Ihre Musik - Thomas Stangl - E-Book

Ihre Musik E-Book

Thomas Stangl

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Beschreibung

In einer überwältigenden Sprach- und Bilderflut, in der sich die Wirklichkeit ständig aufzulösen droht, beschwört Stangl einerseits eine bestimmte Topographie, ein Wien, das so überwältigend kaum je zu lesen war, andererseits die Zeit, das Vergehen der Zeit. Wie in einem Taumel stürzt der Leser in die Erinnerungen und Vorstellungen zweier Frauen, Mutter und Tochter, und droht in ihnen verloren zu gehen.Ein überwältigendes Leseerlebnis, das unsere Wahrnehmung in eine andere Dimension hebt. Thomas Stangl ist ein einzigartiger Erforscher des Bewußtseins, ein Reisender in Bereichen, in denen nur die Literatur Ergebnisse zutage bringt.

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Seitenzahl: 265

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Inhalt

Titelseite

Impressum

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Thomas Stangl

Ihre Musik

Roman

Literaturverlag Droschl

© Literaturverlag Droschl Graz – Wien 2006

Umschlag: & Co

Herstellung: Finidr s. r. a.

eISBN: 978-3-85420-922-5

Von diesem Buch gibt es 10 numerierte und mit einem Autograph des Autors versehene Vorzugsausgaben, Informationen dazu beim Verlag.

Literaturverlag Droschl A-8043 Graz Stenggstraße 33

www.droschl.com

In dem Augenblick, wo man zwei Dinge erblickt und sich des Zwischenraums zwischen ihnen bewußt wird, muß man in diesen Zwischenraum eindringen. Wenn die zwei Dinge gleichzeitig vernichtet werden, dann glänzt in diesem Zwischenraum die Wirklichkeit.

Vijnana Bhairava, cit. nach Julio Cortázar, Letzte Runde

Doch in jeder Form der Liebe werden eine Vergangenheit und eine Zukunft erfaßt, als seien sie gegenwärtig.

John Berger, Was gehalten wird

1.

Sie erinnert sich, ihre Füße in Strümpfen oder nackt auf dem Küchenboden, ein Flickenteppich über den Kacheln: sie läßt das kalte Wasser ein wenig laufen, bevor sie den offenen ursprünglich silberfarbenen Kessel mit der schon längst nicht mehr spiegelnden Wölbung (ein paar Tropfen laufen ab) unter den Strahl schiebt und in ihrer Hand schwerer werden läßt; sie dreht mit der linken Hand den achteckigen Messingdrehknopf bis zum Anschlag oder eher bis zum weichen, leicht verzögerten Einrasten (wie hat sie es für selbstverständlich halten können) nach rechts, ein Päckchen Zigaretten liegt auf dem Küchentisch. Sie fügt den kleinen runden Deckel mit dem schwarzen Knauf in die Öffnung des Kessels (ein ganz leises dumpfes Geräusch) und stellt ihn auf der verkohlten vierarmigen Metallkralle über der rechten vorderen Flamme des Gasherds ab. Mit dem Fingernagel könnte sie die schwarze klebrige Schicht von den dünnen Armen abkratzen. In der Küche ist es hell (es muß ein Sommertag sein, sie sieht sich selbst, ihr Haar, ihren Rücken im Lichtschein aus dem Fenster), sie zündet ein Streichholz an und hält es an den linken vorderen Brenner (ein rostender Stahlring, mit kleinen Löchern an der Seite, deren Zahl sie jetzt gerne kennen würde), während sie den Knopf an der Vorderseite des Herds auf die höchste Stufe dreht und einige Sekunden lang niedergedrückt hält; sie schiebt den Wasserkessel auf den blauen Flammenkranz, dreht sich um, gibt den Filteraufsatz auf die gläserne, schwarzeingefaßte Kanne, die jeden Morgen auf der Ablagefläche des Küchenschranks auf sie wartet, unter den Regalen, für deren Bild allein sie oder jemand in ihrem Kopf viele Nächte oder Tage lang (der Unterschied verschwimmt langsam) Worte suchen kann; sie fingert einen braunen Papierfilter aus einer Kartonschachtel auf dem Regal neben dem Herd und schiebt ihn in den Aufsatz, schüttet drei oder vier Löffel voll Kaffeepulver in den Filter. Sie weiß, daß sie sich erst, nachdem sie eine halbe Tasse Kaffee getrunken haben wird, die erste Zigarette für den Tag anzünden wird. Sie fühlt das weiche, hellblaue Päckchen mit dem Gallierhelm in ihrer Hand, die selbst weich und warm ist und nicht zittert. Bald kommt das Fenster in ihr Blickfeld, sie zögert noch, ihr zurückgelegter Nacken, der in die Senkrechte gedrehte Riegel, der aufgeschobene Fensterflügel, es liegt ganz in ihrem Belieben, welche Perspektive sie wählt, wenn sie ihren Blick (etwas Fließendes, Freies, von ihr Getrenntes, immer noch, so glaubt sie, Vorhandenes und Bewegliches) ins Freie richtet. Der Lichtschein trifft sie jetzt voll. Sie ist sich sicher, daß jemand drittes in der Wohnung gewesen ist, über lange Zeit: eine Idee, die ihr Bewußtsein verschiebt, die ihr gefällt und die sie ängstigt, die den Dingen eine Notwendigkeit gibt, außerhalb von ihr selbst. Hat sie alle Korridore und alle Zimmer genau durchsucht? Hat sie es nicht für Momente, die genügen, eigentlich aber für Stunden, Tage, Wochen, ganze Monate, die sie mit ihrem Kopf und ihrem Körper anderswo gewesen ist, an Wachsamkeit fehlen lassen? Vielleicht hat sie sogar selbst, noch während sie sich mit Haß, Verachtung oder einfach Gleichgültigkeit abwandte, die Tür geöffnet; jeder Satz, jeder Blick kann entscheidend gewesen sein; den Gefühlen ist nicht zu trauen. Sie sitzt zurückgelehnt, ein Knie angezogen und ein Fuß auf der Sitzfläche ihres Stuhls am Frühstückstisch, unbeobachtet (aber das Bild muß geblieben sein, eines in der Reihe von Bildern). Vielleicht vermißt sie das Rauchen mehr als das Essen; oder nicht das Rauchen, sondern eine Idee des Rauchens, die sie durchs Rauchen ziemlich vergeblich einzuholen versucht hat und auch nie mehr einholen wird, auch wenn sie ihr jetzt, in der Erinnerung, vielleicht näher gekommen ist als früher.

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

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