Hurra, dass wir noch leben! - Michael Roth - E-Book

Hurra, dass wir noch leben! E-Book

Michael Roth

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Beschreibung

Vor 10 Jahren sorgten Uli und Michael Roth in den Medien für Aufsehen: Die bekannten Profi-Handballer machten ihre Prostatakrebs-Erkrankung öffentlich und brachen damit ein Tabu. Denn: Frauen betreiben Krebs-Vorsorge, Männer schweigen. Jetzt ist es an der Zeit, die Geschichte der Roth-Zwillinge weiterzuschreiben. Die beiden gelten mittlerweile als geheilt, haben aber eine Mission: möglichst viele – vor allem jüngere – Männer zur Vorsorgeuntersuchung zu bewegen. Denn sie wissen aus eigener Erfahrung: Wird Prostatakrebs frühzeitig erkannt, haben die Betroffenen eine sehr gute Chance auf Heilung. Ihr Buch erzählt nicht nur Persönliches, sondern ist ein Patientenratgeber im besten Sinne: Es bietet aktuelles Wissen in leicht verständlicher Form und gibt wertvolle Tipps von angesehenen Experten. Deutschlands führende Mediziner beantworten häufige Patientenfragen, erklären neueste OP-Verfahren und geben Ratschläge, wie ein gesunder Lebensstil nach der OP gelingen kann. Neben den Roths kommen auch andere Patienten und Prominente zu Wort, um dem Krebs Nummer 1 bei Männern den Kampf anzusagen. Ein Mutmach-Buch für alle Männer – und Frauen, die ihre Männer lieben.

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Seitenzahl: 323

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Einleitung

1      Uli und Michael Roth – zwei Leben auf der Überholspur

Freud und Leid eines Zwillings: Die Kindheit in Leutershausen

   Das Organ Prostata

Medaillen, Meisterschaften und die Steffi – der sportliche Aufstieg

   Die 10 häufigsten Fragen zum Prostatakrebs, gestellt an Professor. H. Huland Was ist die beste Behandlung für mich?

Das Spiel ist aus, der Kampf geht weiter: Das Leben von Michael und Uli Roth nach der Handballkarriere

   Fragen an Wolfgang Bosbach: Wie lebt es sich mit einem metastierenden Tumor?

2      Michael Roth: Diagnose Krebs

Der Schock in Schweinfurt – wie sich das Leben von einem auf den anderen Tag ändern kann

Die schlaue Tat – warum der erste Krebstest so hilfreich war

   Gutartige Wucherungen – was haben sie mit Krebs zu tun?

   Der PSA-Test – lebensrettend oder belastende Qual?

Die Gewissheit und der komplizierte Ausstieg aus dem Trainerjob

   Der Urologe Rolf-W. Otto über seine Patienten Michael und Uli Roth: „Bleiben wir dran, es lohnt sich“

   Kranksein – ein Männertabu

Die Entscheidung darüber, wer den Eindringling wegoperieren soll

Der chirurgische Eingriff und der schwere Weg zurück in die Normalität

   Operieren, bestrahlen, spritzen oder lieber gar nichts tun: die vielfältigen Methoden, den Tumor zu bekämpfen

   Harmlos oder aggressiv – wie gefährlich ist Prostatakrebs?

3      Uli Roth: Diagnose Krebs

Der Zwillings-Krebs und die Schwierigkeit, damit umzugehen

   Professor Jens Jochen Rassweiler, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Urologie, über die Behandlung des Prostatakrebs in Deutschland: Wie sieht die ideale Vorsorge aus?

   Wie der Tumor entsteht – und die Frage der Vererbung von Krebs

Die Prostata-Brüder: Die Entscheidung, mit ihrer Krankheit an die Öffentlichkeit zu gehen

   NMR, TRUS, MRT oder CT – welche Untersuchungen können noch helfen?

Die Operation und der Schreck danach

   Tote Hose oder volles Rohr – Sex nach der OP

Vom Wert des Lebens

   Nach der Behandlung: Training, Rehabilitation und die Angst vor dem Rückfall

4      Das Leben ohne Prostata

Wieder im Alltag angekommen – und doch verändert

   Professor Karin Steindorf über den Zusammenhang zwischen körperlicher Bewegung und Tumorerkrankungen: Welchen Sport sollten Krebspatienten treiben?

Respekt, Liebesbriefe und Mitleid – die Reaktionen auf den öffentlichen Auftritt

5      Zehn Jahre: Wie ein Leben weitergeht

Alles ist gut – aber alles ist anders

   Professor Maurice Stephan Michel über die Vorteile des Da-Vinci-Systems: Mit der Präzision eines Uhrmachermeisters

Vater ohne Prostata – wie geht das?

Weiterführende Literatur, Internetadressen

Die FFF-Kampagne

Die Autoren, Bildnachweis

Impressum

Einleitung

Vor einem hatten Uli und Michael Roth immer Angst: Dass sie in der Öffentlichkeit nicht mehr als erfolgreiche Männer gesehen werden, die früher zu den besten Handballern Deutschlands zählten und die auch nach dem Ende ihrer Sportlerlaufbahn erfolgreiche Karrieren in der Unterhaltungsbranche hingelegt hatten. Sondern dass sie nur noch ein Image hätten: die Prostata-Zwillinge.

Die Prostata, ein kastaniengroßes Organ, das nur Männer haben, hat eigentlich keine lebenswichtige Funktion, aber es kann Leben kosten. Jährlich erkranken rund 60 000 Männer an Prostatakrebs, über 14 000 sterben an den Folgen. Mit 23 Prozent aller Krebserkrankungen ist es die häufigste Tumorerkrankung bei Männern. Aber anders als Brustkrebs bei Frauen ist das Prostatakarzinom kein Gesprächsstoff für die Öffentlichkeit. Das mag damit zu tun haben, dass die meisten Männer von diesem Teil ihres Körpers erst dann etwas wahrnehmen, wenn er Probleme bereitet und herausgeschnitten werden muss. Weil Impotenz und Inkontinenz immer noch häufige Nebenwirkungen der Eingriffe in der Tumortherapie sind, bleiben auch die Folgen der Krebserkrankungen meist ein Tabu.

