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Srikkanth Bhattacharya ist ein schwuler Junggeselle, der das Leben genießt und völlig glücklich damit ist, bis er einen Anruf vom Krankenhaus bekommt. Seine beste Freundin Jill ist dort während einer Geburt gestorben. Sri hatte zugestimmt, das Sperma zu spenden um Jill ihren Traum, Mutter zu sein, zu erfüllen. Doch hatte er nie erwartet, Entscheidungen für das kleine Mädchen treffen zu müssen. Er beabsichtigt, sie zur Adoption zu geben. Doch als er sie das erste Mal sieht, kann Sri sich nicht dazu durchringen. Völlig überraschend wird er zum Vater und muss lernen, damit umzugehen. Sein Mitbewohner und Freund, Jaime Frias, hilft ihm freiwillig, ohne zu ahnen, dass er sich in das Baby und Sri verlieben wird. Alles scheint perfekt, bis ein Besuch des Jugendamtes Sri in Bedrängnis bringt, als müsse er sich zwischen seiner Tochter und der Beziehung zu dem Mann, den er liebt, entscheiden.
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Seitenzahl: 303
Veröffentlichungsjahr: 2012
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Lob für
Ariel Tachna
Summer Place
… eine rührende Romanze, ehrlich und zeitlos. Die Nebenfiguren sind wundervoll und bringen zusätzlich Wärme und Charme in die Geschichte.
Chamomile von Whipped Cream Reviews
Out of the Fire
… Je weiter ich mich in die Geschichte vertiefte, desto emotionaler und liebenswerter wurde sie und ich begann, die Dynamik dreier Männer in einer Beziehung besser zu verstehen.
Sin von Two Lips Reviews
Hot Cargo
… definitiv kein normales Weltraumabenteuer ... Es wird sicher diejenigen ansprechen, die eine gut erzählte Geschichte mit zusätzlichem Schlagabtausch zwischen dominanten Männern mögen.
Lainey von Coffee Time Romance und mehr
Partnership in Blood Series
Diese Serie ist definitiv für alle, die nach einer neuen Variante von Vampiren suchen und ein wenig Angst und eine Prise Abenteuer gemischt mit Romantik mögen.
Jaime von Dark Divas Reviews
In all ihren Büchern sind die konstruierten Welten wirklich spitze. Doch in diesem übertraf sich die Autorin selbst. Sie gab dem Leser einen wundervollen Einblick in die Vampirkultur. Die Spannung fesselte mich wie immer an meinen Stuhl. Oft las ich bis tief in die Nacht, weil ich wissen wollte, was noch passiert.
Regina von Coffee Time Romance und mehr
Dreamspinner Press382 NE 191st Street #88329Miami, FL 33179-3899, USAhttp://www.dreamspinnerpress.com/
Dies ist eine erfundene Geschichte. Namen, Figuren, Plätze und Vorfälle entstammen entweder der Fantasie des Autors, oder werden fiktiv verwendet. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen, Firmen, Ereignissen oder Schauplätzen sind vollkommen zufällig.
Ihre Beiden Väter
Copyright © 2010 by Ariel Tachna
Übersetzt von Regine Günther
Umschlaggestaltung: Mara McKennen
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Gedruckt in den Vereinigten Staaten von Amerika.Erstausgabe Juni 2010
Deutsche eBook Ausgabe: 978-1-61372-823-9
Für meine Tochter,
die mich die Bedeutung von
Liebe auf den ersten Blick lehrte.
„Kann ich bitte mit Srikkanth Bhattacharya sprechen?“
„Das bin ich“, antwortete Srikkanth, der die Stimme nicht erkannte.
„Mr. Bhattacharya, mein Name ist Victoria Holms. Ich bin eine der Sozialarbeiterinnen am Good Samaritan Krankenhaus. Sie sind als Notfallkontakt von Jill Peters gelistet, ebenso als Vater ihres Babys“, fuhr die Stimme fort.
„Ja, das ist richtig“, bestätigte Srikkanth und dachte an die Abmachung, die er mit seiner Freundin gemacht hatte. Ein Kind zu haben, ohne dass sie sich einen Mann fürs Leben suchen musste. „Ist alles in Ordnung?“
„Leider nein“, sprach Ms. Holms weiter. „Das Baby wurde heute Morgen geboren und ist kerngesund. Ms. Peters jedoch bekam eine Eklampsie. Trotz aller Versuche sie zu stabilisieren, hat sie die Geburt nicht überlebt.“
Srikkanth wusste nicht, was er sagen sollte. Obwohl er nicht in Jill verliebt gewesen war, hatte er sie als beste Freundin sehr geschätzt. Als er an ihr Lachen dachte, ihre Fröhlichkeit, ihre Liebe zum Leben und dass das nun alles nicht mehr da war, schmerzte sein Herz. „Nein“, sagte er sofort, „das muss ein Irrtum sein.“
Die Sozialarbeiterin kannte die Stufen der Trauer so gut wie ihren eigenen Namen. „Es tut mir leid, Mr. Bhattacharya. Ich wünschte, ich könnte sagen, dass es ein Irrtum ist. Aber Ms. Peters ist nicht mehr unter uns. Wir müssen jetzt an das Baby denken.“
„Ist das Baby ok?“, fragte Srikkanth noch einmal nach, obwohl er wusste, dass die Sozialarbeiterin das bereits erwähnt hatte. Er spürte, wie sein Kopf nicht mehr richtig funktionierte wie er mit den plötzlichen Veränderungen in seinem Leben rang.
