Ihr wisst nicht, was Krieg ist - Yeva Skalietska - E-Book

Ihr wisst nicht, was Krieg ist E-Book

Yeva Skalietska

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Beschreibung

Das beeindruckende und aufwühlende Kriegs-Tagebuch eines 12-jährigen Mädchens aus der Ukraine. "Gegen sechs Uhr abends wird es draußen dunkel. Ich hasse die Nacht. ... In der Dunkelheit scheint immer etwas zu lauern. Die Angst steigt mir in den Hals.« Yeva, Tag 4 »Es dreht einem den Magen um‹: Kinder im Ukraine-Krieg« The Guardian, 27.2.2022 "Wir haben gehört, es gab einen Beschuss in der Gegend um den Parkplatz hinter unserem Zuhause.« Yeva, Tag 5 »Die russische Armee greift Wohngebiete und Zivilisten an – wahllos« Frankfurter Allgemeine Zeitung, 8. 3.2022 Yeva Skalietska ist ein ganz normales zwölfjähriges Mädchen aus dem ukrainischen Charkiw, als der Angriff der russischen Armee am 24. Februar 2022 ihrer Kindheit, wie sie sie kannte, ein brutales Ende setzt. Fortan bestimmen die Kriegsgeschehnisse ihren Alltag, hat Yeva Angst um ihr Leben und das ihrer Familie und Freunde. Ihre Kriegserfahrungen hält Yeva fest in einem Tagebuch, in das sie jeden Tag schreibt. Im März 2022 schließlich wird die Wohnung der Familie zerstört – und Yeva und ihre Großmutter Irina fliehen unter gefährlichen Bedingungen und auf verschlungenen Wegen aus ihrer Heimat, das Tagebuch und einen Stift zum Schreiben im Gepäck. Ein neues Zuhause finden Yeva und Irina schließlich nach einer abenteuerlichen Flucht in Irland. Doch auch hier schreibt Yeva weiterhin täglich darüber, was es heißt, die Zerstörung der eigenen Heimat mitzuerleben – und hofft sehnlichst auf ein Ende des Grauens. Für sie steht fest:  "Ich werde so lange Tagebuch führen, bis der Krieg zu Ende ist." Die 12-jährige Yeva Skalietska gibt all den Kindern, die unter dem Krieg in der Ukraine leiden, eine Stimme. Ihr Tagebuch ist ein authentischer Erfahrungsbericht und zugleich ein bestechendes zeitgeschichtliche Dokument.

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Seitenzahl: 135

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Yeva Skalietska

Ihr wisst nicht,was Krieg ist

Tagebuch eines jungen Mädchens aus der Ukraine

Übersetzt von Alexandra Berlina

Knaur eBooks

Über dieses Buch

Yeva Skalietska lebt ein normales Schülerinnen-Leben im ukrainischen Charkiw. Als Wladimir Putin der russischen Armee befiehlt, in die Ukraine einzumarschieren, bedeutet dies das Ende von Yevas unbesorgter Kindheit. Denn fortan bestimmen Kriegsgeschehnisse ihren Alltag. Die Heimatstadt wird zerstört, Treffen mit Freundinnen sind nicht möglich, ein normaler Alltag existiert nicht mehr. Yeva ist zutiefst verstört und hält ihre Eindrücke seit Beginn des Krieges in ihrem Tagebuch fest. Als ihre Wohnung beschossen wird, entscheiden sich Yeva und ihre Großmutter, die Heimat zu verlassen und in einer hoffentlich besseren Welt neu anzufangen. Diese neue, sichere Welt finden sie nach einer abenteuerlichen Flucht in Irland. Doch auch hier schreibt Yeva weiterhin täglich darüber, was es heißt, die Zerstörung der eigenen Heimat mitzuerleben — und hofft sehnlichst auf ein Ende des Grauens.

Inhaltsübersicht

Yevas Tagebuch

Widmung

Vorwort

Karte Charkiw

Prolog

Davor

14. Februar 2022

Mein Geburtstag

Der Krieg

24. Februar 2022

Tag 1

25. Februar 2022

Tag 2

26. Februar 2022

Tag 3

27. Februar 2022

Tag 4

28. Februar 2022

Tag 5

1. März 2022

Tag 6

2. März 2022

Tag 7

3. März 2022

Tag 8

4. März 2022

Tag 9

5. März 2022

Tag 10

6. März 2022

Tag 11

7. März 2022

Tag 12

Ungarn

8. März 2022

Tag 13

9. März 2022

Tag 14

10. März 2022

Tag 15

Irland

Tag 16

12. März 2022

Tag 17

13. März 2022 Tag 18

15. März 2022 Tag 20

16. März 2022 Tag 21

17. März 2022 Tag 22

18. März 2022 Tag 23

20. März 2022 Tag 25

21. März 2022 Tag 26

23. März 2022 Tag 28

28. März 2022 Tag 33

29. März 2022 Tag 34

1. April 2022 Tag 37

25. April 2022 Tag 61

1. Mai 2022 Tag 67

Tag 67

Nachwort

Die Geschichten meiner Freunde

Kristinas Geschichte

Olhas Geschichte

Kostjas Geschichte

Alenas Geschichte

Mein Schlusswort

Danke

Bild

Eine allgemeine Anmerkung zu Yevas Tagebuch

Für meine Oma

Vorwort

Krieg neigt dazu, gleichzeitig omnipräsent zu sein und völlig ungreifbar. Die erste Jahreshälfte von 2022 habe ich auf unzähligen Konferenzen verbracht, in Talkshows, in Debattierrunden und Hinterzimmern, in denen es stets um die Effektivität und Richtigkeit von Sanktionen ging, von Waffenlieferungen, von Diplomaten. Immer um die Auswirkungen auf Wirtschaft, Geopolitik oder die Wahlaussichten bestimmter Kandidaten. Ich kam um das Thema des Krieges an keinem Tag herum – und fragte mich gleichzeitig so oft: Was hat das alles eigentlich mit dem Krieg zu tun?

Was haben diese Berechnungen mit den Menschen zu tun, deren Wohnzimmer von einer Rakete getroffen wird? Deren Bruder nicht nach Hause zurückkehrt? Die mit dem Auto fliehen, bis ihnen mitten auf der Straße das Auto geraubt wird? Wie will man diesen Menschen ins Gesicht sehen und anfangen, über die Angst vor steigenden Gaspreisen in Deutschland zu sprechen?

Vielleicht müssen wir das aber. Diesen Menschen in die Augen zu sehen, könnte mancher als sentimental empfinden – aber es ist die nackte Wahrheit, der sich auch Politik stellen muss. Es geht hier nicht um Komfort, um Wohlstand oder um eine Abwägung von Gütern. Es geht um das nackte, bloße Überleben. Und, wenn man großes Glück hat, den Funken Würde, den man sich darin bewahren kann. Genau darum sind Kriegstagebücher so wichtig. Sie lassen uns, zumindest übertragen, jenen in die Augen sehen, die Geopolitik betrifft. Sie sind intimste Experten ihrer Auswirkungen. Ihnen sind wir Rechenschaft schuldig.

Kriegstagebücher sind ein seltsames Genre. Vielleicht habe ich deshalb so viele gelesen, weil sie dieses mulmige Gefühl einer Zwischenwelt erzeugen. Sie spielen in unserer echten Welt und berichten gleichzeitig von so fremden und anderen, ungeheuerlichen Dingen. Sie lassen die Sorgen und Nöte unseres eigenen Alltags absurd aussehen. Sie beschreiben unendliches Leid, aber benutzen oft ganz schlichte Sprache. Wo Romantiker einen Spaziergang durch den Park als emotionalen Abgrund erfahren können, schwebt in einfachen und faktischen Aufzählungen von toten Familienmitgliedern eine Nonchalance mit, die so fremd wirkt, als stammten diese Tagebücher gar nicht aus der echten Welt. Als seien sie aus dem Dreißigjährigen Krieg oder aus dem Zweiten Weltkrieg. Diese surreale Eigenschaft teilen sie alle.

Auch die Berichte der zwölfjährigen Yeva erinnern mich an diese sachlichen Erzählungen des Unvorstellbaren. Sie berichtet, wie Bekannte versucht haben, im Supermarkt einzukaufen, diesen Versuch aber abbrechen mussten und mit leeren Händen nach Hause zurückkehrten. Das sind Ereignisse, die vielen Ukrainern bekannt sind. Eigentlich eine schlichte Beobachtung. Bis man sich hineinversetzt, wie es ist, Brot für seine Familie kaufen zu wollen und in diesem Versuch erfolglos zu bleiben. Auf unbestimmte Zeit. Und in der Folge vielleicht zu hungern. Vielleicht zu sterben. Hinter jedem Satz steht ein Abgrund.

Yeva schildert ebenso Angst, Verlust und Flucht, wie viele Kriegstagebuchautoren vor ihr. Mit einer entscheidenden Wendung. In keinem Tagebuch, das ich bislang gelesen habe, hatten die Protagonisten Whatsapp-Gruppen. Sie tauschten sich nie in Echtzeit über Raketeneinschläge aus. Sie hatten keine Videocalls mit ihren Klassenkameraden. Die Schüler aus Charkiw lebten unser aller Leben. Dass sie Kinder sind und ihnen der Krieg die Kindheit stiehlt, verleiht dem Buch eine besondere Wucht.

Mich treffen sie, weil es diese Chatverläufe und Whatsapp-Gruppen sind, die seit Februar mein Leben sind, denn auch ich habe Familie und Freunde in der Ukraine. Der morgentliche Austausch (»Wie geht es euch?«, »Wie war die Nacht?«, »Wo seid ihr jetzt?«), das Bangen, die Videocalls – all das ist tatsächlich der gelebte Alltag von so vielen Ukrainern und ihren Verwandten im Ausland. Die Beschreibungen in diesem Buch sind so schmerzlich repräsentativ. So verwünschenswert universell.

Dennoch zeigt diese Erzählung noch etwas anderes, das mir als ukrainischer Immigrantin bekannt vorkommt. Die tiefgreifende Veränderung, die die Freundlichkeit eines Fremden bewirken kann. Wie sehr ein Ausflug im neuen Land, eine Bootstour, eine helfende Hand oder eine Nachricht auf Ukrainisch die düsteren Gedanken eines Kindes erträglich machen können und damit seine gesamte Welt verändern, darf niemals unterschätzt werden. Das breite Engagement der Zivilgesellschaft für die Geflohenen, die kleine Extrameile, die sie gehen, um mehr als Unterkunft und Verpflegung zu bieten – das rettet Würde. Das rettet Seelen.

Möge dieses Tagebuch ein Wegweiser sein. Eine menschliche Stimme in einem unmenschlichen Krieg. Möge sie uns bewegen, mehr auf das zu achten, was wir jetzt haben – und mit denen zu teilen, die es nicht mehr haben.

 

Marina Weisband

August 2022

Für eine vergrößerte Darstellung bitte dem Link folgen: www.droemer-knaur.de/ihr-wisst-nicht-was-krieg-ist-karten

Prolog

Das Wort »Krieg« kennen alle. Aber nur wenige Leute verstehen, was es wirklich bedeutet. Alle wissen, dass ein Krieg schrecklich ist, dass er Angst macht, aber wer ihn nicht erlebt hat, weiß nicht, wie groß diese Angst wirklich ist. Wenn du plötzlich mitten im Krieg steckst, fühlst du dich völlig verloren, begraben unter Furcht und Verzweiflung. Ohne jede Warnung sind alle deine Pläne zerstört, so wie die Welt um dich herum zerstört wird. Wer das nicht erlebt hat, weiß nicht, was Krieg ist.

Davor

14. Februar 2022

»Russische Truppen gehen in Position«

Frankfurter Allgemeine Zeitung

 

»Letzte internationale Versuche, den Einmarsch in die Ukraine zu verhindern«

The Times

 

»Ist dieser Wahnsinn zu stoppen?«

Die Zeit

 

»Bidens nationaler Sicherheitsberater sagt, Russland könne nun ›jederzeit‹ in die Ukraine einmarschieren«

CNN

Mein Geburtstag

Am 14. Februar bin ich ganz früh wach. Heute ist mein Geburtstag. Ich bin jetzt zwölf. Fast ein Teenager! Gleich entdecke ich eine Überraschung in meinem Zimmer: Luftballons! Fünf Stück! Ein silberner, ein rosafarbener, ein goldener und zwei türkise. Ich bin total aufgeregt, es kommen bestimmt noch viel mehr Überraschungen!

Auf meinem Handy kommen Glückwünsche an. Bevor ich aus dem Haus bin, haben bereits sieben Leute eine Nachricht geschickt. Ich kann’s kaum erwarten, zur Schule zu kommen! Als ich da bin, bleiben alle im Flur stehen und gratulieren mir zum Geburtstag. Ich grinse den ganzen Tag lang wie ein Honigkuchenpferd, bis mir das Gesicht wehtut. Feiern werde ich am Samstag: eine Bowlingparty im Nikolsky-Einkaufszentrum. Ich habe die Einladungen verteilt, und alle freuen sich schon.

Nach der Schule gehe ich nach Hause. Ich wohne bei meiner Oma Irina. Nur wenn Mama aus der Türkei zu Besuch kommt, bin ich bei ihr und meinen anderen Großeltern, Oma Sina und Opa Josif. Mama ist hier, um meinen Geburtstag zu feiern, aber Papa lebt und arbeitet auch im Ausland, und er kann dieses Mal nicht kommen. Oma Irina, meine Tante, mein Onkel und mein kleiner Cousin versammeln sich zu einer kleinen Familienfeier. Ich spiele einen Walzer von Tschaikowsky und Beethovens Für Elise auf dem Klavier. Es macht mich richtig stolz, wie sie alle lauschen. Dann gibt es Tee mit Snacks und Sandwiches – und natürlich einen leckeren Kuchen mit zwölf Kerzen darauf!

Umgeben von Blumen, Geschenktüten und einem großen Ballon feiere ich am 14. Februar 2022 meinen zwölften Geburtstag

***

Endlich ist der große Tag gekommen: Wir gehen bowlen. Ich freue mich so drauf! Diese schweren Kugeln zu rollen, die Punkte zu sammeln, es ist einfach toll! Wir kommen an, und meine Freunde sind schon da. Viele schenken einfach etwas Geld. Aber ein Junge aus meiner Klasse hat etwas ganz Besonderes für mich: einen wunderschönen Blumenstrauß und eine kleine, elegante Silberkette mit Anhänger – aus Italien. Ich freue mich so! Ich danke ihm eine Million Mal und hoffe, er sieht die Freude in meinen Augen.

Das Spiel beginnt. Ich bin als Erste dran und mache mich sehr gut, weil ich schon mal gebowlt habe. Gewinnen wäre schon nicht schlecht! Das Bowling macht super viel Spaß, und ich werde ein bisschen ungeduldig, wenn ich nicht dran bin. Olha spielt auch gut. Kostja wirft die Kugel mit aller Kraft, aber die Richtung scheint ihm egal zu sein, Erfolg bleibt also aus. Taras hat eine sehr merkwürdige Taktik – er meint, es klappt besser mit Anlauf. Das Seltsame ist – es funktioniert. Ich gewinne eine von zwei Runden, aber am Ende ist es doch nicht sooo wichtig, wer gewinnt; es ist einfach schön, zusammen zu sein.

***

Dann kommt der nächste Tag, und Mama fliegt zurück in die Türkei. Meine Eltern hatten sich getrennt, als ich zwei war, und seitdem lebe ich bei Oma Irina. Wir sind sehr glücklich zu zweit.

Ich habe jede Menge zu tun. Zweimal pro Woche Englischkurs, ich mag es echt gerne, die Sprache zu lernen. Sonntags Klavierunterricht in der Stadtmitte. Auf dem Weg dahin komme ich an alten Häusern mit großen Fenstern vorbei, und am Hochzeitspalast, der ist über hundert Jahre alt. Aber ehrlich gesagt finde ich die vielen Shops am spannendsten.

In Charkiw1 gibt es super viel Schönes. Das Stadtzentrum zum Beispiel, den Schewtschenko-Stadtgarten, den Zoo und den Gorki-Park. Der Schewtschenko-Garten ist fantastisch, da gibt es diesen Musikbrunnen mit Affen, die verschiedene Instrumente spielen. In der Nähe ist auch ein echt cooles Delfinarium, da kann man Delfine und Belugawale sehen. Eine hübsch gepflasterte Straße führt zum Derschprom am Freiheitsplatz2 – und für die Seele gibt’s das Pokrowski-Kloster, da gehen Oma und ich oft hin.

Die Schule macht mir Spaß. Der Unterricht meistens auch, aber vor allem freue ich mich darauf, meine Freunde zu sehen. Ich komm auch kaum je zu spät. Die Pausen sind natürlich das Beste, besonders die großen, weil ich dann immer mit meinem besten Freund Jewhen und meiner besten Freundin Olha unterwegs bin – wir rasen durch die Schule wie Raketen und wirbeln wie kleine Hubschrauber. Meine Lieblingsfächer sind Erdkunde, Mathe, Englisch und Deutsch. Wenn der Unterricht vorbei ist, machen sich meine Freunde und ich zusammen auf den Heimweg.

Ich liebe unser Wohnzimmer! Es ist sehr gemütlich, mit superbequemen Sesseln. Meine Hausaufgaben mache ich an meinem eigenen kleinen Schreibtisch, und mitten im Zimmer steht meine Staffelei mit den Ölfarben. Wann immer mich die Inspiration überkommt, setze ich mich hin und male. Im Schlafzimmer wartet mein Lieblingsplüschi auf dem Bett – eine rosa Katze mit weißem Bauch. Sie ist lang wie ein Würstchen und heißt Tschupapelja. Keine Ahnung, warum ich sie so genannt habe oder was das heißen soll, aber der Name ist geblieben.

Die Wohnzimmerfenster blicken auf die Stadt, die Schlafzimmerfenster auf ein paar Häuser und auf große leere Felder. Die gehen bis zur russischen Grenze.

Die Wohnung hat eine große Küche mit italienischen Möbeln. In der Ecke steht eine Palme im Topf – wir haben viele Pflanzen – und im Bad eine riesige Badewanne mit Massagedüsen. Ich mag so ein richtig wohlig warmes Bad. Überhaupt ist es eine sehr schöne Wohnung in einem schönen Haus in einer schönen Gegend am nordöstlichen Stadtrand von Charkiw.

Hausaufgaben habe ich meistens jede Menge. Wenn ich damit fertig bin, gucke ich fern. Und irgendwann gehe ich dann ins Bett und schlafe sorglos ein.

So ist mein Leben. Sicher, es gibt einige Gerüchte und Gemurmel über Russland, aber das sind nur Worte. Am 14. Februar ist das Leben normal. Und auch am 15. und am 16. und am 17. usw. … Bis in die frühen Morgenstunden des 24. Februar 2022 ist mein Leben normal.

