Ich nehm dann mal das Upgrade - Sascha Tegtmeier - E-Book

Ich nehm dann mal das Upgrade E-Book

Sascha Tegtmeier

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Beschreibung

Kann man sich noch ein Leben ohne Spülmaschine vorstellen? Will man den Rollkoffer wieder gegen den Rucksack eintauschen? Sascha Tegtmeier und seine Frau Paulina, beide Mitte Dreißig, haben Deutschland für sechs Monate den Rücken gekehrt. Sie wollten um den Globus reisen, waren aber nicht bereit, ihr Hotelzimmer mit Kakerlaken oder einen Schlafsaal mit betrunkenen Mitreisenden zu teilen. Denn etwas Komfort und Sicherheit möchte man sich mittlerweile doch schon leisten. Mit diesen Ansprüchen sprechen sie vielen aus der Seele: Flashpacking heißt diese Art zu reisen und ist mittlerweile ein globaler Trend. Mit ihren unterhaltsamen Geschichten ermutigen Sascha und Paulina alle Ex-Backpacker und Abenteurer, den Rucksack zu entstauben und in die Welt zu ziehen. Mit praktischen Flashpacker-Tipps – ob für eine Woche Urlaub oder ein Jahr Auszeit.

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Seitenzahl: 294

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Buch

Kann man sich noch ein Leben ohne Spülmaschine vorstellen? Will man den Rollkoffer wieder gegen den Rucksack eintauschen? Sascha Tegtmeier und seine Frau Paulina, beide Mitte dreißig, haben Deutschland für sechs Monate den Rücken gekehrt. Sie wollten um den Globus reisen, waren aber nicht bereit, ihr Hotelzimmer mit Kakerlaken oder einen Schlafsaal mit betrunkenen Mitreisenden zu teilen. Denn etwas Komfort möchte man sich mittlerweile doch schon gönnen. Mit diesen Ansprüchen sprechen sie vielen aus der Seele: Flashpacking heißt diese Art zu reisen und ist mittlerweile ein globaler Trend. Mit ihren unterhaltsamen Geschichten von Schlangen, Schamanen und Klimaanlagen ermutigen Sascha und Paulina alle Exbackpacker und spätberufenen Komfort-Abenteurer, den Rucksack zu entstauben und in die Welt zu ziehen. Mit praktischen Flashpacker-Tipps – ob für eine Woche Urlaub oder ein Jahr Auszeit.

Autor

Sascha Tegtmeier, Jahrgang 1978, hat schon als Zehnjähriger seine Traumrouten in den Weltatlas eingezeichnet und mithilfe der väterlichen Schreibmaschine seine Abenteuergeschichten zu Papier gebracht. Nach einem Studium der Journalistik und Germanistik in Leipzig war er als Redakteur bei der taz in Berlin tätig. Seit einigen Jahren denkt er sich PR-Konzepte für Unternehmen und die Politik aus. Gemeinsam mit seiner Frau Paulina nimmt er sich immer mal mehrmonatige Auszeiten, um die Welt zu erkunden – als Flashpacker. Beide leben in Berlin.

Sascha Tegtmeier

»Ich nehm

dann mal das

Upgrade!«

Als Komfort-Abenteurer

um die Welt

Den Soundtrack zum Buch gibt es beim Musikstreamingdienst Spotify. Für jedes Kapitel hat der Autor dort eine Playlist hinterlegt, die für ihn das Thema und die Stimmung des Landes wiedergeben und das Reisen im Kopf begleiten. Über die Suchfunktion lassen sich die Kapitel und der Autor finden. Die Spotify-App ist kostenlos. Lediglich um die Lieder in der gewünschten Reihenfolge zu hören, bedarf es eines kostenpflichtigen Accounts.

Die in diesem Buch geschilderten Erlebnisse sind höchst subjektiv. Alle Fakten sind nach bestem Wissen und Gewissen recherchiert. Namen wurden teilweise zum Schutz der Persönlichkeitsrechte geändert. Der Autor und seine Ehefrau versichern aber, wirklich Sascha und Paulina zu heißen, tatsächlich an allen Orten gewesen zu sein und von keiner Firma oder Privatperson für das Erwähnen von Produkten oder Dienstleistungen Geld erhalten zu haben.

Alle Ratschläge in diesem Buch wurden vom Autor und vom Verlag sorgfältig erwogen und geprüft. Eine Garantie kann dennoch nicht übernommen werden. Eine Haftung des Autors beziehungsweise des Verlags und seiner Beauftragten für Personen-, Sach- und Vermögensschäden ist daher ausgeschlossen.

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.

Der Verlag weist ausdrücklich darauf hin, dass im Text enthaltene externe Links vom Verlag nur bis zum Zeitpunkt der Buchveröffentlichung eingesehen werden konnten. Auf spätere Veränderungen hat der Verlag keinerlei Einfluss. Eine Haftung des Verlags für externe Links ist daher ausgeschlossen.

Das Max-Frisch-Zitat stammt aus: Max Frisch, Stiller.

© Suhrkamp Verlag Frankfurt am Main 1954.

Alle Rechte bei und vorbehalten durch Suhrkamp Verlag Berlin.

1. Auflage

Originalausgabe August 2017

Wilhelm Goldmann Verlag, München,

in der Verlagsgruppe Random House GmbH,

Neumarkter Straße 28, 81673 München

Umschlag: UNO Werbeagentur, München

Umschlagmotiv: FinePic®, München

Bildnachweis: Wegweiser: © shutterstock/Petr Vaclavek

Globus: © shutterstock/nikiteev_konstantin

Redaktion: Antonia Zauner

Satz und Layout: Buch-Werkstatt GmbH, Bad Aibling

JE · Herstellung: IH

ISBN 978-3-641-20025-1V001

www.goldmann-verlag.de

Besuchen Sie den Goldmann Verlag im Netz

»Warum reisen wir? Auch dies, damit wir Menschen begegnen, die nicht meinen, dass sie uns kennen ein für allemal; damit wir noch einmal erfahren, was uns in diesem Leben möglich sei – es ist ohnehin schon wenig genug.«

Max Frisch

Für Paulina.

