Ich war Klaus Beimer - Moritz A. Sachs - E-Book
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Ich war Klaus Beimer E-Book

Moritz A. Sachs

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Beschreibung

"Klaus und ich - das ist eine besondere Beziehung!" Moritz A. Sachs blickt zurück auf 35 Jahre Lindenstraße Seit 1985, da war er gerade einmal sieben Jahre alt, spielt Moritz A. Sachs den Klaus Beimer in der „Lindenstraße“. Sein ganzes Leben verbrachte er am Set der beliebten Kultserie. Im Frühjahr 2020 wird sie nun abgesetzt und für Moritz beginnt ein neuer Lebensabschnitt, dem er mit einem lachenden und einem weinenden Auge entgegenblickt. Was könnte ein besserer Zeitpunkt sein, sein bisheriges Leben Revue passieren zu lassen?

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Seitenzahl: 310

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Die Ereignisse in diesem Buch sind größtenteils so geschehen, wie hier wiedergegeben. Aus Gründen des Personenschutzes sind jedoch einige Namen und Ereignisse so verfremdet worden, dass die darin handelnden Personen nicht erkennbar sind.

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Bei der Verwendung im Unterricht ist auf dieses Buch hinzuweisen.

echtEMF ist eine Marke der Edition Michael Fischer

2. Auflage

Originalausgabe

© 2020 Edition Michael Fischer GmbH, Donnersbergstr. 7, 86859 Igling

Covergestaltung: Michaela Zander

Umschlagfotos: © Enno Kapitza

Bildteil: © WDR/Lindenstraße, Fotografen: Kevin Benjamin, Peter W. Engelmeier, Edgar Gerhards, Thomas Kost, Harald Köster, Diane Krüger, Mara Lukaschek, Steven Mahner, Martin Menke, Michael Palm,Thomas Rabsch, Eckbert Reinhard, Dietmar Seip, Gudrun Stockinger

Layout/Satz: Michaela Zander

Herstellung: Anne-Katrin Brode

ISBN 978-3-96093-940-5

www.emf-verlag.de

Über den Autor

Moritz A. Sachs, geboren 1978, stand im Alter von nur sieben Jahren zum ersten Mal am Set der Lindenstraße. 34 Jahre lang, bis zum Aus der Serie im Jahr 2020, verkörperte er die Rolle des Klaus Beimer. Heute arbeitet er neben der Schauspielerei als Moderator, Autor, Produktionsleiter, Veranstalter, Eventmanager und Regieassistent. Er lebt in Köln.

Meinen Eltern,

stets da, immer nah, so treu und liebevoll.

Danke.

Inhalt

Prolog

Kapitel 1 Gesucht

Kapitel 2 Gefunden

Kapitel 3 Drehbeginn

Kapitel 4 Ein Kind am Set

Kapitel 5 Kleine Macken im Lack

Kapitel 6 Schwere Zeiten in der Schule

Kapitel 7 Technische Tücken

Kapitel 8 Teenager werden

Kapitel 9 Es wird politisch

Kapitel 10 Freunde finden

Kapitel 11 Die Dailys kommen

Kapitel 12 Drehen und Feiern

Kapitel 13 Erste Liebe

Kapitel 14 Nachtleben

Kapitel 15 Mina

Kapitel 16 Soziale Arbeit

Kapitel 17 Auf Reisen

Kapitel 18 Drehalltag woanders

Kapitel 19 Ein neuer Anfang

Kapitel 20 Neue Wege hinter der Kamera

Kapitel 21 Good Times

Kapitel 22 Körperfülle

Kapitel 23 Bad Times

Kapitel 24 Abschied auf Raten

Auf Wiedersehen

Nachtrag

Liebe Leserinnen und Leser,

Ihnen viel Freude bei der Lektüre der einmaligen Geschichte des kleinen frechen Jungen, der in der Lindenstraße zum reifen Mann heranwuchs.

Mein lieber Hase, lieber Klausi, lieber Klaus, mein lieber Moritz,

nichts kann deine Lebensgeschichte treffender beschreiben als diese vier Anreden. Fast jedes Kind träumt heute davon, für das Fernsehen oder die Bühne entdeckt zu werden.

Kleine Mädchen gehen zum Ballettunterricht und ihre Mütter sehen sie schon in Tüllröckchen und Spitzenschuhen als Primaballerina im Ballettolymp. Die Tochter ist ja so begabt. Kleine Jungen treten in Castingshows auf und hoffen auf den großen Durchbruch als Sänger.

All das war nicht das Ziel deiner Eltern, auch du selbst wolltest dies nie. Du wolltest spielen, rumhampeln, albern sein, die Erwachsenen ärgern und ihnen Streiche spielen. Du wolltest am Set nichts als deinen kindlichen Spaß haben. Du warst einfach ein frecher süßer Fratz mit viel Charme. Wegen dieser Unbefangenheit warst du von Anfang an so echt, so natürlich. Und deswegen hast du nie deine Freude am Spiel verloren. Genau richtig für die Lindenstraße. Für mich warst du von der ersten Minute an mein Sohn, mein Hase.

Wie hart es neben all den schönen Erfahrungen sein würde, vor aller Augen erwachsen zu werden, alle Entwicklungsstufen vom Kind über die Pubertät hin zum erwachsenen Mann öffentlich zu durchleben, darum muss man dich nicht beneiden. Und das stellt sich auch niemand so vor.

34 Jahre bist du nun mein Film-Sohn. Alle Höhen und Tiefen habe ich mal mehr, mal weniger intensiv miterlebt. So, wie es auch im realen Leben ist.

Jetzt, wo die Kamera uns nicht mehr zuschaut müssen wir beide loslassen. Wir müssen uns neu orientieren, entscheiden

in welche Richtung wir gehen. Ohne Drehbuch, ohne Regisseur, nur auf uns selbst gestellt.

Deine Film-Mama und ich wünschen dir Mut und Kraft und Weitsicht die richtigen Entscheidungen zu treffen und den richtigen Weg zu finden.

