Ich atme mit dem Herzen - Maryse Holder - E-Book

Ich atme mit dem Herzen E-Book

Maryse Holder

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Beschreibung

Maryse Holder wurde 1977 in Mexico City von einem Unbekannten ermordet. Sie war 36 Jahre alt. Bevor sie nach Mexiko reiste, um sich und ihre weibliche Sexualität zu erkunden, hatte sie in New York der Frauenbewegung angehört, eine glanzvolle Universitätskarriere abgebrochen. Wie groß ihre literarische Begabung war, davon zeugen ihre überwältigend ironischen, hellsichtigen Briefe an eine Freundin zu Hause. Was um ein Haar ihr Glück hätte werden können – Sinnlichkeit, Lebensgier, Erkenntniswut – wurde ihr zum Verhängnis. Süchtig nach Unabhängigkeit und zugleich abhängig von männlicher Bestätigung, blieb sie: das Opfer.

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Maryse Holder

Ich atme mit dem Herzen

Aus dem Englischen von Uta Goridis

Ihr Verlagsname

Mit einer Einführung von Kate Millett

Über dieses Buch

Maryse Holder wurde 1977 in Mexico City von einem Unbekannten ermordet. Sie war 36 Jahre alt. Bevor sie nach Mexiko reiste, um sich und ihre weibliche Sexualität zu erkunden, hatte sie in New York der Frauenbewegung angehört, eine glanzvolle Universitätskarriere abgebrochen. Wie groß ihre literarische Begabung war, davon zeugen ihre überwältigend ironischen, hellsichtigen Briefe an eine Freundin zu Hause. Was um ein Haar ihr Glück hätte werden können – Sinnlichkeit, Lebensgier, Erkenntniswut – wurde ihr zum Verhängnis. Süchtig nach Unabhängigkeit und zugleich abhängig von männlicher Bestätigung, blieb sie: das Opfer.

Über Maryse Holder

Maryse Holder, 1940 geboren, hat in New York der Frauenbewegung angehört. Sie wurde 1977 in Mexiko City von einem Unbekannten ermordet.

Inhaltsübersicht

Mein besonderer Dank ...EinleitungErster Teil [1]Erster Teil [2]Zweiter Teil [1]Zweiter Teil [2]Nachwort

Mein besonderer Dank gilt den folgenden, an dem Zustandekommen dieses Buches Beteiligten: Laurie Sucher, die «magische connection»; Susan Axelrod, die die Gruppe ins Leben gerufen hatte; Tom Paino für seinen wundervollen Brief und seine hilfreichen Hinweise und Anregungen; Augusta Walker für ihr Entgegenkommen und ihre Hilfe bei allen auftretenden Schwierigkeiten; Bonnie Leeds für ihr aufrichtiges Interesse; Iris Ludwig für ihr Interesse und ihre Hilfsbereitschaft; Carol Goldner für ihr Interesse und ihre Hilfe; Harriet Yarowsky, die zwanzig Jahre lang einen Brief aufbewahrt hatte; Selma Yampolsky für ihre unschätzbare Hilfe und ihre Beiträge; und natürlich Stanley Kline, der das ganze Projekt erst ermöglichte. Insbesondere danke ich auch Kate Millett, der eine ganz besondere Aufgabe zukam. Und schließlich möchte ich Kent E. Caroll, dem Lektor bei Grove Press danken, der uns mit Rat und Tat zur Seite stand.

Edith Jones

Einleitung

Diese Briefe sind der Bericht einer Frau, die ihrem Tod entgegenging, einem Tod, der nicht nur einfach über sie hereinbrach, sondern auch von ihr provoziert wurde. Das erste, was ich von der Verfasserin hörte, war, daß es sich um eine junge amerikanische Schriftstellerin handelte, die in Mexiko umgebracht worden war. Und daß ihre Freunde versuchten, ihre Briefe zu veröffentlichen. Freunde von mir, die wiederum mit Freunden von ihr befreundet waren – eine Schar Getreuer, die sich um die einzige Sache, die sie hinterlassen hatte, das einzige Dokument ihres Lebens, seine Erklärung versammelt hatten –, baten mich es zu lesen. Ich war so gefesselt davon, daß ich nicht ablehnen konnte. Und ich fand eine Schwester, eine Abenteuerin, eine Verrückte, so kühn wie ein früher Henry Miller, so selbstzerstörerisch wie Janis, die Stimme Genets in einer Frau, die ein unverfälschtes Amerikanisch sprach – das Amerikanisch, das wir im Umgang mit unsern Freunden benutzen: völlig ungezwungen, knallhart und schnoddrig – eine Stimme, die mir seit Jahren im Kopf herumgeht, auf die ich gelegentlich auch in meinen privaten Briefwechseln stoße, die ich aber noch nie gedruckt sah. Seit Frauen ihr neues Bewußtsein formulieren, habe ich noch nie eine so authentische Stimme gehört, eine Stimme, die so vollkommen in Sprache umgesetzt wurde, wie die Stimme von Maryse.

Aber das war auch die Tragödie. Die Frau, der diese Stimme gehörte, das dahinterstehende Bewußtsein – das Bewußtsein einer Amerikanerin, die die beste Erziehung genossen hatte, die literarisch gebildet und Literatur sogar schon unterrichtet hatte, eine belesene Kritikerin – ist auch eine Frau, die nicht nur einmal, sondern auch noch ein zweites Mal (Teil I und Teil II beschreiben zwei verschiedene Reisen) nach Mexiko gefahren war, um sich dort von immer jüngeren Typen, Rumtreibern und Gigolos auflesen, anmachen, «umlegen» und reinlegen zu lassen. Langsam, aber sicher zerstörten sie ihre ganze Persönlichkeit, ihre Selbstsicherheit, ihr Selbstvertrauen und sogar ihre Selbstachtung. Bis sie dann anscheinend einer von ihnen schließlich umbrachte. Ihre Stimme zum Schweigen brachte, ihr Bewußtsein auslöschte.

Es ist immer dasselbe. Das Schicksal einer Frau. Maryse Holders Fall ist vielleicht extrem, aber dafür um so deutlicher. Wir sind alle so konditioniert, daß wir uns selbst zerstören und vernichten wollen. Wir setzen alles, was wir aus unsern geringen Möglichkeiten gemacht haben, unsere ganzen Bemühungen aufs Spiel – und zur Hölle damit. Angeblich weil A. nicht anruft, oder B. sich nichts aus uns macht, oder C. uns verläßt. In Wirklichkeit jedoch, weil man das von uns erwartet; die Welt, unsere Geschichte, unsere kollektive Vergangenheit zwingen uns, auch das bißchen Freiheit, das wir errungen haben, aufzugeben. Ein Terrain, das wir abgesteckt und beansprucht hatten. Sogar mit rhetorischem Aufwand. Weil wir wußten, daß es eine völlig illegale Sache war. Nicht den Regeln entsprach, Regeln, die wir schließlich nur zu gut kannten.

Frauen konnten ihr nicht viel weiterhelfen, es war noch zu früh. Sie sah sich also ohne Verbündete einer Macht gegenüber, die sie als sexuelles Verlangen, als heterosexuellen Flirt, als Amour betrachtete. Sie unterschätzte diese Macht jedoch, unterschätzte ihre Tücke. Sie glaubte, sie können kommen und gehen, wie es ihr paßte. Könnte damit herumexperimentieren.

Statt dessen wurde sie von ihr zerstört; kein pseudo-archeologisches Blutopfer wie Lawrence, sondern brutale mexikanische Großstadtjugend, eine typisch weibliche Neurose wegen ihres Aussehens, Tausende von geplatzten Rendezvous, Alkohol, Abenteuer, die nicht länger als eine Nacht dauerten, idiotisches, verzweifeltes Händeringen, weil sich irgendwelche Versprechungen und Anrufe nicht realisierten, führten zu ihrem Untergang. Sie «kriegten» sie auf eine so banale Art und Weise dran. Ließen sie völlig nackt und hilflos zurück, nichts weiter als ein Teenager, der auf den Anruf seines boyfriends wartet, gealtert, alkoholsüchtig, ohne Zufluchtsmöglichkeiten. Außer Edith.

Die unbesungene Heldin dieses Martyriums, seine Zeugin. Edith. Eine Freundin. Wir wissen kaum etwas über sie. Außer das, was Maryse ihr schreiben konnte. Und es gab nichts, das sie ihr nicht anvertrauen konnte. Edith «begreift», berät, stimmt zu, hört sich alles an. Das weibliche Alter Ego, das alles versteht, alles vergibt, eine Freundin, von der jede Frau träumt, ein offenes Ohr. Und in dieses Ohr ergoß sich ein Leben. Wie schade, denke ich, als ich Maryses Briefe lese, daß die Vertraute nicht auch die Geliebte sein konnte; die Liebhaber, die sie beschreibt, sind so unwürdige Vertraute. So gefühllos. Sie verhalten sich eher wie Feinde; der Exotik, die ein Miguel, Luis, Andrés, etc. ausstrahlten, opferte sie, ohne zu zögern, ihren amerikanischen Freund Stan. Und Frauen scheinen nicht in Frage zu kommen, es fällt ihr leichter, oder zumindest hat sie weniger Angst davor, der männlichen Gleichgültigkeit das Genick zu brechen, als dieses Tabu zu verletzen. Edith bleibt also eine Freundin, die einzige, die bei ihr bleibt, als alle andern die Verzweifelte, in deren Bewußtsein wir leben – eine bedrückend ausweglose, gnadenlose und überwältigende Erfahrung – im Stich lassen. Und als es dann erlosch, lebte ihr Geist in Edith weiter.

Als sie endgültig besiegt worden war und den Kampf aufgegeben hatte. Maryse war eher das Opfer eines Mords als eines Totschlags. Eine Drohung wurde beseitigt. Ein Rebell durch das Schwert hingerichtet. Zum Schweigen gebracht. «Sie können noch so sanfte und sensible Liebhaber sein, sie sind trotzdem Mörder. Körperlich tun sie einem zwar nicht weh, aber sie spielen Katz und Maus mit den Gefühlen. Sie rauben einem das Herz und die Unabhängigkeit.» Sie unterschätzt jedoch immer noch das Ganze. Auf den ersten Seiten begegnet man einer sorglosen Maryse, die Bemerkungen macht wie «Sex mit Männern ist irgendwie, wie soll ich sagen, unpersönlich». Maryse, die alles weiß, die mit allen Wassern gewaschen ist.

Sie hatte sogar ihre feministische Phase gehabt, hatte der New Yorker Frauenbewegung angehört. Eine Bewußtseinserweiterung. Gerade genug, um ihr eine Vorstellung, ein Vokabular für ihre Rebellion zu vermitteln. Jedoch nicht genug, um ein Schutz zu sein. Aber genug, um einen unbändigen Freiheitsdrang in ihr zu erwecken, sie äußerst verletzlich zu machen, was ihre Erwartungen betraf. Erwartungen der Welt und dem eigenen Ich gegenüber. Sie konnte sich in einem Ort wie Oaxaca niederlassen und es wagen, zu tun und zu lassen, was sie wollte. Zu tanzen, als ob ihr Leben davon abhinge (der Tanz, eine Metapher für Leben, für Leben als ästhetische Erfahrung, als Wagnis), die dominierende Rolle in der Liebe zu spielen, sich in der Öffentlichkeit durchzusetzen, offen zu sein. All die Privilegien der Männer zu genießen. Völlig ungestraft, als ob es dort erlaubt wäre. Sie hatte auch ihre Sprache im Griff, konnte Mexiko mit einem unbestechlichen Auge analysieren, seinen männlichen Chauvinismus, die verhängnisvolle indianische Feindseligkeit den Frauen gegenüber anprangern, die geduldig und gefährlich hinter der spanischen Arroganz und Herablassung lauerte. So gefährlich das alles sein mag, so gefährlich macho es ist – in Ländern wie Mexiko gibt es noch andere Kräfte, die weitaus unerbittlicher sind, ein Patriarchat, jünger und vielleicht noch stärker als das in Europa. Ursprünglicher, weniger abgeschliffen, gegenwärtiger, virulenter. Noch unmittelbarer mit dem Untergang des Matriarchats verbunden, als die schrecklichen Rituale der Inkas an die Stelle einer weiblichen Gottheit traten, der unverhohlene Haß den Frauen gegenüber durchbrach, die offene Arroganz, die D.H. Lawrence in Die Gefiederte Schlange verherrlichte.

Wie in Lawrences Die Frau, die davonritt, ging auch Maryses Rechnung nicht auf. Als ob die ganze Ära des Kolonialismus, des Gringo-Kolonialismus, wie des mexikanischen Kolonialismus rückgängig gemacht, einfach von der Bildfläche gezaubert werden könnte, nur weil eine Amerikanerin ihre eigene Freiheit beanspruchte. Eine Daisy Miller Story. Und was die unglaubliche Unterdrückung der mexikanischen Frauen betrifft, die Gringa-Pionierin wird sie schon transzendieren. Warum sollte sie die Konsequenzen tragen? Ja, warum eigentlich? LeRoi Jones und viele andere Schriftsteller der Dritten Welt lassen sie jedoch auf dem Dutchman und auf der Schuld, die die Weißen auf sich geladen haben, sitzen. Weil es einfacher ist, als die Sache mit Onkel Charlie selbst auszutragen. Auch die Unterdrückten suchen sich die schwachen Stellen aus. Und die weiße Frau, obwohl sie, objektiv gesehen, weniger schuldig ist, machte ihr eigener, untergeordneter Status empfänglicher für Gefühle der Schuld, der Sympathie und Solidarität. Maryse, die sich dem Machismo mexikanischer Jugendlichen unterwirft, leistet eine Art «Wiedergutmachung». Sie glaubt auch, sie hätte eine Chance. Glaubt, sie könnte die Verkrüppelung und Unterdrückung dieser Jugendlichen mit ihrer eigenen vergleichen. Eine Illusion, die sich keine Sekunde aufrechterhalten läßt. Sie hatte nicht mit deren Eitelkeit gerechnet. Sie wissen, daß sie ihr auf Grund ihres Geschlechts überlegen sind. Eine Hierarchie, die älter ist als Rassismus, älter als Kolonialismus, älter als Kapitalismus. «Das tiefe, körperliche Verlangen, das zu diesem schäbigen Zwischenspiel führte, war äußerst lustvoll.» Sie produziert sich. Prahlt, jung, verliebt in Land und Leute, möchte die zu Hause Gebliebenen beeindrucken.

Eine schöne Frau, sagen ihre Freunde, ihre Schönheit hatte jedoch einen Makel, die Folge einer Mastoiditis und einer Operation, die die Funktion der betroffenen Narben wiederherstellen sollte – ein Makel, der sie verfolgte, wie sie auch ihre Kindheit in Frankreich verfolgte, die Jahre auf der Flucht vor den Nazis, das Trauma, als Siebenjährige in einem neuen Land eine neue Sprache lernen zu müssen. Vor allem aber war es jedoch dieser kaum sichtbare Makel. Andere meinten, er hätte ihrem Gesicht etwas Charmantes, Liebenswertes verliehen und ihr Lächeln noch anziehender gemacht. Für sie, die erbarmungsloseste Kritikerin ihrer selbst, bedeutete er jedoch endlose Qualen, eine Obsession, die sie hilflos und verletzlich machte, ihr Fall ist ein Paradebeispiel für die allgemeine Unsicherheit der Frauen, was ihr Aussehen, ihren Wert in den Augen der Öffentlichkeit betrifft. Und in Mexiko prallte Maryse immer wieder gegen eine grausame, restriktive Moral – wie ein Vogel gegen eine Fensterscheibe.

Sie tut, was sie kann. Beschreibt die braunen Augen eines Jungen als «ein Klischee, das Symbolcharakter annimmt», ist schnoddrig, ein echter Yankee, zeitgenössisch. Aber unterschwellig zeichnet sich das Abdriften in eine Depression ab (vor allem, nachdem sie ihren Job an der Universität verloren hatte, eine Enttäuschung, die sie nie völlig überwand), mit den Stationen Mexiko, Alkohol und Verzweiflung. Trotz ihrer Hoffnungen, ihrer Anstrengungen, sich als Marathonschwimmer und Marathontänzer zu profilieren, ihrer Anmachtouren, ihrer Abenteuer für eine Nacht, ihrer hoffnungslosen Strohfeuer. Und weil sie sich immer verliebt, verliert sie auch immer, Gewinner sind die, die am gleichgültigsten sind, so lautet die Spielregel. Lieben bedeutet verlieren. Es ist ein Spiel. Wie Krieg. Wie beim Glücksspiel oder beim business darf man keine schwachen Stellen zeigen. Sie schafft es nie. Selbst wenn sie mit ihren Eroberungen prahlt, ist ihr Fall schon eine ausgemachte Sache. In diesem Spiel dürfen Frauen nicht gewinnen, es verstößt schon gegen die Regeln, es zu spielen. Anständigkeit, alle novia-Attribute (Verlobte, Braut), proper und behütet zu sein – all das bleibt außerhalb ihrer Reichweite. Sie wird als amoralisch betrachtet und ist deshalb vogelfrei. Sie wird zum Paria, zur leichten Beute.

Wie meisterhaft sie es jedoch beschreibt. Man denkt an Jean Rhys – und Maryse, bewußt und belesen wie sie ist, vergleicht sich ebenfalls mit Rhys, es gibt jedoch auch Unterschiede. Maryses Spontaneität ist zeitgenössischer, Erfahrung wird so direkt vermittelt, wie selten in Literatur. Als ob sie sich mit einem Freund unterhalten würde, eine Konversation führen würde.

Wir waren in den Bäumen. So kühl und luftig. In diesem andern Element glichen wir Vögeln bei Nacht. Er hatte jedoch keine Ahnung von der Existenz meiner Klit, und glaub mir, das ganze Vorspiel hindurch brachten ihn beinahe schon sein eigenes Schmachten und seine eigene Großzügigkeit zum Stöhnen. Ich weigerte mich, seine Gleichgültigkeit meinen Brüsten gegenüber zu akzeptieren und er seufzte schließlich «okay» und saugte lustlos an einer Brustwarze. Er hatte keine Verhütungsmittel. Ich hatte welche, log aber. Was soll’s, dachte ich schließlich – meine Möse ist feucht und sein Schwanz ist steif – irgendwas würde schon dabei herausspringen, und stand auf, um meinen Schaum zu holen. «Verdammt noch mal» brummte er, verärgert darüber, daß er immer noch nicht zum Zuge kam (er wußte nicht, warum ich aufgestanden war). Mir fiel es wie Schuppen von den Augen. «Ja, verdammt noch mal», sagte ich und haute ab.

Maryse fällt es immer wie Schuppen von den Augen. Das ist das große Paradox ihrer Briefe, ihres Abenteuers, ihrer Zwischenstellung. Obwohl sie sich vollkommen ihrer Lage bewußt ist, sie ganz und gar versteht, läßt sie trotzdem nicht von ihrem selbstzerstörerischen Kurs ab. Wir sind Zeugen, wie sich jemand systematisch ruiniert. Mit vollem Bewußtsein und klarem analytischen Verstand. Und das ist schließlich auch das Eindrucksvollste an diesem Buch. Dieses machtvolle Verständnis. Auch wenn der Zerfall nicht aufzuhalten ist. Dieser Mut, ihn zu beschreiben, alle Tricks und Fallen zu erkennen.