„Sie ist vollkommen in Ordnung“, versicherte sie ihm, „ein gesundes Mädchen von 3175g. Aber es müssen einige Entscheidungen getroffen werden. Als Vater des Kindes sollten sie ins Krankenhaus kommen, damit sie sie zu sich nehmen können.“
„Nein, das geht nicht“, sagte Srikkanth hastig, von der Nachricht von Jills Tod noch zu geschockt, um klar an andere Dinge zu denken wie die Abmachung, niemandem von seiner Vaterschaft zu erzählen. „Sie ist Jills Kind. Ich war nur der Samenspender.“
„Verzeihung?“, fragte die Sozialarbeiterin nach.
„Jill und ich sind – waren – kein Paar“, erklärte Srikkanth langsam, immer noch zu entsetzt über dieses Gespräch. „Sie war eine enge Freundin. Als sie ein Kind wollte, aber keinen Partner hatte, habe ich ihr angeboten, sie in eine Fertilitätsklinik zu begleiten und das Sperma zu spenden. Das Baby wollte sie allein großziehen.“
„Ich verstehe“, sagte Ms. Holms ruhig. „Hat sie denn Familie, die sich vielleicht um das Kind kümmern könnte?“
„Sie war ein Einzelkind“, antwortete Srikkanth automatisch. „Ihre Eltern sind vor ein paar Jahren gestorben. Weitere Angehörige hat sie nie erwähnt.“
„Dann müssen wir andere Möglichkeiten in Betracht ziehen“, schlug die Sozialarbeiterin vor, ihre Stimme betont sachlich. „Wenn sie tatsächlich der einzige Verwandte des Kindes sind und sie sie nicht aufziehen wollen, sollten sie sie zur Adoption freigeben. Ansonsten übernimmt der Staat die Vormundschaft und sie kommt in ein Heim, bis eine Familie für sie gefunden wird.“
„Verstehe“, antwortete Srikkanth benommen. Das alles sollten eigentlich nicht seine Entscheidungen sein. Er hatte nicht einmal darüber nachgedacht, ob er das Baby überhaupt sehen wollte. Jill und er waren nur Freunde gewesen, auch wenn sie sich nur ab und zu gesehen hatten. Niemand wusste, dass das Baby seines war – sie hatte sich standhaft geweigert, ihren gemeinsamen Bekannten den Namen des Vaters zu nennen. Auch wenn er sie beide gesehen hätte, hätte er sie und das Kind nicht anders behandelt, als seine anderen Freunde und deren Kinder. Er wusste noch nicht einmal, warum Jill seinen Namen in den Krankenhausakten angegeben hatte. Er hatte angenommen, dass sie sich als einziges Elternteil des Kindes registrieren lassen würde.
„Die Erklärung zur Aufhebung ihrer elterlichen Rechte können sie erst zwei Tage nach der Geburt unterschreiben“, erklärte die Sozialarbeiterin, „so haben Sie noch einen Tag, um über alles nachzudenken. Wenn Sie einen Termin machen möchten, können wir uns Donnerstagmorgen treffen, um ihre Möglichkeiten zu besprechen und die ganze Sache zu beschleunigen, damit das Baby so schnell wie möglich in eine gute Familie kommen kann.“
„Das ist in Ordnung“, antwortete Srikkanth unwillkürlich, ohne auf seinen Kalender zu sehen, ob irgendwelche Besprechungen auf der Arbeit anstanden. Diese Sache hatte oberste Priorität, wenn auch nur, um danach mit seinem Leben weiter zu machen. „Wann?“
„Das Baby wurde um 11:41 Uhr heute Morgen geboren, deshalb können Sie die Papiere rechtswirksam erst am Donnerstag ab dieser Zeit unterschreiben. Aber Sie können gerne um 11 Uhr kommen, dann kümmern wir uns um die Vorentscheidungen. Da sie das Kind freiwillig zur Adoption freigeben, haben Sie ein Mitspracherecht, wohin es kommen soll. Sie können sogar eine Familie auswählen und sie treffen, wenn sie möchten.“
Eine Familie auswählen. Als wäre sie irgendein Gericht auf einer Speisekarte. Sein Magen drehte sich um.
„Ich komme um 11 Uhr“, stimmte er zu, „aber ich fühle mich nicht dazu geeignet, um über ihre Zukunft zu entscheiden. Ich sollte an all dem gar nicht beteiligt sein.“
„Das müssen sie auch gar nicht sein“, gestand Ms. Holms ihm zu, „aber wenn sie es nicht tun, dauert das Ganze für sie beide viel länger. Zumindest können sie bei einer freiwilligen Adoption eine Vermittlung auswählen, die eine Unterbringung für das Baby organisiert. Ansonsten wird sie eine weitere Nummer in einem überlasteten System sein. Wir tun unser Bestes für sie, aber es ginge nicht annähernd so schnell, würden sie nicht in ihrem Namen diese Entscheidungen treffen.“
„Ich denke darüber nach“, versprach Srikkanth, nicht sicher, ob er sich zu mehr als das durchringen konnte.
„Wenn sie im Krankenhaus sind, fragen sie nach der Neugeborenenstation,“ schlug Ms. Holms vor. „Mein Büro ist am Ende des Ganges. Die Krankenschwestern zeigen es ihnen.“
„Danke für ihren Anruf“, sagte Srikkanth mechanisch, legte auf und starrte an die Wand.
Ein Baby.
Sein Baby.
Sie sollte nicht sein Baby sein. Sie war Jills Baby. Nur, dass Jill, die so fröhliche, lustige, aufgeschlossene Jill, nicht mehr da war, um sie aufzuziehen.
Er hatte einen Freund, der adoptiert wurde. Tom hatte seine leibliche Mutter getroffen, aber nur zu seinen Adoptiveltern hatte er eine tiefe Bindung. Die Menschen, die ihn liebten, ihn großgezogen hatten. Und es war ja auch nicht so, das Srikkanth irgendetwas verlieren würde, wenn er sie weggab. Er hatte ohnehin nicht geplant, mehr als ein unbedeutender Teil in ihrem Leben zu sein. Es würde sich also nichts ändern.
„Hey, Sri, kommst du zum Essen?“
„Ja, bin in einer Minute da, Jaime“, rief Srikkanth zurück.
Jaime und Nathaniel, seine beiden Mitbewohner, waren schon am Essen, als er schließlich die Treppe runter kam.
Wie üblich war Nathaniels Nase tief in einem medizinischen Lehrbuch vergraben, um sich auf die endlosen Prüfungen seines Medizinstudiums vorzubereiten. Doch Jaime sah auf, überrascht über den merkwürdigen Ausdruck auf Srikkanths Gesicht und dessen Abwesenheit. Srikkanth nahm sich einen Teller und servierte sich sein Essen, ohne anscheinend zu wissen, was er da tat.
„Sri?“
Jaime runzelte die Stirn. Srikkanth hatte ihn noch nicht einmal angesehen.
„Sri?“, wiederholte er. Immer noch keine Reaktion. „Srikkanth!“
Endlich hob er den Blick, sein Ausdruck dermaßen verloren und verwirrt, dass Jaime seinen offensichtlich verstörten Freund am liebsten tröstend in die Arme genommen hätte. „Ich hab gehört, wie dein Telefon klingelte“, sagte er stattdessen. „Waren es schlechte Nachrichten?“
„Ich ... weiß nicht“, entgegnete Srikkanth langsam.
Jaimes Stirnrunzeln wurde stärker. „Was ist los?“
„Anscheinend bin ich Vater“, enthüllte Srikkanth. Seine Stimme verdeutlichte, wie durcheinander er war.
„Was zum Teufel?“, fragte Nathaniel, den das Gespräch von seinem Buch ablenkte. „Ich dachte, du bist schwul.“
„Bin ich auch“, erwiderte Srikkanth sofort.
„Wie hast du dann eine Frau geschwängert?“
„So war das nicht“, schwor Srikkanth. „Ich bin mit Jill in eine Fertilitätsklinik gegangen, um ihr zu helfen. Das sollte das Ende des Ganzen sein.“
„Hat sie ihre Meinung geändert?“, fragte Jaime vorsichtig.
Srikkanth schüttelte den Kopf. „Sie ist gestorben.“
„Oh Gott, Sri, das tut mir leid“, versicherte Jaime sofort. Er hatte Jill nicht gut gekannt – sehr viel Kontakt hatten sie beide nie gehabt. Sie alle wohnten zusammen und jeder hatte sein eigenes Leben – aber er konnte sich nicht vorstellen, einen Freund auf diese Art zu verlieren. Besonders nicht einen, dem man so nahe war und sich als Samenspender zur Verfügung stellte, wie Srikkanth es getan hatte.
„Eine atonische Nachblutung?“, fragte Nathaniel augenblicklich. „Es könnte aber auch eine Eklampsie gewesen sein. Oder vielleicht eine Fruchtwasserembolie.“
„Nathaniel“, unterbrach Jaime scharf, „sie war ein Mensch, keine Fallstudie. Es spielt keine Rolle, wie sie gestorben ist. Aber die Tatsache, dass sie es ist, hat Sri offensichtlich sehr bestürzt. Also halt deinen Mund, wenn du nichts Hilfreiches zu sagen hast, okay?“ Normalerweise war er mit Nathaniels medizinischer Sicht auf alles nicht so ungeduldig – Nathaniel war kein schlechter Kerl, nur sehr zielstrebig in seinem Bemühen, sein Medizinstudium und seine Facharztausbildung als Jahrgangsbester abzuschließen, um so eine gute Arbeit zu finden und seine Studiengebühren zurückzahlen zu können. Hin und wieder fragte sich Jaime allerdings, wie gut er sich aufgrund seines Mangels an Sensibilität um seine Patienten kümmern könnte.
Danach wurde Nathaniel Gott sei Dank still. „Was machst du jetzt?“, fragte Jaime schließlich.
„Ich treffe am Donnerstag die Sozialarbeiterin, um zu entscheiden, was mit dem Baby passieren soll“, antwortete Srikkanth stockend. „Ich hätte an all dem nie beteiligt sein sollen.“
„Bist du auch nicht“, versicherte ihm Nathaniel. „Du gehst da hin, unterschreibst ein paar Papiere und musst dir nie wieder den Kopf darüber zerbrechen.“
„Nathaniel!“, fuhr Jaime ihn an. „Sei nicht so gefühlskalt.“
„Was?“, fragte Nathaniel mit einem Schulterzucken. Dafür hätte ihm Jaime am liebsten eine reingehauen. „Es ist doch nicht so, dass Sri vorhatte, sich um das Kind zu kümmern. Das ändert jetzt doch nichts.“
„Natürlich tut es das“, widersprach Jaime. „Er hat vielleicht nicht vorgehabt Vater zu sein, aber er wusste, wer die Mutter sein würde und dass er das Kind ab und an sehen könnte.“
„Ich hab nicht die geringste Ahnung, was ich mit einem Baby tun soll“, murmelte Srikkanth, dem unheimlich viel durch den Kopf ging. „Ich kann sie unmöglich behalten. Ich hätte daran nie beteiligt sein sollen.“
„Genau“, stimmte Nathaniel zu und starrte Jaime ärgerlich an, wenn er auch seine Stimme zügelte, um Srikkanth zu bestärken. „Geh da am Donnerstag hin, unterschreibe die Papiere und sei froh, dass du die beste Entscheidung für sie getroffen und eine kinderlose Familie sehr, sehr glücklich gemacht hast.“
Das machte Sinn, dachte sich Srikkanth. Er hätte sowieso keinen regelmäßigen Kontakt zu seinem Kind gehabt und wenn er sich an den Entscheidungen beteiligte, wüsste er dann wenigstens, dass man sich um sie kümmerte. Verzichtete er auf seine Verantwortung, würde sie in wer weiß was für einer Situation enden.
