Im Abyss - S.C. Keidner - E-Book

Im Abyss E-Book

S.C. Keidner

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Beschreibung

In der äußeren Welt ein mythisches Schwert stehlen: Für Balder eine Verzweiflungstat, mit der er seine Frau den Klauen eines perfiden Räubers entreißen will. Doch der Diebeszug endet anders als gedacht: Ben, Herr der Burg, unter der das Weltentor liegt, und Elin, die die Erinnerungen der Gegenstände zu lesen weiß, geraten in die innere Welt. Wo die beiden und Balder in die Hände von Taios Yranerod fallen, seines Zeichens Hoher Rat und zuständig für magische Artefakte. Der ist bei seiner Jagd auf die Eindringlinge aus der äußeren Welt auf eine Verschwörung gestoßen. Den Aufrührern den Garaus zu machen, droht jedoch an einem Verräter in den eigenen Reihen zu scheitern. Elin und ihre Gabe kommen Taios da gerade recht. Und auch Ben hat eine ungeahnte Verbindung zur inneren Welt, einer Welt voller Magie, die sich einer großen Herausforderung stellen muss ...

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Veröffentlichungsjahr: 2024

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Inhaltsverzeichnis

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Kapitel 30

Kapitel 31

Kapitel 32

Kapitel 33

Weitere Romane von S.C. Keidner

Impressum

Kapitel 1

»Wie konnte das passieren?!«

Das Gesicht in der über dem Bergkristall schwebenden Kugel aus weißem Licht verzieht sich. »Die Wächter haben den Dieb in den großen Artefaktsaal gelassen. Er behauptete, er solle etwas nachsehen.«

»Und das war?«

»Ob das Fenster, das auf das Gewölbe mit dem Wasserspiel hinausgeht, geschlossen sei. Ein Gehilfe habe in den Wachstuben gemeldet, es stehe offen.«

»Den Saalwächtern ist nicht der Gedanke gekommen, dass die Schutzmagie Derartiges anzeigen würde?« Es fällt schwer, diese Frage nicht in dem ätzenden Ton zu stellen, der ihr gebührt. Wie konnten die Wächter bloß auf so eine billige Finte hereinfallen?!

»Nein, Herr. Der Dieb trug eine Rüstung unseres Hauses mit dem Abzeichen eines Zuoys. Da erschien den Saalwächtern die Behauptung einleuchtend.«

Natürlich. Kaum ein Wächter würde einem Zuoy, seinem Prinzipal, widersprechen. »Aber der Kerl war kein Zuoy.«

»Nein, Herr. Die waren zu der Zeit in den Wachstuben. Um mir Bericht zu erstatten.«

»Er trug eine Eisenmaske?«

»Ja, Herr. Wie jeder andere Wächter auch.«

»Wie ist er zum Saal gelangt?«

»Er ist durch das Tor gekommen, Herr. Der Torwächter, der die Listen führt, erinnerte sich an einen Zuoy, der an ihm vorbeiging.«

»War auf den Listen vermerkt, dass ein Zuoy zuvor den Turm verlassen hatte? Der nun zurückkehrte?«

»Nein, Herr.«

Also war es ein Versagen in zweierlei Hinsicht, beide Male geboren aus blinder Unterwürfigkeit. Taios’ Ton wird jetzt doch beißend: »Erinnere alle Wächter daran, dass jeder beim Verlassen und Wiederbetreten des Turms einzutragen ist! Und zwar wirklich jeder! Sollte jemand, der nicht auf der Liste steht, versuchen, durch das Tor hineinzugelangen, ist er gefangen zu nehmen! Ganz gleich, ob er eine unserer Rüstungen trägt oder nicht!«

»Ja, Herr.«

»Der Dieb ging also in den Saal. Was geschah dann?«

»Die Schutzkristalle leuchteten auf. Die Wächter durchsuchten sofort den Saal, aber der Mann und das Artefakt, der Umhang, waren verschwunden. Der Dieb hatte sich den Umhang übergeworfen. Er war unsichtbar geworden. Sie hörten, wie er wegrannte, und folgten dem Geräusch seiner Schritte. Sie verloren ihn.«

Taios schweigt.

»Herr, ich übernehme für dieses Fiasko die volle Verantwortung.«

Als Kommandant der Wächter des Hauses Yranerod hat Alvis sich dieser Verantwortung zu stellen, keine Frage. Aber es gibt Dringenderes zu tun. »Ich gedenke nicht, dich einzukerkern, auch wenn ich Grund dazu hätte. Wir benötigen alle Kräfte, um den Umhang wiederzubeschaffen. Und wir müssen sicherstellen, dass so etwas nicht noch einmal passiert!«

»Ja, Herr. Ich danke dir. Ich habe Vorkehrungen getroffen, was den Zugang zu den Artefaktsälen angeht. Die Wächter haben Anweisung, deren Türen nur für dich, für mich und für Druya zu öffnen und das nur, wenn wir keine Eisenmasken tragen. Falls jemand anderes versucht, in die Säle zu gelangen, sollen sie ihn gefangen nehmen. Oder töten, falls es nicht anders geht. Außerdem habe ich die Zahl der Wachen erhöht.«

»In Ordnung. Was habt ihr unternommen, um den Dieb zu finden?«

»Wir haben das Tor geschlossen, sodass niemand mehr den Turm betritt oder verlässt. Dann haben wir alle Räume nach dem Dieb und nach möglichen Eingängen zu den Katakomben durchsucht. Gefunden haben wir nichts.«

Die Katakomben, die Unterwelt Adharas, erreicht man über versteckt gelegene Stiegen oder geheime Türen. Der Dieb kann sehr wohl von dort gekommen sein: Gesindel wie Räuber und Mörder gehen in ihnen ihren verwerflichen Geschäften nach. Trotzdem: »Ich denke, in unseren Räumen gibt es keine Katakombenzugänge. Es wurde lange genug danach gesucht, als man die Artefaktsäle einrichtete. Aber es ist richtig, vorsichtig zu sein. Was habt ihr noch unternommen?«

»Wir haben die Garden alarmiert, damit sie in den Straßen Adharas nach einem unsere Rüstung tragenden Mann Ausschau halten. Ich glaube aber nicht an ihren Erfolg: Der Dieb hat immerhin ein magisches Artefakt, das ihn unsichtbar macht! Außerdem wurden die Garden angewiesen, über die nächsten Zyklen hinweg auf Hehler zu achten, die den Umhang vielleicht zum Verkauf anbieten.«

»Sind derzeit Wächter von uns in den Straßen Adharas unterwegs? Nicht, dass es zu Scharmützeln kommt, versuchten die Garden, jemand Unschuldigen in Arrest zu nehmen!«

»Nein, Herr. Alle Wächter sind hier in unseren Räumen.«

»Gut. Seid weiterhin wachsam, auch wenn der Dieb wohl längst entwichen ist. Danke, Alvis.«

»Herr.«

Die Lichtkugel erlischt.

»Druya!«, bellt Taios.

Ein Funke flammt über dem Kristall auf, wird größer, bis erneut eine Kugel aus Licht über ihm schwebt. In ihr erscheint der Kopf Druyas, der dienstältesten und höchsten Magierin des Hauses Yranerod.

»Herr?«

»Berichte mir von dem Umhang.« Erklären muss er seinen Befehl nicht. Die Nachricht von dem Diebstahl hat sich wie ein Lauffeuer verbreitet, als die Wächter die Räume nach dem Dieb durchsuchten.

»Ja, Herr. Bei ihm handelt es sich um ein Reiseartefakt. Er bringt den Reisenden unsichtbar an vorbestimmte Orte. Man nennt den Namen des Ortes, wie er auf Karten geschrieben steht, und wird dorthin versetzt. Bei größeren Orten, wie Adhara einer ist, muss man genauer sein und eine Straße oder die Räume nennen, zu denen man möchte. Aber: Das Artefakt wurde vor den dunklen Zeiten hergestellt. Der Umhang bringt den Reisenden daher nur an Orte, die da schon existiert haben. Die, die nach den dunklen Zeiten entstanden sind, kennt er nicht.«

Sie zögert und Taios drängt sie mit einem unwirschen »Ja?« zum Weiterreden. »Es handelt sich bei dem Umhang um eines der Artefakte, deren magisches Vermögen wir bisher nicht vollends zu entschlüsseln vermochten, Herr. Er wird dem Träger mehr ermöglichen, als unsichtbar zu reisen. Nur was, das wissen wir nicht.«

Das ist schlecht, wenn auch nicht gänzlich unerwartet. Die Magie der alten Artefakte hat viele Facetten. So gibt es Reiseartefakte, die nur Angehörige eines bestimmten Hauses an andere Orte versetzen, und Artefakte, die allen gehorchen, die ihnen eine Reise befehlen. Dann welche, die den Reisenden sofort an die Orte bringen, zu denen sie möchten, und welche, die es bloß erlauben, schneller dorthin zu gelangen, als wenn man zu Fuß oder mit dem Kahn unterwegs wäre. Und es gibt die Artefakte, deren volles Vermögen sie bisher nicht zu erfassen vermochten.