Und diese unersättliche, romantische Abenteuerlust. Eine Art existentieller Heißhunger auf jeden Happen Leben, jede kleinste sinnliche Wahrnehmung. Sex, endloses Verlangen. «Der einzige Kontakt, den wir haben, kommt durch sexuelles Verlangen zustande. Was, außer dem Gefühl sexuell angetörnt und lebendig zu sein, macht das Leben lebenswert.» Sie ist in allem Hedonist. Alkohol, Sprache, Hotelzimmer, Essen (ihre glänzende philosophische Abhandlung über eine Heferolle), der Sand und das Meer und Mexikos Schönheit, Schmutz, Überdruß, stampfende Discomusik – und immer das Tanzen. Sex und Tanzen: nur wenige Frauen (obwohl wir so viel wissen, halten wir uns immer zurück) haben so direkt und offen über Sex geschrieben, und was das Tanzen betrifft – man vernachlässigt seltsamerweise immer dieses Vorspiel, Kunstform und Nebenprodukt der Sexualität, wie z.B. die Aktdarstellungen – habe ich nichts gelesen, das sich mit ihr vergleichen könnte. Und für diese Ausdrucksform gibt Maryse beinahe ihr Leben hin: «Tanzen ist Meditation, Masturbation, man vögelt sich selbst dabei.» Eine tranceartige Ekstase: «Irgendwann fing ich an zu fliegen und ich flog auch tatsächlich … Ich hatte die Geschwindigkeit gesteigert, wurde schneller und schneller, bis ich mich vom Boden abhob. Genau wie bei Castaneda. Ob es wohl jemand gesehen hat? Ich hatte das Gefühl der Schwerelosigkeit, als ob ich den Boden nicht mehr mit meinen Füßen berührte – ich hatte meine Geschwindigkeit so hoch geschraubt und mich rhythmisch so beschleunigt, daß ich für einen langen Augenblick flog …»

Das entsprach ihrer Vorstellung vom Leben, diese Leidenschaftlichkeit, dieser Enthusiasmus, diese Beschleunigung. Sie war sechsunddreißig, als sie mit einem stumpfen Gegenstand erschlagen wurde. Eine Stimme, die für immer verstummte.

Kate Millett

November 1978

Erster Teil

Liebe E.,

Wollte dir in einer überschwänglichen Sexepistel mit poetisch-epistomologischen Einschüben meine Wiedergeburt im Krater der Zivilisation schildern, aber dann bumste ich mit ihm heute nachmittag und es war fürchterlich banal, was dir ja schon immer klar war. Ich finde es unfaßbar, daß sie nur darauf aus sind, eine Frau nach der andern abzuschleppen und dann dieses ständige «pleeeeeze», um ihn reinstecken zu dürfen. Trotzdem wurde ich schwach. Er gab vor, eingeschnappt zu sein (würde mich fallenlassen, wenn ich mich nicht endlich rumkriegen ließe) und er war besser, als ich mit meinem «wenn dir was an mir liegt, dann warte bis morgen» kam. Was fürn Theater! Sein Atem hatte etwas Metallisches an sich und ich hatte Darmol-bedingten Dünnschiß. So mies das Ganze. In einem alten Betonschwimmbecken, irgendwo in einer abfallübersäten Hügellandschaft. War neugierig auf seinen Schwanz, da er ungefähr meine Größe hatte, aber zartgliedriger war. Hübscher Schwanz, dick und zetontec (?) farben – ein rotbraunes Vulkangestein, das man überall in Mexiko findet. Und so sind auch seine vollen Lippen. Er sagte, ich möchte dich auslecken, knabberte aber nur an meinem Kinn, steckte seine Zunge andeutungsweise in mein Ohr, fummelte und kratzte an meiner Möse rum und versuchte sich durch eine Seitenöffnung reinzuschlängeln, der Schlingel, meinte, ich hätte einen Schnurrbart und küßte, oder vielmehr küßte mich nicht, mit geschlossenem Mund, la, la. Du mußt dir einen mürrischen Zwanzigjährigen vorstellen, er spricht Englisch und etwas Französisch, hat einen gemeinen, aggressiven Zug um den Mund, irgendwie chinesische Backenknochen und Augen, und er ist gelangweilt und bitter und übt sich offensichtlich als Gigolo. Ich hatte das Bedürfnis, mir das Ganze etwas anzuschauen – Purpurlippen erwecken immer mein Entzücken. Wollte, daß er mich fummelte und daß er in Gedanken an die nachas stöhnte. Aber er war so mies. Sex mit Männern ist irgendwie, wie soll ich sagen, unpersönlich. Das tiefe körperliche Verlangen, das zu diesem schäbigen Zwischenspiel führte, war äußerst lustvoll. Das Gefühl, wenn sich der Körper wiederbelebt, das Innere wie mit einer Schnur zusammengezogen wird, die Vagina pulsiert. Und auch der Kopf – Eidechsen auf der Wand, die für ihn oder Mexiko stehen. Unerwartete Kontraktionen. Fertig, aus. Außerdem geht es mir schlecht, schlecht, schlecht. Tanzte mir vor zwei Tagen in einer ganz tollen Disco die Hacken ab, schwamm, bis mir die Arme abfielen, verpuffte alle meine Energien und schlief drei Stunden und WUMM! Bin nun ein sich maßlos langweilender Krüppel. In dieser verheerenden körperlichen Verfassung wurde ich dann natürlich gebumst. Igitt!

Am Strand im Liegestuhl unter einem Sonnenschirm aus Palmwedeln, Blick auf die Bay und die schläfrigen Boote. Die Sonne geht gerade unter. Lebe pittoresk primitiv. Eimer mit kaltem Wasser ersetzen mir das Bad. Meine Wäsche wasche ich in einem großen abgeschrägten Spülstein auf dem Patio, wo es außerdem noch eine Hängematte und eine Hibiskuslaube gibt, von der üppige Blüten auf den Boden plumpsen. Es treiben sich hier jede Menge exiliierter Anglos herum, die sich gelangweilter Verzweiflung hingeben, die chic und zweifellos auch authentisch ist. Jedermann weiß, daß man die Gauguin-Masche nicht mehr durchziehen kann, daß sie im Grunde nur die Konkurrenz in den Staaten scheuen. Und das, was man hier abschleppt, scheint nicht so unerschöpflich wie die Kokosnüsse zu sein, die man mit einer Machete öffnet, wenn sie grün sind, weil sie dann noch Milch haben und wegwirft, wenn man sie ausgetrunken hat. Das Essen ist scheußlich hier. Fisch, Bananen, Papayas, Kokosnüsse, etc. und den Scheißkram gibt es keineswegs geschenkt. Wie in vielen Touristenstädten wird man durch billige Hotels angelockt, und dann bekommt man diesen teuern Fraß vorgesetzt.

Die Typen fummeln sich hier dauernd an den Eiern rum, eine abstoßende Sitte. Alle spucken, ich eingeschlossen, obwohl ich nur ein oder zwei junge Mädchen spucken sah. Die Mexikanerinnen verpassen keine Gelegenheit, den Basketballspielern zuzuschauen, und ich verpasse keine Gelegenheit, ihnen zuzuschauen. Es ist auch die einzige Möglichkeit, von ihnen und ihrer Kultur einen Blick zu erhaschen. Sie sind natürlich nicht wie die Typen auf der internationalen Flippscene. Sie sind so nett, daß sie auch den ausländischen Fotzen gegenüber nett sind. Man fragt sich, ob sie sich jemals nach etwas unbekannterem Glamour verzehrten. Die Typen sind College-Abgänger, einige zumindest, und haben den Discodreh raus. Die Frauen tanzen Rumba auf dem Rathausplatz.

Kann nicht mehr weiterschreiben. Bis bald.

M.

 

Liebe E.,

Meine abgeneigte Leserin – wie gut, daß du nicht protestieren kannst. Mein erster Brief kam wohl nie an, ich hatte ihn nämlich J/A anvertraut, dem Möchte-gern-sich-einschleichen-und-absahnen-Gigolo. Fühle mich geschmeichelt, daß er die zwei Pesos einsteckte, falls er es tat, und sich daranmachte, den Brief mit seinem Analphabetentum anzugehen, eine Arbeit von Jahren.

Was kann ich dir schon berichten? Die scene hier ist ständig in der Schwebe. Die Neuen treten zyklisch auf und erzählen uns, wie es letztes Jahr war. Über Arthur zirkulieren vage Gerüchte. Edith, wir müssen hier gemeinsam auftreten und uns sofort zum Mythos hochstilisieren. Ich armes Ding jage nur Gesundheit und Schönheit nach. Nur gelegentlich starre ich die einheimischen vulgarios an. Fest steht: es ist gar nicht so einfach, seinen Arsch und seine Titten den Amazonas hinunter zu Markte zu tragen. Als Frau (ich Ärmste bin leider nur eine Frau) und dazu noch gestrandet, muß man auch wirklich damit hausieren gehen. Natürlich ist man immer nur ein Stück Fleisch auf dem Fleischmarkt, man kann noch so hart im Nehmen sein, und noch so ausgedehnte menschliche Kontakte gehabt haben. Früher, als ich noch nicht gestrandet war, dachte ich ganz ernsthaft daran, mich irgendeinem älteren Amerikaner unterzuschieben. Meine Skrupellosigkeit verblüffte mich selbst.

Sehr viel später. Leider. Ich nehme an, du hast meinen ersten Brief bekommen – J/A versicherte mir, er hätte ihn abgeschickt. Ach, liebste Freundin, die Lust hat viele Phasen und die «vorher» sind literarisch immer die interessantesten … Er bumste mich also, und es blieb mir nur noch übrig, wütend abzuhauen und dabei ein paar Beleidigungen fallenzulassen, daß er ein beschissener Liebhaber sei, was auch seine Wirkung hatte. Tagelang hatten wir uns mit diesem Katz- und Mausspiel gequält. Und bis gestern konnte ich die selbstgerechte Haltung eines alten Schwulen einnehmen, der dem jungen Stricher, nach dem es ihn gelüstet, moralisch haushoch überlegen ist.

