Ich hatte mir vorgenommen, Mensch zu bleiben - Frank Heinrich - E-Book

Ich hatte mir vorgenommen, Mensch zu bleiben E-Book

Frank Heinrich

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Beschreibung

In seiner Biografie nimmt uns der ehemalige Politiker Frank Heinrich mit auf seine zwölf Jahre lange Reise als Abgeordneter der CDU im Deutschen Bundestag. Drei Mal gewann er das Direktmandat für seinen Wahlkreis in Chemnitz. Im September 2021 verlor er die Wahl überraschend gegen den Kandidaten der SPD, dies war das Ende seiner politischen Karriere. Sein christlicher Glaube prägte seine politische Arbeit. Als Pastor der Heilsarmee setzte sich Frank Heinrich vor allem für sozialdiakonischen Projekten in Chemnitz ein. Um noch mehr für arme Menschen bewirken zu können, trat er 2007 in die CDU ein. Bereits nach zwei Jahren Parteimitgliedschaft saß er im Deutschen Bundestag. Gleich zu Beginn seiner Tätigkeit als Politiker fasste er den Entschluss: "Ich möchte als Politiker Mensch bleiben." Seine Arbeit im Bundestag hat er mit einer gewissen Naivität begonnen und wurde aber schnell mit der harten Realität konfrontiert. Die extreme Arbeitsbelastung hätte fast seine Familie zerstört. Immer wieder kam er an seine Grenzen und hat in seinem Glauben Rat und Hilfe gesucht. Der Glaube war für ihn nicht nur ein Lippenbekenntnis, so wurde in seinem Büro regelmäßig gebetet. Die spannende Biografie zeichnet die Geschichte von Frank Heinrich nach. Seine Prägung durch den christlichen Glauben, sein Engagement in der Heilsarmee, den unerwarteten Sprung in die "große Politik" und seine Leben "danach". Ein Buch über das Christsein in der Berliner Politik keiner könnte es besser schreiben als Frank Heinrich. Frank war immer einer, der mit dem Herzen Politik machte und mit einem klar christlichen Kompass. Wenige Politiker gehen mit ihrem Glauben so offen um. Ralph Brinkhaus MdB, 2018 bis 2022 Vorsitzender der CDU/CSU-Bundestagsfraktion Für Frank Heinrich ist Glaube nicht nur Privatsache, sondern auch Antrieb seiner politischen Arbeit. So wie er als Christ vor Gott tritt, füllte er auch sein Amt als Abgeordneter aus: mit Ehrfurcht, Demut und Herz. Während seiner Amtszeit lernte er Fluch und Segen des Politiker-Seins kennen, doch ist er nie ins Moll verfallen. Optimistisch und tatkräftig stellte er sich Ungerechtigkeit entgegen und machte sich insbesondere im Kampf gegen Menschenhandel verdient. Omid Nouripour MdB und seit Februar 2022 gemeinsam mit Ricarda Lang Bundesvorsitzender von Bündnis 90/Die Grünen

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Anna Lutz

Frank Heinrich

Ich hatte mir vorgenommen, Mensch zu bleiben

12 Jahre als Christ im Deutschen Bundestag

Frank Heinrich, Jg. 1964, ist Theologe, Sozialpädagoge und Politiker (CDU). Von 2009 bis 2021 war er Mitglied des Deutschen Bundestages. 1997 wurde Heinrich als Heilsarmee-Offizier ordiniert (Pastor). Von 1997 bis zu seiner Bundestagskandidatur 2009 leitete er zusammen mit seiner Frau das Heilsarmee-Korps in Chemnitz. Seit 2023 zählt er zur Doppelspitze des Vorstands der Deutschen Evangelischen Allianz und ist deren Politikbeauftragter. Frank Heinrich ist seit 1987 verheiratet und Vater von vier Kindern.

Anna Lutz, Jg. 1983, lebt mit ihrem Mann und zwei Kindern in der Nähe von Berlin. Sie hat Politikwissenschaften und Soziologie studiert. Heute arbeitet sie hauptberuflich als Redakteurin und Korrespondentin in Berlin für die Christliche Medieninitiative PRO. Als Journalistin packt sie oft politische Themen an, porträtiert aber auch leidenschaftlich gerne Menschen und deren Glauben.