Inhalt

1. Wie wir wurden, was wir sind: Flashpacker.

2. Übernachten: Wie gut darf ein Rucksackreisender schlafen?

Ok, wir nehmen dann mal das Upgrade!

Krüger-Nationalpark, Südafrika

Übers Internet oder vor Ort: Warum die Zimmersuche nachts im Dschungel schwerfällt.

Ilha Grande, Brasilien

Traue keinem unter 30 Likes: Wie man nicht auf geschönte Hotelbewertungen hereinfällt.

Matalla/Merissa, Sri-Lanka

In Betten von Fremden: Airbnb

Verschiedene Orte

Hotel oder Hostel: Wo die Hängematten am schönsten schwingen.

Salta/Tilcara, Argentinien

Wie man sich Luxus für einen Tag gönnt.

Yangon, Burma

3. Komfort-Abenteuer: Wie gefährlich darf es sein?

Warum ich den Inca Trail nicht laufe – und Machu Picchu trotzdem ein Riesenabenteuer wird.

Cusco/Aguas Calientes, Peru

Der Teufel, Koka, Superfood – und Horizonte voller Salz.

Tupíza/Salar de Uyuni, Bolivien

Wie ich mich auf einem Surfbrett in die Wellen der Haibucht stürze – und warum die Kids vom Township es trotzdem besser können.

Muizenberg/Monwabisi, Südafrika

Warum man sich beim Sandboarding nicht entspannen sollte.

Huacachina, Peru

Wie ich fast in einer mexikanischen Telenovela auftauche – und am Ende eine Maske trage.

Mexiko-Stadt

4. Essen und Trinken: Wie genießt ein Rucksack-Gourmet?

Rooftopbars, ein Restaurant überm Fluss oder lieber der Bananenpfannkuchenpfad?

Bangkok, Thailand Inle See, Burma

Reisespeisekarte: Mit Genuss um den Globus

Verschiedene Orte

Wo das Rinderherz am rechten Platz sitzt, Meerschweinchen auf dem Grill landen und roher Fisch ein Weltstar ist.

Peru

Wo die Heuschrecken knacken, der Taco trieft und die Mole mundet.

Mexiko

Wo Hühnerfüße scharren, eine Ente ganz schön aufgeblasen ist und Knödel an warme Semmeln erinnern.

China

Wo man das beste Steak der Welt isst – und wer als Kaffeebauer eine gute Figur macht.

Kolumbien

In welcher Weinregion wir berauscht in einem Park erwachten – und wo Penismännchen beim Traubengenuss stören.

Yarra Valley, AustralienIca, Peru

Heimat in der Fremde: die Biere der Welt

Verschiedene Orte

5. Von A nach B: Ist der Weg wirklich das Ziel?

Wie man mit Flipflops in den Bus springt.

Sri Lanka

Flugzeug: Alle Flashpacker fliegen hoch.

Über den Wolken und in Peru

Bus: Karaoke-Terror und Panne in der Pampa

Mandalay/Yangon, BurmaCórdoba/Salta, Argentinien

Camper: Wie Kängurus auf Hippies reagieren.

Ostküste Australien

Auf zwei Rädern: Himmel und Hölle in Burma

Mandalay/Bagan, Burma

6. Omm-Faktor: Wie viel Spirituelles verkraftet der Flashpacker?

iTravel: Wie viel Omm geht, wenn du immer »on« bist?

Verschiedene Orte

Wie ein mexikanischer Schamane mein Herz zum Schwitzen brachte.

Tepoztlán, Mexiko

Beim Buddha: Wie ich einen Hügel hinaufpilgere und kein Kloster zum Meditieren finde.

Mandalay, Burma

Bula Bula, Bob: Wie wir in der Südsee Göttliches entdecken.

Yasawas, Fidschi

Nachwort:Was bleibt vom Flashpacking – zurück in der Heimat?

Anhang

Paulinas Packtipps für Flashpacker

Danksagung …

Länderverzeichnis

Register

1. Wie wir wurden, was wir sind

Flashpacker

Musik zum Lesen

http://spoti.fi/2nUE0Ld

Auf gar keinen Fall!

Paulinas Reaktion auf meinen Vorschlag, in Nepal wandern zu gehen, lässt wenig Interpretationsspielraum. Sie wischt mit der rechten Hand harsch durch die Luft, streicht mit der Linken ihr schwarzes Haar glatt, kneift die Augen zusammen und lehnt sich nicht ganz untheatralisch zurück. Selten sind Worte und Körpersprache eine so enge Verbindung eingegangen, wie an diesem Samstagnachmittag in einem Kreuzberger Café. Ich zücke möglichst lässig mein Smartphone, um einige Reiseblogger zu zitieren.

Als Argumentationshilfe sind diese Tagebuchschreiber im Netz ideal. Es muss ein Berufsethos geben, das besagt, dass in einem Reiseblog, jede noch so gottverdammte Gegend der Welt »atemberaubend« und für den Besucher »life changing« sein soll. Im Fall der von mir vorgeschlagenen zwölf zünftigen Tagesmärsche entlang des Annapurna-Gebirges kennt die Euphorie im Internet keine Grenzen. Die Menschen seien so unfassbar freundlich, die Landschaft ekstatisch schön und überhaupt: Es ist der H-I-M-A-L-A-Y-A, Baby! Außerdem kann man in einfachen Teahouses unterkommen, die wohl – und an der Stelle dachte ich, Paulina an Bord zu haben – auch über Duschen verfügen. Aber nichts kann sie angesichts der knapp zweiwöchigen Wanderung umstimmen. »No way«, sagt sie nun mit Nachdruck.

Meine Frau ist Mexikanerin – ein Volk, dem nicht nur Temperament, sondern auch Rigorosität nachgesagt wird. Ein Vorurteil, an dem etwas dran ist, wie Paulina an diesem Märznachmittag im Café »Goldmarie« unter Beweis stellt.

