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Kennen Sie das Gefühl der Wut, das sich in Ihrem Bauch festsetzt und Sie fast explodieren lässt? Dieses Gefühl, das Sie zugleich aggressiv und hilflos macht? Wut an sich ist ein gesundes Lebensgefühl. Wird sie jedoch unterdrückt, äußert sie sich oft destruktiv als Depression oder unkontrollierte Aggression. Dies führt auch dazu, dass positive Gefühle wie Freude und Liebe nicht mehr gelebt werden. Die Körperpsychotherapeutin Anita Timpe bietet seit einigen Jahren Seminare zum Thema Wut an. Sie vermittelt Ihnen einen Zugang zu diesem Gefühl und hilft Ihnen die Angst davor zu verlieren. Sie zeigt, wie Sie Ihre Wut zulassen können, ohne zerstörerisch oder gewalttätig zu werden, und hebt die positiven Aspekte von Wut hervor, zum Beispiel wie Sie sich behaupten und abgrenzen können. Finden Sie mithilfe von Übungen und Beispielen heraus, was Sie wütend macht, und lernen Sie damit umzugehen – um die Kraft Ihrer Wut als Lebensenergie positiv zu nutzen.
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Seitenzahl: 187
Veröffentlichungsjahr: 2014
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Für Stefan, den ich liebe
Einleitung
Wut – das verbotene Gefühl
Was ist das eigentlich: Wut?
Die vielen Ursachen von Wut
Die Wut, die aus der Kindheit kommt
Der ungesunde Umgang mit der Wut
Krank werden vor Wut – chronische Wut und ihre Folgen
Das hilfreiche Potenzial der Wut
Positive Vorbilder für den Umgang mit Wut
Ohne Wut keine Veränderung
Wachsen Sie an Ihrer Wut
Persönliche Grundrechte
Der sinnvolle Umgang mit der Wut
Die Angst vor der Wut verlieren
Jetzt bin ich wütend! – Was Sie tun können
Kritik und Zorn angemessen äußern
Vom Umgang mit der Wut in der Partnerschaft
Vom Umgang mit der Wut in der Familie
Freunde, Nachbarn und Kollegen – der manchmal nagende Alltag.
Verschiedene Therapieansätze im Überblick
Methoden für Gelassenheit und inneren Frieden
Anhang
Literaturverzeichnis
Mein Dank gilt
Anmerkungen
Zur Autorin
Wer nicht zuweilen zu viel empfindet,
der empfindet immer zu wenig.
Jean Paul
Für viele Menschen sind heftige Gefühle wie Wut und Aggressionen ein Problem. Es fällt ihnen schwer, sich diese Gefühle einzugestehen, und sie sind erst recht nicht in der Lage, sie zu zeigen. Wut wird als etwas Negatives gesehen und als Folge davon unterdrücken wir diese starke, kreative Energie. Das bleibt nicht ohne Folgen, denn auch andere Gefühle wie Freude oder Liebe können dann nicht mehr frei fließen.
Wütende Menschen passen nicht ins gesellschaftliche Bild. Besonders Frauen werden dazu erzogen, brav und nett zu sein und ihre Aggressionen zu zügeln. Dabei ist Wut ein ganz normales Gefühl. Im Gegensatz zu anderen Gefühlen wie Freude, Trauer oder Angst wird Wut jedoch negativ bewertet und ist im Miteinander noch weitestgehend tabuisiert. Mit ihr umzugehen fällt uns schwer, weil wir dazu erzogen wurden, dass sie etwas Destruktives ist, das wir vermeiden müssen. Wir haben gelernt, sie zu fürchten, sie abzulehnen, sie gegen uns selbst oder an die falsche Adresse zu richten. Wir haben gelernt, uns so zu verhalten, dass unsere Wut wirkungslos bleibt, und zu verleugnen, dass es überhaupt Gründe gibt, wütend zu sein. Dabei kann man lernen, mit Wut umzugehen wie mit anderen Gefühlen auch. Es sind uns bisher einfach nur zu wenige Modelle für einen konstruktiven Umgang mit Wut bekannt. Wut ist ein ganz normales, eigentlich gesundes Gefühl.
