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Wilde Piraten und Piratinnen erzählen! Endlich kommen die wildesten und bekanntesten Piraten selbst zu Wort und berichten von ihren spannenden Abenteuern. Herbert Hook, ein mit allen Wassern der Karibik gewaschener Piratenkapitän, seine Tochter Jenny, die mindestens genauso gerissen ist wie ihr Vater, Billy Hornbeam, der verwegene Steuermann der Lavinia, Binka Babington, eine vornehme junge Lady, und Victoria Appleyard, die auf einem einsamen Strand verzweifelt auf Rettung wartet. Dann gibt es da noch eine geheimnisvolle Karte, eine verfluchte Insel und jede Menge Schurken und Helden, die einen legendären Schatz suchen. Mit großem Sachteil: Die wildesten Piraten aller Zeiten – Störtebeker & Co. hautnah! - Humorvoll erzählte Piratengeschichten aus der Karibik - Auch für Wenigleser geeignet - Humorvoll erzählt mit witzig-frechen Illustrationen - So muss Geschichte erzählt werden!Alle Titel der Reihe: - Ich, Zeus, und die Bande vom Olymp - Ich, Caesar, und die Bande vom Kapitol - Ich, Odin, und die wilden Wikinger - Ich, Merlin, und die furchtlosen Ritter - Ich, Kleopatra, und die alten Ägypter - Ich, Odysseus, und die Bande aus Troja - Ich, Herakles, und meine großen Heldentaten - Ich, Aladin, und die Helden aus 1001 Nacht - Ich, Athene, und die mutigen Frauen aus OlympiaDie Bände sind unabhängig voneinander lesbar.
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Seitenzahl: 260
Veröffentlichungsjahr: 2025
Wilde Piraten und Piratinnen erzählen!
Mit an Bord sind: Herbert Hook, ein mit allen Wassern der Karibik gewaschener Piratenkapitän, seine Tochter Jenny, die mindestens genauso gerissen ist wie ihr Vater, Billy Hornbeam, der verwegene Steuermann der Lavinia, Binka Babington, eine vornehme junge Lady, und Victoria Appleyard, die auf einem einsamen Strand verzweifelt auf Rettung wartet. Dann gibt es da noch eine geheimnisvolle Karte, eine verfluchte Insel und jede Menge Schurken und Helden, die einen legendären Schatz suchen.
Mit großem Sachteil: Die wildesten Piraten aller Zeiten! Störtebeker & Co. hautnah!
Von Frank Schwieger sind außerdem bei dtv lieferbar:
Kinder unterm Hakenkreuz
Ich, Athene, und die mutigen Frauen aus Olympia
Ich, Aladin, und die Helden aus 1001 Nacht
Ich, Herakles, und meine großen Heldentaten
Ich, Odysseus, und die Bande aus Troja
Ich, Kleopatra, und die alten Ägypter
Ich, Merlin, und die furchtlosen Ritter
Ich, Odin, und die wilden Wikinger
Ich, Zeus, und die Bande vom Olymp
Ich, Caesar, und die Bande vom Kapitol
Der Schiffsjunge der Santa Maria
Die Rache des Gladiators
Das Löwenamulett
Flucht aus Rom
Frank Schwieger
Mit Illustrationen von Ramona Wultschner
Meiner lieben Schwester
Beim Klabautermann! Es war gar nicht so einfach, all die Geschichten zusammenzuklauben! Die meisten habe ich mir erzählen lassen, weil Jenny, Diego und ein paar andere ja gar nicht schreiben können. Bei einigen musste ich, wie soll ich sagen, etwas nachhelfen, also die Burschen mit meinem Haken kitzeln, damit sie endlich anfingen zu erzählen. Einige Jungs waren nicht gut auf mich zu sprechen. Warum? Na, das wirst du noch erfahren. Aber am Ende haben sie alle geplaudert. Und dann habe ich das, was sie mir erzählt haben, aufgeschrieben. Das hat ein paar Wochen gedauert, das kannst du mir glauben. Aber am Ende lag ein dickes Buch vor mir.
Doch denk jetzt nicht, dass der alte Hook hier nur Seemannsgarn erzählt. Nee, nee, meine liebe Landratte! Alles ist genau so passiert, wie du es gleich lesen wirst, darauf hast du mein Ehrenwort. Und dass du dich auf Hooks Ehrenwort verlassen kannst, das wirst du auch noch sehen.
Ich werde das Buch zusammen mit diesen Zeilen hier in eine Kiste legen und sie gut verschließen. Irgendwann wird irgendwer diese Kiste finden, da bin ich mir sicher. Und dann wird er so begeistert sein von unserem Abenteuer, dass er mein Buch drucken lassen wird, vieltausendfach. So werden viele, viele Menschen erfahren, was für ein mutiger, gewiefter und großartiger Piratenkapitän ich bin. Solltest du daran Zweifel haben, dann kannst du mich gern einmal besuchen. Ich werde dich dann auch mit meinem Haken kitzeln. Und dann wirst du deine Meinung ganz schnell ändern, darauf kannst du Gift nehmen!
