Im kleinen Nordsee-Hafen 2 - Caroline Steffens - E-Book

Im kleinen Nordsee-Hafen 2 E-Book

Caroline Steffens

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Beschreibung

Björn Teglers Leben liegt in Trümmern. Kurz vor der Hochzeit hat ihn seine Verlobte verlassen. Er sucht Abstand und reist nach Fischersbüttel, wo er in der Nähe des kleinen Nordsee-Hafens ein Bauernhaus besitzt, das er von seiner Großmutter geerbt hat. Er will zur Ruhe kommen, doch sein Aufenthalt verläuft turbulent: Plötzlich steht eine Einbrecherin in seiner Küche, dann will eine Urlauberin unbedingt das Haus kaufen. Bald merkt Björn, dass diese Frauen mehr mit seinem Schicksal zu tun haben, als er dachte - und dass seine Großmutter ein Geheimnis hatte, das sein Leben für immer verändern wird ...

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Seitenzahl: 170

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Inhalt

Cover

Titel

Hauptteil

Vorschau

Impressum

Caroline Steffens

Möwengesang

im kleinen

Nordsee-Hafen

Björn Teglers Leben liegt in Trümmern. Kurz vor der Hochzeit hat ihn seine Verlobte verlassen. Er sucht Abstand und reist nach Fischersbüttel, wo er in der Nähe des kleinen Nordsee-Hafens ein Bauernhaus besitzt, das er von seiner Großmutter geerbt hat.

Er will zur Ruhe kommen, doch sein Aufenthalt verläuft turbulent: Plötzlich steht eine Einbrecherin in seiner Küche, dann will eine Urlauberin unbedingt das Haus kaufen.

Bald merkt Björn, dass diese Frauen mehr mit seinem Schicksal zu tun haben, als er dachte – und dass seine Großmutter ein Geheimnis hatte, das sein Leben für immer verändern wird …

Björn stand in der Küche seiner behaglichen Dreizimmerwohnung im dritten Stock des Mehrfamilienhauses in Hamburg-Harburg. Fassungslos sah er seine Verlobte Annika an, die den größtmöglichen Abstand zu ihm hielt, den die kleine Küche erlaubte.

»Es tut mir leid, Björn«, sagte sie ruhig und entschlossen.

Es schnürte ihm Brust und Kehle zu. »Aber warum?«, stieß er hervor, in dem verzweifelten Versuch, sie daran zu hindern, ihn zu verlassen.

»Das habe ich dir eben gesagt.« Annika verschränkte die Hände hinter dem Rücken. Sie sprach nicht weiter.

»Das ist doch völliger Unsinn. Du willst dich nicht binden? Und das fällt dir jetzt ein? Nachdem wir vier Jahren zusammen sind?«, regte er sich auf. Ein Zittern durchlief ihn.

Annika sah ihn mit unbewegter Miene an.

»In zwei Wochen wollten wir heiraten«, erinnerte er sie überflüssigerweise.

»Wie gesagt, es tut mir leid«, wiederholte sie ruhig.

»Ich habe meine Wohnung verkauft!« Er machte eine ausholende Armbewegung. »Wir wollten …«

»Ich weiß, was wir wollten«, unterbrach sie ihn, nun mit einem Anflug von Ungeduld in der Stimme. »Aber das ist vorbei, Björn. Ich sage alles ab, was wir für die Hochzeit in die Wege geleitet haben, und informiere natürlich auch die Gäste. Du musst dich um nichts kümmern.«

Er presste die Lippen aufeinander. Als ob es darum ginge. In ihm tobte ein Aufruhr, von dem er nicht wusste, wie er ihm Herr werden sollte.

»Melde dich, wenn du deine Sachen abholen möchtest, die bei mir stehen«, fuhr sie fort.

»Annika! Was ist los? Hast du Bindungsängste?« Er hatte immer geglaubt, nur Männer würden bei der Vorstellung, bald offiziell und per Unterschrift gebunden zu sein, Fluchtgedanken hegen.