Alle unsere Gefühle sind wichtig, sie teilen uns etwas mit – wenn wir ängstlich sind, dass wir aufpassen müssen; wenn wir traurig sind, dass uns jemand wehgetan hat; wenn wir wütend sind, dass jemand unsere Grenzen überschritten hat. Wir werden niemals grundlos wütend. Das ist eine wichtige Einsicht, die viele Menschen erst einmal zulassen müssen. Unsere Wut weist uns immer darauf hin, dass irgendetwas nicht in Ordnung ist. Sie verdient deshalb unsere volle Aufmerksamkeit und Beachtung.
Wut ist nicht nur ein Gefühl wie jedes andere, sie ist auch enorm wichtig für uns: Sie taucht auf, wenn uns etwas zu viel ist und wir überfordert sind. Sie sorgt dafür, dass wir unsere Grenzen spüren und deutlich machen. Sie bringt uns dazu, das zu verändern, was uns nicht mehr gefällt oder gut tut. Sie hilft uns, uns zu schützen und zu verteidigen, wenn wir angegriffen werden. Sie weist uns darauf hin, dass wir ein Problem nicht angehen, dass wir zu viel für andere tun oder dass andere zu viel für uns tun, so dass unsere persönliche Entwicklung stagniert. Und somit ist Wut ein wesentlicher Ausgangspunkt für Veränderungen im Leben. Wenn Sie auf diese Weise wachsen und sich weiter entfalten wollen, dann dürfte Ihnen dieses Buch sehr helfen. Wut kann Ihnen helfen, sich zu entfalten.
Wut ist ein starkes Gefühl. Weil sie auch verletzend und zerstörerisch sein kann, ist es wichtig, sorgfältig mit ihr umzugehen und sie nicht blind auszuagieren. Es ist ganz selbstverständlich, dass wir, auch wenn wir wütend sind, unser Gegenüber weiterhin mit Respekt behandeln sollten. Oftmals lösen ja gerade die Menschen, die mit uns leben und die wir lieben, am meisten Wut bei uns aus. Sie kommen unserem Innersten am nächsten und damit auch unseren verletzten und wütenden Seiten. Weil sie unsere liebsten Menschen sind und unser Wohlbefinden mit dem ihren eng verknüpft ist, lohnt sich unser Einsatz hier ganz besonders: einen guten Umgang mit der Wut zu entwickeln und an ihr zu wachsen.
Dieses Buch möchte Ihnen eine neue, gesündere Haltung zu Ihrer Wut vermitteln. Es wird Ihnen anhand von Erläuterungen, Beispielen und Übungen viele Möglichkeiten zeigen, wie Sie konstruktiv mit Ihrer Wut umgehen können. Und es will Ihnen dabei helfen, unsinnige und verletzende Umgangsweisen mit Aggressionen aufzugeben – Sie haben es sicher schon oft genug erlebt, an sich und an anderen, dass Vorwürfe, Herabsetzung, endlose Streitereien und emotionaler Rückzug niemandem etwas nützen.
Die Übungen auf den folgenden Seiten dienen dazu, Ihnen das Thema näher zu bringen. Versuchen Sie, zu akzeptieren, wenn einzelne Übungen nicht so laufen oder Ihnen auf bestimmte Fragen einfach keine Antwort einfällt. Lesen Sie weiter, forschen Sie weiter und probieren Sie es zu einem späteren Zeitpunkt noch einmal. Es kann Sie unterstützen, sich ein »Wut-Tagebuch« zuzulegen. Führen Sie ein »Wut-Tagebuch«. Schreiben Sie darin alles auf, was mit dem Thema zusammenhängt, was Sie ärgert, wie Sie reagieren, was Ihnen aus Ihrer Vergangenheit dazu einfällt und so weiter. Manchmal wollen wir, dass sich ganz schnell etwas verändert und vergessen dabei, dass unser bisheriges Verhalten vielleicht auch eine Funktion gehabt hat. Deshalb ist es wichtig, dass wir unsere Erkenntnisse Schritt für Schritt umsetzen. Auch in Ihren Beziehungen sollten Sie Veränderungen behutsam angehen und sich und Ihrem Partner Zeit lassen, die neue Gangart zu üben und auszuprobieren. Die unterschiedlichen Übungen, die ich Ihnen hier vorstelle, können und dürfen Ihnen übrigens auch Spaß machen. Gerade solche spielerischen Übungen wie »Ja–Nein«, »Hahnenkampf« oder »König(in) der Löwen« können in einer Phase des Konflikts, wenn sich die Fronten verhärtet haben, zur Auflockerung beitragen. Schritt für Schritt – und mit Freude.