Die Bibelstellen sind entnommen:

Neues Leben. Die Bibel, © der deutschen Ausgabe 2002 und 2006 SCM R.Brockhaus in der SCM Verlagsgruppe GmbH, Witten/Holzgerlingen.

Hoffnung für alle®, Copyright © 1983, 1996, 2002, 2015 by Biblica, Inc.®. Verwendet mit freundlicher Genehmigung des Herausgebers Fontis.

© 2023 Brunnen Verlag GmbH, Gießen

Lektorat: Stefan Loß

Umschlagfoto: Susanne Domaratius-Enders

Fotos im Innenteil: Frank Heinrich, Susanne Domaratius-Enders; ©Frank Heinrich

Umschlaggestaltung: Jonathan Maul

Satz: Brunnen Verlag GmbH

ISBN Buch 978-3-7655-3624-3

ISBN E-Book 978-3-7655-7693-5

www.brunnen-verlag.de

Ein Buch über das Christsein in der Berliner Politik – keiner könnte es besser schreiben als Frank Heinrich. Frank war immer einer, der mit dem Herzen Politik machte und mit einem klar christlichen Kompass. Wenige Politiker gehen mit ihrem Glauben so offen um. Ich habe das stets als Stärke wahrgenommen. Dafür bin ich ihm sehr dankbar.

Ralph Brinkhaus, MdB, 2018 bis 2022 Vorsitzender der CDU/CSU-Bundestagsfraktion

Auch wenn sich Schnittmengen zwischen Frank Heinrich und mir nicht auf den ersten Blick ausmachen lassen, weder Geschlecht noch Region, Partei, Religion passen wirklich zusammen; doch im Kampf für das Nordische Modell in der Prostitution, also für Freierbestrafung, Entkriminalisierung der Frauen in der Prostitution, Ausstiegsberatung und Aufklärung haben wir eine ganze Legislaturperiode im Bundestag zusammengearbeitet, Debatten angestoßen, führen sie weiter. Kein Karriereheini werden, Mensch bleiben und nicht abheben, das wollte Frank Heinrich im Deutschen Bundestag. Das ist ihm gelungen. Er ist ein Guter.

Leni Breymaier, MdB, SPD

Für Frank Heinrich ist Glaube nicht nur Privatsache, sondern auch Antrieb seiner politischen Arbeit. So wie er als Christ vor Gott tritt, füllte er auch sein Amt als Abgeordneter aus: mit Ehrfurcht, Demut und Herz. Während seiner Amtszeit lernte er Fluch und Segen des Politikerseins kennen, doch ist er nie ins Moll verfallen. Optimistisch und tatkräftig stellte er sich Ungerechtigkeit entgegen und machte sich insbesondere im Kampf gegen Menschenhandel verdient.

Omid Nouripour, MdB und seit Februar 2022 gemeinsam mit Ricarda Lang Bundesvorsitzender von Bündnis 90/Die Grünen

Ich habe Frank im Menschenrechtsausschuss als einen Kollegen kennengelernt, dem es um die Sache ging. Wir haben eng zusammengearbeitet bei Themen der Ernährungssicherheit und der humanitären Hilfe. Sein besonderes Interesse galt dem Kontinent Afrika. Frank verband immer die sensible Art und feinfühlige Kommunikation mit tiefer Fachkenntnis und Aufmerksamkeit für neue Aspekte unserer Arbeit im Ausschuss. Seine Reden waren tiefsinnig. Traf man ihn, hatte er immer ein Augenzwinkern und einen Gruß parat. Er ist ein Mensch, den man nicht allzu häufig im politischen Berlin trifft. Dieses Buch macht das einmal mehr deutlich.

Gyde Jensen, MdB, Stellvertretende Fraktionsvorsitzende Fraktion der Freien Demokraten

Inhalt

Vorwort

Prolog

1. Gewählt

2. Das Kreuz mit der Politik

3. Raumschiff Bundestag

4. Suppe, Seife, Seelenheil

5. Jesus im Regierungsviertel

6. Die Wut der Christen

7. Ein Offizier und Gentleman

8. Chemnitz

9. Verfolgte Christen und ein Gebet mit dem Dalai Lama

10. In die Politik

11. In der Wüste mit Volker Beck

12. Im Kampf gegen Menschenhandel

13. Skateboardfahrt in ein neues Leben

14. Noch ein Abschied und ein neuer Anfang

Epilog

Ich danke euch …

Vorwort

Frank Heinrich und ich sind 2009 gemeinsam aus Sachsen in den Bundestag eingezogen: er aus Chemnitz, ich aus Meißen. Frank war politisch ein Anfänger, ich war schon viele Jahre Landesminister und vier Jahre Bundesminister gewesen, also eigentlich erfahren. Und dennoch war auch für mich der Beginn im Deutschen Bundestag als „Vertreter des ganzen Volkes“, wie es in Artikel 38 des Grundgesetzes heißt, neu und aufregend.

