Im Rapsfeld - Ingrid Metz-Neun - E-Book

Im Rapsfeld E-Book

Ingrid Metz-Neun

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Beschreibung

Am Anfang gehören alle Gedanken der Liebe. Später gehört dann alle Liebe den Gedanken. von Albert Einstein Einstein hat absolut recht. Irgendwann geht es nicht mehr um die Liebe, sondern um die Gedanken. Gedanken, die man sich erst macht, wenn man älter wird und versucht, rückblickend sein Leben zu verstehen.

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Inhaltsverzeichnis

PROLOG

IN DER KUR

HOLGER

ANTON

BEI MIR

FÜLLE UND FÜHLEN

FREIHEIT

KLASSENTREFFEN

PAUL

DER STURZ

IM LAUFE DER ZEIT

SPÄTE EINSICHT

LUKAS

EPILOG

PROLOG

„Am Anfang gehören alle Gedanken der Liebe. Später gehört dann alle Liebe den Gedanken.“

(Albert Einstein)

IN DER KUR

Wie fast immer übertreibe ich. Nach der Wassergymnastik am Morgen gehe ich auch in der Mittagspause noch mal ins Wasser. Lasse mich von den kühlen Temperaturen nicht abhalten. Von 10 Minuten habe ich mich auf 30 Minuten leichtes Ausdauerschwimmen gesteigert. Ich bin richtig stolz auf mich. Dazu kommt: ich habe mittags das Schwimmbad für mich alleine. Das ist der größte Genuss. Kein Gelache und Gekicher wie morgens bei der Gymnastik. Warum müssen die Frauen immer in Gruppen kommen und immer so laut sein???

Nur eine ist nett. Sie bleibt auch immer am Rand – wie ich. Winkt mir zur Begrüßung lieb zu. Es hat sich leider noch nicht ergeben, dass wir ins Gespräch kommen. Vielleicht möchte sie das auch gar nicht.

„Was haben Sie?“ fragt mich die Therapeutin. „Muskelkater“, antworte ich wehleidig. Sie lacht. „Der geht vorbei.“

„Aber alles andere geht nicht besser“, sage ich trocken.

„Immer noch Schwindel und Bluthochdruck und Schlafstörungen.“

„Sie sind zu ungeduldig. Was viele Jahre entstanden ist, kann nicht nach kurzer Zeit behoben sein. Seien Sie doch bitte etwas geduldiger mit sich.“

Ich hasse inzwischen diese Mantras:

Ich will geduldiger werden.

Ich will lernen, mich zu lieben, wie ich bin.

Ich will mein Schicksal annehmen.

Ich kann nur mich selbst ändern, keinen anderen.

Die Liste ließe sich noch beliebig verlängern.

Bis auf die Masse der Patientinnen sind alle Therapeuten/innen lieb und gut. Ich hätte es wissen müssen: Ich war schon immer eine Einzelgängerin, bin lieber allein als in der Gruppe. Der Mensch ist ein Herdentier, sagt man, aber ich bin keins. Dadurch bin ich gefährdeter, logisch. Will es aber nicht anders. Bin dickköpfig. Zu meiner Entschuldigung: Schon meine Vorfahren waren alle dickköpfig. Ist verbürgt.

Aber ich habe es doch immer nur gut gemeint!

Gut gemeint, kann manchmal auch das Gegenteil bewirken. Das habe ich jetzt gelernt. Aber nun ist es zu spät. Man kann die Zeit nicht zurückdrehen.

Aber man kann sich zurück denken …

HOLGER

Die Sonne scheint auf den Kopf des zweiten männlichen Teilnehmers dieses privaten Französischkursus und ich denke: „Hat der tatsächlich Dauerwellen?“

„Ja“, lacht Karin, die mit mir den Kursus besucht und der ich fast all meine Gedanken mitteile. „Ich habe ihn direkt gefragt, und er hat es bestätigt.“

Ich fasse es nicht. Nicht nur dass sich für mich seine Aussprache entsetzlich anhört, er Schlaghosen und taillierte Hemden und dazu Schuhe mit Absätzen trägt, jetzt auch noch das. Und Karin findet ihn „süß“. Ich finde ihn, genau wie den anderen „ätzend“, obwohl es das Wort damals noch gar nicht gab (glaub’ ich jedenfalls).

„Hüte Dich vor kleinen Männern, die größer erscheinen wollen und Probleme mit zu wenig Haupthaar haben“, ist mein gut gemeinter Rat an Karin. Aber sie hört natürlich nicht auf mich, sondern trifft sich mit ihm, außerhalb des Kursus.

„Ja, bitte“. Ich melde mich grundsätzlich nicht mit Namen am Telefon. „Hier ist der Holger.“ „Woher hast Du denn meine Telefonnummer?“ „Von Karin.“

Darauf entsteht erst mal eine längere Pause. Ich denke, er merkt, dass mir sein Anruf nicht recht ist, beziehungsweise ich böse bin, dass Karin meine Nummer einfach weiter gibt.

„Karin sagte mir, Du wärst noch nicht im Film „Einer flog übers Kuckucksnest“ gewesen und sehr daran interessiert. Ich habe zwei Karten für die 20 Uhr Vorstellung. Magst Du mitkommen?“ Karin hatte mir erzählt, dass sie mit ihm in „Bernhard und Bianca“ war. Das fand sie sooo süß von ihm. Als ich darüber nachdachte, wurde mir ganz klebrig zumute. „Hallo? Bist Du noch dran?“ „Ja, ja“, sage ich gequält. „Ich komme. Bis später.“

Ich wollte den Film wirklich gerne sehen, war aber zu dem Zeitpunkt mal wieder so knapp bei Kasse, dass ich mir alle Sonderausgaben verkniff und nur von Vollkornbrot und Hüttenkäse oder Kräuterquark lebte. Seit meiner Leberentzündung als Kind wusste ich, dass mir diese Ernährung gut tat und preiswert war sie obendrein.

Ich kam extra erst knapp vor 20 Uhr am Kino an, hatte ihn aber vorher schon eine Zeitlang aus der Entfernung beobachtet. Ungeduldig trat er von einem Bein auf das andere, zückte aus seinem Jackett Spiegel und Kamm und fuhr sich immer wieder nervös durch seine dank Dauerwelle aufgeplusterten, wenigen Haare.

„Ich dachte schon, Du hättest es Dir anders überlegt“, war seine Begrüßung. „Nein, wenn ich etwas zusage, halte ich es auch“, sagte ich etwas spitz.

Der Film war sehr aufwühlend. Zurecht hatte er fünf Oskars gewonnen. Ich hatte das Gefühl, Holger würde die ganze Zeit mehr mich als den Film ansehen, aber er blieb brav. Dafür war ich ihm sehr dankbar.

„Möchtest Du noch etwas trinken“, fragte er im Hinausgehen.

„Nein, danke, ich möchte gleich nach Hause. Muss morgen früh raus. Danke für die Einladung.“ Ratzfatz war ich um die Ecke.

Aber da spürte ich plötzlich, wie hungrig ich war. Ich machte kehrt und lief ihm direkt in die Arme.

„Nanu, hast Du es Dir anders überlegt“, fragte er mit einem netten Lächeln. „Vielleicht muss man ihn ja nur besser kennen lernen, um ihn tatsächlich ‚süß‘ zu finden“, ging es mir durch den Kopf. Deshalb sagte ich: „Mir ist gerade eingefallen, dass morgen ja erst Mittwoch ist, und ich einen freien Tag habe. Ich muss erst am Donnerstag ins Institut.“

Inzwischen hatte ich ihn schon zielstrebig in ein Restaurant gegenüber gedrängt, aber er blieb auf der diesseitigen Straßenseite und strebte eine Bar an.

„Scheiße“ dachte ich bei mir, da gibt es nur Alkohol und Erdnüsse.

Bereits nach einem Cola-Cognac (mehr kannte ich überhaupt nicht, da ich eigentlich nie trank), hatte ich schon einen Schwips. Ein Zweiter beschleunigte das Ganze und leider wurde das Schälchen mit Erdnüssen auch nicht nachgefüllt.

„Hast Du Hunger“, fragte Holger jetzt wie aus dem Nichts und fügte hinzu: „Ich hätte Lust auf Kentucky Fried Chicken. Komm, wir holen uns welche. Die können wir dann ganz bequem bei mir zu Hause essen. Ich wohne gleich um die Ecke. Hier ist es viel zu laut.“

Noch nie hatte ich diese vor Fett triefenden Hähnchenschenkel gegessen. Aber vor lauter Hunger aß ich sie mit der gesamten Panade, obwohl ich zu diesem Zeitpunkt schon wusste, dass das meiner Leber gar nicht gut tun würde.

Als ich ins Bad ging, um mir die Hände zu waschen, bemerkte Holger meinen unsicheren Gang. Ich hatte gewaltig einen im Tee, und die fettigen Hühnerteile hatten nichts daran geändert.

„Willst Du nicht lieber hier schlafen, wenn Du eh morgen früh nicht raus musst?“

Ich hörte Holger wie durch einen Schleier und war ihm ehrlich dankbar. Jetzt nochmal runter auf die Straße, dazu hatte ich wirklich keine Lust.

Beim Einschlafen dachte ich noch, dass ich orangefarbene Bettwäsche ganz hässlich finde, aber im nächsten Moment war ich schon weg.