Ich weiß auch nicht, wie die Christbaumkugel da hinkommt - Adam Kay - E-Book

Ich weiß auch nicht, wie die Christbaumkugel da hinkommt E-Book

Adam Kay

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Beschreibung

Ho, ho, ho, aus dem Krankenhaus da komm ich her, ich muss euch sagen, es weihnachtet sehr ... Nach dem fulminanten Erfolg seines ersten Buches in Großbritannien blättert der Bestsellerautor und ehemalige Assistenzarzt Adam Kay erneut in seinem Tagebuch zurück, um einen urkomischen, schrecklichen und manchmal herzzerreißenden Blick hinter den blauen Krankenhausvorhang in der Weihnachtszeit zu werfen, wo nicht nur Babys zur Welt gebracht, sondern zuweilen auch Christbaumkugeln von den sonderbarsten Orten entfernt werden müssen. Manchmal ist ein Patient auch mit plötzlichen Allergien konfrontiert, wenn er vor lauter weihnachtlicher Liebeseuphorie Erdnussbutter für Sexspielchen zweckentfremdet, oder dehydriert, nachdem er sich aus Spaß an der Freude über und über mit Alufolie eingewickelt hat. Ein witziges und mitreißendes Geschenkbuch zur schönsten Zeit des Jahres für alle Festtagsarbeiter oder zur Lektüre unter dem Weihnachtsbaum.

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Seitenzahl: 159

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Das Buch

Nach seinem fulminanten Debüt trainiert Adam Kay zum zweiten Mal die Lachmuskeln seiner Leser und Leserinnen. Erneut gewährt uns der preisgekrönte Comedian einen urkomischen, schrecklichen und manchmal herzzerreißenden Blick in seinen Alltag als Assistenzarzt – während der Weihnachtszeit! Dort müssen nicht nur Schnittwunden versorgt und Zugänge gelegt, sondern auch skurrile Körperexperimente und Sexunfälle kuriert werden. Mit diesem Werk kann Weihnachten kommen: Ho, ho, ho, Merry Christmas!

Der Autor

Adam Kay ist ein preisgekrönter Comedian und Bestsellerautor. Er schreibt für Film und Fernsehen. Davor hat er viele Jahre lang als Assistenzarzt gearbeitet. Nach seinem Megabestseller Jetzt tut es gleich ein bisschen weh in Großbritannien folgt nun sein zweites Buch.

Adam Kay

Ich weiß auch nicht,

wie die Christbaumkugel

da hinkommt

Weihnachtliche Aufzeichnungen

eines Assistenzarztes

Aus dem Englischen übersetzt von René Stein

Die Originalausgabe erschien 2019 unter dem Titel Twas the Nightshift Before Christmas bei Picador, einem Imprint von Pan Macmillan, The Smithson, 6 Briset Street, London, EC1M 5NR.

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Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.

Deutsche Erstausgabe Oktober 2020

Copyright © 2020 by Wilhelm Goldmann Verlag, München,

in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH,

Neumarkter Straße 28, 81673 München

Copyright der Originalausgabe © 2019 by Adam Kay

Umschlaggestaltung: UNO Werbeagentur, München,

unter Verwendung eines Motivs von © FinePic®

Illustrationen: © 2019 by Steph von Reiswitz

Lektorat: Dr. Marion Preuß

MP • Herstellung: kw

Satz: KompetenzCenter, Mönchengladbach

ISBN: 978-3-641-26602-8V001

www.goldmann-verlag.de

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Für meine Eltern

(Das Buch ist nicht wirklich meinen Eltern gewidmet, aber weiter lesen sie sowieso nicht, und es reicht wahrscheinlich, um wieder ins Testament aufgenommen zu werden.)

Meinem Verleger ist nach wie vor sehr daran gelegen, dass weder der Verlag noch ich aufgrund meiner Bücher ins Gefängnis müssen. Um das zu gewährleisten, wurden alle Namen und Daten sowie persönliche und klinische Angaben geändert. In meinem letzten Buch habe ich alle Klarnamen durch unbedeutendere Harry-Potter-Charaktere ersetzt. Das werde ich nicht noch einmal tun.1

