Veränderung - Ingrid Metz-Neun - E-Book

Veränderung E-Book

Ingrid Metz-Neun

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Beschreibung

Mut ist wie Veränderung. War ich mutig oder habe ich nur reagiert? Dieser Frage gehe ich in diesem kleinen Roman nach. Meine zwanzig Umzüge erzähle ich rückwärts und versuche dabei, mehr über mich zu erfahren. Seien Sie mutig und folgen Sie mir.

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Mut ist wie Veränderung – nur früher! Waren meine 20 Umzüge mutig?? Zumindest weiß ich jetzt: sie waren nicht umsonst. Der Rückblick hat mir viel über mein bisher gelebtes Dasein zu verstehen gegeben. Viel Spaß beim Lesen dieses „unruhigen“ Lebens und Mut zu eigenen Veränderungen.

Ingrid Metz-Neun, Jahrgang 1950, Schauspielerin, Sprecherin, Regisseurin, Autorin. Lebt nach vielen hektischen Großstadtjahren in einem kleinen hessischen Kurort und schreibt Romane und Kinderbücher.

PROLOG

Mut ist wie Veränderung – nur früher

„Alles hat seine Zeit“

(Lutherbibel, Prediger 3, 1-11)

„Verstehen kann man das Leben oft nur rückwärts, doch leben muss man es vorwärts“

(Søren Kierkegaard)

„Ich habe eine gute und eine schlechte Nachricht für Sie, Frau Körner. Welche möchten Sie zuerst hören?“

„Die Gute“ sagte sie rasch und schaute ihn dabei wie immer schmachtend an.

„Die gute Nachricht ist: wir bekommen Ihre Rhythmusstörungen immer besser in den Griff.“

„Und die schlechte?“ fragte sie ängstlich, während er behutsam das Kontaktgel, das für die Ultraschallaufnahme nötig ist, von ihrem Körper wischte.

„Sie haben einen Mitbewohner, einen hübschen Gallenstein.“

„Aber ich habe den ja gar nicht bemerkt.“

„Und da er den Gallenfluss nicht behindert, lassen wir ihn auch bei Ihnen wohnen. Aber wir behalten ihn im Auge.“

Mit geübtem Schwung warf er das benutzte Zelltuch in den Abfalleimer.

„Aber … dann ist das doch gar keine so schlechte Nachricht“, warf sie jetzt leicht stotternd ein.

„Nein, Frau Körner. Ich bin überaus zufrieden mit Ihrem Zustand. Versprechen Sie mir nur, Ihre Tabletten regelmäßig zu nehmen und auch weiter zur Seniorengymnastik zu gehen. Und nicht die Entspannungsübungen vergessen. Wir sehen uns in drei Monaten zur Kontrolle wieder. Ach, und was ich Ihnen schon immer einmal sagen wollte: die Libido bei Frauen unterliegt keiner Altersgrenze, auch wenn Ihnen das als Katholikin eingeredet wurde.“

Sie war sprachlos. War er nicht nur ein guter Arzt, sondern auch noch Hellseher, oder war ihr schmachtender Blick zu eindeutig? Sie hatte sich rasch angezogen und war fluchtartig aus der Praxis geeilt. Erst drei Straßen weiter fiel ihr ein, dass sie ein Rezept für ihre Schilddrüsenunterfunktion benötigte.

Sie überlegte einen Moment, dann ging sie langsam zurück.

„Haben Sie etwas vergessen, Frau Körner“, fragte die Sprechstundenhilfe freundlich.

„Ja, ein Rezept für L-Thyroxin.“

„Ach, da hätte ich aber auch dran denken können.

Kommt sofort.“ Und schon rauschte sie samt Rezeptblock in das Sprechzimmer des Arztes, um wenig später das Rezept auszuhändigen.

„Danke, Frau Kollmann, sehr lieb.“ Und schon stand sie wieder auf der Straße. „Nix wie weg, nur nicht von Frau Kollmann in ein Gespräch verwickeln lassen.“

Sie ging an diesem Abend sehr zufrieden ins Bett. Schrieb in ihr Tagebuch die Glücksmomente der vergangenen Stunden auf und machte noch ein paar Atemübungen zur Entspannung. Ganz ohne Herzstolpern schlief sie endlich einmal schnell ein.

Sie wunderte sich, über sich selbst. Obwohl sie nicht mehr als vier oder fünf Stunden geschlafen hatte, fühlte sie sich am nächsten Morgen leicht und unbeschwert. Tagsüber konnte sie immer schlafen, aber meistens kam irgendwas oder irgendwer dazwischen. Der Arzt hatte gesagt: „Schlafentzug ist für den Körper schlimmer als Folter.

„Begehe ich Selbstmord auf Raten?“ fragte sie sich.

Es war ein heißer Sommer. Heißer als alle anderen davor. Fast täglich wurden Hitzerekorde gemeldet, aber ab 22 Uhr war es auf ihrem Balkon sehr angenehm. Sie liebte es, draußen zu sitzen und zu lesen oder einfach nur ihren Gedanken nachzuhängen.

