Im Reich der Bären - Moritz Klose - E-Book

Im Reich der Bären E-Book

Moritz Klose

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Beschreibung

Das geheime Leben der Bären zwischen Wildnis und Zivilisation Moritz Klose bringt uns in seinem Buch »Im Reich der Bären. Die gelassenen Gebieter des Waldes« auf eindrucksvolle Weise die Welt der Bären näher. Der Bärenexperte hält sich immer wieder in Bärengebieten auf, spricht mit Grizzly-Forschern in Alaska und ist in Bayern und den dichten Wäldern Rumäniens Braunbären auf der Spur. Moritz Klose lässt uns hautnah das Alltagsleben der Bären miterleben sowie die atemberaubenden Momente, wenn sie sich ihrer Umwelt anpassen und dort behaupten müssen.  In Moritz Kloses Buch geht es um folgende Bären-Arten: - Braunbär - Brillenbär - Lippenbär - Großer Panda - Asiatischer Schwarzbär - Malaienbär - Amerikanischer Schwarzbär - Eisbär Moritz Klose ist geschäftsführender Vorstand für die NABU International Naturschutzstiftung und renommierter Wildtierexperte. Er beschäftigt sich damit, ob ein Zusammenleben von Braunbär und Mensch in unserer dicht besiedelten Kulturlandschaft überhaupt möglich ist. Das Buch greift auch kritische Themen wie Bärenangriffe und »Problembären« auf, durch die das schwierige Gleichgewicht zwischen Mensch und Natur oft ins Wanken gerät. Klose beleuchtet, wie durch Wissen, Respekt und Schutzmaßnahmen diese Balance wiederhergestellt werden kann, ohne die Wildtiere zu schädigen. »Im Reich der Bären. Die gelassenen Gebieter des Waldes« ist nicht nur eine Hommage an die majestätischen Säugetiere. Kloses Buch ist auch ein leidenschaftlicher Appell für das Verständnis von Biodiversität und für die ökologische Bedeutung der Wälder und ihrer Bewohner. Mit Einblicken in das Ökosystem Wald, von der kleinsten Ameise bis zum mächtigen Braunbären, unterstreicht Klose die Bedeutung jedes Elements in diesem komplexen Lebensnetz. Fotografien und Kloses persönliche Erlebnisse ergänzen das Sachbuch und ermöglichen einen einzigartigen Blick auf die sanften Giganten des Waldes. Eine unverzichtbare Lektüre für alle Naturbegeisterten, Umweltschützer und jene, die mehr über die geheimnisvolle Welt der Bären erfahren möchten.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
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Seitenzahl: 381

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Moritz Klose

Im Reich der Bären

Die gelassenen Gebieter des Waldes

Verlagsgruppe Droemer Knaur GmbH & Co. KG.

Über dieses Buch

»Im Reich der Bären« widmet sich den wichtigen Fragen der Verbreitung und Lebensweise von Meister Petz. Moritz Klose nimmt uns mit in die geheimnisvolle Welt der verschiedenen Bärenarten und untersucht die Möglichkeiten für ein konfliktarmes Zusammenleben mit großen Wildtieren in unserer dicht besiedelten Kulturlandschaft. Dabei verarbeitet Klose seine vielfältigen persönlichen Erfahrungen mit Bären: Er ist in Rumänien den Braunbären auf der Spur, spricht mit Grizzly-Forschern in Alaska und gerät in Bayern zwischen die Fronten von Tierschützern und Bärengegnern. Er erzählt von Bruno und Gaia und den besonderen Herausforderungen eines gemeinsamen Lebensraumes. 

 

Ein Buch für alle, die mehr über das verborgene Leben der Bären zwischen Wildnis und Zivilisation erfahren wollen.

 

Weitere Informationen finden Sie unter: www.droemer-knaur.de

Inhaltsübersicht

Karte

Anfang

Acht

Bärendienste

Komplexe Verwandtschaftsverhältnisse

Brillenbär (Tremarctos ornatus) – der Andenbär

»Oh, wie schön ist Panama«

Lippenbär (Melursus ursinus) – der Todestänzer

Großer Panda (Ailuropoda melanoleuca) – der Feinschmecker

Und was ist mit dem Kleinen Panda?

Wenn der Bambus stirbt

Asiatischer Schwarzbär (Ursus thibetanus) – der Ausgebeutete

Malaienbär (Helarctos malayanus) – der Geheimnisvolle

Amerikanischer Schwarzbär (Ursus americanus) – der Anpassungsfähige

Eisbär (Ursus maritimus) – der weiße Riese

Geschichte(n)

Bruno – eine tragische Familiengeschichte

Die Spur der toten Schafe

Vom Verschwinden und Wiederkehren einer Art

Bruder Bär

Legenden, Sprach- und Fabelwelten

Jemandem einen Bären aufbinden

Da steppt der Bär

Jemandem einen Bärendienst erweisen

Der Löwe und der Bär

Von Bärenkriegern, Bärenkulten und Bärenfesten

Sohn und Mutter Bär

Bärlin

Teddys Bär

Bildteil

Alaska

Lachs

Be bear aware

Social Distance

Für den Fall der Fälle

A fed bear is a dead bear

Vegetarier im Blutrausch

Der Ruf des Eistauchers

Bärenjugend

Gandalfs Zöpfe

Sozialleben eines Einzelgängers

Rumänien

Eine Menge Holz

Ein verschlafenes halbes Leben

Waisen

Politikum Bär

Problemmenschen

Bayern

Gaia – eine tragische Familiengeschichte Teil II

Almen in Gefahr?

Unzumutbare Schützbarkeit

Von Hunden und Hirten

Zukunftsperspektiven für Bären in Deutschland und Europa

Glossar

Bildnachweis

Verhaltenstipps im Bärengebiet

Anfang

Diese Karte zeigt die Verbreitung von Braunbären in Europa im Zeitraum 2017 bis 2023. Die Kategorie permanent (hellgrau) bezeichnet Gebiete, in denen Bären dauerhaft vorkommen. Die Kategorie sporadisch (dunkelgrau) zeigt Regionen, in denen Bären gelegentlich nachgewiesen wurden.

Den ersten frei lebenden Bären, den ich in Europa sah, hielt ich für einen Fuchs.

Es war im Juni 2017, als ich mit einer Gruppe von Jugendlichen, die sich im WWF für den Luchs engagierten, in die Slowakei fuhr, um mich mit ihnen auf die Spuren der Pinselohren zu begeben. Neben Wölfen und Bären gibt es dort auch Luchse, und wir wollten uns ein Bild von ihrem Lebensraum machen und Menschen treffen, die sich für den Schutz der heimlichen Katzen engagieren. Wir trafen Jäger, Tierhalter, Bürgermeister, Tierfilmer und Wissenschaftler, unter anderem auch diejenigen, die zu dem Zeitpunkt Luchse einfingen, damit sie für ein Wiederansiedlungsprojekt im Pfälzer Wald nach Deutschland gebracht werden konnten. In den Wäldern des Muránska-Planina-Nationalparks wurde der Bestand an Luchsen zu diesem Zweck schon länger mithilfe von Fotofallen beobachtet, man spricht auch von Monitoring. Auf von Wildtieren häufig frequentierten Wegen, sogenannten Wechseln, wurden große Kastenfallen aufgestellt, die mit Kameras und Sensoren ausgerüstet waren. Die Forscher wurden sofort informiert, wenn ein Tier in die Falle ging, es wurde unmittelbar daraus befreit und in ein Gehege zur Untersuchung gebracht. Nach einigen Wochen in Quarantäne konnten die eingefangenen Luchse dann nach Deutschland transportiert werden.