Deine Film-Mama

Prolog

Moritz, hast du deine Mails in den letzten Minuten gelesen? Die Lindenstraße wird abgesetzt! Die ARD wird gleich eine Pressemitteilung rausgeben.“

Es war Moritz Ziehlke, der mich am 16. November 2018 um 11 Uhr vormittags aufgeregt anrief. Man kennt ihn auch als Momo Sperling, langjähriger Protagonist ebender Serie, die nun eine Ende finden würde und deren Teil auch ich seit meinem siebten Lebensjahr war.

Die Nachricht kam aus heiterem Himmel.

Kurze Stille.

„Hallo“, fragte Moritz mich, „bist du noch da?“

Ich war noch da.

Und wie ich da war. Meine Gedanken rasten, und ich versuchte, das schlagartig aufkommende Chaos in meinem Kopf zurückzudrängen. Ich würde nun bald arbeitslos sein. Wir alle! Und viel schlimmer: Meine zweite Familie würde aus meinem Leben verschwinden. Mein berufliches und in großen Teilen auch emotionales Zuhause würde ab 2020 der Vergangenheit angehören. Kein Weg mehr ins Studio nach Köln-Bocklemünd, kein Kaffee in der Kantine. Keine Wohnung Beimer mehr. Kein „Klaus – oh, Entschuldigung, Moritz natürlich …“ seitens der Kollegen am Set. Nach 34 Jahren, die ich in der Lindenstraße verbracht hatte, war nun also Schluss. Wie es weitergehen würde, war mir nicht klar. Nur, dass alles kopfstehen würde, sobald die Presse­mitteilung rausging. Und das würde noch maximal eine Stunde auf sich warten lassen.

Ich fasste mich schnell, dankte Moritz für den Anruf, schaltete mein Telefon vorsichtshalber ab und machte mich wie immer mit dem Rad auf den Weg ins Studio. Ich wollte so schnell wie möglich sehen, wie es allen ging. Dringend musste ich mit unserer Presseabteilung und den Produzenten Hans und Hana Geißendörfer sprechen. Ohne Informationen aus erster Hand konnte und würde ich mich in der Öffentlichkeit nicht zu einer Absetzung der Lindenstraße äußern. Was sollte ich auch sagen? Dass ich es schade fand?

Vor Ort wurde ich von blassen Gesichtern empfangen. Alle schauten konsterniert und waren fassungslos, einige der Kolleginnen und Kollegen weinten sogar. Ich umarmte jeden, den ich sah, und landete schließlich mit unserem Produktionsleiter, der Pressechefin und mit Jack-Darstellerin Cosima Viola im Büro von Hans Geißendörfer. Seine Tochter Hana war ebenfalls anwesend. Gemeinsam berieten wir über das weitere Vorgehen.

Zeit, die Nachricht zu verdauen, würden wir nicht haben. Cosima und ich sollten einen Interviewmarathon hinlegen, der sich gewaschen hatte. Egal ob Radio Bremen, die Bild, Hier und heute, die Aktuelle Stunde oder die Tagesthemen, die Fragen waren immer die gleichen: Warum wird das Format abgesetzt? Warum jetzt? Wer hat das entschieden? Bis wann läuft die Lindenstraße noch? Wie erklärt man das den Fans? Und immer wieder: Wie wir uns fühlen würden.

All das war nicht leicht zu beantworten. Ich hatte keinen Schimmer, warum die Lindenstraße gerade jetzt abgesetzt werden sollte. Einiges hatten wir zwar im Gespräch mit den Produzenten erfahren können, aber Details kannten Cosima und ich nicht. Um ehrlich zu sein, stand ich auch etwas unter Schock. Immerhin hatten wir unser Format in den letzten Jahren im Rahmen von Qualitätskontrollen und Umstellungen im Sinne des Senders angepasst und stark modernisiert, die Zuschauerzahlen stabilisiert und sogar etwas steigern können. Ein passendes Jubiläum, das ein fulminantes Ende rechtfertigen würde, stand auch nicht an. Unsere Antwort war also immer die gleiche: Die Lindenstraße abzusetzen war eine Entscheidung der ARD. Wir begrüßten sie nicht, hatten aber keinen Einfluss darauf.

So erstaunlich wie traurig fand ich, dass niemand fragte, was denn mit den Mitarbeitern passieren würde. Bei Firmen- oder Standortschließungen ist das in der Presse sonst immer das Hauptthema. Bei uns interessierte dies erst mal niemanden. Dabei arbeiten auch bei einer Fernsehserie Menschen. In unserem Fall viele seit Jahrzehnten.

Erst um etwa 21 Uhr strichen Cosima und ich die Segel und gesellten uns zu unseren Kollegen in den Innenhof des Studiogebäudes, um auf uns alle anzustoßen. Wir feierten bis in den Morgen. Dass mein Leben sich nun umfassend ändern würde, war offenkundig. Aber das sollte mir, uns allen, an diesem Abend noch einmal egal sein.

Und nun sitze ich hier in meinem kleinen Garten am Rande von Köln an einem vermosten Holztisch, dort, wo ich Sommer wie Winter, mal in kurzen Hosen, mal im Schneeanzug, Drehbücher gelesen habe, und schreibe über mein Leben mit Klaus. Wenn ich mit dem letzten Kapitel fertig bin, wird er bereits zu meiner Vergangenheit gehören.

Ich bin mit und als Klaus Beimer erwachsen geworden. Seit ich sieben war, spielte er in meinem Leben eine Hauptrolle. Ich bin aufgewachsen in der Öffentlichkeit; alle beruflichen und viele private Entscheidungen in meinem Leben sind sehr eng mit meiner Rolle Klaus verbunden, wenn nicht sogar direkt und ausschließlich dem Job in der Dauerserie Lindenstraße geschuldet.

Es gibt mich zwar als private Person. Es gibt mich aber auch und untrennbar als Klaus, als Schauspieler, als Person, die sich nicht erinnern kann, einmal nicht in der Öffentlichkeit gestanden zu haben. Ich bin mir sicher, dass es mir sehr schwerfallen wird loszulassen. Umso mehr freue ich mich darauf, beim Schreiben all die Jahre und Erlebnisse nochmals durchleben zu können. Mich an Situationen zu erinnern, die längst verblasst sind. Ich habe vergilbte Fotos herausgekramt, mit Kollegen und Familie gesprochen, alte Folgen geschaut und vergilbte Drehbücher nochmals zur Hand genommen.

Klaus und ich, wir sind eins. Nun steht er an seinem Lebensende. Ihn zu verlieren wird für mich ebenso einschneidend sein, wie ihn 1985 in mein Leben gelassen zu haben.

Kapitel 1 Gesucht

Meine Schwester Susanne muss drei oder vier Jahre alt gewesen sein, ich war fünf, als eine Fotografin durch den Kölner Volksgarten, einen Park mit See und Spielplatz, lief und auf uns aufmerksam wurde. Sie war auf der Suche nach Kindern, die sie in eine Kartei für Model- und TV-Auftritte aufnehmen konnte.

Anfang der 80er-Jahre gab es noch nicht allzu viele Schauspielagenturen, und für Kinder existierten gar keine, denn der Bedarf an Jungschauspielern war eher gering. Die Fernsehsender konnte man an einer Hand abzählen. Sonderlich viel TV-Werbung wurde auch noch nicht gezeigt. Also wurden Eltern auf der Straße angesprochen, ob ihre Kinder fotografiert und als Polaroid mit Namen und Kontakt in einem Karteikasten gesammelt werden dürften. Dort konnten Produzenten und Caster suchen und fündig werden, wenn doch mal ein Kind gebraucht wurde. Auf so einer Mission war auch besagte Fotografin.

Wer denn das Mädchen da hinten im Sandkasten sei und zu wem es gehöre, fragte sie auf dem Spielplatz herum. „Die kleine Süße dahinten mit den goldenen Locken, die aussieht wie eine Miniaturversion eines blonden Jackson-Five-Mitglieds?“

Das war meine Schwester. Und meine Mutter meldete sich stolz. Das süße Kind dahinten? Da sagt man doch gerne mal, das ist meins. Und weil die Freude meiner Mutter über ein offensichtlich besonders süßes Kind groß genug war, sagte sie auch dazu Ja, das Foto meiner Schwester für eine Gebühr von zwei Mark in die Kartei aufnehmen zu lassen.

„Sagen Sie, der Junge dahinten auf dem Klettergerüst, zu wem gehört der? Wissen Sie das?“, fragte die Fotografin, nachdem sie die Münzen weggesteckt hatte. „Den würde ich auch gerne fotografieren.“

„Auch mein Kind“, antwortete meine nun noch stolzere Mutter.

Mutter Beimer hätte zu Hause wohl umgehend ein Dutzend Spiegeleier in die Pfanne gehauen. Denn egal, ob gut oder schlecht, jede aufregende Lebenssituation führte bei ihr unweigerlich zu den berühmten Spiegeleiern. Aber Helga Beimer, über Jahrzehnte die Mutter der Nation, existierte unvorstellbarerweise zu dieser Zeit noch nicht. Und auch der Junge, der dann im Park fotografiert und archiviert wurde, war nicht Klausi. Er war ich.

Denn die Lindenstraße lebte 1983 noch einzig im Kopf von Hans Geißendörfer, ihrem Erfinder und Produzenten. Weder Finanzierung noch Sender, geschweige denn ein Sendeplatz standen fest. Nicht einmal ihren Namen hatte die Serie.

Hätte es damals schon Kinderschauspielagenturen gegeben, wäre ich sicherlich nie zur Lindenstraße gekommen. Denn dort muss man sich aktiv bewerben, und das wäre meinen Eltern niemals in den Sinn gekommen. So aber sollte mein Leben eine besondere Wendung nehmen. Welche Folgen diese schicksalhafte Begegnung haben würde, war damals aber noch nicht im Entferntesten absehbar.

Für meine Mutter war es ein gelungener Tag. Dabei hielt sich die Aufregung, anders als es bei Helga gewesen wäre, sehr in Grenzen. Ihre Kinder wurden als süß angesehen. Das Mutterherz freute sich. Punkt. Also, Foto, noch mal zwei Mark – danke und tschüss. Das Ereignis geriet schnell in Vergessenheit, und tatsächlich meldete sich lange Zeit niemand.

Logisch. Es müssen Hunderte, wenn nicht Tausende Kinder gewesen sein, die in solche Karteien aufgenommen wurden. Sonst hätte sich der Aufwand für die Fotografen nicht gelohnt.

Keinesfalls also rechneten meine Eltern damit, was diese Fotos auslösen würden. Hätte meine Mutter geahnt, wie sehr dieser Tag mein Leben und das Leben meines Umfelds beeinflussen würde, sie hätte sich sicher zweimal überlegt, ob sie die zwei Mark investieren sollte.

Ich selbst kann mich kaum an eine Zeit vor der Lindenstraße erinnern. Was diesen Lebensabschnitt betrifft, muss ich den Erzählungen und Erinnerungen meiner Eltern vertrauen. Geboren wurde ich als Sohn zweier Juristen, Dagmar und Michael, als kräftiges Kerlchen am Sonntag, den 13. August 1978 in Köln.

Dorthin waren meine Eltern einige Jahre zuvor für ihr Jurastudium aus Duisburg und Moers gezogen. Zum Zeitpunkt meiner Geburt war meine Mutter noch mit ihrem Ersten Staatsexamen beschäftigt, während mein Vater keine vierzehn Tage zuvor zum wissenschaftlichen Assistenten ernannt worden war. Ganz klassisch also für eine damalige Familie. Der erste richtige Job ist da, das Kind kann kommen.

Wäre ich ein Mädchen geworden, hätte ich Patrizia geheißen. Aber ich wurde ein Junge. Ursprünglich fiel damit die Wahl meiner Eltern auf Maximilian. Frei nach dem Motto „Ein mieser Reim, der ist nicht fein“, haben sie sich dann aber dagegen entschieden. Max Sachs erschien ihnen doch etwas gewagt. Wobei ein solcher Name für einen Schauspieler ja durchaus hätte zuträglich sein können. Aber wer denkt schon über so etwas nach, wenn man den Namen für sein erstes Kind auswählt?

Maximilian durfte es also nicht werden.

Max und Moritz, damals wie heute ein recht bekanntes Frechdachsduo, boten sich aus offensichtlichen Gründen zur Anlehnung an. Und so wurde aus Max eben Moritz. Der Name erwies sich als passend, denn frech, das war ich. Mit ein Grund dafür, dass ich in der Lindenstraße gelandet bin. Aber ich greife vor.

Zu dieser Zeit hießen nur sehr wenige Kinder Moritz. Dafür aber umso mehr Dackel und andere Haustiere. Auf den Anruf meines Vaters bei seiner Schwiegermutter, meiner Oma Inge, der Moritz sei nun da, kam prompt die Antwort: „Ach wie schön, wie heißt er denn?“

Was folgte, war betretenes Schweigen.

Und dann: „Na, Moritz!“

Meine Oma war ganz und gar nicht begeistert von der Wahl. Für den Fall, dass der Name mir irgendwann mal Schwierigkeiten bereiten könnte, entschied man sich also für einen zweiten Vornamen. Nur zur Sicherheit. Und so wurde ich dann Moritz Alexander Sachs. Den Alexander habe ich nie verwendet, denn Schwierigkeiten hatte ich durch meinen Namen nicht. Heute freue ich mich trotzdem über den zweiten Vornamen, macht er doch im digitalen Zeitalter das Leben ein wenig leichter, zum Beispiel, wenn man eine neue E-Mail-Adresse braucht.

Da Moritz mir aber gut gefällt und nur selten zu Verwunderung, geschweige denn zu Problemen führte, ist er mein Rufname geblieben. Einem kleinen Spaß geschuldet, war ich seit der ersten Folge für die Öffentlichkeit trotzdem Moritz A. Sachs. Das kam so: Im Abspann hatten nur wenige Personen eine Mittelinitiale, die ja immer eine gewisse Wichtigkeit suggeriert: Hans Geißendörfer, Horst D. Scheel (unser Caster) und Joachim H. Luger (mein Filmvater). Unser damaliger Aufnahmeleiter und meine Mutter fanden den Gedanken, einen Siebenjährigen in diese Reihe zu stellen, höchst amüsant, und so kam es zu Moritz A. Sachs. Dass ich diese Variante meines Namens nun immer benutze, wenn ich in der Öffentlichkeit stehe, kam wiederum durch die Ansagen bei „Let’s Dance“, wo ich im Jahr 2010 mitmachte, zustande: „Moritz A. Sachs und Melissa Ortiz Gomez mit einem Cha-Cha-Cha“ wurde dort zum Beispiel angekündigt. Offenbar war mein Name einfach aus dem Abspann der Lindenstraße übernommen worden. Mir war es recht, denn ich fand, es machte bei den Ansagen ordentlich etwas her.

Von alldem wussten meine Eltern bei meiner Geburt jedoch noch nichts. Obwohl mein Vater gerade seinen ersten Job angetreten hatte, war es in den Anfangsjahren nicht ganz leicht. Viel Geld war nicht im Hause, allerdings – und das erscheint mir aus heutiger Perspektive noch wichtiger als damals – war zumindest viel gemeinsame Zeit vorhanden.

Papa konnte den überwiegenden Teil der Woche von zu Hause aus arbeiten. Er saß zwar an mindestens sechs Tagen pro Woche um die zehn Stunden am Schreibtisch, aber er war anwesend.

An ruhiges Arbeiten war mit mir allerdings nicht zu denken. Meine Mutter berichtet bis heute gerne und regelmäßig von ihren kläglichen Versuchen, für das Staatsexamen zu büffeln. Ich schlief zwar viel, anfangs bis zu 18 Stunden am Tag, allerdings natürlich nicht, wenn Mami oder Papi etwas anderes tun wollten, als mich zu bewundern. Im Mittelpunkt stand ich schon damals gern. Wie meine Mutter es trotzdem schaffte, ein gutes Examen zu machen, ist mir ein Rätsel.

Allzu viel von größerem Interesse dürfte ich in meinen ersten Lebensjahren ansonsten nicht vollbracht haben. Das meiste, was ich damals von mir gab, war etwas für den Wickeltisch und nichts für die Öffentlichkeit, und das Interesse an einem Klaus Beimer aus der Lindenstraße war vor 1985 nicht mal eine einzige Windel wert. Ihn gab es ja noch nicht.

Besonderheiten gibt es aus der Zeit nicht zu vermelden, außer, dass ich schon mit acht Monaten meine ersten freien Schritte machte. Nur, um mir danach nochmals zwei Monate Zeit zu lassen, bis ich mich endgültig und immer noch recht früh aus dem krabbelnden Stadium erhob. Selbstverständlich erweiterte dieser Umstand meine Bewegungsfreiheit, während er den Betreuungsaufwand meiner Eltern rasch noch mal deutlich erhöhte.

Abgesehen davon ist noch festzuhalten, dass ich damals schon gut und ausdauernd rumhängen konnte. Den kleinen Moritz an eine Hangelstange im Kölner Volksgarten zu hängen war, so wird es mir berichtet, sowohl mir als auch meinem Vater eine wahre Wonne.

Mein Schwesterchen Susanne folgte mir eineinhalb Jahre später. Ein Spielkamerad, wie mir vor der Geburt versprochen wurde, war Sanne, wie ich den Namen damals aussprach, zu meiner größten Entrüstung aber vorerst nicht. Sie lag die ersten Lebensmonate hauptsächlich rum.

Wir wohnten damals in einer schönen kleinen Wohnung in der Kölner Innenstadt direkt neben dem Volksgarten, in dem wir, begleitet von unserer Mutter, so gut wie täglich spielen und toben konnten. Am Ufer des Sees im Lehm zu buddeln oder auf einer umgestürzten Trauerweide waghalsige Klettermanöver zu vollbringen wurde meine und meiner Freunde Lieblingsbeschäftigung. Sehr zum Leidwesen der anwesenden Erziehungsverpflichteten, die immer wieder nasse und prustende Nachkommen aus dem See fischen durften. Mit dem Volksgarten verbinde ich zahlreiche solcher Kindheitserinnerungen. Bis heute bin ich zu Hause, sobald ich ihn betrete.

Unsere Straße war eine Platanenallee, und von unserem gemeinsamen Kinderzimmer aus sahen wir die Baumwipfel dieser wunderschönen und riesigen Bäume, die ihre Blätter auf den Balkon abwarfen. Ihn sauber zu halten wurde bald meine Lieblingsbeschäftigung. Kaum konnte ich mich recht ordentlich auf den Beinen halten, fegte und schrubbte ich, was das Zeug hielt. Meine Leidenschaft fürs Putzen hält sich heutzutage eher in Grenzen. Die majestätischen, großblättrigen, sich schälenden Platanen aber sind meine Lieblingsbäume geblieben. Wo immer sie eine Straße säumen, fühle ich mich wohl.

Für Pflanzen scheine ich sowieso schon früh ein Faible gehabt zu haben: Laut Erzählungen saß ich lange Zeit am liebsten hinter einem Ficus im Wohnzimmer, von wo aus ich, auf dem Pinkel-Töpfchen thronend, alles im Blick hatte. Das hat sich geändert. Als Erwachsener eignet sich ein Töpfchen hinter einem Ficus nicht wirklich als Wohlfühlfaktor. Und selbst wenn, böte sich diese Situation in der Fremde wohl kaum als Möglichkeit zu sentimentaler Heimeligkeit an. Vielleicht hat sich damals meine Begeisterung für Wald und Natur entwickelt – und meine Vorliebe, alles im Blick zu haben.

Vielleicht war es aber auch nur das erste Aufblinken des Bedürfnisses nach Abgeschiedenheit und Ruhe während der Verrichtung eines gewissen Geschäftes. Wer weiß so etwas schon. Mein Verständnis für Mitmenschen, die sich im Reality-TV selbst auf dem Klo noch öffentlich beobachten lassen, hält sich jedenfalls in Grenzen. Was Menschen alles tun, um ins Fernsehen zu kommen, ist immer wieder ein Quell des Staunens für mich. Und wer schaut sich das bloß an und vor allem warum?

Als meine Schwester 1980 geboren wurde, war meine Mutter im Referendardienst. In dieser Zeit kümmerte sich auch mein Vater verstärkt um uns. Nach ihrem zweiten Staatsexamen entschloss sich meine Mutter, mit zwei kleinen Kindern zu Hause erst einmal nicht arbeiten zu gehen und sich stattdessen um uns zu kümmern. Auch in den frühen 80ern wurde eine solche Entscheidung schon kritisch beäugt, ist doch auch eine hoch qualifizierte Frau als Hausfrau eben nur Hausfrau. Dass Kindererziehung neben viel Arbeit eben auch viel Verantwortung, beizeiten sogar Freude, bestenfalls Erfüllung bedeutet, wird dabei bis heute leider oft vergessen. Als Kind fand ich den Umstand, meine Mami bei mir zu haben, selbstredend gut. Dass ein Elternteil, egal ob Mutter oder Vater, in den ersten Lebensjahren zu Hause bleibt, erscheint mir nach wie vor erstrebenswert, wenn nicht gar notwendig.

Ich verbrachte also eine recht normale und gut behütete Kleinkindheit. So wie Klaus Beimer wohl auch. Mein Leben bestand aus vielen Ausflügen, Toben im Park und natürlich dem Besuch des Kindergartens. Eigentlich wäre es der konfessionslose Waldorfkindergarten im besagten Volksgarten gleich vor der Tür geworden, wären dort nicht jegliches Treten, auch das gegen einen Ball, als aggressiver Akt tabu gewesen. Kinder ohne einen Fußball aufwachsen zu lassen kam für meinen Vater auf keinen Fall infrage. So lange ich denken kann, spielt er für sein Leben gern. Noch heute kickt er jeden Sonntagvormittag auf einer Wiese im Grüngürtel. Dass ich bei seinem Versuch, mir den Fußball näherzubringen, gleich den ersten bereitgestellten Ball, statt wie gewünscht in Richtung Tor zu schießen, in die Hand nehmen und damit gemütlich zur Mittellinie spazieren würde und auch danach nie ein gutes Verhältnis zu irgendeiner Ballsportart entwickelte, konnte damals noch keiner ahnen.

Erst als Klaus Beimer musste ich mich mit Fußball wieder auseinandersetzen. Einmal sollte er einen fußballerischen Wettkampf zwischen den Lindenstraßenfiguren Erich Schiller, Hajo Scholz und Andy Zenker moderieren. Den Text dafür habe ich sogar persönlich zusammengeschustert. Da ich selbst nicht mitspielen musste, lief das gut.

Als Klaus Beimer mit seiner Tochter Mila dann Jahre später aber im lindensträßlichen Mini-Park hinter den Pappfassaden der Außenkulisse kicken sollte, legte ich mich ordentlich auf die Nase. Mein Sturz war an Eleganz und Anmut kaum zu überbieten, brachte ich zu dieser Zeit doch etwa 125 Kilogramm auf die Waage. Ich schlug nieder wie eine gefällte Linde.

Als Kind stürmte ich noch flink und beschwingt durch den Park. Obwohl wir, wie gesagt, in der Kölner Innenstadt lebten, verbrachten wir Kinder fast unsere gesamte Zeit draußen, hatten Dreck an den Händen und aufgeschlagene Knie, tobten und lärmten. Wenn das Wetter es zuließ, waren wir am Wochenende im Bergischen Land wandern. Ich habe eine Fülle von Waldweg-Wanderungs-Wurzelkletter-Jetztsindwirabermüde-Erinnerungen, die zwar in der Regel diffus, aber doch bis heute positiv präsent sind.

In der Nachbarschaft hatte sich eine Gruppe von engen Eltern- und Kinderfreundschaften entwickelt. Es wurde zusammen gespielt, geschwommen, geausflugt und geurlaubt. Auch gefeiert wurde ausgiebig. Die meisten der Eltern waren gerade mal Ende zwanzig. Babysitting kam an solchen Abenden nicht zum Einsatz. Wir Kinder wurden mitgenommen und spielten im jeweiligen Kinderzimmer, bis wir auf Matratzenlagern gestapelt einschliefen.

