Ihr letzter Flirt - Arne Dessaul - E-Book
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Ihr letzter Flirt E-Book

Arne Dessaul

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Beschreibung

Ein Vierfachmord, eine betrogene Ehefrau und eine verschwundene Geliebte. "Bitte, Herr Müller, helfen Sie mir!" Verzweifelt kauert Steffen Matthäus in Mike Müllers Büro und bittet ihn, seine wunderschöne Geliebte Angela zu finden, die spurlos verschwunden ist. Was Steffen nicht weiß: Mike hat von dessen Ehefrau Constanze nur einige Wochen zuvor den Auftrag erhalten, Steffen zu überwachen und herauszufinden, mit wem dieser seine Frau betrügt.  Mike nimmt dennoch an. Ihn interessiert dieser zunächst so langweilig wirkende Fall immer mehr, zumal sich Angela mehrfach auffällig verhalten hat. Da wäre ihr luxuriöses Mobiliar, zu teuer für eine einfache Studentin. Und da wäre noch ihr starkes Interesse für Steffens Forschung an der Ruhr-Uni und bei der ACeBo GmbH. Hat Angela vielleicht etwas zu verbergen, das Steffen nicht sehen wollte? Ist sie Opfer von Constanzes Eifersucht geworden? Oder ist am Ende alles ganz anders als gedacht? Und was hat ein Vierfachmord mit alldem zu tun?  Mike vermutet, dass Steffen bei seiner Forschung zum programmierten Zelltod wichtigere Informationen hat, als dieser selbst ahnt. So wichtig, dass jemand eine schöne Frau anheuern würde, um ihn zu verführen?  Der neue spannende Fall für Mike Müller!

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Arne Dessaul

Ihr letzter Flirt

Mike Müllers dritter Fall Ein Bochum-Krimi

 

Über das Buch

Ein Vierfachmord, eine betrogene Ehefrau und eine verschwundene Geliebte.

 

„Bitte, Herr Müller, helfen Sie mir!“

 

Verzweifelt kauert Steffen Matthäus in Mike Müllers Büro und bittet ihn, seine wunderschöne Geliebte Angela zu finden, die spurlos verschwunden ist. Was Steffen nicht weiß: Mike hat von dessen Ehefrau Constanze nur einige Wochen zuvor den Auftrag erhalten, Steffen zu überwachen und herauszufinden, mit wem dieser seine Frau betrügt.

 

Mike nimmt dennoch an. Ihn interessiert dieser zunächst so langweilig wirkende Fall immer mehr, zumal sich Angela mehrfach auffällig verhalten hat, zum Beispiel durch ihr starkes Interesse für Steffens Forschung an der Ruhr-Uni und bei der ACeBo GmbH. Hat sie vielleicht etwas zu verbergen, das Steffen nicht sehen wollte? Ist sie Opfer von Constanzes Eifersucht geworden? Oder ist am Ende alles ganz anders als gedacht? Und was hat ein Vierfachmord mit alldem zu tun?

 

Der neue spannende Fall für Mike Müller!

Impressum

Alle Rechte vorbehalten, insbesondere das Recht der mechanischen, elektronischen oder fotografischen Vervielfältigung, der Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen, des Nachdrucks in Zeitschriften oder Zeitungen, des öffentlichen Vortrags, der Verfilmung oder Dramatisierung, der Übertragung durch Rundfunk, Fernsehen oder Video, auch einzelner Text- oder Bildteile.

Alle Akteure des Romans sind fiktiv, Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen wären rein zufällig und sind vom Autor nicht beabsichtigt.

 

Copyright © 2023 by Maximum Verlags GmbH

Hauptstraße 33

27299 Langwedel

www.maximum-verlag.de

 

1. Auflage 2023

 

Lektorat: Dr. Rainer Schöttle

Korrektorat: Angelika Wiedmaier

Satz/Layout: Alin Mattfeldt

Umschlaggestaltung: Alin Mattfeldt

Umschlagmotiv: © Camilo Chong/ Shutterstock

E-Book: Mirjam Hecht

 

Druck: Booksfactory

Made in Germany

ISBN: 978-3-98679-008-0

 

 

 

Inhalt

Über das Buch

Impressum

Vorbemerkung

Personal

1

Dr. Robert

2

Here Comes the Sun

3

Carbonara

4

Back on the Chain Gang

5

I Will Follow Him

6

Im Wagen vor mir

7

World Outside Your Window

8

Whiskey in the Jar

9

Moonlight Shadow

10

Our House

11

Radio Ga Ga

12

Dreaming

13

Pinball Wizard

14

Purple Rain

15

Love is Like Oxygen

16

Hung up

17

A Walk in the Park

18

A Day in the Life

19

You Can’t Hurry Love

20

House of the Rising Sun

21

Three Lions (Football’s coming home)

22

Das Model

23

Like Ice in the Sunshine

24

Alt wie ein Baum

25

Sex Machine

26

Gaby wartet im Park

27

Hier kommt Alex

28

Going Underground

29

Room With a View

30

Little Lies

31

Don’t Look Back in Anger

32

A Stone’s Throw Away

33

Norwegian Wood

34

Born to Run

35

Ring of Fire

36

Sunday Bloody Sunday

37

19th Nervous Breakdown

38

Poker Face

39

Another One Bites the Dust

40

Song for Whoever

41

Himbeereis zum Frühstück

42

Salt

43

Take My Breath Away

44

Summer of 69

45

First We Take Manhattan

46

Boys Don’t Cry

47

Ein ehrenwertes Haus

48

Ring Ring

49

Griechischer Wein

50

Frank’s Theme

51

Brothers in Arms

52

Secrets

53

Thüringer Klöße

54

Männer sind Schweine

55

Neue Männer braucht das Land

Glossar / Playlist

Der Autor Arne Dessaul

Vorbemerkung

Selbstverständlich gibt es in Bochum die Ruhr-Universität und einige erfreulich erfolgreiche Start-ups in zahlreichen Wirtschaftszweigen, vornehmlich im Bereich der IT-Sicherheit. Das war es aber auch schon mit den Fakten. Alles andere in diesem Roman – Figuren und Ereignisse – habe ich wie üblich frei erfunden. Etwaige Ähnlichkeiten mit lebenden Personen oder mit tatsächlichen Geschehnissen wären reiner Zufall.

Mike Müller ohne Playlist? Das funktioniert in meinen Augen nicht, ebenso wenig in den Augen vieler Leserinnen und Leser. Deshalb steht erneut über jedem Kapitel der Titel eines Liedes, das im Laufe des Kapitels aufgegriffen wird und das ich am Ende des Buches im Glossar kurz erläutere. Allerdings fängt Mike in diesem Krimi nicht jedes Mal an zu singen – auch wenn ihm das, genau wie mir, vor allem bei den Beatles-Liedern sehr schwerfällt, zum Beispiel im zweiten Kapitel. In unseren Augen gibt es kein schöneres Lied über das Wetter als Georges Hymne auf die Sonne.

„And I say it’s all right …“

Personal

Mike Müller, Privatdetektiv in Bochum, vereinsamt diesmal als Strohwitwer.

Alice Kramer, Lebensgefährtin, Sekretärin und Mitbewohnerin von Mike, besucht mit ihrer Mutter die weitverzweigte Verwandtschaft und trägt somit die Schuld an Mikes Lage.

Prof. Dr. Constanze Matthäus, Rektorin der Ruhr-Universität Bochum, fühlt sich von ihrem Ehemann betrogen.

Dr. Steffen Matthäus, Biotechnologe und Ehemann von Constanze, hat zu Hause eindeutig nicht die Hosen an.

Angela Kegel, Studentin und Geliebte von Steffen, sieht aus wie ein sehr bekanntes deutsches Model.

Jakob Dieckmann, Bochumer Reporterurgestein, geht mit Mike zu Frank Goosen ins Kulturzentrum Bahnhof Langendreer.

Florian Gerber, Marketingchef der Ruhr-Universität, mag seine Rektorin nicht.

Jutta Langner, Köchin, betreibt seit zwei Jahren das Restaurant Sommernachtstraum gegenüber vom Bochumer Schauspielhaus und feiert dieses kleine Jubiläum.

Helmut Jordan, Juttas Lebensgefährte, pensionierter Kripobeamter und Wirt, feiert mit.

Kriminaloberkommissarin Lisa Bertram, Kripo Bochum, Kriminalkommissariat 11, löst den Fall, aber nicht allein.

Kriminalhauptkommissar Henning Schmitt, Partner von Lisa, privat und beruflich, trauert um einen Kollegen.

Kriminalhauptkommissar Axel Walther, Drogenfahnder, entwickelt einen abgrundtiefen Hass auf Lederwaren.

1

Dr. Robert

Seit geschlagenen sechs Wochen beobachten sie die Marktstände. Tag für Tag hocken die Fahnder in der provisorischen Einsatzzentrale – einem früheren Behandlungszimmer in einer Zahnarztpraxis. Ausgerechnet! Der Raum ist prall gefüllt mit Technik: Fernrohre, Videokameras, Teleobjektive, Laptops, Großbildschirme, Telefone, Funkgeräte sowie Tische, Stühle und Flipcharts. In der Ecke neben der Eingangstür stapeln sich leere Pizzakartons.

An der Fassade einer Eisdiele hinter den Ständen sind drei winzige Kameras versteckt, um den Markt von beiden Seiten im Blick zu behalten.

Bereits am vierten Tag fanden Axel Walther und seine Leute heraus, dass die Drogen beim Lederwarenhändler landen.

Es deutete sich eine glatte Operation an.

Allerdings warten sie seit diesem schnellen Anfangserfolg vergeblich darauf, den Lieferanten auf frischer Tat zu ertappen. Sie würden ihn anschließend so lange beschatten, bis er sie zu den Hintermännern lotst.

Der Mann mit den Lederartikeln ist bloß ein kleiner Dealer, der an ein paar Abenden in der Woche Kokain und Haschisch am Hauptbahnhof verkauft. Ihn würde Axel sich erst am Ende vornehmen.

Würden sie doch nur endlich den Kurier erwischen! Axels Geduldsfaden droht jeden Moment zu reißen. Und dann? Im schlimmsten Fall schnappt er sich doch schon jetzt den Ledertypen, schleppt ihn eigenhändig aufs Revier und vernimmt ihn dort so lange, auf seine Art, bis der Kerl den Namen des Lieferanten ausspuckt.

Den Ärger, den Axel sich damit unter Garantie einhandeln würde, kann er verschmerzen. Lieber ein paar Scherereien, als noch wochenlang diese sinnlose Aktion fortzusetzen.

Am Anfang ging es innerhalb des Teams recht lustig zu. Sie lauschten den Bohrern und den anderen angsteinflößenden Werkzeugen aus den Nebenräumen, ohne selbst auf dem Stuhl zu bibbern. Und irgendwer riss immer einen Witz über Zahnärzte und Patienten. Axel erinnerte die anderen an den Beatlessong Dr. Robert über einen Zahnarzt, der seine prominenten Patienten in den Swinging Sixties mit Kronen, Füllungen und Drogen versorgte. Der Vergleich liegt nahe, denn der Praxisinhaber heißt mit Vornamen Robert.

Nach einer Weile begannen die Witze und erst recht die Geräusche zu nerven, inzwischen sind sie unerträglich. Axel kennt außerdem längst jeden Winkel des ehemaligen Behandlungszimmers. Ein quadratischer Raum, etwa vier mal vier Meter groß, die Wände ungefähr zwei Meter fünfzig hoch. Weiß. Nur an der Wand rechts von der Eingangstür, über dem Stapel mit den Pizzakartons, klebt eine dieser unsäglichen Bildtapeten. Eine Berglandschaft, Bäume rechts und links, in der Mitte ein See, dahinter Berge mit schneebedeckten Gipfeln. Das soll die Patienten beruhigen, solange sie auf den Arzt warten oder während er ihre Zähne untersucht.

Dr. Robert nutzt das Zimmer seit ein paar Monaten nicht mehr. Sein langjähriger Sozius eröffnete eine eigene Praxis. Er kaufte Dr. Robert einen Teil der Ausstattung ab, darunter das Equipment der heutigen Einsatzzentrale.

Axels Kollegin Susanne hatte zufällig von dem leer stehenden Raum erfahren, dessen Fenster direkt auf den Marktplatz zeigen. Wie gemalt für diesen Einsatz.

Es kostete einige Überredungskunst, den Arzt davon zu überzeugen, ihnen für eine Zeit das Zimmer abzutreten. Erst als Axel ihm von den Drogengeschäften berichtete, willigte der Arzt ein und überließ ihnen die Räumlichkeiten gegen eine überraschend geringe Miete.

Axel bezweifelt gleichwohl, dass es ausschließlich um Drogen geht. Denn in der Stadt nehmen seit Jahren alle möglichen kriminellen Aktivitäten zu. Doch ob nun Drogen, Prostitution oder gewerbsmäßige Schwarzarbeit, stets weisen die Spuren letztendlich ins Leere. Hier und da ging ihnen zwar ein kleiner Fisch ins Netz, ein Straßendealer oder ein Zuhälter, der illegal Mädchen aus Osteuropa oder Asien beschäftigte. Doch keiner von denen konnte oder wollte irgendwelche Verbindungen preisgeben.

Axel spürt es aber überdeutlich: Irgendwo in seiner Stadt gibt es eine Stelle oder eine Person, bei der alle Fäden zusammenlaufen. Die Zentrale einer größeren Verbrecherbande.

Ob sie diese Zentrale mitsamt Oberganoven jemals aufspüren? Oder haben sie es mit Clans zu tun? Mafia? Mit organisiertem Verbrechen vom Balkan? Aus Russland? Asien? Falls ja, würden sich dann nicht längst Landes- und Bundeskriminalamt in der Stadt austoben?

2

Here Comes the Sun

„Herr Müller, mein Mann betrügt mich.“

Meine neue Klientin präsentiert mir zweierlei: den Klassiker schlechthin für den Beginn eines spannenden Detektivabenteuers und zugleich einen unangenehm harten Zug um den Mund.

Letzteres verleiht ihr ein eher unvorteilhaftes Aussehen. Vielleicht ist dies gar der Auslöser für die Untreue des Gatten? So ein verbittertes Gesicht, das gefällt doch niemandem. Da suche ich mir lieber wen, der fröhlich aus der Wäsche schaut.

Jemanden wie mich zum Beispiel, Mike Müller, Privatdetektiv, kahl am Kopf, breit in den Schultern, noch immer eine drei vor dem Komma und der berühmteste Spaßvogel in der Hattinger Straße 61 im Bochumer Ehrenfeld – zumindest in der ersten Etage, in der ich jeden Tag aufs Neue geduldig auf Kundschaft warte, in einer Detektei mit Vorzimmer und Hauptbüro.

Das Vorzimmer dient als Aktenlager und dank einer hohen Zahl an üppig sprießenden Pflanzen als Gewächshaus. Momentan liegt es verwaist da, weil meine Sekretärin und Lebensgefährtin Alice Kramer Urlaub genommen hat, um ein paar Tage mit ihrer Mutter die weitverzweigte Verwandtschaft in allen Ecken und Kanten Deutschlands abzuklappern. Bremerhaven, Celle, Jena, Bamberg, Rottweil.

Für Alice bedeutet das: eine abwechslungsreiche Reise; für mich: mindestens zehn Tage Einsamkeit und intensive Pflanzenpflege. Im schlimmsten Fall zwölf Tage.

Da Alice außerdem die zwei Etagen über dem Büro befindliche Dreizimmerwohnung mit mir teilt, pflanzt sich die Einsamkeit nach Dienstschluss automatisch fort. „Bonjour Tristesse“ plus „Bonsoir Tristesse“, wie Alice es ausdrücken würde mit ihrer berühmten frankophilen Ader; selbstverständlich spricht sie ihren Namen französisch aus und verlangt dies auch vom Rest der Welt.

Im Hauptbüro verlieren sich auf knapp dreizehn Quadratmetern ein brauner Schreibtisch mit Telefon und PC, zwei braune Stühle, zwei riesige Fenster und eine nackte Glühbirne, die freudlos von der Decke baumelt und auf die ich an diesem sonnigen Frühlingstag bedenkenlos verzichte.

Die Sonne scheint so kraftvoll und freudig, als wüsste sie, dass gestern bei Claptons im Garten mal wieder ein gewisser George Harrison fröhlich die Gitarrensaiten zupfte, um eine neue Hymne für sie zu komponieren.

Ich schweife ab, kehre aber rasch mit einer naheliegenden Frage zurück ins Hier und Jetzt: Würde eventuell die angeschaltete nackte Birne die neue Klientin in ein besseres Licht rücken?

Wer weiß, ob ich hier nicht ohnehin Grund und Folge verwechsle? Unter Umständen verzieht die Dame nur deshalb das Gesicht, weil ihr Mann sie betrügt.

Die Frau stolzierte vor zwei Minuten ins Büro. „Sind Sie Mike Müller?“, fragte sie und nahm ungefragt Platz.

„Ja“, erwiderte ich.

„Mein Name ist Professor Doktor Constanze Matthäus.“ Es gelang ihr, alle Wörter mit großem Nachdruck zu betonen, besonders den „Professor“ und den „Doktor“.

Total überflüssig, die gesamte Szene. Schließlich prangt ausschließlich mein Name an der Tür, und ihr Gesicht mitsamt Namen geisterte erst vor wenigen Monaten durch die lokale Presse. Die Ruhr-Universität wählte Prof. Dr. Constanze Matthäus Ende vergangenen Jahres zu ihrer neuen Rektorin. Mit Mitte dreißig gilt sie als bisher jüngste Dienstherrin der Bochumer Uni und als eine der jüngsten in Deutschland.

Sie leitet also diese gigantische Hochschule, übt folglich ein wichtiges Amt aus, das sie automatisch in die Eliten unserer Stadt hinaufspült. Genau diesen Eindruck vermittelt die Matthäus auch. Allein schon, wie sie hereinplatzte, Kopf hoch, Kinn voraus, Platz genommen, Handy auf den Tisch geknallt, das Kommando übernommen, Fragen gestellt, Antworten verlangt, den Takt vorgegeben.

So mag ich das. Nicht.

Constanze, so nenne ich sie fortan im Stillen, um nicht in Respekt zu erstarren, trägt einen weit geschnittenen, dunkelblauen Hosenanzug, darunter eine cremefarbene Bluse und am Hals ein großes Tuch mit Blumenmuster.

Da sie sitzt, betrachte ich hauptsächlich ihr Gesicht, das, abgesehen vom verkniffenen Ausdruck, von zwei blauen Augen dominiert wird, kalt und hart, als wollten sie mich beeindrucken und klarstellen, wer hier Chef im Ring ist.

„Wie kommen Sie darauf, dass Ihr Mann Sie betrügt?“

„Ich weiß es, Herr Müller.“ Sie betont abermals jedes Wort – außer „Herr“ und „Müller“.

„Und woher wissen Sie es?“ Wenn ich mich darum bemühe, eine neue Klientin zu gewinnen, spiele ich sogar das blödeste Spielchen mit.