Es war früh am Morgen, als ich mich zum Joggen aufmachte. Ich kannte mich nicht aus in dieser Region der Slowakei, aber das machte mir nichts aus: Ich lief einfach los. Joggen ist für mich die beste Möglichkeit, um die Landschaft zu erkunden. Auch wenn ich auf Dienstreisen in Städten bin, habe ich meist die Laufschuhe dabei. Sightseeing on the run.

Mir wird oft gesagt, dass ich eine große Ruhe ausstrahlen würde und man mir anmerke, dass ich mit mir im Reinen sei. Merkwürdig, denn innerlich bin ich ständig in Bewegung; manchmal habe ich das Gefühl, mein Kopf würde vor Gedanken und Ideen platzen und mein Bauch vor Unruhe explodieren. Ich weiß in aller Regel sechs Wochen vorher, was ich an einem Dienstagnachmittag um 15.00 Uhr mache, mit manchen meiner Freunde plane ich ein halbes Jahr im Voraus Ausflüge und Kochabende, ich gehe in meinem Kopf kontinuierlich diverse berufliche und private To-do-Listen durch.

Meine Hündin Thula, eine sechsjährige, mittelmäßig gut erzogene, dafür aber umso bezauberndere Magyar-Vizsla-Dame, hat ein ähnliches Temperament. Vizslas jagen am liebsten Niederwild, Vögel und Kaninchen, sie sind Familienhunde und möchten immer bei allem dabei sein, sie sind ständig bereit zu arbeiten, zu erkunden, zu suchen, zu schnüffeln. Zu meinem Freund Markus, der auch einen Vizsla hat, meinte ich einmal: Vizslas haben einfach eine höhere Grundgeschwindigkeit. Markus fand, das sei sehr zutreffend. Man sagt ja, dass die Halter ihren Hunden oft sehr ähnlich seien. Was soll ich sagen. Thula trägt mein Inneres nach außen.

Ich jogge nicht, um vor Dingen wegzurennen. Auch nicht vor Bären, denn vor ihnen sollte man unter keinen Umständen wegrennen, doch dazu später mehr. Es ist eher so: Wenn ich neue Gebiete erkunde, ist Joggen für mich die effizienteste Art, in möglichst kurzer Zeit möglichst viel zu sehen. Sightseeing in »fast forward«. Aber indem ich immer schneller renne, schaffe ich es auch, meine Gedanken auszubremsen und zu ordnen.

Beim Laufen hilft mir neuerdings auch klassische Musik. Als sportliche Begleitung habe ich sie für mich bei »Chef’s Table« auf Netflix entdeckt. Die exakt auf die Melodien aus Vivaldis Vier Jahreszeiten abgestimmte Abfolge von Zeitrafferaufnahmen aus den bedeutendsten Gourmetküchen entspricht dem Wirbeln in meinem Kopf und meiner Vorliebe für Synchronisation und Perfektion. Genauso wie der Moment, wenn ich unter der Brücke am Schkeuditzer Kreuz hindurchfahre, sich ein Airbus auf dem Weg zum Rollfeld befindet und ein anderes Flugzeug in der gleichen Sekunde auf der Landebahn aufsetzt. Alles gleichzeitig! In der Logistikbranche oder im Veranstaltungsmanagement hätte ich mich auch wohlgefühlt.

Doch ich wurde Naturschützer. Mit elf sammelte ich auf dem Marktplatz meiner Heimatstadt Magdeburg Unterschriften gegen den Walfang, gründete ein Greenteam – eine Jugendorganisation von Greenpeace – und säuberte mit ein paar Klassenkameraden Waldgrundstücke von Müll. Damals wollte ich Parkranger in einem der großen Nationalparks der USA werden, am besten Yellowstone oder Grand Canyon. Vielleicht würde man erwarten, dass ich als Autor eines Bärenbuches jetzt schreibe, dass ich Bären schon liebte, als ich fünf war, mit acht bereits alle Bärenparks in Deutschland besucht hatte, mit zwölf in Alaska Bären beim Lachsfischen beobachtet hatte und während meines Biologiestudiums zum Winterschlaf von Schwarzbären in Nordamerika forschte.

So war es jedoch nicht! Zwar studierte ich Biologie, erforschte aber während meiner Bachelorarbeit epiphytische (auf Bäumen wachsende) Orchideen. Meinen Master machte ich im Fach Naturschutz, Ökologie und Evolution und ging dabei der Frage nach, ob Totholz und Kuhdung sinnvolle Alternativbrennstoffe sein könnten, um die Entwaldung in der Nordost-Mongolei aufzuhalten.

Die Natur ist so vielfältig und interessiert mich schon immer. Tiere faszinieren mich ebenso wie Pflanzen und vor allem ihre komplexen Wechselbeziehungen, über die sie miteinander in Verbindung stehen. Manchmal wäre ich gern ein naturwissenschaftlicher Universalgelehrter wie Alexander von Humboldt oder wie einige der Biologieprofessoren, bei denen ich Vorlesungen hörte. Meine Freunde und Familie denken, ich wäre den ganzen Tag draußen und würde mich auf die Spuren von imposanten Vierbeinern begeben. Schön wäre das, denke ich, aber die Realität sieht meistens anders aus. Ich greife häufiger zum Telefon als zum Fernglas.

Seit einiger Zeit arbeite ich für die Internationale Naturschutzstiftung des NABU und darf Projekte zum Erhalt seltener Arten und ihrer Lebensräume koordinieren. Ob in den Bergnebelwäldern Äthiopiens oder in den Feuchtgebieten Ruandas: Weltweit setzt sich die Stiftung für Mensch und Natur ein. Davor leitete ich acht Jahre lang das Wildtierprogramm des WWF Deutschland. In den Projekten begleitete ich die Rückkehr von Wolf, Luchs, Bär, Elch und Wisent nach Deutschland und Europa.

Die Rückkehr von Raubtieren, die lange Zeit hierzulande als ausgestorben galten, wirft viel mehr gesellschaftliche als ökologische Fragen auf. Wie können wir Schafe, Ziegen und Rinder vor Übergriffen durch Wölfe schützen? Frisst der Luchs die letzten Rehe des Bayerischen Waldes und haben die dortigen Jäger dann gar nichts mehr zu schießen? Welche Gefahr geht von Wölfen aus, die auch tagsüber in Siedlungen gesichtet werden? Kann ich in den Gebirgen Süddeutschlands noch angstfrei spazieren gehen, wenn dort jetzt immer wieder Bären gesichtet werden? Müssen Waldkindergärten geschlossen werden, wenn sich ein neues Wolfsrudel in der Gegend etabliert hat? Wie viele Wölfe brauchen wir überhaupt? Und bedeutet die Rückkehr der großen Beutegreifer nicht gar das Ende des christlichen Alpenlandes?