Prostatakrebs ist in vielen Fällen heilbar. Es gibt ihn in vielen Varianten. Manche kommen daher, so sagen es Urologen, wie ein Haustier-Kätzchen. Es kratzt ein bisschen, macht aber weiter keinen Ärger. Einige, zumeist ältere Männer können mit ihm unbehandelt jahrelang weiterleben. Aber es gibt eben auch das Raubtier, den aggressiven Tumor, an dem man elendig sterben kann, wenn man ihn nicht früh genug entdeckt.

Das sorgenfreie Leben von Michael und Uli Roth war 2009 mit einem Schlag zu Ende. Kurz nacheinander hatten Ärzte bei den Zwillingen Prostatakrebs diagnostiziert – Prostatakrebs mit siebenundvierzig Jahren, es war ein Raubtier-Tumor. Ihr Leben bestand fortan aus Angst, aus unangenehmen Behandlungen und aus der Hoffnung auf Heilung.

Die Zwillinge überlebten. Und ihnen wurde schnell deutlich, dass sie großes Glück hatten. Sie wollten, dass nun auch anderen Männern die dramatischen Folgen ihrer Krebserkrankung erspart bleiben. Dies trieb sie zu ihrer Aufklärungsarbeit an – auch gegen die Befürchtung, in der Öffentlichkeit nur noch als die Prostata-Zwillinge gesehen zu werden.

Uli und Michael brachen ein Tabu. Sie gingen mit ihrer Krankengeschichte zu Medien, sie erzählten im Fernsehen über ihre Angst, Windeln tragen zu müssen, keinen Sex mehr haben zu können. Sie schrieben ein Buch und hielten Vorträge über ihr Leben ohne Prostata. Und sie sagten sie ihren Geschlechtsgenossen: Geht zur Vorsorge.

Sie taten es, damit auch andere Männer überleben können. Sie taten es, damit ein Tumor frühzeitig entdeckt werden und dadurch keine tödliche Wirkung entfalten kann, und damit die Folgen der Behandlungen so gering wie möglich bleiben. Denn die Prognose der Erkrankung hängt entscheidend vom Stadium ihrer Ausbreitung und somit vom Zeitpunkt ihrer Entdeckung zusammen.

Die Brüder Roth sind endgültig geheilt. Aber der Krebs hat ihr Leben verändert, weil die Furcht vor dem Tod und die Angst, impotent oder inkontinent zu werden, tiefe Spuren in ihrer Seele hinterlassen haben. Sie sind sensibler geworden sind, anfälliger.

Uli und Michael haben in den vergangenen zehn Jahren große Erfolge gefeiert, trotz oder womöglich auch gerade wegen ihrer Krebserkrankung und den neuen Energien, die ihnen die Erlebnisse gegeben haben. Aber es gab auch heftige Rückschläge, berufliche und private. Sie erzählen, wie sie damit fertiggeworden sind. Uli berichtet, wie er ohne Prostata wieder Vater werden konnte. Und Michael erzählt, wie er eine abenteuerliche Karriere als Handballtrainer weiterführen konnte.

Trotz aller Rückschläge, etwas ist gleich geblieben: Eine ungewöhnliche Bruderliebe. Und ein unbändiger Spaß am Leben.

1

Uli und Michael Roth – zwei Leben auf der Überholspur

Freud und Leid eines Zwillings: Die Kindheit in Leutershausen

An die Dose auf dem Regal kann sich Uli Roth auch vierzig Jahre danach noch genau erinnern. Es war eine leere Caro-Dose. Hellgelbe Farbe, darauf das rote Viereck und der geschwungene Schriftzug. Caro-Kaffee war in den Sechzigerjahren ein beliebtes Getränk. In Wirklichkeit ist es gar kein echter Kaffee, sondern Kaffeeersatz, der aus Getreide hergestellt wird.

Und auf diese Dose mussten Uli und Michael Roth starren, wenn ihre Energie und ihr südamerikanisches Temperament wieder einmal zu groß für den Alltagsbetrieb eines deutschen Kindergartens waren. Dann stellten Hildegard oder Elisabeth, die Kindergärtnerinnen, wie die Erzieherinnen damals noch hießen, die beiden einfach in die Ecke, um Ruhe vor ihnen zu haben. Michael und Uli Roth standen oft und lange in der Ecke des Evangelischen Kindergartens von Leutershausen, und deshalb ist die Erinnerung an den Caro-Kaffee bis zum heutigen Tag so lebendig. Noch heute entdeckt Uli im Supermarkt „diese beschissene Caro-Dose“ aus einer Entfernung von zwanzig Metern.

Schon in ihrer Kindheit hatten Michael und Uli Roth das, was sie später zu erfolgreichen Handballspielern machen sollte: Sie hatten Power, waren voller Tatendrang, aber sie hatten auch immer diese Spur Frechheit. Und sie waren mit einem kräftigen Selbstbewusstsein ausgestattet. Jede Kindergartengruppe und jede Schulklasse kennt diese manchmal etwas vorlauten Nervensägen, doch hier existierte das Problem, dass es sie gleich in doppelter Ausführung gab. Die beiden hatten zu jedem Thema eine eigene Meinung, und wenn dem einen mal die Argumente ausgingen, wussten die Erzieher und Erzieherinnen, dass der andere umso intensiver darauf bestand, recht zu haben. Hatte man den einen gezähmt, gab es noch den anderen. Und strafte man den einen, hatte man als Erzieherin gleich den anderen vor sich. Irgendwann trennten die Kindergärtnerinnen die Zwillinge und steckten sie in zwei unterschiedliche Gruppen. Dass die beiden Roths auseinandergebracht wurden, sollte später auch in der Schule so bleiben.

Die Jungen gab es immer nur im Doppelpack, und damit hatten sie schon ihre eigenen Eltern überrascht. Oskar Roth, der Vater, der von allen nur Ossi genannt wird, war in seiner aktiven Zeit ein bekannter Sportler gewesen. Er spielte Basketball und wurde später Handballer. Mit dem USC Heidelberg gewann er sechsmal die Deutsche Meisterschaft, und es gibt Sportfachleute, die halten Ossi Roth noch heute für einen der talentiertesten Basketballspieler, die Deutschland jemals hatte. Ossi Roth bestritt zweiundsechzig Länderspiele im Trikot der deutschen Nationalmannschaft. Und fast wäre ihm etwas Einmaliges gelungen. Nach der Karriere als Basketballer spielte er Handball und wäre um ein Haar auch hier Deutscher Meister geworden. Erst im Endspiel verlor er mit seiner SG Leutershausen gegen den VfL Gummersbach. Zuvor war Ossi Roth mit Leutershausen allerdings schon einmal Deutscher Meister im Feldhandball gewesen – das Spiel im Freien, das es damals noch gab.