Wir sind dabei, unsere sechsmonatige Weltreise zu planen, von der wir seit Jahren an langen Arbeitstagen träumen.Die Aussicht auf eine Auszeit von unseren Jobs in der PR- und Werbebranche erfüllt uns mit Vorfreude. An diesem Nachmittag wird uns erst richtig bewusst, wie groß die Planungsaufgabe ist, die vor uns liegt. Das beginnt bei der Wohnung (untervermieten?), über den Job (kündigen?) bis hin zur Anschaffung einer wasserdichten Kamerahülle.

Wir blättern in der Broschüre vom Junge-Leute-Abenteuer-Reisebüro einige Straßen weiter. Als hätten wir das Wetter als Kontrast zu unseren tropischen Reisezielen bestellt, peitscht der Regen gegen die Fensterscheibe des Cafés. Und als hätten wir die anderen Gäste nur zu diesem Zweck gecastet, gucken sie alle gänzlich unexotisch und unabenteuerlich auf ihren Käse-Streuselkuchen. Einer lässt gerade seinen Cappuccino zurückgehen, weil ihm zu viel Schokopulver auf dem Milchschaum liegt.

Fünf Standardrouten des Around-the-World-Tickets werden in der Broschüre mit farbenfrohen Weltkarten vorgestellt. Diese Paketangebote von Flügen sollen sich besser verkaufen durch Namen wie »Sushi, Scheich, Riesenschlangen«, »Die Schnorchel Connection« oder »Bambus, Teebaum und Holz vor Onkel Toms Hütte«.

Wir wollen uns – inspiriert von »For Locos Only« – eine eigene Route für unsere Weltreise ab November zusammenstellen und verhandeln darüber nun im Stile von »Tausche Nepal gegen Myanmar« und »Wenn China, dann Cook Islands«. Jahrelang habe ich als Kind mit dickem Bleistiftstrich meine Wunschrouten in den Diercke-Weltatlas eingezeichnet, mir alle Inseln, Kontinente, Städte und Meeresstraßen eingeprägt. Und im Sommer ging es dann meist wieder nur an die Ostsee.

Während meine aktuellen Reiseplanungen also vor allem auf diesen Träumen der 80er-Jahre beruhen, ist Paulina besser auf die Realität vorbereitet: Sie weiß längst, dass man günstiger nach Fidschi kommt als zu der von mir präferierten Südseedestination Cook Islands.

Organisierte Mexikanerin trifft auf unstrukturierten Deutschen. Überhaupt fällt es Außenstehenden schwer, uns einzuordnen. Insbesondere im Ausland. Da ist dieser kräftige Mittdreißiger mit mitteleuropäischen Gesichtszügen, braunen Haaren, rotblondem Vollbart und der Körperlänge eines Latinos. Und da ist die etwas jüngere Frau, die als Vorbild für Disneys Pocahontas hätte dienen können: Die bronzefarbene Haut der mittelamerikanischen Ureinwohner vermischt sich mit dem Körperbau der südeuropäischen Eroberer. Dazu kommt, dass wir in einem babylonischen Mix miteinander sprechen: Unsere romantische Ausdrucksform ist Spanisch, denn in dieser Sprache haben wir uns bei einem Austauschsemester in Madrid 2002 kennengelernt. Deutsch bestimmt oftmals den Alltag (»Ich hab einen Strafzettel vom Ordnungsamt.«). Und falls die Situation stressig wird – und das passiert natürlich auf einer Weltreise immer mal wieder –, sprechen wir Englisch miteinander. Dann gibt es weniger Missverständnisse und bei auseinandergehenden Meinungen sind unsere verbalen Waffen gleich.

Es geht an jenem Samstag im März in dem Café jedoch nicht nur um unsere Reiseroute, sondern auch um die Frage: Wie wollen wir reisen? Ich habe meine Abenteuer mit 16, 20, 25 im Kopf, als ich durch Europa und Südamerika getingelt bin. Damals nach der Leitlinie: Krasse Sachen erleben, die sich später zu Hause in 1a-Abenteuergeschichten gießen lassen. Und auch mit Paulina bin ich vor mehr als zehn Jahren, jung und frisch verliebt, durch Mexiko gereist: hygienisch fragwürdige Strandhütten, Dschungelwanderung und ein Riesenfreiheitsglücksgefühl im Bauch.

Doch jetzt möchte Paulina mehr Komfort und Planbarkeit. Wir haben in den vergangenen Jahren viel gearbeitet und noch keine Kinder zu versorgen, da haben wir uns ein wanzenfreies Bett auf der Reise verdient, so ihre grobe Argumentationslinie. Was sie wohl auch meint: Wir sind zu alt für die klassischen Leiden des Backpackers.

»Du kannst ja gern bei 40 Grad auf Hostelsuche gehen, ich buche lieber übers Internet«, sagt sie. Hatte ich schon erwähnt, dass Mexikanerinnen rigoros sind?

Paulina rutscht und rubbelt mit dem Finger auf der Karte über das peruanische Hinterland und sagt angesichts der straßentechnisch besonders heiklen Strecke: »Von Cusco nach Lima können wir für wenig Geld fliegen und uns die 24 Stunden im Bus sparen.«

Erlaubt der Backpacker-Gott solch einen schmerzlosen Komfort überhaupt, frage ich mich. Kann man das eigentlich abends im Hostel erzählen, wenn die anderen Reisenden von der aufreibenden, aber auch irgendwie »total magischen« Busfahrt berichten?

Aber Paulina hat recht. Wir sind Mitte 30, seit acht Jahren verheiratet und wohl einfach aus dem Abenteureralter raus. Wer sich sein Ecksofa in die Wohnung liefern lässt, Versicherungen für alle Lebenslagen abgeschlossen hat und ein Dasein ohne Spülmaschine als möglich, aber sinnlos erachtet, kann so jemand – also ich – überhaupt noch als echter Backpacker reisen?

Kann man den Rollkoffer im Kopf noch gegen den Rucksack eintauschen?

Cut, Szenenwechsel. Wir springen neun Monate in die Zukunft und rund 11000 Kilometer gen Südwesten ins bolivianische Sucre – eine prächtige Kolonialstadt, die einiges über sich ergehen lassen musste. Das Sicht- beziehungsweise Hörbarste: Die meisten Besucher sprechen den Namen des Städtchens in den Anden falsch aus – so als wären französische und nicht spanische Kolonialherren für die herrlich weißgetünchten Gebäude in der Altstadt verantwortlich. Jedes Mal, wenn ein Besucher also von »Sücre« anstatt »Sucre« spricht, dreht sich vermutlich der Freiheitskämpfer und Namenspate Antonio José de Sucre in seinem Grab um.