»Du wirst doch einen Verdacht haben, was den nicht entschlüsselten Teil der Umhangmagie angeht!«

»Es hängt mit Reisen zusammen, das ist alles, was sich sagen lässt.«

»Wohin bringt der Umhang den Reisenden, wenn er ihm Räume wie die Schatzgewölbe nennt? Gelangt der Reisende in die Gewölbe?«

»Nein, Herr. Er wird vor den Toren jener Räume ankommen, nicht in den Räumen selbst. Aber bei den Schatzgewölben würde das Eindringen mithilfe eines Artefakts soundso durch Schutzmagie verhindert.«

Das ist eine Erleichterung. Außerdem werden die Tore der Schatzgewölbe bewacht. Da wird es auch einem unsichtbaren Dieb nicht gelingen, hineinzukommen! »Gut. Apropos Tore: Der Dieb ist unbehelligt durch unseres marschiert! Wie kann das sein? Die Schutzmagie hätte ihn anzeigen müssen!«

»Sicher, Herr. Der Dieb war, wenn ich richtig unterrichtet bin, in eine Wächterrüstung gekleidet. Womöglich trug er darunter eine Tunika deines Hauses! In deren Kragen sind jene Diamantensplitter vernäht, die den Träger als Angehörigen des Hauses Yranerod ausweisen. Dann wird die Schutzmagie den Dieb beim Betreten unserer Räume unbehelligt gelassen haben.«

Taios nickt. Wieso sollte der Dieb, wenn er schon eine Rüstung der Yranerodwächter in die Hände bekommen hat, nicht an eine Tunika gelangt sein? Jeder Wächter und Gehilfe des Hauses tragen eine, und auch in die bodenlangen Gewänder, die Taios und die Magier bevorzugen, sind jene Splitter eingenäht. Er könnte seinen Verwalter zwar fragen, ob Tuniken verloren gegangen sind, aber das würde keine vernünftige Antwort erbringen. In Räumen von der Größe des Turms der Yranerod werden fortwährend Kleidungsstücke beschmutzt oder zerrissen und müssen ersetzt werden. Dass man vergisst, den kleinen Splitter aus einem Kragen zu entfernen, bevor man eine alte Tunika als Lumpen fortwirft, kann da durchaus vorkommen. Was, falls jemand einen solchen Lumpen aus dem Müll gefischt hat? Da ist es besser, er sorgt dafür, dass jener Lumpen dem Dieb nichts mehr nützt.

»Wir müssen sämtliche Tuniken und Gewänder mit neuer Findemagie ausstatten, Druya. Damit die Schutzmagie die Tunika des Diebs an ihrer veralteten Findemagie erkennt, sollte er sich noch einmal in meine Räume wagen.«

»Ja, Herr. Ich und Yelyo machen uns an die Arbeit.«

»Sprich mit den Wächtern. Versucht gemeinsam, die Tunika des Diebs aufzuspüren! Vielleicht flüchtet er noch durch die Straßen Adharas! Der Findekristall sollte den Diamantensplitter der Tunika dann anzeigen. Sicher, er wird auch alle anderen Angehörigen des Hauses Yranerod aufspüren, die in den Straßen unterwegs sind, doch wir dürfen nichts unversucht lassen!«

»Das werden wir machen, Herr. Bedenke aber: Der Dieb hat den Diamantensplitter möglicherweise zerstört, um nicht gefunden zu werden. Oder er hat die Tunika bereits fortgeworfen!«

»Vielleicht haben wir Glück.« Ihm kommt ein Gedanke. »Der Umhang ist nicht mit einem solchen Splitter versehen, richtig? Wäre es nicht sinnvoll, Splitter an den Artefakten anzubringen? Damit wir sie in Fällen wie diesem aufspüren können?«

»Äh, nein, Herr. Das haben wir zu Zeiten deines Vaters versucht. Die Artefakte reagierten unerwünscht darauf. Man kann zwar, wenn man eine Tunika mit dem Diamantensplitter trägt, Artefakte benutzen, ohne dass etwas Unvorhergesehenes passiert. Aber wenn sich zwei Arten der Magie im selben Gegenstand vereinigen, vertragen sich diese beiden Arten der Magie nicht immer. Ein Artefakt ging damals in Flammen auf und andere verloren ihr magisches Vermögen, als man die Diamantensplitter anbrachte.«

»Dann lassen wir das. Die Artefakte sind zu wertvoll, als dass wir es uns leisten könnten, sie zu verlieren. Wie lange wird es dauern, die Findemagie anzupassen?«

»Wir werden zwei Zyklen benötigen, Herr. Wir haben nur diese beiden Kristalle, mit denen wir das machen können.«

»In Ordnung. Zurück zum Umhang. Wieso glaubst du, er könne mehr, als was du beschrieben hast?«

»Ich habe eine Reisemagie an ihm festgestellt, die ich nicht erklären kann, Herr.«

»Wie weißt du, dass es sie gibt?«, hakt er ungeduldig nach.

»Es ist eine Energie, die mir ein Detektionskristall angezeigt hat. Alles, was wir versucht haben, um die Energie zu deuten, ist gescheitert.«

Nun gut. »Muss ich sonst noch etwas über den Umhang wissen?«

»Äh, ja, Herr. Wie gesagt, der Umhang versetzt den Träger nur an Orte, die schon vor den dunklen Zeiten existiert haben. Sollte der Dieb versuchen, an einen während der dunklen Zeiten untergegangenen Ort zu reisen, könnte ihn das sein Leben kosten! Viele jener Orte wurden damals durch Felsstürze zerstört. Der Dieb würde in Gestein oder unter Geröll eingeschlossen und sterben.«

»Wobei die Frage ist, was er an einem nicht mehr bestehenden Ort will. Danke, Druya.«

»Herr.« Die Lichtkugel verglüht.

Taios bleibt allein zurück, lauscht auf die dumpfen Schritte und die Stimmen jenseits der geschlossenen Tür der Studierstube. Dann strafft er die Schultern. Er muss dringend einen Weg aus der peinlichen Lage ersinnen, in die er durch den Verlust des Umhangs geraten ist. Und zwar bevor einer der anderen Hohen Räte über Tratsch und Geflüster davon erfährt.

Er springt auf und wandert mit hinter dem Rücken verschränkten Händen zur Längswand der Studierstube, auf der golden, silbern und kupfern schimmernde Moose wachsen, die durch das Licht von geschickt angebrachten Leuchten wie Reliefs von Bergen und Tälern wirken. Der beruhigende Duft nach Pilzen und feuchter Erde, der der Wand entströmt, verfehlt seine Wirkung.

Er wird den Hohen Rat über den Diebstahl unterrichten müssen. Seine Feinde im Rat, allen voran Xari Tryorod, werden die Gelegenheit, ihn vorzuführen, nicht ungenutzt verstreichen lassen. Was für ihn heikel werden kann.

Dem Haus Yranerod – und damit ihm – obliegt es, magische Artefakte zu finden und sicher zu verwahren. Artefakte hatten ihren Anteil an den grausamen Geschehnissen des Bürgerkriegs der dunklen Zeiten. Magisch verstärkte Waffen trafen den Gegner tödlich. Reisekristalle versetzten Kämpfer von einem Schlachtfeld zum nächsten. Magische Karten erlaubten das Auffinden feindlicher Lager. Da jede der kriegführenden Fraktionen Artefakte besaß, war man gleichstark und schlachtete sich generationenlang gegenseitig ab, bis es den im Hohen Rat zusammenkommenden Herrscherhäusern gelang, die Macht an sich zu reißen, die Kämpfe zu beenden und zu bekunden, dass Artefakte fortan in die Zuständigkeit des Rats und insbesondere die des Hauses Yranerod fielen und daher an die Yranerod abzugeben seien. Damit wollte man Auseinandersetzungen wie die der dunklen Zeiten künftig verhindern. Als angenehmen Nebeneffekt sicherte man die eigene Macht, denn wer würde es wagen, Herrscherhäuser anzugreifen, die über magische Artefakte verfügten? Doch der Gedanke, dass man mit einem Artefakt Macht besaß, war den Artefaktbesitzern auch gekommen. Viele magische Gegenstände wurden versteckt und das Wissen über jene Verstecke entweder heimlich über die Generationen weitergegeben oder kryptisch in Pergamentrollen festgehalten. Manchmal wurden Artefakte gar ganz vergessen. Taios und seine Wächter und Magier suchen nach Hinweisen auf die Verstecke, bergen die Artefakte und verwahren sie in den Sälen des Hauses Yranerod.

So weit, so gut. Nur: In letzter Zeit sind die von ihnen aufgespürten Artefaktverstecke häufig leer. Abgerissene Moospolster oder weiße Schleifspuren auf dunklem Stein sagen ihnen dann häufig, dass ein Versteck erst vor Kurzem ausgeräubert wurde. Oder es wird ihnen gesagt, jemand vom Hause Yranerod habe das Artefakt bereits beschlagnahmt! Jemand, der Rüstung und Eisenmaske der Yranerod trug, und beschrieben wird als Mann. Oder als Frau. Dick oder dünn. Klein oder groß. Entweder handelt es sich um eine ganze Gruppe dieser Leute, die einen Spion in seinen Räumen oder im Hohen Rat haben, oder aber jener Spion agiert allein und benutzt ein Artefakt, das sein Aussehen verschleiert!

Wer der Verräter ist, ließ sich bisher nicht herausfinden. Es kommen Tausende Gehilfen und Wächter infrage. Da wären die seines eigenen Hauses. Dann sind da all die jener Häuser, die im Rat vertreten sind. Oft finden sich Hinweise auf Artefaktverstecke auf deren Ländereien, waren es doch ihre Vorfahren, die jene Artefakte im Bürgerkrieg benutzten. Taios darf Räume eigentlich durchsuchen, ohne die Erlaubnis der Bewohner einholen zu müssen. Die Räume und Ländereien der Herrscherhäuser aber bilden die große Ausnahme. Verweigert ein Herrscherhaus ihm die Durchsuchung, muss er den Hohen Rat um Erlaubnis dafür bitten. Kein Wunder, dass das Wissen um ein Artefaktversteck da zum Allgemeingut wird!