Ein Beispiel: Ein Bundesminister, der kein Abgeordneter ist, darf die Regierungsbank nicht in Richtung Plenum verlassen. Ein Abgeordneter darf aber seinerseits einen Minister auf der Regierungsbank „besuchen“. Ein Minister ist ernannt, ein Abgeordneter gewählt. Das macht schon etwas mit einem.

Während der Sitzungswochen traf ich mich jeden Montagabend mit Frank Heinrich in der Gruppe der CDU-Abgeordneten aus Sachsen. Das ist eine Gruppe ganz unterschiedlicher Charaktere. Wir haben dort viel diskutiert und manches Mal gestritten. Aber nie ist ein Wort davon nach draußen gedrungen. Und Frank Heinrich war immer derjenige, der Verständnis äußerte für die Position der anderen, auch wenn er sie nicht teilte. Wir hatten alle Vorurteile: Was wird denn das für einer sein, der aus der Heilsarmee kommt? Kann der überhaupt praktisch denken und politisch konkret werden? Ja, das konnte und kann Frank Heinrich. Er hat nie seinen Glauben versteckt oder Moralin trompetend vor sich hergetragen. Natürlich konnte er grundsätzlich werden, aber genauso wusste er Bescheid über Details der Arbeitsmarktpolitik. Er setzt sich für Menschenrechte ein, aber vor allem für Menschen. Seine Reden waren anders: kein Politikersprech, wenige Argumente, die ohnehin schon jede und jeder kannte, dafür eine frische Sprache. Er wählte ungewöhnliche Vergleiche, kämpfte oft mit der Redezeitbegrenzung, weil er noch so viel zu sagen hatte. Irgendwie wurde es stiller im Plenum, wenn er sprach. Oft spät in der Nacht oder zu ungünstigen Redezeiten, weil die Großen längst die guten Redeplätze beansprucht hatten. Aber das störte ihn nicht. Immer kam es ihm auf die Menschen an, zu denen er sprach, und auf das Argument.

Mit vielen Abgeordneten habe ich in Pausen oder während langweiliger Reden freundlich und belanglos geplaudert, mit Frank Heinrich waren das meistens gehaltvolle Gespräche: über uns oder über Gott und die Welt.

Frank Heinrich hat dem Deutschen Bundestag 12 Jahre gutgetan. Seine Wahlniederlage nach 12 Jahren hat er vorbildlich demütig angenommen. Von solchen Christen in der Politik bräuchten wir mehr.

Wie schön, dass er in diesem Buch seine sehr persönlichen Erfahrungen und Erlebnisse schildert. Ich hoffe, dass dieses Buch manche Vorurteile gegen Politiker im Allgemeinen oder Bundestagsabgeordnete im Speziellen abbaut.

Vielen Dank und alles Gute, lieber Frank.

Dresden, im Februar 2023

Dr. Thomas de Maizière

Prolog

Am 25. September 2021 spreche ich in das Mikrofon meines Smartphones: „Noch ein letzter Tag, dann ist es so weit. Gott, ich vertraue dir, dass du jeden Schritt führst, der da kommt. Dein Wille geschehe.“

Am nächsten Morgen werden rund 45 Millionen deutsche Bürger zur Urne gehen. Die Bundestagswahl steht an. Für mich ist es die vierte als Berufspolitiker, wenn man jene im Jahr 2009 mitzählt, die mich in den Bundestag brachte. Seitdem habe ich immer das Direktmandat in Chemnitz geholt.

Doch diese Wahl wird anders sein. Sie wird mich das Amt kosten.