Dein Captain Hook
Was ich zuerst über Captain Hook gedacht habe? Nichts Gutes. Was für ein durchtriebener Halunke, ein rücksichtsloser Spitzbube, ein gemeiner Menschenhändler, ein Pirat der übelsten Sorte, den du dir ganz und gar nicht zum Vorbild nehmen solltest. Möge sich doch endlich ein tapferer Wal finden, der diesen gottlosen Banditen mitsamt der Lavinia, seinem Piratenschiff, mit einem großen Happs verschlingt! Ja, so oder so ähnlich habe ich bei unserer ersten Begegnung über diesen vermaledeiten Herbert Hook gedacht.
Du musst wissen, dass sein richtiger Name gar nicht Hook ist. So müssen ihn seine Männer ansprechen, nachdem er seine rechte Hand verloren und durch einen silbernen Haken ersetzt hatte. Hook heißt ja Haken, aber das weißt du sicherlich. Eigentlich heißt er Herbert Krautwurst. Sein Vater stammt aus Hamburg. Vater Krautwurst war ein Seemann, den es irgendwie über den Atlantik in die Gewässer der Karibik verschlagen hat. Aber Krautwurst klingt natürlich nicht so bedrohlich wie Hook. Deshalb ist er froh über seinen neuen Namen. Und wehe, einer seiner Männer nennt ihn Captain Krautwurst! Oh, oh, dann kann Hook ganz verdrießlich werden und mit seinem schauderhaften Haken Dinge tun, die ich dir gar nicht beschreiben mag. Sei also froh, wenn du diesem missmutigen Piratenkapitän nie begegnen musst. Ich kann ein Lied davon singen, wie es ist, wenn man mit ihm zu tun bekommt. Und das will ich jetzt tun.
Aber vorher muss ich dir ein wenig von mir erzählen und davon, wie ich Captain Krautwurst, pardon, Hook kennengelernt habe. Binka ist nicht mein richtiger Vorname. Ich heiße Barbara Josephine, auf diesen Namen wurde ich getauft. Doch den mag meine Mutter nicht (mein Vater hatte ihn ausgesucht) und hat mich seit meinen Babytagen Binka genannt. Ich habe noch zwei ältere Brüder, doch die sind schon vor ein paar Jahren ausgezogen und haben eigene Familien gegründet.
Meine Heimat ist das schöne England. Dort wohnen wir in Bristol. Das ist eine Stadt ganz im Südwesten. Sie liegt am Fluss Avon, der in den Bristol Channel fließt. Und der Bristol Channel ist nichts anderes als eine große Bucht, die sich weit zum noch viel größeren Atlantischen Ozean hin öffnet. Kein Wunder also, dass Bristol als Handelsstadt und für seinen Hafen bekannt ist. Von hier aus fahren Schiffe in alle Ecken der Welt, nach Amerika, nach Afrika und sogar bis nach Indien. Und auf einem dieser Schiffe hielt ich mich auf, als ich Captain Hook zum ersten Mal begegnete.
Wahrscheinlich fragst du dich, was ein dreizehnjähriges Mädchen auf einem Schiff macht. Nun, ich wollte meinen Vater besuchen. Mein Vater Mortimer Andrew Charles Babington ist ein Kaufmann, ein sehr reicher Kaufmann, das muss ich zugeben. Er hatte schon ein großes Vermögen von meinem Großvater geerbt und dieses Geld dann noch einmal verdoppelt. Oder verdreifacht, so genau weiß ich das nicht. Auf jeden Fall stamme ich aus einer reichen Kaufmannsfamilie und musste noch nie in meinem Leben hungern. Noch nicht einmal zur Schule gehen musste ich. Warum ich trotzdem lesen, rechnen und schreiben und so manches andere gelernt hab? Weil meine Eltern Lehrer bezahlten, die zu uns ins Haus kamen und mir Privatunterricht gaben.
Mein Vater verdient sein Geld mit den verschiedensten Waren, vor allem aber mit Wolle, Gewürzen und Tabak. Er kauft diese Güter in großen Mengen ein und verkauft sie dann wieder. So hat er mir das einmal erklärt. Und beim Verkaufen bekommt er mehr Geld, als er beim Einkaufen bezahlt hat. Warum das so ist, habe ich nie richtig verstanden. Aber so scheinen es alle Kaufleute zu machen, jedenfalls alle englischen, die besonders gewieft sind, wie mein Vater immer sagt. Viel gewiefter und geschickter jedenfalls als die Händler aus Frankreich oder den Niederlanden.
Vor einigen Jahren hatte mein Vater in Virginia eine große Tabakplantage erworben. Der Tabak, der dort angebaut wird, ist in England überaus beliebt. Und mit ihm kann Vater unglaublich viel Geld verdienen. Die Tabakblätter werden auf der Plantage getrocknet und dann in großen Ballen auf Schiffe geladen, die von Virginia nach England fahren. Im Hafen von Bristol werden die Schiffe entladen und der Tabak weiterverarbeitet, sodass man ihn schnupfen oder mit der Pfeife rauchen kann. Ich mag diesen Tabakrauch nicht, er stinkt und beißt in den Augen. Was die Leute daran so verlockend finden, ist mir ein Rätsel. Das ist doch unappetitlich! Aber wenn Vater damit Geld verdienen kann, soll es mir recht sein. Mit dem Geld kann ich mir neue Kleider, Schuhe oder Hüte kaufen, hin und wieder auch mal ein Buch, ein Schmuckstück oder ein neues Haustier.
Du weißt, wo Virginia liegt. Natürlich weißt du das, aber zur Sicherheit erzähle ich es dir trotzdem. Es liegt in Amerika, genauer gesagt an der Westküste Nordamerikas. Virginia ist eine britische Kolonie, es gehört also unserem König George, der es von einem Gouverneur regieren lässt. Mein Vater war vor einigen Monaten nach Virginia aufgebrochen, um auf seiner Tabakplantage nach dem Rechten zu sehen. Und dort in Virginia wollte ich ihn besuchen.
Ich hatte große Mühe, meine Mutter davon zu überzeugen, mich ziehen zu lassen. Ein Mädchen auf einem Handelsschiff, das ist reichlich ungewöhnlich. Normalerweise treiben sich da ja nur Männer herum, die meisten von ihnen recht ungehobelte Kerle, so wie Seeleute nun einmal sind, mit starken Armen und braun gebrannten Gesichtern, von denen kaum einer lesen oder schreiben kann. Und die meisten von diesen Kerlen glauben, dass Weibsvolk, wie sie sagen, auf einem Schiff nichts zu suchen hat und nur Unglück bringt. Ist doch nur dummes Seemannsgerede, dachte ich bis zu dieser Reise. Was soll schon passieren?
Irgendwann konnte ich Mutter überzeugen. Sie fand ein Schiff, das ein anderer Kaufmann angemietet hatte und das Bristol in Richtung Virginia in wenigen Tagen verlassen sollte. Dann bezahlte sie das Reisegeld und sorgte dafür, dass ich eine eigene Kajüte bekam. Die wenigen anderen Passagiere, die die Fancy Fanny mit an Bord nahm, mussten unter Deck auf schaukeligen Hängematten oder Strohsäcken schlafen. Da hatte ich es erheblich besser. Ich hatte in meiner Kajüte ein eigenes Bett mit einer weichen Decke und einem behaglichen Kissen, dazu einen Schrank für meine vielen Kleider, Schuhe und Hüte, einen bequemen Sessel und einen Waschtisch.
Wir verließen den Hafen von Bristol an einem entzückenden Frühlingsmorgen. Die Sonne schien, die See war ruhig, es wehte eine leichte Brise. Und dennoch packte mich die Seekrankheit und ließ mich drei Tage lang nicht mehr aus ihrem eisernen Würgegriff. Oh, wie elend mir war! Zum Glück gab es eine Waschschüssel in meiner Kajüte, die ich immer wieder … Na, du weißt schon. In dem kleinen Spiegel, der über der Schüssel hing, konnte ich sehen, wie jämmerlich ich aussah: Mein Gesicht war weiß wie die Kreidefelsen an der Küste bei Dover. Unter meinen Augen hatten sich dunkle Ringe gebildet. Meine Wangen waren eingefallen. Mein Haar klebte mir an der Stirn. Glaub mir, ich sah mehr tot als lebendig aus und gruselte mich vor mir selbst. Und schon wieder brach die nächste Welle gegen den Schiffsrumpf, mein Magen schlug einen Purzelbaum, ich musste mich über die Schüssel beugen und …
»Daran gewöhnt man sich«, sagte Oliver, der Schiffsjunge, der regelmäßig nach mir sah, meine Schüssel entleerte und mir zu essen brachte. Leider konnte ich das Essen kaum anrühren. Und wenn ich doch einmal ein paar Bissen herunterbekam, landeten diese kurz darauf wieder in der Schüssel.
Zum Glück behielt Oliver recht. Nach drei Tagen konnte ich meine Kajüte mit wackeligen Knien wieder verlassen, ohne dass es mir gleich den Magen umdrehte. An Deck begrüßte Oliver mich mit einem fröhlichen Lächeln. Er stand an der Reling und schaute auf das endlose Meer, den gewaltigen Atlantik, den man überqueren muss, wenn man von England nach Amerika gelangen will.
»Na, geht es dir besser?«, fragte er, als ich mich neben ihn stellte und mit beiden Händen an der Reling festhielt. Meine Knie waren weich wie ein englischer Weihnachtspudding.
»Einigermaßen«, antwortete ich.
»Hast du Hunger? Es ist noch etwas vom Mittagessen da.«
»Nicht wirklich. Vielleicht später.«
»Da ist noch jemand von deiner Sorte an Bord. Falls du etwas Abwechslung brauchst.«
»Von meiner Sorte? Wie meinst du das?«
Oliver grinste. »Noch ein Mädchen, meine ich.«
»Ich lege keinen großen Wert auf Gesellschaft«, sagte ich.
