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Beschreibung

In den letzten Jahren sind mehrere Biografien über Carmen Sylva und Neuausgaben ihrer literarischen Werke in Rumänien, Deutschland und Frankreich erschienen, die heute wieder an die einstmals weltweit bekannte Schriftstellerin auf dem Königsthron erinnern. Das wirft Fragen auf nach der Bedeutung von Eigen- und Fremdbildern Königin Elisabeths und wie ihre schriftstellerische Tätigkeit in ihrer Position als Monarchin zu bewerten ist. In diesem Zusammenhang können neuere geschichts- und literaturwissenschaftliche Methoden zu einer Erweiterung der Erkenntnisse hinsichtlich der nationalen und internationalen Wahrnehmung ihrer Stellung, ihres literarischen und politischen Wirkens und ihrer Bedeutung innerhalb der rumänischen Monarchie führen, wobei ein Anliegen dieses Bandes darin besteht, die rumänische Forschung selbst zu Wort kommen zu lassen. Der vorliegende Band vereint mehrere Beiträge aus Rumänien und Deutschland mit mehreren Themenschwerpunkten. Daraus ergeben sich differenzierte Interpretationen hinsichtlich der historischen Person Carmen Sylvas und ihres Wirkens sowie hinsichtlich ihrer kulturpolitischen Bedeutung aus heutiger Sicht.

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ibidem-Verlag, Stuttgart

Inhaltsverzeichnis

„Ich werde noch vieles anbahnen…“ (Einleitung)

I. Carmen Sylva: Leben, Werk, Wirken

Bernd Willscheid: Carmen Sylva und ihre rheinische Heimat

Maria Sass: Die Funktion der Interkulturalität bei Carmen Sylva. Die „Pelesch-Märchen“

Simion Dănilă: Carmen Sylva, die erste Leserin Nietzsches in Rumänien

Horst Schuller, Bianca Bican, Silvia Irina Zimmermann: Carmen Sylva als Übersetzerin aus dem Rumänischen ins Deutsche

Silvia Irina Zimmermann: „Ich aber sollte ein Dichter werden, das war der wahre Beruf“ – Legitimation literarischer Tätigkeit und öffentlicher Auftritt als Schriftstellerin

Ştefania Dinu: Königin Elisabeth und Pierre Loti – eine Seelenfreundschaft

Stephan Puille: Carmen Sylva auf Schallplatten von 1903. Die ersten kommerziellen Tonaufnahmen eines gekrönten Hauptes

Adriana Roşca: Die Wohltätigkeit der Königin Elisabeth

Alexandru Istrate: Das Bild der Königin Elisabeth in rumänischen Quellen

Edda Binder-Iijima: Der Blick von außen: Carmen Sylva in Werken japanischer Schriftsteller

II. Aus Archiven und Bibliotheken

Hans-Jürgen Krüger: Briefe Carmen Sylvas im Fürstlich Wiedischen Archiv in Neuwied

Cristina Reiter-Popescu: Zugang zur Geschichte durch Literatur. Zum Widmungsgedicht von Rainer Maria Rilke an Carmen Sylva (Nationalbibliothek Bukarest)

III. Rezensionen, Bibliografie

Maria Sass: „Der Zauber des fernen Königreichs. Carmen Sylvas Pelesch-Märchen“ von Silvia Irina Zimmermann (2011)

Maria Sass: „Poveştile unei regine“ (Märchen einer Königin, 2012)

Silvia Irina Zimmermann: Neuere Carmen-Sylva-Bibliografie

Carmen Sylvas Leben und Werk (Auswahl):

Schriftenreihe der Forschungsstelle Carmen Sylva Fürstlich Wiedisches Archiv

Impressum

ibidem-Verlag

„Ich werde noch vieles anbahnen…“ (Einleitung)

 

 

In einem der letzten Briefe vor ihrem Tod am 2. März 1916 schildert Königin Elisabeth von Rumänien der Mundartdichterin Lina Sommer ihre Pläne für das nächste Jahr:

 

„Ich denke, ich werde noch vieles anbahnen, Weberei, Seidenzucht und Töpferei in großem Stile. Wenn das auch erst nach meinem Tode ins Leben treten wird, es ist ja einerlei, wenn nur der Weg gezeigt ist.“1

 

Wenn man bedenkt, dass sich die Königin nach dem Tod ihres Gemahls König Carol I. von Rumänien am 10. Oktober 1914 ins Kloster Curtea de Argeş zurückgezogen hatte und dass der Erste Weltkrieg in Europa bereits seit zwei Jahren tobte und nur einige Monate später auch Rumänien erreichen sollte, so verwundert der ausgesprochen zuversichtliche Blick in die Zukunft und der ungebrochene Unternehmungsgeist der Königin in diesem Brief. Blickt man einige Jahrzehnte zurück, als 1869 die junge Prinzessin Elisabeth zu Wied dem Fürsten Carol von Rumänien ihr Jawort gegeben hatte, so fällt auf, dass derselbe Tatendrang und die Vision einer erfüllenden Lebensaufgabe ihre Entscheidung schon damals beeinflusst hatten:

 

„Solange er da war und mir von meiner Aufgabe sprach, und von der Größe der Mission, und von der Schwierigkeit derselben, ging alles gut, ich war von seinem Enthusiasmus angesteckt und gern bereit, alles zu tun, was er von mir verlangte. Denn Arbeit war mir das Höchste auf der Welt, ich konnte gar nicht genug Arbeit bekommen.“2

 

In diesen beiden Selbstaussagen der Königin tritt somit ein unverwüstlicher Schaffensdrang als zentraler Charakterzug in Erscheinung, der bis ins hohe Alter prägend gewesen zu sein scheint und sie ihr Leben lang auszeichnete.

Sieht man sich hingegen die Fremdwahrnehmung genauer an, so fallen zeitgenössische Bewertungen über ihren Tatendrang unterschiedlich aus. Von den Urteilen über Königin Elisabeth, die in veröffentlichter Form vorliegen und sich an eine breite Öffentlichkeit richteten, seien hier nur zwei aus dem Blickwinkel zweier Frauen der jüngeren Generation zitiert, die die Königin mit unterschiedlicher Erwartung und Deutungsabsicht hinsichtlich ihres Charakters und ihres Nachruhms betrachteten.

Am interessantesten ist sicherlich der subjektive Blick der Kronprinzessin und späteren Königin Maria von Rumänien (1875-1938) auf die Königin und Schriftstellerin Carmen Sylva (beziehungsweise „Aunty“, wie sie Elisabeth in ihren Erinnerungen und Aufzeichnungen über die ersten Jahre am Bukarester Hof nannte). Was den Tatendrang und die Wirkung von Königin Elisabeth auf andere Menschen betrifft, so bemerkte die spätere Königin Maria um 1935 in ihren Memoiren:

 

“Tantchen arbeitete immer an irgendeiner großen Unternehmung, einem fantastischen Plan für das Wohl ihrer Leute und der Menschheit. Für sie gab es nichts im Kleinen, alles musste gefährlich überdimensioniert sein. […] aufgrund ihrer ungebremsten Wohltätigkeit allen Menschen gegenüber fiel sie Hochstaplern leicht zum Opfer. […] Sie glaubte, dass alles möglich sei …“3

„Carmen Sylva hatte oft wirklich bemerkenswerte Persönlichkeiten um sich versammelt, Musiker, Dichter, Schriftsteller, Philosophen, Wissenschaftler, Doktoren. In ihrem Salon traf ich viele berühmte Männer und Künstler […] Sie wusste sie zu schätzen und deren Sympathie und Begeisterung zu gewinnen. Sie entflammte deren Phantasie mit schmeichelnden Worten, sie konnte ihnen zuhören und sie mit kluger Wertschätzung überschütten. Wenn sie von ihr gingen, standen sie meistens unter ihrem Bann.“4

Ein zweiter, erwähnenswerter weiblicher Blick auf Königin Elisabeth stammt von Alice Voinescu5, der ersten Universitätsprofessorin in Rumänien und eine auch in Westeuropa anerkannte Wissenschaftlerin, und dies aus einer Zeit, als in Rumänien eine Gelehrtenlaufbahn für eine Frau gesellschaftlich als wenig erstrebenswert und tugendhaft angesehen wurde. Sie ist auch deshalb eine wichtige weibliche Zeitzeugin, weil sie einer intellektuellen Elite in Rumänien angehörte, die dem Königshaus ideell stark verbunden war, obwohl sie keine engen persönlichen Beziehungen zur Königsfamilie besaß. In ihrem Rückblick aus dem Jahr 1943 anlässlich der 100 jährigen Wiederkehr des Geburtstags von Carmen Sylva erzählt Alice Voinescu über ihre einzige persönliche Begegnung mit der Königinwitwe Elisabeth im Dezember 1914:

 

„Der Entschluss der Königinwitwe, sich nach Curtea de Argeş in die Nähe des Grabes ihres Lebenspartners zurückzuziehen, mit dem sie Ideale und Errungenschaften geteilt hatte, war nicht das Zeichen einer resignierten Ermüdung. Ein sicheres Gespür für Werte führte Königin Elisabeth dazu, ihren neuen und gottgegebenen Platz abseits vom Glanz des Thrones und von der Geschäftigkeit des Alltags zu suchen. Curtea de Argeş, wo die Vergangenheit ruhte, war der Ort des Gedenkens an die Ewigkeit. Doch Königin Elisabeth hatte nicht vor, sich das Ende ihrer Mission in trauriger Einsamkeit vorzustellen, sondern inmitten der Jugend, der sie das Geheimnis ihrer eigenen Jugendlichkeit vermachen wollte.