Am Vorabend ahne ich das noch nicht. Ich bespreche wie so oft mein Audiotagebuch. Dutzende Male habe ich das in den Wochen vor der Wahl getan. Das Handy ist mein Vertrauter. Und dem habe ich vor allem eines offenbart: meine Zuversicht. Denn ich bin fest davon überzeugt, dass ich es wieder schaffe. So wie in den Jahren zuvor: das erste Mal als Überraschungssieger. Und das letzte Mal sogar, nachdem mein AfD-Herausforderer Nico Köhler in den ersten Hochrechnungen vorne gelegen hatte. Erst spät in der Nacht war im September 2017 klar: Ich gewinne, wenn auch nur mit 2,5 Prozentpunkten Vorsprung.

Deshalb gebe ich in diesen Tagen vor der Wahl 2021 auch nicht viel auf die Prognosen, obwohl sie durchaus gemischt sind. Meine härtesten Konkurrenten im Wahlkreis Chemnitz sind Detlef Müller von der SPD und Michael Klonovsky von der AfD. Letzterer war bis dato Redenschreiber des AfD-Fraktionsvorsitzenden Alexander Gauland, arbeitete davor für die einstige Parteichefin Frauke Petry. Die Umfragen sehen ihn immer abwechselnd mit mir und dem SPD-Kollegen ganz vorne. Das hat auch damit zu tun, dass die CDU im Bund es in diesen Tagen schwer hat. Noch immer hängt meiner Partei im Nacken, dass Kanzlerkandidat Armin Laschet sich während eines Besuchs im Gebiet der Flutkatastrophe im Ahrtal bei einem unbedachten Lacher filmen ließ. Im Vordergrund sprach Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier über das Leid der Anwohner und im Hintergrund schien sich der mögliche künftige Kanzler über einen unbedachten Witz zu amüsieren. Weder das politische Berlin noch die Chemnitzer haben diesen Auftritt honoriert, auch wenn er in meinen Augen wenige Rückschlüsse auf die Qualität eines Politikers zulässt. Wem passiert schließlich nicht mal ein Ausrutscher, erst recht in Zeiten der Anspannung? Ich weiß, wovon ich rede. Dennoch: Ein parteiinterner Streit darüber, ob Laschet überhaupt zum Kanzler taugt, dauerte noch bis Wochen vor der Wahl an. Das gilt auch für Chemnitz, die Stadt wählt traditionell eher links meiner Partei. Nun ist die CDU zusätzlich angeschlagen. Wir könnten die Wahlen verlieren. Auf Bundesebene, aber eben auch hier in meiner Heimat.

Mir ist all das bewusst und doch lege ich mich an diesem Samstagabend ins Bett und blicke fröhlich auf den kommenden Sonntag. Gottes Wille geschehe. Das ist mein Abendgebet, diese Worte machen mich ruhig. Das haben sie schon mein ganzes Leben lang. Ich bin Christ, Pastor, ehemaliger Heilsarmee-Offizier und bis dato einer von zwei evangelischen Freikirchlern im Deutschen Bundestag. Manche nennen mich fromm. Ich schließe die Augen und finde schnell in den Schlaf. Gottes Wille geschehe, doch meiner ist klar: Ich möchte es ein weiteres Mal schaffen.

In den Wochen und Monaten vor der Wahl habe ich viel Zuspruch bekommen. Von Parteikollegen, aber auch von Mitchristen. Viele haben den Eindruck, ich sei berufen. Für Gott in den Bundestag. Sie sehen mich als Hoffnungsträger. Und wer die Hoffnung trägt, den wird Gott nicht fallen lassen, oder?

Nicht einmal 18 Stunden später ist meine Wahlparty im Café Michaelis in der Innenstadt von Chemnitz in vollem Gange. Das Restaurant liegt gerade mal eine Laufminute vom Rathaus entfernt, wo ich auf die ersten Hochrechnungen warte, bevor auch ich mich zur Runde der Feiernden gesellen will. Im Rathaussaal mit seinen holzvertäfelten Wänden sind auch die meisten anderen Spitzenkandidaten der Chemnitzer Parteien zusammengekommen, es ist gute Tradition. Doch als die ersten Zahlen auf die Leinwände projiziert werden, ist klar: Es sieht nicht gut aus für mich. In solchen Momenten überholt mich gelegentlich mein Optimismus, ich sehe alles positiv, versuche immer, die Hoffnung zu bewahren, auch wenn ich schlechte Karten auf der Hand habe. Doch irgendwann zwischen 20 und 21 Uhr steht tatsächlich fest: Das ist gelaufen. SPD-Kandidat Müller holt am Ende über 25 Prozent der Stimmen, Klonovsky von der AfD knapp 22 Prozent, ich liege mit 18,5 Punkten an dritter Stelle. Ganze acht Prozent hinter meinem letzten Wahlergebnis. In der Politik sind das Welten.

