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Die folgsame Hexe Funktionella lässt ihr kleines Zaubermarmeladenlädchen hinter sich, um ihre geliebte, unauffindbare Fledermaus zu suchen. Sie hat die sichere Vermutung, dass ihre böse Großmutter Perfekta und eine dunkle Tat hinter dem Verschwinden steckt. Auf ihrer Suche wird Funktionella immer wieder mit eigenen, furchtbaren Kindheitserinnerungen konfrontiert. Sie hofft, ihre Fledermaus noch früh genug zu finden, um ihr selbige Erfahrung von Missbrauch durch die böse Großmutter ersparen zu können. Auf ihrem Weg gelangt Funktionella schließlich mit Hilfe ihrer selbstsicheren Tochter Schillerella, in die Trauma-Schule Schloss Geistreich, um dort ihr verkümmertes Kleines Ich (ihr Inneres Kind) wieder zum Wachsen zu bringen. Dort angekommen trifft Funktionella auf unterschiedlichste Mitschüler, die das gleiche Schicksal von Kindesmisshandlung durchlebt haben wie sie. Während die mutige Tochter Schillerella parallel zum Schulaufenthalt ihrer Mutter die Rettung der vermissten Familienfledermaus übernimmt, erhält der Leser nicht nur Details aus dem Verlauf einer Traumatherapie, sondern bekommt auch einen Einblick in die Seele betroffener Kinder. Trotz des intensiven Themas und einiger aussagekräftiger Textpassagen, wurde versucht, das Buch mit einem lachenden Auge zu schreiben, um Betroffene zu motivieren, sich professionelle Hilfe zu holen, damit später ein positiver Blick in die Zukunft ermöglicht werden kann. Durch einzelne Erklär-Passagen sollen auch Bezugspersonen und Außenstehende informiert und für diese Thematik sensibilisiert werden.
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Seitenzahl: 446
Veröffentlichungsjahr: 2023
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* Für mein „Inneres Kind“ *
„Beim Tanzen gibt es keine Fehler nur Variationen“ Flavio Alborino (Tanzschulbesitzer, Salsalehrer, Künstler aus Freiburg)
***
„Der Tanz ist das stärkste Ausdrucksmittel der Seele“ Thomas Niederreuther, 1909 – 1990, (deutscher Kaufmann, Maler und Schriftsteller)
Die folgsame Hexe Funktionella lässt ihr kleines Zaubermarmeladenlädchen hinter sich, um ihre geliebte, unauffindbare Fledermaus zu suchen. Sie hat die sichere Vermutung, dass ihre böse Großmutter Perfekta und eine dunkle Tat hinter dem Verschwinden steckt.
Auf ihrer Suche wird Funktionella immer wieder mit eigenen, furchtbaren Kindheitserinnerungen konfrontiert. Sie hofft, ihre Fledermaus noch früh genug zu finden, um ihr selbige Erfahrung von Missbrauch durch die böse Großmutter ersparen zu können.
Auf ihrem Weg gelangt Funktionella schließlich mit Hilfe ihrer selbstsicheren Tochter Schillerella, in die Trauma-Schule „Schloss Geistreich“, um dort ihr verkümmertes „Kleines Ich“ (ihr „Inneres Kind“) wieder zum Wachsen zu bringen. Dort angekommen trifft Funktionella auf unterschiedlichste Mitschüler, die das gleiche Schicksal von Kindesmisshandlung durchlebt haben wie sie.
Während die mutige Tochter Schillerella parallel zum Schulaufenthalt ihrer Mutter die Rettung der vermissten Familienfledermaus übernimmt, erhält der Leser nicht nur Details aus dem Verlauf einer Traumatherapie, sondern bekommt auch einen Einblick in die Seele betroffener Kinder.
Trotz des intensiven Themas und einiger aussagekräftiger Textpassagen, wurde versucht, das Buch mit einem lachenden Auge zu schreiben, um Betroffene zu motivieren, sich professionelle Hilfe zu holen, damit später ein positiver Blick in die Zukunft ermöglicht werden kann. Durch einzelne Erklär-Passagen sollen auch Bezugspersonen und Außenstehende informiert und für diese Thematik sensibilisiert werden.
Ich bin nicht mehr, wie ich war, aber ich werde mich wieder finden (irgendwo musste ich schließlich sein :-)). Derzeit sieht mich meine Umgebung nicht mehr so wie ich damals war, weil ich häufig „in mir bin“. Ich habe nämlich genug Dinge mit mir selbst zu klären.
Oft würde ich gern mal wieder zum Hexentanzplatz gehen, doch ich habe Sorge, dass ich der Schrittfolge von männlichen Magiern nicht mehr folgen kann. Das ist hexenärgerlich, denn ich hätte schon Lust auf eine Rumba (nicht falsch verstehen, denn ich tanze gern). Wenn Hexer bei der Choreo beginnen zu führen, verliere ich die Kontrolle und verfalle in ein Verhalten, als sollte ein Gespenst das erste Mal durch eine massive Wand schweben. Ich verlasse einfach die Geisterstunde und werde unsichtbar.
Mein Hexeneinmaleins hat sich geändert, sodass ich jetzt anders rechne, aber aus meiner heutigen Sicht, besser als zuvor. Also Ihr Kinderseelentöter, rechnet ab jetzt mit mir, denn die Zeit, Kindern solch` furchtbare Dinge anzutun, muss beendet werden. Ich möchte meinen Teil dazu beitragen. Wir gemeinsam können die Stille laut werden lassen und dieses Mal im positiven Sinne. Also seid mutig, ergreift Initiative und schaut nicht mehr weg.
Einen Zauberspruch gegen sexuellen Missbrauch an Kindern konnte Funktionella, die Hauptfigur dieses Buches, leider nicht finden, denn diesen gibt es nicht. Solche Kinder, denen diese Not widerfahren ist, müssen besser geschützt sowie unterstützt werden. Das ist die Aufgabe von uns Erwachsenen. Denkt einmal darüber nach!
Achtsamkeit:
Die bewusste Konzentration auf einen Moment, ohne diesen zu bewerten.
Anspannung:
Die psychische Anspannung ist die erhöhte Aktivität des Nervensystems -> Stress.
Amygdala:
Die Amygdala ist Teil des limbischen Systems unseres Gehirnes. Hier werden auf uns eintreffende, emotionale Äußerungen (Sinnesreize), gemeinsam mit dem Hippocampus geprüft und bestenfalls verarbeitet. Im Mandelkern der Amygdala ist vor allem die Entstehung von Angstgefühlen verankert. In Notfällen kann Amygdala unter anderem in unserem Körper einem lebensrettenden Fluchtreflex auslösen.
Bauch. Unser zweites Gehirn:
Die Kommunikation zwischen Darm und Gehirn findet über die Darm-Hirn-Achse statt. Information über unser Wohlbefinden, Sättigung usw. werden von hier aus weitergeleitet.
Bauchgefühl:
Intuition, nicht vom Verstand geleitete Einschätzung.
Beschämung:
Das Gefühl der Bloßstellung, Verlegenheit, Scheu.
Depersonalisierung:
Depersonalisierung bedeutet, das eigene Erleben seines Körpers innerhalb einer Dissoziation von außen zu betrachten und dabei abgeschnitten von den eigenen Gefühlen zu sein.
Dissoziation:
Schutzfunktion des Körpers. Bei allzu großer Angst hat unser Körper die Fähigkeit, die Wahrnehmung von unserem Bewusstsein abzuspalten.
Fantasie-, Traumreise:
Von einem Vorleser gesprochene „Tagträume“ oder auch Geschichten. Sie können durch den Textinhalt, musikalischer Untermalung sowie Betonung, für den Zuhörer bestenfalls zur Beruhigung und Spannungslösung dienen.
Flashback:
Durch einen Schlüsselreiz, plötzlich auftretende, realitätsnahe Erinnerungen eines früheren Ereignisses.
Gedankenkreise:
Unter Gedankenkreisen versteht man immer fortwährende Gedanken, die sich nur um ein und dasselbe Thema/Problem drehen, ohne hierzu jemals eine Lösung zu finden.
Glaubenssätze:
Glaubenssätze sind „Lebensregeln“ oder Meinungen, die Kinder von ihren Bezugspersonen unbewusst übernommen haben. Die heutigen Erwachsenen haben diese alten Werte so verinnerlicht, dass sie sie nur schlecht ablegen können und nicht selten immer noch nach ihnen leben und für gut und richtig befinden.
Großhirnrinde:
In der Großhirnrinde werden Signale der Sinnesorgane in gezielte Eindrücke umgewandelt.
Hippocampus:
Schnittstelle zwischen Kurz- und Langzeitgedächtnis im Mittelhirn. Er ist bei der Verarbeitung von sowohl Gedächtnisprozessen als auch bei der räumlichen Orientierung beteiligt.
Innerer Helfer:
Eigens erstellte Fantasiefiguren, in denen man Zuflucht finden oder Trost und Kraft schöpfen kann. In unserer Fantasie können sie uns beraten, was sie in einer Entscheidungssituation an unserer Stelle tun würden. Wir versetzten uns bei dem Vorgang gedanklich in eine andere Person, Wesen, Ebene und betrachten die Dinge somit aus einer anderen Perspektive (über den Tellerrand hinaus).
