Ich bin keine Heldin - Carla Del Ponte - E-Book

Ich bin keine Heldin E-Book

Carla del Ponte

0,0
14,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Carla Del Ponte fordert Gerechtigkeit. Wo wird das Völkerrecht aktuell gebrochen? Und welche Möglichkeiten hätte die UN einzugreifen? Wie und von wem wird Einfluss genommen auf Entscheidungen des Sicherheitsrates? Und macht sich die UN zu einem willfährigen Instrument mächtiger Länder? Carla Del Ponte, viele Jahre Chefanklägerin des Internationalen Strafgerichtshofes, berichtet von ihrer jahrelangen Arbeit als hochrangige UNO-Diplomatin und fordert in ihrem flammenden Plädoyer die Durchsetzung des Völkerrechts, notwendige Reformen der UN sowie eine aktive Rolle der EU.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 200

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Carla Del Ponte

Ich bin keine Heldin

Mein langer Kampf für Gerechtigkeit

Unter Mitarbeit von Claudia Sabic

Mehr über unsere Autoren und Bücher:

www.westendverlag.de

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig.

Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

ISBN 978-3-86489-813-6

© Westend Verlag GmbH, Frankfurt/Main 2021

Umschlaggestaltung: Buchgut, Berlin

Satz und Datenkonvertierung: Publikations Atelier, Dreieich

Inhalt

Titel
Inhalt
Mein Kampf für Gerechtigkeit
Der lange Weg nach Den Haag
Erste Schritte auf dem Weg zum Völkerrecht
Bankrotterklärung – Klappe, die erste: Der Erste Weltkrieg
Bankrotterklärung – Klappe, die zweite: Der Zweite Weltkrieg
Die UNO: Eine Weltorganisation als Neuanfang
Die Genfer Konvention: Schutz der Menschen im Krieg
Der Europarat: Menschenrechte als Grundlage für Frieden in Europa
Der permanente Internationale Strafgerichtshof
Keine Gerechtigkeit ohne politischen Willen
Kriegsverbrecher vor Gericht
Wie bestraft man Völkermord? Die Prozesse von Nürnberg und Tokio
Das Jugoslawien-Tribunal: Ein Meilenstein im Völkerrecht
Wie alles begann
Mein Einstieg als Chefanklägerin
Historischer Hintergrund
Ein langer Weg: Gerechtigkeit für die Opfer der Jugoslawienkriege
Die Verhaftung und Überstellung Slobodan Miloševićs
Das Tribunal als Bühne für Kriegsverbrecher
Überraschender Freispruch: Ante Gotovina
In der Sackgasse: Ermittlungen gegen die NATO sind nicht möglich
Ruanda: 100 Tage Grauen
Das Ruanda-Tribunal: Der Straflosigkeit ein Ende setzen
Urteile mit Präzedenz
Von den USA zur Siegerjustiz gezwungen
Das Völkerrecht hat politische Grenzen
Das Versagen der UNO
Triumph der Straflosigkeit in Syrien
Rückblick: Assads Syrien und die Proteste 2011
Eskalation zum internationalen Stellvertreterkrieg
Die Syrien-Kommission: Kampf gegen Windmühlen
Das makabre Spiel mit dem Giftgas
Die Kommission war eine Alibi-Veranstaltung
Wie die UNO in Syrien scheiterte
»America first«: Über die Relativität von Werten und Normen
Wer bezahlt, befiehlt: die Finanzierung der UNO
In der Grauzone: Das internationale Recht ist nicht unabhängig
Raus aus der Grauzone! Neuordnung und Reformen
Anmerkungen

Mein Kampf für Gerechtigkeit

Frühling 2021: Seit einem Jahr lebt die Welt unter den Bedingungen einer globalen Pandemie. Während die meisten Menschen versuchen, sich mit dem »New Normal« zu arrangieren, sind die anderen Krisen der Welt in den Hintergrund geraten. Einzig der Krieg in Syrien scheint im Bewusstsein der westlichen Öffentlichkeit überlebt zu haben, schon allein deshalb, weil man in Europa mit den Menschen konfrontiert ist, die aus dem internationalen Schlachtfeld fliehen. Seit einer Dekade kämpfen dort nicht nur die innersyrischen Konfliktparteien, sondern auch die Regional- und Weltmächte, die sich zu sogenannten Schutzmächten der einzelnen Kriegsparteien aufgeschwungen haben. In Syrien sind Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit seit nunmehr zehn Jahren Teil des Alltags – und leider bis heute ungesühnt. Das Land am östlichen Mittelmeer stellt hier keinen Einzelfall dar. Es gibt in zahlreichen anderen Ländern bewaffnete Konflikte, die nicht minder grausam sind, aber hierzulande weit weniger öffentliche Aufmerksamkeit bekommen. Dazu gehört der Krieg im Jemen, der seit sechs Jahren anhält. Mosambik, Tigray in Äthiopien, Niger, Mali, Afghanistan – die Liste ist lang. Und immer ist es hauptsächlich die Zivilbevölkerung, die Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit ertragen muss – Verbrechen, die vor ein Gericht gehören; Verbrechen, für die den Opfern Gerechtigkeit zusteht.