Ossi Roth studierte Sport an der Sporthochschule Köln, musste aber das Studium abbrechen, weil er sich zu sehr in eine peruanische Schönheit verguckt hatte: Ursula Roth ist eine schmale Frau mit viel Temperament und einem angenehmen spanisch-badischen Dialekt. Ein Kind war unterwegs. Roth heiratete Ursula, und innerhalb eines Jahres kamen die Töchter Gaby und Monika zur Welt. 1961 war Ursula dann wieder schwanger. Nach zwei Mädchen richtete man sich im Hause der Roths auf einen Jungen ein, als die werdende Mutter zu einer Routineuntersuchung in die Frauenklinik der Universität Heidelberg ging. Es war drei Wochen vor der errechneten Geburt, als sie der Arzt mit seiner Diagnose überraschte: „Herzlichen Glückwunsch“, sagte er, „Sie kriegen Zwillinge.“ Die Ärzte zuvor hatten nicht festgestellt, dass in ihrem Bauch zwei Herzen schlugen. „Als meine Frau mir das erzählt hat, ist mir erst einmal die Flappe runtergefallen“, sagt Ossi Roth.

Dann kam der 15. Februar 1962, und schon das erste Auftreten von Michael und Uli Roth auf dieser Welt war ein Ereignis. Zuerst erblickte Michael das Licht der Welt, fünf Minuten später Uli, und die beiden waren enorme Brocken: Sechseinhalb Pfund wog der eine, siebeneinhalb gar der andere. Die Ärzte im Kreißsaal konnten sich nicht erinnern, jemals so schwere Zwillingskinder gesehen zu haben. Es war eine harte Geburt. Die Zwillinge hatten das Becken geweitet, es blutete stark, Ursula Roth erhielt Infusionen. „Danach war unten herum alles kaputt“, sagt sie.

Die junge Familie Roth lebte in Leutershausen, einem kleinen Ort an der Bergstraße, nur ein paar Kilometer von Heidelberg entfernt. Vier Kinder in drei Jahren – es war keine leichte Zeit. Weil er sein Studium abgebrochen hatte, konnte Ossi Roth nur in einer Privatschule unterrichten. Das Geld war deshalb knapp. Trotzdem fuhr die sechsköpfige Familie regelmäßig in den Campingurlaub nach Italien oder Spanien. Die Hälfte seiner Sommerferien arbeitete Ossi Roth auf dem Bau, um mit dem zusätzlichen Geld den gemeinsamen Urlaub bezahlen zu können.

Es war ein kleines badisches Familienidyll. Der Vater arbeitete hart, um ein unbeschwertes Leben zu ermöglichen, die Mutter blieb zu Hause und hielt – ganz ihrer südamerikanischen Tradition verbunden – die Familie zusammen. Die älteren Schwestern behandelten ihre kleinen Brüder „wie Puppen“ und fuhren sie auch mit ihren Puppenwagen durch die Gegend. Michael, stets etwas kräftiger als Uli, war ihr „Dickerli“. Uli nannten sie wegen seiner etwas größeren Augen „Guckerli“. Die Schwestern waren sehr stolz auf ihre beiden Brüder, auch wenn sie der Lärm und der ewige Streit der beiden untereinander oft nervte. „Natürlich haben wir später auch den Rauch unserer ersten Ernte 23 zusammen mit ihnen aus dem Fenster geblasen“, erzählt Gaby Roth.

Obwohl sie wie alle eineiigen Zwillinge fast gleich aussahen, hatten die Eltern und Geschwister keine Schwierigkeiten, die Jungen auseinanderzuhalten. Nur wenn die beiden Buben die Wohnung verließen, ließen sie damit auch ihre Identität zurück. Draußen auf der Straße kannte sie jeder, aber es waren nicht Michael und Uli, die die Menschen sahen, draußen waren sie stets nur die „Roth-Zwillinge“ oder kurz die „Roths“.

Anfangs war das Leben der Brüder noch ganz normal, weil sie eben in der Familie wie ganz normale Brüder behandelt wurden. Erst im Kindergarten, als sie von den anderen wegen ihres gleichen Aussehens angeglotzt wurden, merkten sie, dass bei ihnen etwas anders war. Und von nun an spürten die Jungen, dass es etwas Besonderes ist, doppelt auf die Welt gekommen zu sein. Sie spürten die absolute Vertrautheit, die Gewissheit, einen Menschen neben sich zu haben, auf den sie „bedingungslos bauen“ können. „Das war sehr beruhigend“, sagt Michael Roth, „denn schon zu dem Zeitpunkt, als sich der Samen des Vaters auf die Reise machte, bin ich quasi mit meinem Bruder eine Einheit gewesen. Wir lagen neun Monate im Bauch der Mutter nebeneinander und erblickten gemeinsam das Licht der Welt. Das schweißt einfach zusammen.“

Michael und Uli Roth: »Dickerli und Guckerli«

Aber die Umgebung ließ die Zwillinge frühzeitig merken, dass sie nicht einzigartig sind – zumindest nicht aus der Sicht der Mitmenschen. „Die ständigen Verwechslungen und die Erklärungen, die du abgeben musst, wer du denn jetzt bist, der Uli oder der Michael, das nervte gewaltig“, sagt Uli Roth. Selbst Freunde konnten sie nicht auseinanderhalten. „Mensch, sind die doof!“, sagten sich die Zwillinge manches Mal. Schon als Kind kann das belastend sein, vielleicht gerade als Kind. „Ich hatte am Hals ein Muttermal“, erzählt Uli Roth, „und eine Zeit lang gab es die schicken Rollkragenpullover, die natürlich auch wir getragen haben. Und dann kamen die Leute an und haben den Kragen des Pullovers einfach runtergezogen, und sobald sie das Muttermal gesehen haben, sagten sie: ‚Ah, der Uli!‘ Irgendwann war der Kragen richtig ausgeweitet. Die Selbstverständlichkeit, mit der das passierte, war sehr unangenehm für mich.“

Und welche Eltern von Zwillingen machten sich damals schon Gedanken darüber, was es für ihre gleich aussehenden Kinder bedeuten kann, nur als Einheit gesehen zu werden? „In unserem Kleiderschrank war alles doppelt: die Hemden, die Hosen, die Schuhe“, sagt Uli Roth. Keiner der beiden hatte etwas, das nur ihm allein gehörte. Der einzige Vorteil bestand darin, dass nur einer der beiden beim Einkauf die Sache anprobieren musste. Erst als sie Teenager wurden, konnten sie sich gegen die elterliche Gewohnheit durchsetzen, sie wie geklont durch die Straßen laufen zu lassen.

Weihnachten und Geburtstage waren eine schöne Sache, aber auch ein immer wiederkehrender Beweis für die Jungen, stets als identische Menschen gesehen zu werden. Nur einer der Zwillinge musste das Geschenk auspacken, dann wusste der andere, was auch er bekommen würde. Die Überraschung war dahin. Vater und Mutter Roth waren sehr großzügige Eltern, nie gab es Schläge, selten einmal ein lautes Wort. „Unsere Mutter konnte gar nicht streng sein“, sagt Gaby Roth. Michael hatte nachts Albträume, er bettnässte bisweilen noch als Dreizehnjähriger und schlafwandelte ab und zu. Einmal wachte er nachts auf, ging die Treppe hinunter zu den Eltern, die Fernsehen schauten, pinkelte dort auf den Teppich und ging, so als sei nichts passiert, wieder zurück. Noch Jahre später schlief er nachts sehr unregelmäßig. Als Erwachsener übernachtete er einmal im Hamburger Hyatt Hotel, stand auf und streunte in Unterhose durch die Flure. In den Sechzigerjahren war es nicht üblich, mit solchen Problemen zu einem Facharzt zu gehen. Deshalb wurden die Ursachen für das Bettnässen, die Alpträume und das Schlafwandeln nie herausgefunden. Heute mag Michael Roth selbst nicht ausschließen, dass es daran lag, unbewusst unter der ewigen Gleichstellung mit seinem Bruder gelitten zu haben.

Michael und Uli Roth gab es nicht als Unikate. Die beiden galten eben als Paar, als niedlich und süß, und niemand machte sich Gedanken darüber, was dies für die Jungen bedeutete. „Wir waren die Roths, und das hat uns geprägt“, sagt Uli. „Keiner von uns beiden war jemals allein. Manchmal waren wir auch für das verantwortlich, was der andere gemacht hat – ob im Guten oder im Schlechten.“ Einmal, noch in der Schulzeit, organisierte Uli als Schülersprecher ein Schulfest mit. Als nach der Party drei Blumentöpfe, die der Dekoration dienten, herumstanden, wollte Uli seiner Mutter und seiner Oma eine Freude machen und nahm die Blumen mit nach Hause. Als Mitorganisator sah er sich dazu durchaus im Recht, zudem wusste er nicht, dass die Töpfe nach Gebrauch wieder zurück in die Gärtnerei mussten. Als der „Diebstahl“ aufflog, war klar, dass es „die Roths“ gewesen sein mussten, obwohl jedem der Verantwortliche bekannt war: Uli. Egal. Die Zwillinge mussten anschließend zum Direktor, und selbst nachdem Uli ausdrücklich darauf aufmerksam gemacht hatte, dass er allein die Tat begangen hätte, wurden beide vom Schulleiter bestraft.

Michael und Uli entwickelten eine Art Doppelstrategie. Sie hielten fest zusammen, gegen die Welt da draußen waren sie unzertrennlich, ganz wie die beiden Embryos im Mutterleib. „Auf dem Schulhof kam gegen die Roths keiner an“, sagt Uli. „Jeder wusste, wenn er sich mit mir anlegt, hat er es gleichzeitig auch mit Michael zu tun.“ Besonders in Dingen, die sie hassten, marschierten sie gemeinsam durch dick und dünn. Und das fing schon früh an. Mehrmals entschlossen sie sich, einfach nicht zu den strengen Erzieherinnen in den Kindergarten zu gehen. Sie versteckten sich lieber bei einem Bauern namens Walter Hauck und gingen mit ihm aufs Feld oder in den Stall. Hauck war ein Freund der Familie, selbst kinderlos, und er hatte die beiden sehr in sein Herz geschlossen. Er kaufte den Zwillingen später Ponys, die sie selbst versorgten. Und wenn sie sich bei Bauer Hauck versteckten, kehrten sie erst zu der Zeit nach Hause zurück, zu der sie für gewöhnlich aus dem Kindergarten gekommen wären. Hauck, auf dessen Bauernhof sie viele Stunden und Tage verbrachten, blieb immer ein väterlicher Freund der Roths. Und Jahrzehnte später wurden sie wegen ihres persönlichen Schicksals an den Tod des alleinstehenden Mannes erinnert. Nach einer quälend langen Leidenszeit war er an Prostatakrebs gestorben.

Die gemeinsamen Streiche konnten sie nur unternehmen, weil sie fest zusammenhielten. Zugleich suchte jeder für sich ein Gebiet, das nur ihm selbst gehörte. Anfangs eher unbewusst, im Lauf der Zeit immer zielgerichteter. Uli war bei den Pfadfindern engagiert: „Das hat Michael überhaupt nicht interessiert.“ Er züchtete Tauben – „darüber hat sich mein Bruder lustig gemacht“. Und Uli war Ministrant, „mit Herzblut“, wie er sagt, Michael hatte mit dem Dienst an der Kirche nichts im Sinn. Er ging lieber zum Tischtennis oder streunte mit Freunden im angrenzenden Wald umher. Oder er half beim Bauern aus. Einmal kam abends sein Vater von der Arbeit und sah einen Traktor, der Anhänger war meterhoch beladen mit Heu. Und am Steuer des Treckers saß Michael und lachte sich scheckig. Aber dem Vater fuhr ein Schreck in die Glieder. Wegen Michael musste Vater Ossi auch einmal vor Gericht: Der Sohn hatte sein Mofa frisiert und war mit dem getunten Zweirad der Polizei aufgefallen. Auch diese Geschichte trug dazu bei, die Prominenz der Zwillinge in Leutershausen zu steigern. Dennoch waren die beiden Lausbuben sehr beliebt, gerade wegen ihrer charmanten und fröhlichen Art.