Wohl wesentlich ärgerlicher für die heute 200000 Einwohner: Die Hauptstadt Boliviens hat im 19. Jahrhundert gewaltig an Bedeutung verloren. Weil der Abbau von Silber in der Region plötzlich nicht mehr so rundlief und Sucre mit seiner Lage auf 2800 Metern schon immer schwer zu erreichen war, ist die Regierung kurzerhand in die noch höher gelegene Stadt La Paz gezogen. Aber wer die Sucreños heute auf der Plaza mit der Ruhe eines sedierten Zen-Buddhisten flanieren sieht, gewinnt den Eindruck: Vielleicht sind sie hier auch ganz froh, dass alles genau so gekommen ist.

Eine der wichtigsten Einnahmequellen der regierungslosen Hauptstadt sind mittlerweile die Nordamerikaner und Europäer, die sich einige Wochen in der Stadt einquartieren, durch das UNESCO-Weltkulturerbe an kolonialen Gebäuden und unzähligen Kirchen vorbeischlendern und die Sprache lernen. Für im Vergleich zu Granada oder Barcelona sehr wenig Geld können Rucksackreisende die ansässigen Spanischlehrer in den Wahnsinn treiben.

Paulina und ich sind hier in Sucre, um uns von den Strapazen unserer Tour entlang der ausgetrockneten Uyuni-Salzseen zu erholen, die man angesichts der 4000 Meter Höhe wirklich als »atemberaubend« bezeichnen darf. Wir haben einige Nächte in der wohl beliebtesten Unterkunft der Stadt gebucht, im »Café Berlin«. Das ehemalige deutsch-bolivianische Kulturzentrum hat Klaus aus Karlsruhe mit seiner bolivianischen Frau zu einem Hostel für rund 80 Gäste umgebaut. Der blonde Mann Ende dreißig reiste vor einigen Jahren mit dem Rucksack durch Südamerika und kam nach Sucre, um Spanisch zu lernen. Aber nicht nur die koloniale Architektur mit Blick auf die umliegenden Berggipfel faszinierte ihn.

»Ich habe mich an einem meiner ersten Tage in eine Bolivianerin verliebt«, sagt er und erzählt mir bei einem Hefeweizen seine Geschichte in aller Kürze. Klaus blieb, heiratete, bekam Nachwuchs und nahm das große Projekt »Café Berlin« in Angriff.

In einem der geräumigen Innenhöfe seines Hostels lernen auch an diesem Tag die Gäste ihre Spanischvokabeln und essen Empanadas oder eben deutsche Currywurst. Hier hocken College-Mädels aus den USA, die ihre Hotpants aus der Heimat mit traditionellen Anden-Accessoires wie bunten Alpaka-Pullovern und den Indio-Bommelmützen kombinieren, die man noch von den Panflötisten aus Fußgängerzonen der 90er-Jahre kennt. Jungs aus Deutschland, Frankreich oder England zeigen sich gegenseitig (und möglichst auch den Hotpants-Mädchen) ihre Verletzungen, die sie sich beim Mountainbiken zugezogen haben. Aber auch Thirtysomething-Pärchen wie Paulina und ich schlürfen hier ihren Coca-Tee und blicken auf die Jüngeren und damit auch ein wenig auf ihr Leben zurück.

Heute ist im Café Berlin Party Night, wie eigentlich immer, aber nun heißt der Abend auch so. Ich tanze aus einer Laune heraus Salsa mit dem betrunkenen Holländer Felix, wie nur zwei mitteleuropäische Männer ohne Tanzausbildung und ohne Talent miteinander Salsa tanzen können. Paulina lacht mir zu, sie muss mich wirklich mögen.

Felix ist Anfang 20 und trägt einen Rauschebart, um den ihn Berliner Hipster und der Kaufhausweihnachtsmann, den ich später in Lima kennenlerne, sicher beneiden würden. Durch Habitus (»Alter, trink doch mal dein Bier aus.«) und Reiseweise (»Der Schlafbus ist zu teuer.«) verkörpert er die Definition eines Backpackers. Ich erwäge ernsthaft, sein Foto zu dem entsprechenden Wikipedia-Beitrag zu stellen.

Felix ist seit einigen Monaten in Südamerika unterwegs und nun in Bolivien »hängengeblieben«, wie er mir bei einer Tanzpause sagt. Dabei krault er sich den Bart und schwenkt mit der anderen Hand seine 600-Milliliter-Flasche der bolivianischen Biermarke Potosina.

Während wir zu lauten Latinorhythmen mit herausgestrecktem Po wackeln, versuchen Backpacker in den Schlafsälen über uns ihre Magen-Darm-Probleme auszukurieren – oder unterhalten sich wie Veteranen eines Verdauungskriegs über ihre erfolgreich bekämpften Durchfallkrankheiten. Meist hat es mit einem Snack an einem »total untouristischen Ort« und am Ende mit Amöbenruhr zu tun.

Als Paulina und ich einige peinliche Tanzmomente später und einen Innenhof weiter die Tür unseres ruhigen Gartenhäuschens öffnen – und nicht wie Felix in einen der Gemeinschaftsschlafsäle stolpern –, kommt mir ein Gedanke, eine Erkenntnis sogar: Wir haben unseren eigenen Reisestil gefunden. Wir erleben das riesige Abenteuer der Rucksackweltreise, buchen uns jedoch den Komfort eines Doppelzimmers mit Bad dazu. Wir reisen weder übertrieben luxuriös noch scheuen wir, ein paar Euro mehr auszugeben, um bequemer zu übernachten oder von A nach B zu kommen. Und diese Art zu reisen hat bereits einen Namen, den ich in den vergangenen Wochen immer wieder gehört und im Internet gelesen habe: Wir sind Flashpacker.