Das alles wäre nicht derart dramatisch, hätten seine Magier Wege gefunden, Magie zu wirken. Dann könnte man sich Mittel erschaffen, um den Verräter zu finden, wie Kristalle, die Bilder derjenigen zeigen, die vor den Wächtern an einem Artefaktversteck waren. Doch dazu sind die Magier, die einzigen der inneren Welt, nicht in der Lage. Mit den Magiern der Gilde, die die Artefakte erschufen und während der dunklen Zeiten ausgelöscht wurden, haben sie nur die Bezeichnung gemeinsam. Magie zu wirken, vermögen sie mit ihren schwachen magischen Fähigkeiten nicht. Stattdessen erforschen sie Artefakte und studieren Schriftrollen. Man hofft, dass sie dadurch dereinst ähnlich magisch begabt sein werden wie die Gildemagier, doch das ist nichts als eine ferne Vision.

So versäumt es Xari Tryorod bei den Ratssitzungen nicht, auf all diese Probleme hinzuweisen und sie mit dem Unvermögen des Hauses Yranerod zu erklären. Und jetzt gibt es neben einem Verräter und Magiern, die keine Fortschritte bei der Erforschung der Magie machen, auch noch den Diebstahl eines Artefakts aus den mit Wächtern und zusätzlicher Schutzmagie gesicherten Sälen! Xari wird ebenfalls der Gedanke kommen, der Taios als Allererstes durch den Kopf geschossen ist: dass der Verräter und der Dieb des Umhangs dieselbe Person sind. Die Art, wie der Dieb vorgegangen ist, ähnelt doch sehr der Vorgehensweise der Plünderer der Artefaktverstecke!

»Verflixt!«

Für seine Feinde ist das ein gefundenes Fressen. Besser, er bereitet sich gut auf die Ratssitzung vor, die verspricht, sehr turbulent zu werden.

Λ

»Das sieht nicht besonders professionell aus!« Markus hat die Arme auf die niedrige Gartenmauer gestemmt und grinst breit. Sein blondes Haar kontrahiert effektvoll mit der Kleidung, deren Schwarz nur von dem weißen Rechteck am Kragen durchbrochen wird. Neben ihm steht ein Mann in Jeans und einem Holzfällerhemd, der Elins Versuche, den Handmäher in geraden Reihen über die Rasenfläche zu schieben, mit ausdrucksloser Miene beobachtet.

Sie hält in ihrem Tun inne. »Klopf jetzt bloß keine Sprüche!«

»Arndt hat einen benzinbetriebenen Rasenmäher! Traust du dich nicht, den zu fahren?« Markus flankt über die Mauer und kommt zwischen den sich im Wind wiegenden Pfingstrosen hindurch zu ihr. Der andere Mann bleibt, wo er ist.

»Mit einem Aufsitzrasenmäher wird man mich nie erwischen, das ist was für Rentner!« Sie sagt es nicht, aber er hat recht. An das Ungetüm, das Onkel Arndt sich zugelegt hat, wagt sie sich nicht heran. Selbst Onkel Arndt gab zu, dass es für die paar Quadratmeter Rasen zwischen all den Büschen, Bäumen und Beeten überdimensioniert sei. »Egal! Mit ihm ist das Mähen ratzfatz geschafft!«, war sein Fazit nach der Einweihung des Rasenmähers gewesen, das mit einem liebevollen Blick auf die rotglänzende Karosserie einherging, von der er dann auch gleich einen imaginären Fleck wischte. Elin hat lieber den alten Handrasenmäher aus seiner spinnenwebverhangenen Ecke gezogen.

»Na gut.« Markus winkt den Mann heran, der ungelenk über die Mauer klettert und sich zu ihnen gesellt. »Elin Gerhardt. Ben Albenburg.«

Der lächelt verhalten. »Hallo.«

»Hi. Dann sind Sie der Burgherr?«

Onkel Arndt hat im letzten Herbst berichtet, dass »der junge Baron« die Burg, die auf den Felsklippen oberhalb der Fachwerkhäuser des Dorfs Albenburg thront und nicht viel mehr ist als ein größerer Hof mit einem Turm, von seinen Eltern übernommen habe. Er wolle sie zu einem Hotel umbauen. Dafür sei er ins Dorf gezogen und die Eltern seien – da klang Neid aus der Stimme ihres Großonkels – nach Spanien gegangen. Elin sagte daraufhin, er könne doch auch nach Spanien ziehen, schließlich sei er als Rentner nicht ortsgebunden. Finanzieren könne er das durch den Verkauf des Hauses. Onkel Arndt war empört. »Das Haus an Wildfremde verkaufen?! Auf gar keinen Fall! Ich würde nur darüber nachdenken, was die alles anstellen: Wände rausreißen! Einen modernen Anbau errichten! Oder aus dem Garten einen dieser fürchterlichen Schottergärten machen! Nein, nein, mich müssen sie mit den Füßen voran raustragen, bevor ich das Haus Fremden überlasse! Außerdem wohne ich gerne hier! Es ist so ein schönes Haus!«

Das ist es, ein uralter niedriger Fachwerkbau, die Balken braun und die Mauern weiß gestrichen, mit einem eingewachsenen Garten mit Sträuchern und Beeten voller Pfingstrosen, Margeriten, Fingerhut und Kornblumen und einem an der Westseite über das Dach rankenden Blauregen. Hinter dem Haus wachsen Apfelbäume und es gibt Gemüsebeete. Insgeheim ist Elin heilfroh, dass Onkel Arndt im Dorf wohnen geblieben ist, genießt sie all das doch sehr bei ihren Besuchen. Die Stille und Beschaulichkeit ist eine angenehme Abwechslung zum Trubel Berlins, wo zu jeder Zeit ein geschäftiges Summen über den Straßen liegt.

»Der bin ich«, sagt Ben Albenburg. »Und Sie sind die Großnichte, die das Haus hütet, bis der Hausherr wieder fit ist?«

»Kinder, jetzt duzt euch!« Markus wirft in gespielter Verzweiflung die Arme in die Luft.

»Jawohl, Euer Hochwürden«, sagt Ben trocken.

Sie lachen.

»Ja«, antwortet Elin. »Solange Onkel Arndt im Krankenhaus und dann in der Reha ist, spiele ich hier die Aufpasserin.«

»Wie geht es ihm?«, fragt Markus. »Ich würde ihn gerne besuchen, falls er dafür fit genug ist.«

»Die OP ist super verlaufen! Er wird sich über deinen Besuch freuen! Ihm ist langweilig. Er ist nicht dafür gemacht, den ganzen Tag rumzusitzen.«

»Das glaube ich gerne! Toll, dass es ihm besser geht! Wir haben in der Messe für ihn gebetet.«

Elin hat seit Jahren keine Messe mehr besucht, anders als Onkel Arndt, für den die Sonntagsmesse ein fester Termin war, bis er auf den Stufen zum Vorgarten hinunter ausrutschte, was ihm einen komplizierten Oberschenkelhalsbruch einbrachte. Aufs Gesundwerden hat er sich nicht konzentrieren können, denn er machte sich Sorgen um das Haus. »Wenn niemand da ist, brechen die bei mir ein!«, jammerte er, als Elins Mutter ihn nach seiner Einlieferung im Krankenhaus besuchte.

Wer »die« waren, vermochte er nicht zu sagen, aber Elin hat sich von ihrer Mutter breitschlagen lassen, sich bei ihm einzuquartieren und auf das Haus achtzugeben. »Es ist nur für ein paar Wochen! Bis Onkel Arndt wieder fit ist! Du bist selbstständig! Ob du nun Webseiten in deiner Wohnung oder in Albenburg baust, ist doch egal!« Elins schwachen Einwand, sie benötige eine leistungsfähige Internetverbindung, wischte sie beiseite. »Onkel Arndt hat Internet!« Zu Elins Erleichterung ist die Internetgeschwindigkeit im Dorf dann auch ganz passabel und sie kann bequem dort arbeiten. Die Technik ist also nicht das Problem. Nein, das ist Onkel Arndt, der sie alle nasenlang anruft, um ihr Arbeitsanweisungen zu geben: Staubwischen, Saugen, die Mülltonnen rausstellen, das Glas wegfahren, die Tiefkühltruhe auffüllen, den Schornsteinfeger aufs Dach lassen und so weiter und so fort. Sie hofft, dass er in der Reha, die nächste Woche beginnt, genügend beschäftigt wird, um sie nicht weiter zu managen, und erledigt pflichtbewusst, was er ihr aufgibt. Wie das Rasenmähen, zu dem er sie heute Morgen verdonnerte.

»Du solltest beim Gottesdienst vorbeischauen, jetzt, wo du länger hier bist!« Markus ist der Pfarrer Albenburgs und unermüdlich in seinem Bestreben, verlorene Schafe zurück in den Schoß von Mutter Kirche zu locken. Onkel Arndt, der ihn ihr vor zwei Jahren vorstellte, hält große Stücke auf ihn. »Ich hatte ja Bedenken bei einem so jungen Mann als Pfarrer! Aber er ist das, was wir brauchen! Tatkräftig und voller Energie!«

Markus fährt fort: »Ihr braucht gar nicht so zu gucken, alle beide nicht! Ein wenig Glauben würde euch guttun!«

»Vielleicht glauben wir an das fliegende Spaghettimonster.« Ben grinst.

