Im Land der Zimtbäume - Karen Robards - E-Book
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Im Land der Zimtbäume E-Book

Karen Robards

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Beschreibung

Große Gefühle vor der traumhaft schönen Kulisse Ceylons im 19. Jahrhundert … Unter der goldenen Sonne Ceylons entscheidet sich ihr Schicksal … Annas Leben liegt in Scherben, nachdem ihr geliebter Mann Paul gestorben ist – und ihr grausamer Schwager sie erpresst: Entweder sie wird seine Geliebte oder er verstößt sie mitsamt ihrer kleinen Tochter. Aber wie sollen sie in diesem fremden Land ohne einen Penny überleben? Als Anna kurz davor ist, aufzugeben, überrascht sie einen Einbrecher beim Versuch, die legendären Smaragde der Familie zu stehlen. Sein Name ist Julian Chase und er behauptet, der Halbbruder ihres Mannes und der rechtmäßige Erbe zu sein. Kann ausgerechnet er sie aus ihrer schrecklichen Lage retten? Zum Mitfiebern und Davonträumen, für Fans von Tara Haigh und Linda Holeman

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Seitenzahl: 445

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Über dieses Buch:

Unter der goldenen Sonne Ceylons entscheidet sich ihr Schicksal … Annas Leben liegt in Scherben, nachdem ihr geliebter Mann Paul gestorben ist – und ihr grausamer Schwager sie erpresst: Entweder sie wird seine Geliebte oder er verstößt sie mitsamt ihrer kleinen Tochter. Aber wie sollen sie in diesem fremden Land ohne einen Penny überleben? Als Anna kurz davor ist, aufzugeben, überrascht sie einen Einbrecher beim Versuch, die legendären Smaragde der Familie zu stehlen. Sein Name ist Julian Chase und er behauptet, der Halbbruder ihres Mannes und der rechtmäßige Erbe zu sein. Kann ausgerechnet er sie aus ihrer schrecklichen Lage retten?

Über die Autorin:

Karen Robards ist die New York Times-, USA Today- und Publishers Weekly-Bestsellerautorin von mehr als fünfzig Büchern. Sie veröffentlichte ihren ersten Roman im Alter von 24 Jahren und wurde im Laufe ihrer Karriere mit zahlreichen Preisen bedacht, unter anderem mit sechs Silver Pens. Sie brilliert in der Spannung ebenso sehr wie im Genre Liebesroman.

Die Website der Autorin: karenrobards.com/

Die Autorin bei Facebook: facebook.com/AuthorKarenRobards/

Bei dotbooks veröffentlichte die Autorin die Thriller »Keiner wird dir helfen«, »Und niemand hört dein Rufen«, die historischen Liebesromane »Die Rose von Irland«, »Die Liebe der englischen Rose«, »Die Gefangene des Piraten« und »Die Geliebte des Piraten« sowie die Exotikromane »Im Land der Zimtbäume« und »Unter der heißen Sonne Afrikas«.

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eBook-Neuausgabe Februar 2025

Die amerikanische Originalausgabe erschien erstmals 1991 unter dem Originaltitel »Green Eyes« bei Avon, New York. Die deutsche Erstausgabe erschien 1992 unter dem Titel »Tropische Nächte« bei Wilhelm Heyne.

Copyright © der amerikanischen Originalausgabe 1991 by Karen Robards

Copyright © der deutschen Erstausgabe 1992 by Wilhelm Heyne Verlag GmbH & Co. KG, München

Copyright © der Neuausgabe 2025 dotbooks GmbH, München

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Titelbildgestaltung: Wildes Blut – Atelier für Gestaltung Stephanie Weischer unter Verwendung mehrere Motive von ana / PixHound / Delta Amphule / Adobe Stock sowie mehrerer Bildmotive von © shutterstock

eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH (vh)

ISBN 978-3-98952-443-9

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dotbooks ist ein Verlagslabel der dotbooks GmbH, einem Unternehmen der Egmont-Gruppe. Egmont ist Dänemarks größter Medienkonzern und gehört der Egmont-Stiftung, die jährlich Kinder aus schwierigen Verhältnissen mit fast 13,4 Millionen Euro unterstützt: www.egmont.com/support-children-and-young-people. Danke, dass Sie mit dem Kauf dieses eBooks dazu beitragen!

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Bei diesem Roman handelt es sich um ein rein fiktives Werk, das vor dem Hintergrund einer bestimmten Zeit spielt oder geschrieben wurde – und als solches Dokument seiner Zeit von uns ohne nachträgliche Eingriffe neu veröffentlicht wird. In diesem eBook begegnen Sie daher möglicherweise Begrifflichkeiten, Weltanschauungen und Verhaltensweisen, die wir heute als unzeitgemäß oder diskriminierend verstehen. Diese Fiktion spiegelt nicht automatisch die Überzeugungen des Verlags wider oder die heutige Überzeugung der Autorinnen und Autoren, da sich diese seit der Erstveröffentlichung verändert haben können. Es ist außerdem möglich, dass dieses eBook Themenschilderungen enthält, die als belastend oder triggernd empfunden werden können. Bei genaueren Fragen zum Inhalt wenden Sie sich bitte an [email protected].

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Karen Robards

Im Land der Zimtbäume

Roman

Aus dem Amerikanischen von Angela Gaumér

dotbooks.

Widmung

Für Christopher Scott,

der am 7. April 1990 zur Welt kam.

Und wie immer

in Liebe für Doug und Peter.

Kapitel 1

Die Sache war relativ einfach, dachte Anna Traverne niedergeschlagen: Entweder wurde sie Grahams Geliebte oder sie verhungerte.

Wenn sie nur für sich hätte entscheiden müssen, wäre ihre Wahl ohne zu zögern auf ›verhungern‹ gefallen, aber da war auch noch Chelsea. Anna wußte, daß Mutterliebe am Ende immer stärker war als Stolz, Moral oder körperliche Abneigung. Sie durfte es nicht zulassen, daß ihre fünfjährige Tochter mit ihr auf der Straße landete, wenn es in ihrer Macht stand, das zu verhindern.

Aber schon alleine der Gedanke, neben ihrem Schwager zu liegen, seine Hände auf ihrem Körper zu spüren und seine Gier, mit der er sie bedrängte, machte sie krank.

»Lieber Gott, hilf mir, einen Ausweg zu finden.« Als Tochter eines Geistlichen betete sie immer, wenn sie verzweifelt war. Diesmal jedoch murmelte sie das Gebet ohne allzuviel Hoffnung. In letzter Zeit schien Gott nicht besonders interessiert, so unbedeutenden Wesen wie ihr zuzuhören. Das Gebet war also mehr eine automatische Reaktion, ein Relikt aus ihrer Kindheit als Flehen um göttliche Hilfe. Während der letzten qualvollen Stunden im Leben ihres Mannes hatte sie so oft und inbrünstig Gott angerufen, daß sie sich jetzt außerstande fühlte, mit dem gleichen Eifer zu beten. Bei seiner Beerdigung war sie zusammengebrochen. Und seit dieser Zeit waren ihre Gefühle abgestumpft. Sie hatte kaum etwas gespürt – weder Haß, noch Angst oder Liebe, ja nicht einmal Trauer. Es war, als ob ein kalter grauer Nebel sich über ihr Leben gesenkt hätte.

Sechs Monate war sie jetzt Witwe und die letzten drei hatte sie auf Grahams Drängen hin in England verbracht. Vom ersten Moment an, als sie ihren Fuß wieder in Gordon Hall gesetzt hatte, war Graham hinter ihr her gewesen. Anfangs verhielt er sich relativ zurückhaltend, und sie hoffte, daß sie in seine überschwänglichen Küsse und Umarmungen nur zuviel hineininterpretierte. Schließlich war sie die Witwe seines jüngeren Bruders, seines einzigen Bruders übrigens. Vielleicht verarbeitete er die Trauer um seinen Bruder, indem er besonders liebevoll mit der Witwe umging, versuchte sie sich einzureden. Aber ganz überzeugt war sie davon nicht. Sie kannte Graham zu lange und zu gut, um wirklich daran zu glauben.

Graham hatte sie begehrt, seitdem sie ein kleines Mädchen war. Die drei waren miteinander aufgewachsen. Er hatte sie begehrt, aber nicht geliebt. Paul dagegen hatte sie geliebt, obwohl sie nur die Tochter des Pastors einer kleinen Gemeinde war, wohingegen er und Graham die Söhne des reichen und mächtigen Lord Ridley waren. Und auch sie hatte Paul geliebt. Sie waren gleich alt, ihre Geburtstage lagen nur einen Monat auseinander. Von Kindheit an war Paul ihr liebster Freund gewesen. Die Heirat hatte ihre Beziehung kaum verändert. Sie waren glücklich, verstanden und respektierten einander. Überraschungen gab es kaum, da sie sich von klein auf kannten. Anna lebte in dem Glauben, daß diese Liebe und Vertrautheit ein Leben lang andauern, im Laufe der Jahre noch reifen würde. Und plötzlich, im Alter von vierundzwanzig, war Paul gestorben. Mit seinem Tod war ihr und Chelseas Leben zerbrochen.

Anders als der bullige Graham war Paul schlank gewesen, mit heller Haut und flachsfarbenem Haar, das Annas so sehr glich, daß Fremde die beiden oft für Geschwister hielten. Trotz seiner zerbrechlichen Erscheinung aber schien Paul stets gesund. Wie Annas Vater oft gesagt hatte konnte die Erscheinung trügen. Nach Pauls Tod hatte der Arzt ihr eröffnet, daß Paul schon immer ein schwaches Herz gehabt haben mußte.

Wenn sie das nur gewußt hätte! Wenn sie beide es bloß gewußt hätten! Dann hätten sie sich niemals auf dieses wilde Abenteuer eingelassen, hätten nicht so leicht auf seine Familie und die Welt, die sie beide kannten, verzichtet, um nach Ceylon aufzubrechen.

Und sie waren als Paar fortgegangen. Durch die Heirat fühlten sich Pauls selbstherrlicher Vater und sein Bruder Graham gröblich beleidigt, und zwar aus ganz unterschiedlichen Gründen. Der alte Lord Ridley war mit der Heirat nicht einverstanden gewesen, weil Anna als einfache Pastorentochter keine standesgemäße Frau für seinen Sohn war. Graham hingegen war verärgert gewesen, weil er Anna gerne für sich selbst gehabt hätte. Nicht um sie zu heiraten, o nein – dafür hatte Graham eine viel zu hohe Meinung von sich – fürs Bett. Alleine der Gedanke hatte Anna schon damals genau soviel Übelkeit bereitet wie jetzt. Der alte Lord Ridley hatte Paul verstoßen und so fanden sich die Jungvermählten beinahe mittellos. Ihr einziges Vermögen bestand in einer kleinen Erbschaft, die Pauls längst verstorbene Mutter ihm hinterlassen hatte und einer Teeplantage auf der Insel Ceylon, wo seine Mutter aufgewachsen war.

Anna und Paul waren jung gewesen, voller Hoffnungen und so verliebt, daß sie sich nichts daraus machten. Sie würden die Teeplantage betreiben und wirtschaftlich unabhängig sein. Anfangs war es wie ein herrliches Abenteuer. Die Fremdartigkeit ihrer neuen Heimat hatte Anna bezaubert. Aber das heiße, feuchte Klima auf Ceylon konnte Paul nicht so gut vertragen. Nach Chelseas Geburt bekam er plötzlich Fieberanfälle. Er war schmächtiger und blasser gewesen als je zuvor. Nach der späteren Aussage des Arztes, den Anne gegen Pauls Wunsch hatte kommen lassen, als er wieder einmal von einem dieser Fieberanfälle geplagt wurde, hätte Paul an dieser harmlosen Tropenkrankheit nicht sterben müssen – aber er war gestorben.

»Warum sind wir nicht nach England zurückgekehrt, als sich herausstellte, daß Paul dieses Klima nicht verträgt?« Anna wußte, daß ein schlechtes Gewissen niemand nützte, trotzdem murmelte sie diese quälende Frage leise vor sich hin. Der Gedanke, daß Paul noch lebte, wenn er sie nicht geheiratet hätte, was zur Konsequenz hatte, daß er sein Zuhause verlassen mußte, tauchte immer wieder auf, drängte sich immer wieder in ihr Bewußtsein. In gewisser Weise hatte sie ihn umgebracht, sie und sein nachtragender, unversöhnlicher Vater ...

Anna erschauerte, als ein kühler Luftzug sie streifte. Sie zog den Schal, den sie über ihrem Schlafrock trug, enger um ihren Hals. Sie kauerte in einem großen Ledersessel vor dem Kamin, in dem sie Feuer gemacht hatte in der wenig genutzten Bibliothek. Bis dieser eisige Luftzug sie gestreift hatte, war ihr kuschelig warm gewesen. Woher kam die Kälte? Sie hatte die Tür zum Flur sorgfältig geschlossen und die Fenster, vor denen staubige Samtvorhänge hingen, waren alle zu.

»Paul?« Obwohl sie seinen Namen nur flüsterte, hauchte, war ihr klar, wie absurd es war. Trotzdem fantasierte sie einen Moment. Sie hatte sich seit seinem Tod so schrecklich einsam gefühlt, daß ihr sogar sein Schatten willkommen war. Wie schön wäre es, ihre ganze Last auf seine Schultern zu legen, auch wenn es nur für ein, zwei Minuten wäre! Sie war so müde, so verzweifelt und es gab niemand, der sich darum kümmerte. Ihre Eltern waren tot und von Pauls Familie lebte nur noch Graham. Lord Ridley war knapp einen Monat vor seinem jüngsten Sohn gestorben. Und was Graham betraf – so dachte Anna wohl zum hundertsten Mal, daß sie ohne ihn beinahe besser dran gewesen wäre. Als er ihr angeboten hatte, mit Chelsea bei ihm zu wohnen, hätte sie sich nicht darauf einlassen dürfen. Nach Pauls Tod waren sie und Chelsea vollkommen mittellos; Pauls Mutter hatte in ihrem Testament festgelegt, daß sogar die Plantage nach seinem Tod auf seinen Bruder Graham überging. Daher war sie dankbar gewesen, als Graham ihr anbot, mit ihrer Tochter bei ihm zu leben. Für Chelsea war es sicher besser, in England aufzuwachsen. Allerdings kannte sie damals den Preis noch nicht, den sie dafür zahlen mußte.

Schon bevor sie mit Paul fortgegangen war, hatte Graham bemerkt, daß aus dem kleinen Mädchen, dem man in Gordon Hall Manieren beigebracht hatte, eine begehrenswerte junge Dame geworden war. In dem Jahr vor ihrer Heirat hatte Graham mit allen Mitteln versucht, sie in sein Bett zu locken. Warum sollte er sich in den vergangenen sechs Jahren verändert haben? Das Einzige, was sie seit ihrer Rückkehr in Gordon Hall verändert fand, war, daß der alte Lord Ridley tot war, wodurch der junge Graham, der nahezu alle unangenehmen Eigenschaften des Alten geerbt hatte, umso mehr Macht hatte.

Es verstrich eine Minute und eine zweite und kein Geist erschien, wie Anna erwartet hatte. Enttäuscht sank sie ein wenig in sich zusammen und ließ ihren Kopf auf das weiche Leder zurückfallen. Sie war alleine. Es gab niemand, der ihr half oder einen Rat gab, niemand, der sie vor ihrem unausweichlichen Schicksal bewahren konnte. Zwar konnte sie es noch eine Weile hinauszögern, wie heute, indem sie sich versteckt hielt, aber das löste das Problem nicht. Früher oder später würde sie gezwungen sein, Grahams Drängen nachzugeben.

»Ich kann nicht! Ich kann einfach nicht!«

Ihr stiegen Tränen in die Augen. Auch wenn sie die Augen verschloß, würde das nicht helfen. Sie zog ihre Knie unter dem weißen weitgeschnittenen Nachthemd zum Kinn hoch und umklammerte ihre Beine. Weinen hilft nichts schalt sie sich. Tränen brachten ihr Paul auch nicht zurück. Wenn Tränen ihn wieder zum Leben erwecken könnten, wäre er schon längst wieder bei ihr.

Auf einmal war ihr, als hörte sie leise Schritte. Paul? Wieder war er ihr erster Gedanke. Nein. Natürlich nicht! Ein Geist würde schweben und nicht zu Fuß über den knarrenden Holzfußboden laufen. Ihr Instinkt sagte ihr, daß noch jemand im Raum war. Wer?