Wir sprechen von Mensch-Wildtier-Konflikten, die jetzt vermehrt auftreten, doch häufig sind dies nicht Konflikte zwischen Menschen und Tieren, sondern Meinungsverschiedenheiten zwischen Menschen mit unterschiedlichen Wertvorstellungen, die sich hervorragend auf Bär, Wolf und Co. projizieren lassen.

 

Es war kühl an diesem Morgen, und ich lief zuerst die Straße entlang, die zu unserer Unterkunft – einer urigen Hütte auf einem Hügel, umgeben von lichten Wäldern – führte. Ich querte eine Hauptstraße und bog auf der anderen Seite auf eine Forststraße ab, als ich auf einmal ein kleines Fellknäuel ungefähr 30 Meter vor mir liegen sah. Oh, ein Fuchs, dachte ich, der ist ja ganz entspannt und liegt da einfach herum. Ich ging etwas näher und realisierte: Oh, kein Fuchs, sondern ein Bär!

Da vorne lag tatsächlich ein Bärenjunges. Sofort begann es in meinem Kopf zu rattern. Wenn dort vorne ein Bärenjunges liegt, ist die Mutter mit Sicherheit nicht weit weg. Ich bekam keine Panik, aber meine Sinne waren schlagartig aktiv, und ich fühlte mich sehr lebendig.

Ich kannte dieses Gefühl von früher. Als ich mit neun Jahren die alte Praktica-Spiegelreflexkamera meiner Mutter geschenkt bekam und meine Leidenschaft für die Fotografie entdeckte, verbrachte ich viel Zeit in stillgelegten Fabrikhallen, um die Ruhe, die ich dort vorfand, auf Silberhalogenid und Gelatine zu bannen. Heute spricht man von »lost places«. Damals, vor über 25 Jahren, gab es sie auch schon, diese verlassenen Fabrikhallen, in denen die Zeit stillzustehen schien. Ich schlich allein durch die Räume auf der Suche nach Stillleben, Lichtspielen, zeitlosen Objekten, Symmetrie, Licht und Schatten. Meine Sinne waren so wach und ich mit mir selbst so im Reinen, dass ich das Gefühl hatte, die Unendlichkeit spüren zu können.

So ähnlich fühlte ich mich jetzt also auch, als ich das Bärenjunge erkannte und unmittelbar realisierte, dass dies eine sehr gefährliche Situation sein könnte. Meine eigene Endlichkeit stand mir sehr deutlich vor Augen.

Ich schaute mich um, doch weit und breit war keine Bärenmutter in Sicht. Der junge Bär bewegte sich nur wenig, und ich war zugegebenermaßen etwas ratlos und wusste nicht genau, was ich jetzt tun sollte. Deshalb tat ich etwas, von dem ich wusste, dass es nicht die weiseste Entscheidung war, und lief weiter den Weg entlang. Das Bärenjunge ließ ich circa fünf Meter links neben mir liegen. Ich wollte unbedingt diesen Berg hochlaufen, und der einzige Weg dort hinauf führte direkt an dem Bärenbaby vorbei. Ich lief also leise und vorsichtig weiter, die Ohren gespitzt und ein paar kurze Blicke auf den kleinen Bären werfend um die nächste Kurve. Ein paar Hundert Meter den Weg entlang hörte ich es links im Wald laut knacken, so als würde sich ein großes Lebewesen durch das Unterholz bewegen. Oh, Mist, da kommt Mama Bär, dachte ich und ging sehr langsam weiter. Doch da sich keine Bärin zeigte, war ich fürs Erste beruhigt und lief und lief und lief.

Langsam wich meine von Adrenalin befeuerte Besessenheit, unbedingt diesen Berg erklimmen zu müssen, einem realistischeren Verständnis für die Gefahrenlage, in der ich mich befand beziehungsweise befunden hatte, und der Einsicht, dass ich auf keinen Fall diesen Weg zurücklaufen sollte. Ich wollte nicht doch noch das Risiko eingehen, auf Mama Bär zu treffen und von ihr angegriffen zu werden, weil sie ihr Junges verteidigen wollte.

Also lief ich weiter den Pfad entlang, fest entschlossen, einen anderen Weg zurück zu finden und in einem sehr großen Bogen pünktlich zum Frühstück zurück zur Unterkunft zu gelangen. Doch leider gab es nirgends einen Abzweig, geschweige denn einen Weg nach unten. Der Weg führte immer weiter bergauf – Höhentraining war ich als Flachland-Berliner zu diesem Zeitpunkt in keiner Weise gewohnt –, sodass meine Kräfte bald nachließen. Seit der Begegnung mit dem jungen Bären war ich schon über eine halbe Stunde unterwegs, ohne Aussicht auf alternative Abstiegsmöglichkeiten. So entschied ich mich schließlich, umzudrehen. Je näher ich dem Platz kam, wo das Bärenjunge gelegen hatte, desto mehr schärften sich meine Sinne, und ich fragte mich, was ich tun würde, wenn ich jetzt der Bärenmutter begegnete.

 

Braunbären greifen dann an, wenn sie sich bedroht oder in die Enge gedrängt fühlen. Angriffe von Bären auf Menschen sind in Europa relativ selten, jedoch sind insbesondere Bärenmütter mit Jungen sehr aggressiv. Häufig starten sie in Situationen einen Angriff, in denen sie überrascht werden. Deshalb tragen manche Wanderer Glocken am Rucksack in der Hoffnung, Bären schon frühzeitig darauf aufmerksam zu machen, dass Menschen in der Nähe sind, damit sie sich eben nicht überrascht fühlen. Glocken taugen als Frühwarnsystem für Bären allerdings nur sehr bedingt, da die Bären die Glockengeräusche erst hören, wenn man ihnen praktisch unmittelbar gegenübersteht. Schreien, Klatschen und Reden sind wirksamere Methoden, um einen Bären auf die Anwesenheit eines Menschen aufmerksam zu machen.

 

Ich hatte weder eine Glocke dabei, noch war mir nach Reden oder Klatschen zumute, eher nach Schreien, aber ich entschied mich für Singen. Ich trällerte leise vor mich hin; lauter dann, als ich es wiederholt rechts und links im Wald knacken hörte.

Ich war mir selbst peinlich, was für eine blöde Situation! Ich sah die Schlagzeile schon vor mir: WWF-Wildtier-Experte bei Bärenangriff in der Slowakei getötet. Aber es half ja nichts! Ich lief weiter. Als ich wieder zu der Stelle kam, lag das Bärenjunge immer noch dort. Ich lief einfach weiter, spürte schon förmlich die Pranke von Mama Bär in meinem Nacken, doch auch dieses Mal wurde ich verschont, und so kam ich völlig außer Puste wieder an dem Häuschen an, wo die anderen schon auf mich und das Frühstück warteten.

Ich erzählte ganz aufgeregt von meiner Begegnung, und wir überlegten gemeinsam, was wir machen könnten. Ich sagte, dass es sich vielleicht um ein verwaistes Bärenjunges handeln könnte, das in diesem Alter nur in menschlicher Obhut eine Überlebenschance hätte, doch in der Slowakei gab es keine Station für Bärenwaisen, und es war ja auch gar nicht klar, ob dieser Jungbär wirklich seine Mutter verloren hatte. Schließlich hatte ich ja das wiederholte Knacken im Wald als Zeichen für die Anwesenheit eines erwachsenen Bären gedeutet. Es kommt auch durchaus vor, dass Bärenmütter ihre Jungen für eine gewisse Zeit allein zurücklassen, jedoch in der Regel nicht für mehrere Stunden.