Seine Gedanken drifteten zu seinen Eltern, die wegen seinen Großeltern zurück nach Indien gegangen waren. Eine Heirat für ihn zu arrangieren, das hatten sie längst aufgegeben. Zwar hatte er ihnen nie offen gesagt, dass er schwul war. Versteckt hatte er es aber auch nie. Er hatte nie vorgehabt zu heiraten oder eine Familie zu gründen, aber er wusste, wie wichtig seinen Eltern Enkelkinder waren. Als er jünger war, machten sie ihm allerdings seine Pflichten als ältester Sohn sehr deutlich. Letztes Jahr schenkte ihnen seine Schwester einen Enkelsohn, was ein wenig half. Aber sie war verheiratet, ihr Familienname – und der des Kindes - ein anderer. Eine Enkeltochter war zwar nicht so toll wie ein Enkelsohn, aber es wäre immerhin ein Enkelkind, das er ihnen geben könnte. Sie würden sich aufregen, weil er mit der Mutter nicht verheiratet war, aber Jill war tot. Er könnte ihnen irgendeine Geschichte auftischen und sie würden es akzeptieren.
Scheiße. Das konnte er nicht wirklich in Erwägung ziehen, oder? Sicher, bei seinen Eltern würde er Pluspunkte sammeln. Er müsste jedoch eine lebenslange Verpflichtung eingehen, ohne dass ihm jemand dabei half. Und nicht nur eine Verpflichtung, sondern eine Tochter! Er wusste rein gar nichts über Mädchen, ungeachtet seiner Schwester. Mädchen hatte er wie die Pest gemieden, als er jünger war, da sie überhaupt nicht cool waren. Und als er merkte, dass er schwul war, gab es erst recht keinen Grund mehr, sich für sie zu interessieren. Klar, er hatte ein paar weibliche Freundinnen, Jill die engste. Das qualifizierte ihn allerdings noch lange nicht dazu, ein Mädchen groß zuziehen.
Nathaniel hatte recht. Er musste einfach die Papiere unterschreiben und das Ganze vergessen.
Als er wieder hochsah, hatte Nathaniel den Tisch bereits verlassen. „Geht es dir gut?“, fragte Jaime, schon lange mit seinem Essen fertig. Doch er konnte Srikkanth in seiner offensichtlichen Verstörtheit nicht alleine lassen. Dafür waren sie zu gute Freunde.
„Wärst du es?“, entgegnete Srikkanth.
„Nein“, Jaime schüttelte den Kopf. „Ich wäre am Telefon mit meiner Mutter und würde sie anbetteln, so schnell wie möglich herzukommen, um mir zu helfen.“
„Du denkst, ich sollte sie behalten.“ Das war keine Frage.
Jaime wackelte mit dem Kopf und versuchte, eine hilfreiche, gleichzeitig wahrheitsgemäße Antwort zu formulieren. „Nein, das ist nicht meine Entscheidung“, sagte er nach einer Weile. „Wenn sie meine Tochter wäre, ja, würde ich sie behalten, da ich wahrscheinlich nie wieder die Chance dazubekommen würde. Aber meine Familie ist hier in der Stadt. Ich hätte genügend Babysitter. Und ich habe meiner Mutter mit meinen jüngsten Geschwistern geholfen. Was Babys angeht, bin ich also kein Anfänger. Adoption ist sicherlich besser als Abtreibung, trotzdem gibt es kaum lateinamerikanische Kinder zu adoptieren, da die Großfamilien einspringen und sich um die Kinder kümmern.“
„In Indien ist das auch so“, bestätigte Srikkanth, „aber hier habe ich niemanden. Die sind alle zurück nach Hyderabad.“
„Du könntest sie holen und mit ihr nach Hause gehen“, schlug Jaime vor. „Ich weiß, dass sie auch in Indien Web-Designer brauchen.“
Srikkanth lächelte traurig. „Und wenn ich das täte, wäre ich wahrscheinlich innerhalb eines Monats mit einem armen Mädchen verheiratet. Ich bin schwul, Jaime. Für mich gibt es in Indien genau so wenig Platz wie für dich in Mexiko. Das wäre für niemanden fair: Für das Baby nicht, für das Mädchen, das ich heiraten müsste nicht oder für mich.“
Dagegen konnte Jaime nichts sagen. Seine Eltern wussten, dass er schwul war. Er wusste aber auch, dass sie es seinen Großeltern in Mexiko nicht erzählt hatten. Er zweifelte, dass seine Großmutter diesen Schock überlebt hätte. Diese Geheimhaltung hasste er, aber er sah sie eh nicht so oft, so machte es nicht wirklich etwas aus. Momentan traf er sich auch nicht ernsthaft mit jemandem. Obwohl er sich Hoffnungen auf Randy machte, mit dem er im letzten Monat ein paar Mal aus war. Seine Großeltern konnten also weiterhin in seliger Ahnungslosigkeit leben, da er eh nicht bereit dazu war, einen Mann seiner Familie als seinen Lebenspartner vorzustellen. Das half Srikkanth jedoch gar nicht. Jaime wusste, was seine Antwort für sich selbst wäre. Die konnte er Sri allerdings nicht aufdrängen. Vor allem, da das alles so plötzlich passierte.
„Tu, was du denkst, dass es das Beste für alle ist“, sagte Jaime schließlich. „Wofür du dich auch entscheidest, ich steh hinter dir.“
Srikkanth nickte und ging zurück auf sein Zimmer. Skeptisch sah er sich in dem kleinen Raum um. Für ihn alleine war er groß genug, mit viel Platz für ein Bett, Schrank, Schreibtisch und Stuhl. Er hatte zwar keine Ahnung, was ein Neugeborenes so alles benötigte. Dass das alles aber nicht hier rein passte, war ihm klar. Jaime und Nathaniel hatten beide ihre eigenen Zimmer, doch auch nicht mehr Platz wie er selbst. Vielleicht sogar noch weniger, da er das größte Schlafzimmer bewohnte. Möglicherweise könnten sie ein paar ihrer Sachen im Wohnzimmer deponieren. Das wäre jedoch den Jungs gegenüber nicht fair. Das Baby war nicht ihre Verantwortung.