Ursula und Ossi Roth mit den Kindern Michael, Gaby, Monika und Uli

Manchmal war geteiltes Leid jedoch auch halbes Leid. Einmal drangen die beiden Roth-Rabauken in den Stall eines benachbarten Bauern ein und schwangen – aus welchem Grund auch immer – wild mit einer Keule um sich. Zwei Hühner gerieten in die Flugbahn und bezahlten das mit ihrem Leben. Das löste natürlich mächtigen Ärger aus, weil abends der Bauer bei Ossi Roth auf der Matte stand.

Doch so unterschiedlich die Interessen waren und so eng sich die Roth-Zwillinge auch miteinander verbunden fühlten, wenn sie unterwegs auf Tour waren, so groß waren die internen Platzkämpfe, sobald sich die Haustür hinter ihnen schloss. Das fing beim Essen an. Wenn es daheim Spaghetti gab, hatten die Brüder die Gabeln schon in der Hand, bevor die Schüssel auf dem Tisch stand. Die Augen waren dabei immer fest auf den anderen gerichtet. Und sobald die Mutter dann das Essen freigab, aßen die beiden drauflos, als wäre es das letzte Nudelessen ihres Lebens. Und wehe dem, der mehr bekam als der andere. Jeder kleine Spaß zu Hause wurde zu einem Wettkampf zwischen den gleichen Brüdern. Tauchen mit Taucherbrillen in der Badewanne: Klar, aber Mutter Ursula musste zählen, wer länger unter Wasser bleiben konnte. Ständig gab es Stunk untereinander. Sie schubsten, boxten und prügelten sich. Jeden Tag, jeden Tag mehrmals. Anlass waren oft Lächerlichkeiten. Da zog Michael die Hausschuhe von Uli an oder Uli das Hemd von Michael. Was an sich nicht weiter schlimm war, weil die Kleidungsstücke ja ohnehin identisch aussahen. „Aber dann haben wir uns deswegen doch wieder gekloppt“, sagt Uli. „Vielleicht waren diese Hahnenkämpfe unsere Form, dem anderen und uns selbst zu zeigen, dass wir eben nicht immer gleich sein wollten. Jeder wollte etwas nur für sich haben und ein bisschen auch sein eigenes Leben führen.“

„Einmal“, erzählt Michael, „lagen wir in unserem Bett nebeneinander. Plötzlich fiel einem von uns ein, dass wir uns an diesem Tag noch gar nicht verhauen hatten. Deshalb erhielt der andere zunächst eine Kopfnuss, und dann ging es richtig zur Sache.“ Uli war zwar bei der Geburt der Schwerere von beiden, doch Michael hatte ihn bald überholt. Er blieb immer der etwas Kräftigere und Stärke. Ein anderes Mal veranstaltete der Bauer Walter Hauck in seiner Scheune ein privates Boxturnier, das Michael nutzte, um seinem Bruder eine blutige Nase zu verpassen.

Als die Brüder in die Grundschule kamen, war für Michael und Uli schnell klar, dass sie selbst in unterschiedliche Klassen wollten. Auf diese Weise entfielen die nervigen Fragereien, wer von beiden Uli und wer Michael ist. Und so konnten beide Klassensprecher werden, ohne bei der Wahl gegen den Bruder antreten zu müssen. Michael und Uli waren schlau, pfiffig und immer für einen guten Spruch zu haben. Aber sie waren lausige Schüler. „Wir waren stinkfaul“, sagt Uli. „Doch es war der größte Fehler unseres Lebens, dass wir es nicht auf eine höhere Schule geschafft haben.“ Sosehr die Roth-Zwillinge auch Wert darauf legten, in unterschiedlichen Klassen unterrichtet zu werden, so einheitlich war ihr Lernverhalten: mies eben. Schon als Kinder merkten sie, dass sie unter ihren Möglichkeiten geblieben waren. Mehrmals sind sie ins sechs Kilometer entfernte Weinheim gefahren, dort, wo die weiterführenden Schulen waren. Und hier suchten sie die Gesamtschule auf, in die einige ihrer ehemaligen Klassenkameraden gingen, und setzten sich schließlich zur Probe auf die Stühle ihrer Altersgenossen, an die Pulte, die sie niemals erreichen würden. Auf diese Weise versuchten sie zu verarbeiten, dass es ihnen nicht gelungen war, auf die höhere Schule zu kommen. „Die hatten eben immer nur Sport im Kopf“, sagt Ossi Roth. Wie jeder Vater hätte er es natürlich gern gesehen, wenn seine Söhne das Abitur geschafft hätten. Er besorgte auch Nachhilfestunden für seine Buben. Aber selbst das half nicht weiter. „Die Nachhilfelehrerin hatten wir schnell um den Finger gewickelt“, erzählt Michael. „Wir haben mit ihr Cola getrunken und Kekse gegessen, aber kein bisschen gelernt.“ – „Wir haben sie letztlich nicht zum Lernen gezwungen, und wir haben uns über ihr Fortkommen auch niemals große Sorgen gemacht, weil wir wussten, dass etwas aus ihnen wird“, sagt Ossi Roth.

So verbrachten die Roth-Zwillinge ihr Schulleben auf der Martin-Stöhr-Hauptschule in Leutershausen. Und hatten hier ihren Spaß. Uli war bald Schulsprecher, er organisierte Feste und Theaterabende. Und alles war nicht ganz so ernst.

Es geschah nicht oft, aber ab und zu nutzten sie es doch aus, identisch auszusehen. Einmal mussten beide an einem Tag eine Klassenarbeit schreiben, Michael in Musik und Uli in Biologie. Sie kamen auf die Idee zu tauschen, weil sie sich dadurch weniger Arbeit und bessere Noten versprachen. Michael hatte das Thema, das vorkommen sollte, bereits in seiner Klasse bearbeitet. „Aber das ging schrecklich in die Hose“, sagt Uli. Er selbst holte für seinen Bruder zwar die Note Eins bis Zwei heraus. Aber Michael versagte kläglich in Biologie, weil der Lehrer kurzerhand das Thema gewechselt hatte. Das Doppelte-Lottchen-Spiel endete mit einem „Mangelhaft“.

