Im Licht der Horen - Petra E. Jörns - E-Book

Im Licht der Horen E-Book

Petra E. Jörns

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Beschreibung

Auf der Suche nach dem unbekannten Feind, der die Menschheit bedroht, muss sich die Crew des kolonialen Kriegsschiffs CFF Nyx als Schmuggler getarnt auf einem unwirtlichen Planeten durchschlagen. Sie stoßen dabei nicht nur auf den Feind, sondern auch auf Verrat in den eigenen Reihen, der die Existenz der Kolonien bedroht. Gemeinsam mit dem psi-begabten Piloten Jameson McAllister stellt sich die Ingenieurin Deirdre MacNiall der Gefahr und entdeckt dabei, dass Jameson sie mehr liebt, als sie ahnte, und dazu bereit ist, mehr Risiken einzugehen, um mit ihr zusammen zu sein, als ihr lieb ist.

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Anatole

Petra E. Jörns
Im Licht der Horen
Anatole – Sonnenaufgang
Space Opera

Inhalt

AnatoleProlog1. Kapitel2. Kapitel3. Kapitel4. Kapitel5. Kapitel6. Kapitel7. Kapitel8. Kapitel9. Kapitel10. Kapitel11. Kapitel12. Kapitel13. Kapitel14. Kapitel15. Kapitel16. Kapitel17. Kapitel18. Kapitel19. Kapitel20. Kapitel21. Kapitel22. Kapitel23. Kapitel24. Kapitel25. Kapitel26. Kapitel27. Kapitel28. Kapitel29. Kapitel30. Kapitel31. Kapitel32. Kapitel33. Kapitel34. Kapitel35. Kapitel36. KapitelEpilogDanksagungImpressum

Prolog

McAllister. Jameson McAllister. Jameson …
Der Name passte nicht zu ihm. Versonnen nippte Dee an dem Rotwein. Das langstielige Glas in ihrer Hand funkelte in der untergehenden Sonne. Der Blick über die abendliche Bucht war atemberaubend. Dee genoss ihn wie den Wein. Diese Aussicht, diese Wohnung, auch wenn sie etwas klein und abseits der Stadt war, war genau das, was sie sich immer gewünscht hatte.
Die Luft war immer noch lau. Weit unter ihr liefen die Wellen des Meeres auf den weißen Strand, der tagsüber von Surfern heimgesucht wurde. Möwen schrien am Himmel, machten einen letzten Rundflug, um dann auf den Felsen zu nächtigen, nachdem die Strahlen der untergehenden Sonne erloschen waren. Das Meer badete in dem verglühenden Licht.
Nur etwas fehlte. Jemand, der die Aussicht und den Wein mit ihr teilte. Dees Blick fiel auf die halb leere Flasche Rotwein. Ein guter Tropfen. Die verbliebene Hälfte würde schal werden.
Ein kantiges Männergesicht tauchte vor ihr auf. Grübchen erschienen in den Wangen, als er lächelte. Winzige Sommersprossen sprenkelten seine Nase. Die blonden kurzen Haare waren wie stets zerzaust.
Ein Ziehen breitete sich in Dees Magen aus.
Nein, Jameson passte ganz und gar nicht zu ihm. Jameson klang nach seinem Großvater, einem altehrwürdigen Mann mit grauen Schläfen. Jim wäre passend. Oder James. Aber keinesfalls Jameson.
Morgen. Morgen sah sie ihn wieder. Auf der Nyx.
Sie drehte das Rotweinglas in den Händen und hielt es gegen das Licht der sterbenden Sonne. Die Flüssigkeit leuchtete wie Rubine.
Sie hätte ihn einladen können. Nein, nein. Keine gute Idee. Sie war seine Vorgesetzte. Und er war sieben Jahre jünger als sie. Was sollten die Leute denken? Was sollte er denken?
Sprach irgendjemand von Heiraten? Es wäre nur schön, wenn er hier wäre, um mit ihr die Aussicht und den Wein zu genießen. Mehr nicht.
Mehr nicht?
Die Wohnung, die kurz zuvor noch so perfekt gewesen war, wirkte mit einem Mal leer. Das Schreien der Möwen klang einsam. Dee fröstelte.
Drinnen summte das Komm. Dee zögerte.
Das konnte nur Siobhan sein. Wahrscheinlich wollte sich die Schwägerin verabschieden, bevor sie morgen wieder mit der Nyx verschwand.
Das Summen wiederholte sich.
Mit einem Seufzen stellte Dee das Weinglas auf dem Bistrotisch ab und stand auf. Als sich das Summen hartnäckig wiederholte, beschleunigte sie ihre Schritte.
In der Dachwohnung war es dunkel. Sie stieß sich das Schienbein am Sofa und unterdrückte einen Fluch. Im Halbdunkel entdeckte sie endlich das sanfte Leuchten des aktivierten Interkomms und griff danach.
»Admiralität« stand da. Erstaunt drückte Dee auf die Annahmetaste. Eine Textmeldung erschien: »Erwarte Sie morgen um null neunhundert in der Admiralität, Raum 321, zur Einsatzbesprechung unserer neuen Mission. Captain Coulthard.«
Ein heißer Stich fuhr durch Dees Eingeweide. Sie las die Nachricht noch einmal.
Eine neue Mission. Keine Patrouillenflüge. Eine neue Mission, die eine Einsatzbesprechung in der Admiralität verlangt. Das klang nicht gut. Das klang gar nicht gut.
Dann begriff sie plötzlich, was das noch bedeutete.
Sie würde ihn morgen nicht sehen.
Dee biss sich auf die Lippen.
Dann eben übermorgen. So lange würde sie doch warten können.
Und wenn es bedeutete, dass er aus der Crew herausgenommen werden sollte? Nein, nein, das war unmöglich. Nicht nach all dem, was sie dafür getan hatte. Das … das war nicht fair.
Dee presste den Handrücken gegen den Mund und ließ sich langsam auf das Sofa sinken. Ruhig. Ganz ruhig. Sie würde ihn wiedersehen. Sie musste ihn wiedersehen, um …
Was eigentlich?
Dee wusste keine Antwort.

1. Kapitel

»Was tust du denn hier?«
»Das Gleiche könnte ich dich fragen.« Paul setzte ein herablassendes Lächeln auf.
Dee spähte an ihrem Ex-Ehemann vorbei auf die Zimmernummer des Raums, vor dem sie auf ihn getroffen war. 321 stand da. Sie war also richtig. »Ich wurde zu einer Einsatzbesprechung gerufen.« Und jetzt lass mich in Ruhe, dachte sie.
Pauls Lächeln wandelte sich von herablassend zu süffisant. »Und ich werde sie leiten. Ist das nicht ein netter Zufall?«
Ganz bestimmt nicht. »Wunderbar.« Sie wollte an Paul vorbeigehen, aber der tat so, als bemerke er es nicht und verstellte ihr den Weg.
»War dein Termin bei Admiral Nikolajewa eigentlich erfolgreich?«
»Ich glaube nicht, dass dich das etwas angeht.«
»Warum so schnippisch? Ich will doch nur sichergehen, dass deine Ausgabe sich gelohnt hat.«
»Das wäre etwas Neues.«
»Nachdem du die Wohnung so lange mit Zähnen und Klauen verteidigt hast, werde ich mich doch wundern dürfen, dass du sie so einfach mir nichts, dir nichts für einen Termin bei Admiral Nikolajewa hergegeben hast.«
»Du darfst. War das alles?«
Paul hob seine Rechte. »Ich wollte nur wissen, ob dein Einsatz sich ausgezahlt hat.«
»Wenn du es nicht weißt, dann sollst du es vielleicht nicht wissen«, konterte Dee.
»McAllister. Also doch!« Paul schnaubte. »Ich hatte mich schon gewundert, weshalb sein Name in der Crewliste auftauchte. Sag mal, was findest du an ihm? Er ist doch nur ein grüner Junge mit Starallüren, der zufällig die richtigen Beziehungen hatte. Das Wort Hochverrat verkneife ich mir mal.«
Dee ballte die Fäuste. »Dass jemand besser fliegen kann als du, kannst du wohl nicht in Betracht ziehen. Oder?«
Ein süffisantes Lachen entschlüpfte Paul. »Du willst doch nicht etwa behaupten, dass er es dir besser besorgt als ich?«
Am liebsten hätte Dee sein Lachen mit ihrer Faust zerschlagen. »Du liegst völlig falsch, mein Lieber. Ich schuldete ihm etwas. Er hat zufälligerweise mein Leben gerettet.« Mehr noch – er hatte die gesamte Mission gerettet und damit wahrscheinlich auch Pauls feigen Arsch.
Paul schüttelte bedauernd den Kopf. »Wie dumm von mir! Ich hätte es wissen müssen. Sex hat für dich noch nie eine Rolle gespielt.«
»Jedenfalls nicht mit dir«, fauchte Dee.
Jemand räusperte sich hinter ihr. Als Dee sich umdrehte, erkannte sie Doktor Tipton, den Schiffsarzt der Nyx, auf der sie stationiert war. Er hob fragend die ergrauten Augenbrauen. »Wären Sie so freundlich, mich zur Tür durchzulassen? Lieutenant Commander … Wie war doch Ihr Name?«
»Gallagher. Paul Gallagher«, antwortete Paul zuvorkommend und trat beiseite.
Tipton verzog sein zerknautschtes Gesicht zu der Andeutung eines Lächelns. »Sehr freundlich, Commander Gallagher.«
Dee nutzte die Gelegenheit und schlüpfte an Paul vorbei in den Raum. Erleichtert atmete sie auf.
Ein kleiner Konferenzraum tat sich vor ihr auf. Captain Coulthard sah auf, als sie den Raum betrat, und nickte ihr zu. De Sutton saß zu ihrer Linken und rang sich ein Heben der Augenbrauen als Begrüßung ab.
Tipton strebte bereits dem Stuhl zu Coulthards Rechter zu. Da Dee wenig Lust hatte, sich neben De Sutton zu setzen, ließ sie sich neben Tipton nieder.
Paul betrat den Raum und schritt auf den Tisch in der Mitte zu, um dort die Akten abzulegen, die er unter dem linken Arm trug. Mit gewichtiger Miene sah er die Papiere durch.
»Wer ist der aufgeblasene Wichtigtuer?«, raunte Tipton hinter vorgehaltener Hand in Dees Richtung.
»Mein Ex-Mann.«
»Mein herzliches Beileid.«
Dee musste grinsen. »Danke. Aber wir sind geschieden. Endgültig.«
»Freut mich für Sie.«
Wie auf Kommando tauchte McAllisters Gesicht vor Dee auf. Ja, bekräftigte sie sich selbst, ganz gleichgültig, wie sich ihre Zukunft entwickelte, sie waren geschieden.
Endlich.
***
Als Watanabe, der Leiter der Einsatztruppen der Nyx, erschien und sich notgedrungen neben De Sutton auf den letzten freien Stuhl setzte, hob Paul den Kopf und lächelte freundlich in die Runde. »Nun, da wir damit vollzählig sind, können wir beginnen.« Er richtete sich auf und räusperte sich. »Ich darf Sie im Namen von Admiral Nikolajewa recht herzlich hier begrüßen. Ich bin Lieutenant Commander Paul Gallagher und werde Ihnen im Namen von Admiral Nikolajewa Ihre Einsatzbefehle übermitteln. Haben Sie noch Fragen dazu?«
Niemand meldete sich.
»Gut.« Paul lächelte gewinnend. »Wie Ihnen ja bekannt ist, ist in unserem Raumsektor eine neue Partei aufgetaucht. Nach unserem momentanen Kenntnisstand müssen wir davon ausgehen, dass uns diese Partei feindlich gesinnt ist. Nach Auswertung aller bisher gesammelten Daten fiel uns auf, dass ein gehäuftes Auftreten von Objekten mit einer Energiesignatur der von Ihnen sichergestellten Schusswaffen dieser Partei in Raumsektor Epsilon 34, Gamma 101 verzeichnet wurde.« Eine dreidimensionale Abbildung des bezeichneten Raumsektors erschien zwischen den Tischen.
Dee richtete sich kerzengerade auf. Hatte Paul eben tatsächlich behauptet, dass Objekte mit einer verwandten Energiesignatur gefunden worden waren? Im nächsten Moment erkannte sie den Raumsektor, den Paul aufgerufen hatte.
»Der Raumsektor, um den es sich handelt, dürfte Ihnen bekannt sein. Es handelt sich um einen Teil der entmilitarisierten Zone, benachbart zum Raum der Erdregierung. Wir konnten einen Planeten als besonders verdächtig einstufen.« Einer der leuchtenden Punkte im 3-D-Bild wurde rot. »Das ist Olympus. Besser bekannt als Hauptumschlagplatz diverser Schmuggler und Piraten, die sich in der entmilitarisierten Zone breitgemacht haben. Soweit zu den Fakten.« Paul schaltete das virtuelle 3-D-Bild ab. Er lächelte.
»Ihre Aufgabe wird es sein, sich mit einem Frachter, der Ihnen von der Admiralität gestellt wird, und versehen mit entsprechenden Tarnidentitäten auf Olympus umzusehen, um die Herkunft dieser Objekte ausfindig zu machen. Eine Liste mit den genauen Spezifikationen wird Ihnen dazu noch zugehen. Geben Sie sich als Kaufinteressenten aus und vermeiden Sie es um jeden Preis, dort aufzufallen oder schlimmer noch, mit der Kolonialen Flotte in Verbindung gebracht zu werden. Der Senat und die Admiralität werden jegliche Kenntnis Ihrer Mission leugnen. Wir gehen fest davon aus, dass auch Agenten der Erdregierung auf Olympus unterwegs sind. Diese und deren Ziele unauffällig – die Betonung liegt auf unauffällig – ausfindig zu machen, wäre ein weiterer Aspekt Ihrer Mission. Hauptaugenmerk ist jedoch, wie bereits erläutert, herauszufinden, ob der neue Feind im besagten Raumsektor operiert und falls ja, auf welche Weise und zu welchem Zweck.« Ein joviales Schmunzeln zeigte sich auf Pauls Gesicht. »Ich muss Ihnen nicht sagen, dass wir hoffen, auf diese Weise an Informationen hinsichtlich des Heimatsektors der neuen Partei zu gelangen. Aber wir wollen unsere Erwartungen nicht zu hoch setzen. Haben Sie noch Fragen dazu?«
Jede Menge, hätte Dee am liebsten geantwortet. Wie kam die Admiralität dazu, sie als Agenten einzusetzen? Sie waren …
»Mit Verlaub.« De Sutton räusperte sich. »Aber wir sind Offiziere der Kolonialen Flotte und keine Geheimagenten.«
Ausgerechnet er musste aussprechen, was Dee dachte.
»Darf ich Sie an die Einverständniserklärung erinnern, künftig im Bedarfsfall für die Schattenabteilung tätig zu werden, die Sie alle unterzeichnet haben?« Wieder lächelte Paul sardonisch.
Abgepresst wurde sie ihnen.
»Ohne die alle meine Offiziere in Haft säßen«, erwiderte Coulthard freundlich. »Ja, ich erinnere mich daran. Dürfte ich dennoch fragen, weshalb wir für diese Mission ausgewählt wurden?«
»Die Antwort ist recht einfach. Weil Sie bereits mit dem neuen Feind Kontakt hatten und wir die Zahl der Wissenden möglichst klein halten wollen. Zudem haben Sie sich in dieser Krisensituation bestens bewährt. Damit haben Sie sich nicht nur aus meiner Sicht für diese Mission hinreichend qualifiziert. Auch wenn einigen von Ihnen vielleicht das erforderliche Know-how in Sachen Geheimhaltung abgeht. In dieser Hinsicht bauen wir auf Ihre weitreichende Erfahrung, Captain Coulthard.«
Schmeicheln konnte er schon immer gut.
»Wenn ich das jetzt richtig verstehe, haben wir also keine Möglichkeit, Ihr freundliches Angebot abzulehnen«, mischte sich Tipton ein.
»In der Tat.«
In Dee keimte bei Pauls neuerlichem Lächeln der Verdacht auf, dass ihm seine Position Freude bereitete.
»Und falls wir die Zielkoordinaten der Aliens herauskriegen, haben wir den Jackpot geknackt.«
»Ihre Annahme ist korrekt, Doktor Tipton.«
»Schön. Und was kriegen wir dafür? Ruhm und Ehre wohl kaum. Weitere derartige Missionen – nein danke. Und auf finanzielle Mittel darf ich wohl auch nicht hoffen. Wofür also sollen wir unseren Arsch riskieren, wenn wir nicht hoffen dürfen, im Notfall von Ihnen Unterstützung zu erhalten? Ich für meinen Teil würde eine angenehme Zelle einer Himmelfahrtsmission durchaus vorziehen.«
Coulthard hob die Augenbrauen, wenn Dee auch ein leichtes Zucken der Mundwinkel zu erkennen glaubte. Während sich De Sutton, wie nicht anders zu erwarten, missbilligend räusperte.
»Es steht Ihnen frei, den Rest Ihres Lebens in einer Zelle zu verbringen, Doktor Tipton. Aber als Offizier der Kolonialen Flotte hatte ich natürlich darauf gehofft, dass Sie Ihrer Regierung mit Fr …«
»Lassen Sie den Schmus!«, knurrte Tipton. »Sie zwingen uns dazu, die Kastanien aus dem Feuer zu holen. Ich will eine Gegenleistung dafür sehen. Und Ihr Chef weiß, dass er mich braucht. Sonst wäre ich kaum hier.«
Zum ersten Mal, seit er im Raum war, entglitt Paul das Lächeln. »Und an welche Art der Gegenleistung hatten Sie gedacht, Doktor Tipton?«
»Finanzmittel für meine Forschungen. Freie Hand in der Fortführung meiner Arbeit. Ansonsten können Sie sich sowohl meine Mitarbeit bei Ihrem Experiment als auch bei dieser Mission in die Haare schmieren.«
Paul schluckte. »Ich muss darüber mit Admiral Nikolajewa Rücksprache halten.«
»Dann tun Sie das und lassen Sie mich das Ergebnis wissen. Von mir aus können Sie jetzt fortfahren in Ihrem Text.« Tipton lehnte sich in seinem Stuhl zurück und verschränkte die Arme vor der Brust.
Paul hüstelte in seine hohle Hand. »Möchte noch jemand in diesem Raum Bedingungen vorbringen?« Er holte bereits Luft, um fortzufahren, als Coulthard sich zu Wort meldete.
»Ich hätte durchaus noch etwas dazu vorzubringen. Unter vier Augen. Gegenüber Admiral Nikolajewa.«
Paul hob die Augenbrauen. »Wenn Sie es wünschen, arrangiere ich einen Termin.«
»Und ob ich es wünsche.« Coulthards Miene nahm einen zufriedenen Ausdruck an.
Ein aberwitziger Gedanke schoss durch Dees Kopf. »Ich möchte ebenfalls einen Termin mit Admiral Nikolajewa.«
»Ich glaube nicht, dass das nö …«
»Und ich glaube sehr wohl, dass es nötig ist, falls Sie sich keine andere Ingenieurin für den Auftrag suchen wollen.«
Paul sandte ihr einen Blick zu, von dem Dee sicher annahm, dass er sie auf der Stelle getötet hätte, wäre Paul dazu fähig, mit Blicken zu töten. »Noch irgendwelche Bedingungen?«, schnauzte er in Richtung Watanabe und De Sutton.
»Es genügt mir völlig, meiner Regierung zu dienen.« De Sutton zog seine Uniformjacke gerade.
Watanabe schüttelte nur den Kopf.
»Gut, dann können wir vielleicht endlich fortfahren«, ergriff Paul wieder das Wort. Er warf jedem ein Pad zu. »Hier die Informationen, die Sie benötigen. Machen Sie sich damit vertraut, bis wir uns heute dreizehnhundert zu einem erneuten Briefing treffen. Als Nächstes müssen wir noch die Personalsituation besprechen.«
Dees Herz machte einen Satz. Mit zitternden Händen griff sie nach dem Pad. Kurz rief sie die Datenoberfläche ab und fand darauf Themen wie Frachterspezifikationen, Informationen über die Fremden und Olympus. Vielleicht … Er musste dabei sein. Sie brauchten ihn.
»Sie können insgesamt zwölf Personen mit an Bord des Frachters nehmen. Zu den anwesenden fünf Personen können also weitere sieben hinzukommen. Darunter sollte sich ein wenigstens fünf Mann umfassendes Einsatzteam befinden. Die Auswahl der Männer überlassen wir Ihnen, Lieutenant Watanabe.«
Watanabe nickte nur.
»Junior Lieutenant Nayiga?« Captain Coulthard sah in die Runde.
»Ich könnte ihre Funktionen an der Konsole übernehmen«, wandte De Sutton ein. »Immerhin handelt es sich nur um einen Frachter.«
»Wir könnten eine Kommunikationsspezialistin benötigen«, warf Watanabe ein.
»Korrekt.« Coulthard nickte. »Nehmen Sie sie auf die Liste, falls es keine Einwände gibt.« Da sich in der kurzen Pause niemand meldete, fuhr Coulthard fort: »Ein Pilot?«
Dees Herz schlug bis zum Hals.
»Lieutenant Watanabes Kenntnisse sollten ausreichen, um den Frachter zu fliegen«, sagte De Sutton schnell, »und ich will auf keinen Fall diesen Hitzkopf McAllister an Bord haben.«
Die Worte glichen einem Schlag ins Gesicht. Dee knirschte mit den Zähnen.
»Wir sollten einen Ersatz an Bord haben. Ihre Meinungen?« Coulthard hob fragend die Augenbrauen.
De Sutton richtete sich in seinem Stuhl auf. »Ich sagte es bereits. Auf keinen Fall Lieutenant McAllister.«
Dee glaubte ein hämisches Lächeln um Pauls Mundwinkel zu sehen.
»Hat noch jemand etwas gegen Lieutenant McAllister einzuwenden?«
»Mit Verlaub, Ma’am.« Dees Herz klopfte ihr bis zum Halse. Vorsicht, mahnte sie sich. Vorzubringen, er wäre der bessere Pilot, führte zu nichts. Aber es gab noch einen anderen Grund, ihn mitzunehmen. »Aber immerhin war er als Einziger an Bord der Nyx in der Lage, die Gedankenmanipulation der Fremdrasse abzuwehren. Ohne ihn säßen wir alle nicht hier.«
»Ich schließe mich meiner Vorrednerin an«, knurrte Tipton. »Ohne den Jungen bin ich draußen. Ich werde garantiert nicht meinen Kopf hinhalten, ohne wenigstens ein Sicherungsseil dabeizuhaben.«
Watanabe nickte. »Ich bin Ihrer Meinung, Doktor. Wir brauchen ihn unbedingt. Ohne ihn haben wir keine Aussicht auf Erfolg. Nicht unter den gegebenen Bedingungen.«
»Ich schließe mich Ihnen an. Commander De Sutton, bestehen Sie auf Ihr Veto?« Coulthard sah ihn an.
Mit einem Ruck zog der seine Uniformjacke gerade. »Und ob ich das tue. Lieutenant McAllister ist ein Opportunist und Querulant. Unsere Mission kann durch ihn nicht nur empfindlich gestört werden, ich sehe sie in höchstem Maße gefährdet, sollte er zum Team gehören. Zudem ist es keineswegs gesichert, dass wir auf ein weiteres Exemplar der betroffenen Spezies treffen werden. Nur auf eine Vermutung hin werde ich dieser Personalentscheidung auf keinen Fall zustimmen.«
Coulthard hob die Augenbrauen. »Die genannten Argumente sind durchaus schlüssig, De Sutton.«
»Und rühren aus meiner Sicht nur von einer falsch verstandenen Sympathie für Lieutenant McAllister her«, antwortete De Sutton.
Dee presste die Lippen aufeinander. Sie glaubte sich in die vorherige Mission zurückversetzt. »Sir, bei allem Respekt«, wandte sie sich mit emotionsloser Stimme an De Sutton, »aber Sie sollten sich vielleicht fragen, ob Ihre Ablehnung von Lieutenant McAllister nicht eher von Ihrer Antipathie ihm gegenüber herrührt, anstatt aus den von Ihnen angeführten Bedenken.«
De Suttons Miene vereiste. »Ich glaube nicht, dass es Ihnen zusteht, über meine Beweggründe zu urteilen, Commander MacNiall.«
»Das genügt«, schnitt Coulthard ihm das Wort ab. »Ich habe Ihre Bedenken zur Kenntnis genommen. Commander Gallagher, schreiben Sie Lieutenant McAllister auf die Liste.«
Paul lächelte zuvorkommend. »Falls ich noch etwas zu der Person äußern dürfte … Lieutenant McAllisters Name wird von mir aus gutem Grund nicht in der Liste der zur Verfügung ste …«
»Kommen Sie mir jetzt nicht mit irgendwelchen fehlenden Sicherheitsfreigaben«, knurrte Coulthard. »Ich sehe das ähnlich wie Doktor Tipton, wenn ich es auch nicht so krass ausdrücken möchte. Sollte wieder eine Spezies wie die Kopie der Botschafterin auftauchen, sind wir ohne ihn aufgeschmissen. Sollten Sie also Wert auf das Gelingen der Mission legen, dann schreiben Sie ihn auf Ihre verdammte Liste. Habe ich mich klar und deutlich ausgedrückt?«
Paul wirkte, als habe er eine Kröte verschluckt. »Ich muss die Personalliste natürlich zuerst von Admiral Nikolajewa absegnen lassen. Das verstehen Sie sicherlich.«
»Oh, sie wird nichts einzuwenden haben. Vertrauen Sie mir.« Coulthard lächelte. »Schön, bleiben nach meiner Rechnung fünf Leute für das Einsatzteam, Watanabe.«
Dee räusperte sich. »Ma’am, dürfte ich um Verstärkung bitten? Ich möchte PO Peres vorschlagen. Sollte ich ausfallen, haben Sie mit ihr einen fähigen Ersatz an Bord.«
Coulthard blickte Watanabe an. »Ihre Entscheidung.«
Der große Japaner runzelte die Stirn. Nach einem kurzen Moment nickte er. »Vier Mann genügen. Ich werde zudem welche mit Reparaturkenntnissen aussuchen, damit sie MacNiall im Bedarfsfall unterstützen können. Als Ausgleich will ich McAllister im Einsatzteam haben, falls es erforderlich ist. Seine Qualifikationen sind dafür mehr als ausreichend.«
»Ma’am, das ist …« Weiter kam De Sutton nicht.
»Akzeptiert.« Coulthard lächelte honigsüß. »Und nun würde ich gerne den Frachter sehen.«
***
»Das ist kein Frachter. Das ist ein Schrotthaufen.« Schon von außen war Dee versucht gewesen, das Raumschiff so zu nennen, als sie es im Hangar entdeckt hatte. Aber sie war gewillt gewesen, dem Vehikel eine zweite Chance zu geben. Nachdem sie jedoch den Maschinenraum gesehen hatte, stand ihr Urteil fest.
»Wie ich hörte, sind Sie eine der besten Ingenieurinnen der Flotte«, lächelte Paul. »Da wird es Ihnen doch ein Leichtes sein, diesen Frachter wieder funktionsfähig zu machen.«
»Sicher kann ich das. Aber nicht in drei Tagen. Dazu müsste ich Wunder wirken können. Das weißt du … das wissen Sie!«
»Sie können alles erhalten, was Sie benötigen.« Wieder schenkte Paul ihr dieses selbstgefällige Grinsen.
»Dann lassen Sie ein zwanzigköpfiges Team anrücken. Sofort!« Dee verschränkte die Arme vor der Brust.
Coulthard trat hinzu. »Gibt es Probleme, MacNiall?«
»Ma’am, mit Verlaub, aber allein mit Peres’ Unterstützung kann ich in drei Tagen nicht einmal die allerwichtigsten Funktionen dieses Schrotthaufens wieder instand setzen. Dazu bräuchte ich entweder drei Wochen oder ein zwanzigköpfiges Ingenieurteam. Und mit den allerwichtigsten Funktionen meine ich nicht den Sprungantrieb.«
»Bedaure«, näselte Paul. »Ich kann Ihnen beides nicht bieten. Sie starten in drei Tagen. Und wir können keine zwanzig Mann zur Geheimhaltung verpflichten.«
»Nun, um mit Tiptons Worten zu reden: Dann schmieren Sie sich Ihre Mission in die Haare! Ich brauche wenigstens zehn Mann, damit die Kiste in drei Tagen wieder halbwegs flugtauglich ist.«
»Sie haben gehört, was Commander MacNiall sagt. Ich vertraue ihrem Urteil.« Coulthard stellte sich demonstrativ an Dees Seite.
»Bedaure, ich sagte es bereits: Es steht weder in meiner Macht, Ihre Frist zu verlängern, noch Ihnen zehn Mann zur Verfügung zu stellen.« Paul hob entschuldigend die Hände. »Aber ich bin befugt, Ihnen alle Mittel zur Verfügung zu stellen, deren Sie bedürfen.«
»MacNiall?« Coulthard sah sie fragend an.
»Ma’am, die Lebenserhaltungssysteme sind völlig desolat und bedürfen einer umfassenden Überholung. Das ist zwar wenig anspruchsvoll, aber sehr zeitaufwendig. Der Zentralcomputer muss komplett durchgecheckt und neu mit den Konsolen verbunden werden, da alle Leitungen und Teile des Kerns durchgebrannt sind. Die Konvektionstriebwerke müssen neu kalibriert werden, der Energiekonverter ist Schrott, die Hyperspulen sind durchgeschmort und die Sprungtriebwerke sind eine einzige Katastrophe. Wenn wir mit denen einen Sprung wagen, und sei er noch so klein, dann zerreißt es uns in tausend Stücke. Um das in drei Tagen alles auch nur halbwegs in Ordnung zu bringen, bräuchte ich zwanzig Hände. Mindestens.«
Coulthard sah Paul an. »Geheimhaltungsprobleme, nehme ich an?«
Der nickte gewichtig. »Ich kann keine weiteren Personen abziehen.«
»Dann sorgen Sie dafür, dass die Personen auf der Crewliste zum nächsten Briefing um dreizehnhundert hier antanzen und Commander MacNiall anschließend bei der Arbeit unterstützen.« Coulthard wandte sich Dee zu. »Wäre Ihnen damit geholfen?«
Im ersten Moment wollte Dee brüsk ablehnen. Dann biss sie sich auf die Lippen und überlegte. Watanabe hatte vier Männer mit Reparaturkenntnissen versprochen. Dann war da Peres. McAllister könnte den Computer übernehmen. Wenn sie Watanabes Männer zum Legen der Leitungen heranzog …
»Schön«, lenkte Dee ein, »wenn ich Peres, McAllister, Watanabe und das gesamte Einsatzteam noch heute zu den Reparaturarbeiten hinzuziehen kann und der Doktor sich selbsttätig um die Instandsetzung der Krankenstation kümmert, könnte ich die Kiste in drei Tagen soweit haben, dass ich einen Sprung verantworten kann.«
»Ich glaube nicht, dass das ein Problem ist. Oder, Commander Gallagher?« Coulthard lächelte Paul freundlich an.
»Das sollte sich bewerkstelligen lassen.«
»Das freut mich.«
»Und selbstverständlich erhalten Sie sofort alle Ersatzteile, die Sie benötigen, Commander MacNiall. Sie müssen mir nur eine Liste zukommen lassen.«
»Sie werden sie in einer Stunde erhalten«, antwortete Dee. »Sorgen Sie dafür, dass die Teile auf der Liste und mein Reparaturteam pünktlich um dreizehnhundert zur Stelle sind.«
»Ganz wie Sie wünschen.« Paul schaffte es tatsächlich, Dee freundlich zuzunicken.
Coulthard erwiderte den Gruß und entfernte sich wortlos durch den schmutzigen Korridor, aus dem die nackten Stahlstreben ragten, Richtung Ausgang.
Paul wies mit der Hand auf Coulthard. »Nach dir!«
Dee nahm das Angebot kommentarlos an. Obwohl sie beinahe erwartete, dass Pauls Hand auf ihren Hintern wanderte.
»Und – bist du zufrieden, dein Herzblatt nun doch dabei zu haben? Und noch dazu bis heute Mittag?« Pauls Atem streifte Dees Nacken, so nah war er.
Wie eine Furie wirbelte Dee zu ihm herum. »Ich warne dich, Paul. Wenn du mir noch einmal zu nahe kommst und dich mir oder ihm gegenüber im Ton vergreifst, dann kratze ich dir die Augen aus.«
Er lächelte amüsiert. »Oha, sooo verliebt also!«
»Scher dich zum Teufel, Paul!« Ohne ihn noch eines Blickes zu würdigen, ließ Dee ihn stehen.
***
Der kleine Konferenzraum war voll besetzt – bis auf einen Stuhl. Paul blickte demonstrativ auf die Uhr, auf der noch eine Sekunde bis dreizehnhundert fehlte. Er räusperte sich dezent. Sein Blick wanderte zu Dee. Was er dachte, war so leicht zu erraten, dass Dee dazu keine Sehergaben brauchte.
Er kam zu spät. Als Einziger.
Paul wollte sich gerade seinen Akten zuwenden, als die Tür aufgerissen wurde. Ein reichlich zerzauster und verschwitzter McAllister stürzte herein und salutierte nichtsdestotrotz in aller Form, während hinter ihm geräuschvoll die Tür zufiel. »Lieutenant Jameson McAllister meldet sich zum Dienst …« Sein Blick irrte von Paul zu Coulthard, bevor er »… Sir« hinzufügte.
Der Raum wirkte mit einem Mal voller. Paul wurde mit McAllisters Erscheinen zur Bedeutungslosigkeit degradiert.
Autsch! Dee seufzte innerlich. Genauso gut hätte er Paul ohrfeigen können.
Coulthard lächelte kaum merklich. »Setzen Sie sich!«
»Aye, Sir.« Ohne von Paul Notiz zu nehmen, sah McAllister sich nach einem freien Platz um. Als sein Blick Dees begegnete, lächelte er sie an. Die Grübchen erschienen dabei auf seinen Wangen. Dees Herz machte einen Satz.
Pauls Miene vereiste. »Sie sind zu spät, Lieutenant.«
Sichtlich verwirrt drehte McAllister sich zu ihm um. »Wirklich?«
»Tatsächlich. Zudem lässt Ihr Aufzug zu wünschen übrig.« Pauls Blick galt McAllisters linkem Ärmel.
Verwundert zog McAllister den Ellbogen seines Jackenärmels nach vorn und fand den Riss, der sich über nahezu die Hälfte der Breite zog. »Mist!« Und dann lauter: »Verzeihung.«
Zum zweiten Mal seufzte Dee innerlich. Coulthards Mundwinkel zuckten. De Suttons Miene dagegen glich einer Gewitterfront. Dee konnte auf seiner Stirn förmlich die Worte lesen: »Habe ich es nicht prophezeit?«
»Haben Sie eine Erklärung – Lieutenant?« Paul musterte McAllister herablassend, was nicht schwer war, da er eine Handbreit größer war als McAllister.
Mit Blick auf die Wand hinter Coulthard nahm McAllister Haltung ein. »Ein paar Burschen haben eine alte Dame in der Schwebebahn belästigt. Sir.« Das »Sir« galt eindeutig Coulthard und nicht Paul. »Ich musste ein wenig … äh … Überzeugungsarbeit leisten, bis sie ihre Bemühungen aufgaben, und habe dabei die Haltestelle verpasst. Um pünktlich zu sein, bin ich den Kilometer zurückgelaufen.«
»Die Offiziere der Kolonialen Flotte – jederzeit für Sie zur Stelle«, zitierte Coulthard nicht ohne Feixen den offiziellen Slogan. McAllister, der breitbeinig mit den Händen auf dem Rücken geradewegs dem Flottenwerbefilm entsprungen zu sein schien, passte gut dazu.
»Ich hoffe ›die Burschen‹ leben noch.« Tipton schmunzelte.
»Sie erfreuen sich bester Gesundheit, Sir. Abgesehen von ein paar blauen Flecken und dem Gesichtsverlust. Ich habe sie selbstverständlich bei der Sicherheit der Schwebebahn abgegeben.« Nach wie vor fixierte McAllister die Wand hinter Coulthard, Paul schien er nach wie vor zu ignorieren gewillt.
»Die sicherlich ausreichend gewesen wäre, um die Angelegenheit zu klären«, mischte sich De Sutton mit schmalen Lippen ein.
»Wenn Sie nun so freundlich wären, sich zu setzen, Lieutenant. Ich möchte mit der Besprechung beginnen.« Paul wies auf die Runde.
»Aye.«
Wieder kein »Sir«. Dee konnte förmlich sehen, wie Paul vor Zorn über McAllisters sehr offensichtliche Weigerung, seinen Rang anzuerkennen, kochte.
Mit einer akkuraten Kehrtwendung sah McAllister sich nach einem Platz um und kam geradewegs auf Dee zu. Erst in diesem Augenblick wurde ihr bewusst, dass sich der letzte freie Stuhl neben ihr befand, da sie ihn mit zwei Pads belegt hatte.
Hitze schoss in Dees Gesicht. Ach, du liebe Güte, das sah ja aus, als hätte sie den Platz neben sich für ihn frei gehalten.
Eilig griff sie nach den Pads. Im gleichen Moment stand er schon hinter ihr und fasste ebenfalls danach. Ihre Finger berührten sich. Dee wurde heiß. Eines der Pads fiel klappernd zu Boden.
»Verzeihung.« McAllister bückte sich und hob das Pad auf. Mit einem kleinen Lächeln bot er es ihr an, bevor er sich neben ihr auf den Stuhl gleiten ließ.
Dee schwindelte. »Danke …« Sie räusperte sich. Erneut berührten sich ihre Finger und Dee hatte das Gefühl zu schweben.
Ein bitterböser Blick von Paul traf Dee.
McAllister räusperte sich und rieb sich unweigerlich den Nacken. Fast erwartete Dee, dass er errötete. »Übrigens. Danke für den Tipp mit der Pension«, raunte er ihr zu. »Die Aussicht ist wirklich klasse. Das Frühstück übrigens auch.« Pauls wütendes Starren ignorierte er.
»Gern geschehen.« Dee hatte das Gefühl, ihr Lächeln müsse ihr Gesicht sprengen. Sie konnte den Blick nicht mehr von ihm wenden.
Es krachte. Paul hatte die Akten auf den Tisch geknallt.
Dee zuckte zusammen und wandte sich Paul zu, der sie und McAllister zornig fixierte. »Dürfte ich um Ihre Aufmerksamkeit bitten? Wir möchten endlich beginnen.«
»Aye.« Artig richtete McAllister seinen Blick nach vorn, wo Paul stand. Seine Finger tippten etwas in sein Pad, das er Dee auf dem Tisch zuschob.
»Wer ist das?«
»Mein Ex«, tippte Dee als Antwort ein. Im nächsten Moment bedauerte sie es. Zu vertraulich, durchzuckte es sie. Was sollte er jetzt denken? Unter gesenkten Wimpern beobachtete sie ihn.
Seine Miene war schlagartig erstarrt. Er schien ihren Blick zu bemerken und senkte den Kopf. Seine Finger schoben ihr das Pad zu, berührten sacht die ihren.
»Verzeihung«, las Dee.
***
»Ich war am Strand gestern.«
McAllister hatte zu Dee aufgeschlossen, während sie durch die Außenanlagen zum Hangar gingen. Die Sonne ließ sein Haar goldblond leuchten.
»Ich wusste gar nicht, dass es einen Weg hinunter gibt.«
Er zuckte mit den Schultern. »Da sind jede Menge Trampelpfade. Man muss ein bisschen klettern, ist aber kein Kunststück.«
»Ein bisschen.« Dee wollte lieber nicht wissen, was »ein bisschen klettern« bei ihm bedeutete.
»Es gibt ’ne Bar da unten, direkt am Strand. Naja, Bar ist vielleicht ein bisschen zu viel gesagt. Eigentlich ist es eher eine Bretterbude. Aber sie haben Cocktails und jede Menge gute Musik. Lauter gut gebaute Surfboys und hübsche Mädchen in Bikinis.« Er lächelte.
Dee konnte ihn sich bestens unter den Surfboys vorstellen. Die Erinnerung an seinen gut gebauten Oberkörper war noch frisch. Ihr Herz klopfte eine Spur schneller. Sicherlich waren sie alle fünf bis zehn Jahre jünger als sie. Der Gedanke ernüchterte sie.
»Schade, dass Sie nicht da waren.« Sie sah, wie er sich den Nacken rieb. »Wir hätten schwimmen gehen können.«
Bisher war das Meer für Dee nur eine schöne Aussicht gewesen. Darin schwimmen zu gehen, war ihr nie in den Sinn gekommen. Sie dachte an ihren gestrigen Abend, an den Rotwein, der in den letzten Strahlen der Abendsonne gefunkelt hatte. Sie fragte sich, was er wohl in jenem Moment getan hatte.
Getanzt? Einen Cocktail getrunken? Mit einem der Mädchen geflirtet? Sicherlich hatte er den Abend nicht alleine verbracht. Dafür war er zu gut aussehend. Viel zu gut aussehend.
Mit ihm wäre ihr Abend sicherlich anders verlaufen.
»Sie können doch schwimmen?«
Die Frage riss Dee aus ihren Gedanken. »Oh ja, sicher.« Sie lächelte pflichtschuldig. »Und? Wie vielen dieser hübschen Mädchen haben Sie gestern das Herz gebrochen?« Das war dumm. »Vergessen Sie’s! Es tut mir leid. Ich …«
»Nein, schon gut.« Sein Blick richtete sich auf den Weg. Nach einem Moment des Schweigens kratzte er sich am Hinterkopf. »Ich war allein.« Bei den Worten zuckte er mit den Schultern, als müsse er sich entschuldigen. »Hab mit einem Bier am Strand gesessen und den Wellen zugesehen. Aber die Stimmung in der Bretterbude war gut.«
In Dees Bauch begannen die Schmetterlinge zu tanzen. Wieder war da dieses unwiderstehliche Verlangen, seine Haare zu zausen.
»Ich habe es nicht so gemeint. Wirklich.« Sie war eifersüchtig. Trotzdem wagte sie es, ihn anzusehen.
Er erwiderte ihren Blick. Wortlos. Ohne Blinzeln. Lange. Zu lange. Dee hatte das Gefühl, in seine dunkelgrauen Augen zu fallen. Sie räusperte sich.
»Ich weiß«, sagte er. »Es war nur ein Scherz.«
Ein dummer Scherz, dachte Dee. Ihre Finger umklammerten die beiden Pads. »Und? Waren Sie schwimmen?«
Ein Lächeln huschte über sein Gesicht. Er schüttelte den Kopf. »Hatte keine Lust alleine. Dafür habe ich auf dem Rückweg den falschen Trampelpfad genommen und wäre fast die Klippen hinunter gefallen.« Ein Grinsen breitete sich auf seinem Gesicht aus. »Selbst schuld, wenn ich im Stockfinsteren da herumklettere. Das nächste Mal nehme ich eine Taschenlampe mit.«
Dee hatte das Gefühl, dass sie jetzt sagen sollte, dass er sie das nächste Mal mitnehmen solle. »Das wäre besser.«
»Wäre es.«
Der Hangar kam in Sicht. Stirnrunzelnd drehte sich Paul zu ihr um.
»Die Pflicht ruft«, sagte Dee. »Bis später.«
»Aye. Bis später.«
Ihn hinter sich zu lassen tat unerwartet weh. Trotzdem war Dee erleichtert, als sie zu Paul aufschließen konnte.
»Und? Habt ihr euch verabredet?«, schnappte Paul.
Dee schwieg. Eigentlich hätten sie das tun müssen, begriff sie.
Paul lachte. »Natürlich nicht. Sich nur nicht auf jemanden einlassen. Nicht wahr?«
Nein, Paul hatte unrecht. Es war besser so. Alles andere machte nur Schwierigkeiten.

2. Kapitel

»Okay«, sagte Dee. »Watanabe, hier ist der Leitungsplan für die Verbindungen zum Hauptcomputer. Trauen Sie es sich zu, mit zweien Ihrer Männer die Leitungen gemäß Plan neu zu verlegen?«
Sie standen im Maschinenraum des Frachters. Überall quollen beschädigte Leitungen aus verbogenen oder aufgerissenen Wandverkleidungen. Der Boden bestand aus verrosteten Lochplatten, durch die man in das untere Maschinendeck schauen konnte. Ein Deck im eigentlichen Sinne war es nicht, nur eine weitere Ebene. Dee grauste es allein bei dem Gedanken, in dem Schmutz dort unten ihrer Arbeit nachgehen zu müssen.
Das war eigentlich nicht ihre Intention gewesen, als sie zur Flotte ging.
Watanabe griff nach dem Pad, das Dee für ihn vorbereitet hatte und nickte. »Kein Problem! Milton, Schmidt, Sie unterstützen mich.«
Die beiden Männer des Einsatzteams nickten nur.
»Doktor!« Dee seufzte. Der nächste Teil würde schwieriger werden.
»Meinen Sie etwa mich?«, fragte Tipton.
Dee lächelte. »Doch, ich meine Sie.«
»Sind Sie verrückt? Sie wollen mich doch nicht etwa zu Reparaturarbeiten heranziehen? Das werden Sie bereuen.«
»Falls Sie Fehler machen, werden wir es wahrscheinlich alle bereuen, Doktor Tipton. Hier!« Dee gab ihm das Pad, das sie vorbereitet hatte. »Wie Sie sehen, laufen die Lebenserhaltungssysteme alle über die Konsole der kleinen Krankenstation an Bord. Drake und Robespierre werden Ihnen dabei helfen, die Systeme der Konsole durchzugehen und auftauchende Fehler zu beseitigen. Sie sind der Leiter des Checks. Schaffen Sie das?«
Ein tiefer Seufzer entrang sich Tipton, als er durch die Daten des Pads scrollte.
»Ich habe Ihnen alles aufgelistet, auf was Sie achten müssen. Sie müssen nur die Liste abhaken. Die eigentliche Arbeit besorgen die beiden Herren vom Einsatzteam.«
»Das ist eine lange Liste.«
»Ja, das ist sie.« Dee lächelte entschuldigend. »Aber irgendjemand muss es tun.«
»Nunja.« Tipton zog eine Grimasse. »Wenn ich Helden zusammenflicken kann, dann schaffe ich es wohl auch, eine Liste abzuhaken. Meine Herren, ich verlasse mich auf Sie.«
Drake salutierte grinsend. »Aye, Sir.« Robespierre tat es ihm mit leichter Verzögerung gleich.
Dee atmete erleichtert auf. »Schön, das war der leichte Teil. Nun zu den Konsolen der Kommandozentrale. Nayiga, Sie checken die Konsolen auf Fehler. Hier ist die Liste.«
»Aye, Ma’am.« Nayiga nickte. Kein Lächeln.
Stimmte etwas nicht? Hatte sie ihr irgendwie auf die Füße getreten? Dee beschloss, der Sache auf den Grund zu gehen, sobald die Reparaturen abgeschlossen waren.
»Captain Coulthard, Commander De Sutton, dürfte ich Sie beide darum bitten, sich um die Logistik zu kümmern? Mir fehlt neben den Reparaturarbeiten dafür die Zeit.«
»Selbstverständlich«, nickte Coulthard. »Wenn es meine Zeit erlaubt, werde ich mich auch gerne Nayiga anschließen und einen Teil der Konsolen übernehmen. Commander De Sutton ebenso.«
De Suttons Kopf zuckte zu Coulthard. Er wirkte verärgert. »Selbstverständlich.« Mit einem Ruck glättete er seine Uniformjacke.
»Ich danke Ihnen.« Dee deutete eine Verbeugung an, bevor sie sich McAllister zuwandte. »Für Sie habe ich etwas Besonderes, McAllister. Die Überprüfung und Neuprogrammierung des Hauptcomputerkerns. Kriegen Sie das alleine hin?«
»Kein Problem, Sir.« Nicht der Hauch eines Zögerns zeigte sich bei ihm, als er nach dem Pad griff, das Dee für ihn vorbereitet hatte.
Wieder berührten sich ihre Finger. Dee zuckte zusammen und Hitze stieg ihr ins Gesicht. Sie räusperte sich. »Fein. Peres, wir beide übernehmen den Rest.«
»Aye, Chief. Knobeln wir um den Energiekonverter?« Peres rückte grinsend ihr Stirnband gerade. Das war die übelste Arbeit.
»Nein, ich habe der Einfachheit einen Neuen angefordert und auch neue Hyperspulen. Ein bisschen Luxus können wir uns gönnen bei der knappen Zeit. Die Admiralität bezahlt ja alles.« Dee konnte es sich nicht verkneifen, Paul verschmitzt zuzuzwinkern.
Der machte gute Miene zu Dees Spiel und lächelte pflichtschuldig. »Ich sehe die Maßnahme durchaus ein. Wenn Sie weitere Wünsche haben, stehe ich jederzeit zur Verfügung.«
»Ich danke Ihnen.« Dee sah sich in der Runde um und klatschte in die Hände. »Dann frisch ans Werk! Die Zeit läuft.«
***
»Hier«, sagte Dee und zeigte auf die Lochplatte zu ihren Füßen. »Fassen Sie mit an!«
McAllister gehorchte. Mit einem »Hauruck« zog er gemeinsam mit ihr eine der Lochplatten beiseite. Dee musste sich kaum anstrengen. Entweder waren die Platten leichter, als sie gedacht hatte, oder er hatte mehr Kraft, als sie erwartet hatte. »Da unten?« Zweifelnd sah er Dee an.
»Tut mir leid. Aber der Zugang zum Hauptkern ist tatsächlich da unten. Ich konnte es auch kaum glauben. Und ganz ehrlich: Ich habe Sie nicht für den Job ausgesucht, weil ich Sie ärgern will, sondern weil Sie der Einzige sind, dem ich das neben Peres und mir zutraue.«
Er grinste breit. »Danke für die Blumen. Könnten Sie das in meiner Akte vermerken? Damit wenigstens ein paar positive Dinge drinstehen.«
Dee versetzte ihm einen Klaps gegen die Schulter. »Da stehen jede Menge positive Dinge drin.« Dummkopf, setzte sie im Stillen hinzu und musste wieder einmal gegen das Verlangen kämpfen, seine blonden Haare zu zerzausen.
»Meinen Sie wirklich?« Bei den Worten zog er die Jacke aus, warf sie neben sich zu Boden und setzte sich auf den Rand der Lochplatte. Ein schelmischer Blick traf sie von unten.
Sie lachte. »Doch. Da bin ich mir sicher. Und jetzt ab mit Ihnen! Sie halten mich gerade von der Arbeit ab.«
»Das liegt mir fern. Sir.« Mit einem letzten Blick auf Dee spannte er seinen Körper an und ließ sich über den Rand nach unten rutschen. Seine Schultermuskeln spielten unter der Haut, während er sich langsam hinabließ.
Dee wurde bei dem Anblick heiß. Sie räusperte sich. »Alles klar?«
Als sein Kopf im Dunkel verschwunden war, ließ er die Bodenplatte los. »Alles klar.« Sein Gesicht war ein heller Fleck in der Finsternis.
Dee legte sich auf den Bauch und reichte ihm die Tasche mit dem Werkzeug hinunter. Ihre Finger streiften dabei seine Haare. »Verzeihung.«
»Macht nichts.« Er griff nach der Tasche und sah zu ihr hoch.
Dee wurde schwindelig. Einmal mehr hatte sie das Gefühl, in seine grauen Augen zu fallen. »Wenn … wenn es Probleme gibt, ich bin in Rufweite.«
Er lachte. »Keine Sorge. Ich habe keine Angst im Dunkeln.«
Dees Wangen brannten. »Ich … der … der Zugang zum Computerkern liegt da drüben, hinter der Wandverkleidung.«
Wortlos schaltete er die Taschenlampe an und folgte mit dem Lichtstrahl ihrem Hinweis. »Dort?«
»Genau. Wenn sie sich nicht öffnen lässt, hebeln Sie sie auf. Notfalls kleben wir sie mit Klebeband wieder fest.«
»Klingt reichlich improvisiert.«
»Das ist leider so ziemlich alles hier.«
Eine Pause entstand.
Dee wusste nicht, was sie sagen sollte. »Halten Sie mich auf dem Laufenden.«
»Mach ich.« Er zeigte ihr noch einmal seine Grübchen, bevor er zu einem Schemen in der Dunkelheit wurde.
Dees Blick fiel auf seine Jacke. Sie hob sie auf, und ohne dass sie es wollte, ertappte sie sich dabei, dass sie sie streichelte. Ihre Finger fanden den Riss am Ärmel. Verkrustetes Blut klebte am Rand. Sie versuchte sich in Erinnerung zu rufen, ob sie eine Verletzung gesehen hatte. Aber alles, was ihr in den Sinn kam, war sein gebeugter Nacken und die gespannten Schultermuskeln.
Mit einem Ruck riss sie sich von der Jacke los und hängte sie an einen Haken in der Wand.
***
»Etwas weiter nach rechts«, dirigierte Peres. »Links. Gott, ist das Ding schwer.«
Dee stemmte sich auf der anderen Seite gegen den Energiekonverter. Der Schweiß lief ihr am Hals herab. Trotz der Antigravitationsprojektoren war die Positionierung Schwerstarbeit. Dee dachte mit Neid an die Leichtigkeit, mit der McAllister die Lochplatte beiseite gezogen hatte. »Rechts, rechts, gleich … Mist!« Fluchend wischte sich Dee den Schweiß von der Stirn.
»Kann ich helfen?« Als habe er ihren stummen Wunsch gehört, stand McAllister hinter ihr.
Dee ließ vor Schreck fast den Energiekonverter los.
»Und ob Sie das können«, rief Peres. »Hopp! Schnell! Bevor sich das Ding selbstständig macht.«
Noch während sie sprach, sprang er hinzu und suchte sich neben Dee eine Ecke, wo er anpacken konnte.
Dees Blick wanderte zu seinen gespannten Armmuskeln.
»Und wohin?«, fragte er.
»Einfach halten. Und in die Richtung schieben, die ich angebe.« Dee hatte ihre Sprache wiedergefunden. »Aber langsam, ganz langsam.«
»Aye, aye.«
Sein keckes Lächeln ließ Dees Knie weich werden. Konzentrier dich, mahnte sie sich. Ihr Blick richtete sich auf den Boden zu ihren Füßen, wo die Umrisse des vorhergehenden Energiekonverters noch auszumachen waren. Da musste auch der neue hin, wenn sie nicht alle Zuleitungen neu verkabeln wollten. »Rechts«, kommandierte Dee. Der schwere Brocken schien an Gewicht verloren zu haben. »Halt! Nicht zu viel. Zurück. Noch ein wenig. Ja, ja, jetzt! Absenken.«
Peres kam der Aufforderung nach und betätigte den Antigrav. Langsam sank der Energiekonverter nach unten.
»Und Füße und Finger weg«, knurrte Peres. »Ist ein unschöner Anblick, wenn die noch dazwischen sind, wenn ich den Antigrav auf null stelle.«
»Danke für den Tipp.« McAllister grinste in Peres’ Richtung.
»Dachte ich mir, dass Sie Ihre Finger behalten wollen.«
Der Energiekonverter berührte den Boden.
»Alles weg?«, fragte Peres.
Dee nickte, McAllister ebenso.
»Drei, zwei, eins – ab.«
Ein dumpfer Knall dröhnte durch den Maschinenraum, als der Energiekonverter mit seinem Gewicht auf den Bodenplatten aufsetzte. Erst jetzt wurde Dee sich des wahren Gewichts bewusst, das sie zu dritt platziert hatten.
»Wow!« McAllister machte einen Schritt rückwärts. »Wie schwer ist das Ding eigentlich?«
Peres feixte und wischte sich mit ihrem Stirnband den Schweiß vom Gesicht. »Das wollen Sie gar nicht wissen.«
Dee nahm dafür ihren Ärmel. Erst jetzt hatte sie Gelegenheit, McAllister anzusehen. Sein Shirt war völlig verdreckt. Ölspuren zogen sich über seine Schultern und sein Gesicht. Selbst in den Haaren klebte Schmutz. Dee erinnerte sich an das Blut an der Jacke und fand tatsächlich einen Schnitt über seinem rechten Ellenbogen. Um sein ohnehin desolates Aussehen noch zu verschlimmern, rieb er sich mit dem dreckigen Arm die Stirn.
»Respekt«, meinte er anerkennend.
»Das Kompliment gebe ich gern zurück. Ohne Ihre Hilfe hätten wir doppelt so lange gebraucht.«
»Stets zu Diensten.« McAllister deutete Peres gegenüber eine Verbeugung an.
Sie lachte und schlug mit dem Stirnband nach ihm, bevor sie es wieder auf ihre kurz geschorenen, grauen Haare drückte.
»Ich wollte die Admiralitätskantine suchen. Kommen Sie mit?« Sein Blick wanderte von Peres zu Dee und blieb dort hängen.
»Wir müssen den Energiekonverter zuerst sichern«, sagte Dee schnell. Zu schnell. Das klang, als wolle ich ihn abwimmeln, dachte Dee erschrocken.
»Ah, okay.« Er räusperte sich. »Klar. Dann …« Suchend sah er sich um.
»Dort.« Dee zeigte auf den Haken. »Ich habe sie aufgehängt.«
»Danke.« Mit einem Schritt trat er zu seiner Jacke und griff danach. »Soll ich Ihnen etwas zu essen mitbringen?«
»Nicht nötig«, wollte Dee sagen, aber Peres kam ihr zuvor. »Hühnchensandwich, falls es das gibt. Falls nicht, dann Schinken. Und Wasser und einen Kaffee. Schwarz, ohne Zucker.«
»Wird gemacht.« Er drehte sich zu Dee um. »Und Sie?«
»Äh, das Gleiche. Aber den Kaffee mit Milch.«
»Das macht es einfach.« Lächelnd hob er zum Abschied die Hand und strebte dann mit langen Schritten den Korridor entlang dem Ausgang zu.
Der Anblick versetzte Dee einen Stich.
»Na, neu ist der aber nicht«, brummte Peres.
»Wie bitte?« Verwirrt drehte Dee sich zu ihr um.
»Na, der Konverter.«
»Oh, das ist wegen der Tarnung. Paul … ich meine Commander Gallagher meinte, er könne uns selbstverständlich keine neuen Teile liefern, sondern nur gebrauchte. Aus Zivilfahrzeugen. Damit niemand eine Verbindung zur Kolonialen Flotte herstellen kann, falls wir auffliegen.« Dee seufzte.
»Ach«, knurrte Peres, »heißt das, die Schrauben und Leitungen, die wir verbauen, sind auch alle gebraucht?«
»Keine Ahnung. Zuzutrauen wäre es ihm.«
»Reizend.« Kopfschüttelnd bückte sich Peres und langte nach dem Schraubenschlüssel. Ohne einen weiteren Kommentar begann sie, die erste der genannten Schrauben zu versenken.
Nach kurzem Zögern tat Dee es ihr gleich. In diesem Augenblick wünschte sie sich, sie hätte McAllisters Einladung nicht abgelehnt.
»Er ist süß«, sagte Peres unvermittelt nach der dritten Schraube.
»Paul?«
»Sie wissen, wen ich meine. Unser netter Helfer.«
Dee war froh, dass Peres sie hinter dem Konverter nicht sehen konnte. Ihr war so heiß, dass sie glaubte, ihr Gesicht müsse die Farbe eines frisch gekochten Hummers angenommen haben. »Finden Sie?«
»Warum haben Sie ihn abgewimmelt?«
»Ich …« Dee fiel der Schraubenschlüssel aus der Hand. »Verdammt!«
»Übrigens. So ganz unter uns. Nayiga und der Blondschopf. Läuft da was?«
Dees Herz ließ einen Schlag aus. »Wie meinen Sie das?«
»Na, als Sie ihn für den Computer eingeteilt haben, dachte ich, sie kratzt Ihnen gleich die Augen aus. So wütend war sie.«
»Finden Sie?«
»Ich kann mich täuschen. Vielleicht ist sie ja aus anderen Gründen auf Sie sauer. Ich dachte nur, Sie sollten es wissen. Falls … naja … Sie wissen schon, was ich meine.«
»Ich habe keinerlei Ambitionen hinsichtlich Lieutenant McAllister – falls Sie das meinen. Egal, wie süß Sie ihn finden und wie hilfsbereit er ist, er ist immer noch sieben Jahre jünger als ich und mein Untergebener.« Dees Stimme klang strenger als sie beabsichtigt hatte.
Sie glaubte, ein leises Lachen von Peres zu hören. »Mich würde das nicht im Geringsten stören, Chief.«
***
»Abendessen«, verkündete eine fröhliche Stimme, während Dee die letzte Schraube am Energiekonverter anzog. Ohne eine Antwort abzuwarten, ließ sich McAllister mitten im Dreck im Schneidersitz nieder und setzte ein Tablett auf den Lochplatten ab.
Dees Herz ließ einen Schlag aus. Während sie noch zögerte, gesellte Peres sich schon zu ihm und beugte sich über das Tablett.
»Der Schwarze ist der mit dem Kreuz.« McAllister zeigte auf einen der Einmalbecher.
Zu Dees Überraschung waren es drei Becher, drei Flaschen Wasser und drei Sandwiches und noch eine weitere Pappschachtel.
Peres nahm sich ihren Kaffee und ließ sich mit einem Seufzen neben McAllister zu Boden sinken. »Sie sind ein Engel.«
»Also, das hat noch keiner zu mir gesagt.« Bei den Worten angelte er sich ein Sandwich vom Tablett. Mit schmutzigen Fingern wickelte er es aus und biss genussvoll hinein.
Peres wies auf den freien Platz auf der anderen Seite des Tabletts. »Setzen Sie sich doch, Chief. Sonst wird Ihr Kaffee kalt.«
Im ersten Augenblick wollte Dee protestieren, aber angesichts von Peres auffordernder Geste, schien das unmöglich. Notgedrungen gab sie nach. Um ihre Verlegenheit zu verbergen, studierte sie die Aufschrift der Sandwichverpackungen.
»Ist dreimal Hühnchen«, meinte McAllister zwischen zwei Bissen mit vollem Mund.
Dee nahm sich eines der beiden, während Peres zufrieden an ihrem Kaffee nippte. »Ich dachte, Sie wollten in der Kantine essen.«
McAllister zuckte mit den Schultern. »War niemand da, mit dem ich hätte essen wollen.«
Das war so eindeutig, dass Dee heiß wurde.
»Danke für das Kompliment. Das hat noch niemand zu mir gesagt.« Peres grinste McAllister an.
Er lachte und biss in sein Sandwich. Dee fand, dass er unwiderstehlich aussah, wie er da so saß, schmutzig und nur im Shirt, inmitten des Drecks und des Chaos, mit dem Sandwich in beiden Händen und dem Lachen im Gesicht. Eigentlich wünschte sie nichts sehnlicher, als ihn jeden Tag so sitzen zu sehen.
Sie vergaß zu essen, griff nach dem Kaffee und versteckte ihre Gefühle hinter dem Becher. Der Kaffee war heiß und stark. Wortlos nippte sie an ihm, während sie ihn beobachtete, wie er mit Peres schäkerte, die das Wortgefecht mit ihm sichtlich genoss. Dee hörte nicht zu, sie studierte nur sein Gesicht, seine Mimik, all die Gesten, die so ausholend und unverbraucht waren. Sie hätte ihn stundenlang beobachten können, ohne eine Spur von Langeweile zu empfinden.
»Kuchen?« Er musste die Frage ein zweites Mal gestellt haben, seiner Stimme nach zu schließen.
Verständnislos starrte Dee auf den Pappkarton, den er ihr anbot. »Oh, Kuchen?« Dee fand endlich die Kuchenstückchen im Karton. »Ja, danke. Gerne.«
Sein Lächeln wurde strahlend.
Dees Herz klopfte so schnell, dass sie keine Luft mehr bekam. Sie schnappte nach Luft und griff blind nach einem der Kuchenstückchen. Erdbeer, stellte sie fest.
»Noch eines?«
Nur um sein Lächeln noch einmal zu sehen, kam Dee der Aufforderung nach. Peres nahm das Letzte.
Er hatte ein Sahnetörtchen gegessen und leckte sich die Finger ab. Den Rest schmierte er in sein dreckiges Shirt.
Dee hielt es nicht länger aus. »Wir sollten weiterarbeiten«, sagte sie und stand auf. Ohne ihn noch eines weiteren Blickes zu würdigen, wandte sie sich ab.
»Lassen Sie nur.« Peres Stimme klang freundlich. »Ich räume das weg.«
»Danke.« Dee hörte, wie er aufstand und zurück zu dem Loch in den Bodenplatten ging.
»Wir haben zu danken«, sagte Peres.
»Keine Ursache. Gerne wieder.« Ein Keuchen und ein dumpfer Schlag antworteten.
Dee drehte sich um, um ihm ebenfalls zu danken. Aber er war schon in seinem Loch verschwunden. Nur Peres stand noch da und sammelte die Abfälle ein. Ein fragender Blick traf Dee.
Wortlos drehte sie sich um und wandte sich dem Konverter zu, nur um festzustellen, dass dort nichts mehr zu tun war.
***
»Verdammt!« Dee hätte am liebsten mit dem Hammer auf den Konverter eingeschlagen.
»Chief?«
»Ach, das führt doch zu nichts!« Voll Zorn wischte Dee sich die Haare aus der Stirn und stand auf. »Wir halten uns hier jetzt schon den ganzen Morgen damit auf, diesen verdammten Konverter zu kalibrieren, damit er mit den dreimal verfluchten Hyperspulen harmoniert. Und die Konvektionstriebwerke müssen noch eingestellt werden, geschweige denn, dass wir mit dieser Konstellation die Sprungtriebwerke zum Laufen kriegen müssen.«
Peres kratzte sich unter ihrem Stirnband. Sie sah müde aus, was kein Wunder war nach der letzten Nachtschicht. »Vorschläge, Chief?«
»Ja, Sie kalibrieren die Konvektionstriebwerke und wenn Sie damit fertig sind, stellen Sie die Sprungtriebwerke auf die Leistung des neuen Energiekonverters ein. Falls er bis dahin eine definierte Leistung hat. Ich mache hier alleine weiter.«
»Sie wissen, dass es ziemlich … äh … ineffektiv ist, hier alleine …«
»Mittagessen?«, fragte eine fröhliche Stimme. McAllister stemmte sich aus dem Loch. Er war nahezu genauso dreckig wie am Abend zuvor, obwohl er erst seit dem Morgen wieder im Computerkern steckte.
»Nein«, fauchte Dee.
»Hoppla!« Er kam näher, rollte dabei die Schultern und sah erst Peres und dann Dee fragend an. »Probleme?«
»Nichts, was Sie angeht«, schnappte Dee.
Mit erhobenen Händen wich er einen Schritt zurück. »Ich habe verstanden. Wollte nur sagen, dass ich bis heute Abend fertig bin.« Bei den Worten schnappte er sich seine Jacke und ging auf den Ausgang zu.
»Warten Sie«, rief Peres. »Ich komme mit. Chief.« Sie nickte Dee zu. »Sie erlauben? Ich brauch ’ne Pause. Sie auch, wenn Sie die Bemerkung erlauben.« Sie zeigte mit den Augen auf den Korridor, wo McAllister stehen geblieben war, um auf Peres zu warten.
Dee zögerte. Ihr Blick wanderte zum Schott, das auf den Korridor führte. Endlich schüttelte sie den Kopf. »Gehen Sie. Ich mache hier weiter.«
Seufzend zog Peres ihre Jacke an. »Wie Sie wünschen, Chief. Ich komme«, rief sie dann in McAllisters Richtung und verschwand.
Dee hörte, wie sich die beiden entfernten. McAllister lachte leise. Dann waren sie nicht mehr zu hören.
Mit einem Fluch wandte sie sich wieder dem Energiekonverter zu.
***
Die Anzeige des Prüfgeräts verschwamm vor Dees Augen. Die Lochplatten, auf denen sie halb unter dem Konverter lag, strahlten Kälte aus.
Wie spät war es eigentlich, wunderte sie sich. McAllister hatte Sandwiches als Abendessen mitgebracht. Einige Stunden später hatte Peres sich verabschiedet, um ein paar Stündchen zu schlafen, wie sie es ausgedrückt hatte. McAllister … Dee konnte sich nicht daran erinnern, dass er sich von ihr verabschiedet hatte. Vielleicht war er ohne Gruß gegangen. So mies, wie sie sich heute ihm gegenüber verhalten hatte, wäre das kein Wunder.
Ein Scharren drang an ihr Ohr. Schritte näherten sich. Peres?
»Peres? Sind Sie das?« Dee steckte das Prüfgerät um und studierte erneut die Anzeige.
»Ich bin’s.« McAllister ging neben ihr in die Hocke. »Sie sollten eine Pause machen.«
»Herzlichen Dank«, knurrte Dee, »das weiß ich selbst. Aber morgen um dreizehnhundert muss der verdammte Kahn fliegen, falls ich Sie daran erinnern darf. Und dieses verdammte Ding …« Gott, Paul! Sie hasste ihn. Sie hasste ihn dafür, dass er ihnen diese alten Dinger angedreht hatte. Dees Finger zitterten vor Zorn und Müdigkeit.
»Hey.« McAllisters Stimme klang unerwartet sanft. »Wenn Sie eine gute Nachricht brauchen: Der Computerkern ist fertig. Wir können morgen die Konsolen dranhängen.« Als Dee keine Antwort gab, setzte er hinzu: »Kann ich Ihnen helfen?« Er räusperte sich. »Ich bin fertig und naja, ich habe keine Verabredung heute Abend.«
»Nein, verdammt. Sie müssen sich nicht mit mir die Nacht um die Ohren schlagen.« Im nächsten Augenblick hätte Dee sich am liebsten geohrfeigt.
»Wenn Sie glauben, ich lasse Sie hier alleine sitzen, haben Sie sich getäuscht. Notfalls singe ich italienische Arien zur Unterhaltung, was schauerlich klingen wird. Aber ich gehe ganz bestimmt nicht. Und bevor Sie jetzt Ihren Rang hervorkehren: Das ist eine Dienstvorschrift. Man darf nicht alleine im Maschinenraum arbeiten.«
Das war auch der Grund, weshalb der Maschinenraum immer mit einer Kamera überwacht wurde. Auch dieser.
Dee wusste nicht, ob sie weinen oder lachen sollte. Wider besseres Wissen riskierte sie ein Blick auf sein Gesicht. Er grinste breit. Sie hatte es an seiner Stimme hören können. Dummerweise hatte er recht. »Okay, Sie haben gewonnen. Aber wehe, Sie singen. Schnappen Sie sich das Prüfgerät und nehmen Sie meinen Platz ein.« Bei den Worten schob sie sich unter dem Konverter hervor. Ächzend richtete sie sich auf und reichte ihm das Prüfgerät. »Ich werde alt«, brummte sie.
»Ich muss energisch widersprechen.« Wieder dieses Lächeln, bei dem seine Grübchen sichtbar wurden und das ihn so unwiderstehlich machte.
Dee räusperte sich. »Werden Sie so alt wie ich, dann reden wir noch einmal darüber. Hier!« Sie zeigte auf einen der Anschlüsse. »Nehmen Sie die Eins. Schön die Anzeige im Auge behalten. Ich kalibrier die Hyperspulen. Wenn sich die Anzeige ändert, Bescheid sagen.«
»Aye, Sir.« Immer noch lächelnd deutete er einen Gruß an und griff nach dem Prüfgerät. In einer eleganten Bewegung verschwand er unter dem Konverter. Er studierte einen Moment die Anschlüsse, bevor er das Prüfgerät positionierte. »Bereit.«
Dee verfolgte mit dem Blick den dicken Schlauch, der von dem benannten Anschluss zu den Hyperspulen führte. Endlich fand sie das Rändelrad, mit dem sie die Energiezufuhr ändern konnte. »Okay. Ich drehe.« Vorsichtig begann sie, es zu drehen. Weiter. Noch ein wenig. »Und?«
»Nichts«, kam die lapidare Antwort.
Dee drehte weiter. »Immer noch nichts?«
»Keine Spur.«
»Verdammt!«
McAllister schob sich halb unter dem Konverter hervor. »Sir, eine Frage: Was, wenn wir den Energiekonverter einschalten? Das ist ein ziemlich altes Modell und vielleicht …«
»Ich dachte, Sie kennen sich so gut aus mit den Dienstvorschriften. Paragraph 347. Energieleitende Maschinen müssen zu Wartungszwecken aus Sicherheitsgründen abgeschaltet werden.« Eine Spur Gereiztheit schwang in Dees Stimme mit. »Verdammt, für wie blöd halten Sie mich? Ich bin mir des Problems durchaus bewusst. Aber sind Sie sich auch im Klaren darüber, was mit Ihnen passiert, wenn sich der Konverter überhitzt, während Sie darunter liegen?«
»Ich kann es mir vage vorstellen. Aber letztendlich werden wir es wohl tun müssen. Ich vertraue Ihnen. Sie machen das schon.«
Die Worte versetzten Dee einen Stich. »Verdammt.«
»Hey.« Wieder dieser sanfte Tonfall. »Wird schon schief gehen. Wie Sie schon sagten: Der Kahn muss bis morgen dreizehnhundert fliegen. Das sind nur noch knapp sechzehn Stunden. Entweder wir scheißen jetzt auf die Dienstvorschriften oder Ihr sauberer Ex wird morgen einen Grund haben, sich aufzuregen.« Er grinste. »Nicht, dass mich das stören würde. Ich habe keine Probleme damit, mich mit ihm anzulegen. Aber ich weiß nicht, wie das bei Ihnen aussieht.«
Eigentlich müsste sie jetzt ins Bett gehen und Paul eine offizielle Beschwerde schicken, weil er ihr unbrauchbares Material geschickt hatte. Aber hatte sie nicht genug Kämpfe mit ihm ausgefochten? Sie war es leid.
Mit einem Stöhnen stand sie auf. »Sie haben gewonnen. Wir schalten die Energie an.«
***
Nach einer halben Stunde füllte das vertraute Summen den Maschinenraum. Ein flaues Gefühl breitete sich in Dees Bauch aus, als sie McAllister unter dem Energiekonverter liegen sah. Sie hatte Plasmaverbrennungen gesehen. Sie wollte um keinen Preis der Welt welche bei ihm sehen. Oder gar verursacht haben.
Langsam, mahnte sie sich. Ganz langsam. Wenn sie vorsichtig war, konnte gar nichts passieren.
»Bereit.« Seine Stimme klang gedämpft.
Dee biss die Zähne zusammen. »Ich drehe«, verkündete sie.
»Wow! Stopp, stopp!« McAllisters Stimme klang zum ersten Mal hektisch.
Dees Herz stolperte. Sofort drehte sie das Rad zurück.
»Aus! Das war zu viel. Viel zu viel.«
Das Lämpchen neben dem Rändelrad war erloschen. Keine Energie mehr. Dee seufzte. »Okay, ich geb wieder zu.« Vorsichtig begann sie, zu drehen.
»Stopp!«, kam die energische Antwort. »Eine Winzigkeit zurück.«
»Wissen Sie eigentlich, wie winzig diese Winzigkeit ist?«, schnaubte Dee. »Ein Mikrometer. Grob geschätzt.«
»Fingerspitzengefühl, Sir.«
Dee konnte förmlich sein Grinsen bei den Worten sehen. »Reizen Sie mich nicht. Ich bin in der besseren Position.«
»Aye, Sir.« Seine Stimme klang fröhlich wie immer.
»Und warten Sie einen Moment. Das wird so nichts. Ich such den Drehmomentschlüssel.« Dee fand ihn nach kurzem Suchen in der Werkzeugkiste. Natürlich passte er nicht. Aber wozu war sie Ingenieurin, wenn sie keine Verbindung improvisieren konnte.
»Ist er kaputt?«
»Was?«
»Der Drehmomentschlüssel.«
»Nein, ich muss ihn nur anpassen. Immer mit der Ruhe. So. Jetzt!« Ganz sacht begann Dee erneut zu drehen. »Und, tut sich was?«
»Yep. Ganz langsam jetzt.«
Dee gehorchte.
»Jetzt.«
Dee legte den Drehmomentschlüssel ab und trat neben den Energiekonverter. Mit einem leisen Ächzen bückte sie sich. »Lassen Sie sehen!«
Wortlos drückte er ihr das Prüfgerät in die Hand. Der Wert passte genau. Erleichtert stieß Dee einen Seufzer aus. »Dann also nur noch die restlichen dreißig Anschlüsse.«
***
Die restlichen dreißig Anschlüsse dauerten die halbe Nacht.
»Und nun?«, fragte McAllister und gähnte.
»Und nun müssen wir nur noch diese ganzen Leitungen fest anschließen. Und dann können wir einen Testlauf machen. Und wenn der zufriedenstellend verläuft, kann ich die Sprungtriebwerke anschließen und auf den Energiekonverter einstellen.«
»Wunderbar. Worauf warten wir noch?«
»Danke«, sagte Dee unvermittelt.
»Wofür?«
»Dass Sie geblieben sind.«
Er feixte. »Ich wollte schon immer eine Nacht mit Ihnen verbringen.«
Ganz spontan versetzte Dee ihm einen Klaps gegen den Arm. »Nicht übermütig werden.« Zu ihrer eigenen Überraschung merkte sie, dass sie dabei lächelte. »Schnappen Sie sich einen Schraubenschlüssel und dann ab ans Werk.«
Er gehorchte ohne Widerspruch. Das Grinsen hatte sich in seinen Augen festgesetzt. Sie funkelten, als er die Leitungen betrachtete und dann Dee fragend ansah. »Alle?«
Dee seufzte. »Alle. Und freuen Sie sich nicht zu früh. Die Hälfte sitzt unter dem Bodenblech.«
»Mahlzeit. Die übernehme ich. Keine Widerrede. Ich denke dabei nur an Ihr Alter.« Er wich aus, bevor sie ihm einen zweiten Klaps geben konnte, und ließ sich sehr behände und breit grinsend in das Loch hinab.
Wärme breitete sich in Dee aus, während sie ihn dabei beobachtete. Wieder war da dieses irre Verlangen, seine Haare zu streicheln. So sehr, dass es fast wehtat. Dee musste tief Luft holen, um die Enge in ihrer Brust zu vertreiben, bevor sie sich den Anschlüssen zuwenden konnte.

3. Kapitel

Mist, war Dees erster Gedanke. Sie war doch nicht etwa eingeschlafen?
Ein vertrautes Summen drang an ihre Ohren. Es roch nach Öl und Dreck. Ihr Kopf lag auf etwas Weichem. Einer Jacke? Sie blinzelte.
»Guten Morgen!« McAllister saß im Schneidersitz neben ihr, an eine der Hyperspulen gelehnt. Es wirkte, als säße er da schon länger. »Melde: Alle Leitungen sind befestigt. Und es ist sechs siebenundvierzig.«
In dreizehn Minuten begann der normale Dienst.
Dee zuckte zusammen. Zu nah, dachte sie, als sie sich neben McAllister unter der Hyperspule hervorzog. Viel zu nah. Guter Gott, wie lange saß er schon da? Das war …
»Vorsicht!« McAllisters Hand bewahrte sie davor, sich den Kopf an einer Hyperspule zu stoßen. Sie wischte sie weg, fast zornig, und konnte sich gerade noch ein »Finger weg« verkneifen.
»Was ist?« Verwirrt sah er sie an.
Dee sprang auf. Eingeschlafen … Dabei wartete hier noch jede Menge Arbeit auf sie. Wie unprofessionell war das? Und er saß neben ihr und hatte nichts Besseres zu tun, als sie dabei zu beobachten?
»Stimmt etwas nicht?«
»Verdammt, warum haben Sie mich nicht geweckt? Wir könnten schon fertig sein …«
»Ich dachte …« In einer gleitenden Bewegung war er ebenfalls aufgestanden. Entschuldigend breitete er die Arme aus. »Sie sahen so müde aus und …«
»Ich entscheide, wann ich schlafe und wann nicht!« Wieso schreie ich ihn eigentlich an?, dachte Dee verwirrt.