Inneres Kind:
Aus Sichtweise der Psychologie geht man davon aus, dass seelische Erfahrungen der Kindheit die Verhaltensweise für das spätere Erwachsenenalter prägen.
Innerer sicherer Ort:
Mental erstellter Ort in der Fantasie, indem man sich zurückziehen, entspannen und ein sicheres Gefühl genießen kann und darf.
Limbisches System:
Das limbische System liegt zwischen dem Zwischenhirn und den beiden Großhirnhemisphären. Das Affekt- und Triebverhalten gegenüber der Umwelt wird in dieser Region reguliert.
Mittelhirn:
Im Mittelhirn findet u.a. die Steuerung der Bewegung sowie das Öffnen und Schließen der Augenmuskeln statt.
Mut:
Die Fähigkeit, Angst zu überwinden. Die Überwindung, sich zu einer Handlung zu entscheiden, die gegebenenfalls negativ ausgehen könnte.
Narzisstische Persönlichkeitsstörung:
Personen mit diesem Störungsbild zeigen nach außen ein weit überzogenes Selbstwertgefühl. Sie besitzen wenig Einfühlungsvermögen und verspüren das ständige Verlangen nach Bewunderung.
Nein (ist ein vollständiger Satz):
„Nein“ bedeutet das Gegenteil von „Ja“. Mit der richtigen Betonung ist es verständlich genug und bedarf keiner weiteren Erläuterung. Jede von uns ungewollte Zustimmung ist ein „Nein“ zu uns selbst.
Nummer gegen Kummer:
11611, Kostenfreie Telefonberatung für Kinder und Eltern.
Posttraumatische Belastungsstörung (PTBS):
Folge eines traumatischen Erlebnisses, welches erst zeitlich versetzt zu einer starken, seelischen Belastung führt. Um im Alltagsleben wieder Fuß fassen zu können, benötigen Betroffene zum größten Teil eine intensive psychologische Langzeitbegleitung.
Scham:
Das Gefühl uns in moralischer Sicht eine Blöße gegeben zu haben.
Scheinkontrolle:
Man nimmt an, über eine gewisse Verhaltensweise (trägt immer grüne Schuhe beim Fußball) eine etwaige Kontrolle über eine kommende Situation zu besitzen-> Sieg. Verändert man die Verhaltensweise, so die Denkweise, (trägt heute rote Schuhe), so ändere sich auch der Ausgang einer Situation->Niederlage.
Selbstliebe:
Die uneingeschränkte Liebe zu sich selbst mit allen Schwächen und Stärken.
Schuld:
Man trägt die emotionale Verantwortung für eine zurückliegende Handlung.
Selbstwert:
Das eigene Wertempfinden für sich selbst, dass sich sowohl aus unserem Inneren bildet als auch durch Rückmeldung Dritter oder aber durch Interaktion mit Dritten in uns selbst empfunden wird.
Skill:
Fertigkeiten, Handwerkzeuge, um mit unseren Belastungen besser umgehen oder von diesen ablenken zu können. (z.B. Sport treiben, Bücher lesen…).
Stammhirn:
Im Stammhirn werden die Körperfunktionen wie Atmung, Blutdruck sowie Reflexe gesteuert.
Täterentmachtung:
Gedankliche Konfrontation des Opfers mit seinem Täter. Ziel hierbei ist es, seinen Peiniger zu stellen bzw. ihm die Macht gegenüber der damalig betroffenen Person zu entziehen.
Thalamus:
Teil des Zwischenhirns. Hier befindet sich die Sammelstelle für die Sinneneindrücke auf ihrem Weg zur Großhirnrinde.
Transaktionsanalyse:
In der Transaktionsanalyse (Transaktion hier: Informationsaustausch zwischen zwei Menschen) werden die verschiedenen Persönlichkeitszustände beider Gesprächspartner psychologisch analysiert. Diese wiederum sind in drei ICH-Zustände unterteilt. Menschen können stimmungsabhängig innerhalb dieser Zustände, im Rahmen einer Unterhaltung, hin- und her wechseln.
Eltern-Ich: Eigene innere Stimme, die aufgrund von Prägungen der Bezugspersonen aus Kindheitstagen resultiert.
Erwachsenen-Ich: Eigene, logische Erfahrungen bilden die Reaktion auf den Gesprächspartner.
Kind-Ich: Das Verfallen in kindliches Verhalten, das eventuell im Kindesalter unterdrückt wurde und sich nun auch im Alter in Albernheit oder Bockigkeit „unangemessen“ zeigt.
Der situationsbedingte ICH-Zustand entscheidet den Ausgang eines Gespräches.
Trauma:
Langanhaltende psychische Not, ausgelöst durch ein zurückliegendes prägnantes Negativereignis wie z.B. Krieg, Naturkatastrophen oder Gewalt.
Trigger:
Reizauslöser, die bestimmte Verhaltensweisen, basiert auf Erinnerungen, in uns auslösen.
Vier Phasen der Angst:
Unsere Vorstellung (1) /Fantasien/Hineinsteigerung. Die Angst (2) an sich. Erste körperliche Anzeichen wie Schweiß und erhöhter Herzschlag, Lähmung (3) und oder Beschleunigung des Gefühls, der Situation ausgesetzt zu sein. „Richtiges“ Denken ist nicht mehr möglich, Bewegung blockiert. Erinnerungen (4) aus der Vergangenheit können auftreten, hochgradige Angst.
Zugangskanäle von Skills:
Zugangskanäle von Skills wirken sowohl über die Gedanken, Sinne, den Körper als auch über unsere Handlungen.
Zwischenhirn:
Hier werden die überlebenswichtigen Funktionen des Menschen wie Atmung, Stoffwechsel, Nahrungs- und Flüssigkeitsaufnahme, Körpertemperatur, das Sexualverhalten sowie der Schlaf-Wach-Rhythmus reguliert
Dissoziation
Flashback
Glaubenssätze
„Nein“ ist ein vollständiger Satz
Das innere Kind
Notrufnummern
Gedankenkreise
Skills
Zugangskanäle von Skills
Fantasiereise, Traumreise, Imaginationsübung
Trigger
Trauma
PTBS-Posttraumatische Belastungsstörung
Der innere sichere Ort
Der innere Helfer
Transaktionsanalyse / Eltern-Ich, Erwachsenen-Ich, Kinder-Ich
Was ist Mut?
Bauchgefühl
Scheinkontrolle
Selbstwert
Täterentmachtung
Das Empfinden von Schuld und Scham
Beschämung und Scham
Redensart „Geh dahin, wo der Pfeffer wächst“
Selbstliebe
Kastagnetten (Herkunft und Symbolik)
Achtsamkeit
Skills Spannungskurve
Anspannungskurve der Angst
Frühwarnzeichen der Angst
Die vier Phasen der Angst
Depersonalisierung
Narzisstische Persönlichkeitsstörung
Prüfung von eintretenden Sinnesreizen in unserem Gehirn (Vergleichsbeispiel)
Skizze „Reaktionen des gesunden Gehirns auf einen eintretenden Sinn“
Zusammenfassung „Rückblick und Ausblick“
Bedeutung des Tanzes „Paso Doble“
Skizze „Reaktion des Traumagehirns auf einen eintretenden Sinn
Halloween
Walpurgisnacht/Hexensabbat
Schädling Fransenflügler/Thripse
Das Zirpen von Grillen
Funktionella rührte mit einer Holzkelle in dem für sie viel zu großen Kessel Glücksglitzerhokuspokusmarmelade. Das war ihre absolute Spezialität. Ihr müsst wissen, dass diese Komposition in ihrem schrulligen kleinen Hexenladen als DER RENNER gehandelt wurde. Hexen und Hexer oder auch die, die es noch werden wollten, machten sich von weit her auf die Besen, um von dem Glück in Gläsern ein wenig bekommen zu können. Man möge denken, dass das in diesen Kreisen leicht herbeizuzaubern sei, aber das war ein Irrglaube. Gerade den Glückszauber heraufzubeschwören war besonders schwer und zauberintensiv, denn dieser bildete sich erst dann, wenn man eine geheime Zutat in den Kessel hinzugab, von der nur Funktionella Kenntnis hatte, dachte sie. Das kleine Häuschen, in dem sie lebte, war ultimativ windschief. In mühevollem Zauber hatte sie so einige Stürme über das Dach ziehen lassen, um diesen Charme zu erreichen, den sie so sehr an ihrer Hütte liebte. Die Aufgabe unserer Hexe war es, nachts Marmelade zu zaubern, währenddessen sie tagsüber die Ware in der angrenzenden Scheune verkaufte. Zeitgleich gab sie Kurse in „Das Weben aus Spinnenfäden“ für angehende Junghexen. Die Beschäftigung von Tümpi, ihrer kleinen plüschigen, leicht fülligen, Fledermaus war hierbei, die dafür benötigte Spinnenzucht zu betreuen. Hier hatten die Hege und Pflege der Tiere oberste Priorität. Nur eine zufriedene Spinne konnte schließlich Fäden bester Qualität hervorbringen. Tümpi und Funktionella bildeten ein Dreamteam. Sie gingen gemeinsam durch Pech und Schwefel, grünen Glibber und Zahlensalat. Gegen Zahlen, müsst Ihr wissen, hatten beide mittlerweile eine starke Allergie ausgebildet. Zahlen seien einfach zu genau, um sie gut finden zu können.