Zunächst dachte ich: Was soll das überhaupt heißen, Flashpacker? Sind das Backpacker, die blitzschnell reisen? Tatsächlich hat es mit der Geschwindigkeit nichts zu tun. Das englische Wort flashy heißt »schick« und passt recht gut zu diesem neuen Phänomen, das nach dem Rucksackreiseboom der 90er-Jahre der nächste große Trend werden könnte. Flashpacker – das sind Rucksackreisende, die ihre Nächte komfortabler verbringen wollen als in Schlafsälen, wo es bestenfalls nach Socken müffelt. Wir Flashpacker haben zwar den Rucksack dabei, nehmen aber, wenn möglich, das Upgrade: das schönere Zimmer, den bequemeren Sitzplatz. Das bedeutet keinesfalls, dass wir über ein Luxusbudget verfügen, aber eben über ein komfortableres als mit 18. Bei einem guten Angebot gönnen wir uns deshalb auch mal ein wenig Dekadenz und buchen etwa ein Zimmer in einem Boutiquehotel. Wir ziehen die Weinprobe der Bierbong1 vor und buchen unsere Übernachtungen meist im Voraus mit Smartphone oder Laptop. Flashpacker wollen beides: Abenteuer und Komfort. Schamane und Klimaanlage. Dschungel und gutes Essen. Wir sind Komfort-Abenteurer.

Damit geht eine neue Art von Freiheit einher. Zum einen ist der Flashpacker frei von dem Leistungsgedanken, Abenteuersuperlative mit nach Hause bringen zu müssen: Schwimmen mit den gefährlichsten Haien, der höchste Bungeejump, das strikteste Schweigekloster. Zum anderen ist er frei von dem Anspruch, Antworten auf fundamentale Lebensfragen finden zu müssen. All das kann man natürlich machen und erleben, aber im Unterschied zum Backpacker fühlt man sich als Flashpacker nicht dazu verpflichtet.

Es ist wohl kein Zufall, dass wir uns hier im bolivianischen Café Berlin unseres Reisestils bewusst werden – wohnen hier doch Backpacker in einem und Flashpacker im anderen Teil des Hostels. Und vor allem ist es wohl kein Zufall, dass mir mit Blick auf unser Gartendomizil – eine im Dschungelgrünen gelegene Hütte mit Hängematten davor und Minibibliothek neben dem Bett – der Begriff wieder einfällt. Schrieb doch jemand in einer Online-Bewertung, diese Unterkunft sei wie gemacht für Flashpacker. Und das hat sich herumgesprochen: Wer hier im europäischen Winter spontan buchen will, bekommt höchstens noch ein Bett im Zehnmannschlafsaal.

»Alles richtig gemacht«, sagt Paulina auf unserer Veranda in die nächtliche Stille mit fernen Latinorhythmen hinein. Was sie vielleicht meint: »Habe ich doch recht gehabt.« Ich bin mir ziemlich sicher, mit dieser Einschätzung richtig zu liegen, weil ich Paulina gut kenne. Im Jahr 2007 heirateten wir gleich doppelt: zunächst vor dem Standesamt in meiner niedersächsischen Heimatstadt Neustadt am Rübenberge, einige Monate später mit kirchlichem Segen am mexikanischen Strand.

Gemeinsam zu reisen gehört seitdem zu unserer Ehe wie die Ringe an unseren Fingern. Der Beweggrund unserer Weltumrundung war daher auch nicht die Flucht vor unserem Leben in Deutschland. Es überwog der Wunsch, fremde Länder und Kulturen kennenzulernen. Anders ausgedrückt: Resetknopf im Kopf drücken, Horizont erweitern, andere Lebensentwürfe kennenlernen und nicht zuletzt landestypisches Essen und viel Sonne. Im Unterschied zu anderen Rucksackreisenden haben wir uns dabei eben nicht die Suche nach dem Sinn des Lebens vorgenommen oder uns anderen spirituellen Aufgaben gewidmet. Unsere Reise ist von Anfang an nicht als veganer Selbstfindungstrip angelegt.

Seit jenem verregneten Samstag in Berlin, als wir unsere Auszeit planten, haben wir unseren Reisestil immer wieder leicht verändert. Feingetunt. Paulina und ich haben uns auf einen gemeinsamen Standard geeinigt: Doppelzimmer mit eigenem Bad. Aber der Grad des Komforts variiert von Tag zu Tag und von Land zu Land. Mit dem Geld, das man beispielsweise beim Campen in Australien pro Nacht ausgibt, lässt sich am Titicacasee in Bolivien eine zweigeschossige Hütte mit Panoramablick eine Woche lang mieten. Damals in Berlin habe ich mich gefragt, ob man den Rollkoffer im Kopf wieder gegen einen Rucksack eintauschen kann. Meine Erkenntnis im bolivianischen Café Berlin: Ja, aber man muss wissen, wie.

Dieses Buch gibt Flashpacker-Tipps, aber keine konkreten Anleitungen. Vielmehr möchte ich Lust machen auf eine Reise als Flashpacker – und zeige anhand unserer Weltrumrundung, wie das gehen kann. Egal, ob die Tour zwei Wochen oder ein Jahr dauert. Das Buch folgt dabei nicht chronologisch unserer Route, sondern behandelt die relevanten Themen für einen Flashpacker: von der Übernachtung über das Essen bis hin zum Transport. Unsere Erlebnisse in den unterschiedlichsten Ländern dienen als Anschauungsmaterial, das zeigen soll: Komfort und Abenteuer schließen einander nicht aus. So lassen wir uns beim mexikanischen Schamanen in einer Schwitzhütte das Böse austreiben, machen Yoga mit Blick auf Kapstadt, reiten durch den kolumbianischen Dschungel und entgehen traumwandlerisch zahlreichen Gefahren.

Wer früher als Backpacker gereist ist, wird feststellen: Es ist noch lang nicht zu spät. Denn wer nicht mehr nach der Maßgabe billig-billig und krass-krass unterwegs ist, kann ein Rucksackabenteuer genießen – obwohl er zu Hause seit Monaten an nichts anderes mehr denken kann, als sich endlich das Sky-Sport-Abo zu bestellen. Flashpacking ist somit eine neue Chance für Ex-Rucksackdraufgänger – es ist das zweite Leben der Backpacker. Auch wer noch jung ist, kann zu dieser neuen Generation der Rucksackreisenden gehören. Denn: Die Welt zu entdecken muss zu keinem Zeitpunkt des Lebens wehtun. Der Geruch von Freiheit muss nicht mit dem Gestank von alten Socken einhergehen. Freiheit kann auch nach frischen Blumen in der Premiumunterkunft duften.