Deine aber auch nicht, erinnerte ihn eine kleine Stimme.
Er ließ sich aufs Bett fallen und starrte an die Decke. Ärger machte sich in ihm breit, als er daran dachte, wie er in all das hineingezogen wurde. Es war Jills Baby, verdammt! Ja, er hatte zugestimmt, das Sperma zu spenden. Aber nur unter der Bedingung, dass es geheim blieb. Jill hatte sofort eingewilligt. Jedem hatte sie erzählt, dass es ein Samenspender war. Warum hatte sie dem Krankenhaus nicht dasselbe gesagt? Wenn sie es getan hätte, hätten sie ihn jetzt nicht angerufen. Dann müsste er sich nicht um diesen Mist kümmern und könnte ungestört sein Leben weiterleben.
Das ist gelogen, beharrte sein Unterbewusstsein. Du wüsstest trotzdem, dass Jill tot ist, auch wenn du es aus der Zeitung erfahren hättest. Dann würdest du dich fragen, was mit dem Kind passiert, ohne es jemals herausfinden zu können. So kannst du wenigstens dafür sorgen, dass es ihr gut geht.
Am Donnerstagmorgen fand Srikkanth ohne Schwierigkeiten den Weg zur Neugeborenenstation und dem Büro von Ms. Holms, blieb aber ganze fünf Minuten vor ihrer Tür stehen. Er rief sich all die Gründe ins Gedächtnis, warum das die richtige Entscheidung für die Zukunft des Babys war. Kein Einziger brachte ihn dazu, an die geschlossene Tür zu klopfen.
Letztendlich sagte er sich, dass es niemandem half, wenn er es hinauszögerte, hob seine Hand und klopfte.
Die Frau, die ihm öffnete, war sicher nicht älter als er mit seinen achtundzwanzig Jahren. Ihre Augen jedoch waren müde, was darauf schließen ließ, dass sie schon zu viel in ihrem Leben gesehen hatte. Nichtsdestotrotz lächelte sie ihn an. „Mr. Bhattacharya?“
„Ja“, sagte er und hielt ihr seine Hand hin. „Es tut mir leid, ich bin zu spät.“
Sie schüttelte den Kopf. „Das macht nichts. Kommen sie rein, dann können wir über die Lösungen für ihre Tochter sprechen.“
Srikkanth nickte und folgte ihr verkrampft. Das war’s. Er konnte das. Er konnte diese Entscheidungen treffen und danach sein Leben weiterleben.
Das Innere des Büros war, im Gegensatz zu dem einheitlichen Weiß des Krankenhauses, in einem dezenten Grau gestrichen. Es war sehr einladend. Eine Couch und Stühle boten einen angenehmen Ort, um zu reden. An der hinteren Wand stand unauffällig ein Schreibtisch. Als er auf die Couch sank, wurde er spürbar ruhiger. Er konnte das.
„Kann ich ihnen etwas zu trinken anbieten? Kaffee? Ein Glas Wasser? Eine Cola?“
„Haben sie Tee?“, fragte Srikkanth.
„Schwarz oder Kräuter?“, hakte Ms. Holms nach.
„Schwarz, mit Milch, wenn das nicht zu viel ist.“
„Überhaupt nicht“, versicherte sie ihm. „Ich hole Ihnen etwas aus dem Aufenthaltsraum.“
Ein paar Minuten später kam sie mit einer dampfenden Tasse milchigen Tees zurück. Der Duft, so vertraut wie der des Parfums seiner Mutter, beruhigte seine Nerven ein wenig mehr.
„Wie geht es ihnen?“, erkundigte sie sich und setzte sich ihm gegenüber.
„Das ist alles so unwirklich“, gab Srikkanth zu. „Ich erwarte immer noch, dass Jill anruft und mir sagt, dass das alles ein Irrtum ist.“
„Diese Gefühle sind ganz normal“, beteuerte die Sozialarbeiterin. „Und wenn sie gute Freunde waren – was sie beide offensichtlich auch waren – werden sie auch erst in ein paar Wochen nachlassen. Leider können wir mit den Entscheidungen für das Baby nicht so lange warten.“
„Ich weiß“, stimmte Srikkanth ihr zu. „Es fühlt sich falsch an, diese Entscheidungen zu treffen, aber es ist ja niemand anderes da. Können wir noch einmal meine Optionen durchgehen? Ich weiß, sie haben es mir am Dienstag gesagt. Aber alles aus diesem Gespräch ist ein wenig verworren in meinem Kopf.“
„Natürlich“, antwortete Ms. Holms. „Bei einer freiwilligen Adoption suchen sie eine Agentur aus, die sich um die Unterbringung des Babys kümmert. Dann müssen sie entscheiden, inwieweit sie darüber hinaus involviert sein möchten. Freiwillige Adoptionen reichen von vollkommen offen mit den leiblichen Eltern, regelmäßigen Updates und sogar Besuchen, bis hin zu völlig geschlossen mit überhaupt keinem Kontakt. In der Regel ist es irgendwas dazwischen.“
„Ich bin nicht wirklich darauf vorbereitet, jemanden zu treffen“, sagte Srikkanth schnell. „Wie ich bereits erwähnte, hatte ich nicht vor, als Vater Kontakt zu dem Kind zu haben. Jill und ich waren Freunde. Ab und zu hab ich sie gesehen. Das war alles.“
„Das ist ganz ihre Entscheidung“, bekräftigte Ms. Holms. „Die Adoptiveltern haben sicherlich ihre Vorlieben. Grundsätzlich aber halten wir es mit der strengeren Option, wenn es Meinungsverschiedenheiten über den Grad der Offenheit gibt.“
Sie gab Srikkanth eine Liste mit Agenturen. „Der erste Schritt wäre, eine Agentur auszuwählen.“
Srikkanth überflog die Liste. Schließlich entschied er sich für eine. „Ich nehme die katholische Caritas“, meinte er. „In meiner Heimatstadt leisten die Nonnen hervorragende Arbeit.“
„Dann kontaktiere ich die Caritas sofort“, bestätigte Ms. Holms. „Unterdessen können sie einen Fragebogen ausfüllen, der bei den Entscheidungen der Unterbringung helfen kann.“
„Sie geben sie nicht der nächsten Familie auf der Liste?“, fragte Srikkanth verwirrt.