Funktionella war eine kleine Hexe im durchaus besten Alter von ziemlich genau 949,7 Jahren. In dem winzigen Ort, in dem sie lebte, war sie bei den weiblichen Hexen nicht besonders gut angesehen, da sie durch ihren äußerst buckligen Gang, was im Übrigen in der Zauberwelt als ziemlich attraktiv galt, keinen guten Ruf hatte. Dazu kam noch, dass sie eine quirlige Tochter mit einem äußerst schrägen Charakter allein erzog, ohne dass dabei ein Hexer seinen Zauberspruch dazu gegeben hatte. Was aber ihren Ruf dann absolut zum Scheitern brachte, war, dass sie zum Übel aller mit dem Verkauf ihrer Glücksmarmelade einen so großen Erfolg erzielte, sodass sie sich den Luxus leisten konnte, ihr Häuschen mehr und mehr schrulliger gestalten zu können und im letzten Jahr ihren Flugbesen sogar gegen einen elektrischen, fliegenden Wischmopp hatte tauschen können. Alles hatte wahrlich seine Ordnung, nur eines störte unsere Hexe enorm. Der mehr und mehr wachsende Stapel an Steinperlen, der sich unter der Feuerstelle inmitten ihrer Hütte mehrte und mehrte. Die nutzlosen kleinen Perlen erhielt Funktionella bereits seit ihrem 100. Lebensjahr. Das müsste auf „menschisch“ einem etwaigen Alter von ca. fünf Jahren entsprechen. Hatte sie aus Sicht ihrer Hexenverwandtschaft ihre täglichen Arbeiten brav zur Zufriedenheit ausgeführt, sammelte sich zur Belohnung Funktionellas eine weitere, für sie nutzlose Steinperle auf dem ohnehin schon überhöhten Haufen. Machte unsere kleine Hexe jedoch Fehler, so blieb zwar eine Perle aus, sie musste den Tag allerdings zur Strafe ohne ihre geliebte Tümpi verbringen und das war für Funktionella ein nur schwer auszuhaltender Zustand. Sie hasste die Perlen daher so sehr, dass irgendetwas passieren musste, beschloss sie schließlich. So konnte es nicht weitergehen. Sie nahm daher all` ihren Mut zusammen und zauberte den ungeliebten Steinhaufen zwischen hexische Blumenerde, verschenkte ihn als Baumaterial an die hiesigen Heimwerkermärkte, verkochte einen Anteil heimlich unter ihre Marmelade oder verschickte mehrere Säcke davon in das „Land, wo der Pfeffer wächst“.
„Fast geschafft“, dachte sie, denn nur noch ein kläglicher Rest sammelte sich unter der Feuerstelle. Wenn täglich nur eine Perle dazu kam, dachte sie, konnte sie die Menge gut und gerne unter die Marmelade mischen und verkochen. Allein bei dem Gedanken, den großen Haufen somit nahezu komplett entsorgt zu haben, stieg ein wohliges Gefühl in ihr auf. „Sowas musste wohl so ähnlich wie Glück sein“, schmunzelte die Hexe und mit einem spanischen, schwungvollen Hexentanz auf ihrem alten Reisigbesen begleitete sie alsbald auch die letzte Steinperle geschickt zur Tür hinaus.
Der Leser muss wissen: Funktionella selbst konnte kein Glück empfinden; nicht einmal durch künstlich verhextes Zaubermarmeladenglück. Sie war zwar in der Lage herzlich zu lachen, dafür blieb ihr selbst der Zauber vom Glücklichsein verborgen.
„Oh – meine Marmelade. Die hätte ich beinahe vergessen“, gluckste Funktionella gedankenversunken in sich hinein. „Nun aber flugs an den Zauber gemacht.“
„Glitzer, Blitzer, ei der Daus,
Glitzerzauber komm` heraus.“
Nichts – kein Glitzer, kein Glimmer. Funktionella kratzte sich mit einer Stricknadel am Kopf und steckte diese zurück in ihren Haardutt. „Lass` mich noch einmal sehen, es schimmert noch zu wenig“, sagte die kleine, bucklige Hexe, sich an ihrem Damenbart zupfend. Die Küchenuhr aus beweglichen Küchenschaben zeigte mittlerweile „Kurz vor viel zu spät.“ „Ach du lieber Hexenkessel. So ein Mist“, fasste sich Funktionella an die Stirn, denn sie hätte ihren kleinen Scheunenladen schon längst öffnen müssen. „Sicher standen die Kunden schon in Zweierreihen“, dachte sie, aber so war es gar nicht. In der Zauberwelt war man einfach nie pünktlich, nur Funktionella selbst. Sie war ständig zu früh. Sie schlüpfte also schnell in ihre Filzpantoffeln und huschte in ihr Lädchen. Dort angekommen, fiel ihr erster Blick, wie immer, auf ihre geliebt, gefüllte Regalwand. Sofort nahm die kleine Hexe eine gesunde Gesichtsfarbe an, was im Land der Magie kein gutes Zeichen war. „Das hältst du doch nicht unter dem Hexenumhang aus“. Ihre kleine plüschige Fledermaus Tümpel hingegen, saß tiefenentspannt, verklebt und rülpsend auf dem Fußboden. Sie hatte fast den gesamten Vorrat Glücksmasse weggenascht. Verschmitzt grinsend saß das Fledermaushaustier wie ein sattes Hexenkind auf dem Boden und freute sich des Lebens. Es schien nicht nur von dem Zauberzucker, sondern auch von dem übergroßen Glücksgefühl wie berauscht zu sein. „Tüüüüüüüüüüümpeeeeeeeeel! Bist du denn von allen bösen Hexen besessen? Wie soll ich denn so schnell Nachschub zaubern? Du wirst dir den Magen verderben. Das war fast unser gesamter Bestand.“ Sie nannte ihre Fledermaus mit vollständigem Namen. Das konnte nichts Gutes bedeuten, wusste Tümpi und leckte weiter ihre verklebten Flügel, denn im Moment war es ihr „flitzpiepenschnuppe“. Wütend stampfte Funktionella auf. „Schietwetter und Grottenolme nochmal. Was machen wir denn jetzt?“ Sie machte kehrt und lief zurück in ihr windschiefes Haus. In den Kessel schauend, war Funktionella beruhigt, zumindest die schon „vorgehexte“ Marmelade vorzufinden. „Mit einigen wenigen meiner Hexensprüche musste sich doch endlich dieser Glitzer bilden“, dachte sie. Nichts tat sich jedoch. Funktionella versuchte es abermals und abermals. Die Suppe sah mehr und mehr aus wie Haferschleim vom Vortag, den Funktionella noch gut von ihrer ungeliebten Hexenoma kannte. „Noch mal“, dachte sie und schwang erneut ihren kleinen, leicht verschmierten Zeigefinger in die Luft und sprach den Zauberspruch, jedoch tat sich nichts.
„Hexenspruch und ei der Daus.
Glitzerglimmer komm` heraus.“
Alsbald fing das Gebräu an zu brodeln und färbte sich schwarz. Ein Nebel bildete eine graue Wolke über dem Kessel und ihre Großmutter Perfekta erschien darin.
Ein schräges Frauenlachen ertönte und ein Hexenlied erklang, dass Funktionella aus Kinderzeiten sofort erkannte. Ihr Zauberkleid legte sich angsterfüllt an ihren kleinen Hexenkörper und Funktionella hatte das Gefühl, schnell ihre Hütte verlassen zu müssen, doch ihre Zauberkraft konnte ihrem Wunsch nicht folgen. Die Situation war beklemmend und unangenehm für sie. Ganz genau wie damals, als sie noch ein kleines Hexchen war.
Zwei Zaubertöpfe bewegten sich vom Regal und schlugen aneinander, was so viel bedeutete wie „Kundschaft, Kundschaft“. „Oh – ich komme“, antwortete Funktionella noch etwas von der realitätsnahen Erinnerung benommen. Sie befand sich gedanklich nun wieder im Jetzt und Hier, in ihrer kleinen, vertrauten Hexenhütte am Rande des schützenden Waldes. „Komme schon“, ertönte ihre Stimme erneut und schwungvoll bog sie mit ihrem „Besen für jede Gelegenheit“ aus der Türe heraus in ihr gut riechendes Scheunenlädchen.
„Hexe Valiumella. Was kann ich für dich tun?“, und mit einem hexischen „alles gut Lächeln“ wurden die einkaufenden Gäste wie stets durch unsere Hexe begrüßt. „Ach, Funktionella. Ich hätte gern zwei große Gläser der Glückshokuspokusmarmelade. Einmal in Geschmacksrichtung Krähenfuß und einmal Knöterich bitte.“ „Sehr gern, Valiumella“, entgegnete Funktionella und war froh, dass ihre Fledermaus noch einige wenige Exemplare dieser Sorten von ihrer großen Naschaktion verschont gelassen hatte. „Sehr gern“, wiederholte Funktionella abermals. Die beiden Hexen verabschiedeten sich daraufhin, in gewohnter Weise, so wie sie es Woche um Woche taten. Schaute man schlussendlich abends auf den Tag zurück, konnte man sagen, dass auch heute wieder allerlei magische Kunden im wahrsten Sinne „glücklich“ gemacht wurden. Es gab diverse Verkäufe, einige Bestellungen und allerlei Anmeldungen zu den neuen Spinnenwebkursen für kleine Hexen.