Erlauben Sie sich Fehler zu machen, sie sind wichtig für Ihren Wachstumsprozess. Schließlich lernen wir vor allem aus Fehlern. Wenn Ihnen etwas zu viel wird, können Sie jederzeit eine Pause machen oder eine Übung ganz abbrechen.
Wichtig war mir bei dem Buch, dass es für Sie nutzbar und praxisorientiert ist. Die Theorie, die natürlich zu dem Thema auch sehr spannend ist, habe ich deshalb nur leicht angetippt. Die vielen Beispiele, die Sie zu den einzelnen Aspekten finden werden, entstammen der therapeutischen Praxis; die Darstellungen wurden zum Schutz der Betroffenen teilweise verfremdet. Bei der Schreibweise bin ich der Einfachheit halber meistens bei der männlichen Form geblieben. Aber natürlich wendet sich das Buch an Frauen und Männer gleichermaßen.
Einmal entfacht, bin ich nur schwer zu bremsen,
ich bin stets angemessen, immer notwendig.
Versuche nicht, mich loszuwerden.
Ich muss erhört und geachtet werden.
Ich bin Wut.
Amy Sophia Marashinsky
Wenn wir wütend sind, können wir keinen klaren Gedanken mehr fassen. Unser Körper befindet sich im Ausnahmezustand, das Herz klopft schneller, Blutdruck und Puls sind erhöht, der Adrenalinspiegel steigt, uralte Verhaltensmuster werden aktiviert. Wir fühlen eine rasende Energie in uns, die alles kaputtmachen will. Wir kochen, brodeln und zittern vor Wut und es fällt uns schwer, uns zurückzuhalten. Vielleicht werden wir laut und schlagen – verbal oder körperlich – um uns vor Wut, vielleicht erstarren wir aber auch zu Eis und ziehen uns zurück, um insgeheim Rachepläne zu schmieden.
Es gibt so viele Begriffe für dieses mächtige Gefühl – meinen sie wirklich alle ein und dassselbe? Gleich am Anfang wollen wir uns einen Überblick darüber verschaffen, was mit den einzelnen Worten eigentlich gemeint ist:
Bei Ärger handelt es sich um eine kurze, spontane emotionale Reaktion auf ein unangenehmes Ereignis oder eine Person, die uns verletzt hat. Wir ärgern uns beispielsweise, wenn uns jemand die Vorfahrt nimmt, wenn wir den Zug verpassen oder unsere Freundin mal wieder zu spät kommt. Ärger kann sich auch als Unzufriedenheit, Gereiztheit oder Missmut äußern. Während Ärger (solange er nicht chronisch ist) mehr ein Gefühl an der Oberfläche ist und auch sehr unauffällig verlaufen kann, bleibt Wut selten verborgen.
Denn Wut ist ein heftigeres Gefühl als Ärger. Es handelt sich um eine starke, aggressive Reaktion auf etwas, das wir als kränkend und verletzend erleben. Wut baut sich auf. Sie entwickelt sich aus einer Reihe von Situationen, in denen wir uns geärgert haben, und kann sich in einem Wutanfall entladen. Die Wut kann dabei ganz unterschiedlich intensiv sein, sie kann mit starken körperlichen Reaktionen einhergehen. Wut hat meistens tiefere Ursachen als Ärger. Wird sie unterdrückt, kann das zu körperlichen Beschwerden führen, worauf wir später noch ausführlich eingehen werden. Wut kann nach allen Seiten hin explodieren.
Zorn ist ein starkes Gefühl, das der Wut sehr ähnelt. Im Gegensatz zur Wut ist Zorn aber immer gegen eine bestimmte Person oder Gruppe gerichtet, während Wut nach allen Seiten hin explodieren kann. Neben dem so genannten Jähzorn, also zornigen, unkontrollierten Ausbrüchen, gibt es auch einen eher positiven Zorn: So spricht man im religiösen Kontext vom »gerechten« oder sogar »heiligen Zorn«.