»Du willst mich einfach nicht verstehen.« Sie wurde ärgerlich. »Lassen wir es gut sein. Ich gehe jetzt.«

Sie wandte sich ab, und das war unerträglich. Gleich würde sie seine Wohnung verlassen, ihn, sein Leben.

Das kann nicht dein Ernst sein, schoss es ihm durch den Kopf. Er wollte die Worte aussprechen und konnte nicht. Er wollte mit einem Satz nach vorn springen, sie festhalten und am Gehen hindern. Die Küchentür klappte hinter ihr zu. Björn war wie gelähmt. Es war vorbei. Annika hatte ihn verlassen.

Björn saß an seinem Küchentisch, die Ellbogen auf die Holzplatte gestützt. Er hatte keine Ahnung, seit wann er hier saß. In seinem Kopf verspürte er einen dumpfen Druck, und ihm tat alles weh. Von irgendwoher drang ein Geräusch. Es dauerte lange, bis er realisierte, dass es sein Telefon war, das läutete.

Annika, dachte er. Er stemmte sich hoch und ging mit schweren Schritten aus der Küche. Das Läuten verstummte, er hatte zu lange gebraucht. Dennoch ging er ins Wohnzimmer, wo der mobile Hörer des Festnetztelefons auf dem Beistelltisch neben dem Sofa lag. Auf dem Display erkannte er die Nummer von einem seiner Kunden, Dr. Hajo Schulte. Für ihn sollte er die Webseite seiner Zahnarzt-Praxis neu erstellen.

Björn sah sich nicht in der Lage, zurückzurufen. Er sah sich zu überhaupt nichts mehr in der Lage. Er setzte sich aufs Sofa und starrte vor sich hin. Trübes Licht eines beginnenden Tages kroch ins Zimmer.

Nach einer Weile begann die Standuhr zu schlagen, acht Mal. Ihm wurde klar, dass er die Nacht in der Küche am Tisch sitzend verbracht hatte. Die ganze Nacht. Deswegen tat ihm auch alles weh.

Er rieb sich mit den Handballen die Augen. Sie brannten und schmerzten, so, wie auch in ihm alles brannte und schmerzte. Annika hatte ihn verlassen, sein Leben lag in Scherben. Sie würden nicht heiraten. Er würde nicht mit ihr zusammen in das Haus ziehen, das sie von ihren Eltern geerbt hatte. Mit dem Erlös aus dem Verkauf seiner Wohnung war die Renovierung des Hauses geplant gewesen. Nun hatte er in wenigen Wochen kein Dach mehr über dem Kopf.

Wieder läutete sein Telefon. Von einem Moment zum nächsten stieg Empörung in ihm auf. Es war schon wieder Hajo Schulte. Björn fühlte sich keinem Gespräch gewachsen. Er schob sein Telefon unter eines der Sofakissen, stand mühsam auf, um sich ein Glas Wasser zu holen und einen Kaffee aufzubrühen. Er ging durch den Flur, musste am Garderobenschrank vorbei und sah sich im Spiegel. Sein weißes Hemd war zerknittert und hing über der linken Hüfte aus dem Bund seiner Jeans. Seine Haare waren wirr, und er hätte sich rasieren müssen. Unter seinen Augen zeichneten sich dunkle Ringe ab. Er sah so fürchterlich aus, wie er sich fühlte.

Wenige Minuten später lehnte er am Küchentresen und nippte an dem Kaffee, der ihm weder schmeckte noch guttat. Sein Blick fiel auf die Pinnwand aus Kork, die ihm seine Mutter vor über zwanzig Jahren zum Geburtstag geschenkt hatte. An ihr steckten Notizen mit Telefonnummern und Mailadressen sowie der Terminzettel für die Kontrolle beim Zahnarzt und der Abholschein für ein Sakko, das er in die Reinigung ›Sauber & Frisch‹ gebracht hatte. Der Abholtermin war schon vor zwei Tagen gewesen. Um diese ganzen Zettel herum hingen, wie eine Art Rahmen, jede Menge Postkarten aus Fischersbüttel, der Kleinstadt an der Nordseeküste, unweit der dänischen Grenze.

Fischersbüttel. Er war früher so oft dort hingefahren und hatte seine Großmutter besucht, Enna Hansen. Jedes Mal hatte er im Souvenirladen von Franz Bottner eine Postkarte zur Erinnerung an den jeweiligen Aufenthalt gekauft. Es waren auch zwei Postkarten dabei, die Hedda Nordström gestaltet hatte. Sie war Malerin und lebte in einem alten, stillgelegten Leuchtturm.

Björns Gedanken glitten ab, und er sah sich bei ihr sitzen, auf der rot lackierten Bank, die vor dem Leuchtturm stand. Er sah Hedda vor sich, mit ihren langen grauen Haaren und ihren blauen Augen, mit denen sie den Zauber der Küste wahrnahm, den sie auf ihren Gemälden verewigte.

Er glaubte, das Rauschen des Meeres zu hören, dessen Wellen mit ihren Schaumkronen sacht ans Ufer rollten. Manchmal, hauptsächlich an windigen Tagen, auch nicht so sacht. Dann sprangen sie heran, wild und ungestüm, und die Gischt spritzte auf, dass einen so mancher Wassertropfen traf, wenn man der See zu nahe kam.

Er meinte, die Möwen zu hören, deren Gesang er so gerne lauschte. Die meisten Menschen waren ja der Ansicht, Möwen würden ausschließlich kreischen und Lärm verursachen, umso mehr, wenn sie in größerer Schar unterwegs waren.

Doch all diese Menschen hörten nicht richtig zu. Die Möwen konnten singen, und dieser Gesang war wunderschön.

Zu Björns grenzenlosem Trennungsschmerz gesellten sich Sehnsucht und Wehmut. Seit drei Jahren war er nicht mehr in Fischersbüttel gewesen. Damals war seine Großmutter verstorben. Seine Trauer war groß gewesen, war sie doch seine einzige noch lebende Verwandte gewesen. Eine gütige alte Frau, immer freundlich, immer herzlich. Bis ins hohe Alter hatte sie ihn bekocht und verwöhnt, wenn er zu ihr gekommen war. Rüstig war sie gewesen, klein und zierlich. Und irgendwann, als sie nicht mehr ganz so gut auf den Beinen gewesen war, hatte sie sich mit einem Krückstock beholfen und ohne zu klagen weiter ihren Alltag ohne Hilfe bestritten.

Wie sehr er die Großmutter vermisste. Sie wäre jetzt sein Ziel gewesen, seine Anlaufstelle. Sie hätte ihn in seiner fassungslosen Enttäuschung aufgefangen, ihm Geborgenheit und Halt gegeben, ohne viel zu sagen. Sie hätte abgewartet, bis er sich ihr früher oder später mitgeteilt hätte.

Doch Großmutter Enna war nicht mehr.

Was aber noch existierte, war ihr Häuschen. Ihre kleine, liebevoll eingerichtete Kate, die zwei Kilometer von Fischersbüttel entfernt stand, einsam gelegen hinter den Dünen. Die Kate, die sie ihm hinterlassen hatte.

Er empfand Schuld, weil er sich all die Zeit nicht um das Häuschen gekümmert hatte.

Und plötzlich wusste Björn, was er tun würde. Er würde nach Fischersbüttel fahren und sich eine Weile in das Haus seiner Großmutter zurückziehen. Er wollte versuchen, Abstand zu gewinnen und nachdenken, wie es in seinem Leben weitergehen sollte.

Er würde am Meer entlanggehen, dem Rauschen der Brandung lauschen, die würzige Seeluft schnuppern. Er würde Inga Schmidt in ihrem Café Seesternchen im kleinen Nordsee-Hafen besuchen, und Hedda in ihrem Leuchtturm. Auch bei Franz Bottner wollte er vorbeisehen und vielleicht wieder eine Postkarte in seinem Souvenirladen kaufen. Vielleicht aber auch nicht. Die Zeit der Postkarten war untrennbar mit seiner Großmutter verbunden.

Vielleicht würde es ihm gelingen, in Fischersbüttel ein wenig zur Ruhe zu kommen. Die Zeit konnte er sich nehmen, ehe er in gut acht Wochen seine Wohnung für den neuen Besitzer räumen musste. Er kippte den Rest seines Kaffees in den Ausguss und verließ die Küche. Er würde jetzt duschen, eine Reisetasche mit dem Nötigsten packen und sich sofort auf den Weg machen.

Björn gab die Adresse seines Ziels in das Navigationssystem ein. Circa dreieinhalb Stunden würde er für die Strecke von Hamburg nach Fischersbüttel brauchen, sagte das Gerät. Vorausgesetzt, es gab keinen Stau und er machte keine längeren Pausen. Ein oder zwei Stopps würde er aber auf jeden Fall einlegen müssen, nach seiner schlaflosen und wie in Trance verbrachten Nacht am Küchentisch.

Vernünftig wäre es gewesen, wenn er erst am nächsten Tag losgefahren wäre. Doch er war sicher, er würde auch in der kommenden Nacht keine Ruhe finden. Und er wollte fort. Fort von allem, was ihn an die Zeit mit Annika erinnerte.

Björn ließ den Motor an. Vor ihm lagen ziemlich genau zweihundertzwanzig Kilometer Fahrstrecke.

Es war früher Nachmittag, als die erste Häuserzeile von Fischersbüttel vor ihm auftauchte. Solide gebaute, behäbig wirkende Gebäude, gemauert aus rotbraunen Klinkersteinen, reihten sich aneinander. Die meisten hatten reetgedeckte Krüppelwalmdächer.

Um die Häuser befanden sich gepflegte Grundstücke mit saftig grünen Rasenflächen. Manche waren eingezäunt, andere umgaben kleine Mäuerchen aus Natursteinen, andere wiederrum hatte gar keine Begrenzung.

Die Fahrt hatte sich länger hingezogen, als vom Navi angegeben. Eine Wanderbaustelle, eine Umleitung wegen einer Straßensperrung und eine Pause an einer völlig überfüllten Tankstelle hatten ihn Zeit gekostet. Nichtsdestotrotz fühlte er sich hellwach und vorwärtsgetrieben zum Haus seiner Großmutter. An seinem Schlüsselbund hing der Schlüssel zur Kate. In seinem Kofferraum stand eine kleine Plastikkiste, in die er heute Vormittag in aller Eile einige Lebensmittel gepackt hatte, um nicht gleich am ersten Abend in den Ort zu müssen, um einzukaufen. Dafür war in den kommenden Tagen reichlich Zeit.

Er fuhr an Fischersbüttel vorbei, eine schmale Landstraße entlang. Rechts von ihm, ein wenig tiefer gelegen und etwa hundert Meter von der Straße entfernt, blitzte die Wasseroberfläche der Nordsee im Sonnenlicht. Zwischen ihrem Ufer und dem Asphaltband der Straße befanden sich die Dünen, mit Borstgras und Strandhafer bewachsen, wobei letzterer sich nahezu mannshoch aufreckte.

Links der Fahrbahn erstreckten sich grüne, hügelige Wiesen, auf denen Schafe weideten.

Björn versuchte durchzuatmen, doch gelingen wollte es ihm nicht. Allzu viel lastete ihm auf der Seele.

Die Sonne des Nachmittags ergoss sich über die Landschaft, und schon sah er das mit dunklem Reet gedeckte Dach der Kate hinter einem Hügel hervorluken.