Die Niederlage bewegt mich. Ich habe sie nicht kommen sehen. Vielleicht auch nicht kommen sehen wollen. Habe sie mich treffen lassen wie ein Blitz. Unvorbereitet. Ich erinnere mich an den Zuspruch der letzten Wochen und plötzlich auch an einen Satz, den ein Freund zu mir sagte, nachdem ich meine erste Bundestagswahl gewonnen hatte: „Frank, sei dir klar, dass jetzt viele Fromme denken, du würdest der nächste Kanzler. Halt dich nicht an diesem Gedanken fest.“ Habe ich mich doch zu sehr an dieser Erwartung festgehalten? Hoffnungsträger zu sein, ist Segen und Fluch zugleich.

Ich gratuliere meinem Herausforderer Müller mit einem Lächeln und den Worten: „Jetzt steht es drei zu eins.“ Den kleinen Seitenhieb auf die letzten Wahlen kann ich mir nicht verkneifen, man nennt mich nicht umsonst auch „Happy“ Heinrich. Ein Witz muss gehen, selbst in so schwierigen Momenten. Klonovsky ist nicht vor Ort und ich bin froh darüber. Dass ich auch gegen ihn verliere, macht mich trauriger als die Niederlage gegen den SPD-Herausforderer. Aber immerhin holt die AfD nicht das Direktmandat.

Ich verlasse das Rathaus und laufe den kurzen Weg ins Café Michaelis. Auch hier sind alle bereits informiert, die Hochrechnungen stehen groß und farbenfroh auf einer Leinwand, die eigens für den Abend aufgebaut wurde. Ich betrete den Raum und sehe meine Kollegen der CDU Chemnitz. Meine Wahlkämpfer. Freunde. Verwandte. Wegbegleiter. All jene, die in den letzten Wochen hart für mich gearbeitet und ebenso heftig gehofft haben wie ich selbst. Sie alle hätten jetzt gerne mit mir auf den Sieg angestoßen. Doch anstelle zuversichtlicher Trinksprüche und Gratulationen steht die Enttäuschung. Ich glaube, sie in jedem einzelnen Gesicht zu lesen. Dann kommt meine Frau Regina auf mich zu, nimmt mich in den Arm, sagt: „Mehr Zeit zu haben, ist auch schön.“ Und lächelt. Ich werde in den kommenden Monaten noch oft an diesen Satz denken. Und daran, wie sie mich angelächelt hat und mir den ersten Druck nahm.

Doch nun gilt es zunächst, ein guter Verlierer zu sein. „In der Niederlage erkennt man einen Menschen“, sage ich gerne. Es ist so etwas wie meine Arbeitsdoktrin. Jetzt muss ich selbst beweisen, dass ich ein guter Verlierer bin. Als ich vor die Menge trete, brandet Applaus auf. Die Gäste, meine Freunde, klatschen laut und lange. Irgendwann ergreife ich das Wort.

„Wir haben ein großes Abenteuer erlebt und müssen uns keine Vorwürfe machen“, sage ich. Nichts ist vorbereitet, ich spreche ganz frei. Sage Danke für die Jahre in Berlin, Danke für den Wahlkampf, spreche mit Respekt über meinen Herausforderer Müller und freue mich ganz ungeniert darüber, dass Klonovsky nicht gewonnen hat. Nach meiner Rede bricht eine Mitarbeiterin in Tränen aus. Die Gemeinschaft in unseren Büros in Chemnitz und Berlin ist seit zwölf Jahren eine besondere. Als Pastor habe ich bei Kindertaufen der Mitarbeiter gepredigt, habe einmal sogar eine von ihnen getraut. Wenn ich etwas am Bundestag vermissen werde, dann dieses Team. So ist das bei mir immer: Ich liebe es, Menschen kennenzulernen, ihnen zu begegnen, mich auszutauschen. Die große Politik kommt erst danach.