„Nicht mehr“, sagte sie mit einem leisen Lachen. „Man will, dass die leiblichen Eltern mit ihrer Entscheidung so gut klarkommen wie möglich.“
Srikkanth seufzte und starrte auf den Fragebogen mit der Wahl zu Rasse, Bildung und Familiengröße. Er schüttelte den Kopf. „Das weiß ich alles nicht, o.k.?“, murmelte er. Zusammen mit seiner Hilflosigkeit wuchs seine Frustration. Er kreuzte die Möglichkeiten zur ethnischen Herkunft an, da das Baby ohnehin ein Mischling war. Selbst wenn sie es nicht gewesen wäre, Rasse war nur eine Frage der Hautfarbe, nicht mehr. Er wollte, dass das Mädchen gebildete Eltern bekam, die ihr den Wert der Bildung weitergeben konnten. Aber er wusste, dass das keine Garantie war. Nathaniels Eltern hatten keinen Schulabschluss. Sie hatten jedoch dafür gesorgt, dass er einen bekommen und sich darüber hinaus noch übertreffen konnte. Finanziell konnten sie ihm bei seinem Medizinstudium nicht helfen. Doch sie unterstützten ihn dabei, Wege zu finden, seine Ausbildung zu finanzieren, sodass er nicht mehr von der Hand in den Mund leben musste wie sie es ihr ganzes Leben tun mussten.
Aufgewachsen mit einer Schwester kannte er den Wert von - und den Ärger mit Geschwistern. Er hatte das Gefühl, als sollte das Baby einem Paar gegeben werden, das bis jetzt nicht die Chance hatte, Eltern zu sein. Allerdings wüsste eine Familie, die bereits Kinder hatte, wie man sich um ein Baby kümmern musste.
Er hasste diese Unsicherheit, die er spürte. Hasste die ganze Situation. Das waren nicht seine Entscheidungen, verdammt! Am liebsten hätte er seinen Kopf gegen die Wand geschlagen, was aber auch nicht helfen würde. Also hakte er diese Alternative ab.
„Wäre ... wäre es möglich, das Baby zu sehen?“, fragte Srikkanth hastig, die Worte ausgesprochen, bevor er überhaupt sicher wusste, diesen Vorschlag zu machen. „Wenn ich sehen könnte, für wen ich diese Entscheidungen treffe, würde es sich vielleicht realer anfühlen.“
„Sie ist ihre Tochter“, erinnerte ihn Ms. Holms. „Sie haben jedes Recht sie zu sehen, auch wenn es danach für sie vielleicht schwieriger sein wird, die Papiere zu unterschreiben.“
„Ich möchte sie einfach nur sehen“, bestand Srikkanth daraufhin. „Ich muss wissen, ob sie Jill ähnlich sieht.“
Ms. Holms sah aus, als wolle sie ihn noch einmal warnen, tat es aber nicht. Sie führte ihn den Gang hinunter auf die Säuglingsstation. „Sie müssen sich desinfizieren und einen Krankenhauskittel über ihre Straßenkleidung ziehen“, erklärte sie. „Ihr Baby ist gesund, aber nicht alle hatten so viel Glück. Man ist hier sehr genau, was die Hygiene betrifft. Lassen sie ihre Jacke hier. Ohne die ist es für sie viel bequemer.“
Srikkanth nickte, zog seine Jacke aus, um sie über die Stuhllehne zu hängen und folgte Ms. Holms zum Eingang der Station. An dem Waschbecken blieb er stehen und schrubbte seine Hände und Arme bis zu den Ellenbogen, wie es auf dem Plakat vor ihm gezeigt wurde. Ms. Holms deutete auf die Krankenhauskittel, die an der Tür hingen, während sie ihre Hände desinfizierte. Srikkanth zog einen über sein Hemd und die Krawatte und wartete auf sie. Sie führte ihn in das Kinderzimmer und zu einem Bett, an dem nur stand: „Peters, Mädchen.“
„Sophie“, sagte er sofort. Den Stich in seinem Inneren konnte er einfach nicht ignorieren, als er sah, dass das Baby nicht einmal einen Namen hatte. „Sie sollte Sophie heißen.“
„Ich werde eine Notiz in ihre Akte legen“, bot Ms. Holms an, „aber letztendlich ist es den Adoptiveltern überlassen, auch wenn wir sie anregen, die Wünsche der leiblichen Eltern anzunehmen. Oft wird auch der Geburtsname als zweiter Vorname verwendet.“
Srikkanth streichelte die zarte, hellbraune Haut. Ihm fiel auf, dass sie viel dunkler als die anderen Babys war, die alle dieselbe Farbe hatten, wie die weißen Decken, die sie umwickelten. Sie regte sich unter seiner Berührung, ihre kleine Hand hob sich, um seine Finger zu erhaschen. Dabei flatterten ihre Wimpern ganz zart. „Sie ist ein wundervolles Baby“, sagte eine Krankenschwester, die an Srikkanths Seite getreten war. „Sie isst wie ein Pferd und macht überhaupt kein Theater.“
Srikkanth lächelte. „Dann ist sie wie ihre Mutter.“
„Hier“, meinte die Schwester. Durch jahrelange Übung hob sie das Baby mit Leichtigkeit hoch. „Nehmen sie Platz, dann können sie sie halten.“
Noch bevor Srikkanth das Stirnrunzeln auf Ms. Holms Gesicht sah wusste er, dass das eine schlechte Idee war. Nur ein Mal, sagte er sich. Dieses eine Mal würde er sie in seinen Armen halten, die Papiere unterschreiben und fertig war die ganze Sache. Er nahm den Stuhl, auf den die Schwester deutete und versuchte, seine Arme so zu positionieren wie sie, so dass sie eine Art Wiege formten. „Halten Sie nur ihren Kopf und es wird ihr gut gehen“, versicherte sie ihm. Vorsichtig legte sie das Baby in seine Arme.