Groll – ein weiterer Begriff in unserem Zusammenhang – entsteht, wenn Ärger oder Wut über eine Zeit lang festgehalten werden. Menschen, die grollen, erinnern sich bewusst immer wieder an die Verletzung und erleben den Schmerz erneut. Sie halten altes Unrecht in ihrer Erinnerung manchmal ein Leben lang wach. Sie fühlen dabei die Wut oder Verletzung nicht wirklich, sondern konservieren sie. Sie können nicht vergeben, weil der Groll zu ihrem Lebensinhalt geworden ist. Während Wut und Zorn wie eine heiße Flamme sind, ist Groll wie glühende Kohle.
Die ursprüngliche Wortbedeutung von Aggression stammt ab vom lateinischen »aggredi«, was übersetzt werden kann mit: »auf etwas zugehen«. Während es sich bei Ärger, Wut und Zorn um Emotionen handelt, bezeichnet der Begriff Aggression eine Verhaltensweise. Mit aggressivem Verhalten kann gemeint sein: auf ein Ziel loszugehen, jemanden herauszufordern oder anzugreifen. Der Begriff ist eigentlich neutral, hat bei uns aber oft eine negative Konnotation. Als aggressiv könnte eigentlich wertneutral jedes Verhalten bezeichnet werden, das nicht von Passivität und Zurückhaltung geprägt ist. Aggressiv sein heißt eigentlich nur: auf etwas zuzugehen.
Wut wird aus den unterschiedlichsten Gründen häufig unterdrückt. Oft merken wir selbst gar nicht, dass wir innerlich schon kochen, sondern reden uns ein, es sei alles in Ordnung. Und das kann sich über eine ganze Zeit hinziehen. Wenn Sie nicht genau wissen, ob die Wut in Ihnen nagt, können Sie auf folgende Symptome achten:
Kopf- und Magenschmerzen
an den Fingernägeln kauen und die Nagelhaut abbeißen
zusammengebissene Zähne oder nächtliches Zähneknirschen
verspannte oder schmerzende Kiefermuskeln
Verspannungen in den Schultern und im Nacken
unkontrollierte Ausbrüche zu unpassenden Zeiten
Nicht immer zeigt sich die Wut offen. Auch die indirekten Formen lassen sich an einigen Signalen erkennen – wobei diese natürlich auch andere Ursachen haben können. Dennoch, Sie können auf Folgendes achten:
zu spät kommen und den anderen warten lassen
Termine vergessen
etwas aus Versehen verschütten oder fallen lassen
in den falschen Zug einsteigen
unbeteiligt sein
Überheblichkeit
Ironie, Spott, Sarkasmus, Zynismus
»Ist mir doch egal«-Stimmung
Rückzug
Indem wir unsere Wut wahrnehmen, nehmen wir sie auch schon ein bisschen an. Es ist ein wichtiger erster Schritt im Umgang mit diesem mächtigen Gefühl, dass wir es nicht verleugnen oder ignorieren. Außerdem können wir dadurch, dass wir uns die Wut bewusst machen, schon eine Distanz zwischen unserer Wut und unserer Handlung entstehen lassen – wir werden nicht mehr völlig von ihr überwältigt, sondern können steuern, wie wir mit ihr umgehen.
Übung: Was macht mich so richtig wütend?
Schreiben Sie auf, was Sie wütend macht und aus der Haut fahren lässt. Sie können folgenden Satz vervollständigen:
Ich bin wütend auf Menschen, die ...Ich bin wütend, wenn ...Wenn Sie mehrere Dinge aufgeschrieben haben (das können auch aktuelle Beispiele sein), fragen Sie sich:
Warum lehne ich ... ab?Was befürchte ich, wenn Menschen so etwas tun, wenn so etwas passiert?Durch diese Übung lernen Sie sich, Ihre Gefühle und die dahinter stehenden Befürchtungen besser kennen.
In unserem Alltag kommen häufig Situationen vor, die uns ärgern und wütend machen. Wie wir darauf reagieren und damit umgehen, kann sehr unterschiedlich sein und hängt von mehreren Faktoren ab.