Magisch kaputt fühlte sich Funktionella als die Abendsonne bereits durch das Scheunenfenster schien. Die kleinen Spinnen krabbelten aus der Webkammer und schmiegten sich um Funktionellas Beine, als wollten sie mit ihr reden. „Na, Ihr Kleinen? Was macht Ihr denn hier, Ihr Schlingel? Hex, hex. Zurück mit euch in euer Zimmer“, stupste sie eine besonders dicke Spinne der Krabbelfamilie auf den Rücken und lächelte ihr nach. Traurig zog die dicke Spinne ab und sah zu Boden. Unbeirrt jedoch hexte Funktionella den Boden rein, lüftete die gewebten Spinnengardinen, rückte die restlichen Marmeladengläser auf den Regalbrettern gerade und fütterte schlussendlich auch ihre Spinnentiere. „Endlich Hexenabend für heute“, dachte Funktionella, während sie ihr Scheunenlädchen gerade zuzaubern wollte, als sie plötzlich ein starker Gedankenblitz traf, der sie erschaudern ließ. „Moment einmal. Sonst füttert doch Tümpi, Tümpi, Tümpiiiiiii, Tüüüüüüümpiiiiiiii?“ Schlagartig hatte sich ihre Gesichtsfarbe verändert und sie wusste, dass das kein gutes Zeichen war. Keine schmatzende Fledermaus kam ihr entgegen, kein leicht muffiger Geruch durchzog ihr Geschäft und überhaupt hatte sie schon lange nicht mehr fledermausisch geküsst. Wie das geht, werde ich später erklären, denn jetzt wäre das wohl ein völlig falscher Zeitpunkt dafür. Fast panisch durchsuchte Funktionella ihr Zuhause, durchkämmte das anliegende Wäldchen und fragte benachbarte Hexen, jedoch von Tümpi keine Spur. „Sicher hat sich meine Fledermaus den Magen verdorben und liegt irgendwo hilflos und braucht mich. Wie konnte das nur passieren? Warum ist es mir nicht eher aufgefallen?“, fragte sich Funktionella, wo Tümpel und sie gegenseitig doch so ein absolutes Gespür füreinander hatten. Bis zur Erschöpfung suchte Funktionella die ganze Nacht nach ihrer Fledermaus und schlief schließlich zwischen den Spinnen ein, um sich von ihnen trösten zu lassen. Sie konnte nur hoffen, dass Tümpi sich nach diesem Futtergelage, wie so häufig, in einer ihrer Verstecke vergraben hatte, um ihrem dicken Bäuchlein ein wenig Ruhe zu gönnen. Und dieses konnte gut und gerne zwei bis drei Nächte dauern.
Am anderen Morgen ging Funktionella aufrechter als sonst, so schlecht ging es ihr mittlerweile. Ihr Teint war rosig. Für eine Hexe ihres Alters wirkte sie zunehmend jünger und jünger. Das war im Land der Magie der absolut optische Verfall, aber Funktionella war es egal. Kraftlos stand sie vor ihren diversen Hexentiegeln und begann erneut Glitzermus zu zaubern.
„Glitzer, Blitzer ei der Daus – Glitzerglück, komm schnell heraus“.
Die Zaubermarmelade funkelte alsbald in den schönsten Farben und zumindest das ließ Funktionella kurzfristig durchatmen. Mühevoll verpackte sie den süßen Aufstrich wie gewohnt in herzlich verzauberte Gläser und verstaute das „Glück in Gläsern“ auf die dafür hergerichteten Regalbretter. Natürlich erschien unsere kleine Hexe auch an diesem Morgen pünktlich in der Scheune, allerdings allein aus dem Grunde, um die Möglichkeit zu nutzen, ihre magische Kundschaft, um weitere Informationen über Tümpis Verschwinden zu befragen. Hierbei hoffte sie auf neue Zauberspruchtheorien und Mithilfe ihrer teilweise weit gereisten Gäste.
Man riet ihr, sich in tiefen Hexengedanken zu üben, sich dem Kartenlegen zu verschwören oder auch einer neuer Kräuterhexengruppe anzuschließen. Bis zum Abend hatten sich aber leider keine weiteren Erkenntnisse ergeben. Funktionellas Sorge um Tümpi wuchs und wuchs. Ihr Herz trocknete zunehmend ein und fühlte sich so schwer an, dass sie dachte, ihre Beine könnten sie nicht mehr tragen. Die kleine Hexe suchte die gesamte Nacht und braute sich in der schlaflosen Zeit zumindest einen „Ich habe fünf Stunden geschlafen-Espresso“.
Am kommenden Morgen war sie gerade emsig damit beschäftigt, ihre Spinnenzucht zu versorgen, als ein erneut übelriechender, grauer Nebel den Raum verdunkelte. Schemenhaft erhellten sich darin die ungeliebten Gesichter ihrer Hexenverwandtschaft sowie tanzende Noten mit einer ihr bekannten, immer wiederkehrenden Melodie ihrer Kindheit. Oh weh, eine schlimme Erinnerung vergangener Zeit wollte Funktionella in den Bann ziehen. Nebenan wurde zeitgleich ein ungehaltenes Stimmengewirr in ihrem kleinen Lädchen laut. Das morsche Holz des Verkaufsraumes bog sich von den schiefen Tönen.
„Ja, da brennt doch der Glimmer im Hexenkessel an. Was ist da denn los?“ Fast dankbar, dieser unangenehmen Situation des Nebels und der Musik entfliehen zu können, schwang Funktionella sich flugs auf ihren „Besen für jede Gelegenheit“ und flog in ihre Verkaufsscheune. Eine Woge der Ungehaltenheit schlug ihr dort entgegen. Ein sehr großer Hexer ergriff zuerst das Wort. „Hexe Funktionella, seit Jahren fliege ich von weit her, um von deiner Glücksmarmelade zu kosten. Nun zeigt sie keinerlei Wirkung mehr. Sie schafft es nicht mehr, mich glücklich zu machen. Zaubere mir sofort das Glück herbei. Das Leben ist nur noch grau und ungerecht. Ich möchte sofort meine Hexentaler zurück.“ Mit verschränkten Armen und einer beeindruckenden Kopfbewegung machte sich der verärgerte Hexer seiner Wut Luft. „Zeigt keine Wirkung?“, funkte eine andere alte Hexe dazwischen „Betrügen will uns das junge Ding. Sie will uns alten Magiern die Taler aus der Tasche ziehen. Nichts weiter will sie! Gib uns sofort die richtige Glücksmarmelade raus, damit ich meinen Hexenschuss endlich wieder deutlicher spüren kann, so wie früher! Zu einer echten Hexe gehört schließlich ein ordentlicher Hexenschuss; das weiß schon der winzigste Hexenschüler.“ Funktionella trat einen Schritt zurück. Sie musste zunächst zur Besinnung kommen. Was wollten ihr die Kunden damit sagen? Was hielten Sie ihr vor? Ihre Marmelade war wie immer. Verhext wurden darin saubere Zungenbrechersprüche, gepaart mit einer ihrer Steinperlen und weiter nichts. Das Ganze dann mühevoll gerührt und aufgekocht, bis der Glitzerzauber schließlich entstand. Für diese Mischung hatte Funktionella jahrelang immer wieder geübt und geübt, bis ihr das Resultat gut genug erschien, um es schließlich verkaufen zu können. Sie dachte nach. Oder sollte ihre Kundschaft eventuell recht haben? War es denn überhaupt möglich, wahres Glück herbeizaubern?
Funktionellas öffentliches Ansehen bekam einen Knacks. Und tatsächlich, schon kurz darauf schlossen sich auch die Nachbarschaftshexen den Kritikern an. So laut, bis diese auch die Hexerschaft der Stadt anzog. Es war schon erstaunlich, wie schnell Funktionellas lang erkämpfter Hexenzauber seine Magie verlor und sie mehr und mehr als hässliche, kleine und vor allem dumme Hexe betitelt wurde. Mit völlig aufrechter Statur und einer jugendlichen Frische, die jede Hexe des Landes zum Erschaudern brachte, ging sie an diesem Abend zu Bett, um den Tag noch einmal gedanklich durch ihre Hexenglieder fahren zu lassen. Sie fühlte sich elender als jene halb zerdrückte Küchenschabe, die sie erst neulich auf dem Fußboden ihrer windschiefen Hütte hatte, liegen sehen.
Als schließlich der Morgen graute, stand sie kraftlos aus Sorge um Tümpi auf, schürte das Kaminfeuer und öffnete ihre Webkammer. Schon in wenigen Minuten erwartete sie kleine Hexenkinder zum frühhexischen Weben. Sie dekorierte die Tische wie gewohnt mit bunten Gummispinnen zum Naschen und rückte ihre Webstühle in Position. Ihre Gedanken waren dennoch nur bei Tümpi und ihre Stimmung hatte einfach den Tiefpunkt erreicht. Noch vertieft in alle „Wo bist du Zaubersprüche“, bemerkte Funktionella schließlich, dass die Zeit ihrer Lehrstunde bereits verstrichen war, als sie sich auf ihren Unterricht zurückbesann. Sämtliche Leckereien lagen noch unberührt auf den Tischen. Das gesamte Webgarn war gut sortiert an Ort und Stelle und keiner der Sitzplätze bot ein fröhliches Durcheinander, wie es ihr aus vergangenen Webstunden bekannt war. Lediglich eine frisch gesponnene Girlande neuer Spinnfäden mit dem Text „Halt dich von unseren Kindern fern. Niemand sieht dich hier noch gern“, hing von den Balken ihrer Scheunendecke. Tränen bahnten sich ihren Weg in die Hexenaugen. Kleine grüne, funkelnde Wutblasen feuerten aus Funktionellas Ohren und ihre schweren Hexenstiefel begannen alsbald einen blitzenden Tanz, den selbst das Fegefeuer noch nicht gesehen hatte. Funktionella ließ Revue passieren. All die Jahre hatte die etwas zu klein geratene Hexe ihre Tage und Nächte für das Glück anderer und somit auch ihre besten Jahre gegeben. Gerade die Kinder lagen ihr am Herzen und bis dato schätzten das auch deren Eltern so. Wie oft hatte sie mit den Kleinen hexischen Unsinn getrieben und ihnen ihre Traurigkeit genommen? Gelang ihren Schützlingen etwas nicht gleich, so wurde der Webstuhl immer und immer wieder in die richtige Position gebracht. Die gesamte Hexerschaft bestätigten Funktionella immer wieder in ihrem Tun. Genauso verhielt sich auch die Kundschaft ihres kleinen Scheunenlädchens. Es war für alle stets eine Grundvoraussetzung auch an Hexenfeiertagen eine Extraportion „Funktionella-Glück“ von ihr herbeigehext zu bekommen. Auch wenn Funktionella selbst oft müde und erschöpft war, so war es ihr dennoch immer wieder eine Bestätigung und Freude, den Wünschen der Kunden gerecht werden zu können. Ihre Arbeit war ihr stets wichtig und somit ihre windschiefe Scheune für die Hexenwelt durchgehend geöffnet, auch feiertags versteht sich. „Moment mal“, dachte sich unsere Hexe „was habe ich da gerade gedacht? Für alle Belange geöffnet? Nur für ein Bedürfnis wohlweislich nicht, und das war offensichtlich meines“. Genau im Moment ihres Gedankens, erklang Funktionella erneut das ihr bekannte Kinderlied aus alten Zeiten und ein Duft nach modrigem Hexenparfum sog sich wie Wasser in einen Schwamm und zog durch Funktionellas Haus. Die verzerrte Stimme ihrer Großmutter wurde in der Webkammer laut: „Was denkst du, du Aas? Du wagst es, dich in den Vordergrund zu stellen? Und wo bleibt dein standesgemäßer, buckliger Gang? Wo sind deine Manieren? Du undankbare, kleine Kröte, du. Verstehst du die Hexenwelt nun? Ich habe es dir immer gesagt. Du brauchst mich oder dachtest du tatsächlich, DU könntest Glück zaubern? Deine Arbeit taugt nichts. Sie hat nie etwas getaugt und ohne mich bist du ein Nichts. Was habe ich dir alles beigebracht? Und nun: Du bist ein Nichts. Ha, ha, ha, ha.......“ Es gab ein Zischen und ein grellgrüner Schleim überzog Funktionella. Sie befand sich in einer Art Schockstarre. Sie versuchte noch ihren Zeigefinger zu heben, um Ihren Zauberstab zu sich zu bitten, aber ihr Finger bewegte sich nicht mehr. Ihr einziger Wunsch war nur noch, ihre kleine Fledermaus Tümpi zu finden. Erst jetzt wurde ihr bewusst, dass Tümpi etwas Schlimmes passiert sein musste. Das spürte Funktionella ganz deutlich. Die kleine Fledermaus lag daher sehr wahrscheinlich nicht in einer ihrer zahlreichen Verstecke, um ein langes Nickerchen zu halten, wenn nach einem guten Essen wieder einmal der Magen zwickte und zwackte. Unserer kleinen Hexe wurde klar, dass ihre Fledermaus zur Strafe ihres eigenen Ungehorsams gegenüber ihrer Großmutter Perfekta entführt worden war. Funktionella hatte mutwillig und heimlich die ungeliebten Steinperlen entsorgt und dafür ließ Großmutter Perfekta sie nun büßen. Funktionella war sich dessen sehr bewusst, was das für ihr Haustier Tümpel bedeuteten würde, denn Perfekta war grausam und liebte es Böses zu tun. Einfach ohne jeglichen Grund, als sei es eine Freude, Schwächere leiden zu sehen. Die alte Hexe war das Oberhaupt des Hexenclans, müsst ihr wissen. Sie legte größten Wert darauf, dass ihr absoluter Gehorsam zuteilwurde. Ihre Entscheidungen waren Gesetz. Sie hatte die Macht, ganze Straßenzüge zu verdunkeln und die Stille wurde laut, wenn sie einen Raum betrat. Ihr Wort brachte die angesehensten Hexer zum Schweigen. Keine Hexe durfte schrulliger wirken als sie. Ihr buckliger Gang war legendär. Als Funktionella schließlich wieder bei Besinnung war und sie sich aus der Schockstarre der Erinnerung lösen konnte, entdeckte sie erneut einen großen neuen Haufen von Steinperlen. Dafür gab es für sie nur eine simple Erklärung. Ihre Großmutter musste sie ihr geschickt haben. Dieses Mal erhielt sie die Perlen jedoch nicht zur Belohnung, sondern weil Perfekta ganz genau wusste, wie sehr sich ihr Enkelkind darüber ärgerte. Die Perlen sollten Funktionella strafen.
Es reichte, Funktionella traf eine Entscheidung. Verängstigt und noch ziemlich ungelenk, beschloss unsere Hexe, ihr Leben fortan endgültig zu ändern. Keine böse Macht auf dieser Hexenkugel sollte sie nun noch davon abhalten, nach den guten magischen Dingen des Lebens zu suchen, die nicht aus Zauberei, sondern aus tiefsitzendem, ehrlichem Krötendreck bestanden. Fest entschlossen, machte sie sich daher auf den Weg, ihr Wichtigstes neben ihrer Hexentochter zu finde, ihre Fledermaus Tümpi. Koste es, was es wolle. Wieder in ihrer Wohnhütte angekommen, zauberte sie schnell einige Dinge in ihren bodenlosen Hexenrucksack und flog aus dem Dorf. Der moderne Wischmopp war schwer beladen und hatte Mühe, mit den eiligen Temposprüchen der Hexe in der Luft zu bleiben.
Ei der Daus bring mich voran,
weil ich heut` nicht warten kann.
Rücksicht kann ich dir nicht schenken,
ich muss nur an Tümpi denken.
Volle Besenkraft voraus,
jetzt ist`s mit dem Trödeln aus.“
Und der Mopp hatte wahrlich zu kämpfen. Fast ihr gesamtes Zaubermaterial war im Gepäck, um im Notfall auf alles vorbereitet zu sein.
So flog sie einige Tage und Nächte lang. Ihre Haut wurde immer rosiger und alsbald war von ihrer buckligen Haltung nichts mehr zu sehen. Sie war ein elender Anblick für die gesamte Hexenwelt. Funktinellas Magen grummelte und die Gedanken nach gerösteten Froschfüßen auf Kräutern, dazu heißen Grützenschleim wuchsen in ihrer Fantasie. Sie war hungrig. „Oh, nur noch 100 Besenzüge bis zur nächsten Besenpflege. Ich kann die Einflugschneise schon sehen“, murmelte Funktionella vor sich her. Eine Besenpflege war in der Hexenwelt eine Art Tankstelle/Werkstatt, die nach langen Flügen immer wieder angesteuert wurde, um den hauseigenen Fuhrpark instand zu halten. Hierbei wurde den Besen, fliegenden Teppichen oder gar jeglichem anderen Fluggerät eine Rundumpflege geboten. So wurden zum Beispiel Reisigenden wieder auf eine Länge gestoßen, Teppichfransen neu verknotet, Flugbesen geölt oder aber auch bei modernen Transportmitteln, Wischmopplappen magischer Flugfeudel, neu eingehext, wenn nicht sogar ersetzt. Die Wartezeit nutzten die Hexen im angrenzenden Besenstopp-Café mit dem Zerkauen von edlen, sogenannten Schneckendreck-Kaffeebohnen. Sie waren ein wirklicher Hochgenuss und das Heranfliegen an solche Stationen daher immer eine äußerste Freude aller Gäste. Parallel nutze man die Möglichkeit und informierte sich in den dortigen Wahrsagerkugeln, über Geschehnisse und Situationen in der magischen Welt. Zur Freude aller, sogar bei freiem „Wahr-LAN“. „Lass mich einmal sehen“, nuschelte Funktionella, während sie eine bequeme Sitzposition auf dem Cafésessel einnahm. Die Kugel klarte auf. Kurz darauf wurde ein ihr bekannter Schotterweg sichtbar und auch das in dem Glas erschienene Hexenhaus war Funktionella kein unbekanntes. Die Kugel zeigte das Haus von Funktionellas bösen Großmutter Perfekta. Im Glas erschien Tümpi, die sich in einer Art Schulstunde mit der Alten zu befinden schien. Es machte den Anschein, als müsste Funktionellas Haustier das anmutige Fliegen einer wohl erzogenen Fledermaus üben. „Stopp“, schrie die kleine Hexe laut durch das Café, als könne sie damit das Geschehen in der Hütte ihrer Großmutter beenden oder beeinflussen. „Das dürfen Fledermäuse in Tümpis Alter noch gar nicht. Nein Tümpi, ich hole dich da raus. Hab´ keine Angst.“ Die Gäste am Nebentisch schauten verwundert zu Funktionella herüber. Die kleine Hexe konnte nicht genau einordnen, welches Gefühlsgewitter gerade durch ihre Glieder zog. Es war eine Mischung aus Hilflosigkeit, Trauer und Erstarren. Es überflutete sie aber auch eine Wut, die ihr aus eigenen Kindheitserinnerungen allerdings fremd und sogar neu erschien, denn Funktionella selbst war gegenüber ihrer Großmutter emotional bis dato nur mit einem Angstgefühl ausgestattet. Eine rettende, wehrende Wut gegenüber ihrer Peinigerin blieb noch in ihrem tiefsten Inneren verborgen und musste erst noch intensiv trainiert werden. Dazu aber kommen wir später. Nun musste Funktionella handeln, den es ging um ihr Liebstes, ihre Fledermaus, und für sie musste sie stark sein und konnte daher das massive Gefühl von Wut deutlich spüren. Funktionella stürmte eilig aus dem Café und schwang sich auf ihren mittlerweile frisch gewarteten Wischmopp. Dieser hob zum Anflug ab. Wütend wollte Funktionella grüne Feuerblitze in den Himmel aufsteigen lassen, doch die Umgebung verdunkelte sich urplötzlich erneut. Unsere Hexe wollte noch ihren Zauberstab erheben, um einen hilfesuchenden Satz in die Luft zu schreien, aber ihre Finger folgten nicht mehr ihrem Wunsch. Funktionella war plötzlich keine Bewegung mehr möglich. Eigentlich wollte sie schnell in die ihr bekannte Hexenhütte aus Kindheitstagen fliegen, um Tümpi zu retten, aber ihre Hexenkraft versiegte. Nur noch wahllos flog die kleine Hexe durch die Lüfte, bis der Mopp sie schlussendlich ruckartig zu Boden zog und Funktionella mit dem Po auf ein abgelegenes Waldstück, fernab des Besenstopps plumpste. Sie erstarrte.
Was Funktionella soeben geschehen war, nennt man in der Traumasprache Dissoziation. Eine Dissoziation ist ein ausgesprochen kluger Schutzmechanismus unseres Körpers, der immer dann ausgelöst wird, wenn eine Person beispielsweise einem so starken Angstgefühl ausgesetzt ist, dass es der menschliche Körper nicht verkraften oder gar überleben könnte. Das Gehirn schaltet in diesem Moment seine Wahrnehmung ab (Abspaltung) und lässt den Körper erstarren. Eine böse Kindheitserfahrung Funktionellas löste in diesem Fall die Reaktion in ihrem Körper aus.
In ihrer Schockstarre sah Funktionella Bilder einer kleinen Hexe, die das Besenfliegen erlernen und sich dabei immer und immer wieder Haltungskorrekturen unterziehen musste, obwohl sie dafür noch viel zu jung war. Während dieser Dissoziation durchlebte die kleine Hexe real wirkende Erinnerungen. Funktionella erkannte sich hierbei selbst als junges magisches Wesen, die als Zuschauerin von oben auf ihren eigenen Körper, herabschaute. Sie sah ihre Großmutter mit stark geschminkten roten Lippen bedrohlich auf sie zuschreiten. Perfekta grinste hämisch und fordernd. Funktionella wurde übel, denn die böse Großmutter kam ihr mittlerweile so nah, dass sie ihren sauren Atem riechen konnte. Funktionella als damaliges Hexenkind war noch klein und dennoch spürte es, dass die Situation unnatürlich war und etwas Düsteres mit sich trug. Funktionellas Kinderaugen weiteten sich ängstlich und das Gesicht ihrer Großmutter mutierte langsam, aber sicher in das einer Fratze. Grob und wollüstig zog Perfekta ihr Enkelkind zu sich heran und presste ihre geschürzten Lippen willensstark auf die Funktionellas. Perfekta betonte, dass das nötig sei, um ihrem Großkind beizubringen, wie es sich später einmal den Hexern der gehobenen Magierkreise nähern sollte. Aus der Sicht der Großmutter war Funktionella zu hässlich und zu dumm, als dass sich später einmal ein Hexer für ihr unansehnliches Enkelkind interessieren würde. Das sei der wahre Grund, warum Funktionella diesen Unterricht erhalte, wie Perfekta es nannte. Die böse Alte nutze ihre schlangenhafte Zunge und drang damit ungelenk und massiv in den Mund ihres Enkelkindes ein. Funktionella wollte fliehen, aber keines ihrer Körperteile wollten ihrem dringenden Wunsch folgen. Lediglich ihre Augen reagierten noch und weiteten sich angstvoll zu tellergroßen Scheiben. Perfekta begann mit ihrem Hexenkörper zu kreisen und heftiger zu atmen. Funktionelles Alarmsystem war auf Flucht eingestellt, aber ihre Motorik setzte gänzlich aus. Ihre Großmutter begann immer lustvoller zu atmen, bis ein Rums Funktionellas Erinnerung zerschlug und sie ruckartig in die Realität zurückbrachte. Ein großer eindrucksvoller Ast einer hohen Tanne knickte vom Baum und fiel lautstark auf den Waldboden. Dem großen Magier sei Dank blieb Funktionella unversehrt. Nachdem die kleine Hexe den ersten Schrecken verdaut hatte, noch leicht der Trance ergeben und benebelt, kam sie langsam wieder zu sich. Sie musste sich noch ein wenig reorientieren und sammeln. Als Funktionella später wieder bei sich und vollständig erwacht war, blickte sie in einen sonnigen Himmel auf zarte Schäfchenwolken. „Wo bin ich“, sprach sie zu sich selbst und verstand, dass sie sich auf dem Boden des Tanngengehölzes befand, auf das sie gefallen war. Da kam ihr eine zündende Idee. „Es ist an der Zeit. Ich muss mich auf den Weg machen und mein Glück suchen:“ Funktionella schüttelte ihren Zauberrock und wischte die restlichen Tannennadeln von ihrem Schoß. Doch schon kurz darauf stemmte sie ihre Arme in die Hüften und verwarf ihre Gedanken. “Was mir nur einfällt? Ich habe wahrlich wichtigeres zu tun, als an mich selbst zu denken. Ich muss meine Fledermaus finden. Für mein Glück war nie Zeit und derzeit wäre sicherlich der schlechteste Moment, es zu suchen“, beendete sie ihr Selbstgespräch, doch ihre Gedanken endeten nicht. „Mit dem Glück spielt man nicht, Funktionella“, sprach sie zu sich selbst. „Wer es wirklich will, kann lernen, es zu empfinden und auch ich sollte mir mehr Zeit dafür nehmen.“ Erneut verwarf Funktionella ihren immer wieder stimmungswechselnden inneren Dialog, schüttelte ihren Kopf und verließ ihr selbst erschaffenes Kopfkino. Nun nicht weiter über das Thema nachdenkend, sammelte sie ihr gesamtes Hexengut zusammen und schwang sich auf ihren elektrischen Wischmopp. Noch gedankenverloren zog sie sich an dem Hexenbart, während sie ihren Mopp in den „Kick Down“ schaltete, um dem entlegenen Wald so schnell als möglich zu überfliegen.
In der morschen Hütte der bösen Hexe Perfekta am finsteren Waldesrand
Schauen wir nun aber an den Ort, an dem Tümpel derzeit leben musste. In der maroden Hütte der bösen Großmutter roch es nach abgestandener Luft. Aus dem Schornstein stieg schwefeliger Rauch auf. Der Hexenumhang, den Perfekta trug lag eng an, sodass sich ihr Körper darunter stark abzeichnete. In ihrer knochigen Hand hielt sie einen Zauberstab aus Bambusholz, den sie drohend in die Luft hielt. Sie sprach: „Tümpel! Sitze buckliger und schau mir in die Augen, wenn ich mit dir rede! Eine ordentliche Fledermaus muss seine Körperhaltung fledermausisch ehrenwert ausbalancieren oder willst du später etwa, dass nichts aus dir wird? So hässlich, wie dein Fellkleid wirkt, wirst du nie Anerkennung erhalten. Geh´ und reibe dich zunächst ordentlich mit Ruß ein, so siehst du unglaublich unattraktiv aus. Ich kann so nicht mit dir arbeiten. Und fang` jetzt nicht wieder an zu heulen. Deine Funktionella, mein unfähiges Enkelkind, wird dich ohnehin nicht mehr haben wollen, geschweige denn vermissen. Sei dankbar, dass du ab jetzt bei mir wohnen darfst. Hast du mich verstanden? Geh und reibe dich gefälligst mit Ruß ein, so wie es sich gehört, und störe mich jetzt nicht weiter. Ich werde mir nun in meinem Ankleidezimmer einige Umhänge für besonders bucklige Hexen zaubern und dabei kann ich keine Fledermaus wie dich gebrauchen.“ Die Großmutter beendete die Haltungsübung des Flugtieres, warf diesem noch einen missbilligenden Blick zu und befahl: “Wenn ich wiederkomme, bist du ordentlich staubig, hörst du?“ Ohne jedoch eine Reaktion abzuwarten, schlug die Alte die Holztür ins Schloss und verließ den Raum. Die Worte der Großmutter waren zuviel. Tümpel steckte ihren Kopf unter ihr plüschiges Federkleid. Allein der Gedanke, ab sofort von Funktionella getrennt leben zu müssen, war einfach unerträglich für sie. Völlig aufgelöst flog die Fledermaus heimlich durch einen Holzspalt der Hexenhütte nach draußen, die Beschimpfungen Funktionellas Großmutter noch in ihren Ohren. Wie schlimm, Tümpi befand sich tatsächlich bei Funktionelles Oma Perfekta und wusste keinen Ausweg, ihr entfliehen zu können.