Sophie öffnete die Augen und blinzelte Srikkanth eulenhaft an, als sie von den sicheren Händen in zaghafte wanderte. „Hi“, sagte Srikkanth sanft, sich vage an seine Mutter erinnernd, die einer jungen Freundin gesagt hatte, sie solle mit ihrem Baby so reden, als würde es sie verstehen. „Wie geht es dir, Sophie? Ich bin Srikkanth, ein Freund deiner Mama.“
Seine Stimme versagte, schluckte aber den Kloß in seinem Hals hinunter und sprach weiter. „Wir kannten uns seit der Mittelschule. Sie war die Einzige, die sich nicht über das Kind mit dem komischen Akzent lustig gemacht hat. Wenn sie mitbekommen hatte, dass es doch jemand gewagt hatte, dem hatte sie den Marsch geblasen. Sie liebte indisches Essen, weißt du“, vertraute er ihr an, „und da ich aus Indien komme, dachte sie, wenn sie meine Freundin wäre, könnte sie die ganzen Rezepte meiner Mutter stehlen. Schon damals konnte sie toll kochen. Meine Mutter hat sie geliebt. Jedes Mal, wenn Jill uns besuchen kam, folgte sie Mā in die Küche und sah ihr beim Kochen zu. Ihr machte es nichts aus, dass Mā nicht nach Rezept kochte. Deine Mama hat einfach zugesehen und gelernt. Wenn ich dann das nächste Mal bei ihr war, hat sie das Rezept gekocht, das sie bei Mā gelernt hatte. Sie war meine erste Freundin in den Staaten, meine beste Freundin.“
Das Baby blickte ihn mit diesem ernsten Ausdruck an, den wohl alle Säuglinge hatten. Ein Blick, der den Versuch widerspiegelte, einen Sinn in dieser fremden Welt zu sehen, obwohl es ihnen nicht wirklich gelang. Srikkanth neigte den Kopf und küsste sie zärtlich auf die Stirn, bevor er fortfuhr. „Jeder dachte, wir wären zusammen, doch Jill drängte mich nie dazu. Wahrscheinlich wusste sie schon vor mir, dass ich schwul bin. Als ich mich dann endlich outete, stand sie hundertprozentig hinter mir. Im College zogen wir in eine gemeinsame Wohnung. Ich schätze, meine Eltern haben immer erwartet, dass ich unsere Verlobung bekannt geben würde. Das von mir wissen sie nicht. Jill schon. Wir sind zusammen ausgegangen und waren uns immer über die süßesten Jungs in den Clubs einig. Dann versuchten wir herauszufinden, ob sie schwul oder hetero waren, sodass wir wussten, wer sie anmachen konnte.“
Er lachte leise. „Ich denke, diese Dinge sollte ich dir gar nicht erzählen. Aber du verdienst es zu wissen, wer deine Mama war, bevor du in eine andere Familie kommst. Mit einer anderen Mama und einem Papa, die sich um dich kümmern, jetzt, da deine Mama nicht mehr da ist. Du siehst aus wie sie, weißt du. Sicher, du hast meine Hautfarbe, aber dein Mund und die Form deiner Augen sind genauso wie ihre. Und ich wette, du bekommst dieselben Locken, die sie auch hatte. Womöglich werden sie braun sein, da ihr rotes Haar langsam verblasste. Aber ihre Locken bekommst du. Du musst. Du bist ihr zu ähnlich, um sie nicht zu bekommen.“
Er hob das Baby hoch und rieb seine Wange über ihren weichen Kopf. Der Duft von Creme, Seife und Baby stieg ihm in die Nase. Seine Augen tränten, während er sie hin und her wiegte. „Sie wollte so sehr ein Baby“, flüsterte er, „nur konnte sie keinen Mann finden, den sie genug liebte, um ihn zu heiraten. Wir haben immer Witze gemacht, dass wir perfekt für einander wären, wäre ich nicht schwul. Als sie nicht mehr auf den richtigen Mann warten wollte und sich dazu entschieden hatte, allein ein Baby zu bekommen, war ich die beste Lösung. Ich hab nicht sofort ja gesagt. Um ehrlich zu sein, hatte ich vor der ganzen Idee etwas Panik. Ich meine, was weiß ich davon, Vater zu sein? Immer und immer wieder hat sie mir aber versichert, dass sie von mir nichts weiter wollte, als meine Gene. Sie würde sich alleine um dich kümmern, dich großziehen und genug lieben für zwei Eltern, vier Großeltern und einen ganzen Haufen Tanten und Onkel. Das hätte sie wirklich.