Die Königin beabsichtigte in Curtea de Argeş eine neue königliche Stiftung zu gründen. In der Ruhe der Natur und in der Nähe des heiligen Ortes wollte sie eine Schule für die Töchter der Offiziere und der höheren Staatsbeamten errichten. Ihr Ziel war nicht die Vorbereitung einer neuen Frauengeneration für intellektuelle Berufe, vielmehr hatte sie die Erziehung einer weiblichen Elite zur Erfüllung ihrer wesentlichen und immerwährenden Bestimmung als Mutter, Ehefrau und Erzieherin der Gesellschaft und des Menschen im Blick.

Vor ihrem Auge zeichneten sich Zukunftsvisionen ab, die sie mir in wunderschönen Worten ausmalte. Wir sahen vor uns Reihen von zauberhaften, gesunden und lebensfrohen Mädchen vorbeischreiten: klug, sauber, geistreich und mit fleißigen Händen, mutig im Leben und demütig vor Gott! Die Schule, in der sie aufwuchsen, wuchs mit ihnen mit. Und weitere Schulen sprießen aus dem Boden, und viele weitere mehr, eine Burg voller Schulen, eine Burg der Jugend, in der die Zukunftshoffnung wohnte; eine Burg des Lichtes, durch deren Tore Jahr für Jahr junge Menschen hinausschritten und in das ganze Land Lebens- und Arbeitsfreude brachten mit dem hohen Ziel, eine bessere und wahrhaftig menschlichere Welt zu errichten.

Und während der Plan der schaffenden Königin weiter wuchs und sie alle Einzelheiten mit Herz und Verstand erfasste, wurde die Flamme ihrer Begeisterung immer heller und lebendiger und setzte sich siegreich über alle Hindernisse und Vorbehalte hinweg. Ich folgte dem unbändigen schöpferischen Gedanken mit meinem ganzen Wesen, erstaunt und fasziniert zugleich, bis der klare Blick der Königin endlich auf mir ruhte und mich bis in mein Innerstes durchdrang.

„Ich habe das Gefühl, dass ich in Ihnen gefunden habe, was ich suchte“, sagte sie mir fröhlich und bot mir die Leitung der Mädchenschule an, die sich mit der Zeit zu einer Kette von weiteren Schulen entwickeln sollte.

Die königliche Hand reichte mir ein königliches Geschenk: eine Verantwortung, die ich vielleicht als über meine Kräfte gehend empfand, aber nicht über meinen Glauben. A coeur vaillant rien d’impossible! – so dachte ich damals, so denke ich auch heute. Mit unendlicher Zartheit beseitigte die Königin jeden Gedanken, der mir den Ansporn und das Vertrauen in meine Kräfte stören könnte: „Niemand wird Ihre Arbeit kontrollieren, ich allein werde Ihnen mit Rat zur Seite stehen.” [...] Wie in einem Feenmärchen wurden alle Schwierigkeiten besiegt und die Geschichte kam zu einem glücklichen Ende. [...]

Vorsichtige Berater legten der Königin nahe, keine Unternehmungen in unsicheren Zeiten zu beginnen. Bald danach verließ uns Königin Elisabeth für immer in Curtea de Argeş, ihrem ewigen Ruheort. Die Mädchenschule, die Schulburg blieben ein unerfüllter Traum – ihr letzter Traum. Aber vielleicht schweben die großen unerfüllten Träume schützend über den flüchtigen Errungenschaften der Menschheit?”6

 

Anders als in der nüchternen Beobachtung von Königin Maria, die ihr Verhalten und ihre Sichtweise oftmals in einer Weise darstellte, die sie vorteilhaft von ihrer Vorgängerin auf dem Thron abhob, überrascht hier in der Erinnerung der Universitätsprofessorin Voinescu einerseits der Zauber, den die charismatische Elisabeth selbst im hohen Alter auf die junge Frau ausübte und ihre Bewunderung offenbar nachhaltig prägte, andererseits die anmutige Darstellung der Begegnung, die selbst sich fast wie ein „Feenmärchen“ ausnimmt.

Die Ambivalenz in der Selbst- und Fremdwahrnehmung der ersten Königin von Rumänien, die zum einen durch die Faszination ihrer komplexen, facettenreichen Persönlichkeit und zum andern durch die Widersprüchlichkeit zwischen Wunschtraum und Realität, zwischen Willen und Erreichen der gesetzten Ziele gekennzeichnet ist, wurde in zeitgenössischen und posthumen Veröffentlichungen wiederholt betont. Als nach dem Zweiten Weltkrieg und dem erzwungenen Ende der Monarchie (Dezember 1947) die kommunistische Regierung in Rumänien konsequent eine Auslöschung der Erinnerung an sie und ihre demonstrative Ächtung betrieb, war von dieser damnatio memoriae auch die Erinnerung an die Königin und Schriftstellerin Carmen Sylva betroffen. Erst das Ende der kommunistischen Herrschaft 1989 ermöglichte eine erneute, von ideologischen Vorgaben befreite Beschäftigung mit der Monarchie, den deutsch-rumänischen Beziehungen in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts und in deren Gefolge die Wiederentdeckung von Carmen Sylva. Als Teil dieser Wiederaneignung des monarchischen Erbes der eigenen Geschichte haben seit 1990 mehrere Ausstellungen und Tagungen in Rumänien und in Deutschland über die Epoche Carols I. und die Hohenzollern in Rumänien sowie über die erste Königin Rumäniens aus dem Fürstenhaus Wied stattgefunden, die in Tagungsbänden und Ausstellungskatalogen dokumentiert sind. Des Weiteren sind in den letzten Jahren mehrere Biografien über Carmen Sylva und Neuausgaben ihrer literarischen Werke in Rumänien, Deutschland und Frankreich erschienen, die heute wieder an die einstmals weltweit bekannte königliche Schriftstellerin erinnern. Das wirft Fragen auf nach der Bedeutung von Eigen- und Fremdbildern Königin Elisabeths und wie ihre schriftstellerische Tätigkeit in ihrer Position als Monarchin zu bewerten ist. In diesem Zusammenhang können vielleicht neuere geschichts- und literaturwissenschaftliche Methoden zu einer Erweiterung der Erkenntnisse hinsichtlich der nationalen und internationalen Wahrnehmung ihrer Stellung, ihres literarischen und politischen Wirkens und ihrer Bedeutung innerhalb der rumänischen Monarchie führen, wobei ein Anliegen dieses Bandes darin besteht, die rumänische Forschung selbst zu Wort kommen zu lassen.

Der vorliegende Band vereint unter dem Titel „Carmen Sylva, die Schriftstellerin und erste Königin von Rumänien im Kontext ihrer Zeit“ mehrere Beiträge aus Rumänien und Deutschland mit unterschiedlichen Themenschwerpunkten. Daraus ergeben sich auch differenzierte Interpretationen hinsichtlich der historischen Person und ihres Wirkens, sowie hinsichtlich ihrer kulturpolitischen Bedeutung aus heutiger Sicht.

Der erste Teil des Bandes befasst sich mit Leben, Werk und Wirken Carmen Sylvas und wird eingeleitet von einem Beitrag von Bernd Willscheid über die rheinische Heimat der gebürtigen Prinzessin Elisabeth zu Wied. Wir erfahren hier Näheres über das politisch liberale und für Kultur und Naturwissenschaften aufgeschlossene Fürstenhaus zu Wied, wobei die schweren Krankheits- und Leidenserfahrungen in der Familie Elisabeth während ihrer Kindheit und Jugendzeit deutlich prägten. Auch die späteren Aufenthalte der Königin Elisabeth von Rumänien in Neuwied und deren Bedeutung für die Rheinregion werden behandelt.

Mit der Aufgeschlossenheit Carmen Sylvas gegenüber anderen Kulturen und ihrem Interesse für Kultur und Philosophie ihrer Zeit beschäftigen sich die folgenden Beiträge im Band. Maria Sass thematisiert die interkulturelle Vermittlung Carmen Sylvas anhand ihrer Pelesch-Märchen, während Simion Dănilă (Übersetzer von Werken Nietzsches ins Rumänische) die Nietzsche-Lektüre der Königin untersucht und daraus die Schlussfolgerung zieht, dass sie seine erste Leserin in Rumänien gewesen ist. Carmen Sylva als Übersetzerin aus dem Rumänischen ins Deutsche ist Thema eines Artikels, der für das „Lexikon der Übersetzer aus der rumänischen Literatur“ von Horst Schuller, Bianca Bican und Silvia Irina Zimmermann verfasst wurde. Über die Legitimationsbestrebungen der Königin mit Hilfe ihrer schriftstellerischen Tätigkeit und ihres Auftretens in der Öffentlichkeit in dieser Funktion geht es in dem Beitrag von Silvia Irina Zimmermann. Ştefania Dinu untersucht die literarische Freundschaft der Königin mit dem französischen Schriftsteller Pierre Loti unter dem Aspekt der Seelenverwandtschaft. Eine sicher kaum bekannte Information bietet Stephan Puille in seinem Beitrag über Schallplatten von Carmen Sylva um 1900, in dem er zu dem Ergebnis kommt, dass diese zu den ersten kommerziellen Tonaufnahmen eines gekrönten Hauptes gehören. Auch aus diesem Faktum wird ersichtlich, dass die Königin ein Gespür für öffentlichkeitswirksame Aktionen besaß und technischen Erneuerungen gegenüber aufgeschlossen war.

Der große persönliche Einsatz der Königin im Wohltätigkeitsbereich sowie ihre zahlreichen Initiativen zur Förderung der Erwerbstätigkeit von rumänischen Frauen und von Sehbehinderten sind Thema des Beitrags von Adriana Roşca. Auf diesem Gebiet der sozialen Fürsorge und des Aufbaus eines sozialen Netzes für benachteiligte Gruppen konnte Elisabeth als Königin eine Vorreiterrolle übernehmen, die beispielhaft in die Gesellschaft wirkte.

Mit Aspekten unterschiedlicher Fremdwahrnehmung der Königin Elisabeth von Rumänien im In- und Ausland befassen sich zwei weitere Beiträge des Bandes. Alexandru Istrate untersucht das Bild Elisabeths in älteren und neueren rumänischen Quellen. Einem bisher kaum bekannten, außereuropäischen Blick auf Carmen Sylva geht Edda Binder-Iijima nach, die Aussagen über die rumänische Königin in Werken japanischer Schriftsteller analysiert. Dies kann auch als ein Beleg für den weltweiten Bekanntheitsgrad von Carmen Sylva gelten, wobei es zu interessanten Vergleichen von rumänisch/europäischen und japanischen Beispielen schreibender Monarchen kommt.

Im zweiten Teil des Bandes steht die Vorstellung von Quellendokumenten aus Archiven und Bibliotheken im Mittelpunkt. Eine umfangreiche Übersicht von Briefen Carmen Sylvas aus dem Fürstlich Wiedischen Archiv mit zahlreichen Textausschnitten bietet Hans-Jürgen Krüger. Diese Briefe enthalten teilweise höchst aufschlussreiche und wenig bekannte Aussagen Elisabeths und spiegeln damit ihre nicht immer leicht fassbare Persönlichkeit wider, was zu einem besseren Verständnis ihrer Person beitragen kann. Über die beachtenswerte Wiederentdeckung einer Rilke-Handschrift in der Nationalbibliothek Bukarest, die Carmen Sylva gewidmet ist, im Rahmen eines Schulprojekts in Bukarest geht es schließlich in dem Beitrag von Cristina Reiter-Popescu, die anhand dieses Fundes einige Überlegungen zu einer Interpretation des Rilke-Gedichts anstellt.

Im dritten und letzten Teil des Bandes sind zwei Rezensionen von Neuerscheinungen zu Carmen Sylva in Deutschland und Rumänien sowie eine Übersicht der neueren Carmen-Sylva-Bibliografie enthalten.

Diese kurze Präsentation der Beiträge verdeutlicht das Ziel dieses Bandes, neue Aspekte über die Komplexität der Persönlichkeit der rumänischen Monarchin, die Vielfalt ihrer Tätigkeiten und ihre Wirkung in ihrer Zeit aus unterschiedlichen Perspektiven dem Leser vorzustellen. Grundsätzlich sind die Beiträge von einer positiven Grundeinstellung zu Carmen Sylva gekennzeichnet, was sich vielleicht aus einem großen Nachholbedarf an Informationen über die rumänische Monarchie erklärt, mit der man sich, vor allem auf rumänischer Seite, aus ideologischen Gründen nur sehr einseitig auseinandergesetzt hat, zum andern wohl auch ihren Grund in der Faszination dieser Persönlichkeit hat.

Die Herausgeberinnen haben sich bemüht, bei den Übersetzungen der rumänischen Beiträge möglichst authentisch den Ursprungstext wiederzugeben bei gleichzeitiger Verständlichkeit der Übertragung ins Deutsche. Dabei mussten manchmal Kompromisse gefunden werden, die vielleicht nicht immer beiden Ansprüchen gerecht werden konnten.

Zum Schluss möchten sich die Herausgeberinnen bei allen Mitwirkenden und Unterstützern dieses Buchprojekts herzlich bedanken, insbesondere bei den Autorinnen und Autoren für die gute Zusammenarbeit, bei Kai-Otto Zimmermann für das aufmerksame Korrekturlesen und bei Christian Schön und Valerie Lange vom ibidem-Verlag für die Drucklegung dieses zweiten Bandes der Schriftenreihe der Forschungsstelle Carmen Sylva des Fürstlich Wiedischen Archivs.

 

 

Silvia Irina Zimmermann und Edda Binder-Iijima

 

Mannheim/ Göttingen/ Heidelberg, im Februar 2015

 

1Brief vom 20. Dezember 1915 in: Carmen Sylva. Briefe einer einsamen Königin, herausgegeben von Lina Sommer, München: Braun & Schneider, 1916, S. 97.

2 Carmen Sylva: Mein Penatenwinkel, Frankfurt am Main: Verlag Hermann Minjon, 1908, S. 17.

3 Marie Queen of Roumania: The Story of My Life, London etc.: Cassel, Bd. 2, 1933 (1936), S. 90. Ins Deutsche übersetzt von Silvia I. Zimmermann. Originalzitat: “Aunty was always elaborating some tremendous scheme, some fantastic plan for the welfare of her people, for the good of humanity. She never saw anything small, everything had to have dangerousy huge proportions. […] because of this unstinted charity towards all men she fell an easy prey to impostors. […] She believed all things possible …“

4 Ebd., S. 87. Ins Deutsche übersetzt von Silvia I. Zimmermann. Originalzitat: „Carmen Sylva often gathered really remarkable people about her, musicians, poets, writers, philosophers, scientists, doctors. I have met in her room many celebrated men and artists […] She knew how to appreciate them, how to draw out their sympathy, their enthusiasm. She would fire their imagination with flattering words, she would listen to them breathlessly and shower intelligent appreciation down on their heads. They generally went away completely under their spell.”

5 Alice Voinescu, geborene Steriadi (1883-1961) studierte Philosophie und Philologie in Bukarest und vertiefte ihre Studien in den Jahren 1909 bis 1913 an den Universitäten in Paris, Leipzig, München und Marburg. 1913 erwarb sie als erste Rumänin den Doktorgrad an der Sorbonne in Paris mit einer Arbeit über den Neukantianismus der Marburger Schule. 1915 kehrte sie nach Bukarest zurück, um den Rechtsanwalt Stello Voinescu zu heiraten. Auch verheiratet setzte sie ihre wissenschaftliche Tätigkeit fort und wurde 1922 zur ersten Universitätsprofessorin in Rumänien am Bukarester Conservatorul Regal de Muzică şi Artă Dramatică (Königliches Konservatorium für Musik und Theaterkunst) berufen.

6 Alice Voinescu: Două ceasuri cu Regina Elisabeta a României [6. Dezember 1914] in: Omagiu Carmen Sylvei, 1943, herausgegeben von D. Caracostea, Revista Fundaţiilor Regale, Nr. 12, 1. Dezember 1943, Jg. 10, S. 534-538. Ins Deutsche übersetzt von Silvia I. Zimmermann.

I. Carmen Sylva: Leben, Werk, Wirken

 

Bernd Willscheid: Carmen Sylva und ihre rheinische Heimat

 

 

„Auch in Neuwied ist eine Prinzessin zur Welt gekommen...“, schreibt Anfang 1844 Augusta von Preußen, die spätere Königin und deutsche Kaiserin. Es war die kurz vorher erfolgte Geburt Prinzessin Elisabeths zu Wied, der unter dem Namen Carmen Sylva bekannt werdenden Dichterin und Schriftstellerin sowie Königin von Rumänien, die die preußische Prinzessin in ihrem Tagebuch festhält: „Es heißt in dem Brief, dass sie[die Mutter der neugeborenen Prinzessin, Fürstin Marie zu Wied]... die kleine Tochter abhärten und in keiner Weise verweichlichen lassen will. Sie sei schon auf dem besten Wege dazu. Höchstens einmal in der Nacht darf die Amme der Kleinen die Brust reichen. Und die Ernährung der Amme muß die denkbar einfachste sein, ... Schwarzbrot und Roggenmehlsuppen mit möglichst viel frischer Butter wechseln ab mit Ziegenmilch, und damit die Verdauung gut ist, muß sie in reichlichen Mengen gedörrte Pflaumen essen. Diese Beköstigung ist natürlich für die Amme eine große Enttäuschung.“1

Spartanisch, aus heutiger Sicht sicher in übertriebener Weise war die Erziehung der jungen Prinzessin Elisabeth. Verschwendung und üppiges Leben waren fremd im Hause Wied. Wie schon bei den Vorfahren, so bildete auch der Hof des Fürsten Hermann und der Fürstin Marie zu Wied, Elisabeths Eltern, in der Familie keine Ausnahme. Wissenschaft, Kunst und oft auch die Politik spielten aber eine bedeutende Rolle im bescheidenen gesellschaftlichen Leben in der kleinen Residenz Neuwied am Rhein.

 

Das Haus Wied

 

Eine Familie von Welt2, so wurden die im 19. Jahrhundert lebenden Fürsten zu Wied in einem historisch-wissenschaftlichen Beitrag bezeichnet. Bereits im 11. Jahrhundert findet die Familie mit Graf Meffried von Wied erste urkundliche Erwähnung. Bis 1806 regierte sie die reichsunmittelbare Grafschaft Wied, die Gebiete entlang des unteren Mittelrheines und im Westerwald umfasste, zum größten Teil im heutigen Landkreis Neuwied bei Koblenz gelegen.

In der Mittelrheinregion verfügten die Grafen und späteren Fürsten zu Wied über ein hohes Ansehen. In mittelalterlicher Zeit waren sie bereits auf das Engste mit der Kirche verbunden, und ihre Namen werden in den Urkunden bedeutender Klöster und Kirchen erwähnt: 1093 Maria Laach (allerdings in einer nachträglichen Urkunde), 1103 das Stift Münstermaifeld, 1107 St. Florin in Koblenz und 1129 das Andernacher Kloster St. Thomas. So ist es nicht verwunderlich, dass das Haus Wied auch mehrere Erzbischöfe von Köln und Trier stellte. Arnold von Wied (+1156) war Reichskanzler Kaiser Konrads III., nahm an Kreuzzügen teil, 1151 wurde er Erzbischof von Köln. Bei Bonn ließ er die einzigartige Doppelkirche Schwarzrheindorf errichten, eine der schönsten romanischen Kirchbauten im Rheinland. Als Erzbischöfe von Trier finden wir in den folgenden Generationen Rudolf und Theoderich von Wied (+ 1242).

Hermann von Wied (1477-1552), 1515-1547 Kurfürst und Erzbischof von Köln, der 1520 noch zusah, wie Luthers Schriften vor dem Kölner Dom verbrannt wurden, und an Todesurteilen gegen Personen, die sich von der katholischen Kirche zu lösen begannen, mitwirkte, wurde über zwei Jahrzehnte später als unkatholisch vom Papst exkommuniziert. Er gilt als Reformer, der versuchte, kirchliche Missstände in seinem Erzbistum zu beseitigen. 1542 ließ er den Reformator und Humanisten Martin Bucer (1491-1551) in Bonn reformatorisch predigen, der ein Jahr später mit dem Reformator Philipp Melanchthon (1497-1560) das kurkölnische Reformationsdekret „Einfaltigs Bedencken“ verfasste. Papst und Kaiser setzten schließlich Hermanns Amtsenthebung durch, der sich dann in die Grafschaft Wied zurückzog und 1552 auf Burg Wied (heute Altwied), dem Stammsitz der Familie, starb.3 Sein Neffe Friedrich von Wied (+ 1568) wurde 1562 ebenfalls Erzbischof von Köln. Vom Papst nicht bestätigt, resignierte er schon 1567. Unter dessen Bruder, Graf Johann IV. (+ 1581), nahm die Familie die protestantische Lehre an und führte sie in ihrem Territorium ein. Die Grafschaft Wied bildete nun eine protestantische Enklave im katholischen Rheinland. Es entstanden Religionsgrenzen, die heute noch dort nachvollziehbar und spürbar sind.

Bedeutendster Vertreter des wiedischen Hauses im 17. Jahrhundert war Graf Friedrich III. (1618-1698). Als Territorialpolitiker gründete er 1653 die Residenzstadt Neuwied für die untere Hälfte der seit 1595 geteilten Grafschaft. Die Residenz der oberen Hälfte, der Grafschaft Wied-Runkel, war Dierdorf im Westerwald. Graf Friedrich III. warb Bauwillige in den Nachbarterritorien für die Ansiedlung in Neuwied, die innerhalb der nach einem schachbrettartigen Plan angelegten Stadt einen Bauplatz sowie zehnjährige Zinsfreiheit erhielten. Den Neubürgern garantierte der Landesherr zahlreiche Freiheiten, darunter die freie Religionsausübung. Diese Religionstoleranz des Grafen und auch seiner Nachkommen führte zu einem schnellen Wachstum der barocken Stadt. Neben Reformierten, Lutheranern und Katholiken fanden auch gleich Juden und Mennoniten Aufnahme in die Bürgerschaft. Neuwied als Zufluchtsort für Glaubensvertriebene zu bestimmen, erwies sich wirtschaftlich als äußerst vorteilhaft.

Sein Enkel Graf Friedrich Alexander (1706-1791), der spätere 1. Fürst zu Wied-Neuwied, brachte die Residenzstadt zu neuem Aufschwung. Der aufgeklärte Absolutismus beeinflusste seine Regierung. Seiner Grafschaft verhalf er mit fortschrittlichen Ideen zu einer Blütezeit, den Bürgern verschiedener Konfessionen in seiner Residenzstadt wollte er Ordnung, Zufriedenheit und Wohlstand sichern. Die Ansiedlung der Herrnhuter Brüdergemeine, 1750 aus der hessischen Wetterau kommend, ist als besondere wirtschaftliche Leistung anzusehen. Ihre zahlreichen Gewerbebetriebe, allen voran die Möbelmanufaktur von Abraham und David Roentgen mit ihren Lieferungen an die europäischen Fürstenhöfe, ließen Neuwied weit über die Grenzen Deutschlands bekannt werden. „Wir waren sehr stolz darauf, daß Neuwied die Vaterstadt des großen Kunstschreiners Röntgen war, dessen wunderbare Holzmosaiken bis nach Berlin, London und Petersburg wanderten, und in allen Schlössern zu finden sind.“4, sollte Carmen Sylva in späterer Zeit noch betonen.In jungen Jahren erwies sich Graf Friedrich Alexander als gewandter Diplomat. Für seine Verdienste während des Polnischen Thronfolgekrieges (1733-38) und sein langjähriges und erfolgreiches Wirken als Direktor des Niederrheinisch-Westfälischen Grafenkollegiums wurde er 1784 vom Kaiser in den Reichsfürstenstand erhoben. „Mir ist unterdessen etwas Kurtzweiliges begegnet! Der Kayser hat mich und meine Nachkommen in den Fürsten-Stand versezet“5, schreibt er zu diesem Anlass an einen Vetter in Ostpreußen.

Sein Sohn Friedrich Carl (1741-1809), der 2. Fürst zu Wied-Neuwied, war eine eher zwiespältige Persönlichkeit. Vom Reichskammergericht wegen Unzurechnungsfähigkeit abgesetzt, nach Untersuchungen der medizinischen Fakultät der Universität Bonn wieder eingesetzt, hatten seine sozialen und wirtschaftlichen, oft aber wirklichkeitsfremden Projekte wenig Erfolg. Zermürbt von Auseinandersetzungen in seiner Grafschaft und mit seiner Familie, entsagte er 1802 dann doch seinen Herrschaftsrechten und zog sich nach Freiburg im Breisgau zurück. Unter der Regentschaft seiner hochgebildeten Ehefrau, Fürstin Luise (1747-1823), einer geborenen Gräfin zu Sayn-Wittgenstein-Berleburg, wurde sein minderjähriger Sohn August (1779-1836), der Großvater Carmen Sylvas, sein Nachfolger.

Dem unter Napoleon errichteten Rheinbund nicht angeschlossen, erfolgte 1806 die Mediatisierung des Hauses Wied: der junge Fürst August und sein Vetter in Dierdorf verloren ihre Souveränität, die Grafschaften Wied-Neuwied und Wied-Runkel kamen unter nassauische, 1815 unter preußische Hoheit. Ein Rest seiner Regierungsbefugnisse verblieb dem Hause bis 1848.6 „Diese Nachkommen ehemaliger Regenten sind wie kleine Könige, haben aber keine Regierungssorgen, dagegen alle Freiheiten wie Privatleute und teilen doch wie richtige Landesväter mit der ganzen Gegend Freud und Leid. Vermögen ist genug da, um angenehm und sorglos leben zu können, und doch nicht übermäßig viel, um den Neid der anderen zu erwecken. Diese Mediatisierten haben vollauf Muße, schöngeistigen Interessen zu huldigen und sich als Kunstmäzene, als Hausherrn mit einer erlesenen Gästeschar, als Verwalter geistiger Erbschaften, als Freunde von Künstlern und Gelehrten, als wirkliche Freiherren auf ihren schönen, waldreichen Gütern auszuleben.“7, schreibtCarmen Sylva - vielleicht etwas zu begeistert - über das Dasein der mediatisierten Häuser, der sogenannten Standesherren.

Schöngeistige Interessen wurden im Hause Wied in verstärkter Weise gepflegt. Fürstin Luise zu Wied, die in der Bevölkerung sehr beliebte Urgroßmutter Carmen Sylvas, dichtete und übersetzte um 1800 Gedichte aus dem Englischen und Französischen, zu denen sich der bedeutende deutsche Dichter und Schriftsteller Christoph Martin Wieland (1733-1813) in Weimar mit einem „artigen Kompliment“äußerte. Ihr Talent, auch in der bildenden Kunst, vererbte sie ihren Kindern und Kindeskindern: Waren Prinz August (1779-1836), der spätere 3. Fürst zu Wied, sowie seine Schwester Prinzessin Luise (1773-1864) begeisterte Zeichner und Maler, so erlangte der Bruder, Prinz Maximilian (1782-1867), mit seinen Reisen 1815-17 nach Brasilien und in Begleitung des Malers Karl Bodmer 1832-34 nach Nordamerika als Naturforscher und Ethnologe große Berühmtheit. Seine Forschungsergebnisse und Veröffentlichungen sowie die Indianerbilder Bodmers dienten nicht nur den Romanen Karl Mays und Kinofilmen des 20. Jahrhunderts als Vorlage, sie werden bis auf den heutigen Tag für ethnologische Fragen vor allem in Brasilien verwendet. Carmen Sylva widmete ihm später den beeindruckenden Beitrag Mein Großonkel Maximilian, der 1912/13 veröffentlicht wurde.8

Maximilians jüngerer Bruder Prinz Carl (1785-1864) pflegte enge Kontakte zur Düsseldorfer Malerschule, zeitweise studierte er an der dortigen Kunstakademie. Bedeutende Künstler und Professoren wie der Porträt- und Historienmaler Carl Ferdinand Sohn (1805-1867) und der Landschafts- und Historienmaler Carl Friedrich Lessing (1808-1880), beide Schüler Friedrich Wilhelm von Schadows, weilten als Freunde des Prinzen in Neuwied und unterstützten den Gastgeber in seinem eigenen bildnerischen Wirken.9 „Wie gern lauschte ich dieser Stimme, wenn Sohn erzählte und ein leises Lachen mit kindlicher Herzlichkeit erklingen ließ.“10, schreibt Carmen Sylva später in ihrem Penatenwinkel. Carl Ferdinand Sohn widmete sie ebenfalls ein eigenes Kapitel. „[Er] war … ein alljährlicher Gast oft viele Wochen in unserm Hause und malte uns alle zu öfteren Malen.“11, erfahren wir weiter. Ausführlich beschreibt sie die Entstehung eines Kinderbildnisses gemeinsam mit ihrem Bruder Wilhelm und schildert ihre Ungeduld beim Stillsitzen während des Malprozesses. „Aber Sohn ist es in wunderbarer Weise gelungen, das Bild ist sprechend, von außerordentlicher Lebendigkeit und Wahrheit.“12, erwähnt sie nach der Fertigstellung. Dieses Kinderbildnis, aber auch die Bildnisse ihrer Eltern und ihres jüngeren Bruders Otto zählen zu einer hervorragenden Reihe von Porträts, die der bedeutende Düsseldorfer Maler in Neuwied anfertigte und die sich heute noch im Besitz des Hauses Wied befinden. Köstlich erinnert sie sich an Lessing, dem sie als junge Prinzessin in den Morgenstunden in den wiedischen Wäldern begegnete, als dieser zur Jagd ging und zum Leidwesen ihres Großonkels Maximilian „ihm so viele schöne Tiere wegschoß“13. Rückblickend auf die Begegnungen mit Carl Ferdinand Sohn und Carl Friedrich Lessing schreibt Carmen Sylva: „Ich wäre gern, ach wie gern ein Künstler gewesen, Musiker oder Maler, aber ich dachte mir fehle das Talent, und ich ahnte nicht, daß ich bereits ein Dichter war. Denn ich schrieb heimlich und dachte, das tue jedermann, das sei gar keine Kunst, da es natürlich sei, ich hatte auch keine Ahnung von Prosodie oder Regeln, oder so etwas.“14

Die Eltern

 

Kommen wir zu Carmen Sylvas Eltern: Der Vater, Fürst Hermann zu Wied (1814-1864), studierte in Göttingen und begann eine militärische Laufbahn in der preußischen Armee. Mit 22 Jahren folgte er seinem Vater August als Fürst zu Wied. Als Landtagsmarschall des rheinischen Provinziallandtages sowie als Mitglied im Erfurter Parlament 1850 und seit 1854 im preußischen Herrenhaus vertrat er seine liberale Einstellung. Die angestrebte politische Karriere musste er aber aus gesundheitlichen Gründen abbrechen. Kulturell sehr interessiert, schätzte er neben der Musik und der Bildhauerei auch die Malerei, die er, angeregt durch den mit seinem Onkel befreundeten Düsseldorfer Kunstprofessor Carl Ferdinand Sohn, auch selbst ausübte. Anonym veröffentlichte Fürst Hermann philosophische und theologische Schriften. Seine Reise nach Nordamerika und Kuba, die er 1852/53 mit seinem Schwager Nikolaus von Nassau durchführte, schilderte er in zahlreichen Briefen an seine Gemahlin. Carmen Sylva erinnerte sich, dass die Briefe, die am Weihnachtsabend 1852 nach ungeduldiger Erwartung im Neuwieder Schloss ankamen, zuerst mit roten Bändern an den Christbaum gebunden, dann von der Fürstin in Stille gelesen und schließlich den Kindern sowie anwesenden Freunden und Hausangestellten vorgetragen wurden.15 Nicht ganz 50jährig erlag Fürst Hermann 1864 seinem Lungenleiden.16

Fürstin Marie (1825-1902), die Mutter Carmen Sylvas und Tochter Herzog Wilhelms von Nassau, vermählte sich 17jährig mit Hermann zu Wied. Diese Ehe brachte die wiedische Familie in nähere Verwandtschaft zu den regierenden Häusern Preußen, Österreich, Bayern, Russland, Schweden und der Niederlande. Am Berliner Hof erregte die Fürstin „durch ihre Schönheit, ihre Anmut und ihren Geist großes Aufsehen“17. Prinzregent Luitpold von Bayern bezeichnete seine Cousine, der er nur einmal in jungen Jahren begegnete, als „die schönste Frau“18, die er je gesehen habe. In den wiedischen Schlössern war Fürstin Marie der gesellschaftliche Mittelpunkt. Sie war eine starke Persönlichkeit und galt nach den Erinnerungen einer ihrer Patentöchter als einflussreichste Frau des Rheinlandes, nicht zuletzt dank ihrer Verwandtschaft mit Europas Fürstenfamilien. In besonderer Weise widmete sie sich der Kranken- und Armenfürsorge. Im Andenken an ihren früh verstorbenen jüngsten Sohn gründeten Fürst und Fürstin in Neuwied ein Heim für Waisen und Taubstumme, das „Otto-Haus“. Die Errichtung eines Krankenhauses ist auf die Initiativen der Fürstin zurückzuführen. Selbst übernahm sie die Behandlung psychosomatisch Erkrankter in ihrem Freundes- und Familienkreis.19 „Die Großmutter meines Mannes, Fürstin Marie zu Wied, war der Mittelpunkt der Wohlfahrtspflege in Neuwied und Umgebung!“20, bestätigt Fürstin Pauline zu Wied in ihren späteren Erinnerungen.

Unter den Eltern Carmen Sylvas entwickelten sich die Residenzen der Familie zu geistigen Zentren im Rheinland: Schloss Neuwied, Anfang des 18. Jahrhunderts als Barockanlage nach französischem Vorbild errichtet, das die Familie in den Wintermonaten bewohnte, und das beliebte Sommerschloss Monrepos, Mitte des 18. Jahrhunderts als Jagd- und Lustschloss auf der Rheinhöhe oberhalb Neuwieds erbaut, im 19. Jahrhundert mehrmals erweitert, 1969 im Rahmen einer Feuerwehrübung niedergelegt.21 „Das kleine mediatisierte Fürstentum, das Fürst Hermann besaß, ist nicht viel über zehn Quadratmeilen groß, aber wie schön liegt es am Rhein, zwischen Bonn und Koblenz! Oberhalb der Residenz Neuwied liegt im Bergwald die Ruine Altwied, die Stammburg seines Hauses, und unweit davon der reizende Sommeraufenthalt ‚Monrepos’. Das Schloß in Neuwied (die Winterresidenz) trennt nur ein großer Park vom Rhein. Herrliche Bäume standen dort, die später das Wasser weggerissen hat. Pfauen (die Wappentiere der Familie) flogen von Baum zu Baum. Fürst und Fürstin Wied waren sehr ‚liberal’ gesonnen (d.h. was man damals so nannte) ... Des Fürsten Vorfahren waren es ebenfalls gewesen, insofern als sie allen Heimatlosen und Vertriebenen, ohne Unterschied der Konfession, die Erlaubnis gegeben hatten, sich in ihren Landen anzusiedeln. Man fand in Neuwied damals: Protestanten, Katholiken, Mennoniten, Quäker, Inspirierte, Juden und Herrnhuter“22,ein Zitat Else von Arnims, der Tochter des preußischen Diplomaten und Außenministers Heinrich Alexander von Arnim, beide mit der Familie Wied befreundet.

In der wiedischen Residenz entfaltete sich „auf kulturellem Gebiet ein aristokratisch-liberaler Stil eigener Prägung“23. Das Fürstenpaar unterhielt Beziehungen zu fast allem, was „vornehmer und vornehmster Liberalismus des 19. Jahrhunderts“24 war. Fürstlichkeiten aus ganz Europa, Politiker, Künstler und Gelehrte, bedeutende Menschen der Zeit gingen im Hause Wied ein und aus. Es wurde musiziert, Theater gespielt und mit verteilten Rollen gelesen. Hinzu kamen politische Gespräche sowie Vorlesungen und Besprechungen der philosophischen Veröffentlichungen des Fürsten. Hermann und Marie zu Wied „repräsentierte[n] in schönster Weise die damalige rheinisch-preußische Kultur“.25 Einer der bedeutendsten Gäste war der preußische Prinz Friedrich Wilhelm (1831-1888), der spätere Kaiser Friedrich III., der zur wiedischen Familie Freundschaft pflegte. „Einen entscheidenden Einfluß hat dieses Haus [Wied] auf den damals in Bonn studierenden Prinzen Friedrich Wilhelm ausgeübt. Sehr wenige Frauen, ich weiß es aus sicherster Quelle, hat er so innig verehrt, als jene anmuthige und hochgesinnte junge Fürstin.“26, schreibt Marie von Bunsen nach den Erzählungen ihres Vaters, der preußischer Politiker war und den Wieds nahe stand. So ist es nicht verwunderlich, dass 1869 auf dessen Empfehlung der mit dem preußischen Prinzen befreundete Karl von Hohenzollern-Sigmaringen als regierender Fürst und späterer König Carol I. von Rumänien nicht eine Prinzessin aus regierendem Hause, sondern Prinzessin Elisabeth aus dem mediatisierten Fürstenhause Wied ehelichte. Die Cousine des preußischen Prinzen, Marie der Niederlande (1841-1910), sollte 1871 den Bruder Carmen Sylvas, den Fürsten Wilhelm zu Wied (1845-1907), ehelichen. Bis zu seinem Tode blieb der preußische Prinz und spätere 99-Tage-Kaiser der wiedischen Familie verbunden.

In dieses kulturelle und politische Umfeld wurde Carmen Sylva hineingeboren, am 29. Dezember 1843 auf Schloss Neuwied. Ein ungewöhnliches Leben nahm nun seinen Anfang. Es führte sie auf einen Thron in Rumänien, sie wurde eine starke Persönlichkeit in ihrem sozialen und kulturellen Wirken, als Schriftstellerin unter dem Pseudonym Carmen Sylva erlangte sie Berühmtheit, ein Rheinschiff wurde nach ihr benannt, ein Restaurant in Holland, eine Straße am Prenzlauer Berg in Berlin, eine Straße sowie eine Parkanlage und vor wenigen Jahren eine Schule in Neuwied. Sogar eine Zigarettenmarke und ein Walzer erhielten ihren Namen.

 

Krankheiten in der Familie

 

Krankheiten und Todesfälle in der Familie überschatteten allerdings die Kindheit Prinzessin Elisabeths. Fürst Hermann, der Vater, hatte sich in jungen Jahren als preußischer Offizier bei dem bekannten Manöver in Kalisch (Polen), das 1835 von Preußen und Russland abgehalten wurde, eine Lungenkrankheit zugezogen, die ihn sein Leben lang begleitete und ihn – wie schon erwähnt - früh sterben ließ. Bereits 1842 schreibt Fürst Chlodwig zu Hohenlohe-Schillingsfürst (1819-1901), der spätere Reichskanzler: „Ich bin gestern in Neuwied gewesen und kann nicht genug die guten Leute dort rühmen. … Der Fürst hat etwas sehr Interessantes in seinem leidenden Gesicht. Von der blassen Totenfarbe stechen die schönen blauen Augen ganz merkwürdig ab; er soll sehr talentvoll sein, schön zeichnen usw. Ich habe ihn nur vom Sehen liebgewonnen und bedauere seine zerrüttete Gesundheit.“27 Mit den Worten „Wer stirbt jetzt in Neuwied?“28, beliebte Wilhelm von Preußen (1797-1888), der spätere Kaiser Wilhelm I., gegenüber dem wiedischen Fürsten nach einer Reihe von Todesfällen in dessen Familie makaber zu scherzen.

Die Mutter Carmen Sylvas, Fürstin Marie, litt an Lähmungserscheinungen. Zahlreiche Kuren und Aufenthalte in Bonn in der Nähe der dortigen Ärzte blieben erfolglos. Erst ein Heilpraktiker in Paris erlöste sie mit Massage und Hypnose von ihren Leiden. Dabei stellte die Fürstin fest, dass auch sie das Talent für diese Heilmethoden besaß. So verhalf sie bis ins hohe Alter zahlreichen Verwandten und Freunden zur Linderung ihrer Krankheiten. Unter ihnen befand sich auch ihr Neffe, der spätere König Gustaf V. von Schweden, der sich als 14jähriger Prinz 1871/72 ein Jahr lang wegen eines Knieleidens bei seiner Tante in Monrepos aufhielt, später dann unter dem Pseudonym „Mr. G“ als hervorragender Tennisspieler galt. Der jüngste Bruder Carmen Sylvas, Prinz Otto, starb 11jährig an inneren Verwachsungen. Sie widmete ihm eine eigene Veröffentlichung mit dem Titel Es ist vollbracht. Zählte ihr Bruder Erbprinz Wilhelm in seiner Kindheit ebenfalls nicht zu den gesundesten Familienmitgliedern, so blieb die überaus temperamentvolle Prinzessin Elisabeth die einzige Ausnahme.

Bedingt durch die Krankheiten im engsten Familienkreis, aber auch der Tradition des wiedischen Hauses folgend, übernahm sie schon früh soziale Pflichten, die Grundlage für ihr späteres großes Sozialverständnis und entsprechendes Wirken waren. Die karitativen Verpflichtungen, die die Mutter in Neuwied begründet hatte, setzte Carmen Sylva fort. Schon in ihrer Kindheit hatte sie gemeinsam mit ihrer Mutter Armen- und Krankenbesuche abgestattet. Bei ihren späteren Aufenthalten in ihrer Heimat besuchte und beschenkte sie die Waisenkinder des „Otto-Hauses“ und hielt Verbindung zur Taubstummen-Anstalt und zur Blindenschule in Neuwied. In die Geschichte des Neuwieder DRK-Krankenhauses, das auf Initiative ihrer Mutter errichtet wurde, ging Carmen Sylva als tatkräftige Helferin und Förderin, soweit ihr das von Rumänien aus möglich war, ein. Ihr Porträt hängt heute noch dort. Wie sie als Kind ihre Mutter in Neuwied oft bei Krankenbesuchen begleitet hatte, so nahm sie später in Rumänien auch die eigene Tochter Marie zu karitativen Besuchen mit. Ein Aufenthalt bei den Waisenkindern im Helenenasyl bei Cotroceni, wo das Scharlachfieber ausgebrochen war, hatte allerdings den Tod der kleinen Prinzessin zur Folge. Ein Schicksalsschlag, den Carmen Sylva nie überwandt.29

 

Erziehung der jungen Prinzessin

 

Von klein auf besaß Prinzessin Elisabeth eine unbändige Energie. So habe sie bereits mit drei Jahren lesen gelernt. Sie galt als ein nicht aufzuhaltender „Wirbelsturm“, den die Familie mit strenger Erziehung zu lenken versuchte. „Ich kann ja nichts dafür, dass ich aus vulkanischem Boden stamme, und dass der Rheinwein mir durch die Adern fließt, statt in die Kehle!“30, schreibt sie später in ihrem Penatenwinkel, in dem sie uns immer wieder einen Blick hinter die Kulissen der fürstlichen Familie gewährt. „Das ist noch ganz anderer Wein, den man angeboren in den Adern hat. Kein Nachtarbeiten, kein Krankenpflegen hat meine Wangen bleichen gemacht. Ich war immer wie eine Rose und Anämie habe ich nie gekannt. Ich muß oft lächeln, wenn ich von Überbürdung höre. Ich arbeitete von vier Uhr früh bis Mitternacht manchmal, und wurde noch gescholten, wenn mir nach dem Tee, bei der Lektüre von Molière und den französischen Chroniken, die Augen zufielen. Damals hatte ich manchmal das ganze Haus krank, und meine einzige Erholung zwischen den Stunden war, von einem Bette zum andern zu wandern.“31

Prinzessin Elisabeth stand bis zu ihrem 13. Lebensjahr unter der Obhut mehrerer Erzieherinnen und wurde bis zu ihrer Konfirmation von ihrem Vater, ihrer Mutter und verschiedenen Hauslehrern unterrichtet. Der Sprachwissenschaftler, Humanist und Pazifist Georg Sauerwein (1831-1904) erteilte ihr ab 1857 Unterricht in Englisch, in Geschichte und Literatur. Nach Angaben Carmen Sylvas habe Freiherr Christian Friedrich von Stockmar (1787-1863), der Arzt und Vertraute des englischen Prinzgemahls, Albert von Sachsen-Coburg und Gotha, ihn als Hauslehrer empfohlen. Sauerwein stand auch in späteren Jahren immer wieder mit Elisabeth in Verbindung.32 Zu den weiteren Lehrern der Prinzessin zählte der mennonitische Pastor Harder in Neuwied, der ihr gleich ihren Brüdern Unterricht in Geschichte und Kirchengeschichte erteilte. Religiösen Fragen wurde im Hause Wied ernsthaft nachgegangen. Schon die theologische Literatur in der Bibliothek des Neuwieder Schlosses weist darauf hin. Carmen Sylva bildete keine Ausnahme und zeigte großes Interesse vor allem an den Weltreligionen. In Bukarest schreibt sie später: „In unserm Hause ist Nathan der Weise ein täglicher Gast, da wir alle Konfessionen in der eigenen Familie vertreten haben! Katholisch, protestantisch und orthodox, ebenso im Hause auch einen Juden als Sekretär haben! Und gerade ein Israelit ist es, der meine Hauptstütze in allen Wohltätigkeitssachen ist.“33

Auf Sprachen wurde in ihrer Erziehung besonderer Wert gelegt. So lernte sie Englisch, Französisch und Latein. Im Laufe der Jahre folgten weitere Sprachen, selbstverständlich auch Rumänisch. Im Alter unterstützte sie sogar Esperanto als Weltsprache. Die Bemühungen der späteren Königin um einen Kulturaustausch zwischen den Ländern und ihre Verdienste für die frühe Friedensbewegung um Bertha von Suttner haben hierin sicher erste Wurzeln. Ungewöhnlich waren die hohen Anforderungen, die die Eltern in den naturwissenschaftlichen Fächern stellten. „...bei uns hieß es gehorchen aufs Wort,“erinnert sich Carmen Sylva,„ohne Fragen, ohne Widerrede, wie kleine Soldaten. Man hatte über Kindererziehung noch ganz veraltete Ideen, heutzutage frägt man die Kinder erst, ob sie auch nicht zu müde sind zum Gehorchen und zu angegriffen zum Lernen. – Wenn ich in der Klavierstunde schlecht gespielt hatte, so bekam ich einfach hernach, wenn der Lehrer fort war, Schläge. Von Überbürden war noch keine Rede damals. Man fand, die Kinder seien zum Lernen da.“34Oft waren es die Diener, die entsprechend Trost gewährten. Sie fühlten sich der Familie - vor allem den Kindern - zugehörig und begleiteten diese auch auf deren Reisen. „Ich kann nur sagen, ich habe wunderbare Diener gehabt, die sich für mich aufgeopfert haben, Tag und Nacht, mein ganzes Leben lang.“35, erwähnt rückblickend Carmen Sylva.

Mit Fanny Lavater (1808-1878), einer weitentfernten Verwandten des berühmten Schweizer Physiognomikers Johann Caspar Lavater (1741-1801), die als ehemalige Gouvernante und lebenslange Freundin von Fürstin Marie zu Wied auf die Erziehung von Elisabeth einwirkte, fanden Natürlichkeit und eigenes Denken Platz in ihrer Kindheit. 36„Die einzige Person, die ich als selbständig und unbeeinflussbar gekannt habe, war ‚Fräulchen’“,schreibt Carmen Sylva über Fanny Lavater. „Nie waren wir Kinder, und hernach wir jungen Leute, so glücklich, als wenn wir mit ihr zusammensitzen konnten Knie an Knie und sie uns erzählte. Ihr Geist war so reich ausgestattet, ihr Gedächtnis unfehlbar. ... Sie hat uns das Leben verschönt, soviel es in ihren Kräften war. In dreißig Jahren der größten Intimität habe ich nie ein Wort von ihr gehört, das mir leid getan oder mich gekränkt hätte.“37Fanny Lavater unterstützte das Interesse der Prinzessin an der Literatur und förderte vor allem deren ausgeprägte Phantasie. „Man war gegen Phantasie“ entsinnt sich Elisabeth, „nur Fräulein Lavater nicht, die der Meinung war, man sollte alles lesen und das Beste behalten, man sollte alles kennen und seinen Geist mit Schönem ausfüllen, nicht nur mit trockenem Wissen.“38So schaffte Fanny Lavater wichtige Grundlagen für das schriftstellerische Werk der späteren Carmen Sylva, die ihr hierfür ihr Leben lang dankbar war und ihr ebenfalls im Penatenwinkel ein eigenes Kapitel widmete.39

 

Aufenthalte in Bonn

 

Ab 1851 hielt sich die Familie Wied in den Sommermonaten der folgenden zwei Jahre in Bonn auf. Sie bewohnte die Vinea Domini, ein ehemaliges schlossartiges Anwesen der Kölner Kurfürsten, direkt am Rhein gelegen. Die Familie suchte die Behandlungen der Professoren an der medizinischen Fakultät auf, von denen die junge Fürstin sich Heilung von ihren Lähmungen und Milderung der Leiden des jüngsten Sohnes Otto erhoffte. Die Gesellschaften des Fürstenpaares in der Vinea Domini waren beliebt und neben Künstlern und Politikern vor allem von Professoren und Studenten der Bonner Universität besucht. „Unsere Fürstin“40wurde Marie in Bonns besten Kreisen genannt. Lesungen und Musikvorträge dienten der Unterhaltung. Die Bonner Studenten spielten im Hause Wied oft Liebhabertheater: „Es wurden dann sämtliche gelehrte Herren von Bonn zum Zusehen eingeladen.“41In Bonn hörte Carmen Sylva erstmalig ein Konzert der berühmten Pianistin Clara Schumann (1819-1896), die im Leben der Prinzessin eine nicht unbedeutende Rolle spielen sollte.

Neben dem in Bonn studierenden preußischen Prinzen Friedrich Wilhelm waren sicher Professor Ernst Moritz Arndt (1769-1860), Schriftsteller, Historiker und Mitglied der Nationalversammlung in der Frankfurter Paulskirche, sowie Dimitrie Sturdza (1833-1914), der spätere rumänische Ministerpräsident, die bemerkenswertesten Gäste im Salon der Fürstin zu Wied. Über die frühen Begegnungen mit dem auf der damals zu Schweden gehörenden Insel Rügen geborenen Ernst Moritz Arndt äußerte sich Carmen Sylva: „In den zwei Jahren war Arndt der häufigste Gast, er blieb stundenlang und las meiner Mutter Schwedisch vor und erzählte uns aus den Freiheitskriegen, und ich saß auf seinem Schoße und sog seine Worte ein und hörte zu, wie Kinder zuhören, die nie zerstreut sind, sondern nur lauter Auge und Ohr.“42 Seine vom Widerstand gegen Napoleon geprägten Schilderungen bedeuteten für die junge Prinzessin „ein Stück erlebter Geschichte“43, entstammte sie doch aus einem 1806 vom französischen Kaiser mediatisierten Fürstenhaus und waren die Erzählungen ihrer Großonkel und Großtante, die diese Zeit des von ihnen verachteten „Bonaparte“erlebt hatten, noch sehr nahe. Arndts Gedichte inspirierten das „Dichtergemüt“ der späteren Carmen Sylva, rezitierte sie nach eigenen Aussagen doch damals schon Schillers Gedichte, auch lernte sie leicht auswendig: „…man brauchte mir nur ein kleines Gedicht einmal vorzulesen, und ich konnte es sofort hersagen. Da denke man sich den Zündstoff, den Arndt unbewußt in dieses Kindergemüt hineinlegte!“44Die Bekanntschaft mit Dimitrie Sturdza machte sie schon als Kind neugierig auf Rumänien, später sollte sie ihm dort wieder begegnen. Er war „der erste Mensch, den ich in der Bahnhofshalle stehen sah, als der Zug in Bukarest einfuhr“45, erinnert sich Carmen Sylva an ihre dortige Ankunft nach der Vermählung mit Carol I.

„Die Zeit in Bonn war reich an interessanten Menschen, deren einige zu vertrauten Freunden wurden.“, schreibt sie später und gibt einen Einblick in das gesellschaftliche Leben in der rheinischen Stadt: „Wir lebten in der Vinea domini, einer reizenden Villa, dicht am Rhein, mit großem, weitem Garten. Das ist heute alles verbaut und existiert nicht mehr. Aber es wurde mancher Abend auf der Terrasse zugebracht im Mondschein, wenn die Schiffe vorbeiglitten, und erst, wenn das Nachtschiff angepustet kam, ging man auseinander. ‚Das Nachtschiff kommt!’ war die stehende Redensart für diejenigen, die schon längst hätten gehen sollen, wenn meine so sehr leidende Mutter der Ruhe bedürftig gewesen wäre, die Gespräche aber sich bis in die Nacht ausdehnten. Plötzlich rief dann jemand, meistens Prinz Reuß, der nachmalige Botschafter: ‚Das Nachtschiff kommt!’ Dann stob alles auseinander.“ 46 Diese kulturellen und politischen Begegnungen während der Bonner Aufenthalte blieben für Carmen Sylva nicht ohne Einfluss und lenkten ihren weiteren Lebensweg. „Ich hörte andächtig zu und sog viele Gedanken ein für später.“47, sollte sie im Penatenwinkel bemerken.

 

Helene von Russland

 

„Wie ein Lichtstrahl erschien Prinzessin Elisabeth ... die Ankunft der Großfürstin Helene von Russland, die im Sommer zu Besuch nach Monrepos kam.“, berichtet Natalie von Stackelberg in ihrer Biografieüber Carmen Sylva. Großfürstin Helene Pawlowna (1807-1873), geborene Prinzessin Charlotte von Württemberg, Schwägerin Zar Nikolaus‘ I. und Tante Zar Alexanders II., weilte 1863 auf Schloss Monrepos bei Neuwied. Sie war eine Cousine Fürstin Maries zu Wied und zugleich eine Schwester ihrer Stiefmutter, also auch ihre Stieftante. „Das einfache und natürliche Wesen der Prinzessin Elisabeth hatte die Großfürstin sehr angenehm berührt, sie freute sich über ihr lebhaftes Interesse an ernsten Dingen, freute sich ihrer gründlichen Kenntnisse und ihres selbständigen Denkens.“48, schreibt Natalie von Stackelberg weiter. Auf Wunsch der Großfürstin durfte Carmen Sylva sie auf ihren weiteren Reisen begleiten. Fotoalben im Fürstlich Wiedischen Archiv in Neuwied erinnern hieran. Nach einem Aufenthalt am Genfer See begaben sie sich nach St. Petersburg und nach Moskau. In St. Petersburg bewohnte die Großfürstin das prächtige klassizistische Michaelspalais (heute Staatliches Russisches Museum), in dem sie einen bekannten Salon führte. In der Petersburger Gesellschaft war die schöne und intelligente Gastgeberin eine bedeutende Erscheinung, Zar Alexander II. schätzte ihren politischen Verstand. Als „Madame Egalité“ oder als „rote Tante“ des Zaren bezeichnet, war ihre liberale Haltung nicht unumstritten. Bereits 1859 hatte sie auf ihrem Gut die Leibeigenschaft der Bauern abgeschafft. Sie war Vizepräsidentin der Akademie der Wissenschaften, und an ihrem „Hof“ verkehrten Künstler wie die Pianistin Clara Schumann und der Komponist und Pianist Anton Rubinstein (1829-1894). Elisabeth zu Wied erhielt von beiden dort Klavierunterricht. Schreibt doch Clara Schumann während ihres Aufenthaltes im Michaelspalais in St. Petersburg: „Eine recht liebe Prinzeß Elisabeth von Neuwied wohnt mit uns im Palais. Ich gebe ihr Stunden und sehe sie häufig, da sie oft hinaufkommt.“49

1864 kehrte die Prinzessin nach Neuwied zurück. Dort war während ihres Russland-Aufenthaltes ihr Vater, Fürst Hermann, verstorben. Weitere Reisen mit Großfürstin Helene folgten nach Bad Ragaz in der Schweiz, nach Karlsbad und 1867 zur Weltausstellung nach Paris mit Besuch des kaiserlichen Hofes Napoléons III. Auf diesen Reisen und vor allem in St. Petersburg und Moskau wurde Carmen Sylva in die internationale „große Gesellschaft“ eingeführt und unbewusst auf ihr späteres Wirken und Auftreten als rumänische Königin vorbereitet.50

 

Heiratsantrag

 

Carmen Sylva hatte Clara Schumann 1851, mit acht Jahren, erstmals in einem Konzert in Bonn gehört. Spätere Begegnungen folgten neben St. Petersburg in Karlsruhe und in Köln. Es ist anzunehmen, dass die berühmte Pianistin auch in Neuwied spielte, schreibt Elisabeth doch 1864 in einem Brief über einen angekündigten Besuch.51

Die Reise zu einem Konzert Clara Schumanns in der historischen, heute für die Veranstaltungen des rheinischen Karnevals überregional bekannten Festhalle Gürzenich in Köln verlief anders als von Elisabeth zu Wied erwartet. Der dortige Aufenthalt hatte ihre Vermählung mit dem rumänischen Fürsten Carol I. zur Folge. Von Carmen Sylva erfahren wir ausführlich hierüber: „Nun sah ich sie wieder mehrere Jahre nicht, bis zum Jahre 1869, da brachte mich meine Mutter nach Köln, um ein Konzert von Clara Schumann und Stockhausen zu hören! Ich war den ganzen Morgen in der Probe, aber Frau Schumann war schlimm dran, denn sie hatte sich an einem Schubladenschlüssel den vierten Finger der rechten Hand verstaucht und konnte nicht spielen, und Brahms nahm ihre Stelle. ... Das war eine herrliche Probe, aber ich bemerkte eine eigentümliche Unruhe bei meiner Mutter, und war ein bisschen empört, dass sie nicht genug sich in die göttliche Musik vertiefte. Sie wollte auch nicht bis zu Ende im Gürzenich bleiben.

Wir gingen in die Flora. Und frühstückten da. Und während wir in der Flora waren, kamen einige fremde Herren an uns vorbei,... wir erkannten Herrn von Werner, den wir in Düsseldorf beim Fürsten Hohenzollern gesehen, und der stellte meiner Mutter den jungen Fürsten von Rumänien und dessen Vertreter in Paris, Herrn Strat, vor. ... Ich freute mich sehr, den jungen Fürsten wiederzusehen, denn ich hatte ihn acht Jahre früher in Berlin öfter gesehen, wo es ihm damals nicht gelang, mir, wie das Märchen es erzählte, als ich, hinter der Königin herspringend auf einer Treppenstufe ausglitt, auf die Füße zu helfen. ... Aber ich interessierte mich doch sehr für diesen jungen Fürsten, denn ich fand seine Handlungsweise kühn, und der Gedanke, sich für ein junges Volk zu opfern, war ritterlich und edel. [...]

Also wollte ich gern mit dem fremden Fürsten ganz arglos sprechen, es wurde mir auch reichlich Gelegenheit dazu geboten. Meine Mutter blieb mit den andern zurück, und wir gingen immer voraus, zwei Stunden lang, und sprachen von vielen Dingen. [...]

Von der Flora gingen wir in den Zoologischen Garten [...] Endlich stiegen wir in den Wagen, und ich rief: ‚Das ist aber ein reizender Mensch, der Fürst von Rumänien! Mit dem lässt sich’s sprechen!‘ Meine Mutter sagte gar nichts.

Wir fuhren zu Clara Schumann, zu der ich durchaus wollte, denn sie bloß im Konzert sehen, das war mir nicht genug. ... Da erzählte sie meiner Mutter, sie sei so unglücklich, denn ihre dritte Tochter habe sich mit einem italienischen Grafen verheiratet, und sie könne sich gar nicht daran gewöhnen, ihr Kind zu entbehren. ‚Denken Sie nur, wie furchtbar das ist! Da erzieht man sein Kind und hütet es und liebt es wie sein Leben, und opfert sich dafür auf, und da kommt der erste beste Fremde und nimmt es einem fort!‘ Meine Mutter machte solch ein sonderbares Gesicht, als Frau Schumann das sagte.

Endlich mussten wir fort, denn es war höchste Zeit, sich zum Konzert anzuziehen. […] Aber während meiner Toilette ließ sich auf einmal der Fürst von Rumänien melden und blieb und blieb und blieb! Und ich war so ungeduldig, hatte sogar die Handschuhe schon zugeknöpft, da endlich war er fort. Ich stürmte hinein: ‚Aber Mama!‘ Aber Mama, wollte ich sagen, Du bist ja noch gar nicht angezogen! Ein sonderbarer Ausdruck in meiner Mutter Gesicht ließ das Wort auf meinen Lippen ersterben. Sie begann mit mir auf und ab zu wandeln und sagte: ‚Der Fürst von Rumänien ist eben hier gewesen und er hat um Deine Hand angehalten!‘ Ich machte ein seltsames Gesicht, dass meine Mutter schon auf das gewohnte ‚Nein‘, das ich jedem Freier entgegensetzte, gefasst war, und ich sagte weiter nichts als: ‚Schon?‘“52

 

Prinzessin Elisabeth erbat sich eine Viertelstunde Bedenkzeit, bevor sie das Ja-Wort gab. Nach vier Tagen erfolgte die Verlobungsfeier auf Schloss Monrepos, vier Wochen später, am 15. November 1869, die Hochzeit in Neuwied. Es war also keine Liebesheirat im Überschwang romantischer Leidenschaft. Wie sie sich äußerte, trat sie in die Ehe wie die Neuwieder Herrnhuterinnen, die lediglich gefragt wurden, ob sie als Missionarinnen nach Labrador oder nach Südafrika gehen wollen.53

 

Spätere Aufenthalte in der Heimat

 

Als Fürstin und spätere Königin von Rumänien besuchte Carmen Sylva immer wieder ihre rheinische Heimat. Das prachtvolle Gästebuch des Segenhauses bei Monrepos, des 1872 fertiggestellten Witwensitzes ihrer Mutter, weist 20 Eintragungen auf. Ihren ersten Besuch in dieser im Stil der italienischen Renaissance errichteten Villa verzeichnete sie im Sommer 1873. Mit einem Vers, den sie schon in Bukarest gedichtet hatte, drückte sie ihre Sehnsucht nach den geliebten heimischen Wäldern aus.

Bereits ihr Vater, Fürst Hermann, hatte auf seiner Amerikareise 1852/53 in seinen Briefen an die Fürstin immer wieder die amerikanischen mit den wiedischen Wäldern verglichen und deren Vorzüge herausgestellt.54 Ihre Liebe zur heimischen Natur erfahren wir auch aus den Klagen Carmen Sylvas nach den Zerstörungen im Neuwieder Schlosspark infolge eines Orkans während der Rheinüberschwemmungen 1876:„… als ich unsern Garten wiedersah da mußte ich weinen!“55

Vor allem den Wald von Monrepos nutzte sie als Staffage für ihre zahlreichen Porträtfotografien, „repräsentative Selbstinszenierungen“56, die sie als Postkarten in hoher Auflage zu Gunsten ihrer sozialen Projekte verkaufen ließ. Der Wald von Monrepos verhalf der Königin schließlich zur Findung des Pseudonyms, das sie als Dichterin und Schriftstellerin verwendete und berühmt machte: „Carmen, das Lied, und Sylva, der Wald!“ In einigen ihrer Veröffentlichungen unter diesem Künstlernamen bezieht sie sich immer wieder auf ihre Heimat und ihre Familie, sicher ein Versuch, ihre Einsamkeit in Rumänien zu überwinden.57

Das Fürstliche Schloss in Neuwied, Fotografie um 1864 von Carl Spielmann (Fürstlich Wiedisches Archiv).

 

 

Konzert in Segenhaus: Königin Elisabeth im Kreis ihrer Familie und Gäste (am Klavier: August Bungert), Fotografie von Herman Koch, Neuwied, um 1888 (Fürstlich Wiedisches Archiv).

Elisabeth im Kreise ihrer wiedischen Familie (vermutlich in Altwied). Fotografie von Hermann Koch, Neuwied, um 1893 (Fürstlich Wiedisches Archiv).

 

 

Elisabeth mit ihrem Bruder Fürst Wilhelm zu Wied in Monrepos, Fotografie von Hermann Koch, um 1900 (Fürstlich Wiedisches Archiv).

 

In einem Brief klagt sie: „Ich hab’ manch mal solches Heimweh, dass ich es nicht aushalten kann, wenn ich bloß die Namen Bonn, Rolandseck, Koblenz höre! Oftmals darf ich sogar nicht einmal an den Rhein denken, dann wird meine Sehnsucht herzzerreißend.“58

 

Bei ihren heimatlichen Besuchen war die Königin der Anziehungspunkt im sommerlichen Leben des einsam im Wald bei Monrepos gelegenen Witwensitzes ihrer Mutter. Viele internationale Gäste trafen dort ein, „ein Kaleidoskop von Menschen“59, wie ihre Nichte Pauline zu Wied betonte. Unter ihnen befand sich auch der zu damaliger Zeit bekannte und von ihr verehrte Komponist August Bungert (1845-1915), den sie in Italien kennen gelernt hatte. Er vertonte Texte von Carmen Sylva, die in Konzerten auf Monrepos und in Neuwied aufgeführt wurden. In dem benachbarten Ort Leutesdorf ließ sie direkt am Rhein ein prächtiges Haus errichten, dass sie dem Komponisten schenkte.

Der Witwensitz ihrer Mutter wurde auch Carmen Sylvas Zufluchtsort nach der sogenannten „Vacarescu-Affaire“, in der sie die heimliche, von der rumänischen Regierung nicht erwünschte Verlobung des Thronfolgers Ferdinand mit ihrer Hofdame Elena Vacarescu unterstützt hatte. Die hieraus entstandene politische Krise führte 1891 zur „Verbannung“ von Königin und Hofdame. Nach Aufenthalten in Venedig und Pallanza am Lago Maggiore hielt sich Carmen Sylva zwei Jahre bei ihrer Mutter im Segenhaus auf. Erst 1894 kehrte sie auf Betreiben ihres Mannes nach Rumänien zurück.

Nach dem Tode ihrer Mutter im Jahre 1902 erbte sie das Segenhaus und konnte bei ihren dortigen Aufenthalten auch in der Heimat ihre Hofhaltung weiterführen. Auf dem Anwesen beabsichtigte sie, ein Domizil oder eine Wirkungsstätte für Künstler verschiedener Nationen zu schaffen, einen „Musenhof“, ein Heim für „müde Seelen“60. Für sie selbst war das Haus aber auch ein Stück Heimat, in das sie sich bei ihren Deutschlandaufenthalten zurückziehen konnte.