Damit sind wir bei den Themen, für die ich mein Leben lang gekämpft habe: Völkerrecht, Menschenrechte und die internationale Gerichtsbarkeit, die sie durchsetzen soll. Ein Blick in die Welt zeigt: Die globale Rechtsprechung steht nicht da, wo sie stehen könnte. Und: Die Welt ist seit den ersten internationalen Gerichtsverfahren zu den Kriegen in Jugoslawien und Ruanda in den 1990er-Jahren kein sichererer Ort geworden. Statt einen Schritt in Richtung Gerechtigkeit für alle – und vor allem für die Opfer – zu machen, müssen wir uns eingestehen, dass wir wieder zurückgewichen sind. Zwar existiert das internationale Recht bereits seit den beiden Weltkriegen, aber es wird nicht angewandt, weil der politische Wille dazu fehlt.

Die derzeitige politische Lage hat die Menschenrechte und ihre Anerkennung in den Hintergrund gedrängt. Dafür verantwortlich sind maßgeblich die gegenläufigen Partikular­interessen einzelner Staaten, also ihre ureigenen Interessen aus nationaler Perspektive, und die Unfähigkeit der Weltorganisation UNO, dazu beizutragen, dass die Menschenrechte respektiert werden. Der Grund dafür ist wiederum, dass die Vereinten Nationen von den Entscheidungen des UN-Sicherheitsrats abhängen. Dabei handelt es sich um dasjenige Organ der UNO, das verfassungsgemäß, also nach der UN-Charta, die Hauptverantwortung für den Weltfrieden trägt. Und diese Institution ist momentan stark geschwächt.

Dominiert wird sie von den fünf mächtigen, permanenten Mitgliedsstaaten: China, Frankreich, Großbritannien, Russland und die USA. Diese verfügen über ein Vetorecht, mit dem sie jede Resolution, also jeden Beschluss des Sicherheitsrats, aufhalten können. Das versetzt sie in die Lage, gewisse Entscheidungen, die wichtig für Gerechtigkeit und die Wahrung der Menschenrechte sind, zu blockieren. Eine Reform dieses Systems war nie möglich. Der Versuch des ehemaligen Generalsekretärs der UNO, Kofi Annan, scheiterte vor allem am Widerstand der permanenten Mitglieder, insbesondere an Russland und den USA, die ihr Vetorecht – und damit ihren Einfluss – nicht aus der Hand geben wollten. Dieses Ungleichgewicht liegt bis heute dem katastrophalen Zustand des Völkerrechts zugrunde.

Dabei sah es zunächst so aus, als sei die internationale Gerichtsbarkeit auf einem guten Weg. Erstmals seit den Prozessen von Nürnberg und Tokio, bei denen die Gräueltaten des Zweiten Weltkriegs verhandelt wurden, kamen diejenigen, die schwere Völker- und Menschenrechtsverletzungen begangen hatten, vor Gericht. In den Tribunalen, die sich ab 1993 zunächst mit den Verbrechen während der Kriege im ehemaligen Jugoslawien und ab 1994 dann auch mit den Verbrechen in Ruanda beschäftigten, ging es vor allem darum, die Verantwortlichen auf der Führungsebene zur Rechenschaft zu ziehen und sie als Drahtzieher zu verurteilen. Nicht nur die unmittelbar Beteiligten, wie zum Beispiel der Offizier, der mit seiner Einheit Dörfer plündert, Zivilisten hinrichtet und vergewaltigt, sollten verurteilt werden. Sondern auch und vor allem diejenigen, die diese Grausamkeiten in Auftrag gegeben, mit ihrer Politik die Menschen dazu angestachelt und mit akribischer Präzision Völkermord, Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit planen und ausführen haben lassen.

Und damit hatte man – hatten wir! – Erfolg. Mit Slobodan Milošević musste sich erstmals ein ehemaliges Staatsoberhaupt vor Gericht für schwere Kriegsverbrechen verantworten. Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Massaker und Deportationen legte ihm die Anklage zur Last. Und beinahe die gesamte Regierung Ruandas, die für das grausame Abschlachten der Tutsi verantwortlich war, stand vor Gericht. In nur etwa 100 Tagen im Jahr 1994 hatten Angehörige der Hutu-Mehrheit rund 75 Prozent der Tutsi-Minderheit getötet, ebenso wie moderate Hutu, die sich nicht am Völkermord beteiligen wollten. Erstmals gab es vor einem internationalen Gerichtshof 1998 eine Verurteilung wegen Völkermords. Ein Meilenstein.

Beide Tribunale waren somit, trotz vieler Rückschläge und zäher Ermittlungen, die ich als Chefanklägerin hinnehmen musste, ein Erfolg für die internationale Gerichtsbarkeit: 90 Angeklagte sprach man im Jugoslawien-Tribunal schuldig, 62 im Ruanda-Tribunal. Die Opfer und ihre Hinterbliebenen erfuhren Gerechtigkeit. Man konnte ihre Zufriedenheit und Dankbarkeit uns gegenüber spüren. Wir hatten es geschafft, der Straflosigkeit, mit der politische Führer bis dahin weltweit ihrer Verantwortung entgangen waren, Einhalt zu gebieten.

Nicht zuletzt trugen beide Tribunale maßgeblich zur ­Weiterentwicklung des Völkerstrafrechtes bei, zum Beispiel bei der Anwendung von Kriegsrecht in internen Konflikten und der Weiterentwicklung und Auslegung von Straftatbeständen. So legte das Ruanda-Tribunal eine umfassende Rechtsprechung zum Tatbestand des Genozids vor, die anderen Gerichten heute als Vorlage dafür dient, wie der schwer nachzuweisende Tatbestand des Völkermords erfolgreich verhandelt werden kann. Das Jugoslawien-Tribunal definierte hingegen erstmals sexuelle Gewalt als Tatbestand des Völkermords – ein weiterer Meilenstein im internationalen Strafrecht.

Die Tribunale waren außerdem Wegbereiter des permanenten Internationalen Strafgerichtshofs (IStGH), dessen Grundlage das am 17. Juli 1998 verabschiedete Rom-Statut (oder auch römisches Statut) des Internationalen Strafgerichtshofs bildete, welches von 123 Staaten unterzeichnet und ratifiziert wurde. Davon sind 33 auf dem afrikanischen Kontinent, 19 aus dem asiatisch-pazifischen Raum, 18 aus Osteuropa, 28 aus Lateinamerika und der Karibik sowie 25 aus Westeuropa und weiteren Regionen. Es gibt auch Staaten, die das Rom-Statut unterzeichnet, aber nicht ratifiziert haben und entsprechend nicht zu den Mitgliedern des Gerichtshof gehören. Dazu zählen beispielsweise Angola oder auch die USA.1 Zur Verdeutlichung: Im ersten Schritt unterzeichnen die Vertreter der Länder einen Vertrag. Das allein setzt diesen aber noch nicht in Kraft. Dafür bedarf es der Ratifizierung: Sie ist die völkerrechtlich verbindliche Erklärung, die den zuvor unterzeichneten Vertrag bestätigt, und erfolgt für gewöhnlich durch das Organ, welches die Vertragspartei – also zum Beispiel einen Staat – nach außen vertritt, etwa das Staatsoberhaupt. Erst nach der Ratifizierung ist der Vertrag bindend und von den Unterzeichnern einzuhalten. Darüber stellt man eine sogenannte Ratifikationsurkunde aus. Üblicherweise werden die Urkunden aller am Vertrag Beteiligten bei einer der Parteien hinterlegt. In Deutschland ist die gängige Handhabe, dass von der Bundesregierung ausgehandelte völkerrechtliche Verträge der Zustimmung oder der Mitwirkung der für die Bundesgesetzgebung zuständigen Körperschaften bedürfen. Das heißt konkret, dass Bundestag und Bundesrat ihnen zustimmen müssen. Der Bundespräsident schließt daraufhin im Namen des Bundes die Verträge.2

123 Staaten ratifizierten ergo das Rom-Statut. Das sind zwar nicht sämtliche Staaten der Welt, aber viele. Sie alle haben sich zur internationalen Strafjustiz verpflichtet und dazu, das Völkerrecht und die Menschenrechte zu respektieren. Das ließ hoffen! Der Internationale Strafgerichtshof mit Sitz in Den Haag nahm am 1. Juli 2002 seine Tätigkeit auf. Seine Unabhängigkeit von der UNO soll verhindern, dass er machtpolitisch missbraucht wird – also Verbrechen nur dann geahndet werden, wenn das den politischen Interessen der ständigen Mitglieder des UN-Sicherheitsrats entspricht. Darüber hinaus muss er schnell handlungsfähig sein und sofort eingreifen können, nicht erst dann, wenn die meisten Verbrechen schon begangen worden sind.

Wir haben somit die Rechtsgrundlage und eine Institution. Und dennoch erkennt jeder am politischen Weltgeschehen halbwegs interessierte Bürger: Sie ist kein besserer Ort geworden. 158 gewaltsame Krisen gab es allein im Jahr 2019,3 davon 27 bewaffnete Konflikte und Kriege.4 Die meisten davon finden auf dem afrikanischen Kontinent statt. Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Völkermord und Aggression – ein Tatbestand, für den die internationale Gerichtsbarkeit seit 2018 ebenfalls zuständig ist – ereignen sich täglich vor den Augen der Weltöffentlichkeit, der globalen Politik und der internationalen Gerichtsbarkeit.