Zwilling zu sein war folglich ein Leid und ein Segen zugleich. Und manchmal war es auch ein bisschen mystisch. Die Kinderkrankheiten wie Keuchhusten, Masern und Windpocken bekamen beide immer im Gleichschritt. Und nicht etwa in den zeitlichen Abständen, wie es die Inkubationszeiten bei Brüdern vermuten ließen, die im gleichen Zimmer wohnen. Wenn der eine erste Masernpustel hatte, konnte der andere davon ausgehen, dieselben Ausschläge innerhalb von maximal zwei Stunden zu haben. Und wenn Michael am Morgen spürte, dass ein Milchzahn wackelte, konnte Uli sicher sein, dass mittags einer seiner Zähne an genau der gleichen Stelle auch wackeln würde. „Und das lag nicht daran, dass ich nachgeholfen habe, weil es für jeden ausgefallen Zahn von den Eltern eine Prämie von 50 Pfennig gab“, wie Uli erzählt.

Das Organ Prostata

Die Anatomie der Prostata

Die Prostata ist bei gesunden Männern rund 20 Gramm schwer, vergrößert kann sie bis zu 100 Gramm wiegen. Der deutsche Name der Prostata lautet „Vorsteherdrüse“ und ist etwas irreführend, weil das recht kompliziert aufgebaute Organ in Wirklichkeit aus dreißig bis vierzig kleinen Drüsen besteht. Sie geben ihr Sekret direkt in die Harnröhre ab, die mitten durch das Sexualorgan läuft. Der Samenleiter führt ebenfalls zur Prostata und mündet dort in die Harnröhre. Ihren Namen hat die Vorsteherdrüse, weil sie direkt vor der Harnblase platziert ist und den Blasenhals als unwillkürlichen Schließmuskel unterstützt. An ihrer Rückseite liegt die Prostata direkt am Mastdarm an, weshalb sie der Urologe mit dem Finger durch den After hindurch ertasten kann. An der Vorderseite wird sie durch das Schambein begrenzt. An ihren Seiten liegen die Erektionsnerven zusammen mit Blutgefäßen, die ebenfalls für die Versteifung des Gliedes von Bedeutung sind.

Anatomie von Prostata und Blase

Querschnitt durch Blase und gesunde Prostata

Das Organ Prostata

Die Funktion der Prostata

Die Prostata hat ihre hauptsächliche Funktion beim Liebesspiel. Stimuliert von Nervenzellen, beginnen beim Geschlechtsakt unwillkürlich die Drüsen in der Prostata zu arbeiten. Das dort hergestellte Sekret gibt dem Sperma sein milchiges Aussehen sowie seinen speziellen Geruch und Geschmack. Es hat die Aufgabe, den Samen zu verflüssigen. Ein weiterer Inhaltsstoff, das Spermin, soll zudem die Erbinformation der Spermien auf ihrem langen Weg zur Eizelle der Frau beschützen. Vor der Ejakulation sorgen die Muskelzellen in der Prostata dafür, dass sich das Drüsensekret mit dem Samen, der aus den Hoden kommt, vermischt und in die Harnröhre gepresst wird. Beim Erguss befördern dann die Muskeln des Beckenbodens und die Schwellkörper im Penis die vermischte Samenflüssigkeit nach draußen.

Gefäß- und Nervenversorgung der Prostata

Anatomie von Blase, Prostata und Hoden

Das Organ Prostata

Die Lage der Prostata

Die Prostata zählt zu den Geschlechtsorganen, sie ist zudem in den Abtransport des Urins eingebunden. Dieser geht von den Nieren in die Blase und von dort weiter durch die Prostata in den Penis. Beim Samenerguss soll die Prostata verhindern, dass Urin durchgelassen wird und Sperma in die Blase fließt.

Die Lage der Prostata im Unterleib

Das Organ Prostata

Der Tumor in der Prostata

Tumoren in der Prostata entstehen zu 80 bis 90 Prozent in den äußeren Regionen des Organs. Sie wachsen sehr langsam und breiten sich erst innerhalb der Prostata aus, ehe sie aus der Hülle ausbrechen. Metastasen finden sich dann in Nachbarorganen wie der Harnblase, dem Mastdarm oder in den Knochen. Ab einem Durchmesser von rund sieben Zentimetern kann der Arzt Prostatatumoren ertasten, wenn sie günstig liegen.

Querschnitt durch Blase und erkrankte Prostata

So sehr die beiden Jungen aufeinander fixiert waren, so schnell merkten sie, dass es auch andere interessante Menschen auf dieser Welt gab, und bald galt ihre große Leidenschaft zwei Bereichen: Handball und Mädchen. Sie mochten die Mädels, und die Mädels mochten sie. Sie waren stattliche Jugendliche mit gut trainierten Körpern, und ihr südamerikanischer Einschlag, die schwarzen Haare und die braunen Augen machten sie in Leutershausen bald zu echten Frauenhelden. Und dann auch in Schriesheim, und dann in Weinheim und den anderen Städtchen ringsumher. Die Brüder genossen es, Blickfang zu sein. „Wir haben es ausgelebt, und manchmal haben wir es peinlich überdreht“, sagt Uli.

Michael und Uli Roth – die Kindheit war bestimmt von den Platzkämpfen zu Hause und dem bedingungslosen Zusammenhalt vor der Haustür. Und die Mädchen und später die Frauen gehörten eindeutig zu der Welt da draußen, hier gab es keinen Wettkampf. Kein einziges Mal haben sie sich um ein Mädchen oder eine Frau gestritten – man konnte sich aufeinander verlassen. „Oft hatten wir sogar dieselben Frauen – nacheinander“, sagt Uli Roth. „Wir mögen den gleichen Typ, und wir hatten damals den Eindruck, dass es manchen Frauen egal war, mit wem von uns beiden sie zusammen waren, Hauptsache, es war ein Roth.“ Nur einmal gab es etwas Streit. Da bat Uli seinen Bruder, ihn bei einer Freundin zu vertreten, weil er auf eine andere Party gehen wollte. Er sollte sich dabei als Uli ausgeben. Michael stimmte zu, er gab alles. Vielleicht zu viel. Er knutschte mit Ulis Freundin, die zunächst ahnungslos blieb, wer sie an diesem Abend glücklich machte. Dann kam das Wechselspiel ein paar Tage später doch heraus, Uli war seine Freundin los – und danach mächtig sauer auf den forschen Michael.

Medaillen, Meisterschaften und die Steffi – der sportliche Aufstieg

Mit den vier Kindern, die fast gleichaltrig waren, herrschte in der Wohnung der Familie Roth stets ein ordentlicher Lärmpegel. Die Zwillinge sorgten schon dafür, dass es niemals Ruhe gab, sobald die Jungen zu Hause waren. Da waren die Raufereien. Da war zudem die Gewohnheit der Brüder, die Wohnung als eine Art Spielfeld zu betrachten.