Es kann sein, dass wir kurzzeitig wütend werden, der Ärger aber genauso schnell wieder verfliegt, wie er gekommen ist. Die Ursachen waren geringfügig und wir können damit umgehen.
Es kann aber auch sein, dass eine Alltagssituation eine tiefe, unterdrückte Wut auslöst. Im Gegensatz zum akuten Ärger lässt sie sich nicht so schnell wieder auflösen und kann uns noch tagelang beschäftigten. Sie bringt uns an unsere Grenzen, wir fühlen uns überfordert und wissen nicht, wie wir damit umgehen sollen. Es kann zu heftigen körperlichen Reaktionen kommen: Herzklopfen, Sehstörungen, Atembeschwerden, Migräne. Bei akutem Ärger kann es zwar auch zu körperlichen Reaktionen kommen, diese gehen jedoch schneller wieder vorüber. Herzklopfen, Sehstörungen, Atembeschwerden, Migräne – Begleiter der Wut.
Wenn sich Wut auf eine so intensive Art äußert, hat sie ihren Ursprung meistens in der Kindheit. Die aktuelle Situation löst eine tief vergrabene Erinnerung aus. Sie kann dabei auch von Gefühlen wie Angst, Hilflosigkeit und Ohnmacht begleitet sein.
Ein typisches Beispiel für akuten Ärger
Sie sind sowieso schon spät dran, vielleicht hat der Wecker nicht geklingelt oder Sie sind irgendwie aufgehalten worden. Ihr Chef erwartet Sie zu einer Besprechung, jede Minute ist knapp, Sie müssen nur noch einen Parkplatz finden. Und tatsächlich ist direkt vor Ihnen noch einer frei. Sie fahren den Wagen in die entsprechende Position, stellen den Blinker an und genau in dem Moment, wo Sie das Auto zurücksetzen wollen, kommt ein anderer Wagen von rechts und nimmt Ihnen den Parkplatz vor der Nase weg. Sie sind fassungslos, empört und wütend. Sie steigen aus und beschimpfen den anderen Fahrer. Dieser lässt Sie jedoch einfach stehen und verschwindet.
In so einem Fall haben Sie keine Zeit, sich lange mit Ihrem Ärger zu beschäftigen, denn Sie haben einen Termin und müssen weiter funktionieren. Und nun?
Wenn Sie richtig wütend sind, können Sie ein paar Dinge tun, um die Energie erst einmal abzulassen und sich unter Kontrolle zu bekommen:
Durchatmen. Atmen Sie ein paar Mal tief ein und aus, Sie können dabei eine Hand auf Ihren Bauch legen.
Sprechen Sie Ihre Wut innerlich aus. Sie können zum Beispiel zu sich sagen: »Ich bin so wütend!«, »Man, bin ich sauer!«, »Ich koche vor Wut!« usw. Niemand wird merken, womit Sie innerlich beschäftigt sind. Gleichzeitig werden Sie sich besser fühlen, wenn Sie Ihre Wut, wenn auch stumm, aussprechen können. Ihren Tätigkeiten können Sie dabei weiter nachgehen.
Verlassen Sie – wenn möglich – kurz den Ort des Geschehens und ziehen Sie sich zurück. Jeder wird Verständnis dafür haben, wenn Sie mal kurz zur Toilette gehen müssen. Vor dem Spiegel können Sie Grimassen schneiden, die Zunge herausstrecken und die Zähne zeigen, die Fäuste ballen und vielleicht sogar knurren oder Töne von sich geben. Stellen Sie sich dabei Ihren Wutadressaten vor. Bevor Sie zurück zu ihm oder anderen Menschen gehen, atmen Sie ein paar Mal tief ein und aus.
Und wenn sich die Gelegenheit ergibt, können Sie in einem geschützten Rahmen auch: Geschirr schlagen, Holz hacken und Papier zerreißen. Manchen Menschen hilft es im akuten Falle des Ärgers auf solche Weise wieder ruhiger zu werden. Handeln Sie dabei sehr bewusst, behutsam und gezielt, damit niemand zu Schaden kommt.
Die zuletzt genannte Möglichkeit hilft nicht nur in akuten Situationen. In einer unserer Gruppen hat eine Frau mal mit Begeisterung ein ganzes Telefonbuch auseinander genommen, währenddessen schluchzte, heulte und brüllte sie vor Wut und Schmerz. Hinterher war das Telefonbuch im ganzen Raum verteilt und eine glückliche und stolze Frau blickte auf ihr Werk.
Wir werden wütend,
wenn unsere Erwartungen an andere oder an uns selbst enttäuscht werden,
wenn unsere Bedürfnisse nicht erfüllt werden,
wenn wir uns ungerecht behandelt fühlen,
wenn wir angegriffen werden,
wenn wir uns gekränkt, verletzt, ohnmächtig und hilflos fühlen,
wenn wir abgelehnt und verlassen werden.
Wutausbrüche können außerdem eine Folge von unverarbeiteten traumatischen Erlebnissen sein. Auch Ungerechtigkeiten in der Politik, sowie gesellschaftliche und globale Missstände können viel Wut erzeugen. Wenn wir an den Verhältnissen nichts ändern können und uns ausgeliefert fühlen, kann sich dieses in uns zu einer ohnmächtigen Wut entwickeln. In Wut steckt aber auch immer die Kraft zur Veränderung wie im folgenden Zitat anschaulich beschrieben wird: »Die Vernunft kann sich mit größerer Wucht dem Bösen entgegen stellen, wenn der Zorn ihr dienstbar zur Hand geht.« (Gregor, der Große)
Übung: Das Gefühl Wut
Um noch etwas vertrauter mit Ihrer Wut zu werden, sollten Sie es sich für einen Moment bequem machen und über die folgenden Fragen nachdenken:
Wann war ich das letzte Mal richtig wütend?Was ist genau passiert, was hat mich wütend gemacht?War jemand daran beteiligt und wenn, wer?Wie habe ich mich gefühlt und wie bin ich mit meiner Wut umgegangen?Beispiel
Paul hat seiner Mutter versprochen, einkaufen zu gehen. Sie kommt mit der Vorfreude von der Arbeit nach Haus, dass alles schon da ist und sie gleich mit dem Kochen beginnen kann. Umso größer ist ihre Enttäuschung, als sie entdeckt, dass Paul den Einkauf vergessen hat. Sie hatte einen stressigen Tag und ist völlig entnervt. In dieser Verfassung geht sie zu Paul und begrüßt ihn vorwurfsvoll mit den Worten: »Warum hast du nichts eingekauft, geh jetzt bitte gleich los und hol die Sachen, die wir brauchen, sonst wird es mit dem Essen wieder so spät!« Paul, der ebenfalls keinen angenehmen Tag gehabt hat, reagiert darauf wütend: »Ich bin nicht der Einzige, der hier essen will. Du kannst ja auch Miriam schicken, die muss nie etwas tun und hat sowieso viel mehr Zeit als ich.« Daraufhin wird die Mutter noch wütender: »Nie kann man sich auf dich verlassen, immer schiebst du die Verantwortung an andere ab.« Sie knallt die Tür zu und geht wütend in die Küche zurück. Paul bleibt voller Zorn in seinem Zimmer sitzen. Beide sind enttäuscht und verletzt. Schließlich geht die Mutter einkaufen und bereitet eine einfache Mahlzeit zu. Beim gemeinsamen Essen verziehen weder Paul noch seine Mutter eine Miene. Nur Miriam, die Schwester, plappert munter drauflos, da sie den Streit nicht mitbekommen hat.
Kennen Sie solche Momente? Wie hätten Sie reagiert? Welche Reaktionen konnten Sie beim Lesen an sich selbst beobachten? Wir werden später noch einmal auf dieses Beispiel zurückkommen und uns anschauen, welche Verhaltensalternativen es gegeben hätte.
Um den Ursachen für Wut auf die Spur zu kommen, ist es hilfreich, genau zu beobachten, was in einer solch emotionalen Situation geschieht. Denn oftmals ist das Maß der Wut gar nicht dem Ereignis angemessen, das sie ausgelöst hat.
Beispiel
Frau und Herr B. befinden sich im Urlaub in Italien. Am Abend kehren sie in eine Pizzeria ein. Das Restaurant ist mäßig besetzt, der Kellner nimmt ihre Bestellung entgegen. Da beide recht hungrig sind, hoffen sie, dass es schnell geht. Sie unterhalten sich angeregt und zunächst vergeht die Zeit wie im Fluge. Nach etwa 25 Minuten werden die beiden jedoch ungeduldig und beschließen den Kellner zu fragen, wie lange es noch dauert. Dieser wirkt etwas überrascht, sagt dann aber, dass das Essen sofort kommen werde. Beide haben den Eindruck, dass er ihre Bestellung vergessen hat. Nach etwa weiteren zehn Minuten kommt die Pizza. Sie ist nicht durch und schmeckt entsprechend. Herr B. ist vor Enttäuschung und Wut ganz sprachlos, so dass Frau B. die Initiative ergreift. Sie ruft den Kellner herbei und beschwert sich. Dieser entschuldigt sich vielmals und verspricht, in wenigen Minuten neue Pizzen zu bringen. Während Frau B. gerne noch bleiben würde, ist Herr B. so frustriert, dass er das Lokal auf dem schnellsten Wege verlassen möchte. Die beiden zahlen die Getränke und gehen.
Auf dem Nachhauseweg schimpft Herr B. in einem fort, er kann sich gar nicht mehr beruhigen. Frau B. ist zwar auch enttäuscht über den Verlauf des Abends, aber da sie sich beschwert hat und ihren Ärger dem Kellner gegenüber angemessen zum Ausdruck bringen konnte, tritt das Ereignis für sie schon wieder etwas in den Hintergrund. Sie überlegt bereits, wohin sie jetzt gehen könnten. Sie ordnet das Erlebnis unter die Rubrik »Urlaubsabenteuer« ein und stellt sich schon vor, wie sie ihren Freundinnen davon berichten wird. Außerdem nimmt sie sich vor, das Lokal in Zukunft zu meiden.
Für Herrn B. hingegen ist der Abend gelaufen. Plötzlich findet er an allem etwas auszusetzen. Er mag auch nirgendwo mehr hingehen, der Appetit ist ihm vergangen. »Wer kam überhaupt auf die Idee, nach Italien in den Urlaub zu fahren!« Im Hotel angekommen, legt er sich sofort missgelaunt in sein Bett und zieht sich die Decke über den Kopf.
Frau B.s. Ärger entspricht der Situation. Sie kann ihren Ärger in dem Beispiel angemessen zum Ausdruck bringen und erfährt durch die Entschuldigung des Kellners sofort eine Entlastung. Dadurch kann sie das Ereignis nach relativ kurzer Zeit verarbeiten und sich wieder anderen Dingen zuwenden.
Herr B. hingegen reagiert weitaus betroffener, als es der Situation entspricht. Bei ihm wird durch das Ereignis in der Pizzeria ein tieferes Gefühl angesprochen, möglicherweise erinnert es ihn an eine Situation aus seiner Kindheit, in der er sich ungerecht behandelt fühlte. Deshalb kann er auch nicht angemessen reagieren. Er fühlt sich hilflos und ohnmächtig vor Wut wie ein Kind. Erst nach dem Verlassen des Restaurants findet er seine Sprache wieder und kann seine Wut artikulieren. Herrn B.s. Reaktion im Restaurant wirkt hilflos, er verstummt. Letztlich schützt ihn das aber vor einem unkontrollierten Wutausbruch. Instinktiv tritt er erst einmal den Rückzug an, bis er wieder angemessen reagieren kann. Rückzug kann auch vor offenen Ausbrüchen schützen.
Als Herr B. am nächsten Morgen aufwacht, hat er schon mehr Abstand zu der Situation gewonnen. Im Gespräch mit Frau B. wird ihm bewusst, warum er so wütend geworden ist. Im Nachhinein kann er den berechtigten Ärger auf den Kellner und die tiefe Wut, die durch den Vorfall in ihm ausgelöst wurde, voneinander unterscheiden.
Wenn die emotionale Reaktion auf einen Konflikt ungewöhnlich stark und lang ist, kann es ein Hinweis darauf sein, dass ein tiefes »altes« Gefühl angesprochen worden ist. Die Ursachen dafür liegen meistens in der Kindheit und manchmal auch in der Beziehungsdynamik.
Übung: Angemessene und unangemessene Reaktionen