Markus lacht auf. »Dann würdet ihr wenigstens an etwas glauben! Aber deswegen sind wir nicht hier. Elin«, wendet er sich an sie. »Du bist doch Webdesignerin.«

»Ja?«, sagt Elin gedehnt, die ahnt, was auf sie zukommt.

»Könnte ich dich bitten, dir die Webseite unserer Kirchengemeinde anzusehen? Ich fürchte, wir müssen sie ganz neu gestalten. Da wäre die Hilfe von dir als Expertin sehr willkommen. Und wo du jetzt doch länger hier bist, dachte ich, dass das die perfekte Gelegenheit ist! Wobei wir, ehrlich gesagt, nicht dafür zahlen können.«

Vor einiger Zeit hat Onkel Arndt etwas in der Art übers Telefon verlauten lassen. Auch, dass Elin diese Arbeit ehrenamtlich machen könne, oder? Schließlich engagiere er, Arndt, sich in der Kirche, und sie, Elin, sei häufig genug im Dorf, sodass sie quasi dazugehöre! Und bis auf diesen einen Kunden, der seine Webseite in Grün wolle, habe sie derzeit keine Aufträge, oder? Elin, die sich damals verwünschte, Onkel Arndt von ihrer Auftragslage erzählt zu haben, sagte zugegebenermaßen etwas unüberlegt: »Klar, ich kann da helfen, falls ihr wollt.« Das will man jetzt.

Deswegen – und weil ihre Auftragslage immer noch mau ist – nickt sie. »Das ist kein Problem. Schick mir einfach den Link der Webseite. Ich sehe sie mir an und dann besprechen wir, was man mit ihr machen kann.«

»Klasse! Vielen Dank! Wo soll ich den Link hinschicken?«

Sie buchstabiert ihre E-Mail-Adresse, die Markus in sein Handy tippt, wobei er sagt: »Übrigens, Ben will die Burg zu einem Hotel umfunktionieren, für das er eine Webseite brauchen wird. Wieso programmierst du sie ihm nicht?«

Ben setzt eilig hinzu: »Das wäre ein normaler Auftrag, mit Bezahlung!«

»Auch die Webseite der Gemeinde wird bezahlt, wenn auch nicht mit schnödem Mammon!«, entgegnet Markus würdevoll. »Und …«

»Ich kann das gerne übernehmen, Ben«, sagt Elin hastig. Sie befürchtet eine Predigt über die Wirkung von guten Taten auf das Seelenheil. »Und was die Webseite der Gemeinde angeht, werfe ich nachher mal einen Blick darauf, wenn du mir den Link gleich schickst, Markus. Wir könnten morgen darüber sprechen.«

»Morgen ist Sonntag!«

Dessen ist Elin sich bewusst. Aber nächste Woche wird sie sich um den auf Grün fixierten Kunden kümmern müssen. Und falls Ben seine neue Webseite sofort angehen möchte, bleibt wenig Zeit für Neues und noch viel weniger Zeit für Unbezahltes. »Du kriegst eine Webseite für umsonst! Ich denke nicht, dass du da wählerisch sein kannst. Schick mir den Link und ich schaue sie mir an! Nach der Sonntagsmesse kommst du her und wir reden!«

Kapitel 2

Eine, wie er hofft, zuversichtliche Miene zur Schau stellend, steht Taios auf dem Rednerfelsen in der Mitte der Halle, neben ihm die beiden eisernen Schalen, in denen ölgenährte Feuer lodern, die den fensterlosen Saal mit schwerem Rauchgeruch durchziehen. Die im Kreis um den Felsen angelegten steinernen Sitzreihen steigen steil an, bis in das Halbdunkel hoch unter dem marmornen Deckengewölbe. Dort oben sitzen die jüngsten und unerfahrensten Räte und in den vorderen Reihen die, die schon lange die Geschicke der inneren Welt lenken. Alle entstammen sie den Herrscherhäusern. Und alle sind sie unzufrieden mit dem, was er ihnen mitgeteilt hat. Er stählt sich, indem er sich daran erinnert, was er über die Räte weiß: Die Lustsklaven, die einige von ihnen in den Katakomben besuchen, und die Süchte, die andere in die Spelunken treiben. Dieses Wissen ist ihm während seiner Nachforschungen über verschollene Artefakte zugefallen. Die Situation ruft nicht danach, es zu nutzen, aber es hilft, den abschätzigen Blicken erhobenen Hauptes entgegenzutreten.

»Der Umhang wurde gestohlen. Das ist nicht akzeptabel«, stellt ein Rat aus dem Hause Klayorod fest.

»Absolut nicht!«, wirft einer von oben aus dem Halbdunkel ein. Seine Stimme hallt von den Marmorwänden wider.

»Erkläre es uns, Taios«, befiehlt Wischard Zelorod, der Älteste Hohe Rat, der in der Mitte der untersten Reihe sitzend die Versammlung leitet. »Wie ist das passiert?«

Es bringt nichts, schönzureden, wo er und seine Leute so offensichtlich versagt haben. Ausflüchte ließen ihn schwach wirken und gäben seinen Feinden noch mehr Angriffspunkte. »Ich kann es nur erklären, wie ich es bereits beschrieben habe, Wischard. Die Schutzmagie meiner Räume versagte, weil der Dieb sich wohl eine unserer Tuniken verschaffte. Und die Wächter wurden getäuscht, weil sie dachten, sie ließen einen Zuoy in den großen Artefaktsaal.«

»Wie ist es möglich, dass deine Wächter einen Fremden als Zuoy erkennen? Die Zuoy sind ihre Prinzipale! Sie werden sie doch wohl kennen!«, schallt es von oben.

»Wie du weißt, tragen meine Wächter wie Gardisten auch Eisenmasken. So ließen sie sich täuschen: Der Dieb trug die richtige Rüstung und eine Maske, die sein Gesicht verbarg.«

»Wie können wir wissen, dass das nicht wieder passiert? Sind die Artefakte bei dir noch sicher, Taios?«

Er sieht nicht hoch. Der diese Fragen stellt, ist Xari Tryorod.

»Die Wächter haben Anweisung erhalten, fortan nur mich, die höchste Magierin des Hauses Yranerod und ihren Kommandanten in die Artefaktsäle zu lassen. Und zwar nur ohne Eisenmasken«, sagt er in gemessenem Ton, was ihm schwerfällt.

»Das ist eine sinnvolle Maßnahme«, meint Wischard. »Wurde die Zahl der Wächter vor den Saaltüren erhöht?«

»Natürlich. Und am Tor meines Turms auch.«

»Nun: Eines der alten Reiseartefakte ist verschwunden. Wozu benötigt der Dieb es?«

Das weiß nur der Dieb allein, aber diesen Satz in den Saal zu posaunen, wäre unklug. Stattdessen fragt Taios zurück: »Kennt der Dieb das genaue Vermögen des Umhangs? Sicher, er weiß, dass ihn der Umhang unsichtbar macht, schließlich hat er ihn auf diese Weise benutzt. Doch wird er wissen, dass der Umhang ihn nur an Orte bringt, die bereits vor den dunklen Zeiten existierten? Wird das seine Pläne vereiteln? Möglicherweise versetzt er sich gar an einen untergegangenen Ort und stirbt dabei!«

Es ist ein dünnes Argument, aber er will dem Hohen Rat vermitteln, dass der Diebstahl nicht so schlimm sei wie gedacht. Deswegen hat er in seinem Bericht den unerforschten Teil der Umhangmagie außen vor gelassen. Der Dieb wird darum sicher nicht wissen und es gäbe nur weitere Vorhaltungen, die zu nichts führten, erzählte er den Räten davon.

»Vielleicht reicht es ihm, einen alten Ort zu erreichen«, schnarrt Xari. »Das gibt ihm genug Orte, um sie auszurauben! Er könnte unsichtbar in die Schatzgewölbe gelangen!«

»Nein, du verstehst nicht. Der Umhang bringt den Dieb zwar zu einem bestimmten Ort, wie die Schatzgewölbe, aber nur vor dessen Tore! Sicher wird der Dieb von den Wachen dort nicht gesehen, solange er den Umhang trägt. Doch was nützt ihm seine Unsichtbarkeit? Die Tore der Schatzgewölbe sind fest verschlossen!«

»Er wartet, bis sie geöffnet werden, und schlüpft unsichtbar hinein!«

»Die Schutzartefakte der Schatzgewölbe sind insofern besonders, als dass sie jeden anzeigen, der in die Gewölbe eindringt, ganz gleich, ob er berechtigt ist, sie zu betreten oder nicht. Unsichtbarkeit wird den Dieb nicht davor schützen«, gibt Wischard zu bedenken.

»Der Diebstahl des Umhangs ist so betrachtet wirklich sonderbar«, wirft jemand aus der Mitte der Sitzreihen ein. »Doch vielleicht besitzt der Dieb andere Artefakte! Die ihn vor der Entdeckung bewahren, wenn er in die Schatzgewölbe einbricht! Vielleicht ist er gar einer derjenigen, die Taios in letzter Zeit zuvorgekommen sind, was die Verstecke verschollener Artefakte angeht?«

Er muss die Debatte von den ausgeräuberten Artefaktverstecken wegbringen, ansonsten wird er dafür auch noch angegriffen! So gibt Taios eine ausweichende Antwort: »Es sind viele Artefakte während der dunklen Zeiten verschollen, das ist richtig. Vielleicht sind solche darunter, die die Schutzartefakte der Schatzgewölbe unwirksam werden lassen. Aber das ist Spekulation.«

»In der Tat!«, sagt Rea aus dem Haus Qluinrod, die in der ersten Reihe sitzt. »Wir sollten bedenken, dass es in Taios’ Sälen weitaus mächtigere Artefakte als den Umhang gibt. Wie etwa Zerstörungsartefakte. Wieso stiehlt der Dieb dann ausgerechnet ihn? Das macht nur Sinn, wenn er unerkannt zu einem der alten Orte reisen will!«

»Welche Orte sind das?« Wieder Xari.

»Alle Straßen und Räume in Adhara und anderen Siedlungen der inneren Welt, die bereits vor den dunklen Zeiten bestanden haben«, wiederholt Taios, was er in seiner Rede berichtet hat, und froh, dass sein Ablenkungsmanöver geglückt ist.

»Schließt das die Grenzen und die Tore zur äußeren Welt ein?«, fragt Enrey aus dem Hause Pyqiarod.

»Ja.«

»Könnten sie das Ziel des Diebs sein?«

»Hm«, macht Wischard. »Die Tore zur äußeren Welt sind magisch verschlossen. Niemand vermag sie zu durchqueren, solange diese Magie nicht aufgehoben wird, sei es durch eine Beschwörung oder ein Artefakt. Beides haben unsere Magier noch nicht gefunden.«

»Unsere« Magier sind die des Hauses Yranerod. Wischard wird es nicht als Vorwurf gemeint haben, aber es hört sich für Taios so an.

Xari hakt sofort ein: »Wo wir davon sprechen: Wie steht es um das Ergründen der alten Magie? Wann werden wir sie endlich erforscht haben?«

Dieses Problem möchte Taios genauso wenig erörtern wie die ausgeräuberten Artefaktverstecke. »Das habe ich in der letzten Sitzung des Hohen Rats dargelegt. Wir machen Fortschritte, was das Verständnis um die Magie der Artefakte anbetrifft. Doch viele Artefakte verstehen wir noch nicht.«

»Seit dem Ende der dunklen Zeiten erzählt das Haus Yranerod das nun schon! Was machen deine Magier, dass die Erforschung der Magie derart langsam vonstattengeht?«

»Wie du sehr wohl weißt, Xari, haben die alten Magier viel ihres Wissens von Mund zu Mund innerhalb ihrer Gilde weitergegeben. Nur wenig wurde niedergeschrieben! Mit der Auslöschung der Gilde und ihrer Magier starb das Wissen um das Wirken von Magie!«, entgegnet Taios scharf. »Wir werden uns die Magie daher nur erschließen, indem wir die Artefakte untersuchen. Was nun einmal dauert!«

»Es dauert nun schon generationenlang! Wenn das Haus Yranerod derart unfähig ist, Artefaktmagie zu erforschen, sollten wir darüber nachdenken, Taios’ Aufgabe auf ein anderes Haus zu übertragen! Ich schlage …«

Wischards »Halt!« lässt Xari verstummen. »Wir besprechen den Diebstahl eines Artefakts«, fährt der Älteste unwirsch fort. »Und nicht, wie schnell wir uns die Magie erschließen! Also: die Tore zur äußeren Welt. Könnten sie das Ziel des Diebs sein? Will er mithilfe des Umhangs zu ihnen reisen?«

»Wozu?«, fragt jemand aus den hinteren Reihen nach einem Augenblick der Stille. »Um sie zu durchqueren, muss er wissen, wie er den magischen Verschluss der Tore aufhebt. Wenn wir das nicht wissen, wird er das auch nicht. Außerdem erreicht man die Tore genauso ohne Reiseartefakt, es dauert nur länger und ist mühsamer.«

»Das gilt für andere Orte auch!«, ruft ein älterer Rat aus der untersten Reihe.

»Was, wenn der Dieb das nicht weiß?«, gibt jemand anderes zurück. »Vielleicht glaubt er, er könne eines der Tore mithilfe des Umhangs durchschreiten!«

»Wozu sollte er durch ein Tor gehen wollen? In der äußeren Welt befindet sich nichts, das ihn interessieren könnte! Und, wie gesagt, er müsste wissen, wie er den magischen Verschluss des Tors aufhebt.« Das ist Ertyo Weanrod, dessen Haus die Garden unterstehen, die für die Sicherheit auf den Straßen Adharas sorgen. »Nein, wir sollten uns auf Orte konzentrieren, die Diebe anlocken, und diese Orte besser schützen! Wie die Schatzgewölbe. Ich werde nach dem Ende dieser Sitzung mehr Gardisten dorthin entsenden!«

Wischard hebt die Hand. »Ich stimme dir zu, Ertyo, wir brauchen nicht über die Tore zu spekulieren. Der Dieb hat es wahrscheinlich auf die Schatzgewölbe abgesehen. Er wird von Reiseartefakten gehört haben und hat eines gestohlen, vielleicht ohne sich der Feinheiten bewusst zu sein, die einen Diebstahl in den Schatzgewölben verhindern. Mehr Gardisten an deren Tore zu stellen, ist sinnvoll. Deine Männer suchen nach dem Umhang, Taios?«

»Ja, Wischard.«

»Berichte von nun an in jeder Sitzung von deinen Fortschritten in dieser Sache. Ich rufe Ertyo Weanrod zur Rede auf.«

Taios lässt sich auf seinem Sitz in den mittleren Rängen nieder, während Ertyo zum Rednerfelsen eilt und berichtet, dass man erneut eine verstümmelte Leiche gefunden habe, die eines Vagabunden, dem das Herz herausgerissen worden sei. Dort, wo man ihn fand, nahe einer der Pforten der goldenen Gärten, sei jedoch kaum Blut zu sehen gewesen, was hieße, dass man ihn woanders ermordet und dann an jene Stelle verbracht habe. Damit seien jetzt sechs Adharaner ermordet worden, drei Vagabunden, zwei fliegende Händlerinnen und ein alter Mann. Wer jener Mörder sei und warum er so wahllos töte, könne das Haus Weanrod nicht sagen, aber man bemühe sich, den Kerl zu fangen.

Es ist Xari, der zuerst spricht, nachdem Ertyo geendet hat. »Es werden immer mehr Tote! Das Haus Weanrod ist dafür verantwortlich! Ihm obliegt es, für die Sicherheit der Bürger Adharas zu sorgen! Es hat versagt!«

Ertyo erklärt, er habe zusätzliche Gardenpatrouillen eingerichtet. Xari widerspricht: Die Gardisten liefen wohl an den falschen Orten herum und nicht da, wo der Mörder seine Opfer angreife! Wischard ruft Xari zur Ordnung. Dann hält ein junger Rat auf den hinteren Bänken eine lange Rede, in der es darum geht, wie man den Mörder stellen könnte.

Taios’ Gedanken schweifen ab. Trotz Xaris Versuchen, ihn wie einen Trottel dastehen zu lassen, ist die Sitzung gut verlaufen. Aber es gab ein paar nachdenkliche Mienen. Einige jener Räte sind ihm wohlgesonnen, andere nicht. Er wird nicht viel Zeit haben, dem Hohen Rat Erfolge zu verkünden. Und er braucht eine Strategie, wie er sich die Räte bis dahin vom Leib hält.

Ertyo lässt sich auf den Sitz neben ihm fallen. »Dieser verfluchte Xari«, knurrt der Herr des Hauses Weanrod leise genug, damit seine Stimme von Dia Ebynrods Vortrag über die Edelsteinminen übertönt wird. »Ich sage dir, Taios, der versucht, die Oberherrschaft über die Artefakte und die Garden zu bekommen!«

Jeder hier weiß, dass Xari bemüht ist, seinem Haus mehr Einfluss zu verschaffen, ist es doch eines der wenigen Häuser, die kein eigenes Arbeitsfeld im Hohen Rat haben. Dies ist der Grund, warum er die Bemühungen anderer Herrscherhäuser niederredet. Taios trägt stets dafür Sorge, jeden seiner Einwände zu kontern, ganz gleich, wie lästig das auch sein mag. Damit will er verhindern, dass andere Räte sich diese Einwände zu eigen machen. Außerdem mildert eine solche Gegenrede hervorragend den Ärger, den er über Xaris Redebeiträge empfindet!

»Das wird ihm nicht gelingen«, murmelt er zurück.

»Glaubst du? Im Mindesten wird er uns das Leben im Hohen Rat schwer machen, wenn wir keine Resultate erbringen.«

»Dann lass uns Resultate bringen, Ertyo. Und wir werden Wischard auf dem Laufenden halten, was diesen Mörder und Artefakte angeht. Solange er auf unserer Seite ist, können Xari und seine Freunde unter den Räten uns nichts anhaben.«

»Wischard wird irgendwann auch ungeduldig werden.«

»So weit sind wir noch lange nicht. Konzentrieren wir uns darauf, Wischard zufriedenzustellen, und sei es nur dadurch, dass ich den Umhang wiederbeschaffe und du eine Spur zum Mörder findest. Vielleicht gibt es jemanden, der etwas gesehen oder gehört hat, was dir weiterhilft!«

»Das klingt einfacher, als es ist, aber etwas anderes wird mir nicht übrig bleiben.«

Λ

Die Webseite der Pfarrgemeinde Mariä Himmelfahrt wirkt altbacken, aber ihr eigentliches Problem sind die internen Verlinkungen. Klickt ein Besucher auf »Kontakt«, landet er auf einer leeren Seite. Klickt er auf »Neuigkeiten aus Ihrer Gemeinde«, bekommt er eine »Uups«-Fehlernachricht. Und der Terminplan mit den Zeiten für die Gottesdienste braucht Ewigkeiten, um zu laden. Nur die Textblöcke, die die Gemeinde, das Dorf und seine Geschichte beschreiben, funktionieren. Sie lesen sich spannend. Elin erfährt, dass Albenburg über eintausend Jahre alt und ein Rittersitz gewesen ist. Es gibt viele Sagen, die sich um es ranken. Der steile Hügel, an dem sich die Fachwerkhäuser nach oben zu Burg und Kirche hin ziehen, schließt mit Felsen ab, die man früher »Teufelsfelsen« nannte. So heißt es:

Die Schlünde der Teufelsfelsen fürchteten die Dörfler. Stürzte ein Mann in sie, war er verloren. Die Felsspalten waren zu tief und zu eng, als dass man eine Rettung in Erwägung ziehen konnte. Aufgetaucht ist nie wieder einer von denen, die in ihnen verschwanden. Doch es waren nicht nur die bodenlosen Tiefen der Schlünde, die die Menschen ängstigten, sondern auch die Schreie der in der Unterwelt geknechteten Seelen der Verdammten, die in mondlichthellen Nächten aus ihnen drangen. Diese Seelen, so geht die Fama, waren die von Dörflern, die unrecht getan hatten und dafür nach ihrem Tod in der Hölle, zu der die Schlünde führten, bestraft wurden1 …

Sie klickt auf die hochgestellte Eins, deren Verlinkung zu einer Fußnote führen soll. Es passiert nichts und so scrollt sie ans Ende der Seite und liest:

1Tatsächlich sind über die Jahrhunderte immer wieder Dörfler spurlos verschwunden. Einige werden sicher bei Stürzen in die Felsspalten umgekommen sein – vielleicht junge Männer, die für Mutproben auf die Teufelsfelsen kletterten. Aber es ist anzunehmen, dass die Mehrzahl dieser Leute in den weitläufigen Wäldern um Albenburg Opfer von Räubern und Bären wurde. In einem Fall im 19. Jahrhundert klärte sich das Verschwinden eines jungen Paares und seines kleinen Sohns Jahre später durch einen Brief aus Übersee ganz anders auf: Der junge Mann war das einzige Kind eines Bauern und sollte nach dessen Tod den Hof weiterführen. Darauf verspürte er keine Lust, verließ den Hof bei Nacht und Nebel und wanderte mit seiner Familie nach Amerika aus.

Sie scrollt wieder nach oben:

Die Felsspalten zogen Hexen und Dämonen an, die die verzweifelten Schreie der geknechteten Seelen in Ritualen nutzten, mit denen der Teufel beschworen wurde. Um diesem Treiben Einhalt zu gebieten, errichtete man über den Felsen die Burg, deren Mauern fortan alle Felsspalten verschlossen. Hexen und Dämonen sind seitdem nicht mehr gesichtet worden, aber man hört in den Kerkern der Burg noch heute schwache Schreie. Es heißt auch, dass die Burgmauern Geistern, die im Dorf umgehen, den Weg zurück in die Hölle versperren. So sieht man im Kirchenschiff regelmäßig den Geist eines sich geißelnden Mannes. Jener Mann, ein Bauer, erdolchte vor Jahrhunderten seine Frau. Er verdächtigte sie, ihn mit einem Nachbarn zu betrügen. Doch die Frau war ihm treu gewesen und als Strafe für seine frevlerische Tat muss er nach seinem Tod in der Kirche büßen, indem er sich auspeitscht …

Die Türglocke bringt Elin von Dämonen, Teufeln und Geistern zurück in die reale Welt. Das wird Markus sein. Er werde chinesisches Essen und Ben mitbringen, hat er gesagt. Das Essen, damit Elin eine kleine Gegengabe für ihre Arbeit hat, und Ben, weil Markus und er am Nachmittag in den Wäldern wandern wollen. Tatsächlich findet sich ein strahlender Markus vor der Tür. Neben ihm steht Ben, der in jeder Hand eine Tüte trägt.

»Schön, dass ihr da seid! Kommt rein! Wir gehen auf die Terrasse.«

Dort packen sie Pappschachteln mit Hühnchen und Schweinefleisch und Reis aus. Ein exotischer Duft nach Sojasoße und Knoblauch mischt sich unter den Grillgeruch, der aus dem Garten der Yilmaz herüberweht. Erkan, der am Grill steht, wedelt grüßend mit der Grillzange. Pfarrer, Burgherr und Elin winken zurück.

»Ben war heute Morgen in der Stadt, da habe ich ihn gebeten, unser Mittagessen mitzubringen.« Markus nickt zum Laptop hin. »Du bist eifrig dabei, wie ich sehe.«

»Oh, ja. An der Geschichte des Dorfs bin ich hängen geblieben, die klingt spannend! Vor allen Dingen diese Sagen um die Teufelsfelsen und die Geistergeschichten!«

Ben rollt die Augen. »Nimm nicht alles, was da steht, für bare Münze! Markus hat sich beim Aufschreiben der Legenden einige literarische Freiheiten genommen!«

»Was soll das denn heißen? Ich finde Albenburgs Legenden faszinierend! Und ich habe mir keine von denen ausgedacht!«, ruft Markus.

»Nein, aber ausgeschmückt hast du sie!«

»Man muss sie doch schon so schreiben, dass sie sich von anderen Legenden abheben! Sonst wäre es langweilig!«

Elin lacht über diesen gut gelaunten Streit. »In Albenburg passiert einfach alles: Schreie geknechteter Seelen, Hexen, Dämonen und Geister in jedem zweiten Haus. Da können andere Orte nicht mithalten! Ich hole uns Teller und etwas zu trinken. Was mögt ihr? Wasser? Limonade? Bier? Oder Wein?«

Kurze Zeit später sitzen sie um den Tisch, trinken Bier und schlingen das Essen hinunter. Kauend sagt Markus: »Okay, was ist dein Verdikt zu der Webseite?«

Er sieht entmutigt aus, als Elin erklärt, man müsse die Seite von Grund auf erneuern, aber ihre Vorschläge, wie man sie gestalten könnte, treffen auf offene Ohren. »Es sollte keine zu komplexe Sache werden«, sagt sie. »Angenommen, der Content bleibt derselbe, kann man das über eine relativ einfache Struktur abhandeln.«

»Wie wäre es mit einem Blog?«, fragt Markus begeistert.

»Den kann man einbinden. Aber er muss regelmäßig befüllt werden. Ansonsten hast du schnell wieder Bausteine, die niemandem mehr nutzen.«

»Ich würde dir davon abraten«, mischt Ben sich ein. »Du hast genug zu tun. Wie willst du da noch Blogartikel schreiben? Die müssen wöchentlich, aber zumindest alle zwei Wochen publiziert werden.«

»Es wäre ein guter Weg, mehr Menschen zu erreichen, sei es mit dem Wort Gottes oder um die Kirchengemeinde lebendiger zu gestalten. Aber ihr habt recht. Bringen wir erst einmal die Seite in Ordnung, dann kann ich das immer noch überdenken. Wie lange würde das dauern, Elin?«

Als Elin später die Haustür hinter den Männern schließt, hat sie nicht nur ein produktives Mittagessen gehabt, sondern auch verabredet, die Internetpräsenz der Kirchengemeinde nach Markus’ in Kürze anstehenden Urlaub neu zu bauen. Und sie hat eine Einladung von Ben erhalten, um die Albenburg zu besichtigen und Ideen für eine Webseite zu besprechen.

Kapitel 3

Balder zerrt mit zitternder Hand den Vorhang zu, der das Kämmerlein von den anderen Wohnlöchern abtrennt und das Geräusch des von der Felsendecke auf den Boden des langen Stollens tropfenden Wassers etwas dämpft.

Er sinkt auf die Matte mit der dünnen Decke darauf. Dann legt er behutsam den Umhang ab, breitet ihn über seinen unterschlagenen Beinen aus und befühlt ungläubig den weichen roten Stoff. Wie nur ist er von einem rechtschaffenen Jäger von Echsen und Schlangen zu einem Dieb geworden, der ein Herrscherhaus bestahl?! Jene irrwitzige Wandlung kommt ihm unwirklich vor und doch beweist das Artefakt in seinen Händen, dass sie passiert ist! Und er kann noch nicht einmal behaupten, unbesonnen in diese vertrackte Lage gestolpert zu sein!

Ja, nach dem Minenunglück, das den Echsen und Schlangen den Garaus machte, hatten er und Tera dringend eine neue Arbeit benötigt. Dafür waren sie nach Adhara gegangen. Aber waren sie nicht gewarnt worden? Vor den Räubern, die Adhara unsicher machten? Vor den Herren, die nur Hungerlöhne zahlten? Vor all den Konkurrenten, die mit demselben verklärten Traum einer gut bezahlten Stelle nach Adhara kämen? Und hatte sie dieser Moloch einer Stadt, der so ganz anders als die Wasserlande mit ihren beschaulichen Seen und Teichen und den Hütten aus Schwarzbinsen war, nicht von Anfang an eingeschüchtert, als wollte er ihnen sagen, sie gehörten nicht hierher? Die zerlumpten Gestalten, die ihnen flehend die Hände entgegenstreckten. Die Geschäftigkeit in all den Straßen und Gassen, die jeden Brotlosen zu verhöhnen schien. Die Verwünschungen, die ihnen an den Kopf geworfen wurden ob ihrer Unfähigkeit, sich in der Menge zu bewegen, ohne andere anzurempeln. Waren das nicht Warnungen gewesen, der Stadt den Rücken zu kehren? Aber nein, sie blieben und so nahm das Unglück, in dem sie nun bis zum Hals stecken, seinen Lauf!

