Im Bureau - Robert Walser - E-Book

Im Bureau E-Book

Robert Walser

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Beschreibung

Das Gesetz des Büros prägt unser Leben von A bis Z. Als der junge Robert Walser um 1900 zu schreiben anfing, war das noch ganz anders gewesen. Als Auszubildender in einer Bank hatte er das ›Bureau‹ als etwas irritierend Neues erfahren. Es erscheint als Inbegriff eines fremdbestimmten und sinnentleerten Lebens und bildet zugleich den Ort, an dem die Fantasien und Träume ansetzen, mit denen sich der Dichter die Wirklichkeit aneignet. Wie die Bürokratie-Satiren von Melville, Gogol oder Kafka werfen auch Robert Walsers hier erstmals versammelten Erzählungen über Angestellte ein ebenso erhellendes wie erheiterndes Licht auf das, was uns im Innersten zusammenhält: die Rationalisierung der Arbeitswelt.

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Seitenzahl: 164

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Robert Walser

Im Bureau

Aus dem Leben der Angestellten

Ausgewählt und mit einemNachwort versehen

Umschlagabbildung: Felix Edouard, Felix Feneon in ›La Revue Blanche‹

© Private Collection/Giraudon/The Bridgeman Art Library

eBook Insel Verlag Berlin 2011

© dieser Ausgabe Insel Verlag Berlin 2011

Alle Rechte vorbehalten, insbesondere das der Übersetzung,

des öffentlichen Vortrags sowie der Übertragung durch

Rundfunk und Fernsehen, auch einzelner Teile.

Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotografie,

Mikrofilm oder andere Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung

des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer

Systeme verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.

Vertrieb durch den Suhrkamp Taschenbuch Verlag

Umschlag: Michael Hagemann

Inhalt

Im Bureau 9

Der Commis 10

Ein Vormittag 26

Das Büebli 34

Der Gehülfe 40

Germer 49

Helblings Geschichte 55

Der arme Mann 71

Poetenleben 75

Helbling 86

Der Sekretär 91

Der junge Dichter 94

Erich 97

Acht Uhr 101

〈Die Bühne ist ein Büro〉 104

Herren und Angestellte 116

Aus dem Leben eines Commis 120

Das Krankhafte 124

Die Verkäuferin 125

〈Lebenslauf〉 127

Im Bureau

Der Mond blickt zu uns hinein,

er sieht mich als armen Kommis

schmachten unter dem strengen Blick

meines Prinzipals.

Ich kratze verlegen am Hals.

Dauernden Lebenssonnenschein

kannte ich noch nie.

Mangel ist mein Geschick;

kratzen zu müssen am Hals

unter dem Blick des Prinzipals.

Der Mond ist die Wunde der Nacht,

Blutstropfen sind alle Sterne.

Ob ich dem blühenden Glück auch ferne,

ich bin dafür bescheiden gemacht.

Der Commis

Eine Art Illustration

Der Mond scheint zu uns hinein,Er sieht mich als armen Commis – –

Obgleich im Leben eine sehr bekannte Erscheinung, ist der Commis doch noch niemals zum Gegenstand einer schriftlichen Erörterung gemacht worden. Meines Wissens wenigstens nicht. Er ist vielleicht zu alltäglich, zu unschuldig, zu wenig blaß und verdorben, zu wenig interessant, der junge schüchterne Mann mit der Schreibfeder und Rechentafel in der Hand, um den Herrn Dichtern als Stoff zu dienen. Mir indessen dient er gerade. Es war mir ein Vergnügen, in seine kleine frische, wenig abgegraste Welt zu schauen, und darin Winkel zu finden, die so schattenhaft heimlich von der sanften Sonne beschienen sind. Gewiß habe ich meine Augen bei diesem schönen Ausflug zu wenig aufgetan, bin an vielen lieblichen Plätzchen vorbeigelaufen, wie es ja geschieht auf Reisen. Aber habe ich nur einiges von dem Vielen aufgezeichnet, so muß zwar das Lesen des Wenigen noch nicht geboten sein, aber es dürfte doch immerhin erfrischend und nicht zu ermüdend wirken. Entschuldige, Leser, daß ich dir vorrede. Aber Vorreden sind nun einmal eine Sucht von lustigen Schriftstellern. Also weshalb eine Ausnahme machen? Leb' wohl und verzeih mir.

