Hypnotherapeutische Strategien bei akutem und chronischem Stress - Reinhold Zeyer - E-Book

Hypnotherapeutische Strategien bei akutem und chronischem Stress E-Book

Reinhold Zeyer

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Beschreibung

Stress verursacht Kopfschmerzen, Angst lässt das Herz schneller schlagen, Ärger drückt auf den Magen. Versagensängste, Erschöpfungsdepression oder "Burn-out" sind nur einige der bekannteren körperlichen und psychischen Folgen übermäßiger Stressbelastung. Ihre Behandlung stellt Ärzte und Therapeuten vor große Herausforderungen. Die moderne Hypnotherapie bietet eine Vielfalt an effektiven Methoden zur Bewältigung von Stressbelastungen und deren Folgen. Reinhold Zeyer stellt in diesem Buch bewährte hypnotherapeutische Strategien, Techniken der Stressreduktion und Methoden zur Resilienzförderung vor. Das Spektrum reicht von praktischen Anleitungen für ein symptomorientiertes Vorgehen bis zur detaillierten Darstellung von Methoden, die unbewusste Wissens- und Entscheidungsprozesse nutzen und anregen. Ein umfassendes Handbuch sowohl für angehende als auch für erfahrene Hypnotherapeuten.

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Reinhold Zeyer

Hypnotherapeutische Strategien bei akutem und chronischem Stress

Zweite Auflage, 2021

Mitglieder des wissenschaftlichen Beirats des Carl-Auer Verlags:

Prof. Dr. Rolf Arnold (Kaiserslautern)

Prof. Dr. Dirk Baecker (Witten/Herdecke)

Prof. Dr. Ulrich Clement (Heidelberg)

Prof. Dr. Jörg Fengler (Köln)

Dr. Barbara Heitger (Wien)

Prof. Dr. Johannes Herwig-Lempp (Merseburg)

Prof. Dr. Bruno Hildenbrand (Jena)

Prof. Dr. Karl L. Holtz (Heidelberg)

Prof. Dr. Heiko Kleve (Witten/Herdecke)

Dr. Roswita Königswieser (Wien)

Prof. Dr. Jürgen Kriz (Osnabrück)

Prof. Dr. Friedebert Kröger (Heidelberg)

Tom Levold (Köln)

Dr. Kurt Ludewig (Münster)

Dr. Burkhard Peter (München)

Prof. Dr. Bernhard Pörksen (Tübingen)

Prof. Dr. Kersten Reich (Köln)

Dr. Rüdiger Retzlaff (Heidelberg)

Prof. Dr. Wolf Ritscher (Esslingen)

Dr. Wilhelm Rotthaus (Bergheim bei Köln)

Prof. Dr. Arist von Schlippe (Witten/Herdecke)

Dr. Gunther Schmidt (Heidelberg)

Prof. Dr. Siegfried J. Schmidt (Münster)

Jakob R. Schneider (München)

Prof. Dr. Jochen Schweitzer (Heidelberg)

Prof. Dr. Fritz B. Simon (Berlin)

Dr. Therese Steiner (Embrach)

Prof. Dr. Dr. Helm Stierlin (Heidelberg)

Karsten Trebesch (Berlin)

Bernhard Trenkle (Rottweil)

Prof. Dr. Sigrid Tschöpe-Scheffler (Köln)

Prof. Dr. Reinhard Voß (Koblenz)

Dr. Gunthard Weber (Wiesloch)

Prof. Dr. Rudolf Wimmer (Wien)

Prof. Dr. Michael Wirsching (Freiburg)

Prof. Dr. Jan V. Wirth (Meerbusch)

Themenreihe »Hypnose und Hypnotherapie«

hrsg. von Bernhard Trenkle

Umschlaggestaltung: Uwe Göbel

Satz: Verlagsservice Hegele, Heiligkreuzsteinach

Printed in Germany

Zweite Auflage, 2021

ISBN 978-3-89670-854-0 (Printausgabe)

ISBN 978-3-8497-8280-1 (ePub)

© 2012, 2021 Carl-Auer-Systeme Verlag

und Verlagsbuchhandlung GmbH, Heidelberg

Alle Rechte vorbehalten

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

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Carl-Auer Verlag GmbH

Vangerowstraße 14 • 69115 Heidelberg

Tel. +49 6221 6438-0 • Fax +49 6221 6438-22

[email protected]