Sie mieteten einen Schlafraum in einer Taverne. Dessen Bezahlung und das teure Essen verschlangen ihre wenigen Edelsteine schnell und eines Morgens, als der Wirt die Zahlung für die nächste Nacht vorab verlangte, schüttelte Balder den Kopf und sagte: »Wir können uns einen Schlafraum nicht mehr leisten.«

Der Wirt kniff missbilligend die Augen zusammen. Balder erklärte, dass sie Arbeit suchten, aber ihre Anfragen in den Türmen, in Läden und in Tavernen stets abschlägig beschieden wurden. Es gebe zu viele, die auf Arbeit aus seien. Der Wirt nickte gedankenvoll und meinte, er wisse da von jemandem, der ihnen vielleicht helfen könne. Er werde denjenigen herbitten. Sie sollten ruhig weiter in dem Schlafraum übernachten und ihn bezahlen, sobald sie Arbeit gefunden hätten. Das taten sie, dankbar um die Güte des Wirts.

Der Mann, der ihnen Arbeit verschaffen sollte, war ebenfalls freundlich. Natürlich, er könne sich nach Arbeit für Balder und Tera umsehen. Was denn ihre Profession sei? Balder erklärte, er und Tera seien Jäger von Schlangen und Echsen gewesen. Der Mann legte besorgt die Stirn in Falten. Das werde in Adhara nichts nützen. Aber er werde sich umhören. Damit verschwand er und der Wirt bestand darauf, dass Balder und Tera weiter bei ihm wohnten und aßen. Sie würden ihn ja bezahlen, sobald sie Arbeit hätten!

Der Mann kam wieder. Er habe Arbeit für sie gefunden! In den Katakomben! Ob sie damit einverstanden seien?

Balder und Tera zuckten zurück. Sie hatten von den Katakomben gehört. Dieses unter Adhara liegende, riesige Labyrinth hatte einst die Toten der Stadt aufgenommen. Als man begann, die Toten zu verbrennen, anstatt sie in Grüften beizusetzen, wurde es nicht mehr benötigt und allerlei Gesindel nistete sich dort ein. Man betrieb Spelunken, in denen die Adharaner ihren Gotischnaps tranken. Es gab Räume für das Glücksspiel und Räume, in denen man von Lustsklaven unterhalten wurde. Und es versteckten sich dort Mörder und Räuber vor den Gardisten, die sich in das Labyrinth nicht hineinwagten. Die Katakomben waren eine Welt für sich und regiert wurden sie vom Räuberkönig Amaru.

»Welche Arbeit denn?«, fragte Balder zögernd.

»Die ist einfach. Ihr sollt in den Spelunken putzen.«

»Putzen?«, fragte Tera. »Das ist alles?«

»Für andere Arbeiten habt ihr nicht die nötigen Erfahrungen«, sagte der Mann entschuldigend.

Balder und Tera sahen sich an. Sie scheuten sich nicht vor der Putzarbeit. Aber die Katakomben?

»Hört zu. Es ist ein Anfang!«, sagte der Mann. »Vielleicht trefft ihr in einer Spelunke auf jemanden, der euch bessere Arbeit verschafft! Die Spelunken werden von vielen Adharanern frequentiert, da findet sich bestimmt etwas!«

Tera gefiel das Argument. »Wenn wir erst mal jemanden kennen, finden wir sicher eine andere Arbeit«, meinte sie.

Balder war unschlüssig, aber er nickte. Schließlich war es alles andere als einfach, Arbeit zu finden, sodass man ein Angebot wie dieses besser nicht ausschlug. Und dann war da noch das kleine Problem, wie sie den Wirt bezahlen sollten, wenn sie weiterhin keine Edelsteine verdienten!

Der Mann strahlte. »Wunderbar! Wenn es euch recht ist, machen wir es so: Ich bezahle eure Schulden bei dem Wirt hier. Ihr kommt mit und putzt die Spelunken. Von den Edelsteinen, die ihr dabei verdient, bezahlt ihr bei mir ab, was ich dem Wirt gegeben habe!«

So kam es, dass Balder und Tera die Spelunken der Katakomben schrubbten und Balder einen anderen Mann kennenlernte, der sagte, er könne ihm eine bessere Arbeit anbieten. Er würde Balders und Teras Schulden übernehmen, die sie mit der niedrigen Bezahlung für ihre Putzarbeit kaum hatten mindern können, und Balder könne sie bei ihm abbezahlen. Die Bezahlung, die er offerierte, klang in Balders Ohren enorm. Und Tera müsse dann nicht mehr die Spelunken putzen, sagte der Mann, Balder würde genug für sie beide verdienen!

Balder schlug ein, bevor er genauer wusste, was er arbeiten sollte. Der Mann hatte etwas von »Dinge beschaffen« gemurmelt, was er als Lieferjungentätigkeit auffasste. Man brachte ihn und Tera, die auf dem Boden einer der Spelunken geschlafen hatten, in das Kämmerlein tief in den Katakomben, indem sie fortan wohnten. Dort erfuhr Balder, dass er ein Dieb werden sollte. Seine schlanke Gestalt und sein jugendliches Alter seien die besten Voraussetzungen dafür, sagte der Mann.

Balder wollte kein Dieb sein! Doch der Mann lächelte hässlich und fragte, wie er seine und Teras Schulden zu begleichen gedenke? Die seien immer noch riesig und überhaupt an Amaru übertragen worden. Für den arbeite er, sagte der Mann. Amaru würde nicht gnädig reagieren, weigerte Balder sich, ein Dieb zu werden!

Tera weinte und Balder war verängstigt. Es wollte ihnen nichts einfallen, was sie aus den Klauen Amarus befreit hätte. Ohne Edelsteine konnten sie sich nicht freikaufen und ohne zu arbeiten, keine Edelsteine verdienen. So schlug Balder ein und wurde ein Dieb. Ein Scherge Amarus unterwies ihn, wie man verschlossene Tore öffnete, und ein anderer, wie man den Gästen der Spelunken die Edelsteine aus den Taschen stahl. Ein dritter warnte ihn vor Artefakten. »Bestehle nie jemanden, der Zugang zu Artefakten oder gar zu Schutzmagie hat! Da kannst du nur verlieren. Halte dich an kleine Diebereien und du wirst keine Unannehmlichkeiten haben!«

Das tat Balder und entwickelte zu seiner eigenen Überraschung ein gewisses Geschick. Sicher, die meisten Leute, die er bestahl, waren betrunken und die beiden Tore, die er einmal in Begleitung eines älteren Schergen Amarus durchqueren musste, um die Edelsteine einer reichen Adharanerin zu stehlen, unverschlossen und unbewacht, aber das war nebensächlich. Diese Diebereien, auf die er alles andere als stolz war, bedeuteten schnelle Bezahlung. Es ging nur darum, die Schulden abzuzahlen und die Katakomben zu verlassen. Denn deren Pforten wurden von Amarus Schergen streng bewacht, was seinen und Teras ersten Plan, einfach aus ihnen zu fliehen, zunichtegemacht hatte. Natürlich wussten jene Wachen von ihren Schulden bei Amaru und dass sie die Katakomben nicht verlassen durften, als bis er es ihnen gestattete! »Du arbeitest so lange als Dieb, bis wir die Schulden abbezahlt haben. Dann lassen sie uns gehen«, hatte Tera gesagt.

Balder lieferte getreulich all die Diamanten und Saphire ab, die er aus Tunikataschen stahl. Dabei lernte er Amaru kennen, der die Beute seiner Schergen, zu denen Balder nun gehörte, in einer ehemaligen Gruft in den Tiefen der Katakomben entgegennahm. Amaru musterte ihn wohlgefällig, war Balder doch einer seiner erfolgreicheren Diebe.

Nach einiger Zeit erkundigte Balder sich nach dem Stand seiner Schulden und war entsetzt, herauszufinden, dass die gestiegen waren! »Na ja«, sagte der Mann, der ihn zum Dieb gemacht hatte. »Der Mietzins für eure Kammer ist hoch und essen tut ihr auch! Das will bezahlt werden!«

»Was ist mit der Diebesbeute, die ich euch bringe?! Die hat viel Wert!«

»Ohne die hättest du noch viel höhere Schulden!«

»So werde ich die Schulden nie abbezahlen!«

Der Mann zuckte mit den Schultern. »Ich mache die Preise nicht. Beschwere dich bei Amaru.«

Balder und Tera beschlossen, genau das zu machen. Auch wenn Amaru nie mit ihm gesprochen hatte, wusste Balder, dass der mit ihm zufrieden war. Sicher hätte der Räuberkönig Verständnis für seine Nöte! So traten er und Tera vor Amaru, brachten ihre Sorgen vor und baten darum, gehen zu dürfen, schließlich habe Balder ihm einiges an Diebesbeute eingebracht!

Amaru hörte ihr Flehen mit unbewegter Miene an. Nachdem sie geendet hatten, lehnte er sich zurück und fixierte sie mit dunklen Augen. »Meine Schergen haben dich, Balder, in die Geheimnisse des Stehlens eingeweiht. Die Zeit meiner Schergen ist kostbar, du wirst sie mir ersetzen müssen. Und Tera und du lebt auf meine Kosten. Wer füttert euch und stellt euch einen Schlafplatz zur Verfügung? Ihr habt Schulden bei mir! Die müsst ihr abbezahlen!«

»Unsere Schulden steigen immer weiter! Wir werden sie nie abbezahlen können!«, protestierte Balder.

»Ihr werdet bezahlen müssen! Wie könntet ihr das besser, als wenn ihr für mich arbeitet?«

»Tera arbeitet nicht für dich, Herr«, murmelte eine Schergin. »Nur Balder.«

»Ah, natürlich. Nun, es würde schneller gehen, die Schulden abzubezahlen, wenn du, Tera, ebenfalls arbeitest.«

»Als was, Herr?«, fragte Tera. »Ich habe einmal die Spelunken geputzt. Das bringt aber nicht viel ein.«

»Du brauchst eine besser bezahlte Arbeit als das Putzen.«

»Welche Arbeit wäre denn besser bezahlt?«

»Du wirst Lustsklavin.«

Tera prallte zurück. »Lustsklavin?! Niemals!«

»Das kannst du nicht verlangen!«, rief Balder entsetzt. Tera sollte … sie sollte abartigen Kerlen Wünsche erfüllen?! Wünsche, die man sich nicht auszumalen wagte?!

»Und ob ich das kann.«

Tera fing an, zu schluchzen.

»Bitte!«, brüllte Balder. »Nicht das! Bitte, ich arbeite für dich als Dieb, aber lass Tera zufrieden!«

»Nein. Ihr werdet beide arbeiten.« Zwei Schergen traten auf Amarus Zeichen hin heran. »Bringt das Mädchen zu Banu. Sie soll sie einkleiden und mit den Aufgaben einer Lustsklavin vertraut machen. Sicher gibt es einen Kunden, der gut dafür zahlt, ihr das ein oder andere beizubringen.«

Die beiden Kerle packten Tera. Sie schrie und versuchte vergeblich, sich loszureißen, während man sie wegzerrte. »Balder! Hilf mir! Balder!«

Er wollte zu ihr stürzen, was die festen Griffe zweier weiterer Schergen verhinderten. »Bitte! Bitte! Nicht Tera! Lass sie frei! Bitte, Amaru!«

Amaru schüttelte langsam den Kopf. »Schulden sind Schulden, Balder.«

Tera verschwand in der Düsternis eines der aus der Gruft führenden Gänge. Ihr tränennasses Gesicht war das Letzte, was er von ihr sah. »Balder!«, schrie sie. »Hilf mir doch!«

Balder kämpfte, aber es gelang ihm nicht, sich loszureißen.

»Balder! Hilf mir! Hilf …!« Ihre Schreie brachen abrupt ab.

»Ich mache alles, was du willst! Ich stehle für dich! Ich morde für dich! Aber lass Tera zufrieden! Lass sie gehen! Ich flehe dich an!«

Amaru betrachtete ihn nachdenklich.

»Bitte, ich tue alles, damit Tera nicht dieses Schicksal erleiden muss!« Er hatte versagt! Er hatte Tera nicht beschützt! Die Tränen und der Rotz, die ihm hinunterliefen, waren ihm gleich. Er musste Tera helfen! »Bitte, Amaru! Ich mache alles!«

Stille kehrte ein, die nur durch Balders Schluchzen durchbrochen wurde. Dann sagte Amaru: »Vielleicht gibt es einen Weg. Du könntest etwas für mich erledigen. Falls es dir gelingt, lasse ich Tera gehen.«

»Was soll ich machen?! Sage es mir!«

Amaru erklärte es ihm und Balders Knie wurden weich. Er sollte wirklich … Nein, nicht darüber nachdenken! Er musste Tera befreien und so versprach er Amaru fest, es zu vollbringen. Amaru zeigte ihm eine alte Zeichnung, damit er wusste, nach was er zu suchen hatte: Einem Schwert und einem besonderen dazu.

»Du brauchst ein Reiseartefakt. Es wird dich durch das Picacinparaitor bringen, hinter dem die Räume liegen, in denen das Schwert verwahrt wird. Und du vermeidest mit ihm die brennenden Lande. Durch sie führt der Weg zum Tor und du würdest vermutlich in glühender Erde vergehen, durchquertest du sie zu Fuß«, sagte Amaru zum Schluss gleichmütig und ließ das Pergament mit der Zeichnung sinken. »Das Artefakt befindet sich in den Räumen der Yranerod und wird scharf bewacht. Du wirst es stehlen müssen. Es handelt sich um einen roten Umhang. Er lässt dich nicht nur reisen, sondern macht dich auch unsichtbar. Aber nur, wenn du den Knopf an seinem Kragen schließt. Ist der Knopf nicht geschlossen, wenn du ihn trägst, dann kannst du nicht mit ihm reisen und bleibst sichtbar.« Amaru winkte einen Schergen zu sich. »Sag den Wachen an den Pforten, dass Balder die Erlaubnis hat, die Katakomben zu verlassen.«

Diese Erlaubnis wird Amaru leichten Herzens gegeben haben, er weiß, dass ich ohne Tera nicht fliehen werde!, dachte Balder bitter, als er sich zum Gehen wandte. Und ja, dieser Diebstahl kam ihm unmöglich vor, aber was sollte er machen? Es galt, Tera zu befreien, von der er noch nicht einmal wusste, wohin man sie in diesem gigantischen Labyrinth aus Stollen und Gängen gebracht hatte!

Einige Zyklen später brütete er in einer Spelunke über einer dünnen Suppe, die hier als Mahl durchging und doch nichts anderes war als Wasser mit ein paar Schlangenfleischbröckchen darinnen. Wie bei allen Geistern sollte er an diesen Umhang gelangen? Die Schergen hatten ihn gewarnt, er solle sich von Artefakten und Schutzmagie fernhalten! Und nun musste er einen magischen Gegenstand aus mit Magie gesicherten Räumen entwenden! Er spürte die beredten Blicke, die ihm zugeworfen wurden, wenn er durch die Katakomben hastete, hatte sein Auftrag doch die Runde unter Amarus Schergen gemacht. Niemand rechnete damit, dass er den Auftrag vollbringen würde, er am allerwenigsten.

Da setzte sich ein Mann neben ihn. Der erzählte, er sei ein Diener der Yranerod gewesen, bis man ihn wegen Diebstahls rausgeworfen habe, weswegen er die Yranerod hasse! Als sie ihm sagten, er müsse gehen, habe er seine Tunika mitgehen lassen! Da der Gotischnaps, in dem er seine Sorgen ertränke, Edelsteine kostete, wolle er die Tunika verkaufen. Er habe gehört, Balder sei ein Dieb auf einer besonderen Mission. Da könne er die Tunika sicher gut gebrauchen!

Balder fragte missmutig, was bei allen Geistern er mit einer Tunika solle? Er besitze bereits eine!

Da berichtete der Mann grinsend von dem Diamantensplitter und der Schutzmagie über den Räumen der Yranerod. Balder bestach ihn mit zwei Saphiren, die er sich von einem Schergen Amarus borgte, wodurch sein Schuldenberg noch stattlicher wurde. Dafür bekam er die Tunika und eine Zeichnung von den Gemächern, Sälen und Fluren des Yranerodturms und brachte in Erfahrung, wie viele Wächter es gab, wie sie bewaffnet waren und wo man die Artefakte fand. »Der Umhang befindet sich bestimmt im großen Artefaktsaal! Da bewahren sie alle magischen Kleidungsstücke auf!« Der ehemalige Diener tippte auf das Viereck, das den Saal auf der Zeichnung darstellte. »Aber Obacht! Der Saal kann nur durch seine schwer bewachten Türen betreten werden. All seine Fenster sind mit Schutzmagie gesichert!«

Die Wächter, verstand Balder, patrouillierten in allen Fluren und Gemächern der Yranerod. Somit wurden sie zum Dreh- und Angelpunkt seines Plans: Nur als Wächter würde er sich dort ungehindert bewegen können. Dafür würde er eine Rüstung benötigen, eine monströse Schutzvorrichtung aus einem Helm, einer Eisenmaske und Kleidungsteilen aus dickem Echsenleder, auf denen Eisenplatten befestigt waren. Dazu kamen Lederhandschuhe und Stiefel mit Eisenkappen. Ob die Wächter auch Schwerter hätten?, fragte er den ehemaligen Diener. »Sicher«, sagte der. »Nur der Kommandant der Wächter und die Zuoy laufen meist ohne Schwerter rum. Weil sie die Wachen beaufsichtigen und nicht selbst Wache stehen.«

Die Rüstungen der Yranerod wurden in der Werkstatt eines bestimmten Rüstungsmachers hergestellt und repariert. Bei ihm brach Balder ein und entwendete die Rüstung eines Zuoy. Er hatte von dem Diener erfahren, wann die Zuoys sich in den Wachstuben aufhielten, um ihrem Kommandanten Bericht zu erstatten. Seine Hoffnung war, zu dieser Zeit nur auf einfache Wächter zu treffen, die es nicht wagen würden, sich einem Zuoy in den Weg zu stellen. Und er würde kein Schwert mitschleppen müssen.

Dann hatte er sich in einem vorher ausgekundschafteten Versteck unter vielen Flüchen über die aufwendigen Schnallen und Ösen der Rüstung umgezogen und sich in seiner Verkleidung aufgemacht. Diese bewirkte Wunder: Er schritt durch das schwere Eisenholztor in die Eingangshalle der Yranerod, wobei er sich zwingen musste, sein Zittern zu unterdrücken.

---ENDE DER LESEPROBE---