Wie bereits erwähnt, trifft das Leid vor allem die Zivilbevölkerung. Allein in Syrien haben die Kriegsparteien seit Beginn der gewalttätigen Auseinandersetzungen im Jahr 2011 mehr als 100 000 Zivilisten ermordet. Insgesamt liegen die Opferzahlen bis heute noch um ein Vielfaches höher. Zwölf Millionen Menschen sind auf der Flucht. Die Armee Myanmars hat seit 2017 unter Gewaltexzessen rund 750 000 Angehörige der muslimischen Minderheit der Rohingya ins Nachbarland Bangladesch vertrieben. Myanmarische Sicherheitskräfte zerstörten Hunderte Siedlungen der Rohingya systematisch. Sie brannten die Dörfer nieder, setzten Landminen ein, mordeten, vergewaltigten und folterten.5 Seit Ende 2020 spitzt sich die humanitäre Lage in der äthiopischen Region Tigray zu. Bei Kämpfen zwischen der Regierung und abtrünnigen Truppen unter Führung der regionalen TPLF-Partei (Tigray-Volksbefreiungsfront) werden unter anderem Krankenhäuser geplündert und zerstört. Das Gesundheitswesen ist zusammengebrochen, Medikamente, aber auch Lebensmittel sind in der Region knapp. Afghanistan, Irak, Somalia, Sudan – die Liste der Länder, in denen Gewalt gegen die Zivilbevölkerung auf der Tagesordnung steht, ist, wie gesagt, lang. Mit der Liste der dort begangenen Verbrechen verhält es sich ähnlich.

Ende 2019 lag die Zahl der Menschen, die sich weltweit auf der Flucht befanden, bei 79,5 Millionen – das ist mehr als ein Prozent der Weltbevölkerung und doppelt so viel wie noch im Jahr 2010. Mehr als zwei Drittel der geflohenen Menschen stammen aus fünf Ländern: Syrien, gefolgt von Venezuela, Afghanistan, Südsudan und Myanmar.6 Die Gründe sind vielfältig: Armut, Perspektivlosigkeit, die Folgen des Klimawandels – viele Aspekte spielen eine Rolle. Die Hauptursache ist jedoch: Gewalt.

Die Verbrecher, die für dieses millionenfache Leid verantwortlich sind, kommen trotz Völkerrecht und Internationalem Strafgerichtshof ungesühnt davon. Sie werden nicht zur Verantwortung gezogen. Unsere Hoffnung, dass die Zivilbevölkerung nach den ersten internationalen Tribunalen besser geschützt sei, hat sich offensichtlich nicht erfüllt. Wir glaubten, dass die Präsidenten, Minister und Generäle dieser Welt nach diesen Urteilen auch bei bewaffneten Konflikten darauf achten, die Zivilbevölkerung zu schützen und sich an das Kriegsrecht zu halten. Die abschreckende Wirkung der Tribunale hat aber nie eingesetzt, und die Drahtzieher der Gewaltexzesse setzen nach wie vor auf Straflosigkeit. Denn obwohl es seit 2002 den Internationalen Strafgerichtshof gibt, ist internationales Recht nach wie vor abhängig vom politischen Willen einzelner Staaten. Und, ich wiederhole mich, dieser Wille fehlt.

Wurde die internationale Gerichtsbarkeit anfangs noch maßgeblich von den USA initiiert und finanziert, ließ deren Begeisterung im Verlauf der Jahrzehnte nach. Insbesondere unter Donald Trump wandte sich ihre Politik sogar gegen den Internationalen Strafgerichtshof und die Werte, die er vertritt. Zu groß ist die Angst, dass amerikanische Staatsbürger vor einer internationalen Institution zur Verantwortung gezogen werden könnten. Konkreter Anlass für die neuerliche Feindseligkeit der USA gegenüber dem Gerichtshof dürften dessen Vorermittlungen im Jahr 2018 sein. Untersuchungsgegenstand waren Foltervorwürfe gegen US-amerikanische Soldaten, die Gefängnisse in Afghanistan bewachten. Dabei ging es auch um eine mögliche Verantwortlichkeit der Dienstvorgesetzen sowie der CIA.7 Gänzlich neu ist diese – milde ausgedrückt – Skepsis der USA nicht: Bereits die Regierung des ehemaligen Präsidenten George W. Bush hatte gegen die internationale Strafjustiz gehetzt.8 Zudem gehören die USA, ebenso wie Russland und China, zu den Staaten, die das für den Internationalen Strafgerichtshof grundlegende Rom-Statut nicht ratifiziert haben. Diese drei Länder, die zu den größten und mächtigsten der Erde zählen, bleiben folglich bei der internationalen Gerichtsbarkeit außen vor. Dazu kommt: Als ständige Mitglieder im UN-Sicherheitsrat können sie mit ihrem Veto verhindern, dass dieser den Gerichtshof bei Kriegsverbrechen in Ländern beauftragt, die das Rom-Statut nicht ratifiziert haben – so geschehen durch die Vetos Chinas und Russlands für Syrien.