Als ich die Tränen sehe, schalte ich augenblicklich um: von Politiker auf Pastor. Ich nehme die junge Frau in den Arm. Tröste sie und sage, sie soll die gute Zeit in Berlin nie vergessen. Ihre Trauer gilt nicht nur mir. Denn immerhin steht nun fest: Nicht nur ich bin in einigen Wochen arbeitslos, auch mein Büroteam muss die Koffer packen.

Am Ende einigen sich die Gäste unausgesprochen darauf, meiner Abschiedsrede zu folgen: Sie wollen sich freuen über die zwölf Jahre im Hohen Haus und darauf anstoßen. Ein Teil der Trauer verwandelt sich in Feierlaune. Dankbarkeit ersetzt Zukunftssorgen. Die Party dauert bis spät am Abend.

Als ich mich schließlich irgendwann kurz vor Mitternacht verabschiedet habe, gehe ich auf die Straße hinaus und bete einmal mehr. Dieses Mal klingt es anders als am Tag zuvor.

„Gott, mach mein Herz bereit für alles, was kommt.“

Zugleich wiederhole ich für mich immer wieder: „Der Herr hats gegeben, der Herr nimmts.“ Einige Wochen später wird sich der Satz so ähnlich sogar in einem Interview zu meiner Wahlniederlage finden. Einerseits glaube ich daran, andererseits betäubt das geflügelte Wort den Schmerz über die Niederlage, der sich in der Ruhe zu melden versucht. Die Frage: Was wird nun aus meinen politischen Themen rund um Afrika und dem Kampf gegen Kinderarmut und Menschenhandel? Doch da ist noch mehr.

Ich spaziere nach Hause. Und erinnere mich an die Reaktion meiner Frau. „Mehr Zeit zu haben, ist auch schön.“ Plötzlich muss ich mir eine Wahrheit eingestehen, die in den Wochen des Wahlkampfs keinen Raum hatte: Politiker zu sein, ist auch eine Last. Und die ist heute von mir abgefallen. Da war zum einen die Arbeitsbelastung, die vielen Tage in Berlin ohne Familie, der Druck, dem Wahlkreis gerecht zu werden. Jenen Menschen, die mich dreimal gewählt haben. Doch auch an freien Tagen zu Hause holte mich der Arbeitsdruck ein. Nicht durch Aktenstapel und Termine, sondern ganz beiläufig.

So gab es in den vergangenen Jahren kein Stadtfest und keine öffentliche Feier, auf der ich mich ganz unbeschwert hätte bewegen können. Keine Veranstaltung, bei der ich nicht erkannt und angesprochen wurde. Das ging auch an meiner Familie nicht spurlos vorüber. Mir geht durch den Kopf, wie Regina und ich einst einen Weihnachtsmarkt in Chemnitz besuchten – und kaum einen einzigen Stand in Ruhe ansehen konnten. Immerzu sprachen mich die Leute an, erklärten mir ihre Probleme und Wünsche für Chemnitz und die Politik in Berlin. Ich habe nie zu den bekanntesten politischen Gesichtern der Bundespolitik gehört, aber hier in meiner Heimat war ich der sprichwörtliche bunte Hund.

Regina und ich blieben nicht lange auf dem Weihnachtsmarkt. Beim nächsten Versuch fuhren wir ins 30 Kilometer entfernte Marienberg. Und oft ließen wir es einfach ganz bleiben. Gemeinsame Zeit bedeutete nun Zeit zu Hause. Anders war es kaum möglich. Und selbst da konnte das Handy jederzeit stören, so sehr, dass meine Frau mir Handyauszeiten verordnete und eine meiner Töchter mir einmal in einem Brief schrieb: „Du drohst deine Familie zu verlieren, wenn du so weitermachst. In Berlin kannst du ja die große Welt retten, hier geht es einfach nur um gemeinsame Abendessen und Brettspiele.“ Ganz da zu sein, ist mir lange nicht so gut gelungen.

Medien, Kollegen, Termindruck, ständiges Telefonklingeln – das alles wird bald weg sein. Und mit all dem die Last. Zum ersten Mal seit Jahren. Am Morgen nach der Wahl nehme ich einen weiteren Audioeintrag auf. Ich sage: „Ich habe heute Nacht gut geschlafen.“

Monate später ist mir klar: Diese ersten Stunden nach der Niederlage waren für mich der Anfang einer Entgiftungskur. Jemand hat mich damals gefragt, ob ich zurück in die Politik will. Meine Antwort war eindeutig: „Von Herzen: Ich bin dankbar für die Zeit, aber, nein danke!“

1. Gewählt

12 Jahre zuvor: Am 27. Oktober 2009 stehe ich mit großen Augen und offenem Mund vor dem Reichstag in Berlin. Es ist mein erster offizieller Arbeitstag als Abgeordneter. Ich blicke auf den Schriftzug „Dem Deutschen Volke“, der in großen altdeutschen Lettern über dem Westeingang des Gebäudes prangt. Und kann nicht glauben, was hier geschieht. Das habe ich mir eigentlich nie zugetraut. Nie wollte ich Chef von irgendetwas sein, immer auf Augenhöhe mit den Menschen um mich herum. Nun gehöre ich zu den einflussreichsten Bürgern im Land. Und habe doch wenig Ahnung von dem, was auf mich zukommt.

Ich gehe zusammen mit meinen neuen Kollegen durch die Schleuse am Eingang, zeige meinen Abgeordnetenausweis vor – und bin drin. Es kommt mir vor, als wäre ich wieder sechs Jahre alt. Staunend wie ein kleines Kind gehe ich durch die hohe Vorhalle des Reichstagsgebäudes. Meine Schritte hallen auf dem hellen Marmorboden wider und plötzlich erscheint es mir, als würden sie größer. Als begänne ich automatisch zu schreiten. Während ich immer noch ganz überwältigt bin von dem Haus, der Autorität, die es ausstrahlt, und der Macht, die mir plötzlich gegeben ist, verspreche ich mir: Diesen ersten Tag will ich nie vergessen. Und mir den ehrfürchtigen Blick auf dieses Gebäude und was darin passiert, erhalten. Egal, was kommt, und egal, wie viele Jahre ich hier arbeiten werde. Niemals will ich mich an diesen Arbeitsplatz gewöhnen.

Ich war vorher erst einmal zur Fraktionssitzung im Bundestag, wenige Tage nach der Wahl vor einem Monat. Der parlamentarische Geschäftsführer Norbert Röttgen hatte die Neuen damals mit in den Fraktionssaal eingeladen. Schon dort staunte ich über mich selbst und mein Umfeld, saß gebannt unter dem großen rot verrosteten Metallkreuz von Bildhauer Markus Daum und ließ mich von der Fraktionsspitze auf das einschwören, was nun vor mir lag: Berlin, die große Politik, das Hohe Haus. Letzteres bleibt mir auch bei diesem zweiten Besuch neu. Ich taste mich vor, von Gang zu Gang, schaue immer wieder nach links und rechts, um nichts zu verpassen. Ich reihe mich ein in die Riege der vor vier Wochen gewählten Abgeordneten, zu denen auch ich jetzt gehöre. Wie eine gut gekleidete Entenfamilie laufen wir hintereinanderher, auch, um nicht Gefahr zu laufen, die richtigen Abzweigungen zu verpassen. Denn für Neulinge gleichen der Bundestag und seine Liegenschaften einem Labyrinth.

Dann betrete ich zum ersten Mal den Plenarsaal, stehe unter dem riesigen grauen Bundesadler, der hier alles überragt, streiche mit der Hand über den blauen Stoff der Sitze, die ich bisher nur aus dem Fernsehen kenne. Ich suche mir einen Sitzplatz aus. Der künftige Umweltminister Norbert Röttgen läuft einmal mehr an mir vorbei, von Weitem sehe ich Kanzlerin Angela Merkel, die in der ersten Reihe Platz nimmt. SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück setzt sich wenige Meter von mir entfernt hin, Alterspräsident Heinz Riesenhuber ergreift das Wort. Es geht los.