Malen ist eins meiner liebsten Hobbys

Ich in meinem Zimmer vor dem Krieg, fertig für die Schule

Der Krieg

24. Februar 2022

»Russische Bodentruppen dringen in die Ukraine ein«

Kyiv Post

 

»Entfernte Explosionen in Charkiw, der zweitgrößten Stadt der Ukraine, zu hören«

The Washington Post

 

»Die Welt steht laut UN vor einem ›Moment extremer Gefahr‹«

The Independent

 

»Russlands Vorgehen sorgt weltweit für Sorge und Entsetzen«

Sueddeutsche.de

 

»Russland sei auf dem ›Pfad des Bösen‹, sagt der ukrainische Präsident Selenskyj«

CNN

Tag 1

Der Anfang

Die Nacht hatte ganz normal angefangen. Ich hatte tief und fest geschlafen. Aber dann war ich gegen fünf Uhr morgens auf einmal wach. Im Schlafzimmer konnte ich nicht wieder einschlafen und bin dann ins Wohnzimmer. Ich legte mich auf das Sofa, schloss die Augen und wäre fast schon eingedämmert …

 

5:10 Uhr Plötzlich weckt mich ein metallischer Krach. Er hallt so richtig durch die Straße. Erst denk ich, da wird ein Auto verschrottet. Dann wird mir klar: eine Explosion.

Oma steht am Fenster und guckt auf die russische Grenze, und da brennt der ganze Horizont, und es fliegen Raketen über die Felder. Und dann fliegt eine riesige Rakete genau an unserem Fenster vorbei und explodiert mit so einer Wucht, dass mir das Herz in der Brust eiskalt wird.

Die Autoalarme gingen los. Oma versuchte, ruhig zu bleiben. Sie sagte: »Fängt Putin wirklich einen Krieg mit der Ukraine an?«

Ich stand total unter Schock. Ich wusste nicht, was ich sagen sollte. Ich meine, ich wusste, dass es stimmen musste, was Oma sagte. Aber ich konnte es irgendwie nicht glauben. Ich hatte so oft vom Krieg gehört, aber ich war nochnie in einem Krieg. Ich hatte furchtbare Angst.

Zum Denken war keine Zeit. Niemand hat uns je gesagt, was wir tun sollen, wenn ein Krieg ausbricht. Niemand war auf einen Krieg vorbereitet. Ich nicht, Oma nicht, die Nachbarn auch nicht. Aber irgendwie war uns klar, dass wir aus der Wohnung rausmussten und in den nächsten Gemeinschaftskeller.

Mir zitterten die Hände und klapperten die Zähne. Die Angst war überall in mir drin. Das war meine erste Panikattacke. Oma versuchte mich die ganze Zeit zu beruhigen, sie sagte, ich muss wieder zu mir kommen. Sie legte mir eine Kette mit dem Kreuz um den Hals und tat dann ihr Schmuckkästchen wieder in den Schrank.

Ich checkte mein Handy. Unser Klassenchat war schon voller Nachrichten.

Dann liefen wir also in den Keller. Als wir drinnen waren, hatte ich wieder dieses panische Gefühl – ich konnte nicht richtig atmen, meine Hände waren ganz kalt und schwitzig.

Krieg.

Das Knallen, der Krach, die Angst – alles in meinem Kopf. Tränen brannten mir in den Augen. Ich hatte furchtbare Angst um alle, die ich lieb habe, und um mich selbst.

Unser Keller ist eigentlich kein Luftschutzkeller. Überall sind Rohre für heißes und kaltes Wasser. Tonnenweise Staub. Die Decke ganz niedrig. Winzige Fenster auf Straßenhöhe. Wir waren ziemlich viele da unten. Leute hatten Sandsäcke vor die Fenster gestapelt, damit niemand durch Glasscherben verletzt wird, wenn eins explodiert.