Bei dem Gedanken, daß Graham ihr auf den Fersen war, erschauerte sie und sie machte sich so klein, wie sie nur konnte. Bei dem schwachen Licht in der Bibliothek, mit dem Stuhlrücken zum Eingang, war es immerhin möglich, daß sie unentdeckt blieb. Möglich war es, aber nicht wahrscheinlich, vor allem dann nicht, wenn Graham der Eindringling war. Der einzige Grund für seine Anwesenheit in der Bibliothek zu so später Stunde war, daß er sie suchte. Als im Haus alles ruhig geworden war, war sie aus ihrem Zimmer hierher geflohen, falls er auf die Idee kommen sollte, ihr einen Besuch abzustatten. Die Türen zu verschließen hatte keinen Sinn, wie sie zu ihrem Entsetzen hatte feststellen müssen. Graham besaß einen Schlüssel zu ihrem Zimmer. In der vergangenen Nacht war sie aufgewacht, als er gerade in ihr Bett klettern wollte. Nur weil sie sich mit aller Kraft zur Wehr gesetzt und ihm gedroht hatte zu schreien und seine Frau zu wecken, hatte er schließlich von ihr abgelassen.

Aber er war nicht gegangen, ohne ihr zu drohen, entweder das Bett mit ihm zu teilen oder aber das Haus verlassen zu müssen.

Und heute nacht hatte sie befürchtet, daß er die Probe aufs Exempel machen wollte. Tief in ihrem Innersten wußte sie, daß sie sich diesem gräßlichen Schicksal nicht ergeben konnte – noch nicht. Wunder geschahen jeden Tag, wie ihr liebevoller Vater ihr bis zu seinem Tode immer wieder gesagt hatte. Und Anna war nicht gierig; alles, was sie verlangte, war ein kleines Wunder, gerade groß genug, um sie vor Graham zu retten und mit ihrer Tochter versorgt zu sein. Und das war bestimmt nicht zuviel verlangt von einem Gott, der ihr schon beinahe mehr genommen hatte, als sie ertragen konnte.

Da war schon wieder ein Schritt, genauso leise wie der erste. Anna fiel auf, daß sich das Geräusch so gar nicht wie Grahams schwerer Tritt anhörte, als sie plötzlich aus ihrem Augenwinkel einen Mann entdeckte. Es war ein hochgewachsener Mann in einem weiten schwarzen Umhang. Leise glitt er an ihrem Sessel vorbei.

Anna erstarrte. Sie wagte nicht zu atmen, während ihre Augen ihn verfolgten. Diesen Mann hatte sie noch nie im Leben gesehen!

Er war groß und hatte schwarzes Haar. Der Umhang, der sich durch den Luftzug von der halb geöffneten Tür zum Flur blähte und beim Gehen hinter ihm her flatterte, ließ ihn sehr gewichtig erscheinen. Diese Tür hatte sie vorhin sorgfältig geschlossen. Das erklärte den Luftzug, aber nichts erklärte die Gegenwart dieses Mannes. Zur Zeit hielten sich in Gordon Hall keine Gäste auf. Zwar wurden für dieses Weihnachtsfest Gäste erwartet, aber bis dahin waren es noch gut zwei Wochen. Die ersten Gäste kamen bestimmt erst ein paar Tage vor dem Fest an. Darüber hinaus sah dieser Mann nicht wie einer von Grahams Busenfreunden aus.

Ein Diener war er gewiß auch nicht, soviel stand für Anna fest. Blieb nur noch eine Möglichkeit: Großer Gott im Himmel, sie hatte es mit einem Einbrecher zu tun!

Um Hilfe zu schreien war das Erste, was ihr einfiel, aber das hatte zwei Haken: erstens, der Einbrecher war nur ein paar Schritte entfernt, also viel näher, als jede Hilfe. Er würde sich ohne zu zögern auf sie werfen. Zudem verriet sie ihm damit ihr Versteck, das er offenbar bislang nicht bemerkt hatte. Zweitens, wenn sie schrie, würde mit der Belegschaft auch Graham herbeieilen. Unter diesen Umständen war ihr die Gesellschaft des Einbrechers fast lieber.

Fast.

Anna hoffte nur, daß der Einbrecher kein Mordgeselle war. Zusammengekauert im Sessel ließ sie ihn nicht aus den Augen und wagte kaum zu atmen.

Kapitel 2

Er holte ein paar Bücher vom Regal seitlich des Kamins und stapelte sie sorgfältig auf dem Schreibtisch. Offenbar hatte er tatsächlich nicht die leiseste Ahnung, daß er beobachtet wurde. Anna bewegte sich nicht. Ihre Arme umklammerten ihre Knie so fest, daß ihre Beine drohten taub zu werden. Sie beobachtete ihn, wie er gegen das Holz der Rückwand, wo vorher die Bücher gestanden hatten, drückte. Es klappte nicht aufs erste Mal, doch plötzlich tat es einen leisen dumpfen Schlag, dem ein Knarren folgte. Zu Annas Überraschung löste sich ein viereckiges Holzbrett aus der Rückwand des Regals, die noch Sekunden vorher wie ein solide Holzwand ausgesehen hatte. Erstaunt riß Anna die Augen auf. Nahezu ihr ganzes Leben hatte sie sich in Gordon Hall frei bewegt und nicht die leiseste Ahnung von diesem Geheimversteck gehabt.

Woher kannte der Einbrecher dieses Versteck?

Er griff mit beiden Händen in die Öffnung und holte ein kleines Lederetui hervor. Obwohl Anna sein Gesicht nicht sehen konnte, verrieten seine Gebärden, daß er mit sich zufrieden war. Er drehte sich um, legte das kleine Etui auf den Schreibtisch, öffnete es und starrte gebannt auf den Inhalt. Es schien so, als hätte er Ehrfurcht vor dem Gegenstand, der sich Annas Blicken verbarg. Sie runzelte die Stirn und überlegte, was in dem Etui sein könnte. Die Traverne-Juwelen sicher nicht, die erst seit kurzem Grahams Frau Barbara gehörten. Die lagen an einem sicheren Ort, gut verschlossen in ihrem Schlafzimmer; am gleichen Ort übrigens, wo sie schon seit Generationen aufbewahrt worden waren.

Was war es dann? Was war so klein, daß es in ein Behältnis paßte, das nicht größer als eine Zigarrenkiste war, geheimnisvoll genug, daß man es in einem Geheimfach versteckte, von dessen Existenz sie keine Ahnung hatte und so wertvoll, daß ein offenbar gut informierter Einbrecher Interesse daran hatte? Was?

Gebannt beobachtete Anna den Dieb. Sie war so fasziniert, daß sie für den Moment ihre Angst vergaß. Der Mann zog ein Samtpäckchen aus dem Etui, öffnete es und spitzte hinein. Was immer er gesehen haben mochte, erfreute ihn, weil er lächelte, als er das Päckchen auf den Schreibtisch legte. Vorsichtig schlug er die Ecken des Samttuches auseinander und hob das, was sich darin verbarg, auf. Er schien förmlich zu strahlen, als er sich wieder langsam umdrehte, um seine Beute im Feuerschein des Kamins genauer zu betrachten. Und jetzt sah Anna sowohl sein Gesicht deutlicher als auch das, was er in der Hand hielt.

Annas erster Gedanke war, daß er einem Zigeuner ähnelte. Seine Haut war dunkel, die buschigen Brauen genauso schwarz wie sein Haar, das im Nacken von einem schwarzen Band zusammengehalten wurde. Er hatte markante, maskuline Gesichtszüge, nicht so feine wie Paul. Er war groß, hatte breite Schultern und einen mächtigen Brustkasten. Obwohl es in der Bibliothek zu dunkel war, um absolut sicher sein zu können, daß er beinahe auf eine gefährliche, wilde Art hübsch war.

Wahre Schönheit kommt von innen, hatte ihr Vater immer wieder gesagt. Dieser Mann hier war zweifelsohne ein Dieb. Höchstwahrscheinlich würde er ihr etwas antun, wenn er sie entdeckte. Dieser Gedanke brachte Anna wieder ihre gefährliche Lage zu Bewußtsein. Sie bewegte sich nicht, als er seine Hand hob, um sich seine Beute im Schein des Feuers genauer anzusehen. Das blasse Orange verriet, daß der Gegenstand, ein Schmuckstück übrigens, leuchtend grün war. Anna preßte ihre Hand auf den Mund, als sie erkannte, was er in der Hand hielt: Die Smaragde der Königin!

Als Kind hatte sie Anna schon einmal gesehen. Sie und Paul hatten sich hinter den Vorhängen versteckt, als sein Vater mit einem Gast unerwartet ins Zimmer trat. Der Gast, ein untersetzter Mann mittleren Alters mit Perücke, war seinem Auftreten und seiner Kleidung nach zu schließen offenbar Anwalt. An Details dieses Gesprächs konnte sie sich nicht mehr erinnern, aber diese prächtige Halskette, das Armband und die Ohrringe würde sie nie vergessen. Stück für Stück hatte der Anwalt die Juwelen angesehen und ständig mißbilligend den Kopf geschüttelt. Die beiden Männer waren anscheinend geteilter Meinung was die Juwelen anging, aber weder sie noch Paul waren daran interessiert gewesen. Sie waren viel zu beschäftigt gewesen, keinen Mucks zu machen, damit man sie nicht entdeckte. Lord Ridley hätte Paul ordentlich den Po versohlt und Anna nach Hause geschickt mit dem Auftrag für ihren Vater, sie für ihre Missetat, Erwachsenen nachzuspionieren, zu bestrafen.

In all den nachfolgenden Jahren hatte Anna immer wieder von der Geschichte des ungeheuren Familienschatzes gehört. Paul kannte sie von Graham, und was Paul wußte, blieb für sie kein Geheimnis. Man erzählte sich, daß die Juwelen einst Mary, der Königin von Schottland, gehört hatten. Mary hatte sie einem Bewunderer vermacht, der dafür versprach, ihre Cousine, Königin Elisabeth, zu stürzen. Der Verrat kostete Mary ihren Kopf. Die Juwelen waren verschwunden und tauchten erst Jahrhunderte später im Besitztum von Lord Ridley wieder auf. Wie sie in seinen Besitz gerieten, wußte niemand. Er hütete sie wie seinen Augapfel. Bis zu diesem Moment hatte Anna die Schmuckstücke fast vergessen. Der lange Nachmittag, den sie sich mit Paul hinter den Vorhängen versteckt gehalten hatte, hätte ebensogut ein Traum gewesen sein können.

Die Smaragde aber waren kein Traum. Sie existierten so real, wie sie selbst existierte, und dieser Schuft war gerade dabei, sie zu stehlen. Durch eine ungeschickte Bewegung fiel ihm das Halsband aus der Hand.

In ihrer Empörung entfuhr ihr ein unterdrückter Laut.

Plötzlich sah der vermeintliche Dieb hoch und über den funkelnden Smaragden trafen sich ihre Blicke.

Einen schrecklichen Augenblick lang starrte Anna in seine Augen, die im Lichte des Feuers schwarz und unergründlich wirkten; sie war so erschrocken, daß sie nicht einmal daran dachte zu schreien. Ihre Gliedmaßen schienen starr vor Schreck und ihr Herz hatte aufgehört zu schlagen. Großer Gott, was würde er mit ihr machen?

Auch er bewegte sich nicht und sagte kein Ton. Er schien sich schneller von diesem Schock zu erholen als sie. Er ließ sie nicht aus den Augen, während er das Halsband aufhob und es mit den übrigen Schmuckstücken in irgendeine Tasche seines Umhangs steckte. Sein Mund verzog sich zu einem höhnischen Grinsen. Seine Augen funkelten wie Pechkohle, die über ihren spärlich bekleideten Körper glitten.

In dem wuchtigen Ledersessel wirkte Anna sehr jung und eingeschüchtert. Ihr silberblondes Haar fiel in wilden, schweren Locken über den lavendelfarbenen Schal und das weiße Nachthemd bis zur Taille hinab. Die großen Augen in ihrem blassen Gesicht waren von dichten, dunklen Wimpern umrahmt, die das funkelnde Grün, so funkelnd wie die Smaragde in seinem Umhang, auf faszinierende Weise betonten. Und sie war schlanker denn je. Nach Pauls Tod hatte sie nie großen Appetit gehabt. Wenn man ihre vollen Brüste übersah, die im Augenblick sowohl von dem Schal als auch von den Locken verdeckt waren, hätte man sie leicht für ein Kind halten können.

»Wenn Sie kein Weihnachtsengel sind, interessiert mich, was sie so spät hier unten machen, meine Liebe?«

Er klang ganz vernünftig, wenn auch sein Tonfall ein bißchen spöttisch war. Anna spürte, wie ihr Herz wieder zu schlagen begann. Sie ließ ihn keinen Moment aus den Augen. Ihre Kehle war so trocken, daß sie sich anstrengen mußte, einen Ton herauszubringen.

»Wenn Sie augenblicklich verschwinden, werde ich nicht schreien.« Ihr Versuch, ihn zu bluffen, hätte vielleicht überzeugender gewirkt, wenn sie nicht mit so krächzender, brüchiger Stimme gesprochen hätte.

»Das ist sehr großzügig von Ihnen, aber ich habe nicht die Absicht von hier zu verschwinden, bis ich alles erledigt habe. Und ich warne Sie: Falls Sie anfangen sollten zu schreien, sähe ich mich gezwungen, Ihnen die Kehle zuzudrücken und dafür sind Sie viel zu hübsch.«

Trotz des immer noch spöttelnden Tonfalls war das eine handfeste Drohung. Anna sah in diese unergründlichen Augen und begriff, daß er durchaus imstande war, diese Drohung in die Tat umzusetzen. Er würde sie erwürgen, wenn er sich, wie er sagte, dazu gezwungen sah. Wahrscheinlich, dachte Anna, während sie sich langsam vom ersten Schock erholte, würde er sie sowieso umbringen, da sie ja die einzige Zeugin seines Einbruchs war.

Es war also das Beste sich zu retten, solange sie noch konnte. Wenn er sie erst einmal in seinen Fängen hatte, war sie verloren. Schon alleine seine körperliche Größe sagte ihr das.

Mit ihren Händen umklammerte sie die Sessellehne; ihre Knie waren gespannt wie eine Feder, bereit zum Sprung. Sie würde um ihr Leben rennen und schreien so laut sie konnte. Ihr Körper spannte und ihr Mund öffnete sich – und er reagierte, noch bevor sie sich einen Zentimeter bewegt hatte. Fluchend stürzte er sich auf sie. Seine ausgestreckten Hände griffen nach ihrem Hals.

Kapitel 3

Aber seine Hände griffen in die Luft, als Anna mit der Geschwindigkeit und Beweglichkeit eines gejagten Hasen hochschnellte und schrie. Zu ihrem Entsetzen war nur ein leises Krächzen zu hören. Die Angst hatte ihr die Kehle zugeschnürt! Noch einmal krächzte sie, vor Panik fast von Sinnen, duckte sich hinter dem Sessel und versuchte soviel Luft herauszupressen, daß ihr doch noch ein Schrei gelang.

»Komm zurück, du kleine ...«

Fluchend, Drohungen ausstoßend griff er nach ihr. Seine Arme waren lang genug, um um den Sessel herumzufassen. Anna duckte sich, aber seine Finger packten sie an der Schulter ihres Nachthemdes. Sie spürte die starken Finger auf der zarten Haut ihres Halses und konnte sich in letzter Sekunde losreißen. Jetzt klammerten sich seine Finger am Halsausschnitt ihres Morgenmantels fest. Den Schal hatte sie schon bei ihrem ersten Sprung verloren. Der Stoff gab mit einem lauten Riß nach. Kühle Luft liebkoste ihre Haut als sie herumwirbelte und sich unter den Fingern des Mannes duckte, dessen Hand gerade noch über ihre bloße Schulter glitt. Wieder versuchte sie zu schreien. Der Laut, der aus ihrer Kehle kam, hätte eine erschrockene Maus beschämt.

»Sei still, du dumme Gans, verdammt!« Sein Knurren machte ihr Angst. Die Art eines Gentleman war das nicht! Aber er war natürlich auch kein Gentleman. Er war ein Dieb und ein brutaler, gefährlicher Mann, der anscheinend vor nichts zurückschreckte. Wenn sie sich nicht in Sicherheit bringen konnte, würde sie sich weder um Graham noch um Chelsea je wieder sorgen müssen. Und am Morgen würden die Diener ihre ausgekühlte Leiche hingestreckt auf dem Fußboden der Bibliothek finden!