Die Straße machte eine Biegung nach links, und nun waren es nur noch wenige Meter bis zum Haus. Klein und bescheiden schmiegte es sich in die Landschaft.

Björn hielt den Wagen an, ohne den Motor auszuschalten, und ließ den vertrauten Anblick auf sich wirken. Er betrachtete die weiß gekalkte Fassade des Gebäudes, die Sprossenfenster, den runden Holztisch vor dem Haus, an dem zwei Stühle in Kippstellung lehnten. Neben der Eingangstür stand ein Korb mit Holzscheiten. Er hatte seinerzeit vergessen, ihn ins Haus zu bringen.

Beinahe hätte er sich einreden wollen, dass die Großmutter gleich aus der niedrigen Tür treten würde, die aus dunklem Holz gezimmert war.

Lediglich der hüfthoch wachsende Rasen und das verwilderte Grundstück um das Gebäude herum wiesen darauf hin, dass hier schon lange niemand mehr wohnte. Zu ihren Lebzeiten hatte Oma Enna einmal die Woche einen jungen Mann aus Fischersbüttel kommen lassen, der die groben Arbeiten in ihrem Gärtchen erledigte. Um ihre Blumen und die Gemüsebeete, die sich hinter dem Haus befanden, hatte sie sich stets selbst gekümmert.

Er sah sie vor sich, wie sie in gebückter Haltung und auf ihren Krückstock gestützt, das Wachstum von Blumenkohl und Zucchini begutachtet hatte. Wie sie sich am Gedeihen der Tomaten erfreut hatte und hier und da ein paar saftige Himbeeren vom Strauch gepflückt hatte, um sie sofort zu naschen.

Heftige Sehnsucht nach der alten Dame überfiel ihn. Björn umklammerte das Lenkrad und atmete langsam durch. Oma Enna würde ihn nie wieder mit ihrem herzlichen Lächeln empfangen, ihn willkommen heißen und ihm Halt und Geborgenheit geben. Sie würde ihn nie wieder mit selbstgerührtem Sahnequark verwöhnen, in den sie frische Früchte gegeben hatte. Dazu Kaffee, von Hand gemahlen und aufgebrüht.

Aber ihr Häuschen war noch da, jeder Raum erfüllt von ihrer Handschrift. Und dieses Häuschen mit sämtlichen Erinnerungen und all ihren Habseligkeiten hatte sie ihm überlassen.

Björn legte den Gang ein und fuhr die letzten Meter zum Haus. Links davon gab es einen geschotterten Platz, wo er schon immer geparkt hatte. Gräser wuchsen auch hier durch die Steinchen. Aus den Augenwinkeln sah er ein leuchtend rotes Fahrrad, das neben dem Gebäude unter dem carportähnlichen Vordach stand, wo Oma Enna ihr Holz gelagert hatte. Er schaltete den Motor seines Wagens aus und betrachtete irritiert das Rad. Es wirkte neu und keineswegs billig, und plötzlich überkam ihn ein mulmiges Gefühl. Ohne auszusteigen, sah er sich um, so gut es das hohe Gras und zwei üppig wachsende Büsche erlaubten. Es musste jemand in der Nähe sein.

Er versuchte, die Beklemmung abzuschütteln, die er unerwartet empfand, und stieg aus. Vielleicht hatte ein Spaziergänger sein Rad hier abgestellt und lief nun am Meer entlang.

Er nahm seine Reisetasche aus dem Kofferraum. Die Kiste mit den Lebensmitteln würde er holen, sobald er sich einen Überblick im Haus verschafft hatte. Er klappte den Kofferraum wieder zu, und während er zur Eingangstür ging, suchte er an seinem Schlüsselbund den Schlüssel fürs Haus.

Er schob ihn ins Schloss. Beim Versuch, ihn zu drehen, stellte er fest, dass die Kate unversperrt war. Sein Mund wurde trocken. Hier war jemand.