Feiernde Menschen sind mir bis heute ein vertrautes, gerne gehörtes Geräusch. Auch mein schier unermüdliches Sitzfleisch auf Festen jeder Art hat seinen Ursprung hier, da bin ich sicher.

Wenn es regnete, stellten wir Kinder drinnen alles auf den Kopf. Abends wurde oft gemeinsam gelesen oder vorgelesen. Traumfesserchen, Na warte, sagte Schwarte, Wo die wilden Kerle wohnen, Maulwurf Grabowski, Die kleine Raupe Nimmersatt und so weiter. Wer in dieser Zeit Kind war oder Kinder hatte, wird diese wunderbaren Bücher noch kennen.

Fernsehen kam allenfalls an Wintertagen vor, an denen meine Schwester Susanne und ich eine halbe Stunde die „Sesamstraße“ oder die „Sendung mit der Maus“ schauen durften. An dem einen oder anderen verregneten Sonntag ausnahmsweise auch mal einen Film wie „Der Dieb von Bagdad“. Erwähnenswert finde ich dies aus zwei Gründen: Zum einen war das viele Draußensein prägend. Ich verbringe bis heute so viel Zeit wie möglich vor der Tür, mache Wander- oder Fahrradurlaub und ausgedehnte Spaziergänge mit dem Textbuch am Rheinufer oder im Wald um die Ecke. Die meisten meiner Arbeitstage verbringe ich mit meinem Laptop am Gartentisch, den ich wie gesagt selbst im Winter oft über Stunden zu meinem Arbeitsplatz mache. Ich sitze dann im Schneeanzug so lange dort, bis ich wirklich zu sehr friere.

Zum anderen, weil die mangelnde Fernsehbegeisterung meiner Eltern mein bald kommendes Engagement bei der Lindenstraße als das zeigt, was es war: ein ungeplanter, unverhoffter und immer wieder kritisch hinterfragter Zufall.

1984, ein Jahr, nachdem die folgenschweren Fotos im Park gemacht worden waren, wurde ich auf einer katholischen Grundschule eingeschult – und das, obwohl ich nicht getauft war. An den wöchentlichen Kirchenbesuchen musste ich trotzdem teilnehmen. Und so saß ich dann gemeinsam mit zwei türkischen Kindern etwas ratlos auf einer hinteren Kirchenbank, während die anderen Kinder Gottes Segen am Altar in Form von Esspapier vertilgen durften.

Sonst machte ich mich gut in der Schule. Meinem Namens­paten entsprechend war ich zwar frech, aber aufgeweckt und interessiert. Schule machte mir Spaß. Und das Glück wollte es, dass ich auch noch eine besonders engagierte und freundliche Lehrerin hatte.

Das erste Schuljahr war gleichzeitig das letzte Jahr völlig normalen Lebens für mich. Denn bereits zu Beginn des zweiten begannen die Dreharbeiten zur Lindenstraße.

Kapitel 2 Gefunden

Bis heute ist es vielen Zuschauern ein Rätsel, warum die Lindenstraße in Köln gedreht wurde, obwohl sie doch in München spielte. Gerne würde ich ja glauben, dass es daran lag, dass ich als Klausi so unglaublich gut passte. Dass die ganze Lindenstraße meinetwegen nach Köln umziehen musste. Aber so war es natürlich nicht – vielmehr hätte um ein Haar ein anderer Junge mein Leben geführt.

Denn die Lindenstraße sollte ursprünglich tatsächlich in München gedreht werden. Hans Geißendörfer hatte sie dort entwickelt, in der Stadt, in der er seit Jahren wohnte und arbeitete, die er kannte und liebte. Sie sollte gemeinsam mit dem Bayerischen Rundfunk produziert werden. Die ersten Bücher wurden entwickelt, die Figuren erfunden, einige Schauspieler wurden ins Auge gefasst. Irgendwann, kurz bevor es richtig ernst wurde, bekam jemand beim BR kalte Füße und blies das Ganze ab. Das hätte fast das Aus für die Lindenstraße bedeutet, die damals noch nicht einmal so hieß. Gunther Witte, der damalige Fernsehspielchef des WDR, holte die Serie zum WDR, nachdem der BR abgesagt hatte. Der Mann übrigens, der den Tatort ins Leben rief. Von ihm stammte dann auch der Name Lindenstraße.

Dass die Serie in München spielte, war aufgrund der fortgeschrittenen Vorbereitungen der Geschichten und der bereits entwickelten Figuren, die auf München zugeschnitten waren, nicht mehr zu ändern. Weil der WDR aber die Aufgabe hatte, in Nordrhein-Westfalen zu produzieren und nicht in Bayern, zog die fiktive Straße, die fortan Lindenstraße heißen sollte, nach Köln. Mit Konsequenzen. Neben dem bereits erwähnten Gunther Witte kamen noch andere Mitarbeiter aus Köln und aus dem WDR ins Lindenstraßen­boot, die das Produkt Lindenstraße maßgeblich mit entwickelten und nachhaltig prägten. Außerdem wurden aus logistischen und kostentechnischen Gründen nicht so viele Schauspieler aus Bayern verpflichtet wie ursprünglich vorgesehen. So viele Menschen immer anreisen zu lassen, das kam einfach nicht infrage. Vielleicht war auch ein Förder­institut beteiligt. Die sorgen mit Auflagen dafür, dass bestimmte Gelder auch im entsprechenden Bundesland ausgegeben werden.

Der Familie Beimer wurde daher ein Vorleben in Bochum angedichtet, das erklären soll, warum sie kein Bayerisch reden. Sowohl Marie-Luise Marjan als auch Joachim Hermann Luger stammen aus dem Ruhrgebiet.

Ich würde behaupten, wenn die Lindenstraße nicht nach Köln hätte umziehen müssen, wären sicher 80 Prozent ihrer Bewohner mit anderen Schauspielern besetzt worden. Nicht nur Klausi, sondern die ganze Lindenstraße hätte ein vollkommen anderes Gesicht bekommen, im wahrsten Sinne des Wortes. So aber sollte ein Schnappschuss aus dem Park mein ganzes Leben auf den Kopf stellen.