J/A ist nicht zu unterbieten. Er ist halb spanisch, halb indianisch und von tiefbrauner Hautfarbe. Kürzlich inspizierten wir unsere Gringo-Sonnenbrände – ich, Stan und George, ein angenehmer, Aljoscha-hafter Typ aus Alaska, der sich uns angeschlossen hatte. J/A machte sich über uns lustig, worauf ich sagte, rot wäre wunderschön, er hätte die falsche Farbe, gelb nämlich, und in der untergehenden Sonne sah er plötzlich auch ganz gelb aus. Offensichtlich nur Quatsch, Koketterie, Honig um den Mund (um den Schwanz?). Ich startete mit zwei kleinen mexikanischen Mädchen auf der anderen Straßenseite einen Flirt und J/A zischte: «Sie sind häßlich.» Eine Zwei- und eine Dreijährige. Das war so gemein und feige und häßlich wie nur Männer sein können.

Er nimmt immer nur und gibt nie. Bedient sich mit Zigaretten, Tequila, Handtüchern; kommt lächerlich aufgeblasen hereinstolziert und redet in forciertem amerikanischen Slang. Immer nur «Hey man, was gibt’s». Er hat gelogen, was seine Arbeit anbetrifft – Public Relations in irgendeinem Ministerium – und kommt hierher zum Duschen. Ich bin sicher, er lebt auf der Straße. Seine scene ist direkt aus Gide oder Genet; wie die kranken und seltsam feigen mexikanischen Hunde muß er sich sein Essen aus den Mülltonnen holen. Aus freien Stücken. So verkläre ich ihn. Es wäre aufregend, einmal der Fährte des Raubtiers zu folgen. Er gibt sich für alles her.

Es ist natürlich völlig absurd anzunehmen, er wäre auf mich scharf. Er will nur Stan ausnehmen. Nach besagtem Nachmittag waren wir noch einmal allein (Stan lag mit Durchfall im Bett) und bumsten wieder so ganz beiläufig. Er hatte denselben metallischen Geschmack und rollte seinen «muy grande!» Joint gegen meinen Bauch. Ich empfinde seine Fragilität als demütigend; das Gefühl, sich körperlichen Extravaganzen hinzugeben, gehört jedoch für mich zu dieser angenehmen, ironischen Hilflosigkeit, die man verspürt, wenn man gegen sein besseres Wissen handelt.

Wenn ich, im wörtlichen wie übertragenen Sinn, nicht so kaputt wäre, könnte ich so viel über Mexiko berichten. J/A ist eiterndes Geschwür, und mich rafft La Gripe dahin. Gestern abend weigerten sich Stan und Georg stundenlang, für J/A ein Handtuch herauszurücken, damit er sich für die Disco feinmachen konnte. Schließlich bat ich ihn, meines zu nehmen, wollte nett sein und war bereit, alles zu tun, um ihn an meiner Seite erstrahlen zu lassen, ich verbündete mich direkt mit ihm und kümmerte mich nicht um die Feindseligkeit der Männer. (Es ist klar, in allen Affären werde ich mich immer als erste absetzen.) Er roch nach Blüten, als er aus dem Bad kam, nach irgendeinem Öl, mit dem er sich einreibt, ein frischer und voller Geruch. Mein Gott, er stammt direkt aus einem Tennessee-Williams-Stück. Er hat bestimmt eine tätowierte Rose auf dem Hintern.

Letzte Nacht war so schlimm, daß ich drauf und dran war, mich über eine Brüstung zu stürzen. Nachdem er Stunden damit verbracht hatte, uns drei sturen, rothäutigen Gringos ein Handtuch zu entlocken, verschwand er, wie schon öfters, um seinen eigenen, geheimen Pfaden zu folgen und tauchte erst viel später an der Bar auf. Wie elend ich mich doch ohne ihn fühle. Es ist idiotisch, ein idiotisches Sichgehenlassen! Fing wieder zu atmen und sozusagen zu leben an, als er auftauchte, fragte ihn, wo hast du dich so lange herumgetrieben? Ich tanzte nur einmal mit ihm und dann nie wieder. Als Nächste forderte er eine Frau auf, die ihm einen Korb gab, dann fragte er mich und ich gab ihm auch einen Korb, damit war für diesen endlosen Grabgesang einer Nacht der Kontakt abgebrochen. Eine sehr große, grobknochige Kanadierin schien es ihm angetan zu haben. Und so unglaublich es klingt, sie sahen okay zusammen aus. Ich fiel in mich zusammen. Der letzte Samstag mit mir als Schönheit des Abends war toll gewesen, aber man kann seinen ersten Auftritt nur einmal haben. Ein Song nach dem andern wurde gespielt und jeder war «unser Song». Er ließ sich sogar mit seinesgleichen ein, und er verabscheut seine Rasse zutiefst. Einer der Muskelprotze vom Strand, der die Disco managt, wurde unangenehm wegen der Rechnung. Er ist neunzehn und ich sagte zu ihm, er sähe wie dreißig aus, seine gebleichten Haare machten ihn auch so alt. Er sagte, ich sähe wie siebzig aus – nicht wahr, fragte er einen der ändern Dummköpfe an der Bar, der dann nickte. Der Träger meines Oberteils rutschte mir beim Tanzen ständig von der Schulter, und meine elegant weit geschnittenen zimtfarbenen Hosen schlotterten wie lange Unterhosen um mein miamibraunes Fleisch. Im Verlauf des Abends wurde ich immer mehr zu einem elenden Fetzen. Und diese dunkle, steinerne Indianermaske blickte nie in meine Richtung.

Irgendwie entsprach das auch meiner Absicht. Ich wollte ihn noch mehr wollen, als ich es tatsächlich tue – tat. Nutuichs. Sex allein war zu langweilig. Es dreht sich dabei nicht um Masochismus, sondern um den Willen zur Lust. Als ich die Sache noch in der Hand hatte, sollte er durch mein abweisendes Verhalten angeheizt werden. Daß er mich jedoch noch abweisender behandeln würde, war nicht geplant. Aber wie Proust sehr wohl wußte, entsteht so die Liebe.

Die beiden Kanadierinnen werden sich wahrscheinlich bei uns anhängen. Heterosexualität, wenn man nicht asexuell ist, stellt feministische Gefühle auf eine harte Probe. Auf tausend verschiedene Arten. Doris hatte recht. Ich würde alles dafür geben, wieder meine lesbische Phase zu haben, es ist aber zu spät, J/A läßt sich nicht mehr rückgängig machen. Ich starre begehrlich in sein schönes Gesicht.

In meinem nächsten Brief beschreibe ich die Szene hier.

 

Liebe E.,

Noch eine «Zi»-Epistel[*]. Andrés und ich sind jetzt in dem Stadium, in dem ihr euch, du und David, befindet. Ich schiebe einen Zettel unter die Tür dieses munteren Architekten, eine Einladung für heute abend zum Boogie-Woogie und A. sagt, «Mann, du vertust deine Zeit. Er ist Architekt, viel zu gut für dich.» Ich lüge und sage ich sei Prof an einer Uni (was ich, nebenbei bemerkt, nicht mehr bin, da ich – die Englische Abteilung benutzte tatsächlich den Ausdruck, ich kann’s beschwören – «aus dem Lehrkörper ausgeschieden» bin). Zehn Minuten vorher hatte er gefragt, wie eine so unattraktive Frau wie ich ihn abweisen könnte. Ich habe ihn außerdem geschlagen, quelle insulte für einen Latino. Er versucht darüber hinwegzukommen, aber mit mir läßt sich kein echter Kampf austragen. Er läßt es nicht zu, daß eine alte, häßliche Gringa ihr Loch verweigert, wenn im allernächsten Umkreis nichts Frischeres zu haben ist.

 

Später

Ich bin nun allein hier und versuche einen Winter des Unbehagens zu umgehen. Stan fuhr vor drei Tagen ab, und ich führte seitdem ein ziemlich enthaltsames Leben, abgesehen von gelegentlichen Attacken von A’s lasterhafter Zunge, die tagsüber (jedoch leider nicht nachts!) erfolgten und einer weiteren Begegnung mit seinem unbeschnittenen Schwanz, einmal nachts. Er geht mit kräftigen Stößen rein und raus, stützt sich dabei mit den Armen ab und grinst über seine eigene Prächtigkeit. Der grausame Narz ist wahrscheinlich so schwul, wie er sagt. Titten, Klit und Arsch zählen nicht, er schaut sich nicht einmal mein Loch an. Sein Schwanz macht ihn scharf. Aber hübsch, an seinen braunen, glatten Armen treten die Adern hervor, kann kein einziges Barthaar entdecken.

Dieses Katz- und Mausspiel, in das wir z.Z. verwickelt sind, kommt mich so hart an wie noch nie in meinem Leben, mein Realitätssinn ist den Bach hinunter. Er streicht über meine Schamhaare und verzieht das Gesicht, reibt sich kräftig seinen Finger ab. Er gewinnt.

Pero, no me importa, es macht mir nichts aus, da mich mein potentieller Heiratskandidat, Gilberto, der Architekt, der sogar nach amerikanischen Maßstäben reich ist und ein (geheimer) Marxist, zu einem schnellen, aber teuern Dinner ausgeführt hat. Er bezahlte mir ein Essen, um mir in ernsthaftem, unbeholfenen Englisch zu erklären, daß dieser Widerspruch durchaus vereinbar sei. Ich fühle mich etwas wie Solanas, bezahlte Unterhaltung. Aber es macht Spaß. Andrés besorgt es mir natürlich umsonst, mir, einer fetten, alten Gringa, die dankbar sein sollte, daß sie nicht zu bezahlen braucht. Ein bißchen plagt mich auch mein Gewissen – mit dem Marxisten gebe ich mich ganz feministisch und intellektuell und mit A., diesem Geschöpf aus der Gosse, vulgär sadomasochistisch.