Keuchend sprang Anna auf und ab, hin und her, immer darauf bedacht, den wuchtigen Sessel zwischen sich und dem rasenden Mann zu halten, der beständig versuchte sie zu packen und jedes Mal wild fluchte, wenn sie seinem Zugriff geschickt auswich. Sie ließ ihn keinen Moment aus den Augen. Ihre Hände waren feucht und kalt und machten die Rückenlehne des Ledersessels zwischen ihnen glitschig, an der sie sich immer noch krampfhaft festhielt, während sie um den Sessel herumtänzelte. Ihr Herzschlag dröhnte laut in ihren Ohren. Obwohl sie immer wieder versuchte laut zu schreien, gehorchte ihr die Stimme nicht. Nur dieses erbärmliche Krächzen zwängte sich aus ihrer Kehle.

Anna gab alle Hoffnung auf doch noch Hilfe herbeizuholen. Ihr einziger Gedanke war, sich von diesem Gangster nicht erwischen zu lassen und dieses Unterfangen würde ihre ganze Konzentration in Anspruch nehmen.

Sie spielten Katz und Maus um den Sessel herum. Keuchend, mit klopfendem Herzen, wich sie seinen zupackenden Händen immer wieder geschickt aus. Obwohl sie sehr flink war, wagte sie nicht zur Türe zu rennen. Sie war überzeugt, daß er sie kriegen würde, sobald sie den Schutzwall Sessel aufgab.

»Komm hierher, verdammt noch mal!«

Zu Annas Entsetzen beendete er dieses Spiel, indem er den Sessel packte und ihn beiseite schleuderte. Er schlitterte über den Fußboden und krachte in den Schreibtisch, Bücher und verschiedene andere Gegenstände fielen zu Boden. Anna liftete ihr Nachthemd und rannte auf die halb offene Tür zu.

Sofort war er hinter ihr her. Sie spürte ihn mehr als dass sie ihn sah.

»Ah!« Ein Ausruf der Zufriedenheit. Er hatte sie erwischt. Verzweifelt warf sie sich zur Seite, in der Hoffnung hinter einem kleinen Tischchen Schutz zu finden, aber seine Hand hatte ein paar Falten ihres Nachthemdes gegriffen, so daß sie nicht entwischen konnte. Er packte fest zu.

»Bitte, tun Sie mir nichts!« Sie rang nach Luft.

»Dann halten Sie gefälligst Ihren Mund«, fuhr er sie an, drückte sie an seine Brust und drehte ihr die Arme nach hinten. »Verstanden? Seien Sie ruhig!«

Anna konnte vor Angst kaum einen klaren Gedanken fassen. Alleine seine körperliche Kraft machte ihr himmelangst. Sie reichte ihm nicht einmal bis zur Schulter. Gemessen an ihm kam sie sich wie ein lächerlicher Zwerg vor. Der Stoff seines Umhangs, gegen den ihr Gesicht gepreßt wurde, kratzte wie feines Schleifpapier auf ihrer Haut. Ihre Nase und der Mund waren so fest an seine Brust gepreßt, daß sie befürchtete zu ersticken. Der Stoff seiner Kleidung wirkte wie ein Kissen, das keine Luft durchließ. Seine Arme, die sie an ihn drückten, waren hart wie Eisen. Wie ein Schraubstock schlossen sie sich um ihren Brustkasten und hinderten sie ebenfalls am Atmen. Von seinem Körper ging eine unglaubliche Wärme aus. Anna warf ihren Kopf mit einem Ruck zurück und fürchtete für einen Moment in Ohnmacht zu fallen. Seine linke Hand lag gefährlich nahe unter ihrer rechten Brust. Anna kam auf einmal in den Sinn, daß umgebracht zu werden nicht die einzige Gefahr war.

»Lassen Sie mich los!« Ihre Worte wurden vom Stoff seiner Kleidung erstickt. Sie versuchte sich ihm zu entwinden. Er hielt sie nur um so fester.

»Halten Sie, verdammt noch mal, Ihren Mund!« zischte er ihr ins Ohr während sie nach ihm trat und sich wie ein kleines, gefangenes Tier wand. Sie schaffte es tatsächlich, ihn gegen sein Schienbein zu treten; er schien es gar nicht bemerkt zu haben. Anna hingegen war vor Schmerz zusammengezuckt. Seine Beine waren hart wie Baumstämme. Dann aber gelang es ihr, ihm ihre Ellbogen in die Seiten zu rammen und zu ihrer Zufriedenheit hörte sie ihn leise stöhnen. Er wechselte seinen Griff und berührte dabei ihre Brust. Durch den dünnen Stoff ihres Nachthemdes spürte sie die Wärme seiner Hand.

Wie elektrisiert nahm Anna all ihre Kraft zusammen, um sich loszureißen. Es gelang ihr eine halbe Drehung zu machen. Fluchend versuchte er ihr Herr zu werden, griff entschlossen zu und hatte nun die ganze Hand auf ihrer Brust! Der Griff, hart, heiß und unwillkommen, brannte durch das Nachthemd auf ihrem Fleisch. Unter der Wärme seiner Hand verhärtete sich ihre Brustwarze.

»Nehmen Sie Ihre Hände weg!« schrie sie. Als er keine Anstalten machte ihr zu gehorchen, schlug sie wie verrückt um sich, kämpfte wie ein wildes Tier loszukommen. Er war auf einmal merkwürdig ruhig, nur sein Griff war unverändert hart. Mit seiner freien Hand hielt er ihr den Mund zu. Unter dem starken Druck seiner Finger öffneten sich ihre Lippen, und sie schmeckte das Salz auf seiner Haut.

»Still jetzt!«

Der Druck seiner Hand auf ihrem Mund wurde noch stärker und tat weh. Einer plötzlichen Eingebung folgend biß Anna mit einer Boshaftigkeit und Entschlossenheit zu, die sie selbst überraschte.

»Aaah!«

Mit einem Aufschrei ließ er sie los und schüttelte seine Hand. Anna taumelte und rannte zur Tür. Aus dem Augenwinkel hatte sie noch einen Blick von ihm erhascht. Die blanke Mordlust stand ihm ins Gesicht geschrieben.

Im nächsten Moment war er hinter ihr her. Sein schmerzverzerrtes Gesicht hatte noch einen wütenderen Ausdruck als vorhin.

Keuchend, mit vor Angst klopfendem Herzen, stürzte Anna durch die Tür auf den langen Flur. Es war dunkel wie in einer Höhle. Das einzige Licht kam von einer Kerze, die hoch oben in einem Leuchter am Ende des Flurs steckte und flackerte. Die Schlafzimmer befanden sich ein Stockwerk höher; sie mußte also nur bis zum Ende des Flurs kommen und die Treppen hinauflaufen. Im Augenblick war ihr sogar Graham willkommen, lieber jedenfalls als der Verrückte hinter ihr.

Es war auch kalt in der Vorhalle. Aber Anna bemerkte das kaum, obwohl sie nur in Hausschuhen und mit dem dünnen Nachthemd bekleidet war. Er war ihr dicht auf den Fersen ... Sie rannte, so schnell sie konnte und hörte, wie er behende wie ein Panther hinter ihr herkam. Sie hatte keine Chance, das war ihr von Anfang an klar gewesen. Als seine Hand sich in ihrem Haar verfing und sie mit einem Ruck, der ihr Tränen in die Augen trieb, zum Stehen brachte, war es auf eine seltsame, entsetzliche Art beinahe eine Erleichterung.

Er packte hart zu und zerrte sie hinter sich her. In dem Moment funktionierten ihre Stimmbänder wieder, und sie stieß einen schrillen Schrei aus. Sofort preßte er ihr seine Hand auf den Mund und erstickte den Hilfeschrei nahezu im Keim. Ihr Herz klopfte bis zum Hals. Vielleicht hatte jemand sie gehört?