Am nächsten Tag wollte ich noch einmal vorbeischauen und lief wieder zu der Stelle, doch das Bärenjunge war fort. So konnte ich nun also hoffen, dass es sich nicht um ein verwaistes Junges gehandelt hatte und dass die Bärenmutter zurückgekommen war, um ihren Sprössling zu holen.

 

Hier in der Slowakei gab es schon immer Bären, Wölfe und Luchse. Auch während der Verfolgung und Zurückdrängung der großen Beutegreifer insbesondere ab dem Mittelalter fanden die drei Arten in den großen Waldgebieten und Mittelgebirgen der Karpaten, deren nordöstliche Ausläufer bis in die Slowakei reichen, immer einen Rückzugsort.

Ich fragte mich, wie es wäre, wenn auch nach Deutschland wieder dauerhaft Bären zurückkehren würden. In Anbetracht der großen emotionalen Diskussionen um die Rückkehr von Wölfen und die damit einhergehenden Konflikte schien mir der Bär noch mal eine andere Dimension zu sein: ein Raubtier, das Menschen töten kann, ist im wahrsten Sinne des Wortes eine noch größere Nummer. Immer wenn Journalisten mich fragten, ob es Pläne gäbe, Bären wieder in Deutschland anzusiedeln, antwortete ich deshalb auch ganz wahrheitsgemäß, ich könne mir nicht vorstellen, dass jemand dies ernsthaft in Erwägung zöge.

Doch in den letzten zwanzig Jahren werden immer wieder Bären in Deutschland nachgewiesen, durch Fotofallenaufnahmen, Sichtungen, Risse an Nutztieren oder Spuren im Schnee. Dauerhaft geblieben ist bislang keiner.

Bei der Frage nach einer dauerhaft geglückten Rückkehr von Meister Petz nach Deutschland gilt es meiner Meinung nach zwei Hauptfragen zu bedenken, und keine von beiden ist leicht zu beantworten: Erstens, welche Rolle spielt der Braunbär eigentlich im Ökosystem, und gibt es hierzulande genug geeigneten Lebensraum für die großen Braunen? Und zweitens, wie viel Raum geben wir dem Bären in unserem Alltag, in unseren Köpfen und Herzen? Sprich: Sind wir als Gesellschaft insgesamt und speziell die Menschen vor Ort in den Bärenlebensräumen überhaupt bereit für ein Leben in Nachbarschaft zu einem Raubtier?

 

Ich lade Sie ein, auf den nächsten Seiten mit mir auf eine faszinierende Reise durch die Welt der Bären zu gehen. Zuerst werfen wir einen Blick auf die verschiedenen Bärenarten weltweit, die Bedrohungen, denen sie ausgesetzt sind, und die Art und Weise, wie andere Kulturen mit diesen Raubtieren zusammenleben. Danach reisen wir in die Vergangenheit und tauchen ein in die Kulturgeschichte der Beziehung von Mensch und Bär: Warum wurden die Tiere ausgerottet? Welche Bedeutung hatten sie bei Naturvölkern und Kriegergesellschaften? In welchen Geschichten, Mythen und Namen begegnen sie uns heute noch?

Um die Biologie der Braunbären und das richtige Verhalten ihnen gegenüber besser verständlich zu machen, nehme ich Sie anschließend mit in die Wildnis Alaskas, in eine der bärenreichsten Regionen der Welt. Und schließlich kehren wir nach Europa zurück. Wir betrachten die Situation des Bären in Rumänien, wo er nie vollständig ausgerottet wurde, und diskutieren, welche Zukunftsaussichten es für Meister Petz hierzulande gibt.

 

Ich freue mich, dass Sie mich auf dieser Reise begleiten wollen.

Bärendienste

Viele Bärenarten sind aufgrund direkter Verfolgung durch den Menschen seltener geworden oder wurden – wie der Eisbär und der Große Panda – zurückgedrängt, weil der Mensch sich immer breiter macht, das Klima in den Kollaps treibt und den Bären den Lebensraum nimmt. In Europa erleben Braunbären hingegen aufgrund ambitionierter Schutzmaßnahmen seit Jahren ein wahres Comeback.

In den Ökosystemen, in denen sie vorkommen, übernehmen Bären und andere Spitzenprädatoren wichtige Funktionen. Durch das Jagen und Fressen von Beutetieren können sie deren Anzahl beeinflussen und dazu beitragen, dass Beutetierpopulationen nicht übermäßig anwachsen und somit das ökologische Gleichgewicht stabilisieren.1 So führt zum Beispiel eine übermäßig hohe Anzahl von Pflanzenfressern wie Rehen und Rotwild in einem Wald dazu, dass junge Bäume immer wieder verbissen, also angefressen werden und sich der Wald womöglich nicht gut verjüngen, also erneuern kann. Auch das Verhalten der Beutetiere ändert sich in der Anwesenheit von Raubtieren, da Rehe, Hirsche & Co. vorsichtiger sind und bestimmte Gebiete meiden, ihre Bewegungsmuster oder Aktivitätszeiten anpassen. Somit werden auch Vegetation und Landschaftsstruktur beeinflusst.2

Im Laufe der Jahrmillionen haben sich Räuber und Beute im Rahmen der Koevolution immer wieder aneinander angepasst und gegenseitig beeinflusst. So haben Raubtiere spezielle Merkmale und Fähigkeiten entwickelt, um effektiver jagen zu können, während sich bei den Beutetieren Abwehrmechanismen herausgebildet haben, um den Räubern besser entkommen zu können.3 Ohne Wölfe, Luchse, Bären und andere Fressfeinde wären Rehe heute keine so aufmerksamen Tiere, die mit ihren schlanken, kräftigen Beinen schnell sind und geschickt Haken schlagen können, um ihren Verfolgern zu entkommen.

Die Beziehungen zwischen Räubern und ihrer Beute sind äußerst komplex. Sie beeinflussen sich gegenseitig und stehen in vielfältigen Wechselwirkungen innerhalb ihres Ökosystems. Vereinfacht stellt eine Nahrungspyramide die grundlegenden Zusammenhänge dar. Die breite Basis bilden die sogenannten Primärproduzenten, also die gesamte pflanzliche Biomasse, die nur mithilfe von Mineralien, Wasser und Sonnenlicht die Nahrungsgrundlage für die Pflanzenfresser bildet. Zu diesen zählen zum Beispiel Rehe, Seekühe, Kolibris, Grüne Leguane, Schmetterlinge, Blattläuse – die Liste der Herbivoren, wie die Vegetarier im Tierreich genannt werden, ist lang. An der Spitze der Pyramide stehen die Raubtiere: die sogenannten Prädatoren oder Fleischfresser. Zahlenmäßig stellen sie die kleinste Gruppe dar, denn der Energiebedarf, um ein Kilogramm Raubtierorganismus zu ernähren, ist erheblich. So frisst ein Mäusebussard mit einem durchschnittlichen Körpergewicht von einem Kilogramm in einem Jahr dreitausend Feldmäuse und andere Kleintiere mit insgesamt 90 Kilogramm Körpergewicht, die ihrerseits zuvor rund eine Tonne Getreidekörner vertilgt haben. Man spricht auch von sogenannten Trophie-Ebenen (auch trophische Ebenen oder Nahrungsebenen), die verschiedene Stufen der Nahrungskette in einem Ökosystem repräsentieren.