Bin augenblicklich auch noch invalide. Trat in einer Kokospalmenpflanzung in einen Dorn. Mann Nr. 3, ein ehemaliger Student der Veterinärmedizin, wie er sagt, stocherte zehn Minuten mit einer Nadel danach herum, am nächsten Tag war’s eine Krankenschwester mit einer Spritze. Ich tanzte, schwamm, ging spazieren, sonnte mich und meine Wunde infizierte sich, tiefer und tiefer in die Ferse. Würde ich weiße Hosen tragen und einen Spazierstock haben, okay, aber mit meinen englischen Wandershorts und meiner Minniemausuhr hinkt es sich nicht so herrlich.

Ich vermisse die Frauen- und die New-York-Upstate-Szene, sonst aber auch nichts. Zi ist die seltsamste Szene überhaupt. Zum Beispiel Sex mit A. Ich kann ihm nicht beibringen, daß ich eine Klit habe oder vielmehr, daß die Klit das weibliche Geschlechtsorgan ist. Der Kontext fehlt völlig. Schrecklich, wenn man die eigene Perspektive nicht aufrechterhalten kann. Schließlich glaube ich auch nicht mehr daran, daß die Klit wirklich das Organ ist. Ganz «natürlicherweise», ganz schmerzlos. Kürzlich, als ich schon etwas blau war, habe ich in einer schicken Disco das anstößige Wort den Kanadierinnen gegenüber ausgesprochen, die sich daraufhin verfärbten und sofort zum Tanzen erhoben. So reibungslos löst sich Realität auf. So typisch weiblich dieser Widerspruch zwischen dem Realen (unsern biologischen Voraussetzungen sogar!) und der männlichen Version; es ist jedoch genau dieser «Realitätssinn», der evaporiert und mit ihm auch die Dialektik, die ich voraussetzte, und die mir Frauen profunder, wahrer, natürlicher erscheinen ließ, auf der Suche nach dem Wirklichen oder Wahren (wie ist denn dein weibliches Bewußtsein im Augenblick? erhalte die Flamme für mich am Leben). Was die Frauen wahrscheinlich am meisten trifft, ist die Tatsache, daß sie das unsichtbare Geschlecht sind. Als ich (bei dem Essen mit dem Architekten) total vergessen hatte, was unser Problem eigentlich war und verzweifelt versuchte, mich daran zu erinnern, wurde mir plötzlich eine Erleuchtung zuteil, für die ich, du kannst es mir glauben, unendlich dankbar bin. Feminismus ist eine Vision. Und eine undenkbare hier. Ich verhalte mich mit Andrés als ob ich fünfzehn wäre. Brav, bewundernd. GESTERN NACHT WAR ICH SCHON DRAUF UND DRAN, EINEN ORGASMUS VORZUTÄUSCHEN. Mann, kannst du dir das vorstellen! Oh, girl, girl. Ich verliere mich, mein ganzes Empfinden für weibliche Kultur, weibliche Definitionen, was Lebenserfahrung betrifft. Genuch.

Es gibt jedoch auch gewisse Bezeugungen des Wohlwollens den Frauen gegenüber. Ich fühle mich nicht häßlich in Mexiko – die Männer scheinen meinen Makel zu übersehen. Da ich eine Gringa bin, bin ich automatisch auch auf eine mehr oder weniger unanständige Weise attraktiv. Ich habe enorm viel abgenommen und bin tiefbraun, und obwohl ich keineswegs zur crème de la crème gehöre, werden meine Wandershorts zu einem, von allen eleganten Nordamerikanerinnen heiß begehrten Gegenstand. Sogar die Queen of Hip möchte sie kaufen.

Ich bin komischerweise nicht in der Lage, die Beschreibung der Szene zu liefern, die ich ständig ankündige. Mein ganzes Interesse gilt mir selbst. Und dabei habe ich gerade gestern eine Phase dialektischer Zwiesprache mit mir abgeschlossen, in der ich zu der Überzeugung gelangt war, daß Autobiographisches wie ein Fluch auf der neueren Frauenliteratur lastet (danach befürchtete ich, daß ich Pat Louds Lebensbericht nicht glaubhaft finden würde, mich nur langweilen würde und entlieh ihn mir also nicht aus der Bücherei). Im Grunde wird auch nie Autobiographie, sondern nur Literatur für bare Münze genommen. Autobiographie ist zu sehr das Produkt einer bestimmten Sicht oder Ideologie, während Literatur, da sie keinen Anspruch auf getreue Wiedergabe erhebt, ein mögliches Modell für die Realität abgeben kann. Ungeschickt formuliert. Ich hätte «theoretisch frei» sagen sollen. Du lieber Himmel. Es ist, als ob ich mit dir reden würde, nur ohne die Unterbrechungen. Mein armer Schatz, bist du nicht neidisch darauf, daß ich mir diesen Luxus erlauben kann?

Dieser Aufenthalt hat die eine gute Seite, daß ich nämlich «Gedanken wieder fühle». Ich bin zumindest während einer Hälfte des Tages gerne allein und reduziere meine Kontakte auf ein bis zwei Begegnungen pro Tag. Ich empfinde das Alleinsein als Luxus, als etwas so Sauberes und so Klares und so Erfrischendes. So so so. Ich betrachte einen Jungen. Ich schreibe. Ein toller Rhythmus! Ich blicke mich um, zünde mir eine Zigarette an. Ich bemerke, daß dieser Brief das Interesse eines jungen Engländers erregt hat. Es weht eine leichte Brise. Ich sitze auf dem Platz und blicke auf die bunte Menge der Verkäufer, Frauen, Jugendlichen. Man sieht von hier aus den Basketballplatz, der sich direkt an den Strand anschließt, dann das Meer. Alles von Gebirgsketten, die gerade die richtige Größe haben, eingesäumt. Das läßt mich an ein weiteres Vergnügen denken, das Vergnügen, die richtige Größe in einem Land zu haben. Ich bin nicht zu klein hier – ach, E. und das ist wirklich ein Vergnügen! Ich komme (gehe?) nie wieder «nach Hause» zurück. Dieses Zuhause, wo die Körpergröße wieder eine Rolle spielt. Und dann sehen sie hier so angenehm aus. Ein weiteres männliches Charakteristikum. Sie johlten nicht, als im Kino eine Vergewaltigungsszene durch eine ganze Gang gezeigt wurde. Der Machismo schließt Frauen beinahe völlig aus, oder ist es die verhältnismäßig neutrale Haltung einer selbstbewußten Herrenrasse? Meine liebste Freundin, die Feder fällt mir aus der Hand. Komm nach Mexiko. Bis bald.

M.

 

P.S. Ich habe Jean Rhys Weite Saragossa See zu Ende gelesen. Toll! Vor allem als Lektüre für die Tropen. Lese jetzt Sanchez’ Kinder. Eine neue Phase dialektischer Spekulation über den «Wirklichkeitsgehalt» der Dokumentarberichte.

 

Liebe E.,

Das üble Ende eines langweiligen Tages wird wahrscheinlich eine weitere Vertreibung aus dem Paradies nach sich ziehen. Andrés mied heute den Krüppel, dessen Einsamkeit den ganzen langen Tag über tödlich gewesen war, mehr als sie ertragen konnte. Sie trank. Er tauchte dann endlich auf, aber so spät, so spät. Sie dachte ironisch an ihre angebliche Gleichgültigkeit, die sie der Liebe sowie auch der Kanadierin gegenüber gehabt hatte, deren lichtes Haar und Tugend eine Art Panzer waren, und machte auf die große Leidenschaft. Sie nahm seine Hand und sogar ein Bad, und sagte «heute nacht machen wir’s ganz wie es sich gehört», dachte an seine Lippen bei einem tiefen Zungenkuß, an ihre Brüste, seine Hand oder sogar seinen Mund auf ihrer Klit, ihre Zunge, wie sie über seinen ganzen makellosen braunen jungen Körper wandern würde. Sie trank und rauchte (obwohl er versuchte, ihr die Zigarette aus der Hand zu schlagen), sagte ironisch «te quiero», eine Ironie, die, wie sie hoffte, trotz der Sprachbarriere noch rüberkam, und dann so sarkastisch, daß der Toternst sogar einem weder Englisch noch Spanisch sprechenden Indio unrecht erscheinen mußte, «Yo te amo». Und strich mit ihrem Finger über seinen jungen, festen Arm. Duschte, wie gesagt, und hoffte auf das Beste, putzte sich die Zähne und rechnete natürlich im Grunde mit gar nichts.

Du weißt schon was sich anbahnte, sie war jedoch so betrunken, daß sie glaubte ihre Ironie würde ihr weiterhelfen. Er ging in fünfundvierzig Sekunden rein und raus und biß die Zähne dabei fest zusammen. Sie war jedoch noch schneller als er unter der Dusche, um aus ihrer Möse die braunen, ach so geliebten boys zu spülen und spuckte hörbar etwas Wasser aus, was er sonst immer nach einer Session zu tun pflegte. Er besaß die Frechheit auch prompt noch kräftiger auszuspucken. «Bin ich denn dreckig», fragte sie herausfordernd und er – so unglaublich es klingt, so typisch ist es für ihn – war grausam genug, das als Vorwand zu benutzen, um abzuhauen, angeblich vor den Kopf geschlagen und verärgert.