Ein Frösteln überlief ihn, trotz des herrlichen und warmen Sommertages. Er stellte seine Reisetasche behutsam auf den Boden. Sacht drückte er die Tür nach innen auf. Wenn man ins Haus kam, stand man sofort im Wohnzimmer. Sein Blick ging durch den Raum, an dessen Ende sich ein Esstisch befand. Auf ihm lagen in einer Schale drei frische Äpfel. An der Rückenlehne des Sessels, auf dem er bei seinen Besuchen immer gesessen hatte, hing eine dunkle Strickjacke, die ganz sicher nicht seiner Großmutter gehört hatte.

Die Verbindungstür zur Küche stand einen Spalt offen. Von dort hörte er ein Geräusch. Auf leisen Sohlen bewegte er sich dorthin. Sein Herz schlug hart gegen die Rippen. Mit den Fingerspitzen drückte er die Tür weiter auf. Sie bewegte sich völlig geräuschlos.

An der kleinen Arbeitsfläche stand eine schlanke, zierliche Frau, deren langes blondes Haar in Wellen über ihre Schultern hing.

Sie schnitt Gemüse und bewegte sich dabei mit einer Ruhe und Selbstverständlichkeit, als hätte sie jede Berechtigung, sich in seinem Haus und seiner Küche aufzuhalten. Neben ihr stand ein kleiner Teller, auf dem gewürfelter roter Paprika lag.

Seine Furcht davor, auf wen er im Anwesen treffen mochte, fiel in sich zusammen, und stattdessen stieg Empörung in ihm auf. Ungläubig beobachtete er sie einen Moment. Was fiel ihr ein? War sie alleine hier? War noch jemand im Haus? Sie hatte ihn noch nicht bemerkt. Zu seiner Empörung kam Ungeduld. Wie konnte sie so in ihre Beschäftigung versunken sein, dass sie seine Anwesenheit nicht mitbekam?

»Was machen Sie hier?«, herrschte er sie an.

Sie zuckte zusammen, fuhr herum, stieß einen Schrei des Erschreckens aus und fegte dabei den Teller mit dem Paprika zu Boden. Er zerschellte in unzählige Stücke, und das Gemüse verteilte sich zwischen den Scherben.

Sie war jung, sie war hübsch, und sie zitterte von Kopf bis Fuß. In der rechten Hand hielt sie Oma Ennas liebstes Gemüsemesser, als gehörte es ihr, die linke Hand hielt sie an die Brust gepresst.

»Himmel, haben Sie mich erschreckt«, stieß sie hervor.

»Noch einmal: Was machen Sie hier?« Je länger er sie ansah, desto wütender wurde er. Sie war in das Haus seiner Großmutter eingedrungen, hatte es irgendwie geschafft, die Tür zu öffnen, die ganz sicher verschlossen gewesen war, das wusste er. Er hatte seinerzeit selbst abgesperrt. Und sie verhielt sich, als hätte sie die Kate bereits völlig vereinnahmt. Er dachte an die Jacke über dem Sessel und die Äpfel auf dem Esstisch. Womöglich wohnte sie schon eine ganze Weile hier.

»Und Sie?«, hielt sie dagegen, ohne das Messer wegzulegen. Nur die linke Hand ließ sie nun sinken. »Was wollen Sie hier?«

Ihre Fragen klangen angriffslustig.

»Das Haus gehört mir, und ich bin Ihnen keine Rechenschaft schuldig. Aber Sie mir. Am besten, ich rufe gleich die Polizei.« Er hätte sie am liebsten am Handgelenk gepackt und aus der Küche beziehungsweise aus dem Haus geworfen.

»Nein, bitte nicht«, sagte sie und klang erschrocken. »Ich dachte, das Haus steht leer und deswegen …«

»Deswegen was? Deswegen sind Sie eingebrochen und dachten, hier lebt es sich gut und günstig?« Sein Ärger flaute nicht ab.

