Schreiben ist wie leben - nur schöner - Ingrid Metz-Neun - E-Book

Schreiben ist wie leben - nur schöner E-Book

Ingrid Metz-Neun

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Beschreibung

Ein Sohn lernt seine Mutter erst nach deren Tod richtig kennen. Anhand von Kurzgeschichten und Gedichten, die sie hinterlassen hat, befasst er sich mit ihrem Leben und lernt dabei auch viel über sich selbst.

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Ein Sohn lernt seine Mutter erst nach deren Tod richtig kennen. Anhand von Kurzgeschichten und Gedichten, die sie hinterlassen hat, befasst er sich mit ihrem Leben und lernt dabei auch viel über sich selbst.

Ingrid Metz-Neun, Jahrgang 1950, Schauspielerin, Sprecherin, Regisseurin, Autorin. Lebt nach vielen Großstadtjahren in einem kleinen Ort an der Nordsee. Sie schreibt Geschichten, Gedichte und kleine Romane über das Leben.

Inhaltsverzeichnis

Prolog

Die Seebestattung

Der Ordner

Glück

Das Interview

Museumseröffnung

Beobachtungen (nicht nur zur Weihnachtszeit)

Mein lieber Hauptdarsteller,

Das kleine Glück

Die Zeit oder Spätes Glück

Frühling

Merk-würdig

Das Paradies ist nirgendwo

Verlorene Tage

Wetter

Tag der Blumenhändler ...

Denk ich an Weihnachten

Wozu brauchen wir Technik?

Die Interessenten

Es war einmal in Offenbach

1966

Annika

Angst vor zu viel Nähe (Fragment)

Frühling

Die Narbe (Fragment)

Kind

Und plötzlich (2)

Die wirklich interessanten Frauen leben allein ...

Apfelpfannkuchen

Gefährliches Internet

Der Strandkorb

Der scharfe Hahnenfuß

Das Geständnis

Die Kamikaze-Würmer

Bleib mir vom Zwickel

Vollmond

Das Wattenmeer

Das Fitnessarmband

Wildwest in Nordwest

Die Kellerassel

Am Tag, als die Vokale sich verweigerten

Süchtig

Die Reise der Karamelbonbons

Big is beautiful (Teil 1)

Sehnsuchtsland Neuseeland

Könnte ich nochmal ...

Zukunft

Synchron – ein Zauberwort

Epilog

Was ist Liebe

Prolog

Die Stimme ist ein Clown. Wenn man sie beherrscht, kann sie viele Gefühle vorgaukeln.

Die Stimme ist auch ein Muskel, der trainiert werden muss. Wird sie nicht gefordert, verkümmert sie.

Meine Stimme ist ein Clown,

sie lächelt, auch wenn ich traurig bin,

lässt niemanden in die Seele schaun,

für mich, kein wahrer Gewinn.

Ist nicht so, dass ich mich beklage, aber was mir wirklich mal am Herzen läge: Einfach mal so reden, wie ich mich grad fühl!

Die Seebestattung

Nachdem der Kapitän die Asche dem Meer übergeben hatte, ertönten vier Doppelschläge, das sind acht Glasen der Schiffsglocke.

Sie waren bei diesigem Wetter losgefahren, aber jetzt war der Himmel aufgerissen, die See lag ruhig, und die Sonne ließ den nahen Frühling ahnen.

„Wie kann ein so lebensfroher, quirliger Mensch in so eine kleine Urne passen”, dachte er. Er sah sie vor sich: blonde, wuschelige Naturlocken über strahlenden blauen Augen, den Lippenstift immer passend zum Nagellack und den Nagellack farblich auf die Kleidung abgestimmt. Trotz ihrer Fülle sah sie stets anmutig aus, wie eine lebensgroße Käthe-Kruse-Puppe.

Mit ihm waren nur der Kapitän und ein Matrose an Bord. So hatte sie es gewollt. Das war neu für den alten Seebären, der seit Jahren nicht mehr Krabbenfischer, sondern Seebestatter war; ein wesentlich lukrativeres Geschäft, das boomte. Immer mehr Menschen zogen eine Seebestattung dem Grab auf dem Friedhof vor. Aber häufig waren zehn bis zwanzig Angehörige auf der letzten Fahrt dabei, nicht nur einer.

„Waren Sie schon mal in Büsum”? – „Nein, nein, ich bin zum ersten Mal hier”, antwortete er stockend, unsanft aus seinen Gedanken gerissen. „Ich bedaure, nicht früher einmal meine Mutter besucht zu haben. Es hätte sie bestimmt gefreut. Jetzt ist es zu spät.”

„Ja, mien Jung, dat geiht de Lüü to. Da denkt man immer, noch so viel Zeit zu haben, aber der liebe Gott hat andere Pläne.”

Bis sie wieder den Hafen erreichten, hatten sie dann beide geschwiegen. Er war froh gewesen, nicht mehr reden zu müssen. Der Weg in ihr Haus fiel ihm schwer genug. Seit einer Woche war er bereits da. Nachdem er von der Nachbarin die Nachricht erhalten hatte, war er losgefahren, ohne Rücksicht auf Geschwindigkeitsbegrenzungen. So, als könnte er durch die schnelle Fahrt die Gewissheit aufhalten, den Tod nicht rückgängig machen zu können, aber er kam zu spät.

Der Ordner

Er fand alles so vor, wie sie es ihm vor fünf Jahren erklärt hatte, als sie vor der schweren Operation mit ihm zum Notar gegangen war und alles bis ins Kleinste festgelegt und im blauen Ordner abgeheftet hatte. Die OP hatte sie gut überstanden; auf dringendes Anraten der Ärzte war sie endlich ruhiger geworden, hatte ihm die Geschäftsleitung übergeben und sich einen Traum erfüllt: ein kleines Haus, ganz auf ihre Bedürfnisse zugeschnitten, mit herrlichem Garten, direkt an ihrer geliebten Nordsee, deren Luft ihren kaputten Bronchien so guttat.

Er hätte ihr so gern mehr glückliche Jahre gewünscht, und obwohl ihm der Arzt versichert hatte, dass sie nicht gelitten hätte – der Infarkt wäre so heftig gewesen, dass sie auf der Stelle gestorben war –, konnte ihn das nicht trösten.

Warum hatte er einen Besuch immer wieder hinausgeschoben? Weil er so beschäftigt war? Ja, das war er tatsächlich. Aber in erster Linie deshalb, weil er allen beweisen wollte, dass er aus ihrem Schatten heraustreten und die Firma zu nie gekannten Höhenflügen bringen konnte. Dass er daneben noch weitere Geschäftszweige eröffnet hatte und sehr erfolgreich war. Sie telefonierten täglich, bei allen Unternehmungen gingen Mails hin und her. Er hatte nie das Gefühl, dass sie nicht „anwesend” war. Sie war es. Obwohl er sich manchmal noch mehr Eigenständigkeit gewünscht hätte, war er in kritischen Situationen insgeheim auch froh darüber.

Sie hatte für alles den Grundstein gelegt, er konnte sorgenfrei darauf aufbauen, aber für wen? Er war nicht verheiratet und hatte keine Kinder. Zum ersten Mal im Leben wurde auch ihm seine „Endlichkeit” bewusst, und er fragte sich: Wer sollte das alles erben? Sollte er eine Stiftung gründen? Das wäre bestimmt auch in ihrem Sinne gewesen.

Jetzt wollte er nur noch bleiben, bis das Haus verkauft war. Interessenten gab es genug. Dithmarschen stand wie viele Nord- und Ostseegemeinden hoch im Kurs. Die Leute fuhren nicht mehr in die Türkei oder zum Ballermann. Sie blieben im Land.

Vor ihrer Haustür empfing ihn ein kleines Meer von Blumen und Kerzen und Briefe. Er war überwältigt über die große Anteilnahme. Ihm war direkt nach seiner Ankunft viel Freundlichkeit und Hilfe von Seiten der Nachbarn entgegengebracht worden. Man lud ihn sofort spontan zum Essen ein. Die einen kümmerten sich um den Verbleib ihrer Kleidung und Wäsche, spendeten sie für einen guten Zweck, wie sie es schon zu Lebzeiten getan hatte, die anderen verteilten ihre Bücher in ihren Ferienwohnungen, so dass er sich nur noch um ihre persönlichen Dinge kümmern musste, und dafür wurden ihm Umzugskisten bereitgestellt.

Ihren Wagen überließ er zu einem guten Preis der Werkstatt, die sie betreut hatte, und auch auf dem Rathaus war man freundlich und unkompliziert. Er konnte sich nicht vorstellen, dass so eine Unterstützung auch in der Großstadt möglich wäre, jedenfalls hatte er es nie so erlebt. Hatten die Menschen hier keine Probleme? Sie waren alle so relaxed.

Langsam begriff er, was sie immer mit „dem Zauber des Landlebens” umschrieben hatte. Mehrfach hatte sie nach dem Umzug geschwärmt: „Ich fühle mich endlich zu Hause angekommen.”

Er schaute auf den großen Teich vor dem Küchenfenster mit den unzähligen Enten und Blesshühnern. Auf den obersten Zweigen der Erlen breiteten die schwarzen Kormorane ihr Gefieder zum Trocknen aus. Sie hatte ihm Fotos davon geschickt. Auf der anderen Seite des Zimmers, das Küche, Ess- und Wohnzimmer in einem war, blickte er auf die Wiesen und Weiden mit den Pferden, Kühen und Schafen. Idylle pur. Gerade stolzierten Rebhühner über ihren Rasen, zumindest glaubte er, es seien Rebhühner, denn er wusste nicht genau, wie sie aussehen.

Sein Handy klingelte. Er ärgerte sich über den schlechten Empfang und bat den Anrufer, die Festnetznummer zu wählen. Das Internet war so langsam, wie er es nur von Urlauben, weit weg auf irgendeiner südlichen Insel, her kannte und verlangsamte seine Arbeitsweise beträchtlich.

Aber merkwürdigerweise störte ihn das schon am zweiten Tag nach seiner Ankunft nicht mehr so sehr. Er spürte, wie er automatisch, ganz ohne sein Zutun, ruhiger wurde.

Nachdem er die wichtigsten geschäftlichen Dinge erledigt hatte, widmete er sich wieder dem blauen Ordner mit den Anweisungen und Verfügungen. Das meiste hatte er schon erledigt. Jetzt fiel sein Blick auf einen alten schwarzen Ordner, der abgegriffen aussah und ganz ohne Beschriftung war. Er war kurz davor, ihn in den Müll zu schmeißen, dann machte er ihn doch auf und blätterte darin. Kein Inhaltsverzeichnis, kein ABC-Register, nur Blätter mit den unterschiedlichsten Schrifttypen, einfach nur Texte, manche mit Überschrift, manche ohne, fast immer ohne Datum.

Er las die erste Seite.

Glück

So wie der Ursprung des Wortes im Dunkeln liegt, ist mir nun auch die Bedeutung des Wortes abhandengekommen. Glück war immer nur kurzzeitig, erinnere ich mich. Tausend Mal habe ich gesagt: „Welch ein Glück“ oder „Wie bin ich glücklich“ (Letzteres mehr gedacht als gesagt). Ich zähle nicht zu den Menschen, die lauthals lachen, sich auf die Schenkel klopfen oder die Augen verdrehen. Ich bin mehr ein stiller. Und auch die größten Glücksgefühle, daran erinnere ich mich ganz genau, waren meist kleinen Ursprungs: der Junikäfer auf meinem Handrücken, das Lächeln des Kindes.

Nein, ich habe nicht verlernt, für viele Dinge des Alltags dankbar zu sein: die warme Wohnung, die Beweglichkeit des Körpers, die Zuneigung von Freunden. Aber die sinnliche Freude als Glück zu bezeichnen, hat mich verlassen, zeitgleich mit der Sehnsucht. Deshalb habe ich das dumpfe Gefühl, dass diese beiden zusammen gehören: ohne Sehnsucht kein Glücksgefühl.

Ich weiß nicht mehr, wann es begann: Plötzlich musste ich nicht mehr die Erste sein, die Schönste, die Erfolgreichste, auch nicht diese oder jene Sehenswürdigkeit gesehen, dieses oder jenes gefühlt oder geschmeckt haben.

Bin ich jetzt alt, frage ich mich? Aber ich kenne viele, die viel älter sind als ich und die noch voller Sehnsucht sind. Ist es also ein biologischer Zerfall? Die Rache für alle meine Ausschweifungen? Habe ich mein Glückskonto aufgebraucht?

Hallo, die Sonne scheint, ein Vogel zwitschert, der Tee riecht köstlich, ich hatte Stuhlgang, nichts zwickt mich, warum bin ich nicht glücklich? Warum weine ich?

Eine schwerwiegende Depression, sagen die Ärzte. Ich weigere mich, Psychopharmaka zu nehmen. Ich will es mit meinem Kopf und Verstand hinkriegen. Ich bin undankbar, ganz klar. Es gibt Menschen, die sitzen im Rollstuhl und sind glücklich.

Neulich, der Blinde im Restaurant, wurde gefüttert von der Freundin und hat so herzlich gelacht, als die Tomate auf seinem Hosenbein zerplatzte. So hört sich Glück an. Und ich sitze und beobachte und schmecke nichts wirklich und rieche nichts wirklich und bemerke nicht den liebevollen Blick des Mannes. Nehme hin, mehr nicht. Ich bin für die Gesellschaft nicht mehr tragbar, aber zu feige, wirklich zu springen oder ein Gift zu besorgen. Schade, dass es keine Bushaltestelle für Lebensmüde gibt: einsteigen und entschlafen. Das wäre eine feine Sache.

Alle versuchen, mich zu trösten, die Ursache dem langen Winter zuzuschreiben. Aber ich bezweifle, ob sich dieses warme, wohlige Glücksgefühl, als das ich es in Erinnerung habe, jemals wieder einstellt.

Anfangs dachte ich, ich müsste nur lange genug weinen, dann käme die Fröhlichkeit irgendwann automatisch um die Ecke. Ich glaube, inzwischen könnten meine Tränen einen kleinen Salzsee speisen, und ich frage mich, wo kommen die überhaupt noch her? Muss ich salzärmer kochen? Sollte ich es mit mehr als einem Glas Wein am Abend probieren?

Jetzt werde ich albern und schweife ab. Es ist mir ernst mit meiner Trauer. Ich hasse mich dafür und kann nicht dagegen an. Es muss etwas mit der nicht vorhandenen Sehnsucht zu tun haben. Davon bin ich jetzt überzeugt. Ich erinnere mich plötzlich an Cocteaus „Geliebte Stimme“. Ich spielte diesen Einakter oft und ich war gut, haben damals viele gesagt; in meiner gespielten Traurigkeit, in dem Schmerz der verlassenen Frau. Obwohl ich nie in der Form verlassen wurde, konnte ich es erfühlen, denn ich wusste, wie Leidenschaft brennt. Und es war die Sehnsucht nach so einer absoluten Liebe und Hingabe, für die eine Trennung unweigerlich den Tod bedeuten musste.

Da war es wieder, das Wort Sehnsucht. Wenn ich keine Sehnsucht mehr habe, kann ich kein Glück wirklich spüren. Mir geht es gut, ganz klar. Ich habe keine wirklich großen Probleme. Ich bin übersättigt. Wovon? Mein Leben war immer nur Kampf, immer nur Trotz. Aber ich hatte Ziele. Und jetzt?

Ich habe meinem Liebsten wehgetan, weil ich nicht sagen konnte: Ja, ich freue mich, wenn du kommst. Es ist nicht weniger schön, wenn er nicht kommt. Zweisamkeit und Einsamkeit haben Vor- und Nachteile. Im Laufe meines Lebens habe ich so oft Ja gesagt, obwohl ich Nein meinte, dass ich mich an die Lüge gewöhnt habe. Und seitdem ich halbwegs ehrlich bin, verschwimmen die großen Gefühle zu einem seichten Gefühlsbrei ohne Geschmack.

Wenn ich doch nur wüsste, was ich mir am sehnlichsten wünsche!

Der letzte Strahl der untergehenden Sonne berührt meine Tastatur. Und plötzlich weiß ich es, so klar und deutlich, dass ich schallend lache. Warum habe ich es nicht früher erkannt? Warum war ich so blind? Mein Herz ist voll von Geschichten, die aufgeschrieben werden wollen. Meine Finger sind längst nicht so flink wie mein Geist. Alles will aus mir herausströmen.

Wenn es nur ein paar Menschen gäbe, denen diese Zeilen – und alles, was ich danach schreiben werde – etwas bedeuteten, sie nachdenklich oder fröhlich machten, das wäre mein Inbegriff von GLÜCK.

Er las es noch einmal. War das von ihr, war das wirklich ihr innigster Wunsch, zu schreiben und gelesen zu werden?

Er merkte nicht, dass es inzwischen dunkel geworden war, und im Schein der kleinen Schreibtischlampe blätterte er weiter.

Das Interview

Sie lächelte. Ja, er durfte diese Frage stellen. Er war einst ihr Lieblingsschüler. Groß und schön und zurückhaltend stand er damals vor ihr. Der gerade erworbene Doktortitel schützte ihn nicht vor den Illusionen in seinem Kopf. Sie trat ihm sanft, aber beharrlich in seinen – bildlich gesprochen – knackigen Po, bis er alle Spielregeln ihres Gewerbes beherrschte. Heute war er Programmdirektor – ohne Illusionen im Kopf. Ein Mann Ende Vierzig, der genau wusste, was sein Publikum sehen und hören wollte, ein Garant für Einschaltquoten. Und dieses Portrait anlässlich ihres fünfundsechzigsten Geburtstags wollte er persönlich drehen. Nicht diese nullachtfünfzehn Fragen. Seine Zuschauer interessierten die intimen Dinge, ungeschminkte Wahrheiten, und nur zu ihm hatte sie Vertrauen.

Er erwiderte ihr Lächeln und wiederholte seine Frage: „Welches war die glücklichste Zeit in Ihrem Leben?“

„Die Frage ist falsch, mein Lieber. Jetzt, ja jetzt ist meine glücklichste Zeit. Sehen Sie, ich habe eine wunderbare Begabung. Je älter ich werde, desto besser verstehe ich mein Leben, begreife die Zusammenhänge. Nichts war unwichtig, vieles schmerzhaft, aber rückblickend kristallisiert sich das Wichtige immer klarer heraus. Erst jetzt bin ich in der Lage, resümierend das Schönste in vollen Zügen zu genießen.“

„Heißt das, Ihre großen Erfolge auf der Bühne und im Film haben nicht unbedingt Priorität?“

„Ganz und gar nicht. Sie waren die reiche Ernte meines verbissenen Fleißes. Aber als ich auf der Höhe meines sogenannten Ruhmes stand, war ich der einsamste Mensch. Mein Sohn wurde von fremden Menschen großgezogen, mein Mann machte in der Politik Karriere. Wir mimten nur für die Regenbogenpresse Familienglück. In Wirklichkeit wussten wir nichts voneinander und nahmen uns auch nicht die Zeit, etwas voneinander zu erfahren. Wir ertränkten unsere emotionale Traurigkeit in rauschenden Festen und heißen Flirts in kalten, teuren Hotelzimmern oder auf den Rücksitzen eines Mietwagens; immer in der Angst, an die oder den Falschen geraten zu sein, der unsere Popularität für seine schmutzigen Geschäfte ausnutzen könnte.“

„Aber ich erinnere mich, dass Sie immer beteuerten – auch damals – glücklich zu sein.“

„Natürlich. Damals war ich es ja auch. Ich redete mir ein, begehrt, beachtet, geliebt zu werden und diese erotischen Hipp Hopps gehörten dazu und schmeichelten meinem Ego. Je verrückter, desto besser. Heute weiß ich, dass aller Ruhm und alles Rampenlicht verblasst gegen die letzten Jahre mit meinem Mann.“