„Ey, du da? Was bist du denn für ein komischer Vogel?“, fragte eine lässige Rabendame, die von einem Ast herunter auf den verängstigten Fledermaus-Schützling sah. „Ich bin kein Vogel, ich bin eine echte Fledermaus“, empörte sich Tümpi „Was guckst du so, wie sieben Tage Regenwurmverbot, Fledermaus?“, frage die bebrillte Frau Rabe und blies einen gehörigen Zug Qualm ihrer Zigarre von dem Baum herunter. „Weißt du, ich möchte wieder zurück zu meiner Funktionella“, sprach Tümpel zum Ast hinauf, auf dem der Rabe saß. „Sie ist eine kleine Hexe. Bei ihr wohne ich.“ „Ach Kleine, dass kannste vergessen. So einfach kommt von hier niemand mehr weg, glaube mir“, entgegnete Frau Rabe, während sie ihr rechtes Brillenglas fein säuberlich mit ihrem Gefieder putzte.
Funktionella auf der Suche
Auch Funktionella, die noch immer auf der Suche war, vermisste ihre Fledermaus Tümpi. Nachdem sie nun schon bald zwei weitere Tage über die Wälder geflogen war, landete Funktionella an einem kleinen Bach, um sich ein wenig zu erfrischen und mit grauem Aschboden einzureiben. „Meine Güte, hier ist aber richtig etwas los“, murmelte sie in sich hinein und überlegte schon, wieder zu wenden und Fahrt aufzunehmen, doch ihre Neugierde siegte schließlich. Hinter einer dicken Tanne setzte sie daher zur Landung an. Hexen und Hexer aller Hautfarben tanzten vergnügt um ein kleines Lagerfeuer. Im Wasser wurde „Fang den Zauberstab“ gespielt. In einer großen Seifenblase über ihnen spielten fünf sehr schräge Musiker aus den derzeit angesagten Magiercharts. Alle lachten, redeten und tanzten wild durcheinander. Funktionella konnte gar nicht wegsehen, so fasziniert war sie vom Anblick des Geschehens, als ein junger Hexer mit grau-bunten Haaren und zerrissenem Umhang plötzlich an sie herantrat. „Hey Hexchen. Alles gut bei dir?“ „Ich äh, ja, danke. Ich habe mich wohl verflogen und wollte nicht stören.“ Funktionella erblasste bei dem Anblick bei dem für sie äußerst interessanten Hexers. Im selben Moment änderte sich jedoch ihre Meinung und sie verbot es sich selbst „so eine Art Gesellschaft“ für akzeptabel zu halten“. „Verflogen, so ein Unsinn. Komm mit ans Feuer und iss mit uns. Es ist genug von allem da. Greif zu“, sagte der Hexer, lud Funktionella ein und nahm sich selbst eine Handvoll des Gekochten aus dem Kessel. „Komm, nimm“, schmatzte er. „Lass gut sein“, winkte Funktionella ab. „Ich habe auch gar kein Besteck dabei.“ „Wir haben hier alle kein Besteck. Wozu auch? Es ist gerade hexfreie Zeit, da dürfen wir alles.“, erklärte der Magier.
Gerade in dem Moment als unsere kleine Hexe ein wenig verschmitzt zu lächeln begann, ertönte das Lied aus Kinderzeiten, das die Band in der Luftblase nun plötzlich zu spielen begann und eine schräge Frauenstimme darin ertönte. Doch Moment, was geschah denn nun? Die Wahrnehmung Funktionellas kippte. Kurz darauf befand sie sich erneut inmitten einer Erinnerung. Ihre Großmutter erklärte ihr darin abermals, wie man sich als ordentliche Hexe zu benehmen hatte. „Funktionella! Du möchtest dich doch wohl nicht mit solchem Gesindel abgeben? Schau` dir doch an, wie sie alle aussehen! Ohne Manieren, ohne jegliche Intelligenz. Ich habe dir doch erläutert, wie die Herren der noblen Hexerschaft auf dich aufmerksam werden und vor allem, wie sie auszusehen haben. Mein Unterricht scheint dir wohl nicht eindeutig genug gewesen zu sein. Du bist genauso dumm wie deine undankbare Fledermaus. Komm, ich werde dir zeigen, wie du einen stattlichen Hexer finden kannst. Von mir kannst du lernen.“
Ein greller Lichtschein nahm Funktionella gefangen und trug ihre Gedanken noch tiefer aus dem Jetzt und Hier fort. Sie befand sich inmitten eines Flashback. Einer sehr realitätsnah erscheinenden Erinnerung. Als sie in ihrer Erinnerung ihre Augen öffnete, befand sie sich gedanklich plötzlich dort, wo der Himmel dunkle Wolken trug, wo das Glück keinen Namen hatte, dort wo ihr die Umgebung dennoch mehr als bekannt war.
Ihre Gedanken trugen sie noch intensiver in die damalige Zeit, als sie noch ein ganz kleines Hexenmädchen war. Hierin befand sich Funktionella gerade in der Waldlichtung vor dem Hexenhaus ihrer Großmutter. Wie so oft stolzierte diese gekleidet in schrägen, figurbetonten Hexenumhängen auf dem Gehweg entlang, als sei dieser ein Laufsteg. „Komm du Aß“, wie sie ihr Enkelkind zu nennen pflegte, forderte die Alte unsere Funktionella auf, ihr in die Hütte zu folgen und ein arroganter Fingerzeig unterstrich die Aufforderung der dominanten, alten Hexe. Funktionella folgte ihr nicht sofort, sodass die Großmutter mit einem Schlag ihres Bambuszauberstabes auf den Rücken ihres Zöglings, Nachdruck verlieh. Funktionella verkniff sich ihren Schmerz und folgte geradezu entmündigt. Sie wusste, dass sie keine Möglichkeit zum Fliehen hatte und ergab sich ihrem Schicksal. In der Hütte selbst roch es muffig, nach abgelaufenen Hexenkräutern und böser Magie. Perfekta strich langsam ihren Umhang ab. Darunter trug sie merkwürdige Wäsche, die Kinderhexen nicht kannten. Die böse Großmutter befahl ihrem Enkelkind genau hinzusehen und fragte immer wieder, ob Funktionella jemals solch eine scheußlich schöne Hexe wie sie, die atemberaubende Perfekta, gesehen habe. Funktionella verstand nicht, doch nach einem weiteren Hieb mit dem Zauberstab, wurde Funktionella die Frage ihrer Großmutter klar. Das kleine Hexenmädchen lobte daher brav die außergewöhnliche Schönheit ihrer Großmutter und wiederholte den Satz so lange, wie es seitens der Alten gewünscht wurde. Perfekta genoss es sehr. Sie begann schwerer zu atmen und ihr Blick mutierte lustvoll verzerrt. Funktionella packte die Angst. Mit dem natürlichen Gespür und Bauchgefühl eines Kindes verstand sie, dass die Situation skurril, bedrohlich und eigentlich nicht für Kinderaugen bestimmt war. Großmutter bewegte sich kreisend und genoss sichtlich den angstverzerrten Anblick ihres Großkindes. Perfekta begann sich selbst zu berühren und ihre Laute wurden mächtiger. In Funktionella wuchs die Angst immer stärker. Geradezu jede Zelle ihres Körpers war nun von Panik eingenommen. „Fass mich an“, forderte Perfekta, doch Funktionella bewegte sich nicht. Grob zerrte die Alte daraufhin am Arm ihres Enkelkindes und platzierte deren kleine Handinnenflächen auf ihre runzligen Brüste. „Streichle mich und sei dabei nicht so zimperlich“, befahl die Alte und als Funktionella ihrem Wunsch nicht nachkommen wollte, führte sie die Kinderhände ungehalten auf ihrem alten, schrumpeligen Körper entlang. Jegliches Gefühl Funktionellas war mittlerweile abgeschaltet. Sie agierte nur noch im Autopilotmodus. Großmutter nutzte Funktionellas Hände wie die einer Marionette immer fester zugreifend. Die Augen der Alten kippten voll lustvoller Gier, sodass ihre Pupillen fast nicht mehr sichtbar waren. Als Großmutter dann begann, untypische, eher aus dem Reich der Tiere ähnelnde Geräusche von sich zu geben, durchbrach wie eine erleichternde Rettung, ein schrilles Geräusch Funktionellas Erinnerung und führte sie zurück in die Realität.