Ich zog ein Messer und versperrte ihm den Weg. Er bekam es auch wirklich mit der Angst zu tun, und als Pedro zurückkam, Pedro, der gutherzige Besitzer, der von Andrés die Schnauze voll hatte (wobei seine Eifersucht zweifellos eine Rolle spielte), begann Andrés, durch mich provoziert, um Hilfe zu rufen. Ich war splitternackt, auf dem Bett lagen zwei offene Klappmesser, zwei Flaschen Tequila rollten wild herum und eine zerquetschte Limone lag auf dem Boden. Der startete also seine Hilferufe und versuchte die Tür aufzustoßen, als mein Handtuch rutschte und ich mich dagegenstemmte. Seine Hand steckte dazwischen. Wir verharrten so einige Minuten. Anschließend tat ich so, als würde ich in seinen Armen zusammenbrechen (er getraute sich nicht, mit seiner ganzen Kraft gegen mich anzukämpfen und wegzugehen, und zog schließlich seine Hand heraus) und bat ihn, zu warten, bis ich mir etwas übergezogen hätte. Dann versuchte ich ihn zu überreden, daß wir uns gemeinsam eine unschuldige Story ausdenken sollten. Die verschiedenen Versionen (Beweis meines edlen Großmuts): Ich war betrunken. Ein Streit zwischen Liebenden. Er sagte, er würde es schon ins reine bringen. Ha, ha, dachte ich, er hat immer noch Schiß vor mir? Wahrscheinlich nur um rauszukommen versprach er mir, daß wir zusammen auf Zimmersuche gehen würden, falls ich rausgeschmissen würde. Ach, Edith, es war völlig bekloppt von mir zu behaupten, Frauen würden hier auch gut behandelt. Die Kanadierin erzählte mir gestern nacht Horrorstories von den mexikanischen Machomännern. Mein Gott, Hochmut kommt vor dem Fall. Was für ein Witz, meine überlegene soziologische Betrachtungsweise. Sein Handgelenk war zerschrammt, es gab nichts mehr zu besprechen. Ich zog mich an, kickte die zusammengeklappten Messer unters Bett und stürzte aus diesem Wahnsinn heraus zu Pedro, bedeutete ihm von weitem, daß alles mea culpa wäre, in dem idiotischen Säuferglauben, daß der halbe Meter Abstand zwischen mir und meiner nüchternen Umwelt meinen Zustand kaschieren könnte. Pedro schüttelte nur den Kopf und schmiß Andrés raus. Ich entschuldigte mich bei Jorge, der eine Tragetasche haben wollte, um seine drei Paar Hemden und drei Paar Hosen nach Hause zu befördern, eine Entschuldigung, die aus tiefster Möse kam. Er hatte die ganze Zeit mehr oder weniger in Pedros dreckigem Hinterhofverschlag gehaust. Ich, die perfekte Eva, wollte sein Los mit ihm teilen – und weibliche Vollkommenheit in Person –, wollte ihm auch beim Transport seiner aus sechs Kleidungsstücken bestehenden Garderobe helfen. Er lehnte höflich ab. Ich mach das schon allein, Marisa. Ich ging schnurstracks und soweit ich dazu in der Lage war, auch schnurgerade über den Hof, wobei mir zu spät klar wurde, daß Jorge die Wahrheit, d.h. eine Lüge erzählen würde (würde er meinen verletzten Stolz, meine Demütigung erwähnen?) – ich stolperte hinaus in die Nacht und rechnete mit dem Schlimmsten/Besten. Das Finale dieser mexikanischen Oper hat seine rührende Seite. Daß er z.B. wartete, bis ich mich angezogen hatte; daß ich ihm Vorhaltungen wegen seines Fluchtversuchs machen konnte: «Dachtest du wirklich, ich würde dir weh tun?» fragte ich und erlaubte dem Libretto, mich in seine Arme zurückzubefördern. «Das war dumm von dir, wirklich dumm», meinte ich ganz vernünftig und setzte dabei deine Körper- und Kopfbewegungen ein, in der Hoffnung, mich bei ihm wieder einschmeicheln zu können (da ich mich ja in dich verwandelt hatte). Es war mir noch ein letzter Blick auf seinen Oberkörper vergönnt, der für den Rest meines Lebens reichen mußte. Seine Schönheit traf mich wie ein Blitzschlag. Ich realisierte zum erstenmal und natürlich als es endgültig zu spät war, wie schön sein Körper war. Tu comprends – er war zwanzig. Ach Edith, ich werde ihn nie in meinem Leben wiedersehen. Und ich werde auch dieses Zimmer nie wiedersehen. Vermittle mir telepathisch die perfekte Story, damit ich wenigstens das Zimmer behalten kann. Hatte die plötzliche Erleuchtung, daß ich ihn doch nie hätte halten können.

Wie hinreißend er doch war – ich hätte ein hinreißendes Buch über ihn schreiben können: «Tod in Zihuatanejo». Hilf mir, ich brauche Freundschaft, Anerkennung, Schönheit, muß begehrt werden.

M.

 

Ich habe das dringende Bedürfnis, Pedro die Sache zu erklären. Aber was kann ich ihm schon sagen? Außer meinem dürftigen Spanisch und der mickrigen Miete kann ich nichts einsetzen. Ich komme auf fürchterliche Weise wieder zu mir, von Gott und der Welt verlassen und außerdem noch mit dieser idiotischen, unangebrachten Ironie konfrontiert. Ich bin sauer auf Pedro. Was für ein Arschloch. Wußte er denn nicht, daß ich in Andrés verknallt war. Jeder wußte es. Dachte er, daß seine sechzigjährige Güte und Hilfsbereitschaft, sein diskretes Hofieren mich von dem Feuer fernhalten würden? «Indio», sagte ich zu Jorge. Eine mexikanische Freundin war angeblich der Grund, warum er sich nicht mit mir auf der Straße sehen lassen konnte. Du denkst, ich bin alt und häßlich, sagte ich. Seine Antwort darauf lautete schlicht und einfach: Das ist dein Problem. Was gefällt dir an mir, fragte ich, was erwartest du? Alles, beteuerte er in aller Unschuld. Wußte ich denn das nicht?

Gestern nacht sagte ich, wahrscheinlich sind es meine Augen, meine Haare, mein Mund. Er reagierte erst, als ich meine Schultern erwähnte, die ich schon immer okay fand. «Natürlich», sagte er sehr nett und entgegenkommend und meinte es auch, war zärtlich und gelassen. Natürlich würden ihm meine Schultern gefallen. Machismo oder Leidenschaft, ich bin mir da nicht ganz sicher, ließ uns eine eigene Sprache entwickeln. Diese Sprache, die ziemlich primitiv war, und die nur wir verstehen konnten, war das Aufregendste an der ganzen Sache. «Du brauchst mich», sagte er, sich vorbeugend. Er sagt mir gleichzeitig, daß er mich kennt und damit auch, daß er mich liebt. Man sollte nicht Oskar Lewis lesen: man bekommt den Eindruck, Gleichgültigkeit wäre in Wirklichkeit versteckter Stolz. «Ich mag dich, aber ich brauche dich nicht, das sind zwei ganz verschiedene Dinge», entgegne ich, ein elegantes Tuch von den französischen Westindischen Inseln eng um den Kopf gewickelt, stecke in einem türkisfarbenen Kordsamthemd, das von einem indianischen Gürtel aus leuchtend blauen Perlen zusammengehalten wird. Mein Gesicht: ausgeprägt, vom Leben gezeichnet, braun, intelligent, streng, jedes Verlangen rechtfertigend. Wir landen in der Hängematte, wo Andrés zu meiner kindlichen Begeisterung die 123. Stellung demonstriert (mit jemanden wie Andrés muß man sich den eigenen Charme immer wieder vergegenwärtigen). Sein Herumalbern gefällt mir. Und wer kommt – Sheila, eine blonde Boutiquebesitzerin aus Toronto. «Wir probieren gerade verschiedene Stellungen aus, die man beim Bumsen in der Hängematte einnehmen kann», erkläre ich angeheitert, mondän, gewandt und möchte, daß sie sich wohl fühlt, möchte sie einschließen. Schockiert springt er auf. «Hast du eine Freundin für mich?» fragt er, «diese Frau taugt nichts.» Sheila ist empört, was für mich jedoch nur beleidigend sein kann. Wie kann er es wagen, zu ihrer Freundin so grob zu sein? Andrés beteuert seine Unschuld. Ich lasse mich in die Hängematte fallen, so getroffen, daß ich mich nicht mehr rühren kann: denke nur daran, daß sie ihn nicht als ihresgleichen akzeptiert und daß sie mich bemitleidet, weil ich mich in ihn verliebt habe. Er sagt zu ihr: «Du verstehst das nicht, wir reden immer so. Ich kenn diese Frau auswendig.» Was auch der Fall ist. Er erfuhr mich experimentell, machte mir den Hof, indem er mich beleidigte. Dahinter steckt folgende Logik: nur weil ich nicht häßlich war, konnte er mich damit beschimpfen. Aber auch weil ich es war und er trotzdem auf mich scharf war. Ich konnte das nachvollziehen. Aber wie soll man Kanadiern den Witz, die Wirkung und die Verspieltheit erklären. Sie sind zu geradlinig. Nachdem sie weg und er wieder zurück war, kündigte er an, daß er sich mir für einen Tag entziehen würde, einen halben Tag, verbesserte er sich (Sheilas beschissenes Verhalten hatte mich so gedemütigt, daß mir nur noch Anständigkeit übrigblieb, würde also diese Nacht nicht mit ihm bumsen. Deshalb seine charmante Drohung).