„Der Ahorn unter mir müsste unbedingt Wasser haben. Er lässt in den oberen Spitzen schon seine hübschen Zackenblätter traurig nach unten schauen.

Der dicken Kastanie scheint es gut zu gehen und auch den anderen großen Bäumen, ich glaube, es sind Buchen. So genau kenne ich mich nicht aus. Wichtiger ist mir, wer sie bewohnt, welche Vögel immer wieder die angestammten Äste aufsuchen. Das interessiert mich“. Die Vielfalt der unglaublich vielen Bäumen in den Parks um sie herum machte sie glücklich.

„Die Luft ist jetzt wie Seide. An was erinnert mich das?

An das Rote Meer oder Madeira vor vielen Jahren?“

Sie träumte vor sich hin. Es fühlte sich plötzlich alles gut an. Trotz der großen Anspannungen in den letzten Monaten. Margot hatte ihr ein Emailschildchen geschickt. Darauf stand: „Eigentlich hatte ich heute viel vor. Jetzt habe ich morgen viel vor!“

Einer der Umzugsleute hatte es entdeckt und breit gegrinst.

„Guter Spruch“ sagte er zu seinem Kollegen.

Im Wohnzimmer stapelten sich noch gefühlte 40 Umzugskartons, die alle ausgepackt, ihr Inhalt verstaut und die leeren Kartons auseinandergefaltet werden wollten, damit sie im Keller nicht so viel Platz wegnahmen. Ihre Finger waren schon rissig von dieser ungewohnten Arbeit.

Es war weit nach Mitternacht. Mindestens zwei Stunden hatte sie sich auf dem Balkon gegönnt, ein Tomatenbrot verspeist und wie gewohnt Tee dazu getrunken. Wasser mochte sie nicht mehr. Früchtetee, abgekühlt im Kühlschrank aufbewahrt, war eine gute Alternative.

„Nein, ich werde nicht zur Alkoholikerin, obwohl ich festgestellt habe, dass es sich leicht beschwipst besser einschlafen lässt. Doch nur für kurze Zeit, dann ist wieder Ruhelosigkeit angesagt“, hatte sie beim letzten Telefonat ihren Sohn beruhigt.

„Irgendwie hat das Auspacken aber auch etwas Spannendes, weil mir ständig etwas in die Hände fällt, dass ich entweder schon lange vermisst habe, und ich mich riesig freue, es endlich wieder zu haben. Oder ich finde Sachen, von denen ich gar nicht wusste, dass ich sie besitze und auch nicht wofür. Dann überlege ich lange: in den Abfall oder behalten?“

„Im Zweifelsfall immer wegwerfen, Mom. Was Du die letzten Jahre nicht vermisst hast, wirst Du auch in Zukunft nicht unbedingt brauchen. Es belastet Dich nur.“

Sie hätte mit ihrem pragmatischen Sohn das Thema gar nicht anschneiden sollen, ging es ihr durch den Kopf.

Am schlimmsten war es, wenn sie Bilder fand und rätselte, welches von wem war, für was und wann. Das konnte dauern!!!

Apropos Bilder. Heute hatte sie entdeckt, dass Horst Janssen einen Riss quer übers Gesicht hatte.

Sie wusste nicht mehr, wer ihr das Selbstportrait geschenkt hatte, aber nun war das Glas des rahmenlosen Bildes zerbrochen und verlieh dem leicht versoffenen Blick des Künstlers eine weitere komische Note. Die Drahtklipse hielten noch das Glas, aber sie konnte es nicht mehr aufhängen. Jetzt hatte sie es auf den Boden neben den Aktenschrank im Büro gestellt und konnte es wunderbar vom Schreibtisch aus ansehen.

„Ich werde es nicht reparieren. Ich lasse es so. Es hat so für mich einen besonderen Charme“, sagte sie laut zu sich selbst.

„Oh ja, ich wundere mich. Wunder mich über mich selbst.

Der zwanzigste Umzug in einem ruhelosen Leben.“

„Bist Du umzugssüchtig?“ fragte sie ein Freund am Telefon. „Nein, wirklich nicht. Ich reagiere nur.“

„Aber warum immer gleich so vehement?“

„Ich kann nicht anders. Ich habe keine Geduld Situationen auszusitzen und zu hoffen, dass sie sich von selbst regeln. Ich muss handeln.“

Eine lange Pause entstand am anderen Ende der Leitung. Dann: “Eine kostspielige und anstrengende Art zu leben, meine Liebe.“

Wie recht er hatte. „Ich glaube, je älter ich werde, desto unverständlicher werde ich für viele meiner Freunde. Aber sie halten zu mir, bieten mir Hilfe an, trösten mich, bringen mich zum Lachen. Manchmal denke ich, dass manche gerne ein wenig so wären wie ich, aber sich nicht trauen“, ging es ihr durch ihren grauen Wuschelkopf.

Mit jedem leeren Karton wurde sie fröhlicher, denn sie konnte sich langsam vorstellen, wie das Wohnzimmer einmal aussehen würde, ohne all die Kartons inmitten des Raums.

Überall hatte sie blaue Flecken und Muskelkater vom Schleppen, aber so langsam nahmen die Kartonberge ab, waren nur noch zwei- oder dreifach übereinander aufgetürmt. Es lichtete sich.

Zwischen Handtüchern fand sie die nächsten Bilder.

Alle heil. Sofort fing sie an, sie aufzuhängen. Zum Glück hatte das alte Haus keine Betonwände. Die Nägel ließen sich gut einschlagen. Nach dem zweiten oder dritten Bild zuckte sie zusammen.

„Hey, es ist zwei Uhr nachts. Hoffentlich hat mich keiner gehört.“

Sie ging nochmal auf den Balkon und lauschte.

Alles ruhig. Nur ein großer runder Mond schaute über das Dach des Nachbarhauses.

„Dann versuche ich auch mal zu schlafen. Vielleicht gelingt es mir.“

„Wie kann man nur so viel Worte um eine banale Sache wie einen Umzug verlieren?“ dachte sie am nächsten Morgen.

„Aber irgendwie waren sie mir doch wichtig genug, aufgeschrieben zu werden.“

Sie hoffte inständig, dass dieser 20ste Umzug ihr letzter war, bevor sie das Zeitliche segnen würde, und sie nahm sich fest vor, von jetzt an zu entrümpeln.

„So viele Sachen braucht kein Mensch, vor allem keiner wie ich im weit fortgeschrittenen Alter“, sagte sie demonstrativ laut zu sich selbst.

„Ich werde einige leere Kartons aufheben und darin die Dinge verstauen, die ich an eine Hilfsorganisation geben werde. Es ist so ein schönes Gefühl, etwas Gutes zu tun.

Hätte ich doch nur schon mal früher damit angefangen. Aber wie hieß eine alte Werbung: „Es ist nie zu früh und selten zu spät für Hormocenta!“

„Haha, ich habe es gerade gegoogelt. Diese Creme gibt es tatsächlich noch immer, seit über 60 Jahren schon. Aber wie komme ich jetzt darauf?“

Immer noch in sich hineinlachend öffnete sie den nächsten Karton. „Oh, nein“, entfuhr es ihr. Ein Säckchen voll mit Schlüsseln. Alle ohne Schildchen. Nur zwei oder drei konnte sie sofort „entschlüsseln“, bei allen anderen fiel ihr nicht mehr ein, wohin sie gehören könnten.

„Wäre ich doch mal ordentlicher gewesen. Verdammt“, stöhnte sie.

Sie ließ Karton Karton sein und ging erst einmal einkaufen, das würde sie auf andere Gedanken bringen.

Als sie nach Hause kam, fühlte sie sich besser und verteilte die restlichen Kartons voller Elan. „Ich will ja nur mal sehen, wie das Wohnzimmer ohne Umzugskartons ausschaut. Die Schränke nehme ich mir irgendwann später vor. Es hetzt mich ja niemand.“

„Also, ich finde die Wohnung echt schön“, meinte ihre Freundin Geli, als sie am nächsten Tag zum Kaffee kam. „Hier kannst Du Dich doch erst mal wohlfühlen und endlich auch ein bisschen entspannen, nach all dem Stress der letzten Monate.

„Ja, so gesehen hast Du recht, aber ich sehe das nur als eine Übergangsphase an für die Zeit bis zu meinem Kuraufenthalt.“

Und dann sehen wir weiter“.

„Du denkst doch nicht im Ernst schon wieder an einen weiteren Umzug.“

Geli prustete ein paar Streusel ihres Streuselkuchens auf die Tischdecke.

„Nein. Ich musste nur gerade daran denken, dass wir doch erst mit 21 volljährig wurden. Meinst Du, ich brauche 21 Umzüge um endlich erwachsen zu werden?“

„Du meinst, zufrieden und glücklich zu werden, meine Liebe.

Jetzt geht es erst einmal um Deine Gesundheit. Würdest Du Dich bitte zunächst einmal darauf konzentrieren.“

Geli hatte völlig recht, aber als sie gegangen war, musste sie unwillkürlich an Umzug Nummer 19 denken. Er war von Anfang an als Übergangslösung gedacht, aber was hatte er sie an Nerven gekostet!!

Als sie vor fast einem Jahrzehnt an die Nordsee gezogen war, hätte sie Jeden ausgelacht, der gesagt hätte: „Auch da wirst Du nicht ewig bleiben!“

Sie war doch so glücklich dort gewesen, hatte so lange darauf hingearbeitet, aber ihre Gesundheit spielte nicht mit. Es war zu spät gewesen, sie hätte diesen Schritt viel früher machen sollen.