Im Schattenreich der Llorona - Katharina Lindner - E-Book

Im Schattenreich der Llorona E-Book

Katharina Lindner

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Beschreibung

Bianca ist nicht angetan von der Idee ihres Langzeitgeliebten Sören, den Sommerurlaub gemeinsam mit dessen Familie zu verbringen. Außerdem hat sie panische Angst vor Wasser und sieht ständig einen Geist herumstreifen, der sich als die Sagengestalt einer berühmten lateinamerikanischen Legende entpuppt. Bianca ist überzeugt davon, das Wesen sei auf der Suche nach einem Opfer, um die Rache an ihrem eigenen untreuen Gatten zu vollenden. Wie zu erwarten entwickeln sich in dieser fragwürdigen Konstellation mit Sörens Frau Mara Konflikte, die zusätzlich durch die paranoiden Fantasien Biancas befeuert werden. Dass die beiden Frauen einst beste Freundinnen waren, erleichtert die Lage nicht unbedingt. Und während sich die Lage zwischen den drei Erwachsenen dramatisch zuspitzt, verschwindet die zweijährige Tochter des Ehepaars spurlos in der Nacht aus ihrem Bettchen. Hat sich tatsächlich die Geisterfrau das Kind geholt? Eine unglückselige Dreiecksgeschichte, von Bianca und Mara im Wechsel erzählt, in der geheimnisvollere und schlimmere Dinge eine Rolle spielen, als nur eine kleine Affäre.

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Inhaltsverzeichnis

Kapitel 1: Bianca

Kapitel 2: Mara

Kapitel 3: Bianca

Kapitel 4: Mara

Kapitel 5: Bianca

Kapitel 6: Mara

Kapitel 7: Bianca

Kapitel 8: Mara

Kapitel 9: Bianca

Kapitel 10: Mara

Kapitel 11: Bianca

Kapitel 12: Mara

Kapitel 13: Bianca

Kapitel 14: Mara

Kapitel 15: Bianca

Kapitel 16: Mara

Kapitel 17: Bianca

Kapitel 18: Mara

Kapitel 1

Bianca

Schon immer hatte Bianca die Welt über Gerüche wahrgenommen. Nicht auf eine so extreme und verstörende Art wie dieser verrückte Mörder in Patrick Süßkinds erfolgreichem Roman „Das Parfüm“, aber doch eindringlich genug, um als etwas Besonderes zu gelten.

Während andere Menschen sich in ihrer Umgebung zurechtfanden, indem sie Orte, Menschen und Gegenstände durch ihre Sehzellen wahrnahmen und diese durch auditive Eindrücke vervollständigten, schloss Bianca gern die Augen und Ohren und ließ sich von dem treiben, was ihre Nase entdeckte. Eine frisch gemähte Sommerwiese oder eine stickige Innenstadt voller Autoverkehr und Menschen im Hochsommer konnte jeder leicht erkennen, wenn er die Nase in die Luft erhob. Krautsalat und Gyros versprachen beim Dönerladen um die Ecke eine leckere Mahlzeit, Chlor im pisswarmen Wasser ließ vor einem Schwimmbadbesuch zurückschrecken und ein gedüngtes Maisfeld weckte im Vorbeifahren recht deutliche Assoziationen von Schweineställen und Massentierhaltung.

Aber für Bianca erschlossen sich dank ihrer Nase ganze Welten, egal, wo sie war und egal, was ihre übrigen Sinnesorgane vermeldeten.

Denn ihre Nase konnte mehr: In einem Raum mit Menschen roch sie nicht nur deren Rasierwasser, Parfüms, Shampoos und spezifische Schweißabsonderungen, sondern auch ihre Stimmungen. Sie konnte blind und taub erkennen, ob ihr Gegenüber ihr wohlgesonnen war oder seine Sympathie nur vorspielte. Sie entschied in der Buchhandlung nach dem Geruch des Werkes, ob sie ein Buch kaufte oder nicht. Sie hatte, wenn sie einen Geldschein in der Hand hielt, eine Vielzahl von Menschen vor Augen, die vor ihr mit diesem Schein ihren Einkauf bezahlt hatten. Sie erschnupperte Krankheiten, Vorurteile, Abneigungen, Dreck und Liebe.

Und so war es auch ihre Nase, die sie in Sörens Arme getrieben hatte. Er war kein hübscher Mann, als sie sich vor zehn Jahren begegnet waren, eher unterer Durchschnitt, vielleicht sogar weniger als das. Das dunkle Haar wurde viel zu selten geschnitten und war an den Spitzen grau. Den wässrig blauen Augen fehlte es an Ausstrahlung und seine Körpermitte neigte zur Fülle.

Aber sein Geruch, als er ihr die Hand gereicht und sie mit diesem offenen Ausdruck im unrasierten Gesicht angeblickt hatte, verschlug ihr damals die Sprache. Es war eine Mischung aus Eisbonbons, Zedernholz und Zitronen und hatte direkt in ihrer Seele angedockt, wie ein heimeliger, wärmender Geruch aus der Kindheit, der lange vergessen worden war und plötzlich wieