Sein letzter Witz - Arne Dessaul - E-Book

Sein letzter Witz E-Book

Arne Dessaul

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Beschreibung

Wer anderen auf die Füße tritt …  Der erfolgreiche Satiriker und TV-Entertainer Tom Werner – gefeiert als der neue Jan Böhmermann – reißt in seiner Show gern böse Witze und trampelt genüsslich anderen Menschen auf den Füßen herum. Wurde er deshalb in seiner Bochumer Hotelsuite erstochen und mithilfe einer Säge seiner beiden Füße entledigt? Schnell findet die Polizei einen Verdächtigen aus dem direkten Umfeld: Lothar Schröder. Ihm hat der Entertainer-Kollege zuletzt übel mitgespielt. Und an seinen Händen klebt buchstäblich Werners Blut. Doch ist Lothar Schröder wirklich der Täter? Da die Polizei sich mit dem Verdächtigen zufriedengibt, engagiert Schröders Anwältin Oxana Petrowa den Privatdetektiv Mike Müller. Er soll die wahren Hintergründe dieses brutalen Verbrechens aufklären. Im zweiten Bochum-Krimi muss der Privatdetektiv sein ganzes Können einsetzen, um den Fall im Alleingang zu lösen. Der zweite Fall für Mike Müller!

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Arne Dessaul

Sein letzter Witz

Ein Bochum-Krimi

 

Über das Buch

Wer anderen auf die Füße tritt …

Der erfolgreiche Satiriker und TV-Entertainer Tom Werner – gefeiert als der neue Jan Böhmermann – reißt in seiner Show gern böse Witze und trampelt genüsslich anderen Menschen auf den Füßen herum. Wurde er deshalb in seiner Bochumer Hotelsuite erstochen und mithilfe einer Säge seiner beiden Füße entledigt?

Schnell findet die Polizei einen Verdächtigen aus dem direkten Umfeld: Lothar Schröder. Ihm hat der Entertainer-Kollege zuletzt übel mitgespielt. Und an seinen Händen klebt buchstäblich Werners Blut. Doch ist Lothar Schröder wirklich der Täter? Da die Polizei sich mit dem Verdächtigen zufriedengibt, engagiert Schröders Anwältin Oxana Petrowa den Privatdetektiv Mike Müller. Er soll die wahren Hintergründe dieses brutalen Verbrechens aufklären.

Im zweiten Bochum-Krimi muss der Privatdetektiv sein ganzes Können einsetzen, um den Fall im Alleingang zu lösen.

Impressum

Alle Rechte vorbehalten, insbesondere das Recht der mechanischen, elektronischen oder fotografischen Vervielfältigung, der Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen, des Nachdrucks in Zeitschriften oder Zeitungen, des öffentlichen Vortrags, der Verfilmung oder Dramatisierung, der Übertragung durch Rundfunk, Fernsehen oder Video, auch einzelner Text- oder Bildteile.

Alle Akteure des Romans sind fiktiv, Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen wären rein zufällig und sind vom Autor nicht beabsichtigt.

 

Copyright © 2022 by Maximum Verlags GmbH

Hauptstraße 33

27299 Langwedel

www.maximum-verlag.de

 

1. Auflage 2022

 

Lektorat: Dr. Rainer Schöttle

Korrektorat: Herwig Frenzel

Satz/Layout: Alin Mattfeldt

Umschlaggestaltung: Alin Mattfeldt

Umschlagmotiv: © Epifantsev / Shutterstock, Stock Vector One / Shutterstock

E-Book: Mirjam Hecht

 

Druck: Booksfactory

Made in Germany

ISBN: 978-3-948346-45-4

 

 

Inhalt

Über das Buch

Impressum

Inhalt

Widmung

Vorbemerkung

Personal

Prolog

1 Mike

2 Mike

3 Mike

4 Mike

5 Mike

6 Lutz

7 Mike

8 Mike

9 Mike

10 Lutz

11 Mike

12 Mike

13 Lutz

14 Mike

15 Lutz

16 Mike

17 Lutz

18 Mike

19 Mike

20 Lutz

21 Mike

22 Lutz

23 Mike

24 Lutz

25 Mike

26 Mike

27 Lutz

28 Mike

29 Lutz

30 Mike

31 Lutz

32 Mike

33 Lutz

34 Mike

35 Mike

Epilog

Playlist

Der Autor Arne Dessaul

Zehn Fragen an … Arne Dessaul

MAXIMUM: Kriminalromane und Thriller

Der erste Teil um Mike Müller

Die Reihe um Kommissar Casper Munk

Widmung

Für alle friedliebenden Fans dieser Welt

Vorbemerkung

Auch in diesem Roman habe ich alles – Figuren und Ereignisse – frei erfunden. Etwaige Ähnlichkeiten mit lebenden Personen oder mit tatsächlichen Geschehnissen wären reiner Zufall.

Alle Kapitel haben Überschriften, die zugleich Titel von Liedern sind. Am Ende des Buches steht die entsprechende Playlist für alle, die in den einen oder anderen Song hineinhören möchten.

Personal

Mike Müller, Privatdetektiv in Bochum.

Alice Kramer, Lebensgefährtin, Sekretärin und Mitbewohnerin von Mike.

Oxana Petrowa, Anwältin.

Jakob Dieckmann, Bochumer Reporterurgestein.

Jutta Langner, betreibt das Restaurant Sommernachtstraum gegenüber vom Bochumer Schauspielhaus.

Helmut Jordan, Juttas Lebensgefährte, pensionierter Kripobeamter und Wirt.

Kriminaloberkommissarin Lisa Bertram, Kripo Bochum, Kriminalkommissariat 11.

Kriminalhauptkommissar Henning Schmitt, Partner von Lisa, privat und beruflich, frisch befördert.

Wanda Arnold, Bochumer Lokalreporterin.

Lothar Schröder, TV-Entertainer.

Tom Werner, ebenfalls TV-Entertainer.

Carmen Werner Martinez, Ehefrau von Tom.

Jenny Kaiser, Fan von Lothar Schröder.

Lutz Wegmann, Lebensgefährte von Jenny und vorbestrafter Schreinermeister.

Prolog

Hoppla, fast hätte er zum dritten Mal den falschen Code eingegeben. Im letzten Moment entscheidet er sich für die richtige Endziffer und presst seinen Zeigefinger darauf. Zum Glück sind die Tasten groß genug.

Die Eingangstür zum Hotel öffnet sich. Er betritt die menschenleere Lobby und schleicht an der Rezeption vorbei.

Vorhin hat er locker die Treppe genommen. Doch zwischen vorhin und jetzt liegt ein langer Abend an der Theke. Besser diesmal den Aufzug nehmen. Er dreht den Finger ein paarmal im Kreis, kneift die Augen zusammen, stößt mit dem Zeigefinger zu und trifft beim ersten Versuch den Knopf. Die Tür gleitet auf. Wieder zielt er perfekt und erwischt auf Anhieb die Zwei.

„Ha, geht doch!“, sagt er laut. Niemand hört ihn um diese Zeit.

Trotzdem, es sind ein paar Bierchen zu viel gewesen. Schuld ist dieser Ralf. Der hat ihn zum Saufen verführt. Netter Typ. Allerdings etwas einfach gestrickt. Lackverkäufer oder so. Na ja, es kann nicht nur Künstler auf dieser Welt geben. Aber ihn für morgen Nacht einladen? Für die kleine Party im Hotelzimmer? Reichlich übertrieben. Und ihm gleich noch den Zugangscode zum Hotel zu verraten? Zimmernummer inklusive? Etwas naiv, oder?

Wahrscheinlich würde Ralf gar nicht erscheinen morgen Nacht. Das wären ihm dann doch zu viele Promis auf einen Haufen, oder? Und falls doch, würde sich schon irgendjemand um Ralf kümmern. Wahrscheinlich müsste man ihm bloß eine Pulle in die Hand drücken, um ihn glücklich zu machen.

Egal.

Der Aufzug stoppt. Die Tür gleitet erneut auf. Er torkelt los.

Der Gang erstreckt sich schier endlos vor seinen Augen. Schummrige Notbeleuchtung. Kann das Licht nicht automatisch anspringen? Er hat keine Lust, den Lichtschalter zu suchen.

Egal.

Er tastet sich vorsichtig in den Gang hinein.

Zimmer neunzehn liegt linker Hand, das weiß er noch. Also bleibt er auf der linken Seite, Handkontakt zur Wand.

Zimmer elf.

Zimmer dreizehn.

Zimmer fünfzehn.

Zimmer siebzehn.

Zimmer neunzehn.

Endlich.

Jetzt braucht er nur noch seine Karte.

In der Hosentasche.

Prima.

Ups, fast gleitet ihm die Karte aus der Hand. Im letzten Moment hält er sie fest. Er grinst freudig über seine schnelle Reaktion und betrachtet fragend die Karte, so gut das schwache Licht es zulässt.

Mit welcher Seite benutzt man die denn wohl?

Ach egal, einfach vor den Türgriff halten.

Siehe da, es leuchtet grün; er drückt die Tür auf.

Was?

Er spürt eine Bewegung hinter sich.

Ein Schatten?

Er will sich umdrehen.

Zu spät.

1 Mike

Losing my Religion

Tom Werner trat anderen Menschen gern auf die Füße, wie es so schön hieß. Damit war jetzt definitiv Schluss. Der berühmte Entertainer lag bäuchlings auf dem persergemusterten Teppich seiner Hotelsuite, zwischen Couch und Sideboard. Jemand hatte das Bild mit dem Treten wohl etwas zu wörtlich genommen. Tom Werner fehlten beide Füße.

Insgesamt kein schöner Anblick, doch für schöne Anblicke fühlte ich mich ohnehin nicht zuständig. Als Privatdetektiv konzentrierte ich mich auf die dunkle, die hässliche Seite des Lebens.

Mike Müller, stets zu Diensten, für zweihundert Euro am Tag. Plus Spesen.

Ich betrachtete allerdings bloß ein Foto des toten Tom Werner. Mein Freund Henning Schmitt, frisch befördert zum Kriminalhauptkommissar und auf dem steilen Weg nach oben im berühmten Bochumer Kriminalkommissariat 11, hielt es mir unter die Nase. Er tat dies nicht aus reiner Freundschaft, es handelte sich eher um Amtshilfe. Mein Klient Lothar Schröder, ein anderer berühmter TV-Entertainer, wurde des Fußabschneidens verdächtigt.

Vorher soll er Tom Werner erstochen haben. Neunmal soll er zugestochen haben, in Bauch und Brust. Vier der Stiche wären an sich bereits tödlich gewesen, behauptete der Gerichtsmediziner.

Eine nette Geste, fand ich, erst mit einem Messer zuzustechen und danach die Füße mithilfe einer Säge abzutrennen. Andersherum wäre es schlimmste Folter gewesen.

Diesen Kommentar verkniff ich mir, trotz der Freundschaft zu Henning. Ich wusste, dass er für derartige Sprüche nicht viel übrighatte. Henning, wie ich ein Enddreißiger, den ich von Kindesbeinen an kannte, gehörte zur ernsten Fraktion. Sogar sein Händedruck fiel meist humorlos aus. Selbst ich musste mich gehörig anstrengen, dem etwas entgegenzusetzen.

Henning war eine imposante Erscheinung. Um die ein Meter fünfundachtzig groß, braunes, kurz geschnittenes Haar, dunkler Teint, jede Menge Muskeln, die sich auch heute unter seinem weißen Hemd abzeichneten. Seine Augen musterten mich neugierig und wären bestimmt gern in meine Gedanken eingedrungen.

Dort wären sie auf Lothar Schröder getroffen, der in U-Haft saß. Mangels weiterer Verdächtiger konzentrierte die Polizei sich auf ihn und drehte ihn ordentlich durch die Mangel, um mal einen Satz mit zwei Mangeln zu bilden.

Besser zwei Mangeln als zwei Mängel, wie mein Vater gesagt hätte, damals bei uns daheim der Experte für Waschmangeln. Ungewöhnlich für die damalige Zeit, zugleich das einzige Indiz dafür, dass meine Eltern womöglich eine moderne Ehe geführt hätten.

Taten sie nicht. Vater arbeitete bei Opel, Mutter führte den Haushalt – außer Wäsche mangeln. Das ließ mein Vater seine Mutter erledigen, die eine echte Waschmangel besaß.

Schlimmer für Lothar Schröder war: Henning und Konsorten dachten nicht im Traum daran, nach weiteren Verdächtigen zu suchen. Lothar Schröder besaß ein Motiv, kein Alibi und genau die DNA, die die Polizei zuhauf in der Suite von Tom Werner gefunden hatte. DNA von anderen möglichen Verdächtigen oder sonstige Spuren hatte die Kripo dort bislang nicht gefunden. Oder nicht gesucht? Dazu ließ der Herr Kriminalhauptkommissar nichts verlauten. Er gab sich verdächtig zugeknöpft und beschränkte die erwähnte Amtshilfe auf ein Mindestmaß.

Henning leitete die eilig gebildete Mordkommission. Der Fall beherrschte immerhin die Schlagzeilen in Zeitung, Radio, Fernsehen und erst recht in den sozialen Medien. Schließlich galt Tom Werner als „neuer Jan Böhmermann“.

Als die Polizei Lothar Schröder, der eher zur Generation von Stefan Raab oder Oliver Welke gehörte, festnahm, entdeckte sie zu allem Überfluss ein paar blutige Kleidungsstücke in seiner Wäschetruhe. Wie es sich für einen Bilderbuchmordfall gehörte, klebte das Blut von Tom Werner an Hemd, Hose und Jacke.

Ein bisschen konnte sogar ich verstehen, dass die Kripo ihn einsacken wollte.

Was Lothar Schröder behauptete, klang in meinen Ohren ebenso wenig nach den Gebrüdern Grimm. Leiche entdeckt, blöderweise angefasst und rasch getürmt, weil ihn ein saftiger Händel mit Tom Werner verband und er selbst vorbestraft war wegen leichter Körperverletzung. Nun ja, Schröder hatte mal einen aufdringlichen Fan weggeschubst; dieser Fan stürzte unglücklich und prellte sich dabei den Ellbogen. Kein Kapitalverbrechen.

Okay, für die Polizei mochte sich das durchaus anhören wie ein Märchen. Für Lothar Schröders Anwältin nicht. Oxana Petrowa, eine alte Freundin von mir, hatte mich beauftragt, die Arbeit der Polizei zu übernehmen und den wahren Täter zu suchen.

Da ich weder besonders gut lügen noch ein Geheimnis für mich bewahren konnte, spielte ich gegenüber der Kripo von Beginn an mit offenen Karten. Gewissermaßen zur Belohnung präsentierte Henning mir nun die Fotos vom Tatort.

Die halfen mir wenig. Dass Tom Werner tot war, hätte ich auch so geglaubt. Auf den Anblick des ganzen Bluts und der verstümmelten Beine hätte ich sogar liebend gern verzichtet. Ebenso auf die Bilder der Einstichwunden in Bauch und Brust.

Henning breitete eine ordentliche Sammlung an Fotos auf seinem antiseptisch sauberen Schreibtisch im Bochumer Polizeipräsidium aus, auf dem sich ansonsten nur ein altmodisches Telefon langweilte, das dort schätzungsweise seit 1995 vergebens auf Arbeit wartete, seitdem aber erfreulicherweise regelmäßig geputzt wurde. Nichts an diesem weißen Wunderwerk früher deutscher Ingenieurskunst wirkte speckig oder dreckig. Möglicherweise benutzte Henning dieses Telefon gar nicht. Entweder weil er damit all die erst nach 1995 entdeckten Gebiete auf unserem Planeten nicht erreichen konnte, oder weil er sich lieber sein iPhone neuester Generation ans Ohr presste. Soweit ich wusste, hatte Henning seine Büro-Durchwahl dauerhaft auf sein Smartphone weitergeleitet.

„Der Fall ist eindeutig, Mike“, sagte Henning mit fester Stimme. „Deine Suche ist reine Zeit- und Geldverschwendung.“

„Für das Geld von fremden Leuten verschwende ich gern meine Zeit“, antwortete ich. „Vielleicht verschwende ich es gar nicht. Was glaubt ihr denn beispielsweise, wie Schröder um Mitternacht in das Hotel gekommen ist? Da stehen nachts nicht die Türen offen, und eine belastende Aussage eines Portiers liegt nicht vor, sagt die Anwältin. Schröder behauptet, Tom Werner hätte ihm den Zugangscode verraten. Wie lautet eure Theorie?“ Um Mitternacht war Schröder nach eigenen Angaben in das Hotel gekommen. Irgendwann zwischen Mitternacht und zwei Uhr morgens war Tom Werner laut Pathologie ermordet worden.

„Leider verfügt das Hotel über keine funktionierende Überwachungskamera am Eingang. Die Bilder hätten uns sonst die Wahrheit frei Haus geliefert.“ Henning unterbrach sich kurz, um mir zuzunicken. „Wir vermuten, dass Schröder in einem Moment ins Hotel eindringt, in dem ein anderer Gast rausgeht und die Tür kurz offen steht. Mit anderen Worten: Schröder hat genau auf diesen Moment gelauert.“

„Um Mitternacht? Sehr optimistisch. Lothar Schröder wäre im Übrigen nicht der erste Mensch, der angesichts solch einer Leiche komplett die Nerven verliert. Mein Klient behauptet, wie du weißt, dass er sich mit Tom Werner versöhnt hat und dass die beiden sogar eine gemeinsame Fernsehshow planten. Sie wollten sich treffen, um darüber zu sprechen, und Tom Werner hat Schröder deshalb den Zugangscode verraten. Und, Henning, mal unter uns: Welcher Mörder ist so dämlich und packt seine blutverschmierten Klamotten nicht direkt in die Waschmaschine, sondern erst einmal in die Wäschetruhe und lässt sie dort über zwanzig Stunden vor sich hin muffeln, bis die Kripo vorbei- und bei dieser Gelegenheit in die Wäschetruhe schaut und sie als perfektes Beweismittel sichert? Mal davon abgesehen, dass euer angeblicher Mörder sich schon bei der Tat selten dämlich anstellt und munter Spuren hinterlässt und keine Handschuhe trägt. Hältst du Lothar Schröder für so selten dämlich?“

„Ich halte ihn für den Mörder, allein das zählt“, antwortete Henning einsilbig. „Und Tom Werners Managerin weiß nichts von dieser geplanten Versöhnung. Wir haben sie gefragt. Sie ist nicht nur seine Managerin und leitet mit ihm zusammen eine Produktionsfirma, sie ist zudem seine Ehefrau und dürfte wohl die Erste sein, der Tom Werner so etwas erzählt.“

„Werner hat ihr offensichtlich bisher nichts davon erzählt. So was kommt in den besten Familien vor.“ Ich sah dennoch ein, dass hier ein weiteres Puzzleteil auf dem Tisch lag, mit dem Henning und seine Meute ihr Bild von Lothar Schröder vervollständigten. Was fehlte, waren das Messer und die Säge. Sollten diese Werkzeuge jemals auftauchen und Fingerabdrücke und DNA ausnahmslos von Lothar Schröder aufweisen, würde selbst ich vom Glauben an Schröders Unschuld abfallen.

Da ich neuerdings praktisch jeden absurden Gedanken automatisch mit einem meiner Lieblingssongs verband, sah ich mich prompt in der Ecke von Hennings Büro kauern, geblendet vom grellen Spot, wie ich gerade meinen Glauben verliere.

Henning, nichts ahnend von meinen abschweifenden Gedanken, holte mich zurück ins wahre Leben. „Wie du meinst, Mike. Du weißt, dass ich dich bei deinen Ermittlungen diesmal nicht unterstütze. Und ich warne dich davor, uns in die Quere zu kommen.“

„Ich kenne die Regeln“, gab ich zurück. „Aber wenn ich etwas herausfinde, das euch weiterbringt, kann ich mich vertrauensvoll an euch wenden, stimmt’s?“

„Na, nun werde mal nicht zynisch. Wenn du etwas herausfindest, das uns weiterbringt, hilft es zugleich deinem Klienten. Und du wirst automatisch bei mir auf der Matte stehen.“

Dagegen ließ sich nichts einwenden. Im Gegenteil: Diese Vorlage für ein schlaues Schlusswort spielte ich Henning mit voller Absicht zu. Ich kannte meine Pappenheimer. Von Henning wusste ich, dass er gern ein Gespräch mit einem schlauen Spruch beendete. Dann fühlte er sich besser.

Ich richtete einen von Herzen kommenden Gruß an seine bessere Hälfte aus, Lisa Bertram, ebenfalls beim KK 11 beschäftigt, zurzeit krank und darum außer Dienst, und verabschiedete mich.

Es gab allerhand zu tun.

2 Mike

Needles and Pins

Ich brauchte schnellstmöglich mehr Informationen über Lothar Schröder und Tom Werner, am besten solche, die weder in der Klatschpresse kursierten noch zu den ersten Treffern bei Google gehörten.

Glücklicherweise verfügte ich über eine geeignete Quelle: den Journalisten Jakob Dieckmann, der für die heimische Ruhrzeitung und das Ruhrgebietsmagazin Coolibri schrieb.

Unmittelbar nach meinem Besuch im Polizeipräsidium rief ich Jakob an. Er hatte an diesem Abend nichts vor, sagte er. Also machte ich Nägel mit Köpfen und ein Treffen mit ihm aus.

Jakob ließ sich vorzugsweise mit der Aussicht auf ein paar leckere Drinks in einer Szenekneipe locken. Die Goldkante im Ehrenfeld eignete sich dafür vortrefflich.

Ein studentischer Verein hatte das Lokal vor acht, neun Jahren gegründet. Davor war hier ein Computergeschäft untergebracht gewesen. Daran erinnerte das riesige Schaufenster zur Alten Hattinger Straße.

Es gab zwei Räume. Den vorderen Raum dominierte besagtes Schaufenster, dessen Fensterbänke als Sitzflächen genutzt wurden. Abgesehen von diesen Sitzgelegenheiten hatten die Studis den Raum mit bunt zusammengewürfelten Möbeln ausstaffiert, von denen ein Teil, vor allem die Sessel, gewiss vom Sperrmüll stammte.

Im vorderen Raum fanden Durstige die Theke, an der sie sich ihre Getränke selbst holten. Blieb jemand länger, wurde ein Bierdeckel angelegt. Wer nur einmal bestellte, bezahlte sofort. Es gab ausschließlich Bier aus Flaschen, dafür ausgefallene Marken aus dem Schwarzwald und anderen abstrusen Gegenden der Welt. Dazu Wein, Alkoholfreies, Kaffee sowie preiswerte Cocktails, die sich durch einen hohen Alkoholgehalt auszeichneten.

Wer die Theke rechts liegen ließ, erreichte durch einen schmalen Gang mitsamt den Toiletten den hinteren Raum. Auch hier warteten jede Menge alte Möbel auf frisches Sitzfleisch. Rechts in der Ecke versteckte sich ein hochwertiges DJ-Pult und geradeaus erstrahlte trotz des Schummerlichts eine helle Wand, die gelegentlich als Projektionsfläche für künstlerische Installationen diente. Im hinteren Raum gab es kein einziges Fenster. Früher war dies der Raucherraum gewesen. Diese Phase hatte deutliche Geruchsspuren hinterlassen.

Jakob und ich entschieden uns nicht zuletzt deshalb für den vorderen Raum und eine der Fensterbänke. Als Schaufensterpuppe betrachtete ich mich dadurch keineswegs. Ich konnte aber zwischendurch immer mal wieder einen Blick nach draußen werfen: auf Menschen, die auf dem Gehweg vorbeiflanierten, und auf die schicken Schlitten, die auf der Straße herumkurvten.

Allein durch unser Eintreffen erhöhten Jakob, der kürzlich fünfzig geworden war, und ich den Altersdurchschnitt in der Goldkante erheblich. Fast alle anderen Gäste waren Studentinnen und Studenten, die allesamt aussahen, als wenn noch immer Kurt Cobain die Mode bestimmte. T-Shirts mit Schwarz-Weiß-Motiven und Jeans mit vorproduzierten Löchern.

Trotz des Altersunterschieds nickte Jakob beinahe jedem anderen Gast zu. Er wohnte mit seiner Familie mitten im Ehrenfeld, weniger als einen Kilometer von der Goldkante entfernt, und kannte die Leute hier zumindest vom Sehen, einige auch durch seine Arbeit.

Jakob war aber keiner von diesen Journalisten, die einen Raum betraten und sofort im Mittelpunkt standen. Eher jemand, der sich gern zurücknahm. Knapp ein Meter achtzig groß, schlank, dunkelblonde Haare, kantiges Gesicht, braune Augen, schmaler Mund, in der Regel unrasiert, mindestens seit drei Tagen. Sein Blick wirkte häufig etwas verschlafen. Jakob trug heute eine dieser sommerlichen Funktionsjacken mit tausendundeiner Tasche, dazu Jeans und derbe braune Schuhe.

Ich wohnte sogar noch näher an der Goldkante, um die ich jedoch für gewöhnlich einen großen Bogen machte, da ich möglichst Leute mied, die ständig über Klima, Politik und französische Problemfilme diskutierten. Letzteres nötigte mir meine Lebensgefährtin Alice häufig genug auf.

Auch an diesem Abend schlugen mir als Erstes Begriffe wie „Kohlendioxid“ und „Godard“ entgegen. Und das bloß auf dem Weg zur Theke, wo ich die erste Runde Getränke, besagtes Flaschenbier aus dem Schwarzwald, besorgte.

Ich drückte Jakob eine der Pullen in die Hand und kam sofort zur Sache. „Kannst du mir was über Tom Werner und Lothar Schröder erzählen? Bevor du fragst: Ich arbeite für Lothar Schröder. Er wird dringend verdächtigt, Tom Werner getötet zu haben, und sitzt in U-Haft.“

„Ich hörte davon. Schreckliche Geschichte. Nicht, dass ich einen von beiden mag oder mochte.“

„Nein?“

Jakob schüttelte sich theatralisch. „Nein. Beides sind Typen, die ihre Lacher und ihren Applaus praktisch ausnahmslos auf Kosten anderer bekommen. Grausig. Lothar Schröder ist schon recht lange im Geschäft. Die Show auf RTL, die seinen Namen trägt, gibt es seit circa zwölf Jahren. Im Grunde genommen geht es ihm vorrangig darum, andere Menschen durch den Kakao zu ziehen: Fußballer, Schlagerstars und B-Promis. Er zeigt sie in unvorteilhaften Situationen, stellt sie bloß, verdreht Zitate. Er ruft auch gern mal bei früheren Kandidatinnen von Germany’s Next Topmodel an und verspricht ihnen lukrative Jobs. Hinterher lacht er sich kaputt über die kindische Freude dieser Frauen.“ Jakob trank einen Schluck Bier. „Tom Werner ist wesentlich jünger als Schröder und erst seit ein paar Jahren im Showbiz. Er war zuerst auf einem dieser Nischenkanäle der Öffentlich-Rechtlichen zu sehen und fand dort seine Fangemeinde. Darum wurde SAT 1 auf ihn aufmerksam und holte ihn. Tom Werner moderiert nun täglich eine eigene, nach ihm benannte Show. Er verarscht zwar häufig ebenfalls Sängerinnen und Schauspieler, jedoch vorzugsweise Politiker oder halt andere Showtypen wie Lothar Schröder, die länger dabei sind und sich etwas zu sehr in früheren Erfolgen sonnen. Die selbstgefällig geworden sind. Selbstgefällig ist Tom Werner allerdings auch – gewesen. Vor allem besitzen beide, Schröder und Werner, ein dünnes Fell. Austeilen ja, einstecken nein. Erinnerst du dich an die Sache mit Bernd Hetzer?“

„Diesem Rechtsausleger der AfD?“, fragte ich vorsichtshalber.

„Genau.“

„Nein, ich erinnere mich nicht. Was ist da passiert?“

„Das ist jetzt ungefähr drei Jahre her. Tom Werner hat ein heftiges Video über Hetzer gedreht inklusive eines passenden Lieds. Tenor: Bernd Hetzer ist ein Möchtegern-Hitler, der jeden Morgen und Abend vor einem Foto von Adolf steht und sich einen runterholt. Dazu ein paar Gemeinheiten über Hetzers Frau und Kinder, die Werner mit Magda Goebbels und deren Kinderschar vergleicht.“ Jakob trank den nächsten Schluck Bier. „Hetzer hat es zwar verdient, aber auf die Familie loszugehen? Das hat nicht nur mir missfallen. Viele haben angewidert den Kopf geschüttelt. Selbst andere Fernsehleute distanzierten sich, zum Beispiel der Welke von der heute-show. Von Rechten wurde Tom Werner, wie zu erwarten war, anschließend heftig bedroht. Die rechte Presse und die AfD selbst verbreiteten außerdem über Facebook und Twitter ein paar hässliche Geschichten über Werner mit dünnem Wahrheitsgehalt. Na ja, und was macht Tom Werner? Er wendet sich direkt an Mutti …“

„An seine Mutter?“, fragte ich entsetzt.

„Nein, an unsere damalige Bundeskanzlerin, Angela Merkel.“

„Ach so.“

„Mutti lässt ihn abblitzen, sie mag sich nicht einmischen, obwohl die AfD im Bundestag sitzt und sich an bestimmte Regeln halten müsste. Also rennt Werner zum Gericht und jammert da weiter.“

„Mit Erfolg?“

„Nicht wirklich. Die Geschichten in der Presse sowie auf Facebook und Twitter wertet das Gericht als freie Meinungsäußerung. Das gefällt unserem lieben Tom Werner selbstverständlich nicht.“

„Lass mich raten: Obwohl er sein Video über Bernd Hetzer als freie Meinungsäußerung deklariert?“ Ich verschwendete direkt einmal einige Gedanken an die Frage, ob die Spuren im Mordfall Tom Werner geradewegs in die rechte Szene führten. Dafür sprach, dass ich diesen Gangstern alles zutraute. Dagegen sprach, dass die Angelegenheit laut Jakob drei Jahre zurücklag. Dennoch speicherte ich die steile These in den Niederungen meines Gedächtnisses ab.

„Exakt. So ticken diese Leute. Lothar Schröder ist genauso. Er lästert über Gott und die Welt, beruft sich auf Satire und freie Meinungsäußerung und so weiter. Als er ins Visier von Tom Werner gerät, klagt er über himmelschreiende Ungerechtigkeiten.“

„Vor Gericht?“, hakte ich nach.

„Nein, er beklagt sich in den Medien. In seiner Show. In Interviews.“

So liebte ich meinen Freund Jakob. Genau die Art von Informationen, die ich mir wünschte. Mundgerecht serviert. Ich hoffte auf weitere brandheiße News. „Was genau hat Tom Werner mit Lothar Schröder angestellt?“

„So eine richtig gemeine Nummer à la Versteckte Kamera.“ Jakob schielte auf seine Bierflasche. „Erst mal brauche ich einen neuen Drink.“

Ich fasste das als Aufforderung auf, mich wieder zwischen den aufgeregt über Polizeigewalt in Sachsen-Anhalt diskutierenden Nachwuchsrevolutionären durchzumogeln und an der Theke frisches Pils zu besorgen.

Ich drückte Jakob seine Flasche in die Hand. Wir prosteten uns zu.

„Tom Werner hat also Lothar Schröder voll durch den Kakao gezogen“, schnappte ich mir den lose über der Fensterbank baumelnden Gesprächsfaden. „Irgendwas wie bei Versteckte Kamera?“

„Genau. Am besten siehst du dir die Sache mal selbst auf YouTube an.“

„Okay.“ Ich zog die zweite Silbe so lang wie ein ausgewachsenes Stück Pizzateig. YouTube war meine Sache nicht.

Jakob kapierte es. „Dann lass dir halt helfen. Wozu hast du eine Sekretärin?“

Für allerlei Dinge, das wusste Jakob; das Thema bettelte deshalb nicht um mehr Tiefe. Stattdessen fädelte ich geschickt den nächsten Gesprächsfaden durchs Nadelöhr und landete prompt erneut gedanklich auf den Knien, um zu beten, da mir automatisch ein schöner alter Song aus den Sechzigern mit Nadeln einfiel. „Du hast gerade erwähnt“, sagte ich endlich, „dass die Tom-Werner-Show zuletzt täglich auf SAT 1 zu sehen war. Doch in Bochum weilte Tom Werner wegen einer Liveveranstaltung im Ruhrkongress, oder? Wie schafft er das alles?“

„Am Wochenende läuft die Show nicht. Tom Werner hat samstags und sonntags frei und verdient sich zusätzlich ein paar Euro mit Liveshows. Seinen tollen Bochum-Gag hast du aber mitbekommen, oder? Darüber hat die Ruhrzeitung einiges geschrieben, auch auf Radio Bochum liefen ein paar Berichte.“

„Sorry, nichts mitbekommen“, räumte ich wahrheitsgemäß ein. Radio Bochum hörte ich selten. In der Ruhrzeitung blätterte ich hingegen regelmäßig, immerhin hatte ich sie abonniert. Über Tom Werner hatte ich darin noch nie etwas gelesen.

„Ach, Mike. Na egal. Vor anderthalb Wochen kündigte Tom Werner seinen Auftritt in Bochum auf Twitter in etwa mit folgenden Worten an: Ich hoffe mal, dass die Leute in Bochum sich bis dahin endlich ihrer Nazivergangenheit inklusive Arisierung stellen! Vor allem bei Schlegel.“

„Wie bitte? Wie ist der denn drauf?“ Klar, wenn es Nazischeiße gab, musste darin gerührt werden. Aber solch eine pauschale, öffentliche Anklage? Das klang reichlich aggressiv, reißerisch und besserwisserisch.

„Das habe ich mich auch gefragt. Die Firma Schlegel kennst du doch, oder?“

„Selbstverständlich. Ein echtes Aushängeschild unserer schönen Stadt.“

Jakob nickte. „Richtig. Vielleicht weiß Tom Werner irgendetwas, was sonst niemand mehr in Bochum weiß oder wissen will.“

„Und was?“, fragte ich.