Inhaltsverzeichnis

1 Einführung

1.1 Mit dem Stress unterwegs: »Hupen Sie noch, oder fahren sie schon?«

1.2 Stress – Leistungsmotor und Krankheitsfaktor

2 Der akute Stress

2.1 Was passiert im Gehirn unter Stressbedingungen?

2.1.1 Emotionales Hirn bestimmt rationales Hirn?

2.1.2 Kooperation oder Konkurrenz?

3 Dauerstress

3.1 Das chronische Stresssyndrom

3.2 Diagnostische Zuordnung

3.3 Burn-out

3.3.1 Burn-out – Was ist das eigentlich?

3.3.2 Burn-out durch chronischen Stress

3.4 Diagnostische Zuordnung

3.5 Typische Phasen

3.5.1 Ursachen und Auslöser einer Burn-out-Entwicklung

3.6 Aspekte der Prävention

3.7 Zusammenfassung

4 Faktoren der Gesundheit und Resilienz

4.1 Ultradiane Rhythmen und Stress – Wie wird aus einer akuten Stressreaktion ein chronischer Stressverlauf?

4.2 Resilienz und Stress

4.3 Gesunderhaltende bzw. gesundheitsfördernde Prozesse

4.4 Schutzfaktoren und Förderung von Resilienz

4.4.1 Resilienzfaktor »Selbst- und Fremdwahrnehmung«

4.4.2 Resilienzfaktor »Selbststeuerung«

4.4.3 Resilienzfaktor »Selbstwirksamkeit«

4.4.4 Resilienzfaktor »Soziale Kompetenz«

4.4.5 Resilienzfaktor »Umgang mit Stress«

4.4.6 Resilienzfaktor »Problemlösen«

4.5 Selbstregulation unter Stressbedingungen

4.5.1 Welches sind die wichtigsten Bedürfnisse eines Menschen?

4.6 Stressbewältigung durch Selbstregulation

4.6.1 Schritt 1: Selbstbeobachtung

4.6.2 Schritt 2: Drei Möglichkeiten aktiver S tressbewältigung nutzen

4.6.3 Anregung zur Stimulierung der Selbstregulation

4.7 Resilienz: Fazit

4.7.1 Ansatzpunkte für eine Stressbehandlung

5 Prinzipien der Veränderung beim ericksonschen Ansatz

5.1 Prinzipien der Veränderung

5.1.1 Utilisation

5.1.2 Destabilisierung

5.1.3 Beiläufigkeit

5.1.4 Minimale Veränderung mit Kaskadeneffekt

5.1.5 Nutzung und Schutz des Unbewussten

5.1.6 Nichtwissen – die richtige Einstellung des Therapeuten

5.2 Zusammenfassung

6 Hypnotherapeutische Kommunikation

6.1 Indirekte Suggestionen

6.1.1 Gemeinplätze und Prozesse

6.2 Geschichten und Metaphern

6.2.1 Funktionen von Metaphern

6.3 Kommunikation mit dem Körperwissen

6.4 Pacingstrategien

6.4.1 Rapport

6.4.2 Inhaltlicher Rapport

6.4.3 Rapport auf der Verhaltensebene

6.4.4 Rapport auf kultureller Ebene

6.4.5 Pacing und Leading

6.4.6 Erwartungshaltungen des Patienten

6.4.7 Vorstellungen und Erwartungen

6.5 Der Patient als Experte seiner Lebensgestaltung

7 Therapeutischer Handlungsraum

7.1 Veränderung durch Strukturierung und Erweiterung des Wirklichkeitsraums

7.2 Therapiegestaltung

7.3 Arbeitsebenen und Prozessentscheidungen

8 Strukturierung und Transformation

8.1 Behandlungskontext

8.2 Die Stressfaktoren des Patienten erfassen

8.3 Das Weltmodell erfassen

8.4 Fokussierung unbeachteter Lebensbereiche

8.5 Selbstbezogene Wertschätzung

8.6 Realistische Behandlungsziele entwickeln

8.7 Stressmetapher des Patienten nutzen

8.8 Strukturierung nach Zeiten und Verlauf

8.9 Problemlösekompetenz stärken

8.10 Kleinräumigkeit und kleine Schritte

8.11 Symptomverschreibung

8.11.1 Graduelle Symptomverschreibung

8.11.2 Einführung von Reihenfolgen

8.12 Verdeckte Progression

8.13 Ausnahmen vom üblichen Stress

8.14 Hypothetische und zirkuläre Fragen

8.15 Kontextunabhängigkeit fördern

8.16 Einstellungsänderung durch Deutungs- und Umdeutungsangebote

8.16.1 Schritte zur Änderung stresserzeugender Einstellungen

8.17 Utilisierung von Kontextbedingungen

8.18 Utilisierung einer inneren Haltung

8.19 Utilisierung einer inneren Haltung zur Verhaltensänderung

8.20 Utilisierung eines stattgefunden habenden oder vorhersehbaren Ereignisses

8.21 Widerstände steigern und nutzen

8.22 Verstören der Problem-Lösungs-Dynamik

8.22.1 Vorgehen

8.23 Zusammenfassung: Hypnotherapeutische Gesprächsstrategien der Strukturierung und Transformation

9 Arbeitsebene Trance

9.1 Entspannungstrance

9.1.1 Hypnose spezifisch einsetzen

9.2 Induktion der Trance

9.2.1 Der Einstieg in die Induktion der Trance

9.2.2 Gelenkte Achtsamkeit – Stressmuster in der Tranceinduktion utilisieren

9.2.3 Vertiefung der Trance

9.3 Drei Wirkungsebenen

9.3.1 Symptomorientierte Vorgehensweisen

9.3.2 Konfliktorientiertes Vorgehen

9.3.3 Bindungsorientiertes Vorgehen

9.4 Behandlungsstrategien in Trance

9.4.1 Methoden der Assoziation

9.5 Aktivierung einer allgemeinen Ressource

9.5.1 Vorgehensschema »Allgemeine Ressourcen«

9.5.2 Verknüpfung mit äußeren Schlüsselreizen

9.6 Implementierung eines inneren Ortes der Erholung

9.6.1 Verknüpfung mit Schlüsselreizen

9.7 Transfer durch Selbsthypnose

9.8 Zielwirkung allgemeiner Ressourcenassoziation

9.9 Wirkung spezifischer Ressourcenassoziation

9.10 Aktivierung spezifischer Ressourcen

9.11 Assoziationstechnik »Stress-Ressourcen-Kopplung«

9.12 Quellen spezifischer Ressourcen

9.13 Assoziationsstärkung durch Suggestion

9.13.1 Positive stressreduzierende Selbstsuggestionen

9.13.2 Direkte stressreduzierende Suggestionen

9.13.3 Verknüpfungssuggestionen

9.14 Assoziationstechnik »Stellvertreter«

9.15 Assoziationstechnik »Stressmetapher in Lösungsmetapher verwandeln«

9.16 Assoziationstechnik »Lösungsvision«

9.17 Assoziationstechnik »Identifikation mit dem Erfolgsmodell«

9.18 Zusammenfassung Assoziationsstrategien

9.19 Stressdissoziation

9.20 Visuelle Dissoziation

9.21 Dissoziation eines »Stressverantwortlichen«

9.22 Auditive Dissoziation und Arbeit mit Sinnesmodalitäten

9.23 Altersregression

9.24 Zukunftsprojektion

9.24.1 Vorgehensschema »Zukunftsbahnung«

9.24.2 Zusammenfassung »Zukunftsprojektion«

9.25 Nutzung unbewussten Wissens

9.26 Ideomotorisches Signalisieren

9.26.1 Automatische ideomotorische Reaktionen

9.26.2 Durch Suggestion induzierte ideomotorische Bewegung

9.27 Ideosensorisches Signalisieren

9.27.1 Die ultradiane Heilreaktion

9.27.2 Kohärenz – Das Herz der Gefühle

9.27.3 Stress-Lösungs-Kompetenz (»SLK-Methode«)

9.27.4 Stresskompetenz und Resilienz durch Selbsthypnose

10 Gesamtblick: Resilienzförderung und Stärkung der Bewältigungsressourcen

Literatur

Über den Autor

1 Einführung

1.1 Mit dem Stress unterwegs: »Hupen Sie noch, oder fahren sie schon?«

Eine Anekdote: Der Vater eines alten Schulfreundes hatte eine Fahrschule mit einem schlagfertigen Fahrlehrer. Als der eines Tages mit einer jungen Fahranfängerin unterwegs war, drängte von hinten ein Autofahrer. Als sie beim Anfahren an der Ampel den Motor abwürgte, hupte dieser Drängler und schimpfte gestikulierend. Die Ampel schaltete wieder auf Rot, der Fahrlehrer stieg aus, klopfte an die Scheibe des ungeduldigen Autofahrers. Nachdem dieser die Scheibe heruntergelassen hatte, meinte der Fahrlehrer zu ihm: »Vielleicht gehen Sie nach vorne und bringen dem Mädchen das Autofahren bei. Ich setze mich so lange in Ihr Auto und hupe für Sie!«

Auf der »Straße des Lebens« geht es nicht immer ruhig zu. Da gibt es viele Erwartungen, die einen unter Druck setzen und ständig »hupen«. Da gibt es manches zu verarbeiten, bevor man wieder richtig in Gang kommt. Mitunter sind wir es selbst, die gleichzeitig hinter uns her sind – und hupen: »Du musst …« So entstehen Stress, Angst, sich lächerlich zu machen, Angst zu versagen. Aus akutem Stress wird so schnell eine chronische Belastung, die uns jagt. Es sei denn – man findet die Lösung!

Wer mitten im Leben steht, sollte »sich selbst ein guter Fahrlehrer sein«.

Mit diesem Buch möchte ich mich mit Ihnen auf den Weg machen, Lösungen zu sammeln. Lösungen, wie wir unseren Patienten helfen können, aus diesem Dilemma auszusteigen und ihr Leben wieder zu genießen.

Wir werden aus dem Wissen des genialen Milton Erickson schöpfen, es mit den Erkenntnissen der Stress- und Resilienzforschung untermauern und es mit den Erfahrungen vieler kompetenter Kolleginnen und Kollegen und den meinigen ergänzen. Vielleicht werden Sie während der Lektüre des Buches daher immer wieder in Gedanken eigene Erfahrungen einbringen können und so den Nutzen für sich komplettieren.

1.2 Stress – Leistungsmotor und Krankheitsfaktor

Die Weltgesundheitsorganisation (WHO 2006) erklärte Stress als einen der größten Gesundheitsrisikofaktoren des 21. Jahrhunderts. Schon heute sei seelischer Druck für 70 % aller Krankheiten mitverantwortlich. Stress ist damit zum betriebswirtschaftlichen Problem geworden. Nach jüngsten Berechnungen der Bundesregierung kommt es durch psychische Erkrankungen allein in deutschen Unternehmen zu jährlichen Produktionsausfällen von 26 Milliarden Euro (Deutscher Bundestag 2012).

Doch Stress hat zwei Seiten. Manche scheinen es zu mögen, ständig am Limit zu sein und wie unter Strom zu stehen. Sie suchen sich immer wieder neue Herausforderungen und wollen jede Minute so effektiv wie möglich nutzen. Solche Menschen sind mitunter regelrecht berauscht, weil sie viel schaffen und ihre Zeit gut managen.

Andere fühlen sich getrieben und erleben sich als gefangen in einem Netz aus Verpflichtungen und Terminen. Sie trauen sich vieles nicht zu, wissen vielleicht nicht mehr, wie sie den Berg an Arbeit jemals abarbeiten sollen. Hinzu kommt der Stress in der Beziehung, mit den Kindern, dem Nachbarn, dem Kollegen. Sie können nichts anderes mehr denken, es raubt ihnen den Schlaf, sie brechen unter der Last irgendwann zusammen und erkranken.

Stress kann zu hoher Leistung antreiben, ebenso kann er einen überfordern und gefährdet dann die Gesundheit.

Hier stellen sich uns eine Reihe von Fragen:

Welche Faktoren entscheiden darüber, ob sich jemand unter akuter Belastung »nur« gestresst fühlt?

Wann fühlt sich jemand so überfordert, dass seine Leistung gar abfällt – und er stressbedingt erkrankt?

Wann wird die Einstellung zu sich selbst, seiner Person, zu seinem Aussehen zu einem entscheidenden inneren Stressfaktor, der Verhaltensmöglichkeiten einschränkt?

Welche Aspekte machen es dann aus, dass jemand trotz innerer oder äußerer Belastung seine Aufgaben gut meistern kann?

»Stress entsteht im Kopf«: Diese Antwort klingt so einfach und ist doch so komplex. Hierfür zunächst ein Blick auf den akuten Stress, seine Bedingungsfaktoren und seine Auswirkungen.

2 Der akute Stress

Im Laufe der Evolution haben sich Mechanismen herausgebildet, die auf Notsituationen exakt zugeschnitten sind. Bei potenzieller Gefahr mobilisiert der menschliche Körper auch heute noch eine besondere Bereitstellungsenergie und ein Reflexsystem, um in kürzester Zeit kampf- oder fluchtbereit zu sein. Dieses allgemeine Anpassungssyndrom löst die körperliche Stressreaktion über die Sympathikus-Nebennierenmark-Achse und die Hypothalamus-Hypophysen-Nebennierenrinden-Achse aus. Zu den entsprechenden peripher-autonomen physiologischen Prozessen gehören die Erhöhung der Herzfrequenz, der Muskelspannung und des Blutdrucks, die Beschleunigung von Puls und Atmung und die vermehrte Ausschüttung von Adrenalin und anderen ergotropen, d. h. aktivierenden Hormonen.

Diese Aktivierung findet auch heute noch bei uns Menschen statt, auch wenn es in der Regel nicht mehr um Leben oder Tod geht. Doch der Abbau der Bereitstellungsenergie findet nicht auf die ursprünglich nützliche Weise durch Kampf oder Flucht statt – auch wenn dem einen oder anderen in seinem Stressalltag innerlich »zum Davonlaufen« ist. In unseren heutigen Stresssituationen erleben wir diese Aktivierung als Energie, die einem je nach individueller Einschätzung die Kraft gibt, sich mit der Situation aktiv auseinanderzusetzen, oder man fühlt sich hilflos und ausgeliefert, und die Energie wird nicht abgebaut. Der Ärger über den Kollegen, den Chef oder den Nachbarn, die Sorge, sich mit der neuen Aufgabe übernommen zu haben oder dass die Kinder die Schulleistungen nicht erbringen könnten: All dies bietet kaum Möglichkeiten zum körperlichen Ausagieren und damit zum Abbau der Bereitstellungsenergie.

Was ursprünglich sinnvoll war, wird nun zur Belastung. Menschen unter Stress berichten daher über verstärktes Schwitzen, Kreislauf- und Magenbeschwerden, Kopfschmerzen und Schlafstörungen. Die negative Einschätzung dieser Vorgänge kann zudem die Besorgnis und Aufgeregtheit verstärken und dadurch die Informationsverarbeitung beeinträchtigen. Besorgnis und Aufgeregtheit können sich durch negative Aufmerksamkeits- und Bewertungsprozesse aufschaukeln und das rationale Denken weitgehend blockieren.

Das akute Stresssyndrom

Akutes Stresssyndrom ist Energie- und Reflexsystem für

Flucht (Vermeidung)

Angriff (Auseinandersetzung).

Stresssyndrom bewirkt

Kreislaufprobleme

Schwitzen

Magenbeschwerden

Kopfschmerzen

Schlafstörungen

Angst (Extremfall: Denkblockade, Blackout)

depressive Symptome.

Doch was führt bei uns Menschen dazu, dass wir eine Situation als stressig einschätzen? Nach dem allgemein anerkannten transaktionalen Ansatz (Lazarus a. Folkman 1984) entsteht Stress durch individuelle Bewertungsprozesse. Stressentscheidende Faktoren sind demnach:

Die Situation wird als bedeutend eingeschätzt.

Eine ungünstige Bilanz zwischen eingeschätzten Situationsanforderungen und eigenen Ressourcen wird vermutet.

Abb. 1: Stress-Lust-Schaukel

Eine Situation ist bedeutend für jemanden, wenn zentrale Ziele und Werte betroffen sind, z. B. Gesundheit, Anerkennung oder Erfolg. Wem harmonische soziale Beziehungen wichtig sind, der leidet mehr unter ständigen Konflikten am Arbeitsplatz oder der Stagnation in der Partnerschaft.

Es ist für Therapeuten nicht immer leicht nachzuvollziehen, wenn ein Patient sich offensichtlich in eine Idee verrannt hat, an einer Situation leidet, die augenscheinlich doch harmlos scheint. Erst aus dem Weltbild des Betroffenen kann man seine Betroffenheit nachvollziehen.

Auch die Einschätzung der Bewältigungsmöglichkeiten ist immer subjektiv und hängt dabei wieder von Personmerkmalen ab, z. B. davon, welche Erfahrungen die Person mit ähnlichen Situationen verbindet und als wie kontrollierbar sie die Situation einschätzt. Solche Einschätzungen bzw. Überzeugungen können sich auf einen bestimmten Bereich oder Inhalt beziehen (situationsspezifische Kompetenzeinschätzung). So fühlt sich jemand zum Beispiel in der Lage, ein bestimmtes Problem zu bewältigen oder unter Zeitdruck konzentriert zu arbeiten. Doch bei einem anderen Problem fühlt er sich unfähig oder arbeitet erst auf den letzten Drücker an den anstehenden Aufgaben.

Schätzen sich Menschen im Allgemeinen als sehr selbstwirksam und kompetent ein und zeigen auch gewöhnlich weniger Leistungsängstlichkeit (Angst vor Misserfolg), dann erleben sie Situationen generell als kontrollierbarer und nehmen vergleichbare Anforderungen eher im Sinne einer Herausforderung wahr.

Die Bewältigung einer Belastung ist vom Zugang zu ganz unterschiedlichen Ressourcen abhängig und erfordert hierfür unterschiedliche Fertigkeiten (z. B. Unterstützung holen, eine weitere Arbeitsbelastung abwehren können, einen Konflikt lösen können; Arbeitsskills dafür, eine Arbeit gut planen und durchführen zu können). Die betreffende Person muss aber auch in der Lage sein, ihre Aufmerksamkeit aufgabenspezifisch zu zentrieren (Fokussierung), andere Wahrnehmungen auszublenden (Dissoziation) und eine physiologisch-emotionale Eskalation zu vermeiden (Distanzierung).

Ist eine Person nicht in der Lage, das anstehende Problem zu lösen, bleibt die Stressbelastung bestehen. Kann die Person das nicht anderweitig kompensieren, ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass sich die akute Stresssymptomatik ausweitet.

Doch was genau passiert im Gehirn, wenn die Stressreaktion ausgelöst wird, und wie wertet das Gehirn die Erfahrung damit aus?

2.1 Was passiert im Gehirn unter Stressbedingungen?

Wird eine ungünstige Bilanz zwischen eingeschätzten Situationsanforderungen und eigenen Ressourcen vermutet, kommt es zur beschriebenen neuroendokrinen Stressreaktion und damit einhergehenden Aktivierung limbischer Hirnregionen (in der Amygdala). Der Körper reagiert mit der Ausschüttung von Hormonen. Dabei werden zwei unterschiedliche physiologische Systeme angesprochen: die sympathico-adreno-medulläre Achse mit den Hormonen Noradrenalin, Adrenalin und Testosteron und die Hypothalamus-Hypophysen-Nebennieren-Achse mit den Hormonen ACTH und Glucocorticoiden wie z. B. Cortisol.

Die sich ausbreitende unspezifische Aktivierung kennzeichnet die Störung des bisherigen emotionalen Gleichgewichts. Ist die Situation kontrollierbar, wird sie erfolgreich bewältigt und wird das belohnt, wird die Aktivierung der stresssensitiven Zentren wieder zurückgefahren, und das emotionale Gleichgewicht ist wiederhergestellt.

Das erfolgreiche Bewältigungsverhalten führt zu einer Bahnung und Stabilisierung der damit verbundenen Verschaltungsmuster (durch kurzfristige Ausschüttung von z. B. Dopamin, Noradrenalin, Vasopressin). Diese mit einer Stressreduktion verbundenen Bahnungsprozesse sind tiefgreifender und nachhaltiger, als wenn sie durch eine stressunabhängige Nutzung entstünden und aufrechterhalten würden. Sie werden allerdings auch rascher und effektiver strukturell verankert und sind später nur schwer durch neue Erfahrungen wieder überschreibbar.

Bleibt die Stresssituation länger unkontrollierbar bzw. bleiben die stressigen psychosozialen Konflikte unbewältigbar, führt dies zu einer Destabilisierung der vergeblich angewandten und der bereits etablierten neuronalen Verschaltungsmuster (hier durch langfristig vermehrte Ausschüttung von Signalstoffen, z. B. Cortisol).

Dies zeigt also, dass das Gehirn sämtliche mit erfolgreicher Stressbewältigung assoziierten Erlebnisinhalte für die Wiedererkennung und Wiederverwertung speichert.

Doch welches sind die Faktoren im Gehirn, die darüber entscheiden, ob eine Stressreaktion gebändigt wird oder eskaliert?

2.1.1 Emotionales Hirn bestimmt rationales Hirn?

Stimmt es, dass das weitaus ältere Gehirn, das limbische System, unser rationales Denken und Planen im Großhirn dominiert?

Betrachten wir hierzu die Anatomie und Physiologie unseres Gehirns. Der Mensch trägt neben dem Großhirn (dem kognitiven Hirn) auch die Strukturen aus vorherigen Evolutionsphasen in sich: das limbische System, auch emotionales Gehirn genannt. Es kontrolliert die Körperphysiologie; wie eine Kommandozentrale wertet es die einlaufenden Informationen aus verschiedenen Körperregionen aus und reguliert sie. Es sorgt so für ein dynamisches Gleichgewicht (die Homöostase), das uns am Leben erhält, und es sorgt für eine schnelle Reaktion bei Gefahr.

Während im rationalen Gehirn unser bewusstes logisches Denken und Planen stattfindet, entzieht sich das emotionale Gehirn unserer bewussten Kontrolle. Das limbische Gehirn ist primitiver organisiert, und da es sich bei ihm um Überlebensreaktionen handelt, laufen die Entscheidungen hier schneller ab.

Obgleich diese beiden Gehirne relativ unabhängig voneinander sind, beeinflussen sie sich in unterschiedlicher Weise. Kooperation oder Konkurrenz?

2.1.2 Kooperation oder Konkurrenz?

Das emotionale Gehirn ist immer aufmerksam und überwacht die Umgebung im Hinblick auf mögliche Gefahren oder gute Gelegenheiten. Es löst im Notfall innerhalb weniger Millisekunden eine Alarmreaktion aus. Damit die gesamte Hirnaktivität auf die Bewältigung der Gefährdungssituation eingestellt werden kann, werden bei übermäßigem Stresserleben und überbordenden Gefühlen gleichzeitig sämtliche Vorgänge im kognitiven Gehirn unterbrochen. Das emotionale Gehirn hat damit die Möglichkeit, das höher entwickelte kognitive Gehirn »offline« zu schalten. Stattdessen übernimmt das emotionale Gehirn mit seinen Gefühlen auch das Denken. So sind viele Handlungsweisen rational nicht mehr begründbar. Es geht auf der Gefühlsebene um das nackte Überleben. Menschen, die eine Panikattacke durchmachen, haben dieses Gefühl, kurz vor einem Herzinfarkt zu stehen. Ist das emotionale Gehirn zu sehr sensibilisiert, kann es bei kleinsten Anlässen vorsichtshalber die Kontrolle übernehmen und Alarm auslösen: die Frequenz des Herzschlags und des Pulses schnellen hoch, und durch die Ausschüttung des Adrenalins werden Bewertungsfunktionen des kognitiven Gehirns unterbunden. Die betreffende Person ist nicht mehr in der Lage, angemessen auf die eigentlich ungefährliche Situation zu reagieren.

Doch das kognitive Gehirn ist dem emotionalen nicht immer hilflos ausgeliefert. Durch bewusste Aufmerksamkeit ist es in der Lage, gefühlsmäßige Reaktionen zu dämpfen und unter Kontrolle zu halten. Menschen können lernen, Gefühle zu unterdrücken, was allerdings auch seine Nachteile hat. Wer unempfindlich wird gegenüber den Botschaften seines emotionalen Gehirns, dem fällt es schwer, Entscheidungen zu treffen – es fehlt dann dieses innere Gefühl, das »Bauchgefühl« oder »die innere Stimme«. Auch wenn durch Hirnverletzungen Denk- und Wahrnehmungsapparat vom emotionalen Gehirn abgekoppelt werden, fällt es einem Menschen schwer, Entscheidungen zu treffen, denn es ergibt nicht mehr richtig »Sinn«. Eine solche Person kann sich in Detailüberlegungen verlieren, weil es keine »aus dem Bauch kommenden« Vorlieben mehr gibt.

Für ein therapeutisches Vorgehen bedeuten diese Befunde, dass für aktuelle wie chronische Stressbelastungen die emotionale Kontrolle ein entscheidender Faktor ist. Es gilt, möglichst frühzeitig die Abstimmung von emotionalem und rationalem Gehirn zu fördern, eine Eskalation der Gefühle zu verhindern und so auch rational sinnvollere Problemlösungen zu ermöglichen. Ebenfalls sollten früh angelegte ungünstige emotionale Muster korrigiert und mit positiven Erlebnismustern überschrieben werden. Dies ist wichtig für den Umgang mit einer akuten Stresssituation wie auch für die Bewältigung längerer Stressphasen und zur Verbesserung der Resilienz.

3 Dauerstress

Die belastenden Lebensumstände dauern an, oder es kommen neue hinzu. Jeder kennt das, es gibt Phasen im Leben, da scheint immer noch etwas dazuzukommen, und die Belastung nimmt nicht ab. Aber es sind nicht nur die scheinbar wichtigen Dinge im Leben. Die Forschung zeigte, dass auch die kleinen alltäglichen Belastungen (daily hassles) – die Summe der kleinen Ärgernisse im Alltag – zum Dauerstress beitragen können. Selbst erfreuliche Ereignisse schlagen dabei negativ zu Buche, und der große Lottogewinn, die Beförderung oder die Geburt des Kindes muss auch bewältigt und verarbeitet werden.

Dazu muss ich die Situationen auch ausreichend erfassen und nachvollziehen können. Denn die Gefahr von Stress und Überforderung lauert auch, wenn das, was mir widerfährt, nicht ausreichend differenziert erklärbar ist. Kann ich eine Situation nicht ausreichend erfassen, werde ich auch keine sinnvollen Bewältigungsstrategien ableiten können. Ob im Studium, im Beruf oder Privatleben, wenn ich weiß, was genau von mir verlangt wird, kann ich (sofern ich will) mich danach richten.

Doch selbst hier spielt die Einstellung der betroffenen Person wieder die entscheidende Rolle. Je mehrdeutiger eine Situation ist (Ambiguität), desto stärker wird das Stresserleben zudem von den jeweiligen Personenfaktoren bestimmt (Lazarus u. Folkman 1984; Jerusalem 1990). Wie geht eine Person mit Uneindeutigkeiten in der Situation um? Kann sie aktuelle Unklarheiten und Widersprüche akzeptieren, macht das Beste daraus und holt sich womöglich aktiv klärende Informationen? Oder bleibt sie passiv, lässt sich einschüchtern und resigniert in gewisser Weise?

Entscheidende Faktoren bei der Stressentstehung und Stressaufrechterhaltung sind dahinter stehende korrespondierende ungünstige Lebenseinstellungen und Bewältigungsressourcen (Personvariablen).

Die vielen Probleme sind zunächst einzelne Aufgaben, die gelöst sein wollen. Zum anderen rückt der eigene Umgang mit der Summe der Aufgaben ins Blickfeld.

Bernhard Trenkle beschrieb es einmal mit dem Bild, dass General Custer die Schlacht am Little Big Horn sicher gewonnen hätte, wenn die Indianer einzeln über den Hügel gekommen wären.

Die Lebensaufgaben stellen sich uns nicht nacheinander. Es bedarf auch im Lebenskampf einer sinnvollen Strategie im Umgang mit Mehrbelastungen und unterschiedlichen Problemen. Die Einschätzung der eigenen Möglichkeiten, die man zur Verfügung hat, um diese vielfältigen Belastungen zu bewältigen, ist erneut der entscheidende Faktor.

Gerade Menschen unter chronischer Stressbelastung verhalten sich oft gesundheitsschädigend. Sie bewegen sich zu wenig, haben ungünstige Trink- und Ernährungsgewohnheiten und greifen häufiger zu künstlichen Anregungsmitteln. Dann eskalieren nicht selten zwischenmenschliche Uneinigkeiten zu massiven Konflikten, statt dass gerade hier auf eine soziale Unterstützung hingearbeitet würde. Gerade unter chronischer Stressbelastung ist auch eine Lebensgestaltung wichtig, die zentrale Lebenseinstellungen und Grundüberzeugungen widerspiegelt. Es muss auch Sinn ergeben, all die Belastungen auf sich zu nehmen. Ohne Erleben von Sinnhaftigkeit wird das Leben als Last empfunden und jede sich stellende Aufgabe als Qual erlebt.

Bedingungsfaktoren im Zusammenhang mit chronischem Stress:

in der Situation:

länger belastende Lebensumstände

Summe alltäglicher Belastungen

in der Person:

Bewältigungsressourcen

Lebensgestaltung, soziale Unterstützung

Lebenseinstellungen, Grundüberzeugungen

3.1 Das chronische Stresssyndrom

Dauerstress kann zu Überlastungssymptomen wie Depression oder Burn-out oder zur Verschlimmerung somatischer oder psychischer Krankheiten führen bzw. ihre Heilung erschweren.

Bei dauerhafter Belastung bleiben einige hormonelle und autonome Reaktionen auch in Zwischen- und Ruhezeiten verändert. Es kommt zu Immunsuppression und psychophysiologischen Störungen (Ulcus, Bluthochdruck, Kopfschmerz, Gastritis) und einer Reihe anderer, oft durch anhaltende Corticosteroid-Ausschüttung verursachten Organschäden.

Doch die Menschen reagieren nicht alle gleich auf andauernden Stress, sondern mit unterschiedlichen Folgen. Bei passiver Bewältigungstendenz kommt es zu Schäden bevorzugt im intestinalen System und im Immunsystem (führen z. B. zu Zwölffingerdarmgeschwür, Asthma), bei anhaltend vergeblichen aktiven Bewältigungsversuchen entstehen vorwiegend Schäden des kardiovaskulären Systems und des Muskel- und Halteapparats (führen z. B. zu chronischen Muskelschmerzen).

In der Wechselwirkung von Hirnchemie und Körperfunktionen zeigen sich ganz unterschiedliche Stresstypen. Bei dem einen Typus führt der Stress im Büro schnell zu Reizbarkeit und Erschöpfung, während der andere lange nichts von seiner Stressbelastung wahrnimmt und erst am Wochenende oder im Urlaub von Erschöpfungsgefühlen überfallen wird. Die Unterdrückung von Gefühlen kann massive Auswirkungen haben, denn man verliert dadurch die Fähigkeit, die kleinen Warnsignale des emotionalen Gehirns zu beachten. Sein Aufrühren drückt sich dann stattdessen in körperlichen Symptomen aus.