Alle Staaten, gegen deren Verantwortliche die internationale Strafgerichtsbarkeit bisher ermittelt hat, stellten ihre Legitimität infrage und bezeichneten sie als politisches Vehikel, mit deren Hilfe man ihre Nationen an den Pranger stellen wollte – aus ihrer Sicht zu Unrecht. Und ganz klar ist: Alle Staaten auf der Welt verfolgen ihre partikularen Interessen. Die Durchsetzung des internationalen Rechts ist für die meisten so lange in Ordnung, wie sie ihre nationalen Interessen nicht berührt. Das gilt auch für die USA, obwohl sie die internationale Justiz mitbegründet hatten.

Der mangelnde politische Wille der einzelnen Staaten ist es, der die internationale Gerichtsbarkeit schwächt. Denn das internationale Recht liegt in einer Grauzone zwischen Recht und Politik, zwischen nationaler Souveränität und internationaler Verantwortung. Und diese Grauzone ist im Verlauf der Jahrzehnte größer geworden. Mittlerweile müssen wir sogar froh sein, wenn wir den Status quo halten können. In den letzten Jahren haben sich mehrere Staaten aus dem Internationalen Strafgerichtshof zurückgezogen. Wer weiß, wie lange wir ihn überhaupt noch haben werden?

Das ist der Anlass für dieses Buch: Es ist momentan schlecht um die Menschenrechte und die internationale Gerichtsbarkeit bestellt. Wir müssen uns fragen, welche Bedeutung sie für uns haben und welche Rolle sie in Zukunft spielen sollen. Wenn wir wollen, dass die Welt eine bessere wird, müssen wir die internationale Gemeinschaft aufwecken und dem Schutz der unveräußerlichen Rechte, die alle Menschen auf diesem Planeten genießen sollten, wieder die gebührende Bedeutung zukommen lassen. Und ohne die internationale Gerichtsbarkeit ist das nicht möglich. Nur sie schafft Gerechtigkeit für die Hundertausenden Opfer und ihre Hinterbliebenen. Bei meinen Gesprächen mit Betroffenen, zum Beispiel mit syrischen Flüchtlingen in den Lagern im Libanon und in Jordanien, habe ich gespürt, wie wichtig es für diese Menschen ist, Gerechtigkeit zu erfahren, und wie sehr sie danach verlangen.

Nur über institutionalisierte Gerechtigkeit ist ein friedliches Zusammenleben möglich – sie unterbricht den furchtbaren Kreis der Blutrache, der es immer neuen Generationen von Drahtziehern ermöglicht, die Menschen für Gräueltaten zu mobilisieren. Sie ist der erste Schritt, wenn nicht zu einer Aussöhnung, dann zumindest zu einer Neuorganisation des Zusammenlebens nach einer gewalttätigen Auseinandersetzung. Die internationalen Gerichte sind Orte, an denen die Wahrheit ans Licht kommt. Und die Zivilbevölkerung muss diese Tatsachen akzeptieren. Andernfalls kommt es zu einer doppelten Geschichtsschreibung und zu Revanchismus, einer Politik, die darauf ausgerichtet ist, mit militärischen Mitteln »verlorene« Gebiete zurückzuerlangen oder als aufgezwungen empfundene Verträge zu annullieren. Dadurch ist der Internationale Strafgerichtshof die entscheidende Institution für die Verwirklichung der Hauptziele der UNO: Frieden und Stabilität für alle Menschen auf der Welt.

Damit die Vereinten Nationen diese existenziellen Aufgaben wahrnehmen können, ist es wichtig, sie so unabhängig wie möglich vom politischen Willen einzelner Länder zu machen. Das wird ohne eine Reform der UNO und ihrer Institutionen, wie des Sicherheitsrates, nicht möglich sein. Auch darum dieses Buch: um zu zeigen, dass internationales Recht unumgänglich ist und unabhängig sein muss, wenn wir friedlich miteinander leben wollen. Weg mit den Grauzonen! Damit wir den Machthabern rote Linien nicht lediglich aufzeigen, sondern auch auf einer rechtlichen Basis dafür sorgen können, dass sie diese nicht übertreten. Mein Kampf für Gerechtigkeit ist also nicht vorbei, sondern beginnt jeden Tag von Neuem.