„Keine Ahnung. Der Begriff Arisierung gibt die Richtung vor. Vermutlich lief da was in den Dreißigerjahren, was die Leute damals normal fanden und heute zu Recht verurteilt wird. Tom Werner erntete jedenfalls, wie so oft, viel Beifall, vor allem von den politisch Korrekten, aber auch einiges an Missfallen. Von rechts und aus der Mitte. Gleichwohl erreichte Werner zwei Ziele: Die Firma Schlegel gräbt nun in ihrer Vergangenheit und Werner selbst mutierte hier zum Gesprächsthema Nummer eins. Weit vor seinem Auftritt. Wer weiß, was für ihn wichtiger ist?“

Ich speicherte die Firma Schlegel inklusive eines denkbaren Motivs in meinem Kopf ab und wechselte das Thema. „Kennst du den aktuellen Stand im Streit zwischen Tom Werner und Lothar Schröder?“

„Da ist es zuletzt ruhiger geworden.“

„Lothar Schröder behauptet, sie hätten sich ausgesprochen und planten eine gemeinsame Show oder etwas in der Art.“

„Einerseits angesichts der ziemlich persönlichen gegenseitigen Beleidigungen unvorstellbar. Auf der anderen Seite sorgt eine Versöhnung inklusive gemeinsamem Auftritts im Fernsehen für jede Menge Publicity und hohe Einschaltquoten. Letzteres könnte wichtiger sein. Erst recht für RTL und SAT 1.“

„Stimmt, die berühmten Einschaltquoten.“

„Ja, beide haben riesige Fan-Lager. Diese gemeinsame Show wäre ein Riesending gewesen.“ Jakob trank seine Flasche leer.

In meiner Pulle schwappte ebenfalls nur noch ein kleiner Rest, den ich flugs in meinem Rachen verschwinden ließ.

Ich mogelte mich ein weiteres Mal an einigen eifrig diskutierenden Studis vorbei – und begrub mal wieder ein Vorurteil. Sie quatschten nicht mehr über die Rettung der Welt oder den Respekt vor Minderheiten. Zumindest ein Teil von ihnen unterhielt sich angeregt über Fußball. BVB, Schalke, den VfL. Unsere Reviervereine! Ich liebte sie alle.

Ich ließ zwei weitere Striche auf meinen Deckel ziehen und spazierte zurück zu unserer Fensternische.

Jakob wischte sich stirnrunzelnd durch sein Smartphone und nahm mich erst wieder wahr, als ich ihm zum dritten Mal an diesem Abend ein Bier in die Hand quetschte.

„Danke dir.“

„Was ist los?“, fragte ich.

Jakob grinste. „Das Leben schreibt die besten Geschichten. Ich verfasse bisweilen Artikel für die Gesamtausgabe der Ruhrzeitung, wie du weißt. Gerade eben bekomme ich eine Mail von denen. Sie wünschen sich eine Story von mir über den Mord an Tom Werner. Oder besser gesagt: eine Artikelserie über den Mord, die Ermittlung, die Hintergründe und so weiter. Es kann gut sein, dass wir zwei häufiger über das Thema reden werden.“

„Das gefällt mir“, sagte ich.

„Und mir erst.“

Wir stießen an.

„Prost!“

„Prost!“

Danach ließen wir den Abend gemütlich mit ungefähr zwei weiteren Flaschen Bier ausklingen. Oder drei.

3 Mike

My Generation

Seit ein paar Wochen verbanden mich mit Alice Kramer drei Dinge: Sie war gleichzeitig Mitbewohnerin, Sekretärin und neuerdings und vor allem meine Lebensgefährtin.

Es erwies sich bisweilen als kompliziert, diese drei Beziehungen voneinander zu trennen. Als Sekretärin arbeitete Alice vorbildlich, keine Klagen. Als Lebensgefährtin war sie das Beste, was mir je passiert war, ich liebte sie abgöttisch. Als Mitbewohnerin benahm sie sich bisweilen etwas schlampig.

Die schlimmsten Tage schienen allerdings vorüber zu sein. Nur hin und wieder ersparte sie mir nicht die früher üblichen Schlachtfelder in der Küche und im Badezimmer. Immer häufiger räumte sie hinter sich auf, entfernte sogar ihre Haare aus dem Waschbecken.

In ihrem Wohnzimmer dagegen herrschte stets eine nahezu japanische Ordnung mit akkurat und in rechten Winkeln platzierten Sofas, Sesseln, Tischen und Regalen – alles sündhaft teuer und selten benutzt.

Auch an diesem Abend mieden wir die Sofas und Sessel vom italienischen Top-Designer und hockten auf dem Boden, angelehnt an eines der Sofas – vor und neben uns das beliebte Sammelsurium aus Schüsseln voller Chips, Erdnüssen und Gummibären sowie Weingläsern und einer Flasche Rioja.

Alice trug ihre graue Jogginghose und ein schlichtes weißes T-Shirt. Gemütlich und sportlich. Besser konnte ich Alice sowieso nicht beschreiben, wobei gemütlich ihr Wesen und sportlich ihr Aussehen charakterisierte. Sie war knapp ein Meter fünfundsiebzig groß und schlank. Ihr kastanienbraunes Haar hatte sie sich kürzlich gehörig stutzen lassen und verzichtete seitdem auf Haarband und Pferdeschwanz.

In meinen zweiflerischen Momenten fragte ich mich bisweilen, wie lange ich Alice wohl als Sekretärin halten konnte. Sie hatte einen Master in Physik erworben und mit ihrer Promotion begonnen, sich dann heftig mit ihrer Doktormutter überworfen, Hals über Kopf die Uni verlassen und als Übergangslösung in meiner Detektei angeheuert.

Doch wie lange würde diese Übergangslösung andauern? Alice war siebenundzwanzig. Praktisch ihr gesamtes Leben lag noch vor ihr. Unwahrscheinlich, dass es einzig ein Leben als Sekretärin sein würde.

Erfreulicherweise gehörte dieser Fernsehabend nicht meinen zweiflerischen Momenten und ich blendete die düsteren Gedanken rasch wieder aus.

Alice schloss ihren Laptop an den Fernseher an, damit wir die Ausschnitte aus der Tom-Werner-Show in Kinoqualität ansehen konnten.

Wir starteten mit der Folge, in der Tom Werner seinen Kollegen Lothar Schröder bloßstellte.

Die Kamera zeigte uns zunächst im Hintergrund eine riesige Videotafel, auf der im schnellen Wechsel Fotos von Lothar Schröder zu sehen waren. Ältere Aufnahmen. Sehr alte Aufnahmen. Aktuelle Bilder.

Vor der Tafel musizierte eine sechsköpfige Studioband, die auf Teufel komm raus eine anstrengende Mischung aus Jazz, Marschmusik und Rock spielte. Es fehlte nur, dass der Gitarrist nach dem Solo sein Instrument im Stile von Pete Townshend zertrümmerte.

Tat er nicht.

Trotzdem dachte ich, wie konnte es anders sein, automatisch an all die lieben Leute aus meiner Generation.

Wahrscheinlich wackelte ich dabei etwas zu auffällig mit dem Kopf und erregte dadurch Alices Aufmerksamkeit.

„Mike! An welchen Song, bitte schön, denkst du, wenn du diesen Murks da hörst?“

Alice wusste um meine Angewohnheit. Ich verdankte sie ihr. In jenen fernen Tagen, als sich unser zartes Liebesband anbahnte, schwebte sie tagein, tagaus singend durch die Wohnung. Das gefiel mir derart gut, dass ich es ihr gleichtat.

Während Alice diese Marotte weitgehend abgelegt hatte wie eine Katze ihr Winterfell, brauchte ich unverändert meine tägliche Dosis Liedgut. Das war mir in Fleisch und Blut übergegangen und selbst in brenzligen Situationen passierte es automatisch; da gehörte es praktisch zur Überlebensstrategie.

Ich erklärte Alice meine Assoziationen mit der Gitarre.

„Na ja“ war alles, was sie zu diesem Thema beisteuerte.

Im selben Augenblick fabrizierte der Schlagzeuger einen kräftigen Tusch, dann war Schluss mit Mucke und Tom Werner hüpfte aus dem Off ins Bild. Er bedankte sich affektiert klatschend bei der Band, nuschelte deren Namen zur Seite weg und fixierte das Fernsehpublikum mit einem Blick, der erahnen ließ, dass der gute Tom seiner Nase vor ein paar Minuten eine endlos lange Linie gegönnt hatte.

Irre!

Tom Werner begrüßte Studio- und Fernsehpublikum mit einer kreischenden, hektischen Stimme, als gelte es, einen neuen Weltrekord im Schnellsprechen aufzustellen. Der lag bekanntlich bei neunzehn Wörtern pro Sekunde. Das schien Tom Werner locker zu verbessern.

Ich verstand erst einmal nichts.

Ich erhöhte meine Konzentration.

Aha, Tom Werner redete über die Lage der Nation. Besser gesagt über die Lage von vor ein paar Wochen; da war die Sendung ausgestrahlt worden.

Alice hatte sie auf YouTube entdeckt. Sie gehörte zu diesen sogenannten Digital Natives, zu Menschen also, die das Internet und die sozialen Medien bereits mit der Muttermilch aufgesogen hatten oder als Kind in einen großen Topf voller Daumen und Herzchen gefallen waren. Ich war zwar nicht eine ganze Generation älter als Alice, aber mir ging dieser ganze Hype um die sozialen Medien gehörig auf den Keks. Ich wollte nicht mehr Lebenszeit als nötig damit verplempern. Und ich war heilfroh und dankbar, dass Alice diesen Kram für mich erledigte, auch wenn ich es ihr nicht immer zeigte.

In diesem Augenblick fiel zum ersten Mal der Name Lothar Schröder.

„Lothar Schröder, liebe Leute, Lothar Schröder, wer kennt ihn nicht? Lothar Schröder, die Bochumer Antwort auf Stefan Raab. Lothar Schröder, der Mann, der den Altherrenwitz wieder salonfähig gemacht hat. Ja, liebe Leute, was wäre das Fernsehen, was wäre die Welt ohne Männer wie Lothar Schröder?“

Tom Werner legte eine bedeutungsvolle Pause ein, sah uns mit seinem irren Blick an und wartete offenbar auf unsere Antwort. Als sie nicht kam, lieferte Tom Werner sie selbst.

„Besser, liebe Leute, besser. Die Welt wäre besser ohne Männer wie Lothar Schröder. Es gäbe ein pädophiles Arschloch weniger.“

Werner riss mit gespieltem Entsetzen die Augen auf.

„What? Das fragen sich jetzt einige von euch. Oder gar: What the fuck? Lothar Schröder ein pädophiles Arschloch? Never! Never? Doch! Ich meine, dass unser lieber Lothar Schröder ein Arschloch ist, das wisst ihr längst. Oder etwa nicht? Dann kennt ihr seine Show nicht. Diese Show, in der Lothar Schröder vorzugsweise Menschen durch den lauwarmen Kakao zieht, die sich nicht wehren können. B- und C-Promis ohne Lobby. Erinnert ihr euch nicht an Ellen, eine dieser Transgenderpersonen, die ihr Glück bei Germany’s Next Topmodel, bei fucking GNTM, versuchen? Ein durch und durch liebenswertes Wesen. Ellen schaffte es unter die besten zwölf und schied erhobenen Hauptes aus. Sie verschwand postwendend aus dem kollektiven Gedächtnis – bis unser lieber Lothar Schröder sie wieder hervorkramte. Mit einem miesen, fiesen Anruf. Lothar Schröder spielte einen Agenten, der vorgab, Ellen für die Kampagne eines hippen Berliner Modelabels vermitteln zu wollen.“

Tom Werner hielt erneut inne, seine Band stimmte ein paar Takte irgendeines traurigen Jazzsongs an, bereitete uns offensichtlich auf das große Drama vor, welches Werner uns nun lieferte.