Es hat in den letzten Jahren mehrere Untersuchungen dazu gegeben, wie genau Wölfe, Luchse, Bären und Pumas die Population ihrer Beutetiere, kleinerer Raubtiere und somit ganze Ökosysteme beeinflussen können, indem sie trophische Kaskaden auslösen. Großes Aufsehen erregte dabei eine Studie von William Ripple und Robert Beschta aus dem Jahr 20124, die nahelegte, dass die Wiederansiedlung von Wölfen im Yellowstone-Nationalpark Mitte der 1990er-Jahre zu einer Reihe von Veränderungen im Greater Yellowstone Ecosystem (GYE) geführt hatte. Das zu einem der weltweit größten intakten Ökosysteme der gemäßigten Breiten gehörende Gebiet, das sich hauptsächlich über die Bundesstaaten Wyoming, Montana und Idaho erstreckt, enthält als Herzstück den 1872 gegründeten Yellowstone-Nationalpark, den ersten Nationalpark der Welt. Die Freilassung von 31 kanadischen Wölfen und die sich daraus etablierende Population, so Ripple und Beschta, habe dazu geführt, dass der Verbiss durch Rothirsche an jungen Zitterpappeln, Weiden und Pappeln deutlich abnahm. In der Folge habe sich die Baumvegetation insbesondere entlang von Flussläufen erholen können, was sogar dazu geführt haben soll, dass es mehr Biber und Bisons gibt. Erklärt wird das damit, dass die Wölfe zum einen die Dichte der Rothirschpopulation reduzieren, indem sie sich von den großen Pflanzenfressern ernähren, aber auch damit, dass die Anwesenheit von Raubtieren das Verhalten ihrer Beutetiere verändert, die nun vorsichtiger sind und bestimmte Gebiete meiden, um potenziellen Raubtieren zu entgehen.

Auch wenn von einigen Wissenschaftlern bezweifelt wird, dass die tatsächlich zu beobachtende Zunahme von Bibern im GYE nur auf die Wiederansiedlung von Wölfen zurückführen ist, so deutet doch sehr viel darauf hin, dass große Beutegreifer Schlüsselspezies sind, die trotz ihrer geringen Biomasse das Potenzial haben, die Bestände von Huftieren und anderen Prädatoren zu limitieren, und somit weitreichende Effekte in Ökosystem, wie die Verjüngung von Wäldern, anstoßen können.5

 

Eine andere Studie aus Nordamerika zeigt, auf welche Weise Schwarzbären, die Ameisen verzehren, einen positiven Einfluss auf Pflanzen haben können. Ameisen pflegen häufig mutualistische, also wohlwollende, auf Gegenseitigeit beruhende Beziehungen zu pflanzenfressenden Insekten. So schützen sie beispielsweise Blattläuse vor Fressfeinden und dürfen im Gegenzug den sogenannten Honigtau, die zuckerhaltigen Ausscheidungen der Pflanzenparasiten, »melken«.

Es wurde festgestellt, dass Pflanzen in der Nähe von durch Bären beschädigten Ameisennestern eine höhere Reproduktionsrate aufweisen als Pflanzen in der Nähe unbeschädigter Nester. Sobald der Schutz durch die (nicht mehr vorhandenen) Ameisen wegfällt, können räuberische Insekten Jagd auf Blattläuse und andere Herbivoren machen, und die Pflanzen werden somit weniger ausgebeutet.6

Bären spielen auch eine wichtige Rolle bei der Verbreitung von Samen. Im Kot von Bären finden sich manchmal mehrere Tausend Samen, vor allem von Gräsern und Beerenfrüchten. Aber auch mit ihrem langen Fell bieten Bären den verschiedensten Pflanzenarten eine hervorragende Möglichkeit, ihre Samen zu transportieren. Pflanzen, die auf diesen Verbreitungsweg angewiesen sind, haben meist klebrige Strukturen (z.B. Kletten) oder Schleim an ihren Samen entwickelt, um die Transportchancen zu erhöhen.

Die Funktionen von Bären in ihren Ökosystemen sind vielfältig, doch sie lassen sich unter anderem deshalb so schwer konkret benennen, weil es nur noch wenige intakte, vom Menschen weitgehend unbeeinflusste Ökosysteme wie das GYE gibt. Insbesondere bei uns in Mitteleuropa sind die Landschaften stark zerschnitten, und der menschliche Nutzungsdruck ist sehr hoch. Nahezu alle Lebensräume, in denen die acht Bärenarten vorkommen, haben sich in den letzten Jahren verkleinert, und Bären und Menschen kommen sich immer näher.

Komplexe Verwandtschaftsverhältnisse

Vor einigen Jahren glaubte man noch, die Bären seien vor etwa 25 Millionen Jahren aus einer kleinen Gruppe baumbewohnender, fleischfressender Säuger entstanden: den Miaciden. Diese These ist mittlerweile widerlegt, doch der gemeinsame Vorfahre unserer heute lebenden Raubtiere bleibt unbekannt.

Zuletzt postulierte ein Team belgischer Wissenschaftler, dass die Gattung Dormaalocyon zumindest nicht ganz, aber sehr nah am Anfang des gesamten Stammbaums der heutigen Hunde- und Katzenartigen steht.7 Der Urahn von Löwen, Hyänen, Füchsen und Bären war demzufolge ein kleines, schlankes, vielleicht ein Kilogramm wiegendes fleischfressendes Säugetier, das vor rund 55 Millionen Jahren auf Bäumen lebte und sich von kleineren Säugetieren und vor allem Insekten ernährte.

Weitere 35 Millionen Jahre mussten noch vergehen, bis die ersten Bärenartigen auf der Bildfläche erschienen.

Die älteste bekannte Bärengattung wird Ursavus genannt. Fossilienfunde aus China und Colorado legen nahe, dass diese frühen Bärenverwandten, die vor rund 20 Millionen Jahren und damit rund 13 Millionen Jahre vor unseren eigenen Vorfahren lebten, ungefähr die Größe eines Schäferhundes hatten. Die wirklichen Urväter unserer heute lebenden Bärenarten entwickelten sich erst in den letzten fünf Millionen Jahren.8