Der lange Weg nach Den Haag

Völkerrecht – darunter verstehen wir alle Rechtsnormen, die das Verhältnis sowohl der Staaten untereinander als auch deren Beziehungen zu den internationalen Organisationen regeln. Es ist also ein Sammelbegriff. Und im Gegensatz zur innerstaatlichen Ordnung gibt es keine zentrale Gewalt, die das Völkerrecht durchsetzt. Die einzige Institution, deren Zuständigkeit die internationale Staatengemeinschaft als solche betrifft, ist die UNO, eine alte Dame von mittlerweile über 70 Jahren. Das Völkerrecht hängt von der Anerkennung der jeweiligen Staaten ab und entsteht durch Verträge, Abkommen, Konventionen und Pakte. Diese beziehen sich beispielsweise auf die Anerkennung fremder Staatsgebiete, die Einschränkung kriegerischer Handlungen, den Schutz von Zivilpersonen, aber auch den diplomatischen Umgang miteinander, die Schlichtung von Streitigkeiten und Fragen des internationalen Handels. Wer die Einhaltung dieser Abkommen überprüft, variiert und hängt vom Abkommen selbst ab. Ob und welche Sanktionen einen Staat treffen, wenn dieser gegen ein Abkommen verstößt, steht allerdings nicht in den Verträgen selbst. Genau aus diesem Grund ist der Internationale Strafgerichtshof so wichtig. Denn nur dort können Zuwiderhandlungen, die meistens mit Menschrechtsverletzungen einhergehen, geahndet werden.

Zentrale Elemente des Völkerrechts heute sind die Verfassung der UNO, also die UN-Charta, weiterhin die Menschenrechtserklärung der Vereinten Nationen, die Genfer Konventionen sowie die Konventionen und Abkommen des Europarats. Um zu verstehen, wie es zu dieser Vielzahl an Institutionen und Organisationen kam, die heute im Völkerrecht eine Rolle spielen, ist ein Blick in die Vergangenheit hilfreich.

Erste Schritte auf dem Weg zum Völkerrecht

Bezeichnenderweise hat die Menschheit im Laufe ihrer Geschichte wichtige Schritte zur Institutionalisierung des Völkerrechts immer unmittelbar nach kriegerischen Auseinandersetzungen unternommen. Zwar regelten bereits die Menschen der Antike in Mesopotamien und Griechenland die Beziehungen ihrer Stadtstaaten mit völkerrechtlichen Ordnungen – so könnte man zum Beispiel das Kriegsverbot zuzeiten der Olympischen Spiele verstehen –, gemeinhin gilt aber das 17. Jahrhundert als Ausgangspunkt des heutigen Völkerrechts. Ein erster Meilenstein in dessen Entwicklung war der Westfälische Frieden von 1648, der den Dreißigjährigen Krieg in Deutschland und den Achtzigjährigen Unabhängigkeitskrieg in den Niederlanden beendete. Fünf Jahre lang hatten ihn die europäischen Großmächte in Münster und Osnabrück ausgehandelt. In Nürnberg diskutierte man im Anschluss Fragen zu Abrüstung und Entschädigung. Der Westfälische Frieden avancierte somit zum Vorbild für spätere Friedenskongresse: Er setzte auf das Prinzip der Gleichberechtigung der beteiligten Staaten, unabhängig von ihrer tatsächlichen Macht.

Der Wiener Kongress ordnete 1815, also fast 200 Jahre später, Europa von Grund auf um. Die Französische Revolution und die Niederlage Napoleons hatten die Landkarte Europas verändert. Damals legten die Mächte des Kongresses die jeweiligen Grenzen fest und schufen neue Staaten. Beteiligt waren Vertreter aus rund 200 politischen Einheiten Europas, lediglich das Osmanische Reich stand außen vor. Das Ziel des Kongresses bestand darin, den Rahmen für eine dauerhafte Friedensordnung zu schaffen.

Krieg war jedoch nicht grundsätzlich verboten. Dem Ius ad bellum lag ein Recht souveräner Staaten zur Kriegsführung zugrunde. Gleichzeitig regelte das Ius in bello das Recht während eines Krieges, also den Umgang mit Kriegsgegnern, Unbeteiligten und Kulturgütern. Schäden und Grausamkeiten sollten im Zaum gehalten werden. Das Ius in bello ist somit Teil des humanitären Völkerrechts. Mit der ersten Genfer Konvention von 1864 schufen zwölf Staaten eine Übereinkunft »betreffend die Linderung des Loses der im Felddienste verwundeten Militärs«.1 Es war der erste internationale Vertrag, der das Sanitätspersonal neutral ansah und gemeinsam mit den Verwundeten unter Schutz stellte. Die Versorgung der Verwundeten aller Kriegsparteien stand im Vordergrund. Symbol wurde das rote Kreuz auf weißem Grund.

Im 19. Jahrhundert entstand eine breite pazifistische Bewegung. Das Wort »Pazifismus« kommt vom lateinischen pacificus und bedeutet »friedliebend«. Entsprechend bezeichnet der Pazifismus eine Grundhaltung, die Gewalt ablehnt und nach Frieden strebt. Ihr trugen die Haager Friedenskonferenzen in den Jahren 1899 und 1907 Rechnung. Es ging um Abrüstung und die Schaffung von Grundsätzen, nach denen man internationale Konflikte friedlich regeln konnte. Die Staatengemeinschaft setzte sich das Ziel, Kriegen ein Ende zu setzen und den Rechtsweg zum einzig gangbaren Weg zur Beilegung von Konflikten zu machen – zu schön, um wahr zu sein. Denn leider konnten sich die Beteiligten der insgesamt 26 Staaten nicht auf Abrüstungsschritte einigen. Auch an der Einführung einer verpflichtenden Schiedsgerichtsbarkeit scheiterten sie, maßgeblich weil einstimmig abgestimmt werden sollte. Dennoch kam es zwischen den Jahren 1899 und 1907 zur Gründung des Schiedsgerichtshofs in Den Haag. Dieser hatte zwar keine alleinige Entscheidungsgewalt, bot aber den Staaten im Konfliktfall eine Infrastruktur, mit der sie ihren Streit ohne militärische Schritte beilegen konnten.

Die Haager Landkriegskonvention stellte gleichwohl wichtige Aspekte der tradierten Regeln des Kriegs auf eine breite, völkerrechtliche Basis. Es ging darum, »die Leiden des Krieges zu mildern, soweit es die militärischen Interessen gestatten, den Kriegführenden als allgemeine Richtschnur für ihr Verhalten in den Beziehungen untereinander und mit der Bevölkerung [zu] dienen«.2 Die Formulierung »soweit es die militärischen Interessen gestatten« zeigt schon, dass der Spielraum für Interpretationen groß war – sie galten offensichtlich als legitim und waren wichtiger als das Völkerrecht. Gleichzeitig gab es keine Verfügungen zur Ahndung von Kriegsverbrechen. Einzelpersonen hätte man in diesem Zusammenhang sowieso nicht belangen können. Das Militär betrachtete man als Staatsorgan, nicht als Sammlung von Individuen, die für ihre Taten im Krieg verantwortlich sind. Handlungsträger war der Staat, nicht der Mensch. Das sicherte die Eliten gegen die Konsequenzen ihres Handelns ab und etablierte eine langanhaltende Kultur der Straffreiheit bei Verstößen gegen das Völkerrecht.

Bankrotterklärung – Klappe, die erste: Der Erste Weltkrieg

Der Erste Weltkrieg markierte nicht nur eine politische, wirtschaftliche, gesellschaftliche und kulturelle Zeitenwende. Auch was die Kriegsführung anbelangt, setzte er neue Standards der Grausamkeit. Der entfesselten Gewalt konventioneller Technologie traten die ersten Einsätze von Chemiewaffen hinzu. 1915 setzte das Deutsche Reich als erste Nation das hochgiftige Chlorgas im Kampf gegen Frankreich ein: 3 000 Soldaten erstickten, 7 000 erlitten schwere Verätzungen. Der Einsatz von Giftgas galt 1915 bereits als Kriegsverbrechen, denn das Haager Recht verbot den Einsatz derartiger Waffen. Auch die Franzosen und die Briten experimentierten in der Folge mit giftigen Substanzen wie Senf­gas oder Phosgen.3

Die traurige Gesamtbilanz des Ersten Weltkriegs oder des Grande Guerre, des großen Kriegs, wie ihn die Franzosen nennen, war der Tod von neun Millionen Soldaten.4 Die neue Art der Kriegsführung trieb die Zahlen der zivilen Opfer durch die Decke: Mit sieben Millionen starben beinahe so viele Zivilisten wie Soldaten.5 Und selbst das ist nur ein grober Anhaltspunkt, denn noch heute forschen Wissenschaftler in den betroffenen Ländern über die genaue Zahl. Zählt man auch diejenigen dazu, die durch Folgen des Kriegs wie Unterernährung oder Epidemien ums Leben kamen, fällt sie noch deutlich höher aus. Die internationalen Abkommen von Genf und Den Haag konnten das Leid also nicht lindern. Im Gegenteil: Die Verwüstung und die Grausamkeit waren bis dahin beispiellos.

Was das Völkerrecht betrifft, begann im Zuge dessen nach 1918 ein Umdenken. Das grundsätzliche Recht auf Kriegsführung wurde infrage gestellt. Zudem rückte der Mensch als Handelnder, der für seine Taten die Verantwortung tragen musste, in den Blickpunkt. Nach dem Flächenbrand des Ersten Weltkriegs erstarkte die Idee einer internationalen Organisation, die den Frieden sichern sollte: 1919 nahmen die verhandelnden Staaten die Satzung des Völkerbunds mit dem Versailler Vertrag an, und im Folgejahr wurde der direkte Vorfahr der UNO gegründet. Der erste Teil fasst zusammen:

In der Erwägung, daß es zur Förderung der Zusammenarbeit unter den Nationen und zur Gewährleistung des internationalen Friedens und der internationalen Sicherheit wesentlich ist, bestimmte Verpflichtungen zu übernehmen, nicht zum Kriege zu schreiten; in aller Öffentlichkeit auf Gerechtigkeit und Ehre gegründete internationale Beziehungen zu unterhalten; die Vorschriften des internationalen Rechtes, die fürderhin als Richtschnur für das tatsächliche Verhalten der Regierungen anerkannt sind, genau zu beobachten, die Gerechtigkeit herrschen zu lassen und alle Vertragsverpflichtungen in den gegenseitigen Beziehungen der organisierten Völker peinlich zu achten, nehmen die Hohen vertragschließenden Teile die gegenwärtige Satzung, die den Völkerbund errichtet, an.6