Noch wenige Wochen zuvor hätten wohl wenige auf mich gesetzt. Ich bin ein Neuling im politischen Geschäft. Erst vor zwei Jahren bin ich in die CDU eingetreten und zudem so etwas wie das fromme Gesicht der Stadt Chemnitz. Nicht nur weil ich 2002 als unabhängiger Kandidat für die Partei Bibeltreuer Christen angetreten bin. Vor allem leitete ich bis dahin zusammen mit meiner Frau zwölf Jahre lang das Korps der städtischen Heilsarmee. Mich kannten die meisten weniger als Politiker, sondern mehr als jenen Pastor in Uniform, der regelmäßig an der Drehorgel in der Fußgängerzone stand. Einmal jährlich organisierte ich in Chemnitz sogenannte Zirkusgottesdienste, bei denen ich auch selbst predigte. Die Veranstaltung sorgte nicht nur für ein volles Zelt. Sie wurde auch vom Sachsenfernsehen übertragen und brachte mein Gesicht auf die Bildschirme der Stadt. Und eben dieser Pastor, dieser fromme Prediger, weit überdurchschnittlich christlich für diese Stadt mit gerade einmal knapp 16 Prozent Kirchenmitgliedern, trat nun als Direktkandidat für die CDU an.

15 Jahre zuvor war einem Unionsdirektkandidaten zuletzt der Wahlsieg in Chemnitz gelungen, seitdem hatte immer die SPD das Mandat geholt. Und auch bei den Zweitstimmen lag die CDU im Jahr 2005 hinter den Sozialdemokraten und der Linken. Nun sollte ausgerechnet ich zu besseren Zeiten verhelfen. Dabei waren wir im Grunde chancenlos.

Doch was niemand für möglich gehalten hätte, geschah: Ich gewann 2009 das Direktmandat deutlich mit über 34 Prozent der Stimmen. Ich schlug Michael Leutert von der Linken um sechs Prozent und den bisherigen Inhaber des Direktmandats, Detlef Müller von der SPD, sogar um 14. Und auch meiner Partei verhalf ich zum Sieg: Die CDU wurde stärkste Kraft in Chemnitz knapp vor der Linken.

Warum?

Ein wichtiger Grund mag darin liegen, dass ich nicht nur als Christ und CDUler in der Stadt bekannt war, sondern auch als einer, der soziale Probleme anpackte. Für die Heilsarmee sprach ich regelmäßig bei Chemnitzer Stadträten und Bürgermeistern oder engagierte mich in Stadtteilrunden. Politik gehörte schon da zu meinem Beruf. Ich setzte mich für die Anliegen meiner Leute ein: der Benachteiligten in Chemnitz. Und nicht selten wurde ich gehört. Auch der Bundestrend spielte mir 2009 in die Karten. Angela Merkel gewann in den letzten Wochen vor der Wahl an Zustimmung, anders als noch im Januar, als ich mich nominieren ließ. So geschah das, was viele Christen als Wunder bezeichnen mögen: Ein frommer CDUler errang in der ehemaligen Karl-Marx-Stadt das Mandat – und sogar mit ordentlichem Vorsprung.

Nachdem der Sieg feststand, sang die CDU Chemnitz noch am Wahlabend den christlichen Klassiker „Großer Gott wir loben dich“. Der ganze Saal stimmte mit ein und sang wie aus einem Munde:

„Großer Gott, wir loben dich,

Herr, wir preisen deine Stärke.

Vor dir neigt die Erde sich

und bewundert deine Werke.

Wie du warst vor aller Zeit,

so bleibst du in Ewigkeit.“

Für mich ist das Lied ein ernst gemeintes Gebet und auch die Erinnerung daran, dass nicht ich die Wahl erwirkt habe, sondern dass die Wähler dafür verantwortlich waren und nicht zuletzt der, an den ich glaube, seines dazu getan hat.

Vier Wochen später sitze ich im Plenarsaal, blicke auf den Bundesadler und zähle die Federn seiner Flügel. Ich werde das oft tun in den kommenden Jahren. Es ist meine Art, mich zu konzentrieren, wenn das Drumherum mich zu überwältigen droht. Vorne spricht Alterspräsident Riesenhuber und ich bin sofort beeindruckt. Der 73-Jährige sitzt seit 1976 im Deutschen Bundestag. Ich spüre: Dieser Mann hat alles schon gesehen. Wenn es einen gibt, der mir helfen kann, mich hier zurechtzufinden, dann ist er es. Ich werde ihn später um ein Vier-Augen-Gespräch bitten, will ihn fragen, welche Tipps er für mich hat. Als ich schließlich tatsächlich in seinem Büro sitze, rät er mir: