Ich glaubte immer an die Kraft in mir - Bianca Sissing - E-Book

Ich glaubte immer an die Kraft in mir E-Book

Bianca Sissing

0,0

Beschreibung

Sie wuchs in tiefster Armut auf und war zeitweise obdachlos. Während ihrer traumatischen Kindheit lernte Ex-Miss Schweiz Bianca Sissing, schon früh, was es heisst, ausgegrenzt zu sein und um ihr Überleben zu kämpfen. Als sie acht Jahre war, wurde ihre Mutter wegen schweren Depressionen in eine psychiatrische Klinik eingewiesen. Mit neun Jahren wurden beide obdachlos und bis im Alter von dreizehn Jahren musste Bianca Sissing mit ihrer psychisch labilen Mutter über zwanzig Mal umziehen und immer wieder die Schule wechseln. Diese schwierigen Umstände machten sich auch bei Bianca Sissing bemerkbar, bis sie selbst auch schwer erkrankte.. Trotzdem hörte sie nie auf zu glauben, an sich selbst, an das Gute und daran, dass sie es schaffen würde, für sich ein besseres Leben aufzubauen. Harte Arbeit, Disziplin und der unerschütterliche Glaube an die universelle positive Energie, halfen ihr, die Vergangenheit zu überwinden, sich von ihrer traumatischen Kindheit zu verabschieden und sich das Leben so zu gestalten, wie sie es sich immer gewünscht und erträumt hatte. Diese berührende und zugleich inspirierende Biographie, zeigt auf, dass man alles erreichen kann, wenn man nur will und wenn man nicht aufgibt, an sich selbst zu glauben!

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 282

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Bianca Sissing

Ich glaubte immer an die Kraft in mir

Bianca Sissing

Ich glaubte immer an die Kraft in mir

Wie meine Kindheit in Armut mein Leben positiv prägte

aus dem Englischen übersetzt

Bildquellennachweis

Bildtafel VI und VII: Allen Dean; Bildtafel IX: Hans Mulle;

Bildtafel X: Daniela Fricke; Bildtafel XI: Herbert Zimmermann;

Bildtafel XII/XIII: Rolf Edelmann; Bildtafel XIV: Thomas Buchwalder;

Bildtafel XVI und XVII: Rolf Edelmann; Bildtafel XX: Grand Casino Luzern, Foto Guenter Bolzern; Bildtafel XXI oben: Bruno Voser;

Bildtafel XXIII oben: Niklaus Waechter; Bildtafel XXIII unten: Damian Betschart.

Der Verlag möchte an dieser Stelle für die freundliche Genehmigung zum Nachdruck von Copyright-Material danken. Nicht in allen Fällen war es möglich, die Copyright-Inhaber einzelner Abbildungen zu ermitteln.

Sollten berechtigte Ansprüche bestehen, werden diese selbstverständlich im Rahmen üblicher Vereinbarungen abgegolten.

© 2016 Giger Verlag GmbH, CH-8852 Altendorf

Telefon 0041 55 442 68 48

www.gigerverlag.ch

Lektorat: Monika Rohde

Titelgestaltung:

Hauptmann & Kompanie Werbeagentur, Zürich

Titelfoto: Herbert Zimmermann

Layout und Satz: Roland Poferl Print-Design, Köln

ISBN-Nr. 978-3-906872-06-3

eBook-Herstellung und Auslieferung: Brockhaus Commission, Kornwestheimwww.brocom.de

Inhalt

Einführung

LEBEN IM MOMENT TEIL I

Erste Erinnerungen

Im Krankenhaus

Ein schüchternes Kind

Kampf oder Flucht nach Ottawa

Über Nacht erwachsen werden

Obdachlose

Dein Zuhause ist da, wo du es einrichtest

Leere Küchenschränke

Ich kümmere mich um Mom

Mein Leben als Einzelkind

Erstickungs-Krankheit

Wie ich Model wurde

Ein weiterer Tiefpunkt

Weißt du, wer deine Freunde sind?

Neue Schwierigkeiten

An der Universität

Ein hartnäckiger Stalker

Das Frauenhaus in Waterloo

Miss Schweiz

Wieder im normalen Leben

Die Entdeckung – Yoga

Ich lebe meinen Traum

Liebe, die du empfängst

Vergebung

Ich sehe Wesen aus der geistigen Welt

LEBEN IM MOMENT TEIL II

Was kann ich tun und wie?

Die Energie des Waldes und ihre Wahrnehmung

Denke positiv in schwierigen Lagen

Mit schwer depressiven, geliebten Menschen zusammenleben

Kontrolle der Gefühle in Stresssituationen

Loslassen und Hilfe von anderen annehmen

Selbstsicherheit gewinnen – Selbstliebe

Akzeptieren von Veränderungen

Entdecke die Arbeit, die du liebst

Leben im Hier und Jetzt

Dies ist nicht das Ende. Ich sage lieber: »Bis zum nächsten Mal«

Danksagung

Über die Autorin

Für alle, die immer an mich geglaubt haben.

Ich werde euch ewig dankbar sein und weiß eure Energie zu schätzen.

Für alle Menschen auf der Welt, die an etwas glauben, die träumen und etwas dafür tun.

Fahrt fort, euer Leben nach euren Vorstellungen zu leben.

Einführung

»Egal woran du glaubst, glaube immer an dich selbst.«

Alles hat einen Sinn. Das ist das Motto meines Lebens. Nach diesem Motto habe ich, solange ich zurückdenken kann, gelebt, bereits als kleines Mädchen. Vielleicht denkst du jetzt: »Das ist ein ziemlich großes Lebensmotto für ein kleines Mädchen. Da hast du recht. Doch dieses Motto und die Überzeugung, dass alles im Leben einen Grund hat, war meine Möglichkeit, mich zu motivieren, weiterzumachen, immer zu glauben, dass die Dinge besser werden, und weiterhin an mich selbst zu glauben.

Bei meinem allerersten Treffen mit Sabine Giger, meiner Verlegerin, fragte sie mich: »Und warum gerade jetzt?« Ja, das ist eine sehr gute Frage. Ich hätte dieses Buch schreiben können, als ich Miss Schweiz wurde, und es wäre vielleicht innerhalb von ein paar Tagen ausverkauft worden. Ich hätte mir meine Berühmtheit und die Medien, die an jedem meiner Schritte interessiert waren, zunutze machen können. Das habe ich nicht. Ich habe zwar ein paar Mal daran gedacht, war aber noch nicht so weit. Vielleicht fragst du auch, wie Frau Giger es tat: »Warum jetzt?«

Ich kann nur sagen, jetzt bin ich bereit. Es braucht eine Menge Mut, innere Kraft, Selbstbewusstsein, inneren Frieden, Akzeptanz und Vertrauen, die eigene Lebensgeschichte mit der Welt zu teilen. Jetzt bin ich dazu bereit. Ich fühle mich dazu aufgerufen, meine Geschichte mitzuteilen, eine Motivation für andere zu sein und zu sagen: »Egal was im Leben passiert, du kannst positiv eingestellt bleiben, du kannst an dich selbst glauben – immer – und du kannst deine Zukunft selbst erschaffen. Egal was in der Vergangenheit passiert ist, du und nur du kannst dir das Leben aufbauen, das du dir wünschst.« Wenn ich sage, »das Leben aufbauen, das du dir wünschst«, dann schließt das auch ein, die Art von Mensch zu sein, die du sein möchtest. Eine schwierige Vergangenheit ist keine Entschuldigung dafür, sich selbst zu erlauben, einen hässlichen Charakter zu haben, einen, der voller Hass, Eifersucht oder Feindseligkeit ist. Du kannst trotzdem Freundlichkeit, Zufriedenheit und Gelassenheit entwickeln.

Alles im Leben hat seine Zeit. Wenn die Zeit stimmt und das Universum dazu aufruft, wird es passieren. Ich sage nicht, dass das leicht ist. Manchmal, wenn die Dinge schwierig werden, denkst du vielleicht: »Warum passiert mir das?« Darauf habe ich keine Antwort. Was ich dir mitteile, sind meine Erfahrungen. Ich kann dir zeigen, wie ich mit schwierigen Situationen, mit traumatischen Lebenserfahrungen umgegangen bin, wie man angesichts eines Trümmerfeldes positiv eingestellt bleiben, zu Selbstmotivation und einem Leben im Augenblick kommen kann, und wie man sich die Zukunft erschafft, die man sich selbst vorstellt. Ich behaupte nicht, dass alles, was ich sage, die richtige Antwort für dich ist. Ich biete dir nur meine Erfahrungen und meine Philosophie an, ich erzähle dir, was mir geholfen hat und was anderen vielleicht ebenfalls hilft. Du kannst es annehmen oder nicht. Das liegt ganz bei dir. Wie auch immer, ich hoffe, du erfährst, wie man Hindernisse überwindet, und wie du immer an dich selbst glauben kannst, wenn du dieses Buch liest.

Hiermit wünsche ich dir eine gute Reise, während du in meine Welt eintauchst, wie sie einmal war, wie sie zu dem wurde, was sie jetzt ist, und wie ich zu der wurde, die ich jetzt bin.

Eine kurze, aber wichtige Anmerkung: Alle Namen wurden zum Schutz ihrer Träger und deren Privatsphäre geändert. Alle Situationen sind aus meiner eigenen Erfahrung heraus beschrieben, aus meiner Sichtweise und Perspektive. Andere, die an bestimmten Situationen beteiligt gewesen sein mögen, haben vielleicht andere Ansichten oder Betrachtungsweisen.

LEBEN IM MOMENT TEIL I

»Wenn deine Gedanken ruhig sind, kannst du deine Seele hören. Die Seele spricht immer, doch oft kannst du sie nicht hören, weil das Ego zu laut ist.«

Ich lebe im Moment. Das habe ich immer getan und werde es vermutlich immer tun. Ich habe es bereits in einem sehr zarten Alter gelernt. Nicht in der Schule. Auch habe ich mit meinen Eltern keine philosophischen Gespräche über das Leben im Jetzt geführt. Ich lernte es, weil ich während des größten Teils meines Lebens so lebte, von Moment zu Moment, überlebend. Das war mein tägliches Leben. Ich dachte nie daran, wo ich in den nächsten Ferien sein würde, an Geburtstags- oder Weihnachtsgeschenke, welche Kleidung ich zu einem Ausflug tragen könnte oder welche Salate ich am nächsten Wochenende zum Grillen mitnehme. Die Gedanken, die mich beschäftigten, waren: Können wir Ende des Monats die Miete zahlen? Ist die Wasser- und Stromrechnung bezahlt? Kein Geld für die Wäscherei – wir müssen die Sachen mit der Hand in der Badewanne waschen. Ist Mom okay? Mom und ich lebten von Stunde zu Stunde. Manchmal wussten wir nicht, ob wir abends Strom haben würden.

Manche Leute fragen mich heute: »Wie lebst du im Moment?« oder »Du machst immer so einen ruhigen Eindruck. Gibt es nichts, das dir Sorgen bereitet oder dich ärgert?« Ich möchte die zweite Frage zuerst beantworten, die ist etwas leichter. Ja, meistens bin ich ein ruhiger Mensch, und Nein, es gibt nicht viele Dinge, die mir Sorgen bereiten oder die mich stören. Warum? Na ja, die Antwort ist einfach: Weil ich weiß, dass sich letztendlich eine Lösung für alles finden wird. Das heißt nicht, dass es so kommt, wie ich es mir vorgestellt habe oder wie ich es möchte, sondern es wird auf eine Weise gelöst, mit der ich leben und überleben werde. Das Universum gibt dir nichts, mit dem du nicht umgehen kannst. Letztendlich ist es das Wichtigste, dass du überhaupt überlebst. Denn alles, was du überlebst, macht dich langfristig stärker. Oder lass es mich anders ausdrücken, es gibt immer eine Lösung. Manchmal musst du verdammt kreativ dafür sein und manchmal musst du deinen Stolz hinunterschlucken.

Doch, wie einer meiner Lieblingssprüche sagt: »Wo es einen Willen gibt, da gibt es auch einen Weg.« Das kann ich persönlich bestätigen. Wenn du den Willen hast, etwas zu tun oder zu erreichen oder das Beste aus einer Situation zu machen, und wenn du mit deinem ganzen Herzen wirklich vertraust, dann wirst du immer einen Weg finden. Ich sage nicht, dass es leicht ist. Da werden vermutlich auch Unebenheiten und Kurven auf dem Weg liegen (außer, wenn du zu den fünf Prozent der Bevölkerung gehörst, für die alles perfekt zu laufen scheint, doch die haben ihre eigenen Probleme). Es wird vielleicht eine lange Reise, länger als du denkst. Manchmal werden die Dinge, die du dir wünschst, nicht zu dem Zeitpunkt eintreten, zu dem du es gern möchtest. Du musst vielleicht ein paar Monate oder sogar Jahre warten. Der Weg mag sich auf der Reise verändern und dich auf ganz andere neue Wege führen, die dich letztendlich an den Ort bringen, an dem du sein möchtest. Eines der wichtigsten Dinge, die ich auf meiner Reise gelernt habe, ist, immer flexibel zu sein, offen für Neues und anderes. Flexibilität erlaubt dir, neue Möglichkeiten zu erkennen, neue Wege, neue Richtungen, die vielleicht sogar noch etwas Besseres bringen, als wir uns vorstellen können.

Wie hilft all das also, sich keine Sorgen zu machen und ruhig zu bleiben? Sich einfach der Tatsache bewusst zu sein, dass alles aus einem Grund heraus passiert, ist 50 Prozent der Miete. Wenn du das nächste Mal in einer schwierigen Situation bist, dann wiederhole mehrmals folgenden Satz: »Alles passiert aus einem Grund.« Wiederhole ihn immer wieder und wieder und wieder, bis er in deinem Kopf klebt, wie eines der Lieder, die, egal wie sehr du versuchst, sie zu vergessen, immer wieder auftauchen. Ich weiß schon, wie deine nächsten Fragen lauten. »Wie kannst du einfach akzeptieren, dass alles aus einem Grund heraus passiert? Vor allem, wie kannst du das akzeptieren, wenn du den Grund nicht kennst? Machst du es dir da nicht zu einfach?« Also, eine Frage nach der anderen. Frage eins: »Wie kannst du akzeptieren, dass alles aus einem Grund heraus passiert?« Na ja, einfach weil es das tut! Es gibt keine andere Möglichkeit, es zu erklären. Wenn etwas geschieht, dann gibt es ebenfalls einen Grund dafür. Der Satz kann auch negativ gedacht werden. Wenn etwas nicht passiert, dann gibt es einen Grund dafür, dass es nicht passiert. Gründe dafür, dass etwas passiert oder nicht passiert, müssen nicht weltbewegend sein, sie können so klein sein wie eine Ameise.

Frage zwei: »Wie kannst du akzeptieren, dass alles einen Grund hat, wenn du ihn nicht kennst?« Ich werde diese Frage mit einer anderen Frage beantworten. Müssen wir immer alles wissen? Also, es ist so, die Tatsache, dass wir den Grund nicht kennen, ist zweitrangig gegenüber der Akzeptanz, dass es ihn gibt. Wenn du akzeptieren kannst, dass alles aus einem Grund heraus passiert, dann wird der Grund selbst weniger wichtig oder sogar völlig irrelevant. Manchmal erkennen wir den Grund vielleicht früher oder später. Manchmal entdecken wir ihn vielleicht nie. Doch wenn du es annimmst und wirklich glauben kannst, dass alles einen Sinn hat, dann sollte die Notwendigkeit, den Grund zu entdecken, kein Thema mehr sein.

Dritte Frage: »Machst du es dir damit nicht zu einfach?« Das ist es nun wirklich nicht. Zu akzeptieren, dass alles im Leben, das Gute, das Schlechte und das Hässliche aus einem bestimmten Grund passiert, und damit einverstanden zu sein, ist viel schwerer, als du glaubst, insbesondere wenn man in schwierige Situationen gerät. In Momenten der Trauer, der Verzweiflung und der Wut ist es viel einfacher, sich von diesen Emotionen überwältigen zu lassen und in ein Loch negativer Gedanken zu fallen. Doch die Kontrolle zu übernehmen, die Situation zu akzeptieren, wie sie ist und die negativen Gefühle loszulassen, ist eine sehr viel schwierigere Aufgabe, und zwar eine, die Übung, Training und Geduld erfordert.

Am Schluss beschreibe ich ein paar Techniken, die ich zu benutzen gelernt habe, um ruhig zu bleiben, und den Dingen nicht zu erlauben, mir Sorgen zu bereiten oder mich darüber zu ärgern. Wie ich schon sagte, es braucht Zeit, Übung und Geduld, bis man akzeptiert und voll und ganz davon überzeugt ist, dass jedes Geschehnis seinen Grund hat. Wenn du jeden Tag mit kleinen Dingen trainierst, sie anzunehmen und zu vertrauen, dann erscheinen irgendwann die großen Dinge nicht mehr so riesig.

Erste Erinnerungen

»Jeder Moment hat das Potenzial, etwas Besonderes zu sein. Du hast die Wahl.«

Meine ersten Erinnerungen … mhm. Da muss ich wirklich schwer überlegen. Mein Leben begann in Toronto, Ontario, Kanada. Mein Vater ist ein hundertprozentiger Schweizer, aus einem kleinen Städtchen namens Wolfenschiessen in Nidwalden, Schweiz. Er ist als junger Mann mit Anfang 20 auf die Reise gegangen und ist in Kanada gelandet. Meine Mutter hat eine mosaikartige Herkunft aus Südafrika, England, Syrien und Frankreich, und vielleicht sogar noch mehr, je nachdem, wie weit man zurückgeht. Aber mehr wissen wir nicht. Sie ist in Kapstadt geboren und aufgewachsen und mit 18 Jahren mit ihrer Familie nach Kanada gegangen.

Meine ersten Erinnerungen führen mich in ein Haus in der Gegend von Dufferin und Eglington, in die Branstone Road nach Toronto, wo wir nicht weit von der Yorkdale Shopping-Meile entfernt lebten. Es war ein altes Haus, das mein Dad viele Jahre lang renoviert hat. Er renovierte alles, vom Keller bis hinauf zum Dach. Mein Dad war ein talentierter Handwerker (und ist es immer noch), er konnte fast alles, fand Lösungen für sehr viele Konstruktionsprobleme. Ich verbrachte Stunden damit, ihm zu helfen, etwas zu bauen, reichte ihm Werkzeuge oder hielt irgendwelche Materialien bereit, damit er sie einbauen konnte. Manchmal war ich glücklich, wenn ich nur dabeisaß und ihm zusah. Ab und zu stellte ich ihm Fragen darüber, wofür die Dinge waren und wie man sie benutzte. Oft stellte ich mir all die Sachen vor, die ich machen würde, wenn ich älter wäre und das Werkzeug selbst benutzen könnte.

Ich erinnere mich, dass einmal etwas Holz übrig geblieben war, und ich fragte Dad, ob wir irgendetwas daraus machen könnten. Dann bauten wir daraus zusammen eine kleine Bank für meine Puppen. Diese Bank habe ich jahrelang aufgehoben, bis in meine Teenagerjahre hinein, schon als ich längst keine Puppen mehr hatte. Für mich war sie eine Erinnerung an gute Zeiten mit meinem Dad. Manchmal habe ich sie nur angestarrt und mich wieder daran erinnert, wie Dad und ich unsere Zeit genossen haben.

Ich lebte mit Mom und Dad in diesem Haus und mochte es sehr. Es hatte eine erste Etage, ein Obergeschoss und einen Keller. Wir hatten einen großen Hinterhof mit einem Apfelbaum, einem Pflaumenbaum, einem Gemüsegarten und einer Spielecke mit Sandkasten, einer Schaukel und einer Rutsche. Was hätte sich ein kleines Mädchen sonst noch wünschen können? Ich war viele Stunden draußen, spielte mit meinen Freunden, kletterte auf Bäume oder erntete Gemüse aus dem Garten. Sogar im Winter haben wir uns alle unsere Schneeanzüge und Stiefel angezogen und spielten draußen. Wir bauten Schneeberge, Iglus oder bewarfen uns mit Schneebällen. Ich erinnere mich, dass ich zwei Spielgefährten aus dem Nachbarhaus hatte. Zumeist spielten wir in unserem Hinterhof.

Ich erinnere mich, dass ich als kleines Mädchen in meinen Leggings, im Trikot und den Slippers zum Kunstturnen ging. Ich war immer die Größte in der Gruppe und irgendwann sagten sie, dass ich für das Kunstturnen zu groß sei. Meine Mom fuhr mich hin und holte mich hinterher wieder ab. Manchmal fuhren wir zur Autowäsche. Das war eine, bei der man im Auto sitzend durchfahren konnte. Ich liebte das. Ich beobachtete jedes Detail, wie sich die Seifenblasen um die Fenster herum bewegten und wie die riesigen Bürsten um das Auto herumtanzten. Das war ein beliebtes, kleines Vergnügen für uns. Es war eine Autowäsche von fünf Minuten, doch die gab uns fünf Minuten absoluten Getrenntseins von der äußeren Welt.

Ich erinnere mich, dass ich zum Tanzunterricht gegangen bin. Ich hatte Jazztanz, Modern Dance und Steppen belegt. Ich war ein sehr körperbetontes aktives Kind und liebte Laufen, Springen, Tanzen, Gymnastik und Sport. Ich erinnere mich, dass wir in einer meiner Tanzgruppen für eine Aufführung übten, eine Show für unsere Familien und Freunde. Das Thema waren die Care Bears, Kinderkarikaturen und Rollen aus einem Buch und einem Trickfilm. Ich war der Sonnenscheinbär. Zu Hause hatten wir keine Nähmaschine, also waren wir auf Hilfe von außen angewiesen. Wir fragten eine Nachbarin, die eine sehr gute Schneiderin war und einen Entwurf für mein Care-Bear-Kostüm machte. Es war das beste Care-Bear-Kostüm, das ich je gesehen habe. Als die anderen Kinder und Eltern es sahen, fragten sie, ob wir es professionell hätten anfertigen lassen. Ich war so stolz auf mein Kostüm und hegte und pflegte es jahrelang. Ich war es nicht gewohnt, etwas so Besonderes zu haben, das nur für mich gemacht worden war.

Ich erinnere mich, dass ich Samstag- und Sonntagmorgens zur italienischen Bäckerei hinter unserem Haus ging, um frisches Brot zu kaufen, das noch ofenwarm war. Ich erinnere mich, dass ich mit meinem Dad auf dem Heimweg nach der Schule manchmal zu dem Donut-Shop ging, um einen besonderen Leckerbissen zu erwerben. Ich kann mich noch gut daran erinnern, was ich meistens bekam: meinen Lieblings-Donut mit regenbogenfarbigen Streuseln. Ich liebte die Kombination des weichen Teiges mit dem knusprigen Biss der Streusel.

Ich erinnere mich an die Tapete in meinem Zimmer. Da waren die Schlümpfe drauf. Ich hatte eine ganze Wand voller Schlümpfe, ich liebte sie. Wenn ich morgens aufwachte und bevor ich abends schlafen ging, habe ich sie ewig lange angestarrt. Ich habe mir Schlumpfgeschichten ausgedacht und mir vorgestellt, wie es wohl in ihrem Dorf aussieht.

Ich erinnere mich, dass ich mit meinem Dad zum Erdbeerpflücken ging. Wir fuhren aufs Land hinaus, wo die Erdbeerfelder lagen. Stundenlang haben wir unsere Körbe gefüllt. Und zum Schluss hatte ich überall rote Flecken von den Erdbeeren. Ich erinnere mich, dass ich mit meiner Mom losgefahren bin, um neue Nachbarschaften auszukundschaften, und dass wir im Auto mit dem Radio um die Wette gesungen haben. Manchmal sind wir einfach nur drauflos gefahren, ohne Ziel. Die Reise war das Ziel. Es ging darum, jeden Augenblick zu genießen und jeden Moment neu zu entdecken. Wir sind gefahren und unserem Instinkt gefolgt. Rechts oder links, das war eine spontane Entscheidung. Und den Rückweg haben wir aus unserer Erinnerung und Intuition gefunden. Ich liebte diese Ausflüge. Da war kein Stress, da waren keine Sorgen, einfach nur der Genuss des Augenblicks.

Wir hielten uns viel in der Küche auf, ob wir nun kochten, am Tisch gearbeitet haben oder einfach nur dasaßen und redeten. Eines Tages kochten wir eine Suppe zum Mittagessen. Wie gewöhnlich wollte ich helfen, wie es jede Fünfjährige möchte. Ich fasste den Topf am Griff und wollte ihn vom Herd zur Esstheke stellen. Er war voller und schwerer, als ich erwartet hatte. Der Topf kippte zur Seite und die kochend heiße Suppe schwappte auf meine Beine und Füße und verbrannte mich augenblicklich. Die Suppe allein hätte vermutlich eine örtliche Hautverbrühung ergeben. Aber leider trug ich an dem Tag einen Rock und eine Nylonstrumpfhose. Sobald die heiße Suppe mit meiner Strumpfhose in Kontakt kam, schmolz diese und verschmolz mit meiner Haut. Mom reagierte intuitiv. Das Nächste, woran ich mich erinnere, waren extreme Schmerzen. Meine Mom musste die Strumpfhose, die mit meiner Haut verschmolzen war, abreißen. Ich bin sicher, du kannst dir vorstellen, was dann passierte. Achtung! Wenn dir schnell schlecht wird, dann lies die nächsten Sätze vielleicht lieber nicht. Als meine Mutter die Strumpfhose abriss, ging die oberste Hautschicht, die mit dem Nylon verschmolzen war, mit ab.

Meine Mom musste das tun, während alles noch relativ heiß und beweglich war. Wenn sie gewartet hätte, dann wäre alles noch schlimmer geworden. Also sammelte Mom all ihren Mut zusammen und tat, was sie tun musste. So, ab hier kannst du weiterlesen. Danach legte sie sofort ein feuchtes Tuch über meine verwundeten Beine, um die Luft und die Bakterien abzuhalten, damit die Haut feucht bleibt.

Mom rief dann im Krankenhaus an und die wiesen sie sofort an, das Nylon zu entfernen, sonst würde die Brandwunde noch schlimmer. Glücklicherweise war sie bereits ihrer Intuition gefolgt. Ein paar Minuten später kamen die Sanitäter. Sie verteilten eine Salbe auf meinen Beinen und Füßen, legten Verbände an und wir fuhren ins Krankenhaus. Verbrennungen zweiten Grades. Danke Mom, für deine Rettungsaktion. Am Anfang mussten die Bandagen jeden Tag erneuert werden, was sehr schmerzhaft war, weil die Verbände manchmal klebten. Zum Glück habe ich ein gesundes Immunsystem und ein schneller Heilungsprozess setzte ein. Nach ein paar Jahren waren glücklicherweise alle Brandnarben vollkommen abgeheilt, und niemand hätte je vermutet, dass ich Verbrennungen zweiten Grades gehabt hatte. Nach diesem Unfall hielt ich lange Zeit Abstand vom Herd.

Und dann erinnere ich mich auch noch an das Brüllen und Schreien, das Kämpfen und Weinen, erinnere mich an das Zuknallen von Türen und an das Herumschleudern von Gegenständen, die durch den Raum flogen. Solange ich zurückdenken kann, hatten meine Eltern eine Beziehung, die manchmal lief und manchmal nicht. Sie liebten sich beide wirklich sehr. Es schien einfach die falsche Zeit in ihrem Leben gewesen zu sein, zu der sie sich trafen. Mein Vater, ein Mann mit einem großen, liebenden Herzen, der bereit war, für die, die er liebte, die Welt zu retten, und der doch manchmal in seinen Gedanken gefangen war, fand nicht immer die richtigen Worte und den Mut, sich auszudrücken. Meine Mutter, eine warmherzige und fürsorgliche Frau, die sich danach sehnte, ihre Liebe zu verströmen und Liebe zu empfangen, war auch ein emotionales und unstabiles Chaos.

Es schien so, als hätten ihre Stärken ein perfektes Zusammenspiel ergeben können. Doch es kam anders. Leider gewannen ihre Schwächen die Überhand. Sie versuchten, sich in meiner Gegenwart nicht zu streiten und anzuschreien, doch das hat nicht immer geklappt. Das Verrückteste, was durch den Raum flog, war – soweit ich mich erinnere – eine heiße Tasse Kaffee. Zum Glück verfehlte sie meinen Vater um ein paar Zentimeter und traf die Wand hinter ihm. Es blieben Kaffeeflecken zurück, die noch viele Jahre lang zu sehen waren.

Irgendwann, erinnere ich mich, lebte mein Dad nicht mehr mit uns zusammen. Meine Eltern glaubten, dass es besser sei, getrennt zu leben, vielleicht würden sie sich dann weniger streiten, sich besser verstehen, und ich würde nicht mehr länger Zeuge ihres Unfriedens. Also blieben Mom und ich im Haus und Dad fand eine Wohnung. Ich war damals sechs Jahre alt.

Im Krankenhaus

»Den Charakter eines Menschen kann man daran erkennen, wie er diejenigen behandelt, von denen er glaubt, dass sie nichts für ihn tun könnten, denn jeder kann etwas für jemand anderen tun.«

Mom und ich lebten in dem Haus in der Branstone Road noch etwa ein Jahr, nachdem Dad ausgezogen war. Dann zogen wir innerhalb von zwei Jahren zweimal um. Dad zog dann in das Haus zurück, in die Souterrainwohnung, und vermietete den oberen Teil des Hauses. Ich besuchte ihn manchmal in der Woche und an den Wochenenden. Dann fuhren wir ab und zu zum Zelten in den Haliburten Forest & Wild Life Reserve Ltd. Ich liebte es, mit Dad zu zelten. Das war richtiges, kanadisches Zelten. Wir mussten vier Stunden fahren, um zu unserem kleinen Platz in der Wildnis zu kommen, der in der Mitte des Waldes an einem See lag, wir hatten einen einfachen kleinen Anhänger mit, und auf dem Platz war eine Feuerstelle. Wir gingen stundenlang fischen, saßen in einem Boot, manchmal redeten wir und manchmal waren wir einfach nur still. Wir genossen die Natur und warteten darauf, dass ein Fisch anbiss. Oder wir wanderten stundenlang durch den Wald und entdeckten die Details des Waldes. Diese Ausflüge hatten eine starke Wirkung auf mein Leben. Bis heute liebe ich es, im Wald spazieren zu gehen. Ich kann stundenlang auf verschiedenen Wegen wandern, mir die Bäume anschauen und die durch das Wetter verursachten Veränderungen beobachten. Ein Wald ist ein magischer Ort, voller natürlicher Energie, mit der wir uns aufladen können, wenn wir dessen gewahr und offen dafür sind.

Zwei Jahre nach Dads Auszug, 1986, verschlechterte sich Moms Zustand derart, dass sie mit der Diagnose starke endogene chronische Depression in die psychiatrische Abteilung eines Krankenhauses eingeliefert wurde.

Bis dahin wusste ich nur, dass Mom manchmal traurig war und manchmal wütend. Zuweilen schlief oder weinte sie sehr viel, aber ich verstand nie warum. In diesen frühen Jahren hatte Mom, wenn es darauf ankam, wirklich alles verdammt gut im Griff. Sie hatte gute Jobs, schöne Kleider an, hielt sich fit (außer dem Rauchen) und hielt das Haus in Ordnung. Wir sind zurechtgekommen und waren beide aktiv. Doch als wir unser altes Haus verließen, begannen die Dinge, sich langsam aufzulösen. Es gelang Mom wirklich gut, ihre Depressionen vor mir zu verstecken. Ich merkte damals noch nicht, wie schlecht es wirklich um sie stand. Wie konnte ich auch? Ich war erst sieben Jahre alt.

Dann musste Mom eines Tages ins Krankenhaus gehen, in eine psychiatrische Klinik, und dort bis auf Weiteres bleiben.

Ich lebte von da an bei meinem Vater, der jetzt mit einer anderen Frau zusammenlebte. Mom und Dad waren nie verheiratet gewesen. Ich war ein uneheliches Kind und trug Moms Nachnamen. Das hat manchmal zu vielen Fragen geführt, zum Beispiel: Warum hatte ich einen anderen Nachnamen als mein Dad? Damals, in den Achtzigerjahren, war es noch verpönt, ein außereheliches Kind zu haben. Dad wollte heiraten und hatte Mom sogar gefragt, doch Mom hatte ihre Gründe, warum sie nicht heiraten wollte.

Nun veränderte sich meine Lebenssituation extrem. Dad vermietete unser ganzes Haus und lebte mit seiner Freundin und ihren beiden Töchtern in deren Haus. Das hieß, dass ich auch bei ihnen leben musste. Wow! Das waren für eine Siebenjährige bedeutende, traumatische Lebensveränderungen. Mom musste ins Krankenhaus, Abteilung Psychiatrie, niemand wusste wie lange, und ich zog in ein fremdes Haus, zu meinem Vater, seiner Freundin und ihren beiden Töchtern. Und ich musste die Schule wechseln. Heute bin ich erstaunt darüber, dass ich nicht depressiv wurde oder ein wildes, unkontrollierbares Kind. Wenn ich daran zurückdenke, sehe ich, dass meine einzige Möglichkeit, das alles durchzustehen war, immer positiv zu denken, immer nach dem silbernen Faden am Horizont Ausschau zu halten, und zu ahnen, dass es noch schlimmer sein könnte, und dass es irgendwann besser wird.

Vielleicht fragst du dich jetzt: »Woher weiß eine Siebenjährige, dass es gut ist, positiv zu denken und zu überlegen, dass die Umstände noch schlimmer sein könnten?« Ehrlich gesagt, ich weiß nicht, woher oder warum ich das wusste. Ich wusste es einfach. Ich dachte, dass Mom im Krankenhaus ist, damit es ihr wieder besser geht, und wenn ich bei Dad lebte, konnte ich mehr Zeit mit ihm verbringen, was auch positiv war. Ich wusste, dass es Kinder gab, die gar keine Eltern mehr hatten, die sich um sie hätten kümmern können, und die bei fremden Leuten lebten. Und dass war meinem Gefühl nach noch schlimmer als meine Situation. Ich lebte einen Tag nach dem anderen und konzentrierte mich nur darauf, diesen Tag zu erleben.

Schon im Alter von sieben Jahren und durch die Erfahrungen der letzten zwei Jahre wusste ich, dass der nächste Tag wieder völlig anders sein konnte als der heutige, und dass sich in einem Moment alles verändern kann. Ich versuchte, so gut ich konnte, in jedem Moment positiv zu denken, und ich glaubte, dass, wenn ich positiv eingestellt bliebe, sich die Dinge dann entsprechend positiv entwickeln würden. Großartige Gedanken für eine Siebenjährige. Ja, aber wenn man in einem so zarten Alter schon so viel erlebt hat, dann entwickeln sich die Gedanken, Handlungen und Emotionen über das Alter hinaus.

Meine Eltern einigten sich darauf, dass ich Mom im Krankenhaus besuchen durfte, wann immer ich wollte. Das einzige Problem, das sich daraus ergab, war, dass das Krankenhaus ziemlich weit von uns entfernt lag, und nach der Schule gab es immer recht viel Verkehr, entweder auf dem Weg ins Spital oder auf dem Weg nach Hause. Da Dad wusste, dass es wichtig für mich und für Mom war, dass wir uns regelmäßig sahen, machte er es möglich. Manchmal war die Zeit im Auto länger als die tatsächliche Besuchszeit. Aber so war das eben. Und es war gut, dass wir uns überhaupt sehen konnten.

Mom im Krankenhaus zu besuchen, insbesondere auf der psychiatrischen Station, war …, na, sagen wir ein außergewöhnliches Abenteuer für eine Siebenjährige. Da waren alle möglichen Leute. Einige von ihnen sahen normal aus, wie Mom, andere irgendwie krank, fahl, mit schlaffen Augen. Sie hatten keine Energie. Wieder andere waren völlig überladen mit Energie und konnten nicht stillsitzen. Und manche sah man gar nicht, man hörte durch die Wände und Türen nur ihr lautes Schreien und merkwürdige Laute. Wenn ich durch die Flure ging, bekam ich viele verschiedene Dinge mit, die ich nicht kannte. Ich hörte und sah Leute, die auf entsetzliche Weise schrien oder stöhnten, wovon jedes Kind beängstigende Träume haben würde. Ich sah Leute, die unkontrollierbare Anfälle und Wutausbrüche hatten, die von den Krankenschwestern festgehalten werden mussten, um ruhiggestellt zu werden. Ich sah manche, die sich selbst schlugen, die sich mit sich selbst unterhielten oder mit einem leeren Stuhl neben sich. Oder sie sagten unsinnige Dinge zu Leuten, die sie gar nicht kannten. Obwohl ich so etwas nie zuvor erlebt hatte, hatte ich niemals Angst. Mom versicherte mir immer wieder, dass wir an einem sicheren Ort waren, und dass es überall Doktoren und Krankenschwestern gab, die aufpassten, dass nichts passierte. Mom erklärte mir, dass diese Menschen auf unterschiedliche Weise krank waren und Hilfe brauchten, und dass wir sie weder verurteilen noch Angst vor ihnen haben sollten. Es sind Menschen wie alle anderen. Sie werden aufgrund einer Krankheit dort behandelt und sollten als Menschen respektiert werden.

Diese Worte habe ich nie wieder vergessen. Sie haben mich Mitgefühl, Verständnis und Akzeptanz für alle Menschen gelehrt. So einfache Worte, mit einer so kraftvollen Bedeutung. Ich versuche, jeden Tag nach diesen Worten zu leben. Ich werde immer daran und an die psychiatrische Abteilung erinnert, wenn ich Leute auf der Straße (oder irgendwo anders) sehe, die mit sich selbst reden, in einem desorientierten Zustand sind oder offensichtlich auf irgendeine Weise auffallen, die anders sind als der Mainstream. Ich erinnere mich dann daran, dass ich ihre Geschichte nicht kenne. Ich weiß nicht, wo sie waren oder was sie alles durchgemacht haben. Und selbst wenn ich es wüsste, ist das immer noch kein Grund, Menschen zu verurteilen.

Es gibt keinen Grund, Menschen zu verurteilen. Wir sollten andere überhaupt niemals verurteilen. Ich weiß, manchmal ist es nicht einfach, sich daran zu halten. Und manchmal ertappe ich mich dabei, irgendwelche oberflächlichen Gedanken über jemanden zu haben. Doch dann versuche ich, das Ego immer wieder schnell zu verscheuchen und sage mir: »Ich kenne ihre Geschichte nicht.« Wenn du dich das nächste Mal dabei ertappst, dass du irgendwelche urteilenden Gedanken über jemanden hast, dann wiederhole drei bis fünf Mal für dich selbst: »Ich kenne ihre Geschichte nicht.« Das kann dir helfen, dir deiner Gedankenmuster bewusster zu werden und sie zu verändern.

Die meisten depressiven Menschen schenken der Nahrung, ihrer persönlichen Hygiene und Pflege oder dem Loslassen von Emotionen nicht viel Aufmerksamkeit. Mom war eine gute Patientin. Sie hörte auf ihre Ärzte, nahm die Medizin, ging zur Therapie und folgte einem gesunden Essensplan, der drei vollständige Mahlzeiten pro Tag garantierte. Das war ein wichtiger Teil ihres Lern- und Heilungsvorgangs im Krankenhaus. Da meine Mutter auf dem richtigen Weg war, gesund zu werden, stimmten die Ärzte zu und erlaubten ihr, nach Südafrika zu reisen, um ihren biologischen Vater zu besuchen. Sie glaubten, dass so eine Reise hilfreich und therapeutisch richtig wäre. Ich war noch nie in Südafrika gewesen und hatte bisher auch niemanden von der Familie meiner Mutter getroffen. Also reisten meine Mutter und ich während meiner Sommerferien nach Südafrika und blieben dort noch ein bisschen länger.

Das war 1988, das Land steckte noch mitten in der Apartheid. Meine Mutter wurde als »farbig« betrachtet (weder schwarz noch weiß), und so lebten wir mit Freunden und bewegten uns auf unseren täglichen Ausflügen innerhalb des »farbigen« Bezirks von Cape Town. Wir konnten durch das Gebiet der »Weißen« fahren und durch das der »Schwarzen«. Aber aus dem Auto auszusteigen, war nicht möglich. Das war gegen die Regeln.

Ich erinnere mich noch, dass, als wir die Freundinnen meiner Mutter trafen, ich mit deren Kindern spielte und köstliches, südafrikanisches Essen aß. Wir machten Ausflüge zum Tafelberg, wo ich zum ersten Mal in meinem Leben wilde Affen gesehen habe. Während wir den Berg hinauffuhren, sprangen die Affen auf das Auto und fuhren ein Stück mit. Wir unternahmen Tagesausflüge zum Strand, wo ich wilde Seelöwen gesehen habe und eine riesige, gestrandete Qualle entdeckte. Wir aßen die besten »Fish and Chips«, an die ich mich erinnern kann, und köstliche Pizzen mit Meeresfrüchten. Zum größten Teil genoss ich die Reise. Es mag jedoch sein, dass es auch andere, weniger schöne Dinge gab, die mein Gedächtnis selektiv »vergessen« hat.

Meinen biologischen Großvater zu treffen, war kein besonders aufregendes Erlebnis. Soweit ich mich erinnern kann, war er eher reserviert und irgendwie kühl. Für mich war es ein belangloses Erlebnis, diesen Mann zu treffen, den ich nicht kannte, den ich in naher Zukunft wahrscheinlich auch nicht wiedersehen würde, sodass ich keine erinnerungswürdigen Gedanken daran habe. Ich wusste von meiner Mutter, dass er ein talentierter Athlet, ein Boxer war und Preise gewonnen hatte. Vielleicht kommt es daher, dass ich Kickbox-Fitness mag. Das war’s, und ich genoss es, mit den anderen Verwandten und Freunden meiner Mutter zusammen zu sein.

Ein Erlebnis in Südafrika hat sich mir besonders tief eingeprägt. Es geschah eines Abends an einer Tankstelle. Ein Freund von Mom saß am Steuer, sie auf dem Beifahrersitz und ich hinten. Es war etwa sieben oder acht Uhr. Draußen war es dunkel und wir hielten an einer Tankstelle, um zu tanken. Der Tankwart, ein dunkelhäutiger Mann, kam und bediente uns. Wie es viele Kinder machen, schaute ich aus dem Fenster und beobachtete den Mann bei seiner Arbeit. Langsam bemerkte ich, dass er mich auch betrachtete. Ich achtete nicht weiter darauf und vertraute darauf, dass ich im Auto sicher war.