Mit der Unterzeichnung des Versailler Vertrags waren die 32 Unterzeichner sowie 13 neutrale Staaten Mitglieder des Völkerbunds. Diese Verknüpfung mit dem Versailler Vertrag gilt rückblickend in vielerlei Hinsicht als »Geburtsfehler«. Bis 1937 kamen weitere 21 Staaten dazu. Die Institution hatte ihren Sitz in Genf. Ihre zentralen Organe waren die Bundesversammlung, die aus Vertretern aller Mitgliedsländer bestand, und der Völkerbundrat. Letzterem gehörten zunächst vier ständige Mitglieder an: Frankreich, Großbritannien, Italien und Japan. Später wurde er um das Deutsche Reich und die Sowjetunion ergänzt. Dazu kamen außerdem bis zu zehn temporäre Mitglieder. Der Rat sollte im Wesentlichen bei internationalen Konflikten vermitteln, zu seinen Aufgaben zählte aber auch die Schaffung des Ständigen Internationalen Gerichtshofs im Jahr 1921 (nicht zu verwechseln mit dem heutigen Internationalen Strafgerichtshof).

Interessanterweise waren es ausgerechnet die USA, die den Versailler Vertrag nicht ratifizierten und damit dem Völkerbund nicht beitraten. Und das, obwohl sich die Idee zu dessen Gründung maßgeblich auf den damaligen Präsidenten Woodrow Wilson zurückführen lässt. Dieser hatte zwar versucht, den US-Kongress von einem Beitritt zu überzeugen, aber die Vorbehalte überwogen. Während Wilson selbst die USA als Hüter dieser neuen globalen Weltordnung sah, kritisierten seine Gegner die gewaltigen Verpflichtungen, die mit dieser Verantwortung einhergingen. Außerdem fürchtete man um die eigene Souveränität. So kam der Völkerbund als »Waisenkind« auf die Welt.

Was die Ächtung des Kriegs anging, war schon in der Satzung des Völkerbunds ein eingeschränktes Gewaltverbot vorgesehen.7 Noch stärker Ausdruck fand dieser historische Sinneswandel im Briand-Kellogg-Pakt von 1928, in dem 15 Staaten einen gegenseitigen Kriegsverzicht unterzeichneten. In Artikel I des Dokumentes heißt es:

Die Hohen Vertragsschließenden Parteien erklären feierlich im Namen ihrer Völker, daß sie den Krieg als Mittel für die Lösung internationaler Streitfälle verurteilen und auf ihn als Werkzeug nationaler Politik in ihren gegenseitigen Beziehungen verzichten.8

Zu den 15 Gründerstaaten gehörte neben den USA und Frankreich auch das Deutsche Reich. Bis 1939 hatten insgesamt 60 Staaten den Pakt unterzeichnet. Leider enthielt der Vertrag keine Klausel, wie man diejenigen, die gegen ihn verstoßen, zur Rechenschaft ziehen würde. So blieb er wirkungslos.

Bankrotterklärung – Klappe, die zweite: Der Zweite Weltkrieg

Auch die Ziele des Völkerbunds wurden von den Mitgliedsstaaten bestenfalls halbherzig verfolgt. Sie blieben in ihren nationalen Interessen gefangen. Weder konnte sich der Völkerbund 1931 bei Japans Angriff auf China durchsetzen noch zeigten sich die Sanktionen gegen Italien wegen der Ero­berung Abessiniens im Jahr 1935 wirkungsvoll. Beim sogenannten Anschluss Österreichs an Nazi-Deutschland 1938 protestierte lediglich Mexiko. Schon fünf Jahre zuvor waren Deutschland und Japan ausgetreten. Ihnen folgten weitere Mitglieder. Der Völkerbund konnte den Zweiten Weltkrieg nicht verhindern und auch seinen Verlauf nicht beeinflussen. In Folge beschlossen die verbliebenen 34 Mitglieder 1946 seine Auflösung.

Nach dem Überfall des Deutschen Reichs auf Polen im Jahr 1939 entbrannte ein weltweiter Krieg mit Massenmorden und zahllosen Kriegsverbrechen. Insgesamt wurden Schätzungen zufolge mehr als 70 Millionen Menschen getötet, davon 24 Millionen allein in der Sowjetunion. Mehr als die Hälfte der Opfer waren Zivilisten, die meisten zählte China.9 Sechs Millionen Juden wurden während des Holocausts auf barbarische Weise ermordet, dazu kommen sieben Millionen sowjetische Zivilisten. Weitere drei Millionen überlebten die Kriegsgefangenschaft im Deutschen Reich nicht. Etliche Angehörige von Minderheiten wie Sinti und Roma, Zeugen Jehovas, Menschen mit Behinderung und Homosexuelle mussten grundlos sterben.10