Dann begannen sie, ernsthaft Sport zu betreiben. Mit sechs Jahren waren sie zunächst mit ihrem Vater Ossi nach Heidelberg mitgegangen, der in der Universitätsstadt als Basketballtrainer tätig war. Basketball blieb aber eine kurze Episode. Dann probierten es die beiden Jungen mit Fußball. Aber schon mit sieben Jahren kamen die Roths zum Handball, was in Leutershausen nicht erstaunlich ist, weil der kleine Ort als Hochburg des Handballs gilt – so wie Flensburg im Norden, Minden und Gummersbach im Westen und Großwallstadt im Süden Deutschlands. Ein Freund des Vaters war in Leutershausen als Übungsleiter tätig. Zweimal in der Woche hatten sie nun Training im Verein, und an den restlichen Tagen trainierten sie eben in der Wohnung. Dabei war es durchaus von Vorteil, einen Bruder zu haben, der die gleichen Interessen hatte, der ebenso gut fangen und werfen konnte wie man selbst. Und so passten sich die Jungen die Bälle zu, sie dribbelten und versuchten sich gegenseitig auszuwackeln. „Jede Tür wurde für einen Sprungwurf genutzt“, sagt Ossi Roth.

Anders als in der Schule, wo sie gern in getrennten Klassen waren, spielten die beiden immer in der gleichen Mannschaft: Sie begannen in der E-Jugend der SG Leutershausen, dann rückten sie vor in die D- und C- und schließlich in die B-Jugend. Und dabei wurde ein Mann für sie immer wichtiger, der in Leutershausen als „knallharter Hund“ bekannt war. Jürgen Hahn, der Jugendtrainer von Michael und Uli, war einstiger Handballnationalspieler. 1976 waren er und seine Mannschaft bei den Olympischen Spielen in Montreal auf den vierten Platz gekommen. Dieser Jürgen Hahn war nicht nur ein Freund der Familie, er bimste den beiden Jungen auch ein, dass Handball viel mehr sein kann als ein Spiel: eine Vorbereitung für das ganze Leben, eine Einnahmequelle und vor allem ein Sprungbrett nach oben. „Ihr seid in der Schule die Loser, nutzt den Handball, um mehr aus euch zu machen“, sagte er seinen Schützlingen. „Ihr müsst über den Sport euer Leben bestimmen.“ Für Hahn, der zu Hause selbst zwei Töchter hatte, waren die Roths wie Ersatzsöhne.

Und mit seinen Worten traf Hahn durchaus den Nerv der Zwillinge. In den Ferien arbeiteten Michael und Uli oft bei heimischen Handwerksbetrieben, um Geld zu verdienen. Für sie war es immer eine schlimme Vorstellung, in einem dieser Betriebe zu enden. „Wir wollten keine Handwerker werden, zumal uns letztlich dafür auch das Talent gefehlt hat. Viele unserer Freunde verließen allein schon deshalb das Dorf, weil sie auf höhere Schulen gingen“, sagt Uli. „Wir mussten den Sport nutzen, um hier wegzukommen, weil uns klar war, dass unsere berufliche Karriere hier nicht zu Ende sein durfte.“ Also trainierten sie, schufteten im Kraftraum oder bolzten Kondition. „Unser Geheimnis war Fleiß: Wir waren nie die talentiertesten Handballer, wir waren nie die muskulären Typen, sondern eher fleischig. Aber wir hatten ein Ziel. Wir trainierten und spielten immer zielorientiert und haben uns dadurch von vielen abgegrenzt, denen später die Mofas, die Partys oder die Freundin wichtiger als der Sport waren“, sagt Uli Roth. „Wir haben uns dämlich trainiert.“

Michael und Uli Roth hatten sich viele Gedanken über die Karrieren von Athleten gemacht: Warum schaffen es einige Talente nach oben und warum andere nicht? Warum können einige Sportler von ihrer Karriere zehren und manche nicht? Jürgen Hahn ist einer der wesentlichen Gründe, weshalb die Roths nach oben gelangten. „Er war schonungslos“, sagt Uli Roth. „Einige Neider sagen über uns, wir hätten einfach Glück gehabt. Das ist falsch, weil wir von Jürgen Hahn gut beraten waren, auf ihn gehört haben und dann konsequent an unseren Defiziten mit sehr viel Disziplin gearbeitet haben.“

Vater Ossi war stolz auf seine Kinder, er schaute sich die meisten Spiele an. Er war aber niemals der Antreiber, keiner dieser typischen Sportlerkinderväter, die ihre Sprösslinge nach vorne peitschen. Als ehemals glänzender Basketballer hatte er es nicht nötig, fehlende eigene Erfolge auf die Karriere der Kinder zu projizieren. Mutter Ursula war auch gern bei den Spielen dabei, verstand aber nicht viel von dem Sport.

In Leutershausen kannte längst jeder die Handball-Brüder. Michael, den Robusten, der als Mittelmann Spielgestalter aller Mannschaften war, und Uli, der als Torjäger auf halblinks oder als Kreisläufer spielte. Bald wurden auch die Trainer der Auswahlmannschaften auf die Zwillinge aufmerksam; und so ging es Stufe für Stufe nach oben und damit raus aus Leutershausen. Zunächst in die Kreisauswahl, danach in die badische Auswahl, dann in die süddeutsche Jugendauswahl. Und schließlich kam ein Sichtungsturnier mit mehreren Auswahlteams aus Südbaden, Nordbaden, Württemberg und Hessen. „Uns war sofort klar, dass es unsere Chance war. Wir mussten an diesem Tag gut sein“, sagt Uli Roth. Es war wie so oft in ihrem Leben, sobald sie aufs Spielfeld liefen: Die Zwillinge fielen auch an diesem Tag sofort auf. Nicht nur, weil sie gleich aussahen, sie verkörperten auch eine Dominanz auf dem Spielfeld. Sie bildeten einen Doppelpack, der besonders in der Abwehr schwer zu überwinden war. Und im Angriff waren sie eine Achse, die sich beim Werfen im heimischen Kinderzimmer bis zur Perfektion herausgebildet hatte. Michael, der Spielgestalter, warf den Ball an den Kreis. Dort stand Uli. Eine kurze Drehung. Tor.