Die erste Anfrage kam im Frühjahr 1985. Meine Eltern erhielten einen Anruf, in dem ihnen mitgeteilt wurde, dass für eine neue TV-Serie ein Junge in meinem Alter gesucht würde. So ganz war das nicht ihr Ding. Das eigene Kind soll im TV herumhüpfen? Nein. Sicher nicht.

Allerdings hatte Hans Geißendörfer damals bereits mehrere deutsche Filmpreise gewonnen und war just 1985 für den Film „Die gläserne Zelle“ für den Oscar nominiert gewesen. Er war somit ein sehr bekannter und anerkannter Autorenfilmer. Es musste sich also bei dieser neuen TV-Serie zumindest um ein seriöses Format handeln.

Zum Casting gingen wir trotzdem nicht. Ein Freund feierte am gleichen Tag seinen Kindergeburtstag, und das schien uns, beziehungsweise meinen Eltern, wichtiger als eine „Pumuckl-Party“ mit Hunderten Kindern, aus denen dann der Junge für besagte neue Serie ausgesucht werden sollte.

Und tatsächlich wurde ein potenzieller Klausi gefunden. Die Eltern des Jungen, der an diesem Tag gecastet worden war, sagten dann allerdings wieder ab. Interessanterweise kannte ich ihn sogar. Wir haben als Kinder oft miteinander gespielt. Man sagt nicht ohne Grund, Köln sei ein Dorf. Dass er Klausi hätte werden sollen, habe ich aber erst Jahre später erfahren. Das Ergebnis blieb das gleiche. Kein Junge gefunden.

Allerdings hatte die Fotografin zwei Jahre zuvor im Park offensichtlich einen guten Job gemacht. Aufgrund der Bilder nahm man mich in die engere Auswahl, und es folgte ein zweiter Anruf bei meinen Eltern, bei dem sie sich überzeugen ließen.

„Moremännchen, hättest du Lust, im Fernsehen mitzuspielen? Als Schauspieler?“, fragten sie mich, während ich mit Kreide den grünen Teppichboden unseres Kinderzimmers in eine Straßenlandschaft für meine Matchbox-Autos verwandelte. Ich fand die Idee offenbar top, denn wir fuhren zu einem Casting nach Köln-Bocklemünd in das Studio der Lindenstraße.

Nach unserer Ankunft wurde erst einmal eine Weile gespielt, mit Bauklötzen oder Ähnlichem. Erst danach begegnete ich Mutter Beimer. Im Vorfeld hatte ich einen Text für eine Szene mit ihr erhalten, den meine echte Mutter mit mir einstudiert hatte und die nun, nach einem kurzen Kennenlernen, gespielt werden sollte. Was ich da noch nicht wusste: Tatsächlich handelte es sich nur um eine Ersatz-Mutter Beimer. Denn Marie-Luise Marjan war zwar schon verpflichtet, stand allerdings zeitlich just zu diesem Termin noch nicht zur Verfügung, und so wurde eine andere Schauspielerin für das Casting gebucht. Ich soll durchaus verwundert gewesen sein, als ich später Marie-Luise kennenlernte.

Um zu sehen, inwieweit ich Änderungen und Anweisungen umsetzen konnte, wurde dann ein wenig an mir heruminszeniert. Das alles machte mir großen Spaß. Die Lust auf das Schauspielen ist bei Kindern mindestens ebenso wichtig wie ein gewisses Maß an Talent. Ich würde sogar sagen, sie ist noch wichtiger. Kinder, die fremdeln oder Angst haben, vor anderen Menschen zu agieren, sind am Set oder auf der Bühne nicht nur fehl am Platz, es wäre für sie sicher sogar schädlich, ihrer Furcht regelmäßig ausgesetzt zu sein. Also werden stets Kinder ausgesucht, die von Natur aus frech, aufgeweckt und zumeist auch laut sind. Genauso war ich.

Die Entscheidung, dass ich die Rolle bekommen sollte, fiel dann einige Tage später. Bevor meine Eltern zusagten, sprachen sie mit mir darüber. Fast schon Mantra-artig wiederholten sie dabei, dass ich nichts, aber auch gar nichts machen müsste. Ich könnte jederzeit Nein sagen, zu allem, und auch insgesamt. Und das blieb auch später so. Ich glaube, dass ich vor allem deswegen in all den Jahren als TV-Kind nie die Lust verlor, zu drehen. Ich war mir stets im Klaren darüber, dass ich bei der Lindenstraße mitspielen durfte, es aber nicht musste. Eigentlich sollte ein solch verantwortungsvolles Verhalten gegenüber Kindern selbstverständlich sein, es halten sich aber bei Weitem nicht alle Produktionen und auch nicht alle Eltern daran.

Bevor es dann losgehen konnte, musste ich erst noch vertraglich verpflichtet werden. Wie viele Tage oder Folgen sollte ich dabei sein? Welche Gage gab es? Welche Rechte musste ich abtreten? All dies musste geregelt sein. Und da ich mit meinen sieben Jahren noch nicht geschäftsfähig war, wurde der Vertrag selbstverständlich mit meinen Eltern für mich geschlossen.

„Kaufen Sie sich von der Gage Ihres Jungen aber bitte keinen Pelzmantel“, soll Hans Geißendörfer in diesen ersten Verhandlungen zu meiner Mutter gesagt haben.

Sie war darüber so erbost, dass das Projekt Moritz-Goes-Lindenstraße daran fast gescheitert wäre. Am Ende jedoch ging das Gespräch gut aus.

Alle Hürden waren damit aber noch nicht genommen: Die Mitwirkung als Schauspieler an einem kommerziellen Projekt gilt nämlich als Beschäftigung, und das Amt für Arbeitsschutz hat da sehr strikte Regeln für Kinder. Es mag auf den ersten Blick etwas komisch anmuten, das Schauspielern als Kinderarbeit zu sehen, immerhin spielen Tausende Kinder in Theatergruppen und stehen als Hobby auf der Bühne. Allerdings ist ein Set oder eine professionelle Theaterbühne schon etwas anderes. Hier entwickelt sich schnell eine Dynamik, die dem Kindeswohl abträglich sein kann: Hektik, lange Zeiten, Stress. Erlaubt sind daher nur wenige Tage Arbeit im Jahr und an diesen Tagen nur wenige Stunden. Es muss einen separierten, altersgerechten Rückzugsort und klare Pausen geben. Und ab einer bestimmten Anzahl von Arbeitstagen, ich meine damals wie heute ab mehr als dreißig pro Jahr, muss zusätzlich eine professionelle Betreuung zur Verfügung gestellt werden. Spezielle Medienpädagogen prüfen, ob diese Bedingungen erfüllt werden. Am Set der Lindenstraße war das bereits geregelt, allerdings mussten noch diverse Genehmigungen her. Neben meinen Eltern mussten auch meine Schule und das Jugendamt zustimmen. Erst als das geschehen war, durfte ich Klausi werden.

Meine Eltern haben sich die Entscheidung nicht leicht gemacht. Sie hätten sicher nicht zugestimmt, wenn sie geahnt hätten, welchen Bekanntheitsgrad ich einige Monate später von einem Tag auf den anderen erreichen würde. Der riesige Erfolg der Serie war jedoch nicht abzusehen. Außer Hans Geißendörfer glaubte niemand so richtig daran, dass die Lindenstraße länger als ein Jahr laufen würde.

Er aber war dafür umso überzeugter: „Der Klaus wird noch seine erste Freundin in der Lindenstraße haben“, prophezeite er. In seiner Vision sollte die Serie ein so fundamentaler Bestandteil der Fernsehwelt werden wie ihr britisches Vorbild „Coronation Street“, die damals bereits seit fünfundzwanzig Jahren erfolgreich über die englischen Fernseher flimmerte. Zehn Jahre später sollte er recht behalten haben: Als ich Mitte der Neunziger in den Drehbüchern las, dass Klaus seine Julia kennenlernen würde, sprach ich Hans auf seine alte Prophezeiung an und fragte ihn frech: „War’s das jetzt, hören wir auf mit der Lindenstraße?“ Doch der legte nach: Klaus sollte in der Lindenstraße noch Enkelkinder bekommen.

Mit dieser Vorhersage behielt er letztlich leider nur recht, wenn man ganz großzügig denkt und das Enkelkind von Klaus’ Ex-Frau Iffi Zenker als seinen Stiefenkel gelten lässt.

All das konnten meine Eltern im Jahr 1985 jedoch nicht ahnen. Ich werde oft gefragt, ob sie denn keine Angst um mich hatten. Hatten sie nicht. Es gab keinen Anlass dazu. Dass mich die Lindenstraße über Nacht zu einem der bekanntesten Gesichter des Landes machen würde, damit hatte, wie gesagt, niemand gerechnet. Und was die Arbeitszeiten angeht, gab es ebenfalls keine Bedenken. Geplant waren im ersten Jahr gerade einmal dreißig Nachmittage mit mir. Ich sollte in etwa alle ein bis zwei Wochen einige Stunden vor Ort sein. Das schien ihnen nicht viel zu sein. Solange ich mich dort wohlfühlte und Spaß an der Sache hätte, sahen sie in meiner Drehtätigkeit kein Problem. So ein Jahr würde schließlich schnell rumgehen. Außerdem war die Atmosphäre beim Casting und in den Gesprächen mit den Verantwortlichen vertrauenserweckend genug gewesen. Also hieß es eines Tages dann endgültig: „Okay, wir versuchen es. Mal sehen, ob du Spaß daran findest, dieser Klausi zu sein.“

Mein erster Drehtag war ein verregneter Herbsttag im September 1985. Wir starteten mit einer Massenszene, bei der viele Schauspieler gleichzeitig vor der Kamera stehen, auf einer Wiese vor einer Kirche. Das war gleich schon etwas Besonderes, denn Außendrehs jenseits der Straßenkulisse in Köln-Bocklemünd (dem berühmten Straßenzug) waren selten. Sie sind verhältnismäßig teuer und aufwendig. Das Equipment muss ausgeliehen und verladen werden, was viel Arbeitszeit kostet. Daher wurden damals alle Außendrehs des Jahres am Anfang des Produktionsjahres gemacht.

Im ersten Jahr der Lindenstraße sollten zwei Hochzeiten stattfinden, die uns also zu Beginn der Drehzeit vom Studio­gelände herunterzwangen. Die von Berta und Gottlieb Griese und die von Elfi und Siggi Kornmeier.

Jeder, der mal ein Festival oder Sommerfest besucht hat, das im Regen endete, weiß, was viele Menschen mit einer nassen Wiese anstellen. Innerhalb kürzester Zeit verschwand das Gras, und zurück blieb ein knöcheltiefer brauner Brei aus Wasser, Dreck und Pflanzenresten. Da standen wir also gemeinsam mit schmutzigen Schuhen und einigen Regenschirmen bewaffnet vor einer der kleinen Kirchen in der Nähe von Köln und warteten darauf, dass die Technik den Startschuss zum Dreh gab. Im Grunde lernten wir uns alle in einer Schlammsuhle kennen.

Für mich als Kind war es ein denkbar langweiliger Tag. Nachdem wir endlich in die Kirche durften, hieß es wieder warten, warten und nichts als warten. Als dann endlich gedreht wurde, passierte auch nichts Spannendes: Als Familie Beimer waren wir nur Gäste auf diesen Hochzeiten und hatten nichts weiter zu tun, als herumzusitzen und nett aus der Wäsche zu gucken. Während meines ganzen Schauspielerlebens fand ich Szenen mit vielen Kollegen, bei denen man selbst nichts zu tun hatte, als einfach anwesend zu sein, mit Abstand das Langatmigste, was am Set vorkommen konnte. So lernte ich gleich am ersten Tag die vielleicht wichtigste Tugend des Schauspielerdaseins: Geduld. Anthony Hopkins soll mal gesagt haben, wir Schauspieler würden fürs Warten bezahlt, arbeiten täten wir umsonst. Da ist durchaus etwas Wahres dran.

Allerdings lernte ich an diesem ersten Tag eher, dass ich Geduld bräuchte, und nicht, wie