Allen Definitionen zum Trotz: Flashpacking zeichnet sich dadurch aus, dass es keine reine Lehre, kein Dogma, geben kann. Je nach Land und Situation ergeben sich Abstufungen des Komforts beim Übernachten und den Verkehrsmitteln. Bei Flashpackern, die zu zweit, vielleicht sogar als Paar unterwegs sind, kann diese Flexibilität des Reisestils zu unterschiedlichen Meinungen führen. Zumindest ist das bei Paulina und mir so.

1 Eine Bierbong ist eine Trinkvorrichtung (meist ein Schlauch mit Einfülltrichter), die es dem Nutzer erlaubt, große Mengen Bier in kürzester Zeit zu konsumieren. Bitte probieren Sie das gar nicht erst aus, vor allem nicht zu Hause!

Flashpacker sind die neue Generation von Rucksackreisenden. Sie sind mit mehr Komfort und höheren Ansprüchen unterwegs als klassische Backpacker. Dabei bleiben sie Individualreisende, die Pauschalangebote und Massentourismus möglichst meiden.Der Begriff ist eine Wortschöpfung aus Backpacker und »flashy«, Englisch für »schick«.Flashpacker behalten trotz des komfortableren Reisestils den Sinn fürs Entdecken, den Pioniergeist. Sie sind Komfort-Abenteurer, die ausgezeichnete Restaurants, abgelegene Landschaften und Kontakt zu Einheimischen gleichermaßen suchen, um das jeweilige Land kennenzulernen.Der Flashpacker ist tendenziell älter als der Backpacker und verfügt über ein höheres Budget. Er nimmt gern ein Upgrade: das Doppelzimmer mit Klimaanlage statt Zehnmannschlafsaal, den VIP-Bus mit Premiumsesseln anstatt des Hühnertrucks.Der Flashpacker ist gut ausgerüstet: In seinem modernen Rucksack verstaut er das aktuellste Smartphone und einen Laptop.

2. Übernachten

Wie gut darf ein Rucksackreisender schlafen?

Hängematte am Titicacasee: Der Komfort-Abenteurer genießt mit bolivianischem Instrument Charango den Tag im Rucksackreisestil – verbringt die Nacht aber im Doppelbett der zweistöckigen Lehmhütte.

Musik zum Lesen

http://spoti.fi/2oyefhg

Ok, wir nehmen dann mal das Upgrade!

Krüger-Nationalpark, Südafrika

Unglaublich, aber nah: Zwei Löwenbrüder blicken auf Paulina im offenen Jeep.

»Nur eines noch«, sagt Luke mit genuschelter Beiläufigkeit. One more thing. Es entsteht eine Pause, weil unser Guide an der Küche des Camps herumnestelt. Er bindet einen Knoten, ohne den die Kochstätte vermutlich mit einem Rumms auf dem staubigen Savannenboden zusammenklappen würde. Paulina, ich und vier weitere Rucksackreisende, die eine viertägige Low-Budget-Safari durch den Krüger-Nationalpark gebucht haben, warten. Geduldig – schließlich wollen wir nicht schon uncool erscheinen, bevor wir überhaupt den ersten Löwen gesehen haben.

Luke fährt fort: »Wenn ihr nachts vom Zelt zum Toilettenhäuschen lauft, passt gut auf, manchmal besucht uns eine Leopardin.«

Nach sechs Stunden in einem Van von Johannesburg hierher an den Rand des berühmtesten Nationalparks Südafrikas laufen die Fragen sehr langsam durch meine Hirnwindungen: Was bedeutet »gut aufpassen«? Und was passiert genau, wenn man nicht »gut aufpasst«?

Letzteres kann ich mir vorstellen, hatten wir doch auf dem Weg hierher ein Sanctuary besucht – ein Auffangbecken für kranke oder von Wilderern verletzte Tiere. Dort konnten wir uns, durch einen Zaun getrennt, einen Eindruck von den Zähnen eines Leoparden verschaffen. Fest steht: Meine unerfreuliche Begegnung mit einer Brotschneidemaschine als Vierjähriger erschien mir im Vergleich dazu wie eine Wellnessbehandlung.

Bevor jemand von uns die Fragezeichen im Kopf laut formulieren kann, schießt Luke direkt hinterher: »Und bitte macht die Reißverschlüsse der Zelte auch tagsüber gut zu, sonst suchen sich womöglich Schlangen ein warmes Plätzchen bei euch.« Er sagt das in sachlichem Ton, obwohl sich der Inhalt gut für den Singsang einer RTL2-Reportage eignen würde. Schock im Krüger-Nationalpark: Deutsch-mexikanisches Paar von Riesenschlange verschlungen. Südafrikanischer Tourguide Luke zu der Tragödie: »Ja, das passiert hier öfters mal.«

Wer ist dieser Luke? Zunächst einmal: Männer wie er tragen keinen Nachnamen. Zu viel Schnickschnack. Seine kräftig gedrungene Rugby-Statur hat er von den britischen Kolonialherren geerbt, die Ende des 18. Jahrhunderts die Niederländer von diesem Territorium vertrieben. Unter der südafrikanischen Sonne ist der Mann mit den blonden, fettigen Locken in rund 35 Jahren zu einer Mischung aus Indiana Jones und Kurt Cobain herangereift. Vom Film-Abenteurer hat er das Verwegene und von dem Grunge-Musiker das Verpeilte. Und die Frisur.

Seine Warnung vor den Schlangen erscheint Paulina und mir nicht abwegig. Wir hatten eine Stunde zuvor – gerade vom Van in Lukes Safarijeep umgestiegen – ein Prachtexemplar auf der Straße gesehen: eine dicke, braune Puffotter. Luke hielt den Geländewagen kurz an, um uns das Reptil vorzustellen. Die negativste Charaktereigenschaft der Puffotter: Ihr Gift lässt das Blut des Opfers verklumpen und das Gewebe um den Biss herum rasch absterben.