„Das steht hier nicht zur Debatte. Ich weiß es. Ich habe schließlich Augen im Kopf. Punkt. Was ich von Ihnen verlange, Herr Müller, sind handfeste Beweise. Fotos zum Beispiel. Fotos, die es belegen und meinetwegen konkret darstellen, wie mein Mann mich betrügt. Das wäre Teil eins des Auftrags. Teil zwei: Finden Sie den Namen dieser Person heraus und alles sonst über sie. Familie, Freunde, Bekannte, Beruf, Hobbys. Beschatten Sie auch diese Person – falls Sie es in Ihrem Metier so bezeichnen.“ Kurze Pause. „Ich fasse zusammen: Sie beschaffen mir Beweise für den Betrug und den Namen der Frau sowie alle relevanten Informationen über sie! Dafür bezahle ich Sie angemessen, Herr Müller.“

„Zweihundertfünfzig Euro pro Tag, etwaige Nachteinsätze kosten extra, der Vorschuss beläuft sich auf zweitausend Euro, gerne bar“, vermelde ich in der Geschwindigkeit einer Maschinengewehrsalve. Ich hoffe insgeheim doch ein wenig, diese hoch angesetzte Forderung würde sie abschrecken.

Von wegen! Ohne mit der Wimper zu zucken, öffnet Constanze ihre beige Handtasche und fischt einen Umschlag heraus. Sie blättert zwanzig 100-Euro-Scheine auf den Tisch. Danach scheint der Umschlag längst noch nicht leer zu sein. Womöglich hat sie mit einer höheren Vorauszahlung gerechnet.

Ich stecke mir eine Zigarette an, was ich normalerweise nicht im Büro tue. Seit Alice mit ihrer Mutter durchs Land tourt, paffe ich etwas mehr als gewöhnlich. Diesmal erfüllt die Kippe selbstverständlich mehrere Zwecke. Ich inhaliere bis zu den Kniekehlen und stoße den Qualm aus, eine volle Breitseite knapp an Constanze vorbei.

Wie erhofft hüstelt sie pikiert, fixiert mich durch den stinkenden Nebel. „Ich schätze, Sie mögen mich nicht, Herr Müller.“

„Das kann ich zu diesem Zeitpunkt nicht abschließend beurteilen.“ Ich versuche, die Scheine nachzuzählen. Es gelingt mir nicht, denn sie liegen zum größten Teil übereinander. Ich gebe das Vorhaben auf und sauge ein paarmal an der Kippe; nach dem letzten Zug drücke ich sie seufzend im Aschenbecher aus.

„Sie werden sich gewiss Ihr Urteil bilden, Herr Müller.“ Constanze zeigt mit dem Finger auf mich, mit dem Zeigefinger der rechten Hand. Direkt daneben, am Ringfinger, fängt ein goldener Ring einen Sonnenstrahl ein und blitzt mit einem unauffälligen Edelstein. Der reflektierte Strahl wandert an der Wand entlang, berührt kurz die Decke, erwischt mein linkes Auge und verschwindet im Nirwana. Der Ehering, denke ich, der sichtbare Beleg, warum Constanze behaupten darf, „ihr“ Mann betrüge sie.

Diese scharfsinnige Schlussfolgerung bringt mich auf eine Idee. „Ich benötige ein paar Informationen über Ihren Mann.“

Constanze greift erneut wortlos in ihre Handtasche, holt einen braunen DIN-A5-Umschlag heraus und legt ihn neben den Geldbatzen. „Hier steckt alles drin, was Sie für Ihre Arbeit brauchen, Herr Müller. Selbstverständlich enthalten diese Unterlagen auch meine Adresse und Telefonnummern, privat, mobil und dienstlich, sowie eine E-Mail-Adresse. Ich schaue mehrmals täglich in den Posteingang. Ich setze voraus, dass Sie sich in regelmäßigen Abständen bei mir melden, um mich über den Fortgang Ihrer Recherchen zu unterrichten“, erklärt sie und steht auf. „Wann höre ich zum ersten Mal von Ihnen?“

„Sobald ich etwas herausgefunden habe.“

„Wann kann ich damit rechnen?“

„Bald!“ Ich klinge so trocken wie ein gut gerührter Martini.

„Das wäre schön, Herr Müller“, beschließt sie süffisant und marschiert hinaus.

Wenn ich es nicht schon länger geahnt hätte – nach diesem Gespräch wüsste ich endlich, wie ich heiße. Auch wenn der Name „Müller“ aus Constanzes Mund eher nach etwas klingt, das man lieber nicht in den Mund oder in die Hand nimmt.

3

Carbonara

Bis zu acht Stunden täglich verbringt Axel zusammen mit Susanne, Rojin oder Udo in der Einsatzzentrale und blickt abwechselnd mal durch das Fernrohr, mal durch die Videokamera. Bis zu zwanzig Mal pro Stunde sitzt er vor dem Laptop und vergleicht frische Fotos von Personen, die sich bei den Lederwaren herumtreiben, mit den Fotos der Datenbank.

In der Datenbank sammeln die Fahnder nicht nur Aufnahmen von mehreren Tausend einschlägig vorbestraften Personen, sondern zusätzlich Fotos von allen Menschen, die seit Beginn der Observation den Stand besuchten. Alles in allem enthält die Datenbank rund fünfzehntausend digitalisierte Gesichter.

Axels Team nutzt eine Software der neuesten Generation für die Gesichtserkennung. Die wissenschaftlichen Hintergründe dieser Methode, insbesondere die notwendigen mathematischen Operationen mit Algorithmen und Ähnlichem, erscheinen Axel wie ein einziges Mysterium. Egal, das Wichtigste begreift er: Der Abgleich funktioniert selbst dann, wenn die entsprechende Person im Gegensatz zu früher auf einmal einen Bart, eine neue Frisur oder ein blaues Auge hat.

Gebannt starrt Axel jedes Mal auf den Bildschirm, während das Programm läuft. Entweder erscheint nach drei Sekunden die Meldung „unbekannt“ oder aber, nach etwa zehn Sekunden, die ältere Aufnahme der zu überprüfenden Person, inklusive Datum und Uhrzeit.

Selbstverständlich taucht hin und wieder ein bekanntes – und bisher stets unschuldiges – Gesicht am Lederwarenstand auf. Schließlich stolpern die Leute praktisch über diese Stände inmitten der Fußgängerzone; kaum ein Weg führt an ihnen vorbei.

Die Zahl der Passanten ist enorm: Schüler, Studenten, Rechtsanwälte, Ärzte, Banker, Geschäftsleute und natürlich die Kundschaft der Restaurants, Kaufhäuser, Buchhandlungen und Boutiquen – alle laufen sie zum Teil mehrmals täglich am Markt vorbei, auf dem Weg zur Arbeit, auf dem Weg nach Hause, zur U-Bahn, zur Schule, während der Mittagspause, beim Shoppen.

Seit Beginn des Frühlings steigt die Zahl der Menschen, die durch die Fußgängerzone strömen, kontinuierlich, zumal beinahe täglich die Sonne scheint.

Parallel dazu verschlechtert sich – ebenfalls Tag um Tag – Axels Laune. Er schnauzt grundlos die Kollegen an, schleudert leere Pizzakartons gegen die Wand oder hämmert brutal auf das Laptop ein, wenn der Bildschirm nach drei Sekunden ein weiteres Mal die Meldung „unbekannt“ anzeigt.

Mittlerweile leidet auch Axels Ehefrau Vanessa unter seiner miesen Stimmung. Falls die beiden sich überhaupt sehen. Wenn Axel nach stundenlangem Observieren und Nacharbeiten endlich zu Hause landet, arbeitet Vanessa häufig noch oder schon. Sie verkauft seit knapp einem Jahr Karten an der Kasse des Stadttheaters, mal nachmittags, mal abends. Zuvor schlug sie sich mit Gelegenheitsjobs durch.

Unter anderem jobbte sie bei einem Pizzaservice; ausgerechnet bei Axels angestammtem Lieferdienst, wo er seit einigen Jahren mindestens zweimal pro Woche italienische Spezialitäten bestellte.

Vor rund zwei Jahren spazierte Vanessa erstmals bei ihm herein, eine Portion Spaghetti carbonara und einen kleinen Salat jonglierend. Eine attraktive Frau Ende zwanzig mit kurzen, dunklen Haaren, freilich etwas abweisend.

Doch es war genau dieses Abweisende, das Axel, zusätzlich zum Aussehen der jungen Frau, an ihr reizte. Er war Ende dreißig, seit mehreren Jahren Single, rund fünf Kilo schwerer als heute und mit etwas mehr und wesentlich braunerem Kopfhaar gesegnet.

Mit ein paar Euro Trinkgeld gewann Axel Vanessas Zuneigung nicht, genauso wenig mit witzigen Bemerkungen. Beides probierte er zwei, drei Wochen lang aus, denn die junge Frau brachte ihm fortan regelmäßig Pizza, Pasta und Salat ins Haus.

Je häufiger er bei ihr abblitzte, desto mehr stachelte es ihn an, ihr Herz zu erobern. Zumal die Pizzabotin scheinbar bei jeder Lieferung an Anziehungskraft gewann.

Doch erst als sie sich eines Abends zufällig in Axels Stammkneipe trafen – beide waren allein dort und entdeckten einander an der Theke –, brach langsam das Eis. Nach der ersten regulären Verabredung an einem lauen Juniabend überschlugen sich die Ereignisse: Bereits im September desselben Jahres heirateten sie.

An der Theaterkasse zu arbeiten, deprimiert Vanessa. Sie fühlt sich zu Höherem berufen, zu großer Kunst, am liebsten auf der Bühne. Axel kann das gut nachvollziehen. Wie würde es sich für ihn anfühlen, wenn er ausschließlich Bürodienst schieben müsste, wo er doch für die Fahndung, für die Jagd nach Drogendealern geboren wurde? Beschissen.

Gleichwohl kann er es nicht ertragen, abends auf eine gereizte Vanessa zu stoßen. Zumal ihn die bisher ergebnislose Observierung des Lederwarenstands mächtig frustriert. So gerieten sie bereits einige Male aneinander, beschimpften sich aufs Übelste. Stets löste das Gespräch über ihre Jobs den Streit aus.

Axel tun diese Zwischenfälle mittlerweile leid, ihm fehlt aber leider die Kraft, darüber mit Vanessa zu reden. Das will er nachholen, sobald dieser Fall erledigt ist.

Falls das jemals geschieht. Denn die Leute, die sie aufspüren wollen, scheinen die Übergabe der Drogen perfektioniert zu haben. Zudem stecken sehr viele Personen dahinter, denn jedes Mal liefert jemand anders Haschisch und Kokain bei den Lederwaren ab.

Anders lässt es sich jedenfalls nicht erklären, dass der Händler alle zwei, drei Abende mit frischer Ware zum Bahnhof marschiert, um das Zeug dort zu verticken. Axels Leute überwachen den Händler seit über fünf Wochen rund um die Uhr. Es existiert definitiv keine andere Bezugsquelle als der Stand in der Fußgängerzone.

Die Tage danach sind die schlimmsten, die Tage, die auf jene Abende folgen, an denen der Händler am Hauptbahnhof dealte. Irgendwer aus dem Team muss sich dann das gesamte Videomaterial des Vortags ein zweites Mal ansehen, bis zu acht Stunden Programm. Vorspulen ist nur in Ausnahmefällen erlaubt.

Selbst dieses zweite Sichten der Bilder, im festen Glauben daran, dass Drogen den Besitzer wechselten, bringt sie bisher keinen Schritt weiter. Vielmehr verschwenden sie weitere acht Stunden Lebenszeit.

Der Händler, Anfang vierzig, mit Pferdeschwanz und Ziegenbart, dreht sich gerade eine Zigarette. Dutzende von Passanten schlendern vorbei, einige schlecken an überdimensionalen Portionen Eiscreme, andere beißen genüsslich in Baguettes oder pfeifen fröhlich vor sich hin. Ein stinknormaler Frühlingsvormittag in der Fußgängerzone.

Wie üblich halten sich einige Personen länger am Stand auf. Die Kameras nehmen sie auf und speisen die Bilder automatisch in den Rechner.

Rojin, die sich diese Schicht mit ihm teilt, überprüft Bild für Bild. Die junge Kollegin verstärkt erst seit einem halben Jahr Axels Team; vorher lief sie Streife. Rojin sprüht vor Elan, ist charmant, hilfsbereit und sorgfältig. Wenn sie eine ihrer klugen Ideen vorstellt, funkeln ihre schwarzen Augen, und wenn diese Ideen zu Ermittlungserfolgen führen, wehrt sie jegliches Lob ab und behauptet, jeder Erfolg sei bloß im Team zu realisieren. All diese Eigenschaften machen Rojin zu einer sehr beliebten Kollegin.

Wunder vollbringt sie bedauerlicherweise nicht, garantiert auch nicht bei diesem Abgleich. Einmal mehr dürfte alles sinnlos sein, werfen sie acht wertvolle Stunden auf den Müll, mutmaßt Axel. Und erneut werden sie heute oder morgen feststellen, dass der Lederwarenhändler unbemerkt frischen Stoff erhielt – wenn sie ihn abends am Bahnhof beim Dealen beobachten.

Axel schüttelt den Kopf. Das alles kann kaum mit rechten Dingen zugehen. Vielleicht, und damit greift er einen Gedanken auf, der sich seit Wochen in seinem Kopf einnistet, ist diese Chose nichts anderes als ein … Axel sucht erst mal vergeblich nach dem passenden Begriff.

4

Back on the Chain Gang

Ich schnappe mir Constanzes Geld, der Betrag stimmt. Eine nette Summe, nett genug, um mich Träumereien hinzugeben, angestoßen von Constanze, als sie vorhin von ihrer E-Mail-Adresse sprach.

Solch eine besitze ich ebenfalls und gebe mit ihr, brav dem Zeitgeist hinterherhechelnd, im Internet an. Aber die Adresse versteckt sich auf einer Homepage, die Boris Becker auf frühen Surf-Trips entdeckt haben könnte. Voll Neunziger, der Style. Zugleich der Hauptgrund, dass mir niemand mailt.

Heutzutage besitzt jede Hinz und jeder Kunz eine modernere Seite, und wahrscheinlich verfügen obendrein alle Meiers, alle anderen Müllers und alle Schulzes dieser Welt über schnelleren Zugang zum weltweiten Netz als ich.

Das muss sich flugs ändern, dafür investiere ich gern einen Teil dieses Honorars. Spätestens nach Alices Rückkehr leiere ich die Sache an. Alice kennt sich mit digitalen Dingen wesentlich besser aus als ich und behält zudem automatisch im Blick, ob und wie wir die neue Homepage am geschicktesten mit zusätzlichen Aktivitäten in den sozialen Netzwerken verknüpfen. Ein eigener Twitter-Kanal mit täglichen Tweets? Warum nicht? Bisher nutze ich Twitter bloß passiv.

Als Nächstes öffne ich den Umschlag. Drinnen steckt, wie nicht anders zu erwarten war, ein Foto von Herrn Matthäus.

In diesem Moment fällt mir ein, dass ich heute noch gar nicht meiner sehr privaten Leidenschaft frönte, eine Situation mit einem Lied zu verknüpfen, das ich diesmal – im Gegensatz zu vorhin bei George Harrisons Sonnensong – laut anstimme.

Spontan fällt mir zum Thema Foto ein Song ein, dessen finale Strophe wie folgt startet: „I found a picture of you, oh-oh. Those were the happiest days of my life …“. Passend zum Namen der Band gebe ich vor, ausgezeichnet zu singen.

Ob ich diesen Tag rückblickend zu meinen glücklichsten zählen werde, steht in den Sternen. Das Foto regt meine Glückshormone jedenfalls nicht an. Das Porträt, etwa so groß wie der Umschlag – zeigt einen jungen Mann, der wohl selten an die frische Luft kommt. Herr Matthäus ist blass und glatt rasiert. Die grauen Augen verstecken sich hinter einer monströsen Brille, das schüttere blonde Haar fällt ihm bis zur Ohrenmitte. Für das Foto hat er sich fein herausgeputzt, mit kariertem Sakko und dunkelgrüner Krawatte. Ich ahne, dass er sich beides nicht gern überwirft oder sich zumindest nicht gern darin fotografieren lässt, denn er schaut recht gequält in die Kamera.

Zusätzlich zum Foto enthält der Umschlag ein paar Ausdrucke mit Daten aus dem Leben von Herrn Matthäus sowie einen Abriss seiner augenblicklichen Tätigkeit – wenn er nicht gerade die Gemahlin betrügt.

Einen Vornamen führt er obendrein, der Herr Matthäus, natürlich nicht Lothar, sondern Steffen, und, genau wie Constanze, schreibt er sich einen Doktortitel vor den Namen, und zwar einen „Dr. rer. nat.“. Das bedeutet, wie wir alle wissen: Steffen Matthäus ist Naturwissenschaftler. Biologe, genauer gesagt, das entnehme ich zumindest den knappen biografischen Angaben. Im zarten Alter von neunzehn begann Steffen, wie ich ihn ab sofort nenne, in Münster zu studieren, wechselte dann nach Heidelberg, erwarb dort zunächst einen Master, anschließend besagten Doktortitel. Für Masterarbeit und Dissertation wählte er jeweils ein Thema aus der Biotechnologie.

Keines meiner bevorzugten Fachgebiete, gebe ich zu. Die komplizierten englischen Titel der Arbeiten helfen mir nicht entscheidend weiter.

In Heidelberg traf Steffen offenbar auf Constanze und heiratete sie, vor rund elf Jahren und noch vor dem Masterabschluss.

Seit knapp drei Jahren forscht Steffen an der Ruhr-Uni, aber irgendwie tritt er dort auf der Stelle. Jedenfalls begnügt sich der Biologe mit einer halben Stelle. Er arbeitet die restliche Zeit bei einem dieser Start-ups, also einer Firma, die aus der Uni heraus gegründet wurde. Es heißt „ACeBo GmbH“, in der Langfassung „AccessControlBochum GmbH“.

Irgendetwas mit Zugangskontrollen demnach. Bleibt nur zu hoffen, dass die dort entwickelten Kontrollen etwas mehr bewirken als den sprichwörtlichen Placeboeffekt und dass Dr. Steffen dort als Biologe etwas Adäquates zu tun bekommt. Das sprengt einstweilen mein Vorstellungsvermögen.

Unterm Strich bedeuten diese beiden Jobs für mein Zielobjekt: Steffen, laut Lebenslauf fünfunddreißig Jahre alt, forscht halbtags in den Labors der Biologie an der Ruhr-Uni, in der Regel montags bis freitags zwischen acht und vierzehn Uhr. Anschließend wechselt er vom Campus zum Technologie-Quartier, der Heimat von „AccessControlBochum“. Dort arbeitet Steffen bis neunzehn oder zwanzig Uhr und häufig, so Constanze, zusätzlich samstags und sonntags, ab acht Uhr bis mindestens sechzehn, siebzehn Uhr.

Mittagspausen und Ähnliches erwähnt Constanze nicht. Geben dürfte es sie, denn Arbeit allein macht bekanntlich weder glücklich noch satt.

Ich erspare mir die Mühe, all diese Arbeitsstunden zu addieren. Es sind auf jeden Fall zu viele; es bleibt kaum Zeit für ein trautes Eheleben, fürchte ich.

Wie sieht wohl Steffens Freundin aus? Constanze äußert sich gar nicht zu diesem Kapitel. Sie deutet noch nicht einmal an, ob sie einen Verdacht hegt, ob sie die Geliebte eventuell kennt oder ob es sich um eine fremde Person handelt.

Frau Doktor spricht ferner keinerlei Vermutungen aus, an welchen Wochentagen und zu welchen Uhrzeiten sie ihren Steffen im fremden Schoß wähnt und wo sich ihrer Meinung nach Steffen und die Geliebte treffen, um ins Bett zu hüpfen – falls es im Bett geschieht und nicht auf dem Rücksitz eines Autos oder auf einer Decke, ausgebreitet auf einer hübschen Blumenwiese, mit Kaninchen, Mäusen und Maulwürfen als Publikum. Immerhin schließt meine Klientin explizit aus, dass das Betrügen am Arbeitsplatz stattfindet, da dort die geeignete Bühne fehlt.

Ich habe mir also einen Fulltime-Job geangelt. Montags bis freitags zwischen acht Uhr morgens und zwanzig Uhr plus samstags und sonntags zwischen acht und siebzehn Uhr hält sich Steffen außerhalb der eigenen vier Wände auf. Das summiert sich – und jetzt addiere ich doch – im schlimmsten Fall auf schlappe achtundsiebzig Stunden in der Woche, in denen er theoretisch betrügen könnte und in denen ich ihn praktisch beschatten müsste.

Das heißt: Ich sollte seinen Wagen und den Eingang zu seinem Uni-Institut oder zu „AccessControlBochum“ im Auge behalten. Ich kann schließlich nicht mit ihm im Labor sitzen – das wäre etwas zu auffällig und laut Frau Doktor überflüssig.

Achtundsiebzig Stunden – viel Spaß, Mike!

5

I Will Follow Him

Axel beendet den Gedankengang nicht, denn genau in diesem Augenblick beobachtet er durch das Teleobjektiv etwas Seltsames. Ein südeuropäisch aussehender Mann, circa Anfang dreißig, fummelt an den Lederwaren herum, schnappt sich einen schwarzen Ledergürtel, hält ihn abwägend in der Hand, legt ihn vorsichtig zurück, prüft kurz ein Lederarmband, tänzelt ein paar Schritte nach links, befühlt eine der Lederjacken, eine zweite Jacke, eine dritte.

Die Art und Weise, wie er die Kleidungsstücke nach und nach anfasst, kommt Axel bekannt vor.

Den schlanken Mann hat er niemals zuvor gesehen, zumindest nicht in diesem Outfit: dunkelblauer Anzug, schwarze Schuhe, nach hinten gegeltes schwarzes Haar. Axel muss sich eigentlich nicht am PC vergewissern: Das hübsche, fein geschnittene Gesicht mit dem sorgfältig getrimmten Oberlippenbart spürt er dort garantiert nicht auf.

Aber trifft dies ebenso auf ein ähnliches Gesicht ohne Oberlippenbart und mit anderer Haarfarbe und Frisur zu? Auf einen Mann um die dreißig in Freizeitkleidung?

Denn diese Bewegung, dieses fast zärtliche Berühren des Leders, zudem die tänzelnden Schritte, das hat er bereits gesehen, ganz sicher.

Axel mag zudem nicht ausschließen, dass der Mann während dieser ausgeklügelten Choreografie geschickt kleine Tüten mit weißem Pulver in die Jackentaschen steckt. Und im selben Moment Geldscheine herausholt, da der Lederwarenhändler den Stoff schließlich bezahlen muss.

Axel informiert Rojin über seinen Verdacht.

Rojin fotografiert den Südeuropäer mit einer Kamera mit Teleobjektiv, startet dann das Programm.

Axel blickt auf die Uhr. Exakt drei Sekunden dauert es. Wie immer. Und wie üblich ploppt die Meldung „unbekannt“ auf dem Bildschirm auf.

„Scheiße“, flucht Axel.

Egal, diesen Kerl müssen sie dennoch im Auge behalten. Selbst wenn es sich bloß um ein Bauchgefühl handelt. Selbst wenn es praktisch aussichtslos erscheint, das Gesichtserkennungsprogramm zu überlisten. Doch nichts ist zu hundert Prozent gewiss, oder?

Rojin blickt ihn gespannt an. Er muss sich sofort entscheiden. Der Verdächtige begutachtet wieder Lederarmbänder, das erkennt Axel mit bloßem Auge. Er gibt Rojin ein Zeichen. Sie verständigt das Präsidium.

Kurze Zoom-Konferenz mit Kollegen und Vorgesetzten. Sie beratschlagen ein paar Minuten lang, wiegen Argumente ab, beschließen einstimmig, auf Axels Intuition zu vertrauen und den Südeuropäer ein paar Stunden lang zu beschatten.

Sie greifen nach einem Strohhalm, das ist allen bewusst, dem ersten nach sechs Wochen. Falls der Lederwarenhändler an diesem Abend am Bahnhof dealt, wären sie wohl auf der richtigen Fährte. Falls nicht …

In Windeseile stellen sie ein vierköpfiges Verfolgerteam zusammen. Udo wird die erste Etappe übernehmen, da er sich in der Nähe der Stände für einen kurzfristigen Einsatz bereithält. Susanne wird ihn bei nächstbester Gelegenheit ablösen; ihr wird Kurt folgen, ein erfahrener Beschatter; dann wird Axel einspringen, während Rojin eine Weile allein in der Zahnarztpraxis die Stellung hält.

Falls notwendig, werden andere Kollegen Axel nach einer gewissen Zeit ablösen. Am liebsten aber würde er dem Südeuropäer nicht nur folgen, sondern ihn bei den Hintermännern erwischen.

Er stimmt das weitere Vorgehen in der Zahnarztpraxis mit Rojin ab. Nebenher probieren beide von dem Essen, das sich die Kollegin für die Schicht mitgebracht hat, herzhafte Dips und Fladenbrot. Für eine Pizzabestellung bleibt heute keine Zeit.

Über Funk erfährt Axel kurz darauf, dass der Verdächtige zwischendurch in einem italienischen Eiscafé am Hauptbahnhof saß. Udo trank dort ebenfalls einen Espresso. Als Nächstes betrat der Südeuropäer ein Tabakwarengeschäft, kaufte eine italienische Zeitung, wurde daraufhin in „der Italiener“ umgetauft und lief zurück zur Einkaufsstraße. Als er dort ein Kaufhaus betrat, löste Susanne Udo ab und folgte dem Mann.

Der Italiener steuerte zielsicher die Herrenabteilung an und dort ausgerechnet die Stände mit den Lederjacken. Er probierte einige Jacken an, kaufte jedoch keine.

In diesem Moment fürchtete Axel erstmals, seine Intuition könne ihn im Stich gelassen und sie den Falschen erwischt haben. Der Mann suchte womöglich bloß eine neue Lederjacke und schöpfte alle Alternativen aus, welche die Stadt ihm bot.

Nach etwa zwanzig Minuten verließ der Italiener unverrichteter Dinge das Kaufhaus und besuchte ein anderes Café. Diesmal dauerte es wesentlich länger, denn der Mann las in der gerade gekauften Zeitung, während er Latte Macchiato trank. Susanne saß drei Tische entfernt; sie blieb im Café, als der Italiener hinausging. Kurt heftete sich an dessen Fersen.

Derweil bereitete sich Axel auf die Verfolgung vor. Das Mini-Mikro steckte im Jackenkragen, der Mini-Kopfhörer so gut wie unsichtbar im linken Ohr. Alles funktionierte perfekt. Rojin hob grinsend den Daumen, als er sich ihr präsentierte.

Längst bewegt Axel sich in Kurts Schatten hinter dem Italiener her. Gerade gleitet ihr Zielobjekt auf der Rolltreppe im Hauptbahnhof zur U-Bahnstation hinunter, springt in die Bahn Richtung Universität, die sogleich losfährt.

Kurt steigt in denselben Wagen, Axel in einen anderen. Er stellt sich an die Tür, um schnell reagieren zu können, falls der Italiener unerwartet aussteigt.

Ihr Mann verlässt die Bahn an der überirdischen Station hinter der Uni. Kurt bleibt sitzen; jetzt folgt endlich Axels Auftritt. Er läuft knapp fünfzig Meter hinter dem Italiener her und bestaunt aus der Ferne dessen elegante Bewegungen.

Axel fühlt sich an einen Laufsteg erinnert, der Italiener verwandelt sich in seiner Fantasie in einen filigranen Dressman.

Der Verdächtige schreitet auf einer parallelen Straße exakt in Fahrtrichtung der U-Bahn weiter, seit fünf Minuten schon.

Axel fragt sich, ob der Mann eventuell eine Station zu früh ausstieg. Falls ja: War es ein Versehen, zum Beispiel aufgrund mangelnder Ortskenntnis? Oder geschah es absichtlich, da der Italiener befürchtet, dass ihn jemand beschattet?

Vorsichtshalber dehnt Axel den Abstand etwas aus und teilt den Kollegen im Präsidium mit, dass es nun an der Zeit sei, den Nachfolger ins Rennen zu schicken.

Vorgesehen war, dass der junge Willi Kollmann mit dem Auto an Axel vorbeifährt und die Verfolgung übernimmt. Dummerweise, so erfährt Axel nun, wurde Willi auf dem Weg zum Wechsel in einen Auffahrunfall verwickelt. Er verspätet sich um mindestens fünfzehn bis zwanzig Minuten.

6

Im Wagen vor mir

Der Parkplatz hinter dem kubusartigen Gebäude wird nur spärlich beleuchtet. Vor etwa zehn Minuten sprangen drei funzelige Laternen an, die einen Bereich ausleuchten sollen, der die Größe von drei ausgewachsenen Fußballfeldern aufweist.

Ob es dennoch gelingt, müssen wir später beurteilen; schließlich dämmert es erst leicht, und das Zwielicht sorgt für ausreichende Sicht und damit für ein Gefühl trügerischer Sicherheit.

Licht gaukelt solch ein Geborgenheitsgefühl bisweilen vor. Das kleine Waldstück, das auf der anderen Seite an den Parkplatz grenzt, eher nicht. Vor allem für die Damen, die hier ihre Autos abstellen, wünsche ich mir in solchen Konstellationen kompetentes und allzeit präsentes Wachpersonal, von dem einstweilen allerdings nichts zu sehen ist.

Andererseits verzichte ich liebend gern darauf, auf Wachleute zu stoßen. Schließlich sitze ich seit zwei Stunden in meinem Toyota und starre unablässig auf den zehn Meter entfernt parkenden blauen Volvo. Da läge der Verdacht nahe, dass ich auf vollständige Dunkelheit lauere und darauf, dass eine hübsche Angestellte oder Studentin vorbeispaziert, der ich in aller Seelenruhe und in böser Absicht nachstellen kann.

Der Volvo gehört selbstverständlich Steffen Matthäus. Denn nur wenige Stunden nach Constanzes Besuch bei mir begann das Beschatten im Technologie-Quartier.

Jetzt ist es kurz nach halb acht und offenbar experimentiert Steffen noch mit … Ich weiß es nicht. Über seinen Job bei ACeBo verrät Constanzes Dossier herzlich wenig.

Mit meinen Nerven experimentiert Steffen auf jeden Fall, ohne sich dessen bewusst zu sein, denn ich bin zu einer Party eingeladen. Jutta und Helmut feiern den zweiten Geburtstag ihres Restaurants Sommernachtstraum. Seit neunzehn Uhr feiern sie und warten gewiss voller Sehnsucht auf mich.

Aber nein, ich musste unbedingt Detektiv werden, damit ich auf diesem öden Parkplatz herumlungern darf, um stundenlang auf fremde Autos zu glotzen, den Pflanzen beim Wachsen zuzuschauen und dem Asphalt beim Vermodern. Und um mir blöde Ausreden auszudenken, falls mich das Wachpersonal doch noch in die Enge treibt.

Stattdessen könnte ich mir an irgendeinem netten Gymnasium im beschaulichen Sauerland den Allerwertesten platt sitzen, gelegentlich Anekdoten zum ollen Bismarck zum Besten geben und pickeligen Teenagern das Kugelstoßen beibringen.

Ich habe nämlich ein Lehramtsstudium abgeschlossen, nachdem ich zunächst mein Glück in der Sozialwissenschaft gesucht und ein Semester lang nicht hatte finden können. Sport und Geschichte. Inklusive Erstem Staatsexamen.

Aber nein, Mike Müller zieht es vor, als Detektiv zu arbeiten, anstatt zu unterrichten. Denn Mike Müller bewarb sich damals nicht für den Vorbereitungsdienst. Und warum nicht? Keine der Städte, die in jenem Jahr als Seminarstandorte für das Referendariat dienten, passte ihm.

Also flog der gute Mike für ein paar Monate zum Ausspannen nach Australien, statt sich ins Referendariat zu stürzen. Als er heimkehrte, stieg er zunächst als Angestellter in eine Detektei ein, verdingte sich dort ein Jahr lang als Klinkenputzer, wagte schließlich den berühmten Sprung in die Selbstständigkeit.

Und putzt weiterhin Klinken. Und gafft auf hässlichen Parkplätzen Autos an. Und wartet.

Die Idee, den Detektivberuf zu ergreifen, purzelte nicht einfach so vom australischen Himmel in meine ausgebreiteten Arme. Ich spielte schon in meiner Kindheit mit diesem Gedanken, las früh einschlägige Literatur. Chandler, Hammett, Christie und Doyle.