Als sie erfahren hatte, dass sie mit dir schwanger ist, war sie überglücklich. Nie hab ich sie strahlender gesehen. Nie hat sie sich beklagt, nicht über die morgendliche Übelkeit oder die Kleider, die nicht mehr passten oder ihre angeschwollenen Beine oder alles andere. Wochenlang brütete sie über Farbmuster und Bordüren für dein Kinderzimmer. Dann hat sie alle ihre Freunde eingeladen, um ihr zu helfen, alles fertigzumachen. Für ihren Engel sollte alles perfekt sein. Nur ist sie jetzt nicht mehr da und ich kann ihren Platz nicht einnehmen. Ich weiß nicht wie.“
Er drückte das Baby noch fester ans sich und schaukelte sie weiter. An ihrer Schulter weinte er um den Verlust seiner besten Freundin. Leise Schluchzer entkamen seiner Kehle, während sie so da saßen. Ihre kleine Hand tätschelte sein Gesicht. Daraufhin setzte sein Herz einen Schlag aus. Eine plötzliche, unerwartete Welle der Liebe stahl ihm den Atem. Er hob seinen Kopf und starrte in ihr vertrauensvolles, offenes Gesicht. Da wusste er, er war verloren.
„Es ist Zeit für ihre Flasche“, sagte die Krankenschwester leise. „Die Flasche ist schon fertig, Sie müssen sie ihr nur geben.“
„Ich weiß nicht wie“, meinte Srikkanth zum gefühlten hundertsten Mal, seit er von Jills Tod erfahren hatte.
„Das ist ganz einfach“, erklärte sie und gab ihm das Fläschchen. „Legen sie ihr einfach nur den Sauger an den Mund und vergewissern sie sich, dass keine Luft drin ist. Den Rest macht sie ganz alleine. Wenn sie ein Drittel ausgetrunken hat, rufen sie mich und ich helfe ihnen mit dem Bäuerchen.“
Srikkanth nickte unwillkürlich, neigte die Flasche und drückte den Sauger gegen ihre Lippen, die sich sofort öffneten und gierig daran saugten. „Du warst hungrig, nicht wahr, Sophie?“, fragte er, während sie trank. „Tut mir leid, dass ich das nicht gemerkt habe. Nun siehst du, was ich damit meinte, nicht zu wissen, was zu tun ist. Wie soll ich mich um dich kümmern, wenn ich noch nicht mal weiß, wann du Hunger hast? Bei Leuten, die Erfahrungen mit Babys haben, wärst du besser aufgehoben.“
Sophie saugte weiter an ihrer Flasche. Von dem inneren Konflikt des Mannes, der sie hielt, ahnte sie nichts. Als die Flasche zu einem Drittel leer war, sah sich Srikkanth nach der Schwester um, die sofort zu ihm kam.
„Ziehen Sie die Flasche aus ihrem Mund und legen Sie sie an ihre Schulter“, dirigierte sie. „Klopfen Sie ihr auf den Rücken, bis sie ein Bäuerchen macht. Wenn Sie wenig Luftblasen auf einmal raus lassen, kann sie weiter trinken. Wenn sie sich aufbauen, wird sie die Hälfte von dem, was sie getrunken hat, wieder ausspucken.“
Vorsichtig tätschelte Srikkanth Sophies Rücken.
„Nicht so“, lachte die Schwester und gab dem Baby einen richtigen Klaps. „Solange sie ihren Kopf stützen, tun sie ihr nicht weh. Na los, sie können fester klopfen.“
Zögernd tat Srikkanth wie ihm geheißen, bis Sophie ein zufriedenes Bäuerchen machte.
„Jetzt können sie ihr das nächste Drittel geben, danach noch mal ein Bäuerchen, dann kann sie die Flasche leer trinken“, sagte sie. „Sie machen das ganz toll. Sie sind ein echtes Naturtalent als Vater.“
Tränen stiegen ihm in die Augen, als die Schwester wieder ging. Noch einmal gab er Sophie die Flasche, blickte in ihr runzliges Gesicht und versuchte, seine Gefühle mit seinem Vorhaben in Einklang zu bringen. Ms. Holms hatte recht, aber er bereute es nicht, Sophie gesehen zu haben.
„Ich kann es nicht tun“, sagte er und sah die Sozialarbeiterin an, die neben ihm stand. „Ich kann die Papiere nicht unterschreiben, es tut mir leid.“
Ms. Holms nickte. „Das ist ihre Entscheidung. Sie werden einen Autositz brauchen, um sie mit nach Hause nehmen zu können.“
Seine Augen weiteten sich, aber er hatte sich entschieden. Jetzt musste er das auch durchziehen. „Ich brauche ein oder zwei Tage, um alles zu arrangieren. Ich bin darauf ja nicht vorbereitet.“
„Ein paar Tage kann sie noch bei uns bleiben, bis sie alles Nötige haben“, versicherte Ms. Holms. „Ich lasse Sie jetzt alleine, damit sie sich näher mit Ihrer Tochter bekannt machen können. Ich gratuliere ihnen, Mr. Bhattacharya, sie ist ein wunderschönes Mädchen.“
Srikkanth blickte auf das Baby hinab.
Seine Tochter.
Oh Gott, was hatte er getan?
Srikkanth hatte keine Ahnung, wie viel Zeit verging, als er Sophie wiegte und ihr dieselben Schlaflieder sang, die ihm seine Mutter vorgesungen hatte. Nachdem er ihr eine zweite Flasche gegeben hatte, sah er der Krankenschwester amüsiert beim Windeln wechseln zu. Abermals streckte er seine Hand nach ihr aus. Da knurrte sein Magen so laut, dass die Schwester ihn Stirn runzelnd ansah. „Gehen Sie doch etwas essen und besorgen Sie den Autositz. Sobald sie bereit für sie sind, ist sie bereit, mit ihnen nach Hause zu gehen.“
„Es ... es wird noch ein oder zwei Tage dauern“, entschuldigte sich Srikkanth. „Ich war nicht darauf vorbereitet, dass sie zu mir kommt. Zu Hause habe ich nichts für sie.“