Ich glaube, es ist aus. Es wäre naiv anzunehmen, daß für ihn viel mehr als ein Loch auf dem Spiel stand. Das übliche … aber dann all diese andern Sachen. Ein Foto, das er vorgestern – nein gestern – von mir, oder vielmehr von mir mit noch andern zusammen gemacht hatte. Die Tatsache, daß er sich von mir, einer blöden Fotze, und nicht von dem Arschloch George fotografieren ließ. Dieser träge Nachmittag, als er mir mit einer gesprungenen Gitarre ein Ständchen brachte und nach vielem Hin und Her den Text eines mexikanischen Songs aufschrieb, – ein Song, den ich mochte, weil er identisch war mit ihm und dieser Stadt und diesem Jahr meines Lebens auf dieser Welt. Ein paar Zeilen auf dem Deckel eines Schuhkartons: für Señora Mariza, die Schriftstellerin oder so ähnlich.

Nachdem also Sheila weg war, steuerte ich, Gift und Galle spuckend, Ringo Mexs Brathähnchenladen «Die Schildkröte» an, ein Laden, der von zwei andern Kanadierinnen, die ich mochte, frequentiert wurde. Sie konnten nicht genug kriegen von meiner Hintertreppenstory. Zi ist jedoch ein Drecknest. Sie wollten unbedingt wissen, wer es war und es wird nicht lange dauern, bis sie herausgefunden haben, daß es sich um den ausgemusterten A. handelte. Ich war wirklich unterhaltsam. Ach, wenn ich es doch nur nicht als so schmachvoll empfunden hätte, die einzige, nicht eskortierte Amerikanerin im Kino zu sein, wenn Andrés nur früher gekommen wäre. Und ich mir nicht vorgenommen hätte, traurig und passiv in meiner Hängematte zu hocken und zu warten, bis er endlich kommen würde. Wenn Tequila nur nicht … Wenn, wenn, wenn, … Tut mir leid. Das sind Tagebuchnotizen, keine Einsichten.

M.

 

Am nächsten Morgen, so unwahrscheinlich es mir auch vorkommt. Pleite bei meiner Arbeit und nun auch bei der Liebe. Meine Infektion ist ausgeheilt. Pedro grüßte heute morgen beinahe liebevoll zurück. Mir kamen schon die Tränen. Wie immer bin ich natürlich viel zu sentimental. Er hatte sich einfach dazu durchgerungen, gute Miene zum bösen Spiel zu machen, nachdem er den unrentabelsten Sünder losgeworden war. Ist es für die Mexikaner immer die alte Leier? Macho Frauen? Der Unschuldsblick fällt einem etwas schwerer, wenn man gerade eine Hand in der Tür zerquetscht hat. Das Wesen des Katholizismus ist jedoch die Absolution.

 

George ist verschwunden – wir wollten zu einer Party auf die Isla gehen. Er schmarotzte bei Stan und mir, und nun weigert er sich mir einen Gefallen zu tun. Der Architekt scheint ausgeflogen zu sein und Isidoro sah um 6.30 gestern abend miserabel aus. Es ist mir auch schleierhaft, wie ein Dealer dazu kommt, ein Marihuana T-shirt zu tragen. Drogen sind heiße Ware hier, oder vielleicht ist das auch nur ein mexikanischer Mythos, der die Preise in die Höhe treiben soll? Ich bin jedoch schutzbedürftig, möchte geradlinige und ordentliche Briefe schreiben. Tippen. Die Passivität meiner rêverie verführt mich dazu, die Fehler einfach stehenzulassen.

Die Nordamerikanerinnen sind nicht gut auf die Männer hier zu sprechen, ihre Rohheit würde die Frauen zu Feministinnen werden lassen, als ob Feminismus eine vermeidbare Krankheit wäre. Als ich Sheila erklärte, daß ich sehr viel allgemeinere Gründe hätte, nahm sie mir das nicht ab. Das Leben einer Frau dreht sich eben immer um die Liebe. Andrés war erleichtert, als er gestern nacht aus seinem pied-à-terre rausgeschmissen wurde. Er fürchtete wirklich um sein Leben.

Ich wage nicht nach deinem Liebesleben zu fragen, da ich die völlig tote New Yorker Szene kenne – Fettwänste oder Schwule. Ich habe keine Ahnung, wie ich zu Geld kommen soll, wenn ich zurück bin, ob ich jemals wieder in den Schoß der Universität zurückkehre. Es würde mir Spaß machen, Reiseführer für Frauen zu verfassen. Bald wird mir auch nichts anderes mehr übrigbleiben, als mich zu diesem fernen Ort auf dem Globus, wo du dich befindest, zu schleppen und zu lernen, wie man Korrektur liest. Es deprimiert mich daran zu denken, daß ich auf einem angespannten Geldmarkt untergebuttert werde. Dasselbe gilt für Sex. Und auch für meine schreckliche Wirtin, die keine Gelegenheit verpaßte, mich auf meine Häßlichkeit hinzuweisen. Es ist schon ganz angenehm, mit einigen dieser Dinge nicht mehr konfrontiert zu sein.

Ich habe enorm abgenommen – war auf 124,5 –, aber nur ein Tag ohne Stuhlgang, ohne Sonne, und ohne zu schwimmen und schon habe ich wieder ein Pfund zugenommen. Mein Schlanksein ist auch nur eine Illusion.

Ich hasse New York. Muß weg. Vielleicht versuche ich, öfters aufs Land zu fahren. Du kannst natürlich mitkommen und bleiben so lange du willst.

Hast du irgendwelche von deinen Freundinnen getroffen? Hast du Selma oder Diane gesehen? Die Frauen- oder Lesbenszene frequentiert? Ich glaube, wenn ich zurückkomme, werde ich endlich mal mit einer Frau schlafen, das einzige, was ich noch nicht ausprobiert habe. Ich habe nie an Doris gedacht, nur einmal dachte ich daran, daß ich nie an sie denke. Wenn ich noch am Lehmann College wäre, würde ich jetzt die Fragebogen auswerten, die ich an die weiblichen (und einige männliche) Fakultätsmitglieder ausgeteilt hatte und in denen ich danach fragte, wie viele Schriftstellerinnen behandelt wurden, was sie von den Frauenstudien hielten, etc. Ich bekam etwa zwanzig zurück, nicht viele, aber einige waren vollständig beantwortet und sogar getippt. Ich kann mir ihren Zynismus vorstellen, wenn wieder einmal eines dieser Projekte im Sand verlaufen ist. Sollte ich ihnen schreiben? Ihnen erzählen, daß ich suspendiert wurde? Meine Studenten – stellte mir vor, sie würden meinetwegen streiken. Empfinde diese Suspendierung wie einen Urteilsspruch. Nein, nein, nein, ich möchte nie, nie, nie, nie, nie, nie mehr nach New York zurück. Versagen bei der Arbeit führt zu Versagen in der Liebe und das Versagen in der Liebe zu Ängsten wegen dem Versagen bei der Arbeit.

Gestern – dieser Alptraum – war ich zum Beispiel den ganzen Tag allein gewesen und als dann Andrés kam, fühlte ich mich ihm wehrlos ausgeliefert. Aber ich konnte in diesem Augenblick meine Beweggründe nicht analysieren. Gefühle kommen und gehen und lassen sich nicht erklären. Gestern kamen drei selbstbewußte, maskuline, qualifizierte Frauen bei Pedro vorbei, frühere Gäste. Sie redeten nicht mit mir, obwohl sie sehr freundlich gewesen waren, als wir uns das erste Mal trafen. Ich saß herum, ostentativ in Sanchez vertieft. Sie bissen nicht an. Sie und Pedro aßen die Muscheln, die sie mitgebracht hatten. Und ich saß da. Ging dann weg. Zu dem Lokal dieser Mexikanerin, das Stan, George und ich wegen der billigen comida corrida frequentierten. Da ich allein war, verzichtete sie darauf, die Molé-Soße aufzuwärmen und das Licht blieb auch ausgeschaltet; ich hatte sogar den Eindruck, ihr lästig zu sein. Anschließend das Kino, ganze Rudel vergnügungssüchtiger, im neuesten Soho-Look aufgedreßter Amerikaner. Und ich «solita». Kein sehr geglückter Tag. Mein eigentliches New Yorker Ich scheint durch meine zerknitterte, sich schälende Reptilienhaut: solipsistisch, sich selbst bemitleidend, wehrlos, nur in Briefen existierend. AIE! Ich frage mich, wie du diese Szene bewältigen würdest. Es ist traurig, aber wahr, Frauen müssen vor den Kopf gestoßen werden, es ist die einzige Möglichkeit, ihnen etwas beizubringen – du hattest hundertprozentig recht. Nicht nur sich darüber auslassen, daß man einem Mann kein Trinkgeld geben sollte, sondern reden, schockieren und zur Tat schreiten. Respekt! Sich von gesellschaftlichen Zwängen und Konventionen einschüchtern zu lassen, bedeutet ihnen im Grunde auch den Vorzug zu geben.

Ma chère, ich vertrödle weiter meine Zeit. Die Haut meines linken Oberschenkels schält sich reißverschlußartig. Antworte. Schreib nach New York. Es macht mir Spaß, dir zu schreiben. Ist immer noch das Beste an der ganzen Reise. Ich bin ausgebrannt und keine Isla ist in Sicht. Schleppe mich gleich zum Strand und döse, mit Medikamenten vollgestopft, und mit einer, wenn auch harmlosen, Infektion behaftet, in der heißen Sonne vor mich hin, hoffe, meine alte, faltige Hülle abzustreifen.

Horita. Bis bald.

M.

PPPPPPS. Der Architekt kam gerade zurück. Er ist verheiratet!