Die Gattung Agriotherium war die einzige Bärengattung, die jemals bis südlich der Sahara vordrang. Bären breiteten sich in Afrika und Eurasien aus und gelangten auf den amerikanischen Kontinent.9 Der Höhlenbär (Ursus spelaeus), der ausschließlich in Europa lebte, starb während der letzten Eiszeit vor 40000 bis 25000 Jahren aus. Viele Überreste der Art wurden in Höhlen gefunden, welche diese Bären vermutlich zur Überwinterung nutzten. Der Höhlenbär entwickelte sich vom Allesfresser zum reinen Pflanzenfresser und ernährte sich von Beeren, Gräsern und Früchten. Dies geht aus zahlreichen Gebissfunden hervor. Ursus spelaeus war größer als die heutigen Braunbären und starb möglicherweise aufgrund seiner Nahrungsspezialisierung aus: Mit der rein pflanzlichen Kost konnte er sich nicht genug Winterspeck anfressen. Manche Wissenschaftler hingegen sagen, dass der Höhlenbär die erste Art war, die von Menschen ausgerottet wurde.10 Knochenfunde belegen auf jeden Fall, dass Neandertaler Höhlenbären gezielt mit Lanzen oder Speeren erlegten. Unsere Vorfahren müssen recht wagemutig gewesen sein, wenn sie die bis zu einer Tonne schweren und drei bis vier Meter großen Bären in die Enge drängten. Die Höhlenbären boten eine wichtige Nahrungs- und Materialquelle, und die Neandertaler verwerteten die erlegten Tiere vollständig, einschließlich Fell, Knochen, Fleisch und Sehnen.11 Die Zeichnung eines Höhlenbären, die 1994 in einer Höhle an einer Felsschlucht der Ardèche in Südfrankreich gefunden wurde, dürfte im Übrigen eine der ältesten erhaltenen Darstellungen eines Bären sein. Auf ein Alter von 35000 Jahren wird die Zeichnung geschätzt, allerdings verrät auch sie wenig über das Verhältnis von Menschen und Bären zur damaligen Zeit.

 

Die genauen Verwandtschaftsverhältnisse der acht heute noch vorkommenden Bärenarten sind noch nicht bis ins Letzte erforscht und geben Wissenschaftlern weiterhin Rätsel auf. Untersuchungen am Erbgut der verschiedenen Bärenarten zeigen, dass sich mehrere Arten im Laufe ihrer Entwicklungsgeschichte über Artgrenzen hinweg gepaart und dabei Erbmaterial ausgetauscht haben. Diese Hybridisierung zwischen unterschiedlichen Arten ist im Gegensatz zu Pflanzen bei Säugetieren äußerst selten und führte zu Vermischungen im Erbgut, die es für die Wissenschaft sehr schwierig machen, bestimmte Genabschnitte einer einzelnen Art zuzuordnen. Eine umfangreiche Untersuchung von Bärengenomen kommt zu dem Schluss, dass der Asiatische Schwarzbär durch die Hybridisierung zwischen den Vorfahren der nördlichen Bären (Eisbär, Braunbär, Amerikanischer Schwarzbär) und den Vorfahren der südlichen Bären (Malaienbär, Lippenbär) entstanden ist. Klimaveränderungen vor rund fünf Millionen Jahren, die zu einer Ausdehnung des Verbreitungsgebiets der damals lebenden Bären führten, könnten der Auslöser für die Herausbildung der neuen Art gewesen sein. Die mittlere Körpergröße der Asiatischen Schwarzbären geht auf die Kombination relevanter Gene aus den beiden Elternlinien mit unterschiedlichen Größen zurück.12

Auch das Verwandtschaftsverhältnis zwischen Braun- und Eisbären wurde erst vor wenigen Jahren geklärt. Weil Eisbären einen Großteil ihres Lebens auf dem arktischen Eis verbringen, verschwinden ihre Gebeine in den Tiefen des Meeres, und es gibt so gut wie keine erhaltenen Fossilien. Bevor es technisch möglich beziehungsweise bezahlbar war, gesamte Genome einer Art zu sequenzieren, untersuchte man für evolutionsbiologische Forschungen in den 1990er-Jahren häufig nur die mitochondriale DNA von Lebewesen. Dieses Erbgut, welches weniger umfangreich als das gesamte Erbgut im Zellkern ist und sehr häufig in den Zellen eines Organismus vorkommt, ließ sich einfach isolieren. Untersuchungen an der mitochondrialen DNA von Eisbären ergaben, dass sich die Art erst vor 100000 bis 150000 Jahren von den Braunbären abspaltete. Aus evolutionsgeschichtlicher Perspektive wäre dies nicht viel mehr als ein Wimpernschlag, und deshalb war es eine kleine Sensation, als bekannt wurde, dass sich eine Art in so kurzer Zeit an extreme Umweltbedingungen angepasst haben sollte.

Doch als Frank Hailer und andere Wissenschaftler 2010 das gesamte Genom von Braun- und Eisbär untersuchten, wurde diese Hypothese komplett widerlegt. Sie konnten zeigen, dass Eis- und Braunbären sich schon vor 600000 Jahren getrennt haben.13 Die Ähnlichkeiten beider Bärenarten in der mitochondrialen DNA erklärten sie damit, dass sich Braunbären und Eisbären auch in der Vergangenheit immer wieder gepaart haben, wenn sich ihre Verbreitungsgebiete während einer Warmzeit überlagerten. Genetische Überreste dieser Paarungen sind bis heute im Erbgut beider Bärenarten zu finden.

 

Beginnen wir nun eine kleine Weltreise. Bevor sich der Rest des Buches hauptsächlich um »unseren« Bären, den Braunbären, dreht, möchte ich Ihnen die anderen sieben Verwandten vorstellen. Ein Blick auf die Biologie und das Verhältnis des Menschen zu den anderen Bärenarten hilft, auch unser zwiespältiges Verhältnis zu den großen Braunen in Europa besser zu verstehen.

Brillenbär (Tremarctos ornatus) – der Andenbär

Bestand: 2500 bis 10000 Exemplare.14

Vorkommen: Der Brillenbär ist die einzige einheimische Bärenart Südamerikas und lebt in den tropischen Anden mit dem Hauptverbreitungsgebiet in Bolivien, Peru, Ecuador, Kolumbien und Venezuela.

Gefährdung: Der Bestand ist durch den Verlust von Lebensraum, Wilderei und zunehmende Konflikte mit Menschen gefährdet.

»Oh, wie schön ist Panama«

Der kleine Bär liebt das Angeln, während sein Freund, der kleine Tiger mit seiner gelb-schwarz gestreiften »Tigerente«, lieber Pilze sammeln geht. Eines Tages zieht der kleine Bär eine leere Holzkiste mit der Aufschrift »Panama« aus dem Fluss. Als er daran schnuppert und den Duft von Bananen wahrnimmt, ist er überzeugt, dass Panama das Land seiner Träume ist.

Voller Begeisterung erzählt der kleine Bär seinem Freund von Panama: einem Ort, an dem alles besser, größer und schöner ist als zu Hause. Entschlossen, dieses Land zu erreichen, machen sich die beiden am nächsten Tag mit einem Kochtopf, einer Fischerrute, einem Hut und der Tigerente auf den Weg nach Panama. Aus der Kiste basteln sie einen improvisierten Wegweiser und folgen der angegebenen Richtung.

Während ihrer Reise begegnen sie den unterschiedlichsten Tieren, doch viele von ihnen wissen nicht, wo Panama liegt, und einige geben falsche Richtungshinweise. So laufen die beiden Freunde im Kreis und finden schließlich ihren Weg zurück nach Hause. Durch die Veränderungen in der Umgebung (das Haus ist verwittert, die Brücke teilweise zerstört, und die Bäume sind gewachsen) erkennen sie jedoch nicht, dass sie wieder an ihrem Ausgangspunkt sind.

Am Boden vor ihrem Haus entdecken sie die Überreste des Wegweisers mit der Aufschrift »Panama«, den sie fälschlicherweise für ein Ortsschild halten. Glücklich und überzeugt, in Panama angekommen zu sein, reparieren sie ihr Zuhause und genießen ihr vermeintlich erreichtes Traumland.

 

Für meine Bachelorarbeit suchte ich auch das Glück in Panama. Ich wollte unbedingt Feldarbeit im Ausland machen, möglichst weit weg, um einen mir unbekannten Lebensraum zu erforschen. Es verschlug mich nach Barro Colorado Island, eine 15 Quadratkilometer große Insel im Panamakanal, genauer gesagt im Lake Gatun, einem Stausee, den täglich bis zu 36 der weltweit größten Containerschiffe passieren. Auf dieser Insel, die vollständig von tropischem Regenwald bedeckt ist, unterhält das US-amerikanische Smithsonian Tropical Research Institute eine Forschungsstation. Wissenschaftler und Studenten aus der ganzen Welt kommen hierher, um die Ökologie der Tropen zu untersuchen. Sie versuchen, die Vielfalt von Pflanzen, Tieren, Insekten und Mikroorganismen in den tropischen Regenwäldern besser zu verstehen, forschen am Verhalten von Kapuzineräffchen, Ozelots (ein Vertreter der Pardelkatzen), Fledermäusen oder Schmetterlingen, um deren Strategien zum Nahrungserwerb, zur Fortpflanzung, zur Kommunikation und zum sozialen Verhalten besser zu verstehen. Und sie untersuchen Pflanzen hinsichtlich ihrer Physiologie, ihrer Wachstumsstrategien und der Wechselwirkungen mit anderen Organismen.

Tiere sind cool, aber ich mag Pflanzen auch, und so kam ich zu meiner Forschungsarbeit an einer Orchideenart: Ich untersuchte den Fortpflanzungsmechanismus der epiphytisch – das heißt auf Bäumen – lebenden Orchidee Caularthron bilamellatum. Dafür durfte ich jeden Tag entweder mit Seilen auf bis zu 30 Meter hohe Bäume klettern oder mit einem Motorboot über den Panamakanal fahren, vorbei an großen Containerschiffen aus der ganzen Welt, um zu erforschen, wieso meine Pflänzchen, die eine Symbiose mit Ameisen eingehen, sowohl geschlossene sich selbst bestäubende Blüten als auch weiße, große, schön duftende offene Blüten hervorbringen. Weder ich damals noch irgendjemand sonst hat bis heute wirklich verstanden, welche Faktoren dazu führen, dass diese unscheinbare Orchideenart zwei verschiedene Blütenarten produziert.15 Und so ist es doch auch spannend, dass die Natur nicht alles offenbart und immer noch Rätsel für uns bereithält.

Ähnlich ist es mit dem Brillenbär. Er heißt auch Andenbär, denn dort lebt er, so versteckt in den Bergregenwäldern der Anden, dass nur wenig über sein Verhalten bekannt ist. Kolumbien stellt die nördliche Grenze seines Verbreitungsgebietes dar, doch tatsächlich hat es auch schon Hinweise auf das Vorkommen von Brillenbären in Panama gegeben.16 Abbildungen von Bären in traditioneller panamaischer Kunst, zum Beispiel auf Grabbeigaben aus Bronze aus der Zeit zwischen 500 und 1000 n. Chr., deuten darauf hin, dass Bären in der Kultur Panamas eine Rolle gespielt haben.

Sogar in der britischen Kultur ist ein Brillenbär zum Popstar geworden. Michael Bond schrieb das Buch über einen Bären, den er seiner Frau zu Weihnachten geschenkt hatte: A Bear Called Paddington wurde 1958 in England veröffentlicht. Bis 1981 schrieb Bond jedes Jahr ein Buch mit neuen Abenteuern vom Paddington-Bär, und 1972 wurde der erste Plüsch-Paddington produziert. Der Bär wurde nach dem gleichnamigen Bahnhof in London benannt, da Bond und seine Frau zu jener Zeit, als der Bär zu ihnen kam, in der Nähe lebten. In seinen Geschichten wird der Bär am Bahnhof Paddington entdeckt, nachdem er dort auf mysteriöse Art und Weise aus dem »dunkelsten Peru« angekommen ist. Er trägt nur einen Hut und einen verbeulten Koffer bei sich. Um seinen Hals hängt ein Schild mit der Aufschrift: »Bitte kümmert euch um diesen Bären. Danke.« Paddington wird dann von der Familie Brown aufgenommen. Die Geschichten leben von dem Durcheinander, das der Bär unabsichtlich bei alltäglichen Dingen, zum Beispiel beim Einkaufen, anrichtet. Der in einen dunkelblauen Dufflecoat und einen roten Hut gekleidete Bär kann sprechen und hat gute Manieren. Seine besondere Vorliebe für Marmelade aus Bitterorangen teilt er mit Königin Elisabeth II., die er zu ihrem siebzigjährigen Thronjubiläum 2022 auf einen Tee im Buckingham Palace traf.17

 

Der Brillenbär verdankt seinen Namen den Abzeichen im Gesicht, die bei jedem Tier unterschiedlich sind. Viele Brillenbären haben keine vollständigen Kreise um beide Augen; manchmal sind die Kreise nur teilweise vorhanden, asymmetrisch oder fehlen ganz, während andere ein fast komplett weißes Gesicht besitzen. Damit sind Brillenbären die einzige Bärenart, die eine Unterscheidung der Individuen aufgrund ihres äußeren Erscheinungsbildes möglich macht. Braunbären, Eis- oder Schwarzbären kann man lediglich anhand der Größe oder äußerer Geschlechtsmerkmale unterscheiden oder wenn ein Tier zum Beispiel durch eine Verletzung im Kampf eine Narbe am Körper trägt.

 

Brillenbären leben so versteckt, dass nur wenig über ihr Leben bekannt ist. Ihr Habitat befindet sich überwiegend in unzugänglichen Bergregenwäldern bis in einer Höhe von 4750 Metern. Da in ihrem gesamten Verbreitungsgebiet das ganze Jahr über Nahrung zur Verfügung steht, halten Brillenbären keine Winterruhe. Sie leben vorwiegend vegetarisch, ernähren sich von Sträuchern und Bäumen, Früchten und insbesondere Sukkulenten, also saftreichen Pflanzen. Möglicherweise hat der Brillenbär durch seine Vorliebe für große, süße Früchte eine wichtige Rolle bei der Domestizierung der Cherimoya (Annona cherimola) gespielt, einer Frucht, die auch Rahmapfel genannt wird und die Geschmäcker von Ananas, Banane und Erdbeere vereint. Es wird vermutet, dass auch unsere Braunbären (Ursus arctos) bei der Domestizierung des Apfels (Malus pumila) eine Rolle gespielt haben könnten. Denn die Bären pflücken am liebsten die süßesten und größten Früchte. Ihre Kiefer sind jedoch nicht in der Lage, die Samen zu zerkleinern, sodass die Samen durch den Verdauungstrakt gelangen und unversehrt ausgeschieden werden. Die Bären haben somit dazu beigetragen, dass sich insbesondere Bäume mit großen, zuckerreichen Früchten verbreiteten, die dann der Mensch schließlich weiterzüchtete. So lautet jedenfalls eine Theorie.18,19 Die Verbreitung widerstandsfähiger Samen, die einmal durch den Verdauungstrakt von Tieren wandern und an anderer Stelle wieder lebensfähig ausgeschieden werden, bezeichnet man als Endozoochorie. Vor allem Vögel tragen auf diese Weise zur Verbreitung saftiger, meist farbenprächtiger Früchte (z.B. Brombeere, Heidelbeere, Holunder oder Kirsche) und der darin enthaltenen Samen bei. Die von Säugetieren verbreiteten Früchte sind meist weniger auffällig gefärbt, dafür aber stark duftend oder süß und ebenfalls sehr saftig. Sie fallen meist von der Pflanze ab (z.B. Apfel, Pfirsich, Dattelpalme, Zitrusfrüchte), da sie vom Boden aufgenommen werden müssen.20

Auf der Suche nach den schmackhaftesten Früchten und Blättern scheut der Kletterkünstler Brillenbär auch nicht die Kronen hoher Bäume, in denen er zudem Nester baut, um sich auszuruhen. Doch dort, wo der Lebensraum der Bären zerstört wird und sie nicht mehr genug Nahrung finden, wo Bananen-, Kaffee- und Kakaoplantagen, Rinderweiden, Mais- und Sojafelder sich in den Regenwald ausbreiten, nehmen die Konflikte zwischen Mensch und Bär zu. Bären wandern zunehmend in menschliche Siedlungen und Felder ein und reißen auch das Vieh der Bauern. Oft sind es kleine Rinderherden von fünf bis dreißig Tieren, die mehrere Tage unbeaufsichtigt auf hoch gelegenen Weiden weit entfernt von der nächsten Siedlung stehen, wo die Bären zu Fleischfressern werden. Doch nicht immer sind es die Bären, die die Rinder töten. Oft sterben die Tiere aus anderen Gründen, aber die verwesenden Kadaver locken Bären und andere Aasfresser an. Wie auch immer: Die Bären werden von Teilen der lokalen Bevölkerung als Viehräuber wahrgenommen und für den Tod der Nutztiere verantwortlich gemacht. Wie in anderen Regionen der Welt ist die Einstellung der Menschen, die in der Nähe der Tiere leben, eine andere als die der Menschen, die weiter entfernt leben. Aus der Entfernung gesehen sind Brillenbären charismatische Symbole der Wildnis, Tiere, die nicht aggressiv sind und sich überwiegend vegetarisch ernähren. Viele Menschen vor Ort sehen sie als Viehräuber und Schädlinge an, die vorbeugend getötet werden sollten.21

 

Die International Union for Conservation of Nature (IUCN) ist eine weltweit agierende Organisation, die sich dem Schutz von Natur und biologischer Vielfalt verschrieben hat und eine bedeutende Rolle bei der Bewertung des Gefährdungsstatus von Tier- und Pflanzenarten auf globaler Ebene spielt. Sie ist vor allem bekannt für ihre Roten Listen, auf denen Informationen über den Erhaltungszustand verschiedener Arten veröffentlicht werden. Die Internationale Rote Liste klassifiziert Arten in neun verschiedene Kategorien, die Gefährdungen unterschiedlicher Ausprägung beschreiben wie gefährdet (vulnerable), stark gefährdet (endangered) und vom Aussterben bedroht (critically endangered).

Die IUCN listet den Brillenbären als gefährdet und geht davon aus, dass der Bestand in den nächsten dreißig Jahren um 30 Prozent abnehmen wird und der Lebensraum der Bären jährlich um zwei bis vier Prozent schwindet.22 Insbesondere in Kolumbien, wo die Zersplitterung der Lebensräume schnell zunimmt, ist der Bär in Gefahr.23

Der Eisbär gilt als Symbol des Klimawandels, da sein Lebensraum mit den steigenden Temperaturen immer weiter schwindet. Dem Brillenbären droht ein ähnliches Schicksal, denn auch die Nebelwälder der Anden laufen Gefahr, durch die steigenden Temperaturen zurückgedrängt zu werden. Zwar ist es in größeren Höhen noch kühler, doch auf der Spitze der Berge endet der Lebensraum der Nebelwälder und damit auch der der Bären.

 

Es gibt so gut wie keine überlieferten Angriffe von Andenbären auf Menschen, sie gehören zu den friedlichsten der acht Bärenarten. Während der Andenbär in der traditionellen Medizin oder als Quelle von Fleisch eine untergeordnete Rolle spielt, hat er in der Folklore der Anden eine wichtige Bedeutung. Der Ukuku – Sohn einer Frau und eines Brillenbären – ist eng mit Ritualen, Festen und mythischen Vorstellungen der lokalen indigenen Gemeinschaften verbunden.

In vielen Traditionen wird der Ukuku als eine Art spiritueller Vermittler oder auch Wächter betrachtet, der zwischen der Welt der Menschen und der spirituellen Welt vermittelt. Es gibt Feste, bei denen Menschen, die mit Wollmasken und bunten Hemden als Ukuku verkleidet sind, Tänze und Rituale aufführen, um die Naturgeister zu ehren, für eine gute Ernte zu bitten oder andere spirituelle Anliegen vorzubringen.

In den peruanischen Anden wird jedes Jahr um Fronleichnam herum das Qoyllur-Rit’i- oder Schneestern-Fest gefeiert – eine Mischung aus christlicher Tradition und Andenfolklore. Tausende Pilger wandern dabei zur heiligen Stätte des Herrn von Qoyllur Rit’i am Fuß der Berge Sinakara und Colquepunku. Begleitet werden sie von Ukukus, die am Abend bis zu den Gletschern klettern und dabei Kreuze und Fahnen mit sich tragen. Traditionell übernachten sie oben am Gletscher und bringen am nächsten Tag Eisblöcke zurück zu den unten zeltenden Pilgern. Man sagt dem Schmelzwasser dieser Gletscherstücke große Heilwirkungen für Körper und Geist nach. Aufgrund der drastisch zurückweichenden Gletscher wird heute jedoch darauf verzichtet, ganze Eisblöcke hinunterzubringen. Aufgrund des Klimawandels könnte dem Ukuku also zukünftig ein ganz ähnliches Schicksal drohen wie dem Andenbären.24,25

Lippenbär (Melursus ursinus) – der Todestänzer

Bestand: Rund 20000 Tiere.26

Vorkommen: Ausschließlich auf dem indischen Subkontinent. In Bangladesch und vermutlich auch in Bhutan ist die Art bereits ausgestorben. Indien ist der letzte große Zufluchtsort für die Tiere, ansonsten existieren nur noch kleine Bestände in Nepal und Sri Lanka.

Gefährdung: Gefährdet.

Mein Kollege Dipankar vom WWF Indien besuchte vor einigen Jahren gemeinsam mit mir eine Konferenz im niedersächsischen Goslar, bei der es um »Human Dimensions of Wildlife«, also soziologische und gesellschaftliche Aspekte im Umgang mit Wildtieren ging. Was in den USA schon lange Einzug in die Planung und Umsetzung von Schutzmaßnahmen für Wildtiere gehalten hat, spielt immer häufiger auch bei uns in Europa eine Rolle: die Berücksichtigung der menschlichen Perspektive im Naturschutz und Wildtiermanagement. Dabei geht es um den Versuch, menschliches Denken, Fühlen und Handeln in Bezug auf Natur und Wildtiere und auf deren Management zu verstehen und die Menschen, die vor Ort mit wilden Tieren in direkter Nachbarschaft leben, in das Management der Tiere einzubeziehen.