Aber, und das ist die gute Nachricht, es existiert ein Antiserum. Wer von der Puffotter gebissen wird, hat komfortable zwei Tage Zeit, in das Krankenhaus seiner Wahl zu schlendern, bevor er qualvoll an den Folgen des Giftes stirbt.

»Wenn euch die Puffotter beißt, bestellt einen Krankenwagen«, rief Luke vom Fahrersitz nach hinten, der Dieselmotor knatterte dazu im Leerlauf. »Wenn euch aber die Boomslang erwischt, dann ruft nur noch schnell eure Mutter an, um euch zu verabschieden.« Gegen das Gift dieser Baumschlange im Krüger-Park existiert kein Serum. Für den Menschen ist es innerhalb weniger Stunden tödlich.

Luke weist nicht nur, was die Rhetorik angeht, Ähnlichkeiten mit dem Dalai-Lama auf. Wie der Tibeter hat offensichtlich auch Luke den Circle of Life voll und ganz akzeptiert. Ob eine Antilope dran glauben muss oder einer seiner Gäste – ich bin mir nicht sicher, ob es für Luke einen Unterschied macht.

Paulinas Gesicht verrät mir: Auch sie erinnert sich an die Puffotter-Begegnung eine Stunde zuvor. Meine Frau hat weder ausgeprägte Angst vor Schlangen noch ist sie mit den Viechern besonders vertraut, nur weil sie in Mexiko aufgewachsen ist. In der 20-Millionen-Hauptstadt kreucht nie eine Viper durch den Berufsverkehr. Aber was Tiere in ihrem Zelt betrifft, ist Paulina sehr intolerant.

Ich habe zwar auch keine Lust auf Besuch in meinem Schlafsack, außerhalb unserer Schlafstätte würde ich aber gern weitere dieser Kriechtiere sehen. Schon als Kind war ich fasziniert von Schlangen. Obwohl die Kobras und Anakondas, die ich aus dem Magazin Tierfreund kannte, in der norddeutschen Tiefebene nicht heimisch sind, baute ich aus alten Holzbrettern eine Schlangenfalle im Garten auf.

Am Abend unseres ersten Tages im Krüger-Park erzähle ich Luke am Lagerfeuer von diesen vergeblichen Bemühungen. Und er lacht! Ja, in einigen Stunden findet er das richtig lustig. Jetzt aber steht er ernst in dieser Küche vor uns, die aussieht wie die Dschungelküchen in Bud-Spencer-Filmen: große Pfannen, die im Grünen hängen. Die Zelte, von denen schon die Rede war, schließen in Form einer kleinen Siedlung an. Und dann gibt es da noch diese Holzhütten mit eigenem Bad, von denen uns der Van-Fahrer bereits berichtet hatte. Gegen Aufpreis könnten wir dieses Upgrade bekommen und dort übernachten.

Neben mir lauscht eine junge blonde Frau in Funktionskleidung aufmerksam Lukes Erzählungen. Sie stammt aus Süddeutschland, ist am Ende einer sechsmonatigen Weltumrundung angelangt und will, so erzählte sie uns auf der Fahrt hierher, nur noch nach Hause – zurück zu ihrem Informatikstudium in Tübingen oder Darmstadt. Sie kann einfach nicht mehr: die stinkigen Schlafsäle, die schäbigen Busse, das ständige Weiterreisen. Steffi, so heißt sie, hat viel gesehen und viel gelitten, jetzt reicht’s ihr.

Ein Deutscher Ende 40, der von sich behauptet, fast alle Länder der Welt bereist zu haben, steht schlaksig mit verschränkten Armen an Steffis Seite. Die abnehmbaren Hosenbeine seiner Tropen-Cargo-Hose ruhen auf seinen Schultern. Der Mann mit dem altmodischen Namen Walter will, so stellt sich heraus, vor allem die kompletten Big Five (Elefant, Büffel, Nashorn, Leopard, Löwe) sehen – und möchte sie in der Tradition der kolonialen Großwildjagd schießen. Anstatt des größtenteils aus der Mode geratenen Gewehrs nutzt er dazu seine Kamera. Die digitale Spiegelreflex ist mit einem Zoom in Kinderarmlänge ausgestattet. Man merkt: Walter will alles genau dokumentieren, und er hakt gern ab. Er ist der Typ Been there. Done that. Ich bin sehr froh, dass ich niemals zu einem seiner »Diavorträge« gehen muss, die er vermutlich im örtlichen Freizeitzentrum anbietet. Auf den Plakaten in der Fußgängerzone steht dann: Walter wagt die Wildnis.

Während ich beim Beobachten meiner Mitreisenden mit den Gedanken abschweife, beginnt Luke die nächste warnende Anekdote. Es geht um den Honigdachs. Der sei nämlich, das wisse ja kaum jemand, eines der gefährlichsten Tiere Südafrikas. Im Sanctuary hatten wir bereits einen Honigdachs gesehen. Dieses Tier mit gräulichem Fell, das nicht größer als ein Schäferhund daherkommt, verfügt über die Gabe, Testosteron zu erschnüffeln. So verbeißt es sich zielsicher in die Hoden von Lebewesen jeglicher Größe und lässt – egal ob Zebra, Löwe oder Büffel – das Männchen ganz langsam verbluten.

Diesen Racker musste Luke – so berichtet er uns – eines Abends bekämpfen, um seine Männlichkeit zu verteidigen. Der Südafrikaner trägt keinerlei Waffen bei sich und verschanzte sich deshalb hinter einem Baum der Küche und warf Pfannen, Teller und Gläser auf das aggressive Vieh. Nach unzähligen Gabelsalven und halbstündigem Schreien verging dem Honigdachs wohl die Lust an seinem Opfer, und er verschwand.

Ein israelisches Paar hat sich inzwischen für eine Hütte begeistern lassen. Man könnte den Eindruck gewinnen, Luke baue absichtlich Drohszenarien auf, um die teureren Hütten zu besetzen. Aber wie sich im Laufe der darauffolgenden Tage herausstellt, ist er wirklich kein Vertriebstyp.