 

E.,

Kein A. heute. Wollte eigentlich die zweite Hälfte meines letzten Briefes nicht abschicken. Was Illusionen betrifft – eine meiner hartnäckigsten ist, daß ich gut aussehe. Bis ich mich dann bekiffte, dachte ich, ich hätte noch nie so gut ausgesehen wie heute abend. Wie eine Sy’phe oder vielmehr eine Elfe. Brachte den Spiegel aus dem Dunkel ins Licht und drehte ihn mal so und mal so. Zwanzig Pfund weniger würden auch nicht schaden. Und was die Paßform anbelangt, ist die Haut auch nicht mehr die einer Zwanzigjährigen, Haare sind heller (gut so), viel rötliches Haar, es fällt jedoch nicht locker genug, wirkt zu platt, was mir diesen gutmütigen Cockerspaniel-Look verleiht. Sieht besser aus, wenn ich es hinter die Ohren zurücknehme, verleiht mir etwas Spanisches, Schmales, Langgestrecktes. Das Gesicht ist jedoch noch am besten, wenn auch ein reiferer Jahrgang und sommersprossig. Ist zumindest der straffste Teil meines Körpers. Aß nur wenig und leicht, machte Gymnastik und schwamm viel. Fühlte mich heute wieder völlig genesen. Ein überwältigendes Glücksgefühl überkam mich plötzlich heute am frühen Nachmittag, nachdem ich mich darüber ausgelassen hatte, wie beschissen New York sei. Realisierte auf einmal, daß ich ja nicht dort war! Sondern tiefgebräunt direkt am Meer saß, ein Meer von wunderbarer Kühle. Rannte ins Wasser und ließ das kalte Wasser auf meinen heißen Körper prasseln. Erster Zi-inspirierter Orgasmus. Ein multipler natürlich.

Machte heute nacht die unbestreitbare Entdeckung, daß ich immer ich geblieben bin. Daraus folgt, daß A., als er mich an jenem Abend mit «muy bonita» anmachte, nur eine Frau aufreißen wollte. Der weitere Verlauf war vorprogrammiert, ein perfektes Beispiel für das Vorgehen des Macho-Manns.

Bin so auf mich fixiert, weil sich mein Ich immer mehr auflöst (um dann eines Tages durch echte Liebe belohnt zu werden), etwas wogegen ich auch nichts habe. Mein Ich würde schizophren von meinem Körper losgelöst erscheinen. Total als Sache betrachtet zu werden, kann auch befreiend wirken. Führt zu einer ironischen Haltung, d.h. Eigenliebe.

Was mir am meisten an A. gefällt, ist, daß er mir als einziger in einer Menge das Gefühl der Vertrautheit vermittelt. Die Wirkung (wenn nicht die Ursache) der Liebe. Ihre Definition. Nachdem Stan abgereist war, erzeugten A. und ich, wie in einem John-Garfield-Film, nur Feindseligkeit. Durch unsere Vertrautheit und unsere Sprache. Ich fange schon wieder damit an und übersehe absichtlich, daß er sich nie Zeit genommen und sich meiner nur geschämt hatte. Trotzdem ist er der einzige, der mich in einer Menge zusammenzucken läßt. Sobald eine dieser provisorischen Quellen des Vertrauens austrocknet, fühle ich mich wie ein verängstigtes, mutterloses Kind. Und ich werde dann – was wohl tun? Laß mich überlegen – meine Freunde anflehen, mir zu bestätigen, daß ich faszinierend bin, eine komplexe Psyche habe, was mir dann wieder meine Ironie zurückgibt. Abgründe tun sich auf.

Draußen spielt jemand Gitarre. Es ist nicht Jorge. Kein Andrés mehr. Die Angst vor dem Verlust macht meinen Magen und meine Wangen hohl. Man fühlt sich beschissen als Paria der Gesellschaft, es bleiben einem nur noch die hiesigen Basketballspiele. Die Mannschaften sind gemischt.

 

Andréslos!

Obwohl ich so erschöpft bin, daß ich losheulen könnte, überlege ich mir, ob ich im Chololo nach ihm suchen soll. Hast du Adèle H. gesehen? Sie legitimiert all die Verfolgungsphantasien, die Frauen haben mögen. Stolz hilft einem nicht viel weiter, genausowenig wie Gesundheit und Vernünftigkeit.

(Nächster Tag)

Kann jedoch Gesundheit ein Gefühl des Stolzes erwecken? Hatte endlich einen ungetrübten andréslosen Tag. Durch keinen Gedanken an ihn «getrübt». Ich brach gestern etwas abrupt ab, weil mein generöser Architekt endlich aus Mexico City zurückkam, in Begleitung von seiner Frau Elena. Groß und schlank, jung, Soziologiestudentin. Auf unauffällige Weise attraktiv, mit einer warmen, scheuen Ausstrahlung, die viele Mexikanerinnen haben. Wir gingen also alle drei frühstücken und anschließend gingen Elena und ich nach Madera, dem Groupiestrand, und sprachen über Feminismus. Es war zwar mühsam, aber der Mühe wert. Sie nach Madera zu schleppen, war jedoch so absurd wie der Versuch, das anspruchsvolle Channel 13 Programm mit dem populären ABC mixen zu wollen. Und heute morgen sind sie und Gilberto schon ganz früh losgezogen. George ist für ein paar Tage mit La Grupa nach Acapulco gefahren. Ich werde mehr und mehr geschnitten, isoliert. Die Nächte allein sind schrecklich. Sogar Pinky, der Siebzigjährige, scheut meine aussätzige Einsamkeit.

Die Grupa: Terri, die Queen of Hip, lebt mit einem Koksdealer zusammen, der sie prügelt.

Sechs Uhr abends. Eineinhalb andréslose Tage. Dios! Hereinbrechende Dämmerung. Hängematte. Tequila. Nehme wieder zu, sollte also nichts essen. Hoffe wegen der Antibiotika und nicht wegen einer Schwangerschaft, oder, was noch schlimmer wäre, wegen einer erneuten Heimsuchung durch mein unerbittliches Ichsein. Saß mit einem Pärchen aus Chicago am Strand und nahm sie anschließend zu Isidro mit, meinem letzten, noch in Frage kommenden Bewerber. Er öffnete eine Kokosnuß. Wenn sie noch grün sind, sind sie voller Milch. Goß etwas Gin rein. Ein paar joints. Ein strahlend blauer Himmel. Kühe, Schweine, Küken, räudige Hunde, entlaufene Esel, sie laufen alle so frei herum wie die Leute. Immer wenn ich im Chololo einen beschissenen Abend verbrachte, kommt mir ein entlaufener Bulle (Maskulinität, mit der ich nichts anfangen kann) friedlich wiederkäuend entgegen und macht wieder kehrt, wenn er mich sieht. Irgendwie ein gutes Omen. Auf dem Heimweg vom Hotelswimmingpool, den ich illegalerweise mit dem Pärchen zusammen benutzte, traf ich Mr. Bizeps, einen durchtrainierten Mystiker aus Alaska. Er sagte, sie hätten ihn in Mahogua, einem wunderschönen, ziemlich abgelegenen Strand geschnappt. Mein Lebenswandel ist zu locker, ich muß mich zusammenreißen und etwas cooler vorgehen. Keine Wichtigtuerei, es kann hier tatsächlich gefährlich werden. Mein Fuß heilt nicht gleichmäßig. Kann nicht schreiben, nicht denken. Es ist so viel einfacher, nur Andrés nachzutrauern. Herrlich, dieses mexikanische Lachen, beinahe tuntig, wenn sie übertrieben den Kopf beiseitedrehen und die Hand vor den Mund halten. Braunes Hinterteil. Eine exotische, tahitianische Rasse. Purpurfarbenes Zahnfleisch. Er hatte etwas Chinesisches an sich, obwohl seine Bosheit seine Züge schärfer erscheinen ließ. Strichjunge. Macht die Frauen geschickt an. Macht einen scharf indem er alle Qualen der Lust verspricht, was auch später noch wirkt, wenn es soweit ist. Wollte, ich hätte die Männer nicht wiederentdeckt. Kann über nichts anderes schreiben.

Sitze in Elviras Restaurant, ein schrecklicher Laden, in dem die Tische zu hoch sind. Sah A. Er flüchtete sofort. Warum? Konnte nicht einmal einigermaßen elegant einen Angriff starten, da ich an dem gegenüberliegenden Tisch bleiben mußte, den Kopf gerade noch über dem Tisch. Versuchte den abwesenden, distanzierten Kanadier am Nachbartisch mit meiner Zi-Routine anzumachen. Erfolglos. Was nun. Langweile überrollt mich. Carita – das bist du, Solita – bin ich.

Ich glaube, Pedro hat gestern nacht seinem Sohn Delfo die Geschichte von mir und A. erzählt. In diesem Fall (ich konnte sogar ein paar Worte verstehen) ist ziemlich sicher anzunehmen, daß auch Gilberto und Elena davon hörten. Bin nun die «pendeja» (Arschloch) von Zi. Die mexikanischen Liebhaber werden mir nicht mehr nur einfach so in den Schoß fallen. Sheilas Bemerkung über straffe, junge Körper hat sich wie eine Zyste in meinem Kopf festgesetzt.

Es ist dunkel inzwischen. Aber das Magische fehlt. Ich gehe heute nacht ins Chololo. Versuche, mich nicht noch mehr kaputtzumachen, als ich schon bin. Ein Tag in der Sonne, etwas Alkohol, Graß, die Antibis und eine verschleppte Infektion und ich bin um sechs total k.o.

Zwei Mexikanerinnen, die, soviel ich mich erinnere, im Supermarkt arbeiten, fragten mich, wo ich letzten Sonntag gewesen sei, sie hätten mich nicht auf dem Tanz gesehen (auf welchem?). Die erste Initiative von weiblicher Seite.

E., du behauptest, du wüßtest nicht was Leidenschaft wäre, das kann doch wohl nicht dein Ernst sein, Muschi, vermißt du mich? Spar etwas Geld zusammen und laß uns gemeinsam hierher zurückkommen und die Szene als Team in Angriff nehmen. Bonnie und Clyde.

A.A.A.