Wein unter Kraftflüchen hinabtranken. Zuletzt brachte der Jüngste von ihnen eine Gesundheit aus: auf Kaiser Nicolaus und daß er bald mit den Polen fertig wird. Alle Gläser klangen – unter ihren Oranjeschärpen schlug kein Herz für die edelste Sache, für welche je Blut geflossen, sie hatten Schwerter angeschnallt, aber sie waren darum keine Ritter geworden, sie fühlten keine Bewunderung, nicht einmal Mitleid für die ritterlichen Polen, welche ihrem Opfertod entgegenjauchzten. Und doch war die Sache der Polen einst die Sache ihrer Väter.
Die Scene machte mich beklommen. Gottlob, rief ich, als ich wieder Gottes freie Luft schöpfte, Gottlob, daß ich nicht im Butter- und Käselande geboren bin, Gottlob, daß ich ein Deutscher bin. Nein, diese Holländer sind keine Deutsche mehr, sie haben aufgehört es zu sein, seit sie, aus unsern Urwäldern vertrieben, in diesem nassen Jammerthal sich niederließen. Feuer, Wasser, Luft und Erde haben sie zu Holländern verarbeitet, ihre Sprache ist versumpft und in Gurgellaute ausgeartet, ihr Geist ist nur der feuchte Niederschlag des deutschen mehr, beraubt des himmlischen Funkens der Begeisterung, baar und ledig der Phantasie und des Gemüths. Begeisterung – wer wollte das trübe und neidische Feuer, was ihnen jetzt aus den Augen sieht, Begeisterung nennen.
Mit diesen Worten machte ich mir Luft; aber ich muß gestehen, daß die Schütter von Amersfort mich eine geraume Zeit unterwegs verstimmten, bis ich im nächsten Wirthshause mit einem alten vernünftigen Holländer bekannt wurde, an dessen gepudertem Kopf der Wirbelwind der Zeit vorbeigefahren war, ohne ihn über die wahren Interessen seines Landes zu verdrehen. – In Utrecht schlief ich die Nacht, in Leiden verweilte ich so lange, als man braucht, um über den blauen Stein am Rathhaus vorüber von einem Thor zum andern zu fahren und jetzt war ich im Haag.
Unmittelbar an den Haag stößt ein Gehölz, Busch genannt, in Holland sehr berühmt, weil man darin eine Viertelstunde lang unter nichts als unter Bäumen geht, welche glückliche Vereinigung von Bäumen hier zu Lande sich nur in der Nachbarschaft von Harlem1 wiederholt. In diesem Busch wandelt an heitern Tagen die schöne und elegante Welt vom Haag, und es war ein sehr schöner Tag, als ich am Arm eines Bekannten die bunten Reihen durchstrich, welche sehen und gesehen werden wollten.
Wer ist die vornehme Dame, die hinter uns fährt, sie hat einen Fuchs und einen Schimmel vor dem Wagen und einen Malayen mit afgespanntem Sonnenschirm hinter sich. – Die Frau des vorletzten Gouverneurs von Batavia, sagte mein Begleiter. Eine liebe Frau.
Als Mijnheer Kapellen in seiner Jugend sich um ihre Hand bewarb, widerriethen ihre Verwandten die Heirath, weil er ein armer Teufel war. Sie hat ihn aus Liebe genommen, ein unerhörtes Beispiel in den Annalen der patrizischen Ehen, für welche Plutus und nicht Amor den Contract aufsetzt. Jetzt ist er aber ein steinreicher Mann, so reich wie Lucull, nach seiner Statthalterschaft in Klein-Asien. Er bewohnt ein fürstliches Landhaus in der Nähe von Utrecht und besucht nur alljährlich auf kurze Zeit die Residenz, um der königlichen Familie seine Aufwartung zu machen. Haben sie seinen arabischen Hengst noch nicht gesehen? Der wirft seinen Schweif wie ein Pfauenrad, sprüht Feuer aus den Rüstern, tanzt wie Vestris und ist das Entzücken aller unserer jungen Messires, die nichts lieber wünschen, als einmal Gouverneure von Batavia zu werden. Der Gouverneur hat ihn von Gott weiß welchem asiatischen Sultan zum Geschenk bekommen. Pferde und Wagen spielen auf Batavia die Hauptrolle. Kein Holländer läßt sich zu Fuß sehen. Mir ist ein Fall bekannt, daß ein Mijnheer, der seinem Nachbarn in einer sechsspännigen Carosse einen Besuch abstattete, noch im Thorweg seines Hauses saß, während die Vorderpferde schon in den Thorweg des Nachbarn einbogen. Durch diese Unsitte verlieren sie den Gebrauch ihrer Beine, wie durch die Unzahl ihrer mohrischen und malayischen Sclaven den Gebrauch ihrer Arme und Hände. Die vornehmen Holländerinnen leben dort auf demselben Fuß, nur auf einem bedeutend größeren (die Holländerinnen haben entsetzlich große und schwere Füße); wie ihre Schwestern in Japan und Hindostan. Sie behängen sich geschmacklos mit Perlen und Edelsteinen, liegen den langen lieben Tag auf dem Sopha, lassen sich die Mücken und Fliegen abwedeln, waschen sich viel und werden immer gelber, baden sich oft und werden immer welker, angeln gern nach jungen Europäern, welche sie reich und dürre machen, und sind im Uebrigen so geistlos und armselig in der Unterhaltung, daß man in ihrer Gesellschaft nicht ausdauern kann. Das sei nicht gesagt von der Gouverneurin, sie ist eine scharmante Frau, sie kann auch schon lange wieder zu Fuß gehen. Als sie erst zurück kam, war ihr dieses unmöglich. Sie wollte im Haag eine Jugendfreundin besuchen, auf deren Wiedersehen sie sich seit langer Zeit gefreut. Der Wagen fährt vor, der Bediente öffnet den Schlag und meldet seiner Gebieterin mit dem kläglichsten Gesichte, das Haus liege hinter einer Brücke und man könne nur zu Fuß hinüberkommen. Dieser Umstand war für sie hinreichend, um den Besuch aufzugeben.
Kein Wunder, sagte ich, der Holländer ist schon von Natur kein Vogel, und wird er nun aus seinen nebelkalten Sümpfen unter die brennende Sonne Indiens versetzt, so muß ihm ungefähr so schlaff zu Muth werden, wie Einem, der mit durchnäßten Kleidern sich an die Gluth des Caminfeuers setzt.
Aber sagen Sie, wer ist der kleine Herr vor uns auf? – Wer? – Der mit dem grandiösen, familien-aristokratischen Schritt aus alter guter Zeit. – Das ist unser Bürgermeister, Mijnheer Kobbes van Kattendyk, ein kleiner lebhafter Mann, sehr beliebt am Hofe, thut viel für's französische Theater, für die Verschönerungen der Stadt. Mein Barbier behauptet, daß er zu wenig Bart und zu viele und zu kostbare Ideen hat. Er meint damit den neuen Canal, den Mijnheer Kobbes van Kattendyk mitten durch die Dünen bis beinahe an die See geführt hat, ein Werk, gegen dessen Vollendung die Herren Wasserstaaten von Delfland eingekommen sind, weil sie behaupten, Holland dürfe nicht ohne die höchste Noth sein kostbares Palladium, die Dünenkette, durchbrechen. Dieser Canal ist auch ohne Ende und Schiffarth, welche auf jeden Fall wegen Sandbänken und Brandung nicht erzielt werden möchte, für den Kenner und Liebhaber der schönen Natur sehr schätzenswerth. Die schönen Töchter des Sir Charles Bagot, des englischen Ambassadeurs, gehen hier jeden Tag spatzieren, oder vielmehr, sie schweben spatzieren, denn die Jüngste vor Allen ist ein schwebender Engel. – Ach, sehn Sie, da geht der ehrliche Bernhard von Sachsen-Weimar, der vor einigen Jahren seine Reise in die nord – amerikanischen Staaten in den Druck gegeben hat; ein alter deutscher Degenknopf, über dessen Besitz die Holländer sich Glück wünschen. – Der Prinz Oranien mit seinen Söhnen – ach, er möchte so gern König von Belgien werden, weil er fühlt, daß er für die trockenen, ökonomischen Holländer nicht geschaffen ist. Seltsam, das Land ist so naß und die Menschen hier so trocken. Sein Bruder Friedrich ist dagegen mit Haut und Haar ein Holländer; man kann auch sagen, er ist das im Dünnen, was sein Vater im Dicken ist. – Das halbe holländische Lager ist hier auf den Beinen. Wer ist der junge Offizier, mit dem Sie sich grüßten, ein bildschöner Mann. – Sagen Sie, der Adonis von Holland, das Wehgeschrei aller Damen, seit er seinen Arm verloren; nicht im Krieg, im Duell. Sie sehn daraus, daß auch die holländischen Offiziere sich duelliren. Ah bon jour, monsieur la baron, sagte mein Begleiter zu einem Männchen, das von aller Welt gegrüßt ward und alle Welt mit unendlich vielen hastigen und possirlichen Bücklingen wieder grüßte. Glücklicher Zufall, daß ich Sie treffe, ich wünsche mir Ihre Belehrung über einen Punkt aus den holländischen Alterthümern. Gestern Mittag speiste ich im alten Dulen an der Wirthstafel, das Gespräch fiel vom Hundertsten ins Tausendste und endlich sogar auf das alte Thule, jene famose Insel, die ein Kaufmann von Marseille, ich weiß nicht wie viel Jahre vor Christi Geburt, in der Nordsee entdeckt haben wollte und deren Name und Lage so vielen Gelehrten den Kopf zerbrochen. Da meinte ein junger Doctor der Philosophie, unter Thule sei weder Island, noch Norwegen, noch eine der schottischen Inseln zu verstehen, sondern – was meinen Sie wohl – Holland, die batavische Insel. Vermuthlich, sagte er, ist dieser griechische Kaufmann bei Schevelingen ans Land gestiegen und zwar zur Zeit eines starken Seenebels, wie er hier zu Lande nicht selten einfällt, hat dann einige Nächte im alten Dulen logirt, wie noch jetzt die reisenden Kaufleute zu thun pflegen und bei seiner Abreise den Namen eines einzelnen Wirthshauses für den Namen des Landes gehalten, das vielleicht auch damals noch gar keinen Namen führte. Eh bien, monsieur le baron, was sagen Sie dazu? Der Baron räusperte sich und sagte, die Conjectur ist artig und ingeniös, auf den ersten Anblick sehr glänzend und dabei schmeichelhaft für Holland. Allein so guter Patriot ich bin, so scheinen mir doch bei näherer Betrachtung die angeführten Gründe nicht haltbar genug, um unserm Lande den Ruhm anzueignen, von Pytheas, der ungefähr um die Zeit des Aristoteles lebte, besucht worden zu sein. Das Wort Dul ist allerdings so alt, wie unsere Sprache, und also so alt, wie unsere Vorfahren selbst, welche in diesem heiligen Hain, worin wir jetzt friedlich spatzieren gehen, ihren Göttern blutige Opfer darbrachten. Allein die Wirthshäuser, welche man unter dem Namen Dulen in ganz Holland findet, steigen ohne Zweifel nicht höher hinauf, als bis zur Gründung der Städte und der Stiftung der Schützengilden, welche in diesen Wirthshäusern zusammenkamen, um nach dem Dul, id est, nach dem Ziel, nach der Scheibe zu schießen. A propos, mon ami, beim Schießen – hier fiel er sich in ganz verändertem Ton in die Rede, indem er sich kriegerisch in die Brust warf – à propos beim Schießen, haben Sie meine Kanoniere schießen hören? Die Kerle schießen majestätisch, klassisch sag' ich Ihnen. Dulce est pro patria mori. Falle ich, so sollen sie den Kopf der Livia haben, der Ihnen so sehr gefällt. Haben Sie meine ägyptischen Papyrusrollen schon gesehen? Besuchen Sie mich doch, mon cher. A revoir, à revoir.
Ist das ein Offizier von der Artillerie, fragte ich, als der kleine Baron sich entfernt hatte. Bewahre, sagte mein Begleiter, seine Kanoniere sind eine unschuldige Spielerei, die man ihm aus Rücksichten für seine Person einstweilen erlaubt. Er ist reich, von alter Familie, besitzt ein Paar große Hotels, sammelt Münzen, Steine, chinesische Puppen, römische und batavische Alterthümer und besitzt unter Anderm eine schöne Büste der augustäischen Livia, auch ein Paar köstliche Holzschnitte von der Hand Albrecht Dürer's, was er Alles mit dem größten Vergnügen den Fremden und Einheimischen sehen und bewundern läßt, wie auch ein Bild, das ihn selbst vorstellt, als er noch im Flügelkleide und ein Knabe von sieben bis acht Jahren war, er trägt als Amor Bogen und Pfeile, einen rothen Rock mit goldenen Tressen und sieht unter den gepuderten und gebrannten Locken schon eben so antiquarisch aus, wie gegenwärtig. Von seiner Frau ist er geschieden, sie wollte den Staub und seine alte Amme nicht an der Stelle liegen lassen, wo sie seit Alters lagen, den Staub nicht auf seinen chinesischen Puppen, die alte Amme nicht in ihrer gemeinschaftlichen Schlafkammer. Wie ich höre, ist sie aus dem heiligen Schooß der Antiquitäten in sehr profane Arme gestürzt, sie soll verheirathet sein an einen holländischen Unteroffizier, der ohne Zweifel seine alte Amme nicht bei sich hat und es auch nicht ungern sehen wird, wenn sie seinen Antiquitäten, alten Kamaschen und sonstigen alten Scharteken, den Staub ausklopft.
Wir schlugen uns aus dem Gedränge und kamen an einen mit hohen Buchen umringten Teich mit der Aussicht nach dem Hause im Busch, einem Lustschloß der oranischen Familie, das sich von dieser Seite sehr anmuthig hinter mehrern Brücken darstellt. Schwäne ruderten im Teich und aus einem Gebüsch ließ sich plötzlich die Nachtigall hören, einige Schritt weiter sahen wir die Königin der Nachtigallen, die kleine liebenswürdige Henriette Sonntag oder Gräfin Rossi, oder Gräfin Rossignol, wie ich sie am liebsten nenne. Sie hing am Arm ihres hübschen Mannes, und ich will nicht darauf schwören, daß sie sang, sie schien eher mit ihrem Manne zu sprechen; aber ich hörte sie singen und die langhalsigen Schwäne, die ihr nachruderten und mit den Flügeln schlugen, als wären sie ganz außer sich vor Vergnügen, hörten sie offenbar auch singen. Vielleicht hatte die kleine Zauberin nur aus Scherz die Luft und die Gesträuche mit Musik angesteckt. Den Abend aber hörte ich sie wirklich singen. Sie sang im Salon des **schen Gesandten auf allgemeines Bitten das Schweizer Alpenlied: »steh nur auf, steh nur auf,« so himmlisch schön, daß ergraute Minister in die Welt hineinlächelten, wie die Kinder, so schmachtend, daß dem Legationssecretair der **schen Gesandtschaft die Brust bis an die Watten stieg, so schmelzend, daß einem dicken Fräulein das schiere Fett von der Wange träufelte, so zum Vergessen, daß Herr Qouvrard von Paris seine letzte Speculation, seine Schulden und Saint Pelagie vergaß, und ich selber ausrief: Herr Gott, Madame, wäre ich der Schweizerbu, ich würde meine Lebtage nicht aufstehen, aus purem Vergnügen, sie so schön jodeln zu hören: »steh nur auf, steht nur auf, du Schweizerbu.«
Fußnoten
1het Harlemmer hout ist ein Lustholz vor den Thoren Harlems.
Du weißt, mein lieber Fritz, wie rasch ich die Gelegenheit ergriff, welche sich mir anbot, Deutschland zu verlassen und einige Zeit in Holland zuzubringen. Die Kunst war keine der letzten Rücksichten, welche mich dazu bestimmte. Ich war neugierig, diese handfeste Schule in ihrer Heimath, ihrer Werkstatt, ihrem eigentlichen Lebenselement zu studieren. Darnach wirst du kaum glauben, daß ich bis auf diesen Augenblick meinen Fuß noch in kein Museum gesetzt habe, weder im Haag, noch in Amsterdam. Ich mag noch nicht. Ich bin noch nicht in der Stimmung, Gemälde und Kunstsachen zu sehen, ich habe den Kopf von vielen andern Dingen voll, ich habe unter Anderm den Schnupfen. Ich bin jetzt schon satt vom ewigen Einerlei dieser Wiesen, Canäle und Windmühlen. Mich zerstreut selbst der Haager Kirmis nicht, obwohl das bunteste Gewühl von Hof, Stadt und Land darin umherwogt. Ich bin mißmuthig. Ich benutze oft die Gelegenheit, welche man an den Küstenorten, wie Haag, glücklicherweise hat, Holland in Holland zu entlaufen, ich steige in die Dünen, wandle am Ufer der Nordsee und verschlage meine Gedanken in Wind und Wellen.
Du fragst mich, was ich zu dem letzten Schritt Eurer Stände sage: Ach, Fritz, geh mir weg mit Deinen Ständen und, willst Du mir einen Gefallen thun, so laß mich künftig in Ruhe mit Deinen Ständen. Mag jedes deutsche Ländchen sein Ständchen haben und bekommen, wie jedes Städtchen sein Theaterchen, und jedes Dorf sein Puppenspiel in Gottes Namen, wenn es den Leuten Vergnügen macht. Allein, eins möcht' ich, solltest Du Deinen Leuten ins Ohr raunen: schreit nicht so, thut nicht so wichtig, tretet nicht so herculisch auf, schont die Bretter, lauft nicht mit drei Schritten über die Bühne, stoßt nicht den Himmel ein, laßt den Blocksberg stehen, den alten Philister, rennt den Schwarzwald nicht um und vor allen Dingen macht Serenissimo auf seinem Lehnstuhle nicht unnöthige Besorgnisse.
Lieber Fritz, was hilft und nützt alles »Aus der Haut fahren,« wenn man doch immer im alten Balg stecken bleibt.
Siehst Du's denn nicht, daß diese einunddreißig Constitutionsflicken uns noch lächerlicher machen in unserer bunten Jacke?
Begreifst Du's denn nicht endlich, verzeih mir, Fritz, wir haben so oft darüber gesprochen, und du hast mir zugestanden, daß der provinzielle, hausbackene Liberalismus dieser Leute eben so unerfreulich und kleingeistig ist, wie der adelige Servilismus, und daß er, statt dem Vaterlande in seinem Aufschwung zu helfen, sich nur gut gezeigt hat, und das alte unausstehliche Kannegießerwesen in Deutschland zu ernenen und hier und da einen Gassenlärm, einen Schloßbrand, eine Adresse und dergleichen zu Wege zu bringen. Aber das Volk, sagst du, muß doch einstweilen seine Vertreter haben, damit es wisse, wo die Gelder abbleiben, welche ihm die Regierung auspreßt und damit die Regierung nicht mehr bekomme, als billig und nöthig ist. Alter Junge, ich merke, Du wirst fett auf Deinem Landgut und guckst Deiner Frau mitunter in den Topf. Ihr reichen Schelme da wollt nicht gern herausrücken. Aber ich sage Euch, wenn ich erst an die Regierung komme, so will ich Euch ein anderes Evangelium lehren. Ich träume schon sehr viel davon. Vorige Nacht hatte ich den glücklichen Einfall, mich zum König von Preußen auf einige Zeit krönen zu lassen, vorvorige Nacht stand ich auf dem Straßburger Münster und hielt einen langen Stock in der Hand, der reichte so eben von den Alpen bis an die Ostsee – Du kannst denken, daß ich nicht schlecht damit in Deutschland aufgeräumt habe.
Du fragst mich, ob und was ich lese in Holland. Sehr wenig, lieber Fritz. Drei Damen haben mir drei Bücher geliehen, darin blätterte ich von Zeit zu Zeit. Hier folgen sie: 1) ein ziemlich dicker Quartant in bekanntes Leder eingebunden, dem äußern Ansehen nach kanonischen Inhalts, in der That aber eine chronique scandaleuse,