Sie schreckte zusammen, als plötzlich ihr kleiner Fingernagel aufleuchtete und schreiend laut, eine flippige Musik ertönte. „Oh mein großer Hexer“, wimmerte Funktionella noch benommen. „Mein Telefon.“ Ein Hexenmobiltelefon war in jedem linken, kleinen Finger einer modernen Hexe sozusagen integriert. Da Funktionellas Wahrnehmung noch nicht vollständig wieder im Jetzt und Hier war, beängstigte sie das Geräusch ihres Telefons zunächst. Der Grund dieses Geräusches war einfach zu erklären, denn Schillerella, Funktionellas Tochter, versuchte ihre Mutter telefonisch zu erreichen. Noch ein wenig der Trance ergeben, blinzelte Funktionella zweimal in Richtung ihres Fingernagels, um den Anruf schließlich in Hexenmanier entgegenzunehmen. „Schillerella? Nicht jetzt. Ich kann nicht sprechen. Ich bin in Gefahr“, flüsterte die ängstliche Hexenmutter Funktionella und war gerade dabei das Gespräch zu beenden, als Schillerella erneut durch das Telefon sprach:“ Mama, du stecktest nur wieder in einer Erinnerung. Komm wieder zu dir. Du bist in Sicherheit.“ Obwohl ihre Mutter nicht direkt bei ihrer Tochter Schillerella war, spürte diese einfach immer, wenn bei ihrer Mutter irgendetwas nicht stimmte. Sie wusste, dass ihre Mutter häufig von den Bildern ihrer Vergangenheit gejagt wurde und kannte daher ihr Verhalten nur zu gut. Und richtig, Funktionella selbst hatte noch gar nicht realisiert, dass sie sich tatsächlich immer noch an dem Lagerfeuer mit vielen netten Leuten befand, anstatt in dem soeben ereilten Flashback gefangen zu sein.
Funktionella durchlebte soeben einen Flashback. Doch was ist das? Ein Flashback ist ein psychologisches Phänomen, welches durch einen Schlüsselreiz hervorgerufen wird. Die betroffene Person hat dann ein plötzliches, kraftvolles Wiedererleben eines vergangenen Erlebnisses oder früherer Gefühlszustände. Der Begriff wird vor allem dann benutzt, wenn die Erinnerung unwillkürlich auftaucht oder wenn sie so stark ist, dass die Person die Erfahrung wieder durchlebt und unfähig ist, diese als Erinnerung zu erkennen. Flashbacks treten häufig als ein Symptom einer Posttraumatischen Belastungsstörung auf.
Quelle 1
Funktionella öffnete langsam ihre Augen. Ihre Hexentochter Schillerella wartete behutsam auf der anderen Seite des Telefons ab, bis ihre Mutter wieder vollständig bei Sinnen war. Schillerella erläuterte ihrer Mutter, was sie selbst für Neuigkeiten in einem Besenstopp-Café in der dortigen Wahrsagerkugel gesehen hatte, und begann zu berichten. „Mama, ich habe seit Tagen versucht, dich zuhause zu erreichen, aber niemand hat das Haus-Hexentelefon abgenommen. Ich habe es wieder und wieder versucht.“ „Hexentelefon“, hätte Funktionella innerlich grummeln können, wenn sie nicht gerade schwerwiegendere Probleme gehabt hätte. In der Hexenwelt ist es nämlich nicht gern gesehen, auf solche modernen Geräte wie Telefone zurückzugreifen. Tochter Schillerella aber interessierten solche Hexenbräuche nicht. Sie lehnte die alltagsübliche Hexerei schlichtweg ab, sodass sich Funktionella seinerzeit dazu bereiterklärt hatte, diesen modernen Schnickschnack, aus Liebe zu ihrer Tochter, mitzumachen. Für die Hexentochter war es zu aufwendig, tagelang einen Hexenspruch auswendig zu lernen, anstatt gleich zum Hörer oder in diesem Fall „auf den kleinen Finger“ zurückzugreifen. Wozu also die Mühe? Sie fragte sich ohnehin oft, wer denn wohl in der Zauberwelt bestimmte, was gut und richtig war. Ja, so war sie, unsere Schillerella. Ihr seht also schon, dass die beiden Damen sehr verschieden waren, auch wenn sie optisch so gleich erschienen. Dennoch, Funktionella bewunderte ihre Tochter sehr. Sie hatte einfach so eine leichte Art, mit dem Leben umzugehen. Die Tochter hexte stets nur so viel wie sie musste und kümmerte sich um Dinge, die ihr guttaten, ohne dabei ganz und gar egoistisch zu sein. Aber nun zurück zur eigentlichen Handlung.
Schillerella begann nun ihrer Mutter am Telefon zu berichten, dass ihr die vereinsamten Familien-Haus-Spinnen im Marmeladenlädchen ihrer Mutter durch die Besenstopp-Wahrsagerkugel erschienen waren. Da seinerzeit niemand sonst in dem magischen Glas gezeigt wurde, war Schillerella davon ausgegangen, dass die Tiere unversorgt zuhause lebten, und damit sollte sie schließlich auch Recht behalten. Schillerella sei mit dieser Erkenntnis nach Hause geflogen, um die Tiere zu versorgen. Die Spinnen erzählten ihr somit alles. Von der Sorge Funktionellas um Tümpi, dem Aufbruch Funktionellas, bis hin zur Suche der Fledermaus. „Um des Hexers Willen“, raufte sich Funktionella die Haare. „Die armen Spinnen. Geht es ihnen gut?“, stammelte sie durch ihren Telefonfinger auf der anderen Seite der Leitung. „Haben sie während meiner Abwesenheit überhaupt genug zu Essen und zum Trinken gefunden?“ Funktionella schämte sich sehr, dass sie die armen Tierchen völlig vergessen und auf sich selbst gestellt, allein gelassen hatte. „Keine Sorge, Mum“, scherzte Schillerella und stand plötzlich leibhaftig, wie aus dem Nichts, vor ihrer Mutter, inmitten der Hexenmultikultiparty. Tochter Schillerella empfand es für nötig und vor allem an der Zeit, nun einmal Klartext zu sprechen und ihrer Mutter dabei direkt in die Augen zu sehen. Nach einer innigen Umarmung, öffnete Schillerella ihre Umhängetasche und eine Horde wild gewordener, aufgeregter Spinnen, krabbelten den beiden Damen entgegen. Funktionella lächelte beruhigt und fasste sich erleichtert ans Herz. „Mama, du hast dich sehr verändert“, begann Schillerella nun das Thema zu wechseln. „Du musst damit aufhören, immer zu denken, alles allein regeln zu müssen und zu können. Mama, das kann niemand. Soviel magisches Kraut wirst du wohl nicht kauen können, dass alles weiterhin wie gewohnt klappen wird. Du bist ausgelaugt und zu schwach geworden. Auch wenn ich selbst eine ziemliche Tüddelhexe bin, so bin ich zur Stelle, wenn Not an der Magie ist. Das weißt du doch, oder?“, stupste sie ihrer Mutter auf die Hexennase und lächelte. „Melde dich doch bei mir, wenn du Hilfe oder einen Rat brauchst und sei endlich nicht mehr zu stolz, um Hilfe anzunehmen.“ Funktionella wusste, dass ihre Tochter Recht hatte und sie selbst seit längerem mit ihrer vielen Arbeit überfordert war. Stumm sah die Hexenmutter zu Boden. Die Spinnen hingegen waren ausgelassen vor lauter Wiedersehensfreude. Sie fertigten sogleich eine Girlande mit „Juhu“ und „Endlich“ an und freuten sich sehr, wieder mit ihren geliebten, beiden Hexen zusammen zu sein. Schillerella wusste, dass die alten Glaubenssätze ihrer Mutter, immer wieder Regie in ihrem Leben übernahmen und die Gedanken und das Handeln Funktionellas bestimmten. So dachte Mutter Funktionella beispielsweise: „Du darfst nicht um Hilfe bitten. Du darfst nicht um Hilfe bitten. Du darfst nicht um Hilfe bitten.“ Das war einer der üblichen Sätze, die Funktionella bereits als kleine Hexe zu hören bekommen hatte. Sie sollte sich keine Hilfe holen, denn das wäre ein Zeichen von Schwäche, erklärte man ihr. Jede Hexe sei stark und stolz genug, die zu regelnden Dinge in höchster Qualität auszuführen und die an sie gestellten Herausforderungen optimal nachzukommen. Und zwar allein, ganz allein. Eine schwaches „Um Hilfe bitten“ steht und stand daher in Funktionellas Familie zu keiner Zeit zur Diskussion. Das waren alte Werte, mit denen Funktionella aufwuchs und durch die sie geprägt war.
In diesem Fall haben sie nichts mit der Bibel zu tun. Es sind „Lebensregeln“, Meinungsansichten, die Kinder von ihren Bezugspersonen unbewusst übernehmen. Hören Kinder beispielsweise immer wieder nachstehende Sätze, so glauben die Schutzbefohlenen tatsächlich daran
Beispiel:
*Du bist dumm
*Du bist hässlich
*Du kannst nichts
*Man muss immer pünktlich sein
*Man bittet nicht um Hilfe
*Man schafft alles allein
*Man muss stark sein….
Es ist folglich selbst noch im Erwachsenenalter schwierig, diese „falsch erworbene“ Einstellung zu sich oder gegenüber anderen „wieder loszuwerden“. Man hat sie einfach schon zu oft gehört, eingeprägt bekommen und bereits zu tief verinnerlicht. Da kleine Kinder noch nicht in der Lage sind, sich selbst eine fundierte Meinung zu bilden, empfinden sie die Aussagen ihrer Bezugspersonen absolut für vertrauenswürdig und richtig