3.2 Diagnostische Zuordnung

Im DSM-IV wird angenommen, dass jede Krankheit durch psychische Faktoren, wie etwa Stress, beeinflusst werden kann (siehe Sass, Wittchen u. Zandig 2001). Daher wird die Diagnose dem breiten Bereich »Andere Bedingungen, die Anlass zur Beobachtung oder Behandlung geben« zugeordnet. Im ICD-10 ist es die Kategorie »Psychische Faktoren bei andernorts klassifizierten Erkrankungen«, wobei hierfür immer eine Diagnose auf Achse III des DSM-IV oder aus einem anderen Kapitel des ICD-10 (siehe Dilling et al. 2005) zu stellen ist.

Stress kann verschiedene pathologische Prozesse fördern. Es kann zu ungünstigen körperlichen Reaktionen kommen (z. B. zur genannten stressbedingten Verschlimmerung von Ulcera und Hypertonie oder zu Spannungskopfschmerz) oder stressbedingt zu pathogenen Bewältigungsstilen (z. B. zur Verleugnung der Notwendigkeit einer Operation oder zu einem Typ-A-Verhalten, das zu einer kardiovaskulären Erkrankung beiträgt). Dysfunktionales soziales Verhalten wirkt sich auf der zwischenmenschlichen Ebene aus (z. B. als verminderte Konfliktfähigkeit) und kann kulturell bzw. familiär geprägte dysfunktionale Verhaltensmuster aktivieren (z. B. Gewaltneigung). Auch Angststörungen kann man als stressbedingt auffassen. Der Schnittpunkt von Angst und Stress liegt in der subjektiven Bedrohung und trifft hier sowohl den Examensängstlichen (= akutes Stresssymptom) wie auch den Burn-out-Betroffenen (= chronisches Stresssyndrom).

Stress ist bei allgemein chronischen Erkrankungen ein wichtiger Faktor, wenngleich nicht der einzige. Nach Grossarth-Maticek (2000) entstehen sie in der Wechselwirkung dreier Faktoren, es sind:

behinderte Selbstregulation

System-/Organüberforderung

familiär-genetische Prädisposition für bestimmte Erkrankungen.

Möglichkeiten des Einflusses auf den ersten Faktor spielen für unser Anliegen im Umgang mit akutem und chronischem Stress eine entscheidende Rolle. Sie werden in den nachfolgenden Kapiteln zur Stressbehandlung im Einzelnen genauer ausgeführt.

Chronischer Stress und seine psychoreaktiven Folgen: Anhaltende Stressbelastung in Verbindung mit dysfunktionalen Bewältigungstendenzen birgt die Gefahr gesundheitlicher Überlastungsreaktionen. Mögliche Stressfolgen sind dann:

Ursache

und

Verschlimmerung

somatischer oder psychischer Krankheiten bzw. Erschwerung ihrer Heilung

bei passiver Bewältigungstendenz:

Schäden v. a. im intestinalen und Immunsystem (Zwölffingerdarmgeschwür, Asthma …)

bei aktiven Bewältigungsversuchen

(anhaltend, vergeblich):

Schäden v. a. des kardiovaskulären Systems und des Muskel- und Halteapparats (z. B. chronische Muskelschmerzen)

depressive Reaktion, Burn-out

.

3.3 Burn-out

3.3.1 Burn-out – Was ist das eigentlich?

Das Burn-out-Syndrom (umgangssprachlich: »Ausgebranntsein«) wurde vom Psychoanalytiker Herbert Freudenberg Mitte der 1970er-Jahre eingeführt als gesundheitliche Folge beruflicher Überlastung. Heute versteht man darunter eine Entwicklungsdynamik mit geistiger, emotionaler und körperlicher Erschöpfung – in Zusammenhang mit beruflichen oder berufsähnlichen Tätigkeiten und Funktionen.

3.3.2 Burn-out durch chronischen Stress

Das Phänomen »Burn-out« nimmt im öffentlichen Raum wie im medizinischen Bereich immer mehr Aufmerksamkeit ein. Vorteilig ist, dass dadurch das Stigma aufgrund einer psychischen Erkrankung erkennbar reduziert wird.

Doch besteht noch ein erheblicher Forschungsbedarf zum Burn-out-Syndrom. Es gibt keine gesicherten Erkenntnisse, weder über die Prävalenz noch die Inzidenz dieses Syndroms. Burn-out wird mitunter als die Folge von chronischem Stress in Zusammenhang mit hoher Arbeitsbelastung gesehen. Aufgrund der hohen Dauerbelastung können demnach zusätzlich auftretende Belastungen und Krisen nicht ausreichend bewältigt werden.

Die Anfälligkeit für Burn-out ist individuell unterschiedlich, und gewisse Persönlichkeitsmerkmale können sie durchaus fördern. Wer nach Prämissen lebt, die viel Leistung und Perfektionismus fordern, wer zur Selbstüberschätzung neigt oder wer zudem schlecht Nein sagen kann, der wird die anfallende Arbeitsmenge nur schwer abarbeiten können.

Für die Entstehung von Burn-out identifizierte Christina Maslach (2001) sechs Missverhältnisse:

Arbeitsüberlastung (in Form von Anerkennung, Entlohnung)

Mangel an Kontrolle

unzureichende Entschädigung

Ungerechtigkeit

Zusammenbruch der Gemeinschaft

Wertekonflikt.

Demnach schaffen auch unüberschaubare globale Prozesse Unsicherheit und haben Folgen für individuelle Entscheidungen. Wer nur einen Zeitvertrag hat, braucht mehr innere Stärke, um sich gegen schwierige Arbeitsbedingungen zu behaupten. Veränderungsdruck durch Rationalisierung und Computerisierung kann zu immer neuen Aufgabenprofilen führen, Arbeitsverdichtung und die ständige Erreichbarkeit mit permanentem Reaktionsdruck fördern Gefühle von Kontrollverlust. Enttäuschungen, etwa durch mangelnde Anerkennung, tragen die Gefahr »innerer Kündigung« mit als Antriebsstörung kaschiertem Motivationsmangel. Hinzu kommen Wertekonflikte, wenn das Zwischenmenschliche durch den Konkurrenzdruck im beruflichen Umfeld nicht ausreichend gelebt werden kann.

3.4 Diagnostische Zuordnung

Nach dem internationalen Diagnoseschlüssel der ICD-10 ist Burn-out keine Krankheit. Sie wird dem Abschnitt »Probleme mit Bezug auf Schwierigkeiten bei der Lebensbewältigung« (Z73.0) zugeordnet, ist eine Rahmen- oder Zusatz- und keine Behandlungsdiagnose.

Häufig werden stattdessen Depressive Episode, Erschöpfungsdepression, Anpassungsstörung diagnostiziert. Ein »reines« Burn-out-Syndrom schließt die Diagnose einer Neurasthenie (Erschöpfungs-syndrom, F48.0) aus.

Eine Abgrenzung zur Depression kann beim Burn-out durch seinen speziellen Zusammenhang mit dem beruflichen Kontext gesehen werden. Bei anfänglich hoher Arbeitsleistung und hoher Motivation zeigt sich in einer frühen Phase Agitiertheit. Zugunsten der Arbeit wird dann vieles zurückgestellt oder gar aufgegeben, was einem früher auch noch wichtig war (Freunde, das Hobby).

In der Spätphase treten Symptome von Antriebslosigkeit und Gefühlen der Lähmung auf. Hier ist Burn-out kaum noch von der Depression zu unterscheiden.

Burn-out-ähnliche Beschwerden können auch als Frühsymptomatik einer anderen körperlichen Erkrankung erscheinen. So kann es auch bei Infektionskrankheiten, Tumorerkrankungen, multipler Sklerose oder Depressionen zu Überforderungsgefühlen kommen, zu Erschöpfungsgefühlen oder Insuffizienzerleben. Daher gilt es, dies abzuklären. Auch die Burn-out-Symptomatik kann Vorbote einer Angststörung oder depressiven Erkrankung sein, wodurch es zu Leistungseinschränkung kommt.

3.5 Typische Phasen

Burn-out kann als krisenhafter Prozess angesehen werden, und der Verlauf kann sehr unterschiedlich ausfallen. Die Entwicklung lässt sich in jeder Phase aufhalten. Wolfgang Elger (2012) unterscheidet vier Phasen:

1)

Enthusiasmus

»Wer ausbrennt, muss auch mal gebrannt haben«, umschrieb Gunther Schmidt einmal den Burn-out-Verlauf; Hinweiszeichen: Mehrarbeit mit entsprechender Gratifikation, Gefühl der Unentbehrlichkeit, Beschränkung sozialer Kontakte

2)

Sinnverlust

Verlust durch enttäuschende Erfahrungen, negative Einstellung zur Arbeit

3)

Symptombildung

z. B. depressive Verstimmung, Schlafstörungen, Immunschwäche, Verspannungen, Süchte (als Schlafhilfe), Ängste, Panik

4)

Dekompensation

Hoffnungslosigkeit (»Ich kann nicht mehr«, »Nichts geht mehr«), Arbeitsunfähigkeit.

Häufiger Zusatzfaktor bzw. -auslöser in den letzten beiden Phasen ist eine erhöhte Vulnerabilität durch belastende Lebensereignisse in der Zeit davor. Hinzu kommen dann innere Zusatzantreiber (»Ich darf nicht fehlen«) und der Zusatzstress wegen des erfolgten Leistungsabfalls. Der Arbeitsumfang erscheint so immer weniger bewältigbar.

3.5.1 Ursachen und Auslöser einer Burn-out-Entwicklung

Als Auslöser und Ursachen können persönlich private wie auch berufliche Faktoren eine Rolle spielen und zur Arbeitsüberforderung beitragen. Mögliche Burn-out-Risiken:

Eine als unerträglich empfundene private oder berufliche Situation erscheint nicht veränderbar,

wichtige (mitunter unbewusste) Ziele erscheinen dadurch unerreichbar

wenig Sinnorientierung

3.6 Aspekte der Prävention

Präventive Maßnahmen lassen sich aus den Belastungsfaktoren der potenziell Betroffenen ableiten. Untersuchungen zeigen, dass auf der Seite der Arbeitsgestaltung einige Faktoren der Entwicklung von Burnout bzw. einer chronischen Stresssymptomatik entgegenwirken. Sinnvoll wäre daher, übermäßigen Druck aus den Arbeitsabläufen zu nehmen, eine gewisse Aufgabenvielfalt und Freiräume zur individuellen Gestaltung der Arbeit zu ermöglichen, die Zusammenarbeit und die Kommunikation unter den Kollegen zu verstärken und so die Gefahr von einzelgängerischem Überengagement zu reduzieren und eine positive Feedbackkultur zu fördern. Neben diesen Faktoren, die der Einzelne mitunter nur bedingt beeinflussen kann, sind es die persönliche Einstellung des Betroffenen und sein Verhalten, was die Menschen darin unterscheidet, ob sie unter ähnlichen äußeren Bedingungen eine Stresssymptomatik entwickeln oder nicht. Personenbezogene Faktoren, welche präventiven Charakter haben, zielen auf folgende Aspekte ab (Bergner 2010), nämlich auf eine Verbesserung im Hinblick auf:

Ressourcenfokussierung

Eigenbestimmtheit und Zeitsouveränität

Selbstwirksamkeit/Eigenbestimmtheit

Zufriedenheits-»Management« (»Wie gewinne ich Zufriedenheit«?)

Stresstoleranz

kommunikative Kompetenz

Situationstoleranz und Rollensicherheit

Zielorientierung

Sinnannäherung.

Zeigen sich bei den Betroffenen (noch) keine klinisch relevanten Symptome, können diesbezügliche Präventivprogramme, ob in Gruppensettings oder Einzelcoachings, durchaus hilfreich sein. Dessen ungeachtet bleiben als Ziele die genannten notwendigen Veränderungen der Arbeitssituation.

Für die Umsetzung in ein hypnotherapeutisches Vorgehen bilden die genannten Faktoren der Prävention den Zielrahmen, innerhalb dessen individuelle Schwerpunkte entscheidend sein werden.

3.7 Zusammenfassung

1)

Stress findet vorwiegend im Kopf statt! Er ist abhängig:

von der subjektiven Bewertung der Situation

von Vorerfahrungen, der Einschätzung eigener Handlungsmöglichkeiten