Er hatte Ruhe und Abstand gesucht, Zuflucht in einem Stück heile Welt aus der Vergangenheit finden wollen. Stattdessen stand er nun dieser Frau gegenüber, die mit ihrem Eindringen in Oma Ennas Kate etwas zerstört hatte. Das Gefühl, hier sicheren Unterschlupf zu haben, völlig ungestört zu sein und wieder zu sich zu kommen.

»Legen Sie endlich das Messer weg!«, regte er sich auf.

Bedächtig wandte sie sich um und legte es ins Spülbecken. Diese langsamen Bewegungen. Er hätte sie packen und schütteln mögen. Von einer Sekunde zur anderen wurde ihm klar, dass all seine hilflose, zornige Verzweiflung ob Annikas Entscheidung sowie die extrem belastende Erkenntnis, auch bald keine Wohnung mehr zu haben, sein Ziel in dieser Frau fanden. Vielleicht reagierte er über? Nichtsdestotrotz war sie bei ihm eingebrochen. Leerstand hin oder her, das Haus gehörte ihm. Und sie schien keine Notwendigkeit zu sehen, schleunigst das Weite zu suchen. 

»Wie gesagt, ich dachte, das Haus steht leer. Ich … hatte Streit mit meinem Freund und wusste nicht wohin. Ich habe die Kate gesehen und wie verwildert das Grundstück aussieht und dann …«

»… dachten Sie, Sie könnten sich hier breitmachen«, vollendete er ihren Satz.

Sie verschränkte die Arme vor der Brust und sagte nichts mehr.

»Wie sind Sie hereingekommen?«, fragte er ungehalten. Die Fenster waren ebenfalls alle verschlossen gewesen. Auch da war er sicher.

»Hinter dem Haus stand ein Eimer mit einem Metallbügel. Ich habe ihn abmontiert und als Schlüsselersatz verwendet«, gab sie Auskunft. Offenbar hatte sie keinerlei schlechtes Gewissen, so ruhig, wie sie sprach.

»Das ist echt unglaublich.« Wie unbeeindruckt sie in seiner Küche stand, als gehörte sie hierher. »Es musste Ihnen doch spätestens in dem Moment, als Sie das Haus vollständig eingerichtet vorgefunden haben, klar gewesen sein, dass es irgendwem gehört«, schimpfte er.

»Es gibt immer wieder verlassene Häuser, die vollständig eingerichtet sind«, belehrte sie ihn. »Ich …«

»Ich will Ihre Ausreden nicht hören«, unterbrach er sie. »Sie gehen jetzt, und zwar sofort«, verlangte er. Er stand schon viel zu lange hier und sprach mit ihr.

»Bitte nicht.« Bestürzt sah sie ihn an. »Ich meine, kann ich denn nicht ein paar Tage bleiben? Das Haus ist doch groß genug. Ich störe Sie auch bestimmt nicht.« Ihr Blick wurde bittend, sie löste die vor der Brust verschränkten Arme.

Er stieß geräuschvoll die Luft durch die Nase aus und schüttelte entrüstet den Kopf.

»Was denken Sie sich eigentlich? Brechen hier ein, verhalten sich, als würde Ihnen alles gehören, und wollen jetzt mit mir verhandeln, bleiben zu können? Wenn Sie nicht in den nächsten Minuten mitsamt Ihrem Krempel, den Sie anscheinend bereits überall verteilt haben, draußen sind, mache ich ernst und rufe die Polizei.«

Entschuldigend hob sie beide Hände. »Schon gut.« Sie wandte sich zur Seite, wo ein Kehrbesen in einer Lücke zwischen einem Küchenschrank und der Wand stand, und wollte danach greifen.

»Ich mach das selbst«, fuhr er sie an. Sie ließ ihren Arm wieder sinken und verließ wortlos die Küche. Neuer Zorn wallte in ihm auf.