Karneval

Ein Commis ist ein Mensch zwischen achtzehn und vierundzwanzig Jahren. Es gibt ältere Commis, die aber hier nicht in Betracht fallen. Ein Commis ist in seiner Kleidung wie in seiner Lebensweise ordentlich. Unordentliche fallen außer Betracht. Übrigens gibt es verschwindend wenige von letzterer Sorte. Der rechte Commis legt gewöhnlich keinen reichen Witz an den Tag; er wäre ein mittelmäßiger Commis, wenn er es täte. Ein Commis erlaubt sich in Bezug auf Ausschreitungen äußerst wenig; feuriges Temperament ist in der Regel nicht seine Sache, dagegen besitzt er Fleiß, Takt, Anpassungsgefühl und eine Menge Eigenschaften, die so köstlich sind, daß sie ein so demütiger Mann, wie ich bin, nicht oder kaum zu erwähnen wagt. Ein Commis kann ein sehr herzlicher und herzhafter Mensch sein. Ich kenne einen, der bei einer Feuersbrunst eine hervorragende Rolle im Rettungswesen gespielt hat. Ein Commis ist im Handumdrehen ein Lebensretter, geschweige denn ein Romanheld. Warum werden Commis so spärlich zu Helden in Novellen gemacht? Ein Fehler offenbar, der endlich einmal ernstlich der vaterländischen Literatur unter die Nase gehalten werden muß. In der Politik, sowie in allen öffentlichen Fragen hat der Commis seine gewaltige Tenorstimme wie nichts. Jawohl, wie nichts! Etwas muß besonders hervorgehoben werden: Commis sind reiche, prächtige, ursprüngliche, herrliche Naturen! Reich in jeder Beziehung, prächtig in vielem, ursprünglich in allem und herrlich sowieso. Sein Talent zu schreiben macht leicht einen Schriftsteller aus dem Commis. Ich kenne zwei, drei, deren Traum, Schriftsteller zu werden, bereits in Erfüllung gegangen ist, oder noch gehen wird. Ein Commis ist eher ein treuer Liebhaber als treuer Biertrinker, sonst steinigt mich. Zum Lieben besitzt er eine besondere Neigung, und in jeder Art Galanterie ist er Meister. Ich habe einst ein Fräulein sagen hören, sie möchte lieber mit allem andern, als mit einem Commis eine Heirat schließen. Das hieße nur Elend versorgen. Ich aber sage, dieses Mädchen muß einen schlechten Geschmack und ein noch abscheulicheres Herz gehabt haben. Ein Commis ist in jeder Hinsicht empfehlenswert. So reinen Herzens ist kaum ein Geschöpf unter der Sonne. Besucht ein Commis etwa mit Vorliebe aufwieglerische Versammlungen? Ist er je so liederlich und anmaßend wie ein Künstler, so geizig wie ein Bauer, so protzig wie ein Direktor? Direktor und Commis sind zwei verschiedene Dinge, Welten, so weit voneinander entfernt wie Erde und Sonne. Nein, eines Handelscommis' Gemüt ist so weiß und reinlich wie der Stehkragen, den er anhat, und wer hat schon einen Commis mit anders als tadellosem Stehkragen gesehen? Ich möchte wissen, wer?