»Du verdammtes Biest!« Die eine Hand immer noch auf ihrem Mund griff er ihr mit der anderen unter die Beine und schwang sie so auf seine Arme. »Umbringen sollte ich Sie dafür. Verdammt noch einmal! Was soll ich bloß mit Ihnen machen?«

Gegen seine Brust gedrückt, die Beine hilflos in der Luft baumelnd, konnte er mit ihr machen, was er wollte. Sie war ihm ausgeliefert. Ihre erschrockenen, weit aufgerissenen Augen trafen seinen Blick. Das machte ihr noch mehr Angst. In diesen funkelnden schwarzen Augen war keine Spur von Gnade. Anna fürchtete um ihr Leben. Sie zitterte am ganzen Körper. Er schien das zu bemerken und musterte sie aufmerksam von oben bis unten, wie sie so zitternd und vollkommen hilflos in seinen Armen lag. Und sein Blick schien nicht mehr so düster. Als er ihr wieder in die Augen sah, bemerkte Anna erleichtert, daß er eher resigniert war als wütend.

»Machen Sie immer so viele Schwierigkeiten, Grünauge?« murmelte er. »Und das mir! Na schön. Schätze, mir wird nichts anderes übrigbleiben, als Sie mitzunehmen. Wenigstens sind Sie nicht so ein kleines Mädchen, für das ich Sie anfangs gehalten habe. Vielleicht haben wir sogar Spaß miteinander?«

Behende, mit großen Schritten eilte er den Flur entlang zur Treppe und lächelte sie dabei an. Ein teuflisches Lächeln, voller Hohn und finsterster Hintergedanken.

Am Treppenabsatz ging er nach unten. Anscheinend wußte er genau, wohin es zur Empfangshalle ging. In der Halle, einem riesigen Vorraum, hübsch dekoriert mit Weihnachtsschmuck angesichts des bevorstehenden Festes, war es bitterkalt, da nur tagsüber geheizt wurde. Von hier zweigten Bogengänge in vier verschiedene Richtungen ab. Um von der Bibliothek schnurstracks hierher zu kommen, ohne auch nur einmal falsch abzubiegen, mußte er irgendwann Gelegenheit gehabt haben, sich mit dem Haus vertraut zu machen.

Wer war dieser Mann? Anna überlegte und betrachtete dieses dunkle Gesicht noch einmal genau. Nichts an ihm kam ihr bekannt vor, und doch schien er sich hier auszukennen. Vielleicht war er ein Diener, den man aus irgendeinem Grund entlassen hatte? Oder ...

Als er plötzlich stehenblieb und sie mit gerunzelter Stirn ansah, wich jeder logische Gedanke aus ihrem Gehirn.

»Wenn Sie nur einen Mucks tun, schlage ich Sie bewußtlos«, sagte er. Seinem Tonfall zu entnehmen, war es ihm sehr ernst.

Gehorsam blieb sie mucksmäuschenstill, als er sie auf die Beine stellte. Durch die dünnen Sohlen ihrer Hausschuhe kroch die Kälte der Steinplatten auf dem Fußboden. Auch von den dicken Steinmauern schien Kälte auszugehen und Anna zitterte unwillkürlich. Ohne Schal, nur mit ihrem zerrissenen Nachthemd, fühlte sie sich so gut wie nackt. Er sah sie kurz an. Nur an ihren Brüsten schien sein Blick etwas länger zu verweilen. Ein Ausdruck, den sie nicht wagte zu entschlüsseln, flackerte in seinen Augen. Sie trat einen Schritt zurück, aber schon im nächsten Augenblick hielt eine Hand sie am Arm fest.

»Bitte ...«, flüsterte sie mit zitternder Stimme. Ein Blick von ihm genügte, sie wieder zum Schweigen zu bringen.

»Warten Sie«, sagte er und noch ehe ihr klar wurde, was er vor hatte, löste er das Band seines Umhangs und legte ihn ihr um die Schulter. Verdutzt sah sie ihn an wie er den Samtkragen hochschlug, der immer noch warm war von seinem Körper. Er ließ ihren Arm los und schlang das Band unter ihrem Kinn zu einer hübschen Schleife. Der Umhang war so weit, daß sie ihren Leib zweimal darin einwickeln konnte und der Saum schleifte beinahe einen halben Meter auf dem Fußboden. Diese Geste überraschte sie. Vielleicht war er doch nicht so herzlos und grausam ... Der Gedanke machte ihr Mut und sie versuchte es noch einmal.

»Wenn Sie mich laufen lassen, werde ich keiner Menschenseele erzählen, daß Sie hier waren. Ich gebe Ihnen mein Wort.«

»Das kann ich leider nicht, Grünauge. Aber zumindest lasse ich Sie nicht frieren. Es ist sehr kalt draußen«, sagte er und packte sie wieder. Anna war darauf gefaßt, daß er sie wieder unter den Beinen fassen und auf seinen Armen tragen wollte, aber irgendetwas schien ihn zu fesseln.

»Solche Gelegenheiten darf man sich nicht entgehen lassen«, murmelte er. Es klang beinahe wie eine Erklärung. Als Anna verständnislos dem Blick seiner Augen folgte, entdeckte sie die mit Kerzen verzierte Weihnachtskugel über ihren Köpfen, unter der sich üblicherweise Liebespaare küßten. Langsam beugte er seinen Kopf zu ihr hinunter.

Anna rang nach Luft, als sein Mund ihre Lippen fand.

Kapitel 4

Seine Lippen waren glühend heiß, ein wenig feucht und hart. Mit einem Schlag versteifte sich Annas Rückgrat, als seine Lippen sanft über ihren Mund streiften. Instinktiv hob sie ihre Hände, um ihn wegzustoßen. Genausogut hätte sie sich gegen die Steinmauern von Gordon Hall stemmen können. Der Effekt wäre der gleiche geblieben.

»Schscht, meine Kleine. Es tut nicht weh, glaub mir«, murmelte er leise und sie spürte die Bewegung seiner Lippen auf ihrem Mund. Dann zog er sie an sich, seine Hände glitten unter den Umhang über ihren Rücken, um die weichen Kurven ihres Körpers noch mehr mit seinem verschmelzen zu lassen. Anna japste nach Luft, als seine Hand zärtlich über ihr Rückgrat strich, langsam ihren Kopf faßte und ihn in der Stellung hielt, die ihm gefiel. Zu ihrem Entsetzen nutzte er diesen Moment und ließ seine Zunge in ihren Mund gleiten.

Sie versuchte zu protestieren, aber zu hören war nur ein erstickter, heiserer Schrei. Sie versuchte sich loszureißen, aber er hielt sie mit hartem Griff fest. Sie versuchte die Schwellung, die sich gegen ihren Körper preßte und seine Erregung verriet, gar nicht zu bemerken. Auch die harte, muskulöse Brust, gegen die sie sich vergeblich stemmte und den Geschmack seines Mundes, eine undefinierbare Mischung aus Brandy, Zigarren und Mann, versuchte sie einfach nicht wahrzunehmen.

Genauso krampfhaft versuchte sie die Wärme ihres eigenen Blutes nicht zu spüren, als er sie schamlos küßte, so, wie sie noch nie zuvor jemand geküßt hatte, nicht einmal ihr Mann.

Paul hatte sie oft geküßt, aber nie hatte er mit seiner Zunge die ihre liebkost, so wild daran gesaugt und nie hatte er so verführerisch an ihren Lippen geknabbert oder seine Lippen an ihren gerieben, bis die leiseste Berührung genügte, sie schwach werden zu lassen. Nie hatte er ihre Lippen mit solcher Gier und Leidenschaft liebkost, daß sie mehr wollte.

Einen heißen, atemlosen Augenblick löste er seine Lippen von ihrem Mund und sah sie überrascht und fragend an. Anna war so durcheinander, daß sie kaum wußte, wo sie war. Ihre Hände umklammerten seine Schulter, um nicht das Gleichgewicht zu verlieren. Zu fliehen versuchte sie nicht. Ihr war, als stünde sie unter Drogen.

»Erwiderst du denn nie einen Kuß, Liebling?« murmelte er und verzog seinen Mund zu einem Lächeln, das genauso verwirrend war wie sein Kuß. Anna stand da wie hypnotisiert und brachte kein Wort heraus. Mit großen Augen sah sie zu, wie sein Lächeln breiter wurde und sein Kopf sich wieder senkte.

Als sein Gesicht näher und näher kam bemerkte sie, daß seine Augen nicht schwarz sondern tiefblau, so samtblau wie der Himmel um Mitternacht war.

Dann küßte er sie wieder.

Er zog sie näher an sich, so daß sie auf ihren Zehenspitzen stand und beugte ihren Kopf etwas zurück. In dieser Haltung blieb ihr nichts anderes übrig, als sich an ihm festzuhalten. Ihre Fingernägel bohrten sich in die Muskeln seiner Schultern und ihr Kopf lag auf seinem kräftigen Oberarm. Sie schloß die Augen und ohne den leisesten Widerstand öffnete sie ihre Lippen, als sein Mund sie berührte und seine Zunge Einlaß forderte. Ihr Körper bebte und zitterte. Sie war kein unschuldiges Mädchen mehr, nicht, nachdem sie verheiratet gewesen war und ein Kind geboren hatte, aber noch nie hatte sie sich so gefühlt.

Pauls Küsse waren liebevoll und irgendwie behaglich gewesen. Er hatte sie ebenso respektiert wie geliebt.

Nicht im Traum hätte er daran gedacht, sie wie ein billiges Mädchen, ein liederliches Frauenzimmer zu behandeln.

Nicht im Traum hätte er gedacht, daß die wohlerzogene Tochter des Geistlichen Gefallen an so einem vulgären Benehmen finden könnte. Anna hätte es selbst nie geglaubt.

Was war nur mit ihr los? Als seine Hand ihren Rücken hinunterglitt und die weiche Rundung ihres Pos liebkoste, wurde Anna unruhig. Sie schmolz förmlich dahin, und ihr klopfte das Herz bis zum Hals. Das alles nur, weil dieser Mann – dieser Verbrecher – es gewagt hatte, sie zu küssen und seine Hände nicht von ihr lassen konnte.

Sie war sittenlos und verdorben.

Noch während sie sich Vorwürfe machte, spürte sie, wie die Hand nun ihre bloße Schulter streichelte, langsam ihre weiche Halslinie hinunterstrich und die langen Finger suchend nach ihrer nackten Brust tasteten und sie schließlich fanden.

Als die große, warme Hand sich über ihrem zarten Fleisch schloß, war ihr, als ob sie innerlich brenne. Ihre Brustwarze wurde unter dem geschickten Kneten seiner glühenden Hand augenblicklich hart – und von irgendwoher bekam Anna plötzlich wieder Kraft, eine Kraft, die sie selbst nicht in ihr vermutet hätte. Mit einem Ruck löste sie sich aus seiner Umarmung.

»Wie können Sie es wagen! Wie können Sie es wagen mich anzufassen, Sie – Sie Schwein!« rief sie, stieß ihn weg und trat einen Schritt zurück. Sie fühlte, daß ihr Gesicht heiß war und spürte die hektischen roten Flecken auf ihren Wangen. Ihr Haar war zerzaust und fiel schwer über den schwarzen Umhang, den sie fest um ihren Körper geschlungen hielt, als könnte er sie auf wundersame Weise vor ihm beschützen. Sie keuchte und rang nach Luft. Ihre Lippen fühlten sich weich und ein wenig geschwollen an. Verwirrt, voller Scham und Angst sah sie ihn an.

Er rührte sich nicht.

»Es besteht überhaupt kein Grund sich so aufzuregen«, sagte er mit weicher Stimme und ließ sie keinen Moment aus den Augen. Auch er atmete unregelmäßig. Dunkle Flecken brannten auf der Haut seiner Wangen, und diese tiefblauen Augen erschienen ihr jetzt wieder einen Ton dunkler. »Es war nur ein Kuß, weiter nichts.«

Anna trat noch zwei, drei Schritte zurück und stieß gegen einen der zwei langen Tische, die die Empfangshalle schmückten. Das Silber darauf klirrte, und sie griff instinktiv hinter sich, um einen schweren silbernen Kerzenhalter aufzufangen, der leicht schwankte. Dabei streifte sie mit ihren Knöcheln den Deckel eines gläsernen Schaukastens. Fast unmerklich flackerte so etwas wie Triumph in ihren Augen auf, als ihr einfiel, was in dem Glaskasten war: zwei kleine silberne Duellpistolen. Lord Ridley hatte sie von seinem Vater geschenkt bekommen und stets sorgsam aufbewahrt. Sie waren höchstwahrscheinlich nicht geladen und funktionierten vielleicht auch gar nicht mehr, aber das wußte er nicht. Wenn der Kasten nur nicht verschlossen war – war er zum Glück nicht. Behutsam lüftete sie den Deckel und schlüpfte mit ihrer Hand in die Öffnung. Endlich ertasteten ihre Finger den kühlen Metallgriff der Pistole. Langsam zog sie ihre Hand wieder aus dem Schaukasten und versteckte die kleine Pistole hinter ihrem Rücken. Damit könnte es ihr, mit viel Glück, gelingen, ihn in Schach zu halten. Keine Sekunde ließ sie ihn aus den Augen. Er ließ sie zwar im Augenblick in Ruhe, aber das bedeutete noch gar nichts. Ein Gentleman war er nicht, sagte sie sich noch einmal und wurde im nächsten Moment rot, als sie daran dachte, wie sie sich ihm gegenüber verhalten hatte, einem wildfremden Mann, den sie noch nie zuvor gesehen hatte, einem Schurken, einem Frauenverächter und Dieb!

»Ich habe eine Pistole«, sagte sie heiser, zog die Waffe hinter ihrem Rücken hervor und zielte auf ihn. »Wenn Sie einen Schritt näherkommen, schieße ich.«

Überrascht weiteten sich seine Augen, dann zog er sie zu schmalen Schlitzen zusammen. Einen Moment lang wanderten sie zu der Pistole dann wieder zurück zu ihrem Gesicht. Er sah immer noch überlegen aus, machte aber keine Anstalten, sie zu überrumpeln, ja, er hob sogar seine Hände ein wenig hoch. Nur mit äußerster Willenskraft brachte Anna ihre zitternden Hände wieder unter Kontrolle. Sie zwang sich ganz ruhig in diese nachtschwarzen Augen zu blicken, obwohl ihr Herz wild klopfte.

»Wir wollen jetzt wirklich nichts überstürzen«, sagte er und streifte die Pistole wieder mit einem kurzen Blick. »Ich habe Ihnen nicht weh getan und führe auch nichts Böses gegen Sie im Schilde.«

Anna schnaubte, den Lauf der Pistole drohend auf ihn gerichtet. Es hätte Eindruck auf sie gemacht, wäre sie an seiner Stelle gewesen. Er aber schien davon völlig unberührt.

»Sie werden jetzt verschwinden, und zwar auf der Stelle!« Anna gab sich große Mühe autoritär zu klingen, fürchtete aber, daß sie doch nicht so überzeugend gewirkt hatte. Er rührte sich jedenfalls nicht von der Stelle, ja, er schüttelte sogar bedauernd den Kopf.

»Ich fürchte, das kann ich nicht. Zumindest nicht ohne Sie.« Er grinste sie an, ein schelmisches Grinsen, das sie unter anderen Umständen vielleicht charmant gefunden hätte.

»Sie brauchen keine Angst vor mir zu haben. Ich will Ihnen nichts tun – und ich will Sie auch zu nichts zwingen – aber Sie müssen verstehen, daß ich Sie nicht so einfach zurücklassen kann.« Seine Stimme klang beruhigend und das, was er sagte, klang logisch und einleuchtend. Man hätte denken können, daß sie sich unerhört benahm und er auf sie einredete, um sie wieder zur Vernunft zu bringen. Er hatte seine Fassung sehr schnell wiedergefunden, falls er sie je verloren hatte. Neugierig betrachtete er sie und die Pistole. Auch ohne seinen Umhang sah er fabelhaft aus. Sein Gehrock war schwarz wie sein Umhang und nicht zu modisch. Auch seine Hose war schwarz, zwar nicht ganz der letzte Schrei, aber von hervorragender Paßform. Seine kräftige Oberschenkelmuskulatur zeichnete sich jedenfalls eindrucksvoll ab. Von Hoby’s waren seine Stiefel nicht, aber gut gepflegt, obschon ein wenig abgetragen und schwarz, wie der Rest seiner Kleidung. Sein weißes Hemd war ein bißchen zerknittert und die Krawatte sehr nachlässig gebunden. Kein Gentleman, beschloß sie wiederholt, aber verteufelt attraktiv.

»Verschwinden Sie doch, um Himmels willen! Bitte!« Ihre Stimme zitterte noch mehr als die Pistole in ihrer Hand.

Er lächelte wieder und schüttelte den Kopf. »Ich fürchte, das kann ich nicht. Ich bin fest überzeugt, daß Sie in dem Moment, in dem ich Ihnen den Rücken zudrehe, um Hilfe schreien. Und ich mag es nicht, wenn man mir eine Kugel in den Rücken jagt oder eine Schlinge um den Hals legt. Aber ich werde Sie, sobald ich in Sicherheit bin, freilassen und Ihnen natürlich auch Geld für die Rückreise geben. Es wird Ihnen nichts geschehen, das verspreche ich Ihnen.«

»Keinen Schritt werde ich mit Ihnen gehen. Haben Sie keine Augen im Kopf? Ich habe eine Pistole!«

Kaum merklich verhärtete sich sein Mund und die Brauen zogen sich zusammen. »Ich habe keine Zeit, hier herumzustehen und mich mit Ihnen zu streiten. Es hilft nichts; Sie müssen mit mir kommen. Dabei haben Sie die Wahl, ob Sie mir mit ein wenig Anstand und Würde folgen wollen, oder ob ich Sie mit meinem Taschentuch knebeln, Ihnen Ihre Hände auf dem Rücken fesseln und über meiner Schulter wie einen Sack Kohlen hinaustragen soll.«

»Wenn Sie nur einen Schritt tun, schieße ich. Ich meine es ernst.« Ihre Stimme klang nervös. Er konnte doch nicht einfach ignorieren, daß sie eine Waffe in der Hand hatte, deren Lauf direkt auf ihn gerichtet war – oder doch?

»Diese Pistole sieht älter aus als ich bin – darüber hinaus funktioniert sie nicht mehr. Es fehlt der Hahn.« Er zuckte mit den Achseln. »Unter diesen Umständen werde ich es einfach riskieren. Schießen Sie.«

Als sie begriffen hatte, was er meinte und ihre Augen erschrocken zu der Pistole in ihrer Hand wanderten, stürzte er sich auf sie. Seine Bewegung kam so überraschend, daß Anna automatisch abdrückte. Mit einem ohrenbetäubenden Knall löste sich ein Schuß. Dann entwand er ihr die Pistole und warf sie in hohem Bogen fort. Sie keuchte und wehrte sich, als seine Hände sie bei den Armen packten und herumrissen. Der Ruck war so stark gewesen, daß sie das Gleichgewicht verlor. Vergeblich suchte sie mit ihren Händen Halt.

Anna war zu erschrocken, um zu schreien, als sie mit ihrer Hüfte auf dem Boden aufschlug. Der Aufprall erschütterte jeden Knochen in ihrem Leib. Und schon wieder war er über ihr und machte sich daran, seine Drohung, ihr sein Taschentuch in den Mund zu stopfen, in die Tat umzusetzen. Sie keuchte, spuckte, würgte, gab ein paar erstickte Laute von sich, aber er quetschte ihr das trockene Tuch immer tiefer in den Mund und drehte sie halb zur Seite. Zweifellos wollte er ihr die Hände hinter dem Rücken fesseln. Mit einer Hand und einem Knie drückte er sie auf den Boden, während er mit der anderen Hand an seinem Krawattenknopf herumnestelte. Damit wollte er ihr also die Hände fesseln. Schon bald würde sie ihm hilflos ausgeliefert sein, und er würde sie fortschleppen – um was mit ihr anzustellen? Daß er sie umbringen wollte, schien mittlerweile nicht sehr wahrscheinlich. Wahrscheinlicher war, daß er sie vergewaltigen, oder besser gesagt, auf seine besondere Art verführen wollte.

Zu ihrer Schande mußte sie sich eingestehen, daß der Gedanke daran ihr keine Angst machte, sondern im Gegenteil, sie sogar erregte, ihr Blut erhitzte und ihr Herz ein wenig schneller schlagen ließ.

»Das nächste Mal rate ich Ihnen, nicht so vertrauensselig zu sein, Grünauge.« Der Spott in seiner Stimme nagte mehr an ihr als seine Worte. Wie dumm von ihr, auf seinen Trick hereinzufallen. Die Tatsache, daß sie eine geladene Pistole in der Hand gehabt und sich hatte so übertölpeln zu lassen, machte sie wütend. Nicht, daß sie ihn hätte erschießen wollen – zumindest nicht absichtlich. Wenn sie aber ein zweites Mal in der gleichen Situation wäre, könnte es leicht sein, daß dieser grinsenden Kreatur das dämliche Grienen verging ...

Wieder war sie in seiner Gewalt. Sie erschauerte bei dem Gedanken. Dann aber kam ihr plötzlich zu Bewußtsein, daß sie den Schlüssel zu ihrer Rettung in ihrer Hand hielt: den schweren, silbernen Kerzenleuchter, der neben dem Schaukasten auf dem Tisch gestanden hatte. Als sie zu Boden gefallen war, hatte sie instinktiv danach gegriffen.

Ihre Hände waren unter dem Umhang versteckt. Der Druck auf ihr war lockerer geworden. Er war im Augenblick hauptsächlich damit beschäftigt, den Krawattenknopf zu lösen. Anna griff den Kerzenleuchter fester, schloß ihre Augen und wartete.

Das Spiel war noch nicht zu Ende.

Dann, als er sich die Krawatte vom Hals gezogen und Anna auf die Beine gestellt hatte, schlug sie zu. Mit enormer Geschwindigkeit und Wucht schnellte ihre Hand hinter ihrem Rücken hervor. In seinen Augen flackerte für den Bruchteil einer Sekunde Überraschung auf, als der Kerzenhalter mit einem Geräusch, das Anna unter anderen Umständen den Magen umgedreht hätte, auf seiner Schläfe aufschlug.

Mit bebender Brust und weit aufgerissenen Augen starrte Anna in das verdutzte Gesicht des Schuftes, der immer noch drohend vor ihr stand.

Dann, mit einem leisen Stöhnen, brach er lautlos vor ihren Füßen zusammen.

Jetzt endlich gelang es ihr, lauthals zu schreien. Wie sie auf den bewegungslosen Körper zu ihren Füßen starrte, machte sich die Anspannung der vergangenen Wochen endlich Luft. Markerschütternde Schreie kamen aus ihrem Mund. Auch wenn sie gewollt hätte, hätte sie nicht aufhören können.

Kapitel 5

»Um Gottes willen, Miß Anna, was ist passiert?«

»Miß Anna, Miß Anna, wollte jemand Sie umbringen?«

Annas Schreie hallten immer noch an den dicken Steinmauern wider, als Davis, der grauhaarige, korpulente Butler, der schon bei den Traverne’s gedient hatte, als Paul noch nicht auf der Welt war, in Begleitung von Beedle, dem ersten Diener, in die Empfangshalle stürzte. Beide Männer waren nur notdürftig bekleidet. Davis hing sein Hemd aus der Hose und Beedle lief barfuß. Sie waren bewaffnet. Beedle mit einer uralten Axt, die gewöhnlich über dem Kücheneingang hing und Davis mit einem Feuerhaken. Rudernd und nach Luft japsend stürzten sie durch die Türe und blieben dann abrupt stehen. Mit großen Augen blickten sie auf Anna, die beide Hände auf ihren Mund gepreßt mit zerzausten Haaren und nur im Nachthemd, das unter dem viel zu großen Umhang hervorlugte, über einer am Boden liegenden Gestalt gebeugt stand. Der schwere Kerzenleuchter, der normalerweise auf dem Tisch stand, lag neben dem Mann zu Annas Füßen und in einiger Entfernung befand sich eine Pistole auf dem Steinfußboden. Rauch und der beißende Geruch von Schießpulver erfüllten die Luft.

»Miß Anna, was ist passiert? Wer ist dieser Mann?«

Davis kannte sie schon seit ihrer Kindheit. Mit dem Privileg eines alten Bediensteten der Familie eilte er auf Anna zu und rüttelte sie an der Schulter. »Hören Sie mit dem Lärm auf, Miß Anna, und sagen Sie uns, was los ist. Sind Sie verletzt?«

Die offensichtliche Sorge des alten Buttlers um sie brachte sie wieder zur Besinnung. Sie schluckte ein-, zweimal schwer, erschauerte und sah zu dem Mann zu ihren Füßen hinunter.