»Das sehe ich«, meinte Oliver und hob dabei die Augenbrauen. »Aber falls dir doch langweilig werden sollte – die andere ist im Unterdeck bei ihrer Familie.«
Jetzt war ich doch ein wenig neugierig geworden. Aber das wollte ich Oliver nicht zeigen. Er entfernte sich bald, musste wieder an die Arbeit. Und ich suchte und fand die Treppe, die hinunter ins Unterdeck führte. Dort lernte ich Catherine Davenport, ihren Bruder Thomas und ihre Eltern kennen. Die Davenports waren eine Bauernfamilie aus der Nähe von Bristol.
»Der Earl, dem unser Hof gehört, ist ein furchtbarer Mensch«, erzählte mir Catherine, als wir am Abend dieses Tages am Bug standen und auf das glitzernde Wasser hinausschauten. »Die Ernte, die wir einbrachten, reichte kaum zum Leben. Doch der Earl hatte kein Mitleid mit uns, wir mussten ihm Abgaben leisten, egal wie gering die Ernte ausgefallen war. Oh, wie oft haben wir gehungert. Kannst du dir das vorstellen?«
Ich nickte, obwohl ich mir das ganz und gar nicht vorstellen konnte. Catherine war dürr wie ein Stöckchen. Ihr fadenscheiniges graues Kleid schlackerte um ihre mageren Beine.
»Darum«, fuhr sie fort, »haben Vater und Mutter im Winter beschlossen auszuwandern.«
»Nach Virginia?«, fragte ich.
»Ja«, antwortete Catherine. »Dort wollen wir ein neues Leben beginnen. Vielleicht ein Stück Land kaufen, das nur uns gehört. Und von dem wir leben können.«
»Habt ihr denn genug Geld dafür?«
Catherine schüttelte den Kopf. »Wir haben alles verkauft, was wir hatten. Von dem Geld haben wir diese Überfahrt bezahlt. Wir haben eigentlich nichts mehr. Nur noch ein paar Kleider und ein bisschen Hausrat. Unser ganzer Besitz steckt in zwei Seesäcken. Aber in Virginia wollen wir fleißig arbeiten. Vielleicht reicht das Ersparte in ein paar Jahren für ein kleines Stück Land.«
»Gewiss«, sagte ich.
Ehrlich gesagt hatte ich bis zu diesem Tag noch nie mit einem Mädchen wie Catherine gesprochen. Ich schaute auf ihre Hände, die auf der Reling ruhten. Sie hatten Schwielen und sahen viel kräftiger aus als meine, mit denen ich, das muss ich gestehen, noch nie gearbeitet hatte. Und auch gehungert hatte ich bisher noch nicht.
»Du hast noch gar nichts von dir erzählt«, unterbrach sie meine Gedanken. »Bist du ganz allein hier auf dem Schiff? Du scheinst aus einer reichen Familie zu kommen. Wo schläfst du überhaupt?«
Dann berichtete ich ihr von meiner Kajüte, meiner Familie und dem Ziel meiner Reise, der Tabakplantage meines Vaters.
Die Fancy Fanny, die uns nach Virginia bringen sollte, war ein gewöhnliches Handelsschiff. Etwa zwanzig Seeleute waren an Bord, dazu kamen noch neun Passagiere. Außer den Davenports und mir gehörten dazu noch zwei junge Männer und ein Ehepaar. Ich war die Einzige, die eine Kajüte für sich hatte, die anderen acht schliefen im Unterdeck, dem Laderaum des Schiffes. Die Fancy Fanny hatte vor allem Tuche geladen, große Stoffballen, aus denen in Virginia Kleidung gefertigt werden sollte, dazu noch einige Fässer mit französischem Wein.
Es vergingen etwa drei Wochen. Ich hätte nicht gedacht, wie langweilig und eintönig so eine Seereise sein kann. Ich hatte ja nichts zu tun! Selbstverständlich gehörten auch einige Bücher zu meinem Reisegepäck. Doch die hatte ich schon nach wenigen Tagen durchgelesen. Spielen oder herumlaufen konnte man auf so einem Schiff nicht, dafür war es zu klein. Außerdem durften wir die Seeleute nicht bei ihrer Arbeit stören. Etwas Abwechslung brachten die Gespräche mit Catherine, ihrem Bruder Thomas und Mrs und Mr Davenport. Das waren freundliche Menschen, die ich bald ins Herz schloss. Insgeheim nahm ich mir vor, meinen Vater zu fragen, ob die Davenports nicht auf seiner Plantage arbeiten könnten. Er hatte dort zwar jede Menge Sklaven, die die schwere Arbeit erledigten, aber vielleicht konnte er ja auch noch eine englische Familie beschäftigen, jedenfalls für eine gewisse Zeit.
Inzwischen war die vierte Woche unserer Reise angebrochen. Der Steuermann hatte mir erzählt, dass es nicht mehr lange dauern könne, bis wir Virginia erreichten. Die Fahrt war bislang ruhig und ohne Zwischenfälle verlaufen. Gelegentlich hatte ich Delfine gesehen, die neben der Fancy Fanny schwammen und dabei immer wieder aus dem Wasser sprangen. Welch entzückender Anblick! Hin und wieder zeigte sich auch ein Wal, der aus den Wellen auftauchte und seinen Blas lautstark in die Höhe schoss. Aber diese gewaltigen Tiere mussten keine Angst vor unserem Schiff haben, denn die Fancy Fanny war ja kein Walfänger.
Es war mitten in der Nacht, als der Sturm losbrach. Ich erwachte, weil ich in meinem Bett unsanft hin und her geworfen wurde. Der Sturm brüllte und schleuderte unser Schiff erbarmungslos über die hohen Wellen. Es war stockdunkel in meiner Kajüte. Ich zog mir meinen Morgenmantel über und öffnete die Tür. Doch als ich das Deck erreichte, scheuchte mich einer der Seemänner geradewegs wieder zurück.
»Du kannst hier nicht helfen, Kleine!«, brüllte er mich an. »Geh wieder unter Deck!«
Ich konnte kaum etwas erkennen, schwarze Wolken hatten den Mond und die Sterne verdeckt. Doch hin und wieder zuckte ein Blitz über den Himmel, der die Fancy Fanny und das tobende Meer für einen winzigen Augenblick in ein grausiges Licht hüllte. Ich sah, wie die Männer die Segel einholten und dabei erhebliche Mühe hatten, nicht über Bord geworfen zu werden. Nein, helfen konnte ich hier wirklich nicht. Wie es wohl den anderen Passagieren im Laderaum erging? Waren die großen Stoffballen und die Weinfässer gut verzurrt? Konnten Catherine und ihre Familie sich irgendwo festhalten? Oder waren sie den tobenden Elementen schutzlos ausgeliefert?
Irgendwie gelang es mir, zurück in meine kleine Kajüte zu stolpern. Dabei habe ich mir an Armen und Beinen so manchen blauen Fleck geholt, weil ich auf den wenigen Yards bestimmt fünf- oder zehnmal hingefallen bin und gegen die Wände geschleudert wurde. In der Kabine krabbelte ich auf allen vieren zu meinem Bett, setzte mich auf die Matratze und hielt mich mit beiden Händen an einem Bettpfosten fest.
Selbstverständlich kenne ich so manches Gebet, auch das Vaterunser. Ich habe es in dieser Nacht wohl hundertmal vor mich hin gesprochen. Erstaunlicherweise wurde ich nicht seekrank, das war das einzig Gute. In meiner Kabine schepperte und krachte es unaufhörlich, weil der Tisch, der Stuhl und hundert andere Dinge hin und her geworfen wurden. Aber das beunruhigte mich weniger. Viel unheimlicher waren der brüllende Sturm und das knarrende Holz unseres Schiffes. War es stark genug? Oder würde das Meer es unbarmherzig verschlingen und auf seinen finsteren Grund ziehen?
Nein, so weit sollte es nicht kommen, denn dann läge ich ja auch auf dem Meeresgrund, tot wie ein Stein, und könnte diese Zeilen nicht schreiben. Doch in dieser Nacht hatte ich mit meinem Leben abgeschlossen, das kannst du mir glauben.
Der Sturm tobte die ganze Nacht und ließ auch nicht nach, als es allmählich wieder hell wurde. Meine Kabine hatte kein Fenster, aber das fahle Licht, das durch die Ritzen der Bretter drang, aus denen die Wände und die Tür gebaut worden waren, ließ mich erkennen, dass die Sonne tatsächlich aufgegangen sein musste. Es dauerte bis zum Nachmittag, dann hatte der Sturm endlich eingesehen, dass die Fancy Fanny eine allzu tapfere Barke war, die sich so leicht nicht versenken ließ. Er ließ nach, rüttelte nur noch sacht an den Bordwänden und gab schließlich auf.
Als ich die ersten Rufe vernahm, ging ich mit zitternden Beinen an Deck. Dort waren die Seemänner gerade damit beschäftigt, die Segel wieder hochzuziehen. Ich erblickte Catherine und ihre Familie, auch die anderen Passagiere, allesamt aschfahl im Gesicht, aber alle am Leben und heilfroh, diesen stürmischen Wahnsinn überstanden zu haben.
Oliver, der Schiffsjunge, kam zu mir und begrüßte mich freundlich. »Das war gar nichts«, sagte er fröhlich. »Ein harmloser Wind. Allerdings hat er uns ein ganzes Stück vom Kurs abgetrieben. Wird wohl ein paar Tage länger dauern, bis wir unseren Zielhafen erreichen.«
»Wohin hat er uns getrieben?«, fragte ich.
»Nach Süden«, antwortete Oliver. »Wie viele Meilen, das weiß auch der Steuermann nicht. Vielleicht liegt dort vorne Carolina.« Er zeigte zum Bug des Schiffes, also nach Westen. »Oder Florida. Der Kapitän und der Steuermann werden das berechnen. Sie haben ja ihre Instrumente. Und heute Nacht sind die Sterne bestimmt wieder zu sehen. Ich hoffe nur, dass wir nicht allzu weit nach Süden getrieben wurden.« Oliver seufzte.
»Droht im Süden weiteres Ungemach?«, fragte ich.
»Hä?«
»Stürme.«
»Ach so. Ja, das auch. Aber es sind eher die Piraten, die mir Sorge bereiten.«
»Piraten?«, entfuhr es mir. »Auf diesem Meer gibt es Piraten?«
»Aber ja doch!« Oliver grinste. »Piraten gibt es auf allen Meeren. Und ganz besonders viele hier, vor der Küste Amerikas und zwischen den Inseln der Karibik. Wusstest du das nicht?«
»Doch, selbstverständlich«, sagte ich. »Davon habe ich gehört. Aber diese Unholde werden ja nicht unser Schiff angreifen. Wir haben keine Schätze geladen, soviel ich weiß.«
»Das sieht man dem Schiff ja nicht an«, sagte Oliver.
»Wie meinst du das?«
»Piraten greifen jedes Handelsschiff an, das sie sichten. Dann entern sie es und schauen, welche Beute sie machen können. Auch Tuchballen und Fässer voller Wein lassen sich zu Geld machen. Und erst recht all die Leute hier an Bord.«
»Das verstehe ich nicht.«
»Auf Sklavenmärkten kann man gutes Geld verdienen«, erklärte Oliver grinsend. »Besonders für Töchter reicher Kaufleute sollen da gewaltige Summen gezahlt werden, habe ich gehört.«
»Du beliebst zu scherzen, nicht wahr?«
»Klar. Das war ein Scherz. Für reiche Pinkel wie dich wird überhaupt nicht viel gezahlt. Du kannst ja nicht arbeiten. Andererseits gibt es vielleicht andere Verwendungsmöglichkeiten für so ein hübsches Mädchen wie dich.«
»Jetzt hör sofort auf!«, rief ich. »Sonst werde ich mich beim Kapitän über dich beschweren.«
Meine Wangen brannten, ich war knallrot angelaufen, weil ich so erbost über diesen kecken Burschen war. Was bildete dieser freche Lümmel sich ein?
»Entschuldige bitte«, sagte Oliver. »Ich habe noch …«
»Schiff auf Backbord!«, hörten wir jählings einen Seemann rufen, der hoch oben am Großmast mit einem Segel beschäftigt war. Wir schauten alle in die Richtung, in die er mit seinem ausgestreckten Arm wies.
»Kannst du die Flagge erkennen?«, rief der Steuermann, der hinten am Heck die Ruderpinne hielt.
»Zu weit weg«, rief der Matrose. »Aber es hält auf uns zu.«
»Beeilt euch mit den Segeln!«, hörten wir plötzlich die Stimme des Kapitäns, der neben den Steuermann getreten war. »Wir müssen Fahrt aufnehmen.«
»Was ist los?«, fragte ich Oliver.
Der zuckte nur mit den Schultern. »Reine Vorsichtsmaßnahme. Damit uns das Schiff dort nicht zu nahe kommt. Wird ein Handelsschiff sein, denke ich.«
»Und wenn es kein Handelsschiff ist?«
»Dann kann uns nur noch der liebe Gott helfen. Oder ein freundlicher Wind, der uns schnell genug an die Küste bläst.«
Nach dem, was Oliver mir über Piraten erzählt hatte, machte ich mir jetzt große Sorgen. Ich wollte doch nur meinen Vater besuchen! Dass dieser Besuch misslingen und ich in die Fänge von ungehobelten Seeräubern geraten könnte, daran hatte ich bislang nicht gedacht. Ich mochte mir gar nicht ausmalen, was sie mir und den anderen Passagieren antun könnten. Schon zu Hause in England hatte ich hier und da grausige Geschichten über Piraten gehört. Aber das waren doch nur Ausgeburten der Fantasie! Abenteuerliche Erzählungen, die irgendjemand ersonnen hatte, um damit kleine Kinder zu ängstigen. Die konnten doch unmöglich wahr sein!
Das Schiff, das der Matrose ausgemacht hatte, fuhr auf dem gleichen Kurs wie die Fancy Fanny. So könnte man es ausdrücken. Man könnte aber auch schreiben, dass es uns verfolgte. Zu allem Überfluss konnte man mit bloßem Auge erkennen, dass es schneller war als wir. Als es Abend wurde, sahen wir, dass es ein Zweimaster war, der hinter uns herfuhr. Ein recht schneller Zweimaster. Würde er uns in der Dunkelheit verlieren? Wohl kaum. Es war eine sternenklare Nacht. Und das fremde Schiff war schon zu nah an die Fancy Fanny herangesegelt, als dass wir ihm hätten entkommen können.
Sicher kannst du dir vorstellen, dass ich in dieser Nacht kein Auge zubekam. Immer wieder stand ich auf, verließ meine Kajüte und stieg an Deck. Auch von den Seeleuten hatte sich niemand in seine Hängematte gelegt. Die meisten Männer standen am Heck des Schiffes und schauten zu dem Zweimaster, der jetzt vielleicht noch eine Seemeile entfernt durch das Meer pflügte. Es war eine gute Stunde nach Mitternacht, als ich mich zu Oliver und den Davenports an die Reling begab und zusammen mit ihnen auf das Schiff blickte, das uns verfolgte.
»Es fährt unter französischer Flagge«, erzählte mir Oliver.
Mir fiel ein Stein vom Herzen. Hätte er mir das nicht früher sagen können?
»Dem Herrgott sei Dank!«, rief ich. »Dann ist ja alles gut.«
Doch Mr Davenport schüttelte den Kopf. »Das ist ein bekannter Piratentrick«, erklärte er. »Den Jolly Roger hissen die erst, wenn sie zum Entern klarmachen. Vorher fahren sie unter einer harmlosen Flagge, um den Gegner in Sicherheit zu wiegen.«
»Was ist der Jolly Roger?«, fragte ich.
Oliver seufzte schwer und schüttelte den Kopf. »Du hast wirklich keine Ahnung, was? So nennen die Piraten ihre Flagge: ein schwarzes Tuch, auf dem ein Skelett zu sehen ist. Oder ein Totenkopf. Oder ein Stundenglas. Oder gekreuzte Knochen. Manchmal ist ihre Flagge aber auch dunkelrot. Rot wie Blut, verstehst du?«
Ich nickte stumm.
»Daher der Name«, fuhr Oliver fort.
»Welcher Name?«, fragte Catherine, die neben mir stand.
»Der Name der Flagge«, erklärte Oliver. »Joli rouge ist Französisch und heißt hübsches Rot. Aus joli rouge wurde Jolly Roger. Wahrscheinlich, weil die englischen Piraten kein Französisch sprechen und nicht verstehen, warum ihre französischen Kollegen ihre Flagge joli rouge nennen. Das hat mir jedenfalls der Kapitän so erzählt.«
»Interessant«, sagte ich.
Warum die Piratenflagge so hieß, wie sie hieß, fand ich gänzlich uninteressant. Ich wollte nur nicht, dass das Schiff dort hinten plötzlich diesen furchtbaren Jolly Roger hisste und uns angriff! Alles andere war mir in diesem Moment egal.
»Passagiere unter Deck!«, befahl plötzlich der Kapitän, der aus seiner Kajüte getreten war.
Mir fielen sofort die beiden Pistolen auf, die er sich in den Gürtel gesteckt hatte. Das war wahrlich kein gutes Zeichen. Uns blieb nichts anderes übrig, als seinem Befehl zu gehorchen.
Natürlich konnte ich für den Rest dieser Nacht keinen Augenblick schlafen. Steif wie eine Kerze saß ich auf meinem Bett und lauschte den Geräuschen, die durch die dünnen Bretter an meine Ohren drangen. Ich hörte den Wind, das Knattern der Segel, die Schritte und Rufe der Männer.
Doch erst einmal passierte nichts. Jedenfalls konnte ich in meiner Kabine nichts Ungewöhnliches vernehmen. Es wurde allmählich wieder hell, musste also etwa vier oder fünf Uhr am Morgen sein. Und dann fiel der erste Schuss. Ich bekam so einen Schreck, dass ich laut aufschrie und vor Angst aus dem Bett sprang. Das musste eine Kanone gewesen sein, so furchterregend laut war der Knall. Doch hatte die Fancy Fanny überhaupt Kanonen an Bord? Sie war doch ein friedliches Handelsschiff.
Ich riss die Kabinentür auf und rannte an Deck. Dort herrschte große Aufregung. Das Schiff, das uns verfolgt hatte, war gerade dabei, uns an Steuerbord zu überholen. Die Kanone, die geschossen hatte, stand auf unserem Schiff. Ich sah, wie zwei Männer dabei waren, sie neu zu laden. Hatte sie auf dem Piratenschiff irgendeinen Schaden angerichtet? Ich schaute hinüber, konnte aber nichts erkennen. Stattdessen sah ich dort vielleicht dreißig grimmige Kerle, die an der Reling standen, mit langen Messern und Enterhaken herumfuchtelten und es nicht abwarten konnten, auf unser Schiff hinüberzuspringen. Und ich sah mindestens zehn Kanonen, die aus der Bordwand starrten und auf uns gerichtet waren. Am Heck des Schiffes flatterte die schwarze Totenkopfflagge munter im Wind. Von der strahlend weißen französischen Flagge war nichts mehr zu sehen, die mussten die Kerle inzwischen eingeholt haben.
»Versteck dich unter Deck!«, brüllte mich ein Seemann an. »Hier wird es gleich ungemütlich.«
Schon donnerte die Kanone zum zweiten Mal. Die schwere Kugel verfehlte ihr Ziel, sie sauste über das Piratenschiff hinweg und klatschte ins Meer. Offenbar waren unsere Seemänner keine geübten Kanoniere. Doch warum schossen die Piraten nicht zurück? Sie hatten doch genug Kanonen, die auf uns gerichtet waren. Mir blieb keine Zeit, mir darüber Gedanken zu machen. Der Seemann, der mich angebrüllt hatte, stieß mich zurück. Ich stolperte die Treppe hinunter zur Tür meiner Kajüte. Was sollte ich dort? Mir die Decke über den Kopf ziehen und hoffen, dass alles nur ein schlimmer Albtraum war, der bald vorübergehen würde? So klein und naiv war ich leider nicht mehr, dass ich daran glauben konnte.
Da hörte ich Pistolenschüsse. Männer schrien laut auf. Waren sie getroffen worden? Ich hielt mir die Ohren zu, doch das konnte den entsetzlichen Lärm nur dämpfen, nicht gänzlich vertreiben. Plötzlich ging ein Ruck durch das Schiff, ich wurde an die Wand geworfen. Das Piratenschiff musste uns gerammt haben. Die Kerle hatten ihre Enterhaken geworfen und unser Schiff zu ihrem herangezogen. Ich ging ein paar Stufen die Treppe hinauf und spähte auf das Deck. Die ersten Piraten waren auf unser Schiff gesprungen und bedrohten unsere Seeleute mit Messern und Pistolen. Doch die hoben die Hände und ließen sich nicht auf einen Kampf ein. Das war bestimmt das Beste, was sie machen konnten. Es waren ja einfache Seemänner, keine kampferfahrenen Piraten.
»So ist es gut!«, hörte ich da eine raue Stimme. Ich konnte nicht sehen, woher sie kam. »Die Pfoten schön oben lassen, dann passiert euch nichts. Lebendig seid ihr wertvoller als tot. Einen toten Seemann können wir nur noch ins Meer werfen, einen lebendigen aber zu Geld oder zu einem tüchtigen Piraten machen.«
»Der Kapitän ist hinüber«, brüllte eine andere Stimme.
»So ein Ärger!«, rief der Mann mit der rauen Stimme. »Warum muss der Idiot auch seine Pistolen zücken? Für den hätte ich ein saftiges Lösegeld kassieren können. Geht jetzt unter Deck! Falls Passagiere da sind, bringt sie auf die Lavinia. Die Ladung bleibt hier. Die schauen wir uns zu Hause an.«
»Aye, Captain!«, riefen mehrere Männer gleichzeitig.
Ich stand mitten auf der schmalen Treppe, die hinunter zu meiner Kajüte führte. Was sollte ich tun? Mich irgendwo verstecken und hoffen, dass mich niemand findet? Und dann? Mich im Hafen heimlich vom Schiff schleichen und … Ich kam gar nicht dazu, meine Gedanken zu Ende zu führen, denn schon trampelten zwei Kerle die Treppe herunter und grinsten mich hämisch an, einer von ihnen packte mich grob am Arm und zerrte mich hinauf auf das Deck.
»Guck mal, Captain, was für eine hübsche Lady wir hier gefunden haben!«
Ich wusste gar nicht, wie mir geschah, als ich im gleißenden Sonnenlicht auf dem Deck stand. Ich kniff die Augen zusammen und brauchte einen Moment, um mich an die Helligkeit zu gewöhnen. Unsere Seemänner knieten an der Backbordseite, die Hände hinter dem Kopf verschränkt. Einige Piraten bedrohten sie mit ihren Waffen. Vor seiner Kajüte lag unser Kapitän reglos auf den Planken, neben ihm seine Pistolen. Das konnte doch alles nicht wahr sein! Überall wimmelte es von Piraten, alle barfuß, alle bis an die Zähne bewaffnet mit Messern, Schwertern, Beilen, Knüppeln oder Pistolen. Und alle mit einem schadenfrohen Grinsen auf dem sonnengegerbten Gesicht. Die Davenports und die vier anderen Passagiere wurden gerade von zwei Kerlen an Deck getrieben. Sah ich auch so entsetzt und verängstigt aus wie sie? Mr Davenport trug den kleinen Thomas auf dem Arm, Mrs Davenport hatte Catherines Hand genommen und schien sie nicht mehr loslassen zu wollen.
»Na, Schätzchen«, hörte ich da eine raue Stimme von der Seite. »Damit hast du wohl nicht gerechnet, was?«
Ich drehte mich zu der Stimme um. Und da sah ich ihn zum ersten Mal: Kapitän Herbert Krautwurst. Habe ich das wirklich geschrieben? Ich meinte natürlich den sagenhaften, den legendären, den einzigartigen, den auf allen Sieben Weltmeeren gefürchteten Piratenkapitän Herbert Hook. Er stand breitbeinig vor mir, grinste verschlagen und verschränkte die Arme vor der Brust. Da bemerkte ich diesen furchtbaren silbernen Haken, der anstelle einer Hand am Ende seines rechten Arms steckte. Ich muss die Augen wohl recht weit aufgerissen haben und konnte sie gar nicht von dieser Hakenhand lösen. So etwas hatte ich ja noch nie gesehen!
»Keine Sorge, Schätzchen«, lachte Hook. »Wenn du dich benimmst, wirst du damit keine Bekanntschaft machen. Solltest du allerdings frech werden …« Plötzlich hielt er mir den Haken unter die Nase. Ich wich vor Schreck einen Schritt zurück. »Solltest du frech werden«, wiederholte er, »wirst du ihn näher kennenlernen. Und, glaub mir, das hat noch niemandem gefallen. Nicht wahr, Männer?«
Hook blickte sich zu seinen Piraten um. Die brachen in ein schallendes Gelächter aus, das in meinen Ohren schmerzte.
Das konnte doch nicht wahr sein! Das konnte doch alles nicht wahr sein! Ich hatte keine Ahnung, wie ich aus dieser misslichen Lage wieder herauskommen könnte, und befürchtete das Schlimmste, wirklich das Allerschlimmste.