Immer noch Verkleidung

Schüchtern kann der Poet sein, der, von der Welt verachtet, sich in seiner einsamen Dachkammer die Manieren, die in der Gesellschaft gelten, abgewöhnt hat, aber ein Commis ist noch viel schüchterner. Wenn er vor seinen Chef tritt, eine zornige Reklamation im Munde, weißen Schaum auf den bebenden Lippen, sieht er da nicht wie die Sanftmut selber aus? Eine Taube könnte ihr Recht nicht milder und sanftmütiger verfechten. Ein Commis überlegt hundert-, ja tausendmal, was er unternehmen will, und nur, wenn er sich vor eine Entscheidung gestellt sieht, zittert er vor Tatendrang. Dann wehe jedem, der sein Feind ist, wäre es selbst der Herr Direktor! Sonst aber ist ein Commis nie mit seinem Los unzufrieden. Er führt mit Behagen sein stilles Schreibdasein, läßt Welt Welt, und Streitereien Streitereien sein, ist klug und weise, und sieht aus, als ob er sich in sein Schicksal ergäbe. Bei seiner eintönigen und einfarbigen Beschäftigung hat er nicht selten Gelegenheit zu spüren, was es heißt, ein Philosoph sein. Er hat, vermöge seiner ruhigen Natur, das Talent, Gedanken an Gedanken zu reihen, Einfall an Einfall, Blitzidee an Blitzidee, und mit bewundernswerter Gewandtheit koppelt er seine Gedankenkolosse wie einen Güterzug von unabsehbarer Länge zusammen, vorn Dampf, hinten Dampf, und so sollte es nicht vorwärtsgehen? Über Kunst, Literatur, Theater und andere nicht gerade sehr propere Dinge weiß demnach der Commis mit richtigem Urteil, mit vielem Takt und vieler Besonnenheit stundenlang zu reden. Nämlich im Bureau, wenn er glaubt, sich ein bißchen der Allgemeinheit widmen zu sollen. Schießt dann der Chef mit Donner und Hagel hinein, was zum Teufel es da so eifrig zu disputieren gäbe, husch, ist das intelligente, seitenlange Gespräch weg und der Commis wieder er selbst. Das ist sicher, ein Commis ist äußerst verwandlungsfähig. Er kann rebellieren und gehorchen, fluchen und beten, sich winden und trotzen, lügen und die Wahrheit sagen, schmeicheln und aufprotzen. In seiner Seele finden die mannigfaltigsten Empfindungen so gut Platz wie in den Seelen anderer Menschen. Er gehorcht gern und widersetzt sich leicht. Für letzteres kann er jedesmal nichts; (Ich wiederhole mich zwar nicht gern, aber:) – denn gibt es etwas Sanfteres, Willigeres, Gerechteres auf Erden als ihn? Für seine Bildung ist der Commis besorgt und wie! Den Wissenschaften, den zeitraubenden Wissenschaften widmet er einen großen Abschnitt seines Lebens, und er würde sich gekränkt fühlen, wollte man leugnen, daß er auch hierin ebenso gut glänze, wie in Dingen seines eigenen Faches. Obgleich Meister in seinem Fach, schämt er sich, es zu zeigen. Diese schöne Gewohnheit führt ihn manchmal sogar so weit, daß er lieber ein Dummkopf als ein Überlegener erscheinen will, was ihm oft unverdiente, vorschnelle Rügen zuzieht. Aber was schadet das einer stolzen Seele!

Gelage

Die Welt und das Wirkungsfeld eines Commis ist das enge, schmächtige, karge, trockene Bureau. Die Werkzeuge, mit denen er meißelt und schafft, sind Feder, Bleistift, Rotstift, Blaustift, Lineal und allerhand Zinstabellen, die sich einer näheren Beschreibung gerne entziehen. Die Feder eines rechtschaffenen Commis ist meist recht spitz, scharf und grausam. Die Schrift ist meist sauber, nicht ohne Schwung, ja, sogar manchmal zu schwungvoll. Beim Ansetzen der Feder zaudert ein tüchtiger Commis einige Augenblicke, wie um sich gehörig zu sammeln, oder wie um zu zielen wie ein kundiger Jäger. Dann schießt er los, und wie über ein paradiesisches Feld fliegen die Buchstaben, Worte, Sätze, und ein jeder Satz hat die anmutige Eigenschaft, meist sehr viel auszudrücken. Im Korrespondieren ist der Commis ein wahrer Schelm. Er erfindet im raschen Fluge Satzbildungen, die das Erstaunen von vielen gelehrten Professoren erwecken dürften. Aber wo sind diese süßen Schätze echt volkstümlicher Sprachbegabung? Einfach untergegangen! An Commis dürfen sich unbescheidene Dichter und Gelehrte wohl sanft ein Beispiel nehmen. Sie sind es, die Dichter namentlich, die hoffen, mit jedem Sprachfetzen, den sie absetzen, berühmt und entschädigt zu werden. Wie viel edler und reicher ist da die Handlungsweise und das Benehmen der Commis, die, so ärmlich sie auch äußerlich auftreten mögen, doch einen Reichtum besitzen, der wahrhaft üppig genannt zu werden verdient. Reich sein heißt noch lange nicht, in den Augen der oberflächlichen Welt als reich erscheinen. Und wahrhaft arm sein heißt, reich scheinen müssen, wenn man alle Merkmale einer kargen und bösen Armut in sich trägt. Dies ist offenbar zugunsten unseres diesjährigen Günstlings, des Handelscommis, gesprochen, aber verdient er es etwa nicht? Ein guter Rechner und Haushalter ist der Commis ohne allen Zweifel. Ihr Frauen, warum macht ihr euch nicht beizeiten an solche Männer? Ein guter Rechner ist meistens ein guter Mensch, das beweist ein Commis zehnmal im Tag. Spitzbuben und Landstreicher können ihr Lebtag keine Addition ordentlich erfüllen. Exakt zu rechnen ist einem liederlichen Menschen rein unmöglich. Man sieht das meistens an Künstlern, die ich so ziemlich alle für liederlich halte. Wenn ich den Commis vor Augen habe: wer vermöchte da noch zu bestehen? Ein Commis versteht in der Regel sieben bis acht Sprachen recht perfekt. Er spricht spanisch wie ein Spanier und deutsch wie er selber. Ist dagegen irgendeine spöttische Einwendung zu machen? Im Notieren seiner Einnahmen und Ausgaben, seiner Empfindungen und Beobachtungen, seiner Gedanken und Einfälle ist der Commis einzig. Er kann dergleichen bis ins Lächerliche treiben. Sonst aber findet jeder Wohlwollende nur Schönes und Nachahmenswertes an ihm. Die Welt, worin der Commis arbeitet, ist eng, seine Werkzeuge sind kleinlich, seine Tätigkeit verschwindet wesentlich vor andern Tätigkeiten. Nun sagt, ist das etwa kein hartes Schicksal?

Ein neuer Gesellschafter

Der verehrte Leser gestatte, daß ich ihm ein Exemplar aus meiner Handelsmenagerie vorstelle. Es ist ein Commis von ungefähr zwanzig Jahren, einer von den hoffnungsvollsten. Sein Eifer und Fleiß haben noch keinen Schlag von der Tücke der Zeit erlitten. Sein Streben in allen nützlichen Sachen blüht wie eine Rose, und was die Farben seiner echt handelsmäßigen Denkweise betrifft, so geben sie den feurigen einer Tulpe nichts nach. Ich sehe ihn jeden Morgen, Mittag und Abend beim Essen, und nach dem Betragen beim Eßtisch ergibt sich vieles. Er benimmt sich fast zu tadellos. Er könnte wohl hie und da etwas Flegelhaftigkeit wie süße, gelbe Sonne durchschimmern lassen, aber fällt ihm nicht ein. Geschieht das absichtlich, um mir eine bequeme Zeichnung seiner Person zu erschweren? Merkt der Bursche, wohinaus es mit ihm soll? Ah, Commis sind schlau! Jedermann wird zugeben, daß es für mich viel schwerer ist, sein tadelloses Wesen zu nüancieren, als wenn er sich nicht einwandfrei darstellte. Fehler und Schwachheiten an einem Menschen bieten einem schreiblustigen Autor die beste Gelegenheit, rasch zu Witz zu kommen, also rasch berühmt zu werden, also rasch Vermögen zu machen. Mein Statist hier scheint mir eine Karriere zu mißgönnen, aber warte Bursche, wir wollen dich schon anpacken. Der Wahrheit soll deswegen auch kein Härchen gekrümmt werden. Die feste Wahrheit ist und soll tonangebend bleiben. Unser Mann ißt wenig, alle gescheiten Leute tun das. An der Unterhaltung beteiligt er sich nur vorsichtig, wiederum ein Zeichen vorteilhafter Klugheit. Seine Worte kommen nicht, sie schleichen aus seinem Mund; nun, was kann er dafür? Vielleicht ein Fehler im Bau seiner Lippen. Er ißt mit Delikatesse, die Führung von Löffel, Messer und Gabel versteht er ausgezeichnet. Er wird rot, wenn von Unflätigem die Rede ist, eine feine Übung! Er wagt es niemals, als der erste vom Tisch wegzuspringen, das läßt er sehr taktvoll Ältere tun. Er sieht sich beständig beim Essen um, mit dem freundlichen Wunsche, jemand mit einer Handreichung zuvorzukommen. Welcher ebenso Hochgestellte täte das? Sagt ein Erfahrener am Tisch einen halben Witz, so lacht er höflich; sagt dagegen ein Lehrbursche einen ganzen, so schweigt er. Er denkt gewiß so: Was sollten halbe Witze machen, wenn man ihnen nicht mit dienstfertigem Lachen zur Tür hinaus und aus der Atmosphäre heraus hülfe? Ganze mögen unbelacht bestehen. Und dann: Wäre es nicht schrecklich, dazusitzen und ältere Leute erröten zu sehen, weil ihr Ausspruch keinen Anklang gefunden? Leser, du mußt zugeben, dieser arme einsame Commis denkt sehr edel! Ja, beim Essen studiere ich mit Vorliebe meine Leute. Noch eins: das Äußere unseres Mannes entspricht seinem Tun; und, da dieses nicht unwürdig ist, wie wir sehen, kann jenes auch nicht unschön sein.

Stumme Minuten

Oft kommt es dazu, daß ein Commis stellenlos wird. Er ist entweder gejagt worden, oder er hat, was weit öfters geschieht, freiwillig seinen Abschied genommen. Dies tun die unruhigern Naturen unter diesem Volk, und es sind meist unglückliche Menschen. Man verachtet einen brotlosen Arbeiter lange nicht so wie einen stellenlosen Commis, und das hat seine Gründe. Ein Commis, solang er in Stellung ist, ist ein halber Herr; außer Stellung sinkt er zu einem linkischen, überflüssigen, lästigen Nichts herab. Man betrachtet ihn als einen verkommenen Menschen, zu nichts mehr anstellbar auf der Welt, und das ist sehr traurig und ungerecht. Freilich muß eine gewisse, unbestreitbare Liederlichkeit in ihm liegen, etwas Böses, Schadhaftes in seinem Charakter; aber ist deshalb der ganze Mensch zu nichts mehr nütz? Gottlob, es gibt wenig dieser herabgekommenen Handelsbeflissenen, sonst möchte es schlimm mit der öffentlichen Ordnung und Ruhe stehen. Hungernde Commis sind eine der schrecklichsten Erscheinungen. Hungernde Arbeiter sind lange nicht so schrecklich. Arbeiter können vom Platz weg immer wieder Beschäftigung finden, Commis niemals, wenigstens nicht in unserem Lande. Ja, lieber Leser, in diesem Aufsatz, in welchem ich dir von den armen verachteten Stellenlosen berichte, vermag ich den spaßhaften Ton der früheren Abschnitte nicht aufzunehmen, es wäre auch zu grausam. Was tun meistens stellenlose Commis? Sie warten! Sie warten auf neue Anstellung, und während sie warten, martert sie die Reue, die ihnen im kältesten Ton Vorwürfe macht. Gewöhnlich steht ihnen niemand bei, denn wer will etwas mit so unsauberem Gesindel zu schaffen haben? Es ist traurig, ich kenne einen, er war sechs Monate stellenlos. Er wartete mit fiebernder Angst. Der Briefbote war ihm Engel und Teufel; Engel, wenn er seine Schritte seiner Haustür näherte, Teufel, wenn er achtlos vorbeischritt. Dieser Commis fing an, aus verzehrender Langeweile Gedichte zu schreiben, und er hat deren einige schöne gemacht. Er war eine feine, empfindliche Seele. Ob er jetzt Stellung hat? Nein, er hat sich neuerdings aus der neuen Stellung gestrichen, so blöde und unklug ist er. Es muß eine Art Krankheit bei ihm sein, daß er es nirgends aushalten kann, und einige, die Einsicht in derlei Sachen haben, sagen ihm ein schlimmes Ende voraus. Kein Zweifel, er wird zugrunde gehen. Man sieht daraus, unter den viel belächelten, unbedeutenden Commis gibt es auch sehr tragische Schicksale. So wunderbar ist die Natur! Nicht einmal ein Commis ist ihr zu gewissen Zwecken zu wenig. Wenn dir das Weinen kein Ekel ist, Leser, oder du, sanfte Leserin, wenn du einmal über einen Kummer weinst, so vergiß nicht, eine Träne aus deinen süßen Augen dem Commis aufzubehalten, der die heillose Krankheit hat, die ich dir oben beschrieben habe.

Ein Brief zum Besten

Liebe Mutter! Du fragst mich, wie es mir in meiner Stellung behagt? O ganz gut soweit. Die Arbeit ist eine leichte, die Leute sind höflich, der Chef ist streng, aber nicht ungerecht, was kann man mehr verlangen! Ich habe mich sehr rasch in mein Feld hineingearbeitet; der Buchhalter sagte mir es neulich, ich mußte lachen. Saure und böse Stunden gibt es auch, aber die muß man nicht allzu schwer nehmen. Wofür besitzt man Vergeßlichkeit! Ich erinnere mich mit Vorliebe guter und schöner Stunden, lieber und wohlwollender Gesichter, so freue ich mich immer doppelt und zehnfach. Freude scheint mir das Wichtigste und Köstlichste und am meisten wert, dem Gedächtnis aufzubewahren. Was hindert mich denn, das Traurige so schnell als möglich zu vergessen? Ich habe gern recht viel Arbeit um mich herum. Sobald ich träge sein muß, werde ich mißmutig und traurig. Dann denke ich, und das Denken ohne Sinn und Zweck stimmt traurig. Schade, daß ich nicht mehr zu tun habe, ich wäre so gern ganz von der Arbeit in Anspruch genommen. Ich muß überhaupt beständig in Anspruch genommen sein, sonst fängt es an, in mir zu rebellieren. Du verstehst mich, nicht wahr? Ich habe gestern zum erstenmal mein neues schwarzes Kleid getragen. Es stehe mir vortrefflich, sagen alle Leute. Ich war auch stolz darin und habe mich beinahe nicht mehr wie ein Commis betragen. Aber das läuft auf eins hinaus. Commis bin ich nun doch vorderhand, und werde es wohl noch lange bleiben. Was schwatze ich da! Will ich denn etwas anderes sein? Ich begehre nicht hoch hinaus in der Welt, ich habe nicht die nötige Figur zu etwas Hohem. Ich bin so schüchtern, liebe Mutter, so rasch mutlos, nur die Arbeit läßt mich alles vergessen. Manchmal habe ich so Sehnsucht, wie soll ich es nur nennen? Dann ist mir nichts recht, dann mache ich nichts recht. Aber, liebe beste Mutter, das ist auch nur, wenn ich müßig sein muß. Man beschäftigt mich zu wenig. O ich fühle es so gut, daß im Müßiggang die Sünden lauern. Bist du gesund, liebe Mutter? Ja, du mußt gesund sein, du mußt gesund bleiben. Du sollst sehen, wieviel Freude ich dir noch mache. Wenn ich dir nur tausend und tausendmal Freude machen kann! Wie schön doch Gott die Welt gemacht hat. Sieh, wenn ich mir Freude mache, mache ich sie zugleich dir. Arbeit ist meine einzige rechte Freude, mit Arbeiten komme ich tüchtig vorwärts, und mein Vorwärtskommen macht wieder dir Freude. Leb wohl. Wenn ich etwas anderes als diese Worte wüßte, um dich von meinem ehrlichen Bestreben zu überzeugen, ich würde nicht verfehlen, es anzuwenden. Aber ich weiß, du hältst das Beste von mir. Du gute Mutter. Adieu, Adieu!

Dein gehorsamer Sohn.

Lebendes Bild