Ich begegne seinen Storys, wie ich es immer tue, wenn ich mich angesichts möglicher Gefahren beruhigen will: mit Statistik und Medienberichterstattung. Wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit, dass ich mit Toilettenpapier unterm Arm nachts von einer Leopardin verspeist werde? Und solange ich mich nicht an die Headline »Deutscher von Honigdachs entmannt« auf Spiegel-Online erinnern kann, wird die Gefahr schon nicht allzu groß sein.

Außerdem: Wenn wir die vier Nächte hier überstanden haben, sind das doch die Geschichten, die du am besten zu Hause erzählen kannst: »Als ich gerade auf dem Weg zum Klo war, sah ich diese Augen im Dunkeln funkeln …«

Während ich an solche Heldengeschichten denke, erfragt Paulina bereits, wie teuer das Upgrade auf die Holzhütte eigentlich genau wäre. Ich überlege: Kann man das später den Backpackern erzählen? Sind wir Warmduschabenteurer, wenn wir in die Hütte ziehen?

Steffi erkundigt sich nach den Moskitonetzen im Zelt und schiebt sich währenddessen eine Malaria-Prophylaxe-Tablette in den Mund. Lukes Antwort höre ich gar nicht mehr, weil meine Gedanken zu laut werden. Wir haben uns vor der Reise überlegt, nichts gegen die Krankheit zu tun. Nur Mückenstiche vermeiden. Als ich sehe, dass alle Safariteilnehmer ihre Pillen zücken, komme ich ins Grübeln, ob das die richtige Entscheidung war. Die Hütten, das kann ich von der Dschungelküche aus sehen, haben Moskitonetze vor den Fenstern. »Ja klar gibt’s hier Malaria«, antwortet Luke auf meine Frage. »Von Jahr zu Jahr wird es mehr.« Dann höre ich mich sagen:

»Ok, dude, wir nehmen dann mal das Upgrade.«

Das Upgrade ist ein Konzept, das die Deutschen lieben. Der Klassiker dabei ist der Mietwagen. Der gemeine Deutsche kennt ja kaum ein größeres Glücksgefühl als die Mitteilung beim Abholen des Leihautos, er bekomme ein Upgrade von der Economy- auf die Kompaktklasse. Für den gleichen Preis, versteht sich. Ich muss gestehen, da kann ich meine Herkunft nicht verhehlen: Mir schossen bei unseren Kurzreisen ans Mittelmeer auch direkt Endorphine ins Blut, wenn es ein kostenloses Upgrade gab – egal ob Auto, Zimmer oder Sitz im Flugzeug. Aber jetzt ist es etwas anderes: Wir sind Rucksackreisende, verdammt noch mal!

Und müssen Abenteurer nicht auf einer harten Isomatte oder einer bettwanzenverseuchten Matratze liegen, um das Land authentisch zu erleben? Muss man sich eigentlich schuldig fühlen, wenn man sich für die Hütte und gegen das Zelt entscheidet? Verpassen wir das Abenteuer? Sind wir Backpackbetrüger?

»So ein Quatsch«, unterbricht Paulina meine reisephilosophischen Grübeleien – ein halblautes Dahinbrabbeln – abrupt. Wir liegen am ersten Abend unserer Safari in der Krüger-Park-Hütte und strecken auf dem Doppelbett Arme und Beine von uns. »Ihr Deutschen spinnt doch, dass ihr euch immer gleich schuldig fühlt.«

Paulina fächelt sich mit so großer Geste Luft zu, als wollte sie sagen: Wir haben ja noch nicht einmal eine Klimaanlage in dieser klapprigen Hütte!

Tatsächlich sagt sie: »Nur weil jemand in einem Zehnmann-Schlafsaal mit anderen Reisenden oder in einem Viermannzelt schläft, lernt er doch das Land und die Menschen nicht besser kennen.«

Mir ist zu heiß, um etwas Kluges zu antworten – außerdem beobachte ich die ganze Zeit diesen Monstermoskito, der an der Deckenlampe rumhampelt. Ich hätte jetzt auch gern eine Klimaanlage. Aber das kann ich Paulina nicht sagen.

Shakespeare hatte bekanntermaßen den Dreh ganz gut raus, wenn es darum ging, bei seinen Figuren einen Grundkonflikt anzulegen. Und so hatte ich schon beim Planen unserer ersten Unterkünfte das Gefühl, der britische Dichterfürst habe seine blutigen Fingerchen im Spiel gehabt. Die Hauptfiguren sind in diesem Fall, der Leser mag es ahnen, Paulina und ich. Backpacker vs. Flashpacker.

In mir schlummert der Backpacker vergangener Tage. Ein Miniatur-Sascha mit langen Haaren, in diesen 90er-Jahre-Sportsandalen, dreckigem Batikshirt, Gitarre in der Hand und dem viel zu schweren Rucksack auf dem Rücken wandert gerade durch meinen Kopf und sagt Sachen wie: »Du Weichei – früher haben wir in einer Hängematte am Strand geschlafen!« Oder er flüstert mir ein: »Du brauchst keine Klimaanlage, du liebst doch die Hitze.« zu.

Als hätte sie meine Gedanken mitgehört, fährt Paulina in mütterlichem Ton fort: »Mach dir keine Sorgen, wir werden auf dieser Reise noch oft genug ganz mies und unbequem übernachten.« Sie dreht den Kopf lächelnd zu mir, drückt meine Hand zweimal kurz und meint all das vermutlich überhaupt nicht als Trost. Mir geht es bei dem Gedanken an schreckliche Unterkünfte trotzdem besser. Im Moment würde ich mich dennoch sehr über eine Klimaanlage freuen, deren Luft die Mücken einschläfert. Ein zweiter Moskito springt vergnügt an der Lampe entlang. Wie auf einer Hüpfburg, denke ich. Paulina ergreift indes die Initiative, stellt sich auf das Bett und schnappt mit mehreren gezielten Bewegungen ihrer Hände beide Insekten aus der Luft. Wahnsinnsfrau.