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Bestes Wissenschaftsbuch 2024 DER SPIEGEL Megaprojektexperte Bent Flyvbjerg und Bestsellerautor Dan Gardner verraten die Geheimnisse erfolgreicher Planung und Umsetzung ambitionierter Projekte jeder Größenordnung. Der Bau- / Architektur- / Stadtplanungs- / Projektmanagement- / Renovierungs-Bestseller erstmals auf Deutsch! »Wichtig, aktuell, lehrreich und unterhaltsam. Was kann man sich mehr wünschen?« Daniel Kahneman Nichts ist inspirierender als eine große Vision, die zur triumphalen Realität wird. Apples iPod etwa entwickelte sich in elf Monaten von einem Projekt mit nur einem Mitarbeiter zu einem enorm erfolgreichen Produktlaunch. Aber solche Erfolge sind die Ausnahme: Man denke an Stuttgart 21, den Berliner Flughafen und die Elbphilharmonie. Aber auch bescheidenere Unternehmungen scheitern häufig, sei es die Gründung eines kleinen Unternehmens, die Organisation einer Konferenz oder einfach nur die rechtzeitige Fertigstellung eines Arbeitsprojekts. Warum? »Nachdem ich die Eigenschaften von Planungsfehlern untersucht habe, bin ich zuversichtlich, dass niemand das Thema breiter und tiefer studiert hat als Bent Flyvbjerg. Sein Fokus reicht von Olympischen Spielen bis zur Renovierung Ihrer Hundehütte.« Nassim Nicholas Taleb Oxford-Professor Bent Flyvbjerg identifiziert die Fehler, die dazu führen, dass Projekte scheitern und zeigt die Prinzipien auf, die den Erfolg eines Projektes sicherstellen: - Verstehen Sie Ihre Chancen. Wenn Sie sie nicht kennen, werden Sie nicht gewinnen. - Planen Sie langsam, handeln Sie schnell. Schnell ins Handeln zu kommen, fühlt sich richtig an. Aber es ist falsch. - Denken Sie von rechts nach links. Beginnen Sie mit Ihrem Ziel und identifizieren Sie dann die Schritte, um dorthin zu gelangen. - Finden Sie Ihr Lego. Großes wird am besten aus Kleinem gebaut. - Beherrschen Sie die unbekannten Unbekannten. Viele glauben, das geht nicht, daher scheitern sie. Flyvbjerg zeigt, wie es funktioniert.Voll von anschaulichen Beispielen, von der Erbauung der Oper in Sydney bis hin zur Produktion von Pixar-Blockbustern, von der Hochzeitsplanung zur Küchenrenovierung, deckt How Big Things Get Done auf, wie man jedes ambitionierte Projekt erledigt – pünktlich und im Budget. »Dass der Zeitplan und das Budget überschritten werden, ist eine unvermeidliche Tatsache. Doch mit diesem hervorragenden datengetriebenen Buch hat Bent Flyvbjerg gezeigt, dass es einen anderen Weg gibt.« Frank Gehry
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Seitenzahl: 493
Veröffentlichungsjahr: 2024
Bent Flyvbjerg / Dan Gardner
Wie Projekte gelingen – von der Küchenrenovierung bis zur Marsmission
Aus dem amerikanischen Englisch von Anke Wagner-Wolff und Gisela Fichtl
Verlagsgruppe Droemer Knaur GmbH & Co. KG.
Das Empire State Building, ein Juwel der New Yorker Skyline, wurde in nur 21 Monaten fertiggestellt. Apples iPod brachte es innerhalb von elf Monaten von der Idee zur Marktreife. Doch es gibt auch die Bauprojekte wie Stuttgart 21 oder den Berliner Flughafen, die sich rasch als Katastrophe entpuppen. Bent Flyvbjerg hat untersucht, weshalb große Projekte so oft schiefgehen und in neun von zehn Fällen das Budget oder den Zeitplan überschreiten – und oft beides gleichzeitig. Dadurch hat er aber auch die Erfolgsfaktoren identifiziert, die dazu führen, dass große Vorhaben gelingen. Anhand anschaulicher Beispiele, die vom Bau eines Opernhauses über die Blockbuster-Filmproduktion bis zu einer missglückten Hausrenovierung reichen, verrät How Big Things Get Done das Geheimnis, wie man jedes ambitionierte Projekt über die Ziellinie bringt. Und zwar pünktlich und im Budget.
»Wichtig, zeitgemäß, lehrreich und unterhaltsam. Was könnten Sie mehr verlangen?« – Daniel Kahneman
»Nachdem ich die Eigenschaften von Planungsfehlern untersucht habe, bin ich zuversichtlich, dass niemand das Thema breiter und tiefer studiert hat als Bent Flyvbjerg. Sein Fokus reicht von Olympischen Spielen bis zur Renovierung Ihrer Hundehütte.« – Nassim Nicholas Taleb
»Dass der Zeitplan und das Budget überschritten werden, ist eine unvermeidliche Tatsache. Inkompetenz und Betrug sind empörend. Doch mit diesem hervorragenden datengetriebenen Buch hat Bent Flyvbjerg gezeigt, dass es einen anderen Weg gibt.« – Frank Gehry
Ein BEST BOOK OF THE YEAR im Economist und der Financial Times
Weitere Informationen finden Sie unter: www.droemer-knaur.de
Widmung
Einleitung: California Dreamin’
Psychologie und Macht
Eine New Yorker Erfolgsgeschichte
1 Langsam denken, schnell handeln
Ehrliche Zahlen
Budget- und Terminüberschreitungen, wieder und wieder
Das Fenster des Verderbens
Die Last mit der Hast
Eile mit Weile
Projekte gehen nicht schief, sie beginnen falsch
2 Die Entscheidungsfalle
Das unförmige Fünfeck
Übereiltes Entscheiden
Beim Flugbegleiter ist Optimismus erwünscht, beim Piloten nicht
Hofstadters Gesetz
Der Bias gegen das Denken
Strategische Falschdarstellung
»Setze den ersten Spatenstich«
Hinein in den Schneesturm
Somervells Spirale
Beschließen Sie, nicht vorschnell zu entscheiden
3 Von rechts nach links denken
Warum?
Das Kästchen auf der rechten Seite
Das rechte Kästchen aus den Augen verlieren
Zurück nach Cobble Hill
Nachtrag
4 Pixar-Planung
Experiri
»Ein wunderschönes Gekritzel«
Die Unebenheit, die zu einem Wandel in der Architektur führte
Die Pixar-Methode
Warum Iteration so hilfreich ist
Testen, testen, testen
Maximal virtuelles Produkt
5 Sind Sie erfahren?
Marginalisierung von Erfahrung
»Erster!«
Am größten, höchsten, schnellsten, längsten
Erstarrte Erfahrung
Pannen von olympischem Ausmaß
Erfahrungen ausreizen
Wir wissen mehr, als wir zu sagen wissen
Zurück zum Experiri
6 Sie halten Ihr Projekt also für einzigartig?
Es ist die Schätzung, Dummkopf!
»Eines von vielen«
Die Außensicht
Warum funktioniert das?
Die Daten auftreiben
Wirklich ein einzigartiges Projekt?
Regression zum Rand
Schwarze Schwäne managen
Das Great Chicago Fire Festival
Zurück nach Hongkong
7 Kann Unwissenheit Ihr Freund sein?
Electric Lady
Tun Sie’s einfach!
Story oder Daten
Was die Daten sagen
Die wahre Heldenreise
Eine datengestützte Story
8 Ein homogener, zielorientierter Organismus
Eine in Stein gemeißelte Deadline
Team-Bildung
Geschichte schreiben
Vier Uhr morgens
Das Geheimnis der Klassenbesten
9 Was sind Ihre Lego-Steine?
Ein Riesending
Viele kleine Dinge
Skalenfreie Skalierbarkeit
Mit Lego-Steinen spielen
Projekte mit dünnen Enden
Wie sich Unsummen einsparen lassen
Das China-Experiment
Die Klimakrise
Blowin’ in The Wind
Eine reelle Chance
Schlussakkord: Elf Heuristiken für besseres Projektmanagement
Engagieren Sie einen Baumeister
Holen Sie sich das richtige Team
Fragen Sie: »Warum?«
Arbeiten Sie mit Lego-Steinen
Denken Sie langsam, handeln Sie schnell
Nutzen Sie die Außensicht
Behalten Sie die Risiken im Auge
Lehnen Sie ab und gehen Sie Ihrer Wege
Schließen Sie Freundschaften und pflegen Sie sie
Integrieren Sie den Klimaschutz in Ihr Projekt
Erkennen Sie sich selbst als größtes Risiko
Anhang A Basisraten für Kostenrisiken
Anhang B Weiterführende Texte von Bent Flyvbjerg
Dank
Literaturverzeichnis
Für Carissa voll Bewunderung und Dankbarkeit
Wie wird aus einer Vision ein Plan und seine Verwirklichung zum Triumph?
Lassen Sie mich mit einer Geschichte beginnen. Vielleicht haben Sie ja von der Sache gehört. Wenn Sie in Kalifornien leben, ist das durchaus wahrscheinlich, denn dann zahlen Sie dafür.
2008 wurden die Wählerinnen und Wähler im Golden State aufgefordert, sich vorzustellen, wie es wäre, an der Union Station in der Innenstadt von Los Angeles in einen eleganten silberfarbenen Zug zu steigen. Sobald der Zug den Bahnhof verlassen hat, gleitet er ruhig durch den Ballungsraum, vorbei an endlosen Staus, und sobald er das freie Gelände im Central Valley erreicht, beschleunigt er, bis die Landschaft nur noch verschwommen zu erkennen ist. Das Frühstück wird serviert. Kaum hat das Zugpersonal die Kaffeetassen und Teller abgeräumt, wird der Zug auch schon langsamer und gleitet in den nächsten Bahnhof: San Francisco, Zentrum. Die gesamte Fahrt dauerte zweieinhalb Stunden, nicht viel mehr, als der durchschnittliche Einwohner von Los Angeles braucht, um zum Flughafen zu kommen, die Sicherheitskontrollen zu passieren, in das Flugzeug zu steigen und auf der Rollbahn auf den Abflug zu warten. Das Zugticket kostet 86US-Dollar.
Das Hochgeschwindigkeitsprojekt trug den Namen California High-Speed Rail. Es sollte zwei der weltweit größten Städte sowie das Silicon Valley, das globale Hochtechnologie-Mekka schlechthin, miteinander verbinden. Begriffe wie visionär werden allzu großzügig verwendet, aber dieses Projekt war wirklich visionär. 2020 sollte die Strecke betriebsbereit sein und die Gesamtkosten 33 Milliarden US-Dollar betragen.1 Bei der landesweiten Volksabstimmung sprachen sich die Bürgerinnen und Bürger Kaliforniens für das Projekt aus. Und die Arbeiten begannen.
Jetzt, da ich dieses Buch schreibe, liegt dies bereits 14 Jahre zurück. Vieles bei diesem Projekt ist noch im Ungewissen, fest steht aber, dass die Versprechen am Ende nicht eingelöst werden.
Nachdem die Wähler dem Projekt zugestimmt hatten, begann man an verschiedenen Orten mit den Bauarbeiten, doch das Projekt hatte mit permanenten Verzögerungen zu kämpfen. Immer wieder wurden die Pläne verändert. Die Kostenschätzungen schnellten in die Höhe, auf 45 Milliarden, auf 68 Milliarden, dann auf 77 Milliarden und schließlich auf fast 83 Milliarden US-Dollar. Die aktuelle Kostenschätzung liegt bei 100 Milliarden.2 In Wirklichkeit weiß jedoch niemand, wie hoch die Kosten am Ende tatsächlich ausfallen werden.
2019 gab Kaliforniens Gouverneur bekannt, dass der Bundesstaat lediglich einen Teil der Strecke im Landesinneren fertigstellen werde: den 275 Kilometer langen Abschnitt zwischen den Städten Merced und Bakersfield im Central Valley für geschätzte 23 Milliarden US-Dollar. Danach werde das Projekt eingestellt. Ein künftiger Gouverneur wird darüber entscheiden müssen, ob es je wieder aufgenommen wird, und falls ja, wie man die rund 80 Milliarden US-Dollar – oder wie hoch immer der Betrag dann sein wird – auftreiben kann, um die Strecke zu verlängern und schließlich Los Angeles und San Francisco miteinander zu verbinden.3
Um es ins Verhältnis zu setzen, bedenken Sie, dass die Kosten allein für die Strecke zwischen Merced und Bakersfield dem jährlichen Bruttoinlandsprodukt von Honduras, Island und etwa hundert anderen Ländern entsprechen oder es sogar übertreffen. Und mit diesem Geld wird die aufwendigste Eisenbahnstrecke in Nordamerika zwischen zwei Städten gebaut, deren Namen man außerhalb von Kalifornien nicht einmal kennt. Es wird – wie Kritiker es formulierten – ein »Hochgeschwindigkeitszug ins Nirgendwo«.
Wie werden aus Visionen Pläne, die wiederum zu erfolgreichen Projekten werden? So nicht. Eine ambitionierte Vision ist etwas Wunderbares. Kalifornien hat etwas gewagt. Es träumte von etwas Großem. Aber eine Vision allein genügt nicht, selbst mit dicken Geldpolstern nicht.
Ich möchte Ihnen noch eine Geschichte erzählen. Diesmal eine unbekannte, aber sie bringt uns einer Antwort vermutlich näher.
Anfang der 1990er-Jahre hatten die dänischen Behörden eine Idee. Dänemark ist ein kleines Land, mit weniger Einwohnern als New York City, aber reich. Es gibt viel Geld für Entwicklungszusammenarbeit aus und will mit diesem Geld Gutes erreichen. Weniges bewirkt mehr Gutes als Bildung. Mitglieder der dänischen Behörden setzten sich mit Kolleginnen und Kollegen anderer Regierungen zusammen und stimmten überein, ein Schulsystem im nepalesischen Himalaja zu finanzieren. 20000 Schulen und Klassenräume sollten errichtet werden, die meisten davon in den ärmsten und abgelegensten Regionen der Welt. Die Arbeit sollte 1992 beginnen und war für einen Zeitraum von 20 Jahren geplant.4
Die Geschichte der Entwicklungshilfe ist eine von Geld- und Zeitverschwendung auf Staatskosten, und dieses Projekt hätte sich leicht in die Schar der Misserfolge einreihen können. Doch es wurde 2004 unter Einhaltung des Budgets abgeschlossen – 8 Jahre schneller als geplant. In den Folgejahren wuchs das Bildungsniveau in ganz Nepal, was eine lange Liste positiver Folgen nach sich zog, insbesondere einen Anstieg der Zahl an Mädchen, die zur Schule gingen. Die Schulen retteten sogar Leben. Als 2015 ein schweres Erdbeben Nepal heimsuchte, starben fast 9000 Menschen, viele von ihnen in eingestürzten Gebäuden. Die Schulen jedoch waren erdbebensicher gebaut worden und hielten stand. Heute führt die Bill & Melinda Gates Foundation das Projekt als Beispiel an, wie man durch eine höhere Einschulungsquote die Gesundheit fördert, insbesondere die von Mädchen.5
Ich war der Planer dieses Projekts.6 Damals freute ich mich über das Ergebnis, dachte aber nicht viel darüber nach. Es war mein erstes Großprojekt, und schließlich haben wir nur getan, was wir angekündigt hatten: eine Vision in einen Plan zu verwandeln und diesen wie versprochen umzusetzen.
Doch ich war nicht nur Planer, sondern auch Wissenschaftler, und je länger ich mich damit befasste, wie Großprojekte zustande kommen – oder scheitern –, umso mehr begriff ich, dass meine Erfahrungen in Nepal keineswegs normal waren. Sie waren tatsächlich nicht einmal annähernd normal. Wie wir noch sehen werden, zeigen die Daten, dass Großprojekte selten ihre Versprechen einhalten. Die California High-Speed Rail kommt dem, was normal ist, schon näher. Im Normalfall gibt es ein Desaster, das Optimum dagegen ist die Ausnahme, wie meine späteren Erkenntnisse über das Management von Megaprojekten zeigten.7
Warum ist die Erfolgsbilanz von Großprojekten so schlecht? Und vielleicht noch wichtiger: Was ist mit den so reizvollen wie seltenen Ausnahmen? Warum wurden sie erfolgreich fertiggestellt, wo doch so viele andere scheitern? Hatten wir mit den Schulen in Nepal einfach nur Glück gehabt? Oder ließe sich das wiederholen? Als Professor für Planung und Management habe ich viele Jahre mit der Beantwortung dieser Fragen verbracht. Und als Berater habe ich viele Jahre mit der Umsetzung meiner Antworten in die Praxis verbracht. In diesem Buch präsentiere ich sie der Öffentlichkeit.
Der Fokus meiner Arbeit liegt auf Megaprojekten – sehr großen Projekten –, bei denen vieles speziell ist. Mit der Politik im jeweiligen Land oder den globalen Anleihemärkten zum Beispiel muss sich ein durchschnittlicher Eigenheimsanierer nicht auseinandersetzen. Aber das wären Themen eines anderen Buches. Was mich hier interessiert, sind die universellen Ursachen sowohl für das Misslingen von Projekten wie für ihren Erfolg. Das erklärt den Titel. »How Big Things Get Done« (Wie große Projekte gelingen) ist eine Anspielung auf meine Erfahrung mit Megaprojekten, die in jeder Hinsicht groß sind. Aber »groß« ist relativ. Für normale Hauseigentümer kann eine Haussanierung leicht zum teuersten, schwierigsten und herausforderndsten Projekt werden, das sie je unternommen haben. Es richtig zu machen bedeutet für sie genauso viel oder mehr, wie das Schicksal von Megaprojekten für Unternehmen und Regierungen bedeutet. Es ist wirklich eine »große« Sache.
Was also sind die universellen Ursachen, die den Unterschied zwischen Erfolg und Misserfolg ausmachen?
Ein Motor ist die Psychologie. Bei jedem großen Projekt – und damit meine ich Projekte, die die Verantwortlichen als groß, schwierig, herausfordernd und riskant empfinden – stellt man Überlegungen an, bewertet, beurteilt und trifft Entscheidungen. Und wo gedacht, beurteilt und entschieden wird, spielt die Psychologie eine Rolle, zum Beispiel in Form von Optimismus.
Ein weiterer Motor ist Macht. Bei jedem großen Projekt konkurrieren Personen und Unternehmen um Mittel und um ihre Stellung. Wo es Konkurrenz und Wettbewerb gibt, gibt es auch Macht; die eines CEO zum Beispiel oder die eines Politikers, der ein Lieblingsprojekt durchsetzen möchte.
Psychologie und Macht wirken bei allen Projekten mit, egal welcher Größenordnung, von der Küchensanierung bis zu Wolkenkratzern. Sie sind bei Projekten aus Stein und Mörtel ebenso am Werk wie bei solchen aus Bits und Bytes oder woraus auch immer. Sie sind mit von der Partie, wo immer sich jemand für eine Vision begeistert, aus der zunächst ein Plan und dann Realität werden soll – egal, ob diese Vision darin besteht, der Skyline von Manhattan ein weiteres Schmuckstück hinzuzufügen oder ein neues Geschäft zu eröffnen, zum Mars zu fliegen, ein innovatives Produkt zu erfinden, das Unternehmen umzustrukturieren, ein Programm zu entwickeln, eine Konferenz einzuberufen, ein Buch zu schreiben, eine Hochzeit auszurichten oder ein Haus zu renovieren oder umzubauen.
Wenn solche universellen Kräfte am Werk sind, können wir davon ausgehen, dass es Muster gibt, nach denen Projekte jeglicher Art ablaufen. Und so ist es in der Tat. Für das gängigste Muster ist Kaliforniens Hochgeschwindigkeitszug ins Nirgendwo ein perfektes Beispiel.
Das Projekt wurde genehmigt und die Arbeit vor lauter Begeisterung übereilt begonnen. Doch schon bald häuften sich die Probleme. Der Fortschritt verlangsamte sich. Weitere Probleme kamen hinzu. Die Arbeiten verzögerten sich weiter. Das Projekt zog sich immer mehr in die Länge. Dieses Muster heißt bei mir »Schnell denken, langsam handeln«, warum, werde ich noch erklären. Es ist ein Markenzeichen gescheiterter Projekte.
Erfolgreiche Projekte dagegen folgen in der Regel dem gegenteiligen Muster und schreiten zügig voran, bis sie ihr Ziel erreichen. So wurde das nepalesische Schulprojekt umgesetzt. Und so war es bei der Hoover-Talsperre, die knapp unterhalb ihres Budgets blieb und in weniger als 5 Jahren fertiggestellt war – 2 Jahre früher als geplant.8 Boeing brauchte 28 Monate, um die erste der berühmten Boeing 747 zu entwerfen und zu bauen.9 Apple stellte den ersten Mitarbeiter, der am später legendären iPod arbeiten sollte, Ende Januar 2001 ein. Im März 2001 wurde das Projekt offiziell bewilligt und im November 2001 der erste iPod an die Kunden ausgeliefert.10 Amazon Prime, das enorm erfolgreiche kostenpflichtige Abonnement mit freiem oder priorisiertem Versand, entwickelte sich von Oktober 2004 bis Februar 2005 von einer vagen Idee zu einer öffentlichen Ankündigung.11 Die erste SMS-Kurznachrichten-App wurde in wenigen Wochen entwickelt.
Und dann gibt es da noch das Empire State Building.
Die Vision, aus der der weltweit wohl legendärste Wolkenkratzer erwuchs, begann mit einem Bleistift. Wer den Bleistift in der Hand hatte, hängt davon ab, welcher Version der Geschichte man mehr Glauben schenkt. Bei der einen war es der Architekt William Lamb, bei der anderen John J. Raskob, Finanzgenie und ehemaliger Manager bei General Motors. In beiden Fällen wurde der Bleistift vom Schreibtisch genommen und, mit der Spitze nach oben, senkrecht gehalten. So sollte das Empire State Building aussehen: schlank und gerade, und es sollte höher in den Himmel ragen als jedes andere Gebäude auf der Erde.12
Die Idee, einen Hochhausturm zu errichten, hatte vermutlich Al Smith Anfang 1929. Der gebürtige New Yorker und ehemalige Gouverneur wurde bei den Wahlen 1928 Präsidentschaftskandidat der Demokraten. Wie die meisten New Yorker war Smith gegen die Prohibition. Die Mehrheit der Amerikanerinnen und Amerikaner war anderer Ansicht, und so verlor Smith die Wahl gegen Herbert Hoover. Nun ohne Aufgabe, brauchte Smith eine neue Herausforderung. Er erzählte Raskob von seiner Idee, und sie gründeten die Empire State Inc. Smith wurde Vorsitzender und war das Gesicht des Unternehmens, Raskob der Finanzier. Sie entschieden sich für einen Bauplatz – den Standort des Waldorf-Astoria-Stammhauses, einst der Gipfel des Luxus in Manhattan –, setzten die Parameter des Projekts und entwickelten einen Businessplan. Sie zurrten das Gesamtbudget auf 50 Millionen US-Dollar fest (mit der Kaufkraft von 2021 ca. 820 Millionen US-Dollar), inklusive Kauf und Abriss des Waldorf-Astoria. Die großen Eröffnungsfeierlichkeiten wurden für den 1. Mai 1931 geplant. Sie beauftragten Lambs Firma. Jemand hielt einen Bleistift senkrecht. Von dem Moment an blieben achtzehn Monate für den ersten Entwurf bis hin zur letzten Niete.
Sie handelten schnell, denn der Moment war günstig. New York hatte London als bevölkerungsreichste Metropole der Welt abgelöst, Jazz war angesagt, die Aktienkurse stiegen, die Wirtschaft boomte und überall in Manhattan schossen Wolkenkratzer – das aufregende neue Symbol eines prosperierenden Amerikas im Maschinenzeitalter – aus dem Boden. Investoren suchten nach neuen Projekten, die sie unterstützen konnten, je ehrgeiziger, desto besser. Das Chrysler Building würde bald das größte unter den Titanen werden und das gesamte Prestige und die Mieteinnahmen einbringen, die mit diesem Titel verbunden waren. Raskob, Smith und Lamb waren entschlossen, sie alle mit ihrem Bleistift zu überbieten.
Bei der Planung des Gebäudes konzentrierte sich Lamb ganz auf die Umsetzung. »Die Tage, an denen [der Architekt] vor seinem Zeichenbrett sitzt und hübsche Entwürfe von ausgesprochen unwirtschaftlichen Denkmälern schafft, die er sich selbst setzt, sind endgültig vorbei«, schrieb er im Januar 1931. »Seine bisherige Verachtung für ›das Praktische‹ wurde durch das intensive Bemühen ersetzt, seine Ideen auf dem Gerüst der praktischen Notwendigkeiten zu entwickeln.«
In enger Zusammenarbeit mit den Bauleuten und Ingenieuren schuf Lamb Entwürfe, die durch den Standort bestimmt waren sowie die Notwendigkeit, innerhalb des Kosten- und Zeitrahmens zu bleiben. »Die Anpassung des Entwurfs an die Nutzungsbedingungen, die Bauweise und die Geschwindigkeit der Fertigstellung stand bei den Entwurfszeichnungen des Empire State im Vordergrund«, schrieb er. Die Entwürfe wurden strengen Tests unterworfen, um sicherzustellen, dass sie auch standhielten. »Kaum ein Detail wurde freigegeben, ohne dass es von den Bauherren und ihren Fachleuten gründlich analysiert, angepasst und verändert wurde, um von vornherein jede Verzögerung zu vermeiden.«13
In einer Publikation aus dem Jahr 1931 rühmte sich das Unternehmen, dass noch vor dem ersten Spatenstich »die Architekten genau wussten, wie viele Träger in welcher Länge, ja sogar wie viele Nieten und Schrauben sie brauchen würden. Sie wussten, wie viele Fenster das Empire State haben würde, wie viele Kalksteinblöcke in welchen Formen und Größen, wie viele Tonnen Aluminium und Edelstahl, Zement und Mörtel benötigt würden. Noch bevor der Bau begann, war das Empire State bereits vollständig fertig – auf dem Papier.«14
Am 17. März 1930 grub sich der erste Dampfbagger in den Boden von Manhattan. Mehr als dreitausend Arbeiter waren auf der Baustelle im Einsatz, und der Bau schritt rasch voran, beginnend mit dem sich nach oben schiebenden Stahlskelett, gefolgt von der Fertigstellung der ersten Etage. Dann der zweiten. Der dritten. Der vierten. Die Zeitungen berichteten über das Emporwachsen des Wolkenkratzers, als handelte es sich um einen Playoff-Run der Yankees.
Mit zunehmender Erfahrung der Arbeiter wurden die Abläufe reibungsloser und die Fortschritte noch rasanter. Drei Stockwerke ging es innerhalb einer Woche nach oben. Dann vier. Viereinhalb. Auf dem Höhepunkt der Bauarbeiten wurde ein Stockwerk pro Tag fertiggestellt.15 Und ein bisschen mehr. »Als wir mit dem zentralen Turm in voller Fahrt waren«, erinnerte sich Lambs Partner Richmond Shreve, »griff alles so präzise ineinander, dass wir einmal vierzehneinhalb Stockwerke in zehn Tagen hochzogen – mit Stahl, Beton, Stein und allem.«16 Es war die Zeit, in der man über die Effizienz der Fertigung von Autos am Fließband staunte, und die Architekten betrachteten den Bau des Empire State Building voller Begeisterung als vertikales Fließband – nur dass »sich hier das Fließband bewegt«, erklärte Shreve, während »das fertige Produkt am Platz bleibt.«17
Bei der offiziellen Eröffnung durch Präsident Herbert Hoover – wie geplant am 1. Mai 1931 – war das Empire State Building bereits eine lokale und nationale Berühmtheit. Seine Höhe war beängstigend. Die Effizienz der Bauarbeiten war legendär. Und obwohl Lambs Hauptaugenmerk dem Praktischen galt, war es unbestreitbar ein schönes Gebäude. Lambs Blick auf die Effizienz hatte ein schlankes, elegantes Gebäude hervorgebracht, und der New Yorker Verband des American Institute of Architects zeichnete es 1931 mit der Ehrenmedaille aus.18 Als 1933 schließlich King Kong das Gebäude auf der Kinoleinwand erklomm, die glamouröse Fay Wray umklammernd, wurde das Empire State Building zu einem Weltstar.
Statt der anfangs kalkulierten 50 Millionen US-Dollar hatte es nur 41 Millionen gekostet (was 679 Millionen im Jahr 2021 entspricht). Das sind 17 Prozent unter dem Budget, auf die Kaufkraft von 2021 umgerechnet 141 Millionen US-Dollar. Es wurde einige Wochen vor der Eröffnungsfeier fertiggestellt.
Das Muster, dem das Empire State Building und andere erfolgreiche Projekte folgen, nenne ich »Langsam denken, schnell handeln«.
Zu Beginn hatte ich gefragt, wie aus einer Vision ein Plan wird, der wiederum zu einer triumphalen neuen Realität wird. Wie wir sehen werden, ist genau das die Antwort: langsam denken, schnell handeln.
Die Bilanz von Großprojekten ist sogar noch schlechter, als man meint. Doch es gibt eine Lösung: Beschleunigung durch Entschleunigung.
Dänemark ist eine Halbinsel, vor deren Ostküste zahlreiche Inseln liegen. Expertise beim Betrieb von Fähren sowie im Brückenbau erwarb man daher bereits vor langer Zeit. Es war somit keine Überraschung, als die Regierung Ende der 1980er-Jahre das Projekt Große-Belt-Querung ankündigte. Mittels zweier Brücken, eine davon die längste Hängebrücke der Welt, sollten zwei der größeren Inseln miteinander verbunden werden, darunter die Insel mit der Hauptstadt Kopenhagen. Vorgesehen war auch ein Unterwassertunnel für Züge (der zweitlängste Europas), den ein dänisch geführtes Unternehmen bauen sollte. Das war interessant, denn mit dem Tunnelbau besaß man in Dänemark kaum Erfahrung. Die Ankündigung in den Nachrichten sah ich zusammen mit meinem Vater, der im Brücken- und Tunnelbau tätig war. »Schlechte Idee«, grummelte er. »Sollte ich ein so großes Loch graben wollen, würde ich jemanden beauftragen, der das schon einmal gemacht hat.«
Von Anfang an lief alles schief. Zunächst verzögerte sich die Lieferung von vier riesigen Tunnelbohrmaschinen um ein Jahr. Als die Maschinen dann im Boden waren, erwiesen sie sich als mangelhaft und mussten neu konzipiert werden, was die Arbeiten für weitere fünf Monate aufhielt. Dann endlich nagten sie sich langsam ihre Bahn unter dem Meeresboden.
An der Meeresoberfläche setzten die Brückenbauer einen riesigen Hochseebagger ein, um ihre Baustelle vorzubereiten.19 Der Bagger stabilisierte sich selbst, indem er riesige Stützbeine in den Meeresgrund absenkte. Nach getaner Arbeit wurden diese Beine angehoben und hinterließen tiefe Löcher. Zufällig lag eines der Löcher auf der geplanten Tunneltrasse. Weder die Brücken- noch die Tunnelbauer erkannten die Gefahr.
Nach einigen Wochen wurde eine der vier Tunnelbohrmaschinen zu Wartungszwecken angehalten. Sie befand sich etwa 250 Meter vor der Küste und mutmaßlich zehn Meter unterhalb des Meeresbodens. In den Wartungsbereich vor der Maschine drang Wasser ein. Ein Auftragnehmer, der des Tunnelbaus nicht kundig war, schloss eine Pumpe an, um das Wasser zu entfernen. Die Kabel der Pumpe wurden durch einen begehbaren Schacht in die Bohrmaschine eingeführt. Plötzlich strömte Wasser mit solcher Geschwindigkeit ein, dass ein Tunnelbruch vermutet wurde. Sofort erfolgte die Evakuierung – ohne dass Zeit gewesen wäre, Pumpe und Kabel zu entfernen und den Schacht zu verschließen.
Die Maschine und der gesamte Tunnel wurden geflutet, ebenso ein parallel verlaufender Tunnel mitsamt der darin befindlichen Bohrmaschine. Zum Glück wurde niemand verletzt oder getötet. Doch das Salzwasser im Tunnel wirkte auf das Metall und die Elektronik wie Säure. An dem Projekt beteiligte Ingenieure erklärten mir damals, es wäre billiger, den Tunnel aufzugeben und einen neuen zu beginnen, als die Bohrer herauszuziehen und den Tunnel zu entwässern sowie zu sanieren. Die Politik setzte sich jedoch darüber hinweg, weil ein aufgegebener Tunnel zu peinlich gewesen wäre. Zwangsläufig verzögerte sich das gesamte Projekt massiv und überschritt den Etat bei Weitem.
Diese Geschichte ist gar nicht so ungewöhnlich, sie ist vielmehr eine von vielen ähnlichen in den Annalen der Großprojekte. Doch just dieses Projekt animierte mich dazu, ein eigenes Großprojekt zu starten: eine Datenbank für Großprojekte. Sie wächst immer weiter und ist bereits jetzt die weltweit größte ihrer Art.
Wir können ihr viel darüber entnehmen, was funktioniert, was nicht funktioniert und was sich besser machen lässt.
Nach dem Unfall, der Sanierung und schließlich der Fertigstellung von Großer-Belt-Brücke und -Tunnel war man sich einig, dass das Projekt den Kostenrahmen weit überschritten hatte. Aber um wie viel? Für das gesamte Projekt gab das Management 29 Prozent an. Ich vertiefte mich in die Daten, führte eigene Analysen durch und stellte fest, dass diese Zahl, nun, sagen wir, optimistisch war. Die tatsächliche Überschreitung lag bei 55 Prozent und allein für den Tunnel bei 120 Prozent (in realen Zahlen, gemessen ab der endgültigen Investitionsentscheidung). Trotzdem wiederholte die Unternehmensleitung ihre Zahlen in der Öffentlichkeit, und ich korrigierte sie immer wieder, bis eine Meinungsumfrage ergab, dass die Bevölkerung auf meiner Seite stand. Dann gab das Management auf. Eine offizielle Buchprüfung seitens des Staates bestätigte später meine Zahlen, und der Fall war erledigt.20
Diese Erfahrung hat mich gelehrt, dass das Management von Megaprojekten kein Gefilde dessen ist, was Walter Williams, Professor für öffentliche Angelegenheiten an der University of Washington, »ehrliche Zahlen« nannte.21 So einfach die Beurteilung von Projekten theoretisch sein mag, ist sie in der Praxis doch alles andere als das. Jedes Großprojekt bringt eine Flut von Zahlen mit sich, die in verschiedenen Phasen von unterschiedlichen Parteien erstellt werden. Die richtigen zu finden – jene, die gültig und zuverlässig sind – erfordert Geschick und Mühe. Selbst versierte Gelehrte machen Fehler.22 Hinzu kommt, dass es bei großen Projekten um Geld, Ansehen und Politik geht. Wer viel zu verlieren hat, wird an den Zahlen herumdoktern, weshalb man ihnen nicht trauen kann. Das ist kein Betrug. Oder besser gesagt: üblicherweise kein Betrug; es ist die Natur des Menschen. Und wenn viele Zahlen zur Auswahl stehen, ist es wesentlich leichter, sie zu verdrehen, als die Wahrheit zu finden.
Das ist ein ernstes Problem. Bei Projekten wird versprochen, dass sie zu einem bestimmten Termin und zu bestimmten Kosten abgeschlossen sein werden und einen bestimmten Nutzen erbringen – einen Nutzen, der sich in Einnahmen, Einsparungen, Fahrgastzahlen oder der Erzeugung von Megawatt an Strom ausdrückt.
Aber wie oft halten denn Projekte, was sie versprachen? Das ist die einfachste Frage, die man sich stellen kann. Doch als ich mich in den 1990er-Jahren umsah, musste ich mit Verblüffung feststellen, dass niemand diese Frage beantworten konnte. Entsprechende Daten waren einfach nicht gesammelt und analysiert worden. Das war nicht nachvollziehbar, da doch BillionenUS-Dollar für riesige Projekte ausgegeben worden waren, die man zunehmend als Megaprojekte bezeichnete – Projekte mit Etats von über einer Milliarde US-Dollar.
Unsere Datenbank begann mit Verkehrsprojekten: dem Holland Tunnel in New York, dem Nahverkehrssystem von San Francisco, dem Eurotunnel – im Lauf des 20. Jahrhunderts gebaute Brücken, Tunnel, Autobahnen und Eisenbahnstrecken. Es dauerte zwar 5 Jahre, aber mit meinem Team konnte ich 258 Projekte in die Datenbank aufnehmen, die damit seinerzeit die größte ihrer Art war.23 Als wir schließlich 2002 mit der Veröffentlichung der Zahlen begannen, schlug dies hohe Wellen, denn so etwas war noch nie zuvor gemacht worden.24 Zudem war das Bild, das sich ergab, kein schönes.
»Zwischen 1910 und 1998 lagen die Projektschätzungen im Durchschnitt 28 Prozent unter den endgültigen Kosten«, fasste die New York Times unsere Ergebnisse zusammen. »Die größten Abweichungen traten bei Eisenbahnprojekten auf, deren Kosten im Schnitt 45 Prozent über den Schätzungen lagen [in inflationsbereinigten US-Dollar]. Bei Brücken und Tunneln betrug die Abweichung 34 Prozent, bei Straßen 20 Prozent. Laut der Studie waren neun von zehn Schätzungen zu niedrig.«25 Ähnlich schlecht waren die Ergebnisse für Zeit und Nutzen. Und dabei handelt es sich noch um eine zurückhaltende Interpretation der Daten. Anders gemessen – ab einem früheren Zeitpunkt sowie unter Berücksichtigung der Inflation – sind die Zahlen bedeutend schlechter.26
Das weltweit tätige Beratungsunternehmen McKinsey schlug mir eine gemeinsame Untersuchung vor. Seine Forscher hatten damit begonnen, große IT-Projekte zu analysieren – die größten schlugen mit mehr als 10 Milliarden US-Dollar zu Buche –, und ihre vorläufigen Zahlen waren so bedrückend, dass es ihrer Auffassung nach einer großen Verbesserung bedurfte, um IT-Projekte auch nur auf das Schreckensniveau von Verkehrsprojekten zu heben. Ich lachte. Unmöglich konnten IT-Projekte so schlecht sein! Im Zuge der Kooperation mit McKinsey stellte sich jedoch tatsächlich heraus, dass die Katastrophen in der IT noch schlimmer waren als jene im Verkehrsbereich. Ansonsten war es weitgehend dieselbe Litanei von Kosten- und Terminüberschreitungen sowie mangelndem Nutzen.27
Das war verwunderlich. Denken Sie an eine Brücke oder einen Tunnel. Und nun stellen Sie sich die Website HealthCare.gov der US-Regierung vor, die bei ihrem Start als »Obamacare«-Anmeldeportal ein Chaos war. Oder nehmen Sie das Informationssystem des National Health Service im Vereinigten Königreich. Diese IT-Projekte bestehen aus Codes, nicht aus Stahl und Beton. Sie scheinen sich in jeder Hinsicht von Verkehrsinfrastrukturen zu unterscheiden. Warum also sollten sich ihre Ergebnisse unter statistischen Aspekten so sehr gleichen, mit ständigen Zeit- beziehungsweise Kostenüberschreitungen und Leistungsdefiziten?
Nun untersuchten wir Mega-Events wie die Olympischen Spiele und kamen zu demselben Ergebnis. Große Talsperren? Dasselbe. Raketen? Verteidigung? Atomenergie? Wieder dasselbe. Öl- und Gasprojekte? Bergbau? Dito. Selbst so alltägliche Dinge wie der Bau von Museen, Konzertsälen und Wolkenkratzern passten in dieses Muster. Ich war erstaunt.28
Und das Problem beschränkte sich nicht auf ein Land oder eine Region; überall auf der Welt entdeckten wir dasselbe Muster.29 Bei den für ihre Effizienz berühmten Deutschen gibt es einige bemerkenswerte Beispiele für Aufblähung und Verschwendung. Ein Beispiel ist der Flughafen Berlin Brandenburg, der mit jahrelanger Verspätung und Etatüberschreitungen in Milliardenhöhe erbaut wurde und sich nur ein Jahr nach seiner Eröffnung im Oktober 2020 am Rand der Insolvenz befand.30
Selbst in der Schweiz, dem Land genau gehender Uhren und pünktlicher Züge, gibt es immer wieder peinliche Projekte, wie etwa den Lötschberg-Basistunnel, der verspätet und mit einer Kostenüberschreitung von 100 Prozent fertiggestellt wurde.
Das Muster war so eindeutig, dass ich es »Das Eherne Gesetz der Megaprojekte« taufte: Budget- und Terminüberschreitung bei zu geringem Nutzen, und das wieder und wieder.31
Das Eherne Gesetz ist kein Gesetz im Sinne der Newton’schen Physik, also etwas, das stets zu demselben Ergebnis führt. Ich untersuche Menschen, und in den Sozialwissenschaften sind »Gesetze« probabilistisch. (Das sind sie in den Naturwissenschaften auch, doch damit hatte sich Isaac Newton nur wenig beschäftigt.) Und die Wahrscheinlichkeit, dass ein großes Projekt seinen Budget- und Zeitrahmen sprengt und enttäuschende Ergebnisse liefert, ist sehr hoch und tritt mit großer Zuverlässigkeit ein.
Die Datenbank, die mit 258 Projekten begann, enthält inzwischen mehr als 16000 Projekte aus über zwanzig verschiedenen Bereichen in 136 Ländern auf allen Kontinenten außer Antarktika, und sie wächst weiter. Bei den Zahlen gibt es einige aktuelle und wichtige Veränderungen, auf die ich später eingehen werde. Die allgemeine Aussage bleibt jedoch dieselbe: Insgesamt halten nur 8,5 Prozent der Projekte sowohl den Kosten- wie auch den Zeitrahmen ein. Und nur ein winziger Anteil von 0,5 Prozent erfüllt darüber hinaus die Vorgaben des Nutzens. Anders ausgedrückt: 91,5 Prozent der Projekte überschreiten den Etat oder den Zeitplan, oder beides. Und 99,5 Prozent verstoßen entweder gegen die Budget- oder die Terminplanungen, oder gegen die Nutzenplanungen, oder gegen eine Kombination dieser Faktoren. Eine gegebene Zusage einzuhalten sollte eigentlich der Normalfall sein oder zumindest üblich. Das jedoch ist so gut wie nie der Fall.
Als Grafik zeigt sich das Eherne Gesetz wie folgt:
Es ist bezeichnend, dass jene 0,5 Prozent der Projekte, bei denen die Vorgaben eingehalten werden, mit bloßem Auge kaum zu erkennen sind. Man kann gar nicht genug betonen, wie schlecht diese Bilanz ist. Für jeden, der ein großes Projekt in Erwägung zieht, ist das wirklich niederschmetternd. Aber so düster diese Zahlen auch sind, sie geben nicht die ganze Wahrheit wieder – und diese ist weitaus schlimmer.
Aus Erfahrung weiß ich, dass den meisten Leuten bekannt ist, dass Kosten- und Zeitüberschreitungen üblich sind. Zwar ist ihnen nicht bewusst, wie häufig sie sind – auf meine Zahlen reagieren sie üblicherweise schockiert –, aber sie wissen definitiv, dass sie sich bei der Leitung großer Projekte gegen Überschreitungen wappnen sollten, insbesondere gegen Mehrkosten. Die naheliegendste Möglichkeit hierfür besteht darin, einen Puffer in das Budget einzubauen. Man hofft, dass er nicht benötigt wird, ist aber für den Fall der Fälle abgesichert. Wie groß sollte dieser Puffer sein? Üblicherweise werden 10 oder 15 Prozent veranschlagt.
Nehmen wir an, Sie sind ein außergewöhnlich vorsichtiger Mensch und planen den Bau eines großen Gebäudes. Sie bauen einen Puffer von 20 Prozent in den Etat ein und meinen, dass Sie nun gut abgesichert sind. Doch dann stoßen Sie auf meine Forschungsergebnisse und stellen fest, dass die tatsächliche Kostenüberschreitung bei einem großen Bauprojekt durchschnittlich 62 Prozent beträgt. Das ist herzzerreißend. Es kann auch das Ende eines Projekts bedeuten. Nehmen wir jedoch an, dass Sie der Ausnahmeplaner sind, der seine Geldgeber dazu bringen kann, dieses Risiko zu decken und das Projekt trotzdem durchzuführen. Ihr Etat umfasst nun einen außerordentlichen Puffer von 62 Prozent. In der realen Welt kommt das so gut wie nie vor. Sie hingegen sind einer der wenigen Glücklichen. Sind Sie nun endlich abgesichert? Nein. In Wirklichkeit haben Sie die Gefahr noch immer drastisch unterschätzt.
Das liegt daran, dass Sie davon ausgegangen sind, dass eine Kostenüberschreitung irgendwo nahe dem Mittelwert liegt – also bei 62 Prozent. Warum haben Sie das angenommen? Weil es stimmen würde, wenn die Kostenüberschreitungen einer, wie Statistiker es nennen, »Normalverteilung« folgen würden. Das ist die berühmte Glockenkurve, die in grafischen Darstellungen wie der Umriss einer Glocke aussieht.
Ein Großteil der Statistik basiert auf der Glockenkurve: Stichproben, Durchschnittswerte, Standardabweichungen, das Gesetz der großen Zahlen, die Regression zur Mitte, statistische Testverfahren. Die Glockenkurve hat sich in der Kultur und in der populären Vorstellungswelt festgesetzt, wo sie gut dazu passt, wie wir Risiken intuitiv erfassen. In einer Normalverteilung liegen die Ergebnisse überwiegend in der Mitte, und es gibt nur wenige oder gar keine extremen Beobachtungen an ihren beiden Enden, den sogenannten tails. Diese Enden werden daher als thin bezeichnet,also als dünn.
Die Körpergröße ist »normalverteilt«. Der durchschnittliche erwachsene Mann ist 175 Zentimeter groß, und die größte Person der Welt ist etwa 1,6-mal größer.32
Aber die »normale« Verteilung ist nicht die einzig mögliche – und nicht einmal die häufigste. In diesem Sinn des Wortes ist sie also nicht normal. Es gibt andere Verteilungen, die als »fat-tailed« (mit schweren oder fetten Enden) bezeichnet werden, weil sie in ihren Randbereichen deutlich mehr extreme Ergebnisse aufweisen als die Normalverteilung.
So besitzt Reichtum beispielsweise Fat Tails. Als ich dieses Buch schrieb, war der reichste Mensch der Welt 3134707-mal reicher als der Durchschnittsmensch. Wiese die Körpergröße des Menschen dieselbe Verteilung auf, wäre der größte Mensch der Welt 5329 Kilometer groß, womit sich sein Kopf 13-mal weiter im Weltraum befände als die Internationale Raumstation.33
Entscheidend ist also die folgende Frage: Sind die Projektergebnisse »normal« verteilt, oder weisen sie fette Enden auf? Meiner Datenbank zufolge besitzen IT-Projekte Fat Tails. Zur Veranschaulichung: 18 Prozent zeigen eine reale Kostenüberschreitung von mehr als 50 Prozent. Und diese Projekte überschreiten das Budget im Schnitt um 447 Prozent! Das ist der Durchschnittswert für den rechten Rand, was bedeutet, dass viele IT-Projekte sogar noch höhere Überschreitungen aufweisen. Die Informationstechnologie ist wirklichfat-tailed!34 Dasselbe gilt für Projekte zur Lagerung von Atommüll. Und für Olympische Spiele. Und für Kernkraftwerke. Und für große Staudämme zur Stromerzeugung. Ebenso für Flughäfen, Verteidigungsprojekte, große Gebäude, Luft- und Raumfahrtprojekte, Tunnel, Bergbauprojekte, Hochgeschwindigkeitszüge, Stadtbahnen, konventionelle Eisenbahnen, Brücken, Öl-, Gas- und Wasserprojekte (siehe Anhang A).
Tatsächlich besitzen die meisten Projekttypen Fat Tails. Sie unterscheiden sich jedoch darin, wie fett ihre Enden sind (wie viele Projekte zu den Extremen gehören, und wie extrem diese ausfallen). Ich habe sie in der Reihenfolge vom fettesten zum am wenigsten fetten (aber immer noch randlastigen) aufgeführt. Oder, wenn Sie so wollen, vom gefährdetsten zum am wenigsten gefährdeten, aber immer noch sehr risikobehafteten Projekttyp.35
Es gibt einige wenige Projekttypen, die keine Fat Tails aufweisen. Das ist bedeutsam. Im letzten Kapitel erkläre ich, warum das so ist und wie wir uns diese Tatsache zunutze machen können.
Im Moment ist die Lektion indes einfach, klar und beängstigend: Bei den meisten Großprojekten besteht nicht nur das Risiko, dass sie ihre Versprechungen nicht einhalten oder dass sie ernsthaft schiefgehen. Es besteht vielmehr die Gefahr, dass sie katastrophal schiefgehen, weil sie mit einem Fat Tail-Risiko behaftet sind. Vor diesem Hintergrund ist es interessant, festzustellen, dass in der Literatur zum Projektmanagement eine systematische Untersuchung des Fat Tail-Anteils von Projektrisiken beinahe vollständig unterbleibt.
Wie sehen Fat Tail-Ergebnisse aus? Bostons »Big Dig« – der Ersatz einer Hochstraße durch einen Tunnel, mit dessen Bau 1991 begonnen wurde – bescherte der Stadt 16 Jahre lang Unbill und kostete mehr als das Dreifache der geplanten Summe. Der Bau des James-Webb-Weltraumteleskops der NASA, das inzwischen anderthalb Millionen Kilometer von der Erde entfernt ist, sollte ursprünglich 12 Jahre dauern, benötigte indes 19 Jahre, und die endgültigen Kosten von 8,8 Milliarden US-Dollar lagen um astronomische 450 Prozent über dem Etat. Das kanadische Schusswaffenregister, ein IT-Projekt, überstieg das Budget um 590 Prozent. Und dann wäre da noch das neue Gebäude des schottischen Parlaments. Als es 2004 eingeweiht wurde, geschah dies 3 Jahre verspätet und hatte jammervolle 978 Prozent mehr gekostet als veranschlagt.
Für Ereignisse mit geringer Wahrscheinlichkeit und gravierenden Folgen prägte Nassim Nicholas Taleb den Ausdruck »Schwarze Schwäne«. Katastrophale Projektergebnisse sind definitiv als Schwarze Schwäne einzustufen, denn sie können Karrieren beenden, Unternehmen in den Ruin treiben und eine Vielzahl weiterer Verheerungen verursachen.
Sehen Sie sich nur an, was ein solcher Schwarzer Schwan bei Kmart angerichtet hat: Als Reaktion auf den Wettbewerbsdruck durch Walmart und Target startete das Unternehmen im Jahr 2000 zwei riesige IT-Projekte. Die Kosten explodierten und trugen direkt zu der Entscheidung des Unternehmens bei, 2002 Konkurs anzumelden.36 Oder schauen Sie, was ein anderer Schwarzer Schwan dem legendären Jeanshersteller Levi Strauss antat: Das Projekt, das ursprünglich 5 Millionen US-Dollar kosten sollte, zwang das Unternehmen, einen Verlust von 200 Millionen US-Dollar hinzunehmen und seinen CIO zu entlassen.37
Für leitende Angestellte gibt es schlimmere Schicksale. Als ein in Schwierigkeiten geratenes Kernkraftwerksprojekt in South Carolina seinem Zeitplan stark hinterherhinkte, hielt der CEO des verantwortlichen Unternehmens diese Informationen gegenüber den Aufsichtsbehörden zurück, »um das Projekt am Laufen zu halten«. So eine Pressemitteilung des US-Justizministeriums aus dem Jahr 2021, in der auch bekannt gegeben wurde, dass der CEO zu 2 Jahren Haft verurteilt worden war sowie zur Zahlung von 5,2 Millionen US-Dollar an Verfallsgeldern und Geldstrafen.38 Ergebnisse infolge des Auftretens Schwarzer Schwäne haben tatsächlich Konsequenzen für Projekte und ihre Leiter.
Wenn Sie keine Führungskraft in einem Unternehmen und kein Regierungsbeamter sind oder wenn das ehrgeizige Projekt, das Sie in Erwägung ziehen, einen viel kleineren Umfang hat als diese Giganten, könnte die Annahme verlockend sein, dass nichts davon auf Sie zutrifft. Widerstehen Sie dieser Versuchung. Laut meinen Daten sind auch kleinere Projekte anfällig für Fat Tails. Außerdem sind Fat Tail-Verteilungen und nicht Normalverteilungen typisch für komplexe Systeme natürlicher und menschlicher Art, und wir alle leben und arbeiten in immer komplexeren Systemen, das heißt in zunehmend voneinander abhängigen Systemen. Städte und Gemeinden sind komplexe Systeme. Märkte sind komplexe Systeme. Energieerzeugung und -verteilung sind komplexe Systeme. Fertigung und Transport sind komplexe Systeme. Viren sind komplexe Systeme. Verschuldung ist ein komplexes System. Und der Klimawandel. Und die Globalisierung. Die Liste lässt sich beliebig fortsetzen. Ist Ihr Projekt ambitioniert und hängt es von anderen Menschen und vielen Teilen ab, dann ist es so gut wie sicher, dass es in komplexe Systeme eingebettet ist.
Das gilt für Projekte aller Arten und Größenordnungen, so auch für Hausrenovierungen. Vor einigen Jahren wurde in einer BBC-Sendung über die Sanierung historischer Gebäude in Großbritannien ein Londoner Ehepaar vorgestellt, das ein heruntergekommenes Haus auf dem Land gekauft hatte. Es bat einen Bauunternehmer um einen Kostenvoranschlag für eine Komplettsanierung und erhielt die Summe von 260000 US-Dollar genannt. Als das Projekt 18 Monate später noch lange nicht abgeschlossen war, hatte das Paar bereits 1,3 Millionen US-Dollar ausgegeben.39 Das ist jene Form der Überschreitung, wie wir sie bei einer Fat Tail-Verteilung erwarten würden. Und sie stellt gewiss keinen Einzelfall dar. In einem späteren Kapitel werden wir Zeuge, wie eine Hausrenovierung in Brooklyn völlig außer Kontrolle gerät und den glücklosen und überraschten Hauseigentümern eine ebenso verheerende Überschreitung beschert.
Das Londoner Ehepaar war offenbar wohlhabend genug, um die Sanierung weiterzufinanzieren. Große Unternehmen, die ausufernde Projekte betreiben, können die Dinge am Laufen halten, indem sie sich immer mehr Geld leihen. Auch Regierungen können Schulden anhäufen. Oder die Steuern erhöhen. Auf die meisten einfachen Leute und kleinen Unternehmen trifft all dies nicht zu. Wenn sie ein Projekt in Angriff nehmen, das auf das fette Ende der Verteilung zusteuert, werden sie einfach vernichtet. Daher haben sie noch mehr Grund, die Gefahr ernst zu nehmen, als der Leiter eines Unternehmens oder ein Regierungsbeamter.
Hierfür muss man zunächst verstehen, aus welchen Gründen Projekte scheitern.
Die bereits erwähnten, durch meine Daten bestätigten Muster liefern wichtige Anhaltspunkte: Vorhaben, die scheitern, ziehen sich zumeist in die Länge, während erfolgreiche Projekte gut vorankommen und rasch abgeschlossen werden.
Warum ist das so? Stellen Sie sich die Projektdauer als ein offenes Fenster vor. Je länger die Laufzeit, desto offener das Fenster, und je weiter das Fenster geöffnet ist, desto eher kann etwas eindringen und Probleme verursachen, einschließlich eines großen, bösen Schwarzen Schwans.
Was könnte dieser Schwarze Schwan sein? So gut wie alles. Es könnte etwas Dramatisches sein, wie eine unerwartete Wahlschlappe, ein Börsenkrach oder eine Pandemie. Nach dem Auftreten von Covid-19 im Januar 2020 wurden weltweit Projekte – von den Olympischen Spielen 2020 in Tokio bis zum Kinostart des James-Bond-Films Keine Zeit zu sterben – angehalten, zurückgestellt oder komplett gestrichen. Ereignisse wie diese mögen an einem bestimmten Tag, in einem bestimmten Monat oder in einem bestimmten Jahr extrem unwahrscheinlich sein. Ihre Wahrscheinlichkeit ist jedoch umso größer, je mehr Zeit von der Entscheidung für ein Projekt bis zu dessen Fertigstellung vergeht.
Beachten Sie, dass große, dramatische Ereignisse, die ein Projekt ohne Weiteres so stark schädigen können, dass es ein Resultat in Form eines Schwarzen Schwans liefert, ihrerseits unwahrscheinlich sind und dennoch erhebliche Auswirkungen haben. Das heißt, diese Ereignisse stellen selbst Schwarze Schwäne dar. Ein Schwarzer Schwan, der durch das Fenster der Verwundbarkeit hereinstürzt, könnte daher aus sich heraus einen Schwarzen Schwan als Endergebnis auslösen.
Allerdings müssen Veränderungen nicht unbedingt dramatisch sein, damit Projekte übel gerupft oder beerdigt werden. Selbst unbedeutende Veränderungen können dies bewirken. So wissen beispielsweise Journalisten, die Biografien aufstrebender Politiker verfassen, dass die Verkäuflichkeit ihrer Bücher davon abhängt, dass sich die Politiker zum Zeitpunkt der Veröffentlichung weiter auf dem aufsteigenden Ast befinden. Das wiederum kann sich durch verschiedenste Ereignisse ändern: einen Skandal, eine verlorene Wahl, eine Krankheit, einen Todesfall. Selbst etwas so Simples wie die Tatsache, dass jemand von der Politik gelangweilt ist und sich einer anderen Tätigkeit widmet, würde das Projekt ruinieren. Auch hier gilt: Je mehr Zeit von der Entscheidung bis zu ihrer Umsetzung und Fertigstellung vergeht, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass eines oder mehrere dieser Ereignisse eintreten. Selbst banale Geschehnisse können verheerende Folgen haben, wenn sie unter den falschen Umständen auftreten.
Für die meisten Menschen auf der Welt gibt es kaum etwas Unbedeutenderes als Windböen in der Arabischen Wüste. Am 23. März 2021 waren es jedoch genau solche Böen, die im falschen Moment den Bug des riesigen Containerschiffs Ever Given gegen ein Ufer des Suezkanals schoben. Sechs Tage lang steckte die Ever Given fest, blockierte den Kanal und hielt Hunderte von Schiffen auf. Das Ereignis brachte den Welthandel im Wert von schätzungsweise 10 Milliarden US-Dollar pro Tag zum Erliegen und sandte Schockwellen entlang der globalen Lieferketten.40 Den Menschen, die mit ihren Projekten unter diesen Lieferkettenstörungen litten, kam es vielleicht nie zu Bewusstsein, aber die Ursache ihrer Probleme waren letztlich starke Winde in einer weit entfernten Wüste gewesen.41
Ein Theoretiker komplexer Systeme könnte das Geschehen so beschreiben, dass die dynamischen Abhängigkeiten zwischen den Systembestandteilen – Wind, Kanal, Schiff und Versorgungsketten – zu starken nichtlinearen Reaktionen und Verstärkungen führten. Im Klartext: Geringfügige Veränderungen verknüpften sich auf eine Art und Weise, die zu einer Katastrophe führte. In komplexen Systemen geschieht das so oft, dass der Yale-Soziologe Charles Perrow derartige Ereignisse »normale Unfälle« nannte.42
Zwar machen die zunehmende Komplexität und Verflechtung solche Ausfälle in der heutigen Welt wahrscheinlicher, doch sind sie kein neues Phänomen. Eine aus dem Mittelalter stammende Anekdote, die in vielerlei Formen kursiert, besagt: »Mangels eines Nagels ging ein Hufeisen verloren. Mangels eines Hufeisens ging ein Pferd verloren. Mangels eines Pferdes ging ein Reiter verloren. Mangels eines Reiters ging eine Schlacht verloren. Mangels einer Schlacht ging ein Königreich verloren.« Diese Version veröffentlichte Benjamin Franklin 1758, und er leitete sie mit der Warnung ein, dass »eine geringe Nachlässigkeit großes Unheil anrichten kann«. Das Schlüsselwort lautet kann. Die meisten Nägel können verloren gehen, ohne dass etwas Schlimmes geschieht. Ein paar solcher Verluste haben Folgen, aber geringfügige, wie der Verlust eines Pferdes oder eines Reiters. Doch manchmal kann ein verlorener Nagel etwas wirklich Schreckliches verursachen.
Ob dramatischer, banaler oder trivialer Natur: Veränderungen können ein Projekt stören oder ruinieren, wenn sie während des Zeitfensters eintreten, in dem das Projekt läuft.
Die Lösung? Schließen Sie das Fenster.
Natürlich kann ein Projekt nicht sofort abgeschlossen werden, also können wir das Fenster auch nicht vollständig schließen. Aber wir können seine Öffnung dramatisch verkleinern, indem wir das Projekt beschleunigen und schneller zu einem Abschluss bringen. Bei jedem Projekt ist das ein wichtiges Mittel zur Risikominderung.
Zusammengefasst: Halten Sie die Projektdauer kurz!
Wie können wir ein Projekt so schnell wie möglich abschließen? Die naheliegendste – und gewiss häufigste – Antwort besteht darin, strenge Zeitvorgaben zu machen, sofort loszulegen und von allen Beteiligten ein rasantes Arbeitstempo zu verlangen. Tatkraft und Ehrgeiz sind die Schlüssel, so die gängige Meinung. Wenn erfahrene Beobachter glauben, dass ein Projekt 2 Jahre dauern wird, soll man sich vornehmen, es in einem Jahr zu schaffen. Man soll sich mit Leib und Seele engagieren und voranstürmen. In der Führung anderer knallhart sein. Verlangen, dass alles gestern erledigt wird. In rasendem Tempo die Trommel schlagen, wie auf einer römischen Galeere, die sich anschickt, ein Schiff zu rammen.
Diese Denkweise ist ebenso irrig wie verbreitet. Ihr Denkmal steht in Kopenhagen.
Das Kopenhagener Opernhaus, die Heimat der Königlichen Dänischen Oper, war die Vision von Arnold Mærsk Mc-Kinney Møller, CEO und Vorstandsvorsitzender des dänischen Reedereiriesen Mærsk. In den späten 1990er-Jahren wünschte sich der damals weit über 80 Jahre alte Møller als sichtbares und dauerhaftes Vermächtnis ein großes Gebäude in prominenter Lage am Hafen. Und es sollte schnell entworfen und gebaut werden. Die dänische Königin würde der Eröffnung beiwohnen, und Møller hatte nicht die Absicht, seinen großen Abend zu verpassen. Als Møller den Architekten Henning Larsen fragte, wie lange es dauern würde, antwortete dieser: »Fünf Jahre.« »Sie bekommen vier!«, erwiderte Møller knapp.43 Mit viel Galeerengetrommel wurde der Termin eingehalten, und am 15. Januar 2005 eröffneten Møller und Margarethe II. das Opernhaus.
Der Preis für diese Eile war jedoch schrecklich, und zwar nicht nur in Form von Kostenüberschreitungen. Larsen war über das fertige Gebäude so entsetzt, dass er ein ganzes Buch schrieb, um seinen Ruf wiederherzustellen und das irritierende Bauwerk zu erklären, das er ein Mausoleum nannte.
Selbst dieser Preis ist gering im Vergleich zu dem, was sonst noch geschehen kann, wenn man Projekte überstürzt. Nachdem 2021 in Mexiko-Stadt eine Bahnüberführung zusammengebrochen war, ergaben drei unabhängige Untersuchungen, dass übereilte und schlampige Arbeit daran schuld war. Eine norwegische Firma, die von der Stadt mit einer Untersuchung beauftragt wurde, kam zu dem Schluss, dass die Tragödie durch »Mängel im Bauablauf« verursacht worden war, ebenso der Generalstaatsanwalt von Mexiko-Stadt in einem späteren Bericht.44 Die New York Times nahm eine eigene Analyse vor. Der zufolge bestand eine der Hauptursachen des Einsturzes darin, dass die Stadt darauf beharrte, die Bauarbeiten abzuschließen, bevor der mächtige Bürgermeister aus dem Amt schied. »Die Übereilung führte zu einem hektischen Bauablauf, der begann, bevor ein Masterplan fertiggestellt war, und der eine U-Bahn-Linie hervorbrachte, die von Anfang an Mängel aufwies«, so die Zeitung.45 Beim Einsturz des Viadukts kamen 26 Menschen ums Leben. Hast führt auch zu Tragödien.
Um zu verstehen, wie man Projekte schnell abwickelt, ist es hilfreich, sich vorzustellen, ein Projekt sei in zwei Phasen unterteilt. Das ist eine Vereinfachung, aber sie funktioniert: Als Erstes kommt die Planung, als Zweites die Durchführung. Die Begriffe unterscheiden sich je nach Branche (beim Film spricht man von Entwicklung und Produktion, in der Architektur von Design und Konstruktion), die Grundidee ist jedoch überall dieselbe: erst denken, dann machen.
Am Anfang eines Projekts steht eine Vision, die bestenfalls eine ungefähre Vorstellung von der wunderbaren Sache ist, die das Projekt werden soll. Während der Planung wird die Vision vorangetrieben, bis sie ausreichend erforscht, analysiert, getestet und detailliert ist, sodass wir sicher sein können, einen zuverlässigen Fahrplan für den weiteren Weg zu haben.
Die meisten Planungen werden am Computer, auf Papier und mithilfe physischer Modelle durchgeführt, sind also relativ billig und sicher. Wenn kein Zeitdruck herrscht, ist es in Ordnung, wenn eine Planung dauert. Die Durchführung ist eine andere Sache. Dann wird viel Geld ausgegeben und als Folge wird das Projekt anfällig.
Stellen Sie sich vor, eine Hollywood-Regisseurin arbeitet im Februar 2020 an einem Actionfilm-Projekt. Die Covid-Pandemie steht vor der Tür. Wie stark wird sie das Projekt beeinträchtigen? Die Antwort hängt davon ab, in welchem Stadium sich das Projekt befindet. Wenn die Regisseurin und ihr Team Drehbücher schreiben, Storyboards entwerfen und einen Zeitplan für Dreharbeiten festlegen – sich also in der Planungsphase befinden –, ist es ein Problem, aber keine Katastrophe. Ein Großteil der Arbeit wird vermutlich trotz der Pandemie weitergehen. Was aber, wenn die Regisseurin bei Eintreffen der Pandemie in den Straßen New Yorks mit einer 200-köpfigen Crew und einer Handvoll sehr teurer Filmstars dreht? Oder wenn der Film fertig ist, aber erst in einem Monat in den Kinos anlaufen soll, die bald auf unbestimmte Zeit geschlossen werden? Das ist kein Problem, das ist eine Katastrophe.
Die Planung ist ein sicherer Hafen, die Durchführung hingegen eine Fahrt über eine sturmgepeitschte See. Das ist einer der Hauptgründe, warum bei Pixar – dem legendären Studio, dem neben Toy Story, Findet Nemo, Die Unglaublichen und Soul noch viele weitere, epochale Animationsfilme entstammen – »die Regisseure Jahre in der Entwicklungsphase eines Films verbringen dürfen«, wie Ed Catmull anmerkte, einer der Mitbegründer von Pixar. Ideen zu erforschen, Drehbücher zu schreiben, Storyboards zu entwerfen und all das immer wieder durchzugehen ist mit Kosten verbunden. Allerdings sind »die Kosten von Überarbeitungen und Experimenten relativ niedrig«.46 Und all diese gute Arbeit mitsamt den Wiederholungsschleifen (Iterationen) führt zu einem umfangreichen, detaillierten, getesteten und bewährten Plan. Wenn das Projekt in die Produktionsphase übergeht, wird diese dank all der vorgeleisteten Arbeit relativ reibungslos und schnell ablaufen. Das ist laut Catmull wichtig, denn es ist die Produktion, bei der »die Kosten explodieren«.
Es ist nicht nur sicherer für den Planungsprozess, wenn er langsam abläuft, es tut ihm auch gut, wie den Regisseuren bei Pixar sehr wohl bewusst ist. Denn die Entwicklung von Ideen und Innovationen benötigt Zeit. Die Auswirkungen verschiedener Optionen und Ansätze zu erkennen benötigt mehr Zeit. Komplexe Probleme zu durchdringen, Lösungen zu finden und sie zu testen benötigt noch einmal mehr Zeit. Planung erfordert Denken – und kreatives, kritisches, sorgfältiges Denken geschieht langsam.
Abraham Lincoln soll gesagt haben, wenn er fünf Minuten Zeit hätte, um einen Baum zu fällen, würde er die ersten drei Minuten darauf verwenden, seine Axt zu schärfen.47 Das ist genau die richtige Vorgehensweise für Großprojekte: Planen Sie überaus sorgfältig und umsichtig, um eine reibungslose und rasche Umsetzung und Fertigstellung zu gewährleisten.
Langsam denken, schnell handeln: Das ist das Geheimnis des Erfolgs.
Womöglich ist »Langsam denken, schnell handeln« keine neue Idee. Schließlich wurde sie bereits 1931 in großem Stil demonstriert, als das Empire State Building dem Himmel entgegenstürmte. Man könnte sogar behaupten, dass die Idee mindestens auf Roms ersten Kaiser zurückgeht, den mächtigen Augustus, dessen persönliches Motto »Festina lente« lautete – Eile mit Weile.
Allerdings ist »Langsam denken, schnell handeln« nicht die typische Vorgehensweise bei großen Projekten, sondern vielmehr »Schnell denken, langsam handeln«. Die Leistungsbilanz von Großprojekten belegt das unzweifelhaft.
Nehmen Sie die Hochgeschwindigkeitsstrecke California High-Speed Rail. Als ihr Bau begann, gab es viele Dokumente und Zahlen, die oberflächlich betrachtet einem Plan ähnelten. Doch das hatte nichts mit einem sorgfältig ausgearbeiteten, gründlich recherchierten und erprobten echten Plan gemein.
Louis Thompson, Experte für Verkehrsprojekte und Vorsitzender der vom kalifornischen Gesetzgeber einberufenen Untersuchungskommission, meint, das, was in Kalifornien zu Beginn des Projekts vorlag, könne bestenfalls als »Vision« oder »Bestrebung« bezeichnet werden.48 Kein Wunder, dass sich die Probleme häuften und der Fortschritt schon bald nach Beginn der Arbeiten ins Stocken geriet!
Das ist leider typisch. Wieder und wieder folgt auf eine überstürzte, oberflächliche Planung ein schneller Start, der alle glücklich macht, weil Spaten in den Boden gerammt werden. Doch unweigerlich stoßen die Projekte auf Probleme, die bei der Planung übersehen oder nicht ernsthaft analysiert und angegangen wurden. Die Leute rennen herum und versuchen, Dinge zu reparieren. Mehr Dinge gehen kaputt. Es wird noch mehr herumgerannt. Ich nenne das den »Break-Fix-Zyklus«, ein Kreislauf des ständigen Hinterherreparierens. Mit einem Projekt, das in diesen Zyklus gerät, verhält es sich wie mit einem Elefanten, der in Treibsand steckt.
Man sagt, dass Projekte »schiefgehen«, und das tun sie nur allzu oft. Diese Formulierung ist jedoch irreführend. Projekte gehen weniger schief, als dass sie falsch beginnen.
Das wirft eine dringende Frage auf: Warum tun die Leiter großer Projekte so oft das Gegenteil, wenn doch die kluge Vorgehensweise »Langsam denken, schnell handeln« lautet? Diese Frage werde ich in Kapitel 2 beantworten.
In Kapitel 3 werde ich mich damit befassen, wie man ein Projekt beginnt, ohne in den Treibsand des »schnellen Denkens, langsamen Handelns« zu stolpern.
Oft meinen Menschen, bei der Planung gehe es um Eintragungen in Flussdiagramme. Und allzu häufig ist das auch so. Das sollte aber nicht der Fall sein. In Kapitel 4 werde ich einen genauen Blick auf das werfen, was ich als »Pixar-Planung« bezeichne, nämlich wie das Filmstudio und andere Unternehmen Simulationen und Iterationen für die Erstellung eines Plans einsetzen, der kreativ, streng, detailliert und zuverlässig ist – und mit hoher Wahrscheinlichkeit eine reibungslose und schnelle Umsetzung ermöglicht. Ich werde »Pixar-Planung« als Namen und Modell für sämtliche Planungen verwenden (nicht nur bei Pixar), die zu einem getesteten und bewährten Plan führen, somit zu einem Plan, der seinen Namen auch verdient.
In Kapitel 5 werde ich die unschätzbare Rolle der Erfahrung bei der Planung wie auch bei der Durchführung von Großprojekten untersuchen – oder besser gesagt, die unschätzbare Rolle, die sie spielen könnte, würde sie nicht allzu oft marginalisiert, missverstanden oder schlicht ignoriert.
Um Prognosen geht es dann in Kapitel 6. Wie lange wird das Projekt dauern? Wie viel wird es kosten? Wer von Anfang an die falschen Erwartungen hegt, nimmt eventuell Kurs aufs Scheitern, bevor er überhaupt begonnen hat. Glücklicherweise gibt es eine Lösung. Und erfreulicherweise ist sie überraschend einfach.
Einige Leute werden Einwände gegen diese ganze Betonung der Planung erheben. Sie meinen, dass Großprojekte, insbesondere kreative Projekte wie Filme, Bauten oder innovative Software, bessere Ergebnisse erzielen, wenn sich die Menschen vertrauensvoll darauf einlassen, sofort loslegen und auf ihre Genialität bauen, um alles zu Ende zu führen. In Kapitel 7 werde ich dieses Argument in seiner stärksten Ausprägung untersuchen – und die Daten präsentieren, die beweisen, dass es komplett falsch ist.
Allerdings wird selbst der beste Plan nicht zum Erfolg führen, wenn er nicht von einem zuverlässigen Team umgesetzt wird. In Kapitel 8 werde ich daher untersuchen, wie es bei einem riesigen Projekt gelang, Tausende von Menschen aus Hunderten verschiedener Organisationen mit unterschiedlichen Interessen zu einem geeinten, entschlossenen und leistungsfähigen Team zusammenzuführen, das pünktlich und unter Einhaltung des Budgets den geplanten Nutzen erbrachte.
Im Schlusskapitel werde ich die Themen der vorangegangenen Kapitel erneut aufgreifen, um ein Konzept zu untersuchen, das alle diese Themen miteinander verbindet: die Modularität. Ihr Potenzial ist enorm. Sie kann nicht nur Kosten senken, Qualität steigern und verschiedenste Projekte beschleunigen, von der Hochzeitstorte bis zur U-Bahn, sondern auch die Art und Weise verändern, wie wir Infrastrukturen bauen – Modularität kann sogar dazu beitragen, die Welt vor dem Klimawandel zu retten.
Zunächst aber müssen wir die Frage beantworten, warum die Umsetzung von Projekten so oft verfrüht beginnt. Lassen Sie mich Ihnen die Geschichte eines Mannes erzählen, der es eilig hatte – und beinahe einen der schönsten Orte der Vereinigten Staaten ruiniert hätte.
»Langsam denken, schnell handeln« ist bei Großprojekten die klügste Strategie. Warum geschieht so oft das genaue Gegenteil? Weil man schnelle Entscheidungen möchte. Man muss Entscheidungen treffen. Aber anders als gedacht.
Im Juli 1941 waren die USA die letzte Großmacht, die sich noch aus dem Zweiten Weltkrieg heraushielt. Kaum jemand erwartete, dass dies so blieb. Präsident Franklin D. Roosevelt hatte den nationalen Notstand erklärt und rüstete eilig auf, um das winzige, auf Friedenszeiten ausgerichtete Militär in die Lage zu versetzen, in Europa und im Pazifischen Raum gegen den Faschismus zu kämpfen.
Das amerikanische Kriegsministerium war in mehreren kleinen, über ganz Washington, D.C. verstreuten Bürogebäuden untergebracht und brauchte dringend ein ordentliches Hauptquartier. Es musste sehr groß sein und in kürzester Zeit errichtet werden. Zu diesem Schluss war Brigadegeneral Brehon B. Somervell gelangt, der Leiter der Militär-Bauabteilung. Und wenn Brehon Somervell etwas entschieden hatte, wurde das in der Regel auch umgesetzt. Er war ein Ingenieur, der Großprojekte – zuletzt den New Yorker Flughafen LaGuardia – schneller fertigstellen konnte, als man für möglich hielt. »Er trieb seinen Stab erbarmungslos an, sieben Tage die Woche, bis zur völligen Erschöpfung der Offiziere«,49 schrieb Steve Vogel in The Pentagon: A History, einer hervorragenden Chronik der Errichtung des Gebäudes.
Am Abend des 17. Juli, einem Donnerstag, gab Somervell seinem Stab den Marschbefehl: Entwerft ein Bürogebäude mit 47000 Quadratmetern Fläche, doppelt so viel wie das Empire State Building. Es darf jedoch kein Wolkenkratzer sein, dafür bräuchte man zu viel Stahl in einer Zeit, in der dieser für Schiffe und Panzer benötigt wird. Und das Gebäude kann nicht im District of Columbia liegen, da dort kein Platz ist. Daher muss es jenseits des Potomac River in Virginia auf dem Gelände eines kürzlich aufgegebenen Flugplatzes errichtet werden. Die Hälfte des Gebäudes soll innerhalb von sechs Monaten fertiggestellt und in Betrieb genommen werden, teilte Somervell mit. Die Gesamtanlage muss in einem Jahr vollständig bezugsfertig sein. Am Montag in der Früh liegt der Plan auf meinen Schreibtisch, sagte der General. Ende der Anweisung.
Somervells Stab erkannte rasch, dass der vorgesehene Bauplatz in sumpfigem Überschwemmungsgelände lag, mithin völlig ungeeignet war. Sofort suchten die Männer nach anderen Standorten und fanden anderthalb Kilometer flussaufwärts auf einem Plateau zwischen dem Nationalfriedhof Arlington und dem Potomac River Arlington Farm. Somervell billigte die Verlegung.
Arlington Farm war auf fünf Seiten von Straßen umgeben, was dem Gelände eine unregelmäßige Form verlieh. Damit das Gebäude groß genug wurde, plante Somervells Stab fast die gesamte Fläche innerhalb dieser fünf Seiten für das Gebäude ein. Das Ergebnis war ein unförmiges Fünfeck beziehungsweise Pentagon. Es war ausgesprochen hässlich, erinnerte sich einer der Konstrukteure später, aber »es passte hinein«.50
Am Montagmorgen lag der Plan auf Somervells Schreibtisch. Er zeichnete ihn ab, legte ihn dem Kriegsminister vor, pries ihn und erhielt die Genehmigung des Ministers. Dann legte er den Plan einem Unterausschuss des Kongresses vor, lobte ihn noch umfassender und erhielt einstimmige Unterstützung. Der Kriegsminister legte den Entwurf daraufhin dem Kabinett vor, wo Präsident Roosevelt ihn persönlich abnickte. Das gesamte Verfahren hatte genau eine Woche gedauert.