Und dennoch blieb an diesem Tag eine Ungewissheit, denn das Ergebnis sollte erst einige Tage später in einem Brief mitgeteilt werden. Es waren harte Tage, denn „schlimmer als eine Nicht-Berücksichtigung wäre es für uns gewesen, wenn nur einer nominiert worden wäre. Wir hatten Angst davor, getrennt zu werden. Wir wollten uns untrennbar machen“, sagt Uli Roth. Und dann erhielten sie endlich den Brief vom Deutschen Handballbund: Uli Roth wird Jugend-Nationalspieler, hieß es in diesem, und mit der gleichen Post wurde zu aller Erleichterung auch Michael Roth nominiert. „Damit öffnete sich für uns der Horizont“, sagt Uli Roth. Es ging nach Lübeck zum Länderspiel gegen Norwegen, nach Paris zu Länderspielen gegen Frankreich, insgesamt absolvierte Uli acht und Michael neun Spiele in der deutschen Jugendauswahl. Und dabei waren sie mit den besten jungen Handballern Deutschlands zusammen, mit späteren Weltklassespielern wie Rüdiger Neitzel, Jochen Fraatz oder Martin Schwalb.

Sie schnupperten also schon einmal die Luft der großen Welt. Nach Abschluss der Hauptschule hatte Michael als Verwaltungskraft im Rathaus von Leutershausen anfangen wollen. Kein Problem, dachte er sich, schließlich kannte er in dem Ort genug einflussreiche Leute. „Doch dann bekam ich den ersten Dämpfer“, sagt er. Er wurde abgelehnt. Also sah er sich gezwungen, eine Lehre als Kraftfahrzeugmechaniker zu beginnen. Gar nicht einmal, weil er sich besonders für diesen Beruf interessierte, aber der Autofan glaubte auf diese Weise schneller an einen eigenen Wagen zu gelangen. Und Hauptsache, man hatte „irgendetwas in der Hand“.

Uli begann eine klassische Verkäuferlehre bei einem Sportgeschäft in Weinheim. Das passte schon besser, schließlich interessierte er sich für Sport, und er konnte Menschen überzeugen, Dinge zu kaufen, von denen er glaubte, die Leute könnten sie gebrauchen.

Mit achtzehn Jahren spielten die Roth-Brüder schließlich in der ersten Mannschaft der SG Leutershausen, die damals den Sprung von der Regionalliga in die neu geschaffene Zweite Bundesliga schaffte. Wegen ihrer positiven Ausstrahlung und ihres Mannschaftsgeistes waren die beiden Youngster sofort akzeptiert im Team. Und auch die Brüder fühlten sich wohl, selbst wenn „wir uns immer mal wieder wie die Doofbacken von der Hauptschule gefühlt haben“, sagt Uli. Handball war damals vielfach noch ein Studentensport, und deshalb „fuchste es uns“, wenn die anderen vom Studium erzählten und „wir in die Berufsschule mussten. Ein bisschen haben wir uns auch geschämt.“ Und wenn die Mitspieler in die Studentenkneipen und Uni-Keller nach Heidelberg zogen, mogelten sich die Zwillinge mit rein. Später flunkerten die Roths manches mal, dass sie zumindest Realschulabschluss hätten, und Uli, der Verkäufer, gab sich großspurig als Außenhandelskaufmann aus.

Aber auf dem Spielfeld waren die Bildungsdefizite schnell vergessen. Schon in ihren ersten Jahren in der Erwachsenenklasse waren sie so gut, dass Bundesligavereine auf sie aufmerksam wurden. Im Frühsommer 1982 unterzeichneten die Roths schließlich einen Vertrag beim Bundesligisten Frisch Auf! Göppingen. Es sollte der erste große Vertrag für sie sein, der Schritt raus aus dem heimischen Milieu: 600 Mark, plus Auto, plus Wohnung. Und das Wichtigste: Sie konnten zusammenbleiben wie die achtzehn Jahre zuvor.

Kontrahenten: Michael (Leutershausen) gegen Uli (Schwabing)

Es war dennoch ein schwerer Entschluss, weil sie sich gegen ihren Heimatverein entscheiden mussten. Mit den Funktionären von Frisch Auf! Göppingen vereinbarten die Zwillinge nach dem Abschluss des Vertrags an einem Samstagabend Stillschweigen, bis sie die Vereinsführung der SG Leutershausen über ihren Abgang informiert hatten. Umso entrüsteter waren die Brüder, als sie am Montagmorgen einen Anruf erhielten, die Stuttgarter Zeitung habe ihren Wechsel nach Göppingen vermeldet. Das werteten die beiden als Wort- und Vertrauensbruch. Aus Verärgerung über den Göppinger Vorstoß lösten die Zwillinge ihren Vertrag mit Frisch Auf! Göppingen wieder auf. Das war eine harte, eine einschneidende und konsequente Entscheidung. Denn Uli hatte gleichzeitig ein Angebot des Bundesligaaufsteigers MTSV Schwabing erhalten. Ihm kam dabei eine taktische Änderung zupass. Die Sowjetunion war seinerzeit prägend für das Handballspiel in der gesamten Welt. Und deren Trainer bevorzugten nun erstmals Kreisläufer, die nicht wie in Deutschland und überall in der Welt kräftig-muskulös und kompakt gebaut waren, sondern lange Kerle, die auch hohe Anspiele verwerten konnten.

Mit 1,96 Meter war Uli ein sehr großer Kreisläufer, und nun war er mit einem Mal en vogue. Michael indes galt vielen als noch zu unreif, um die wichtige Rolle des Spielgestalters in einem Bundesligaverein ausfüllen zu können. „Etwas neidisch war ich schon“, sagt Michael Roth. „Uli zog in die weite Welt, ich blieb im verträumten Leutershausen zurück.“

Uli war „maßlos enttäuscht“ über die Folgen des Göppinger Vertrauensbruchs. Er war jemand, dem es „nur gut geht, wenn es anderen gut geht“. Und nun musste er seinen geliebten Bruder zurücklassen, er sollte sein Alter Ego auf dem Spielfeld verlieren. Bisher war es doch so, dass „ich gejubelt habe, wenn Michael ein Tor geworfen hat, als hätte ich selbst es geworfen. Und ich habe mich geärgert, wenn er danebenwarf, als hätte ich selbst nicht getroffen.“ Und das alles war nun vorbei. Andererseits zog es ihn mit Macht nach Schwabing. München.