1 Diesmal stammen sie samt und sonders aus der Serie Home Alone.

Inhalt

Einführung

Erstes Weihnachten

Zweites Weihnachten

Drittes Weihnachten

Viertes Weihnachten

Fünftes Weihnachten

Sechstes Weihnachten

Ein letztes Weihnachten

Alternative Weihnachtsbotschaft

Danksagungen

Einführung

Weihnachten ist diese nach Kiefernnadeln duftende, mit Christbaumlametta verzierte Auszeit, in der – ob es gefällt oder nicht – alles einfach stillsteht … Es ist eine vorübergehende Apokalypse, in dem alltägliche Gesetzmäßigkeiten durch einen Fiebertraum aus Freude und Wohlwollen ersetzt werden. Und da geht der Alltag für eine Woche, die sich unendlich lang zu ziehen scheint, dahin, und wird durch seltsame zwanghafte Rituale ersetzt.

Du bist gezwungen, Gesellschaftsspiele mit blutsverwandten Fremdlingen zu spielen, die du den Rest des Jahres zu meiden versuchst. Du stopfst Lebensmittel in dich rein, als wäre es ein Wettkampf, bei dem dich jedes Kilo Fleisch oder Käse eine Runde weiterbringt. Und um der stetig größer werdenden Belastung Herr zu werden, die so viel Freizeit mit Verwandten ersten Grades mit sich bringt, wird aus dem Flirt mit dem Alkohol eine sadomasochistische Beziehung.

Es ist eine bizarre Version des wirklichen Lebens, eine alternative Realität. Fröhlichkeit wird zur obersten Pflicht erhoben und ist anscheinend nur durch eine Kombination aus Scharaden, Sodbrennen, ständiger Impulskontrolle und Wundliegen auf dem Sofa zu erreichen. Und das alles wird ermöglicht, weil man – dank der Geburt eines kleinen Babys namens Jesus – nicht mehr zur Arbeit gehen muss. Nun, zumindest die meisten von euch müssen das nicht.

Die erste Frontreihe des National Health Service (NHS) ist leider nicht zu Jesus’ »All you can eat«-Geburtstagsparty eingeladen. Für das medizinische Personal auf der ganzen Welt gilt: Weihnachten ist ein Tag wie jeder andere.

Die Weihnachtszeit kommt nur einmal im Jahr und bringt mehr – danke dafür – als nur die standardmäßigen Krankenhausdramen mit sich. Festlich bedingte Hitzewallungen und Lungenentzündungen beschäftigen die Pulmologen, während Noroviren und Lebensmittelvergiftungen die saisonalen Topstars bei den Gastroenterologen sind. Endokrinologen holen Patienten aus dem hyperglykämischen Koma wieder ins Leben zurück, das von zu viel Mince Pie herrührt, und die orthopädischen Stationen ächzen unter den älteren Patienten, die auf Glatteis wie Jenga-Türme umgekippt sind und sich dabei die Hüfte gebrochen haben.

In Notfallambulanzen geht es dichter gedrängt als auf Truthahnfarmen zu: hier blaue Augen von den Korken leichtsinnig geöffneter Champagnerflaschen, dort fleischige, von heißen Backblechen verbrannte Unterarme. Dazu Kinder mit Gehirnerschütterungen, die sich in der Carrerabahn-Verpackung die Treppe hinuntergestürzt haben. Ganz zu schweigen von den Stromschlägen durch Lichterketten, Truthahnknöchelchen in Luftröhren, abgetrennten Fingern durch unvorsichtiges Gemüseschneiden. Die Fälle von Trunkenheit am Steuer gehen buchstäblich durch die Decke.

Und dann ist da natürlich noch das Blutbad, wenn bei den Familien der kritische Punkt erreicht ist, normalerweise zwischen der Ansprache der Königin und den Late-Night-Shows. Unter dem Einfluss der Weihnachtsgeister und Mistelzweige bahnt sich in den Wohnzimmern des ganzen Landes das Verbrechen seinen Weg, und immer noch klebrige Schneidemesser werden in den Oberschenkel des rassistischen Onkels gerammt.

Den größten Teil meiner medizinischen Laufbahn habe ich in der Geburtshilfe und Gynäkologie verbracht. Berufstätige Mütter haben nicht wirklich die Möglichkeit, ein paar Tage zu Hause zu bleiben und abzuwarten, ob »sich das Problem von selbst löst«; und vom Eierlikör beflügelt gibt es in der Gynäkologie einen deutlichen Anstieg von Fällen, bei denen Gegenstände in irgendwelchen Körperöffnungen feststecken und partout nicht die Rückreise antreten wollen.

Und dann sind da noch die herzzerreißenden Szenen wie »Oma-Dumping« und so Zeug. Ein Spleen gerade bürgerlicher Familien, die die älteren oder gebrechlichen Verwandten mit einer vagen, vorgegaukelten medizinischen Beschwerde an Heiligabend im Krankenhaus abgeben, damit die Treulosen ordentlich feiern können und sich nicht um die Pflege ihrer Eltern kümmern müssen.

Das Ganze wird von Werbung der Kaufhauskette John Lewis, völlig übertriebenen Instagram-Fotos und diesem schrecklichen Song Wonderful Christmas Time von Paul McCartney, der darauf besteht, dass man einfach eine wunderbare Weihnachtszeit genießen soll, auf die Spitze getrieben. Viele Patienten haben an dieser Jahreszeit schwer zu knabbern und müssen sich in die Obhut unserer geradezu schändlich unterfinanzierten psychosozialen Dienste begeben. Und natürlich gibt es nie einen halbwegs guten Zeitpunkt, einen geliebten Menschen zu verlieren, aber die Trauer fällt während der besinnlichen Tage umso größer aus, so umgeben und erdrückt von all der Freude weltweit.

Die jährliche Krise im Gesundheitssystem während der Wintermonate macht jedes Jahr zu Recht Schlagzeilen, aber während der Weihnachtstage drücken die Medien – sie wollen dir nicht in deinen Baileys oder Glühwein pissen – ein Auge zu, sondern füttern uns mit Wohlfühlgeschichten über einen Eisbären, der eine Vorwärtsrolle gemacht hat, oder über ein Kleinkind aus königlichem Hause, das in pelzbesetzter Couture zur Kirche trottet. Aber so, wie dich die über die Augen gehaltenen Hände nicht unsichtbar machen, verschwinden die Patienten nicht einfach, und die Rettungswagen reihen sich immer noch vor den Notfallaufnahmen auf wie die Lastwagen an den Fährterminals von Calais. Und auch die Mitarbeiter sind noch da, sie stellen ihre Berufung über einen besinnlichen Urlaub. Es gibt kein Personal, das einspringen kann, keine Armee an Samaritern, die den Beschäftigten in den Gesundheitsberufen eine kleine Auszeit gönnen. Stattdessen teilen sich die 1,4 Millionen Beschäftigten im NHS die Aufgabe und schieben teils absurd unsoziale Schichtdienste, um sicherzustellen, dass der Rest von uns es in einem Stück bis zum Jahreswechsel schafft.

Von den sieben Weihnachten, an denen ich als Arzt praktizierte, landete ich sechs Mal auf Station. Dafür gab es einige Gründe, die sich zu einem perfekten Schneesturm entwickelten. Zuerst einmal dachte jeder, ich sei jüdisch; also nahm man an, dass es mir nichts ausmachen würde, am für die Juden wohl unwichtigsten Tag des Jahres zu arbeiten. Der Fairness halber gegenüber denjenigen, die dachten, ich sei ein Jude – ich war jüdisch, okay, ich bin es immer noch, aber mit Betonung auf dem »isch«. Ich gehöre zu jener Sorte Juden, die einen Weihnachtsbaum aufstellt, die Synagoge nicht von innen kennt und beim Verfassen dieser Zeilen tatsächlich die korrekte Schreibweise von »Synagoge« googeln musste. Oh, und ich glaube nicht an Gott, so wie die meisten unter den eher gewissenhafteren Ärzten. Und dennoch: Soweit es meine Kollegen betraf, war ich für sie sicherlich jüdisch genug, um gerne den jährlichen vierundzwanzigstündigen Fernseh- und Fressmarathon für das Wohl der Allgemeinheit zu opfern.2

Hinzu kommt, dass ich kinderlos war – und immer noch keine Kinder habe. Da Weihnachten eine Zeit für Kinder und all das ist, rücken Ärzte mit jungen Familien an die Spitze der Nordmanntannenpyramide auf und bekommen den Tag frei. Ich gönne es ihnen, aber für eine Weile dachte ich darüber nach, mir praktischerweise eine imaginäre Nachkommenschaft zuzulegen. Die undankbaren Mühen einer tatsächlichen Elternschaft wären wahrscheinlich ein extrem teures, stressiges und ineffizientes Mittel gewesen, ein paar Tage freizubekommen, nur um dann an ebenjenen Tagen genau wie alle andere Rosenkohlröschen zu essen.

Aufgrund der peripatetischen Ausbildung von Assistenzärzten musste ich jedes Jahr zu Weihnachten in einem anderen Krankenhaus arbeiten; ich konnte also nicht wirklich »Foul!« schreien und mich beschweren, dass ich bereits im letzten Jahr Dienst geschoben hatte. Das wäre, als würde man sich weigern, in der Kneipe eine Runde zu spendieren, weil man ja letzte Woche schon eine Runde für einen ganz anderen Freundeskreis in einem achtzig Kilometer entfernten Pub geschmissen hat.

Vielleicht hätte ich mehr Glück gehabt, wenn ich selbst den Dienstplan erstellt hätte – diejenigen, die dafür zuständig waren, teilten sich immer für verdächtig angenehme Schichten ein. Aber farbige Tabellenkalkulationen waren nie meine Stärke, und der Preis, den die Organisatoren für dieses Privileg zahlten, schien die Mühe nicht wert zu sein. Ich zog es vor, meine ohnehin schon knappe Freizeit mit meinem Partner zu verbringen, und sie nicht mit wütenden Anrufen von angefressenen Kollegen sowie #WERT!-Fehlern in der Excelliste zu vergeuden. Selbst wenn es gelingt, den Tagdienst an Heiligabend zu vermeiden, endest du ziemlich sicher in der Nachtschicht oder es erwischt dich am ersten oder zweiten Weihnachtsfeiertag beziehungsweise an Silvester. Krankenhäuser versuchen stets, das Ärztepersonal an Weihnachten auf das absolute Minimum zu reduzieren, um die Versorgung gerade noch zu gewährleisten; aber das »absolute Minimum«, das im Allgemeinen das beste Szenario an einem normalen Tag darstellt, lässt nur schwerlich einen Unterschied erkennen.

Letztendlich sieht es wie folgt aus: Die scheiß Schichten müssen irgendwie besetzt werden, und niemand kommt jemals ganz um sie herum. Die Chance darauf, dass ein Assistenzarzt die ganze Woche zu Weihnachten frei bekommt, ist in etwa so hoch, als ob er genug Geld hätte, um auf Mustique am Pool von Bernie Ecclestone Wodka Stinger zu schlürfen. Oder Jeremy Hunt.

Nun folgen also die Tagebucheinträge von meinen Diensten zu Weihnachten auf Station. Ich habe Babys und Christbaumkugeln dazu verholfen, von den Stellen wegzukommen, an denen sie feststeckten.3 Aber es war nicht alles schlecht. Wenigstens hatte ich eine Ausrede, um nicht unnötig viel Zeit mit meiner Familie verbringen zu müssen.

2 Irgendwie ging meine Zugehörigkeit zum jüdischen Glauben leider nicht so weit, dass ich jeden Samstag freibekommen habe. Soll mir noch einer was über religiöse Verfolgung erzählen!

3 In meinem ersten Buch Jetzt tut es gleich ein bisschen weh lauteten die häufigsten Gründe dafür, einzelne Passagen wegzulassen, entweder »zu ekelhaft« oder »zu weihnachtlich«. Mit diesem Titel leiste ich Abbitte und Wiedergutmachung.

Erstes Weihnachten

Dies Fest hat ich Dienst in der Urologie,

oh himmlischer Glanz,

und Kerl um Kerl machte seltsam’ Scheiß

mit seinem Schwanz.

Montag, 20. Dezember 2004

Die Patienten haben zu dieser Jahreszeit meist ziemlich viele Karten auf ihren Nachttischen und Fensterbänken drapiert, die allesamt gute Genesung und ein frohes Fest wünschen.

Patient CG erholt sich gerade von einer Darmresektion, und sein Bereich im Zimmer ähnelt einer Zweigstelle vom Grußkarten- und Giftshop Clintons.

Bei der Visite schneit mein Oberarzt Cliff mit »Da ist aber einer beliebt!« ins Zimmer, eine Millisekunde zu früh, sodass ich mich nicht mehr zu ihm hinüberlehnen und ihm zuflüstern kann: »Die Frau vom jemand Bestimmtem ist gerade gestorben …«4

In dieser Phase bin ich Juniorarzt. Laut Frau B. sind für Spülmagd oder Stalljunge jene Aufgaben vorgesehen, die für andere Mitglieder des Haushalts zu niederträchtig oder schmutzig sind – eine ziemlich treffende Beschreibung für die Rolle eines Juniorarztes. Ihr jährliches Salär lag zwischen £5 und £12 – und wieder: nicht weit entfernt.5

Mittwoch, 22. Dezember 2004

Die Anekdote, die ich im Ärztezimmer zum Besten gebe, ist meines Erachtens ganz große Klasse. Geradezu begeistert berichte ich von einem zwanzigjährigen Mann, dessen halbverrückter Versuch, sich selbst ein Kostüm für seine Weihnachtsfeier zu basteln, in der Notaufnahme landete.6 Die Idee war wirklich genial, aber er hätte sie wohl kaum umgesetzt, wenn ihm zuvor jemand mit einem gesunden Menschenverstand begegnet wäre. Der Patient hatte Arme, Beine, seinen Oberkörper und seinen Kopf Schicht für Schicht mit Alufolie umwickelt, dabei nur Löcher für seine Augen und eines für seinen Mund gelassen. Er ging als Truthahn zu einer Party. Einige Stunden später brach er zusammen. Der Flüssigkeitshaushalt in seinem Körper entsprach dem eines Knäckebrots, er musste stationär aufgenommen und intravenös aufgepäppelt werden.

Enttäuschend ist, dass niemand sich besonders beeindruckt zeigt.7

Frank, einer der Assistenzärzte, kommt mir zu Hilfe und versucht, die Anekdote zu retten: »Hatte er auch zwei Kilo Füllung in seinem Hintern?« Leider nicht. Selbiger Frank kontert mit der Geschichte eines ähnlich »gewickelten« Patienten, den er letztes Jahr behandelt hat und der jeden Zentimeter Oberfläche seiner Haut mit Gaffertape bedeckt hatte. »War aber nicht für eine Party …«, fügt er hinzu.

Ich frage nach dem Grund, erinnere mich aber, warum die meisten Menschen die meisten Dinge tun und mache im zarten Alter von vierundzwanzig Jahren meine erste Begegnung mit der sexuellen Spielart – oder besser Perversion – der Mumifizierung.

In den drei Jahrtausenden hat sich nicht viel verändert, seit der Mumifizierungsprozess von Ramses und seinen Kumpels entwickelt wurde, obwohl die Menschen heutzutage im Bereich der Nase Löcher zum Atmen lassen (und ein drittes etwas größeres Loch auf der Körperrückseite). Dieser Patient allerdings musste die Erfahrung machen, dass Gaffertape als Mumifizierungsmaterial – bei Lebenden! – nur begrenzt Berechtigung hat.

Denn beim recht effizienten Auswickelprozess werden, und das ziemlich gründlich, alle Körperhaare epiliert. Ach, und gleichzeitig wird mann auch noch beschnitten.

Samstag, 25. Dezember 2004

Da wären wir also: Frohe Weihnachten, alle haben Spaß. Zumindest woanders. Ich läute meinen ersten Weihnachtstag auf der Station damit ein, indem ich versuche, einen dauergrinsenden Fernseharzt zu mimen. Aber wenn ein Patient oder Kollege mir ein frohes Weihnachtsfest wünscht, kommt als Antwort jedes Mal nur ein Krächzen.

Ich versuche zu verdrängen, was mir entgeht, und es wie einen normalen Tag zu behandeln, aber alle paar Minuten werde ich aufs Neue erinnert. An jeder Ecke hängt freudlose Weihnachtsdeko, die aussieht, als ob sie jedes Jahr aus der gleichen Kiste entnommen wird (und die schon existiert, seit dieses aufregende neue Fest von Bethlehem seinen Siegeszug angetreten hat). Mein Handy vibriert wegen eingehender lustiger Weihnachts-Textnachrichten, als trüge ich einen defekten Dildo in der Hosentasche spazieren.

Der Weihnachtsmann mag nach seiner langen Nacht die Füße hochlegen, aber sein Kumpel, der Sensenmann, hat niemals frei. Und so sitze ich in einem Nebenraum bei einer verzweifelten Familie und führe »Das Gespräch« über die Mutter/Oma. Sie kennen die Pointe der Geschichte bereits, bevor ich überhaupt ansetzen kann – kein Arzt wird die ganze Familie zusammentrommeln, damit sie sich kurzfristig am Weihnachtstag auf unbequemen Stühlen einfindet, und ihr verkünden, dass sie fünfzig Riesen mit einem Rubbellos gewonnen hat.

Die Großmutter ist den Milliarden E.-coli-Bakterien in ihrem Blutkreislauf unterlegen, und es gibt jetzt nur noch einen Weg, wie das hier zu Ende geht. Ihre Familie hingegen hindert es nicht daran, mich um eine letzte dramatische Wendung zu ersuchen.

»Es muss doch noch etwas geben, was Sie versuchen könnten«, bittet ein verzweifelter Sohn. Nun ja, ehrlich gesagt: Wenn es so wäre, hätte ich es bereits versucht, um solche Diskussionen zu vermeiden, oder? Schlechte Nachrichten sind nie leicht zu verdauen, aber auch nicht einfach zu überbringen. Gezeichnete Gesichter mit traurigen zusammengekniffenen Mündern; die Augen wirken bereits stumpf und resigniert; die Hände zusammengepresst, mit hervortretenden Fingerknöcheln. Einige werden schluchzen, andere werden weinen, wieder andere werden nur apathisch in den Abgrund starren, den ich ihnen eröffnet habe. Hier folgt noch einer.

Mit so viel Ruhe und Professionalität, die ich aufbringen kann, erkläre ich, dass das Organversagen eingesetzt hat und ihr Zustand sich schnell verschlechtert, obwohl sie trotz der Zugänge und Antibiotika, die wir ihr verabreicht haben, immer eine Kämpferin war. Da ihre Augen immer größer werden, teile ich ihnen mit, dass wir die Ärzte von der Intensivstation bereits gebeten haben, ihren Zustand zu überprüfen; sie stimmen zu, dass eine aggressive Behandlungsmethode nicht angebracht wäre, wenn letztendlich keine Aussicht auf Heilung bestünde.

In der Hoffnung, Einfühlungsvermögen durch meine Körpersprache zu vermitteln, lehne ich mich vor und sage, dass sie es möglichst komfortabel haben solle und ihre Würde gewahrt bliebe, mehr könnten wir aber nicht mehr tun. Dabei drücke ich versehentlich auf meine Krawatte.

Es ist eine Krawatte, die zur Jahreszeit passt – ein tiefblauer Nachthimmel mit dem lieben alten Weihnachtsmann auf seinem Schlitten, der ungefähr beim Krawattenknoten situiert ist. Wenn wir die Krawatte hinuntergehen, kommen wir zu Prancer und Dancer und dem Rest der Rentiertruppe, stolz angeführt von Rudolph. Entscheidend aber und ebenso katastrophal ist Rudolphs rote Nase, denn darunter befindet sich ein Knopf, auf dem nun mein Ellbogen lastet. Mit Betätigen des Knopfes wird ein winziger Lautsprecher aktiviert, der eine hektische Version von Jingle Bells wiedergibt.

Ich werde rot wie eine Tomate, entschuldige mich und schlage mir auf den Bauch, womit es mir lediglich gelingt, die verdammte Melodie aufs Neue zu starten. Nach einem halben Dutzend gescheiterter Versuche (die sich wie 15 Jahre anfühlen), die Krawatte zum Schweigen zu bringen, stürze ich aus dem Zimmer und schleudere die Krawatte ins Schwesternzimmer.

Als ich zurück in den Raum gehe und mir Superlative ausmale, mit denen ich meine Entschuldigung ergänzen möchte, wird eine der Töchter von einem unkontrollierbaren Lachkrampf geschüttelt, sogar alle anderen lächeln. Vielleicht gibt es doch einen einfacheren Weg, schlechte Nachrichten zu überbringen.

Es ist 17 Uhr, bevor ich endlich mein Weihnachtsmahl einnehmen kann (gestohlener Toast aus der Stationsküche, serviert mit billigen Süßigkeiten von Quality Streets). Gleichzeitig trifft mich die Erkenntnis, dass ich mich nicht einmal auf mein Zuhause freue – auf mich wartet nur eine leere Wohnung. H8 hat selbst familiäre Angelegenheiten zu klären, und meine eigenen Nächsten und Liebsten leben entweder weiter weg, als mir lieb ist, oder näher, als mir lieb ist. Wie auch immer, die Chancen, dass ich tatsächlich um 20 Uhr hier rauskomme, sind kleiner als der Hodensack eines Salamanders, sodass ich wenigstens nur 90 Minuten am echten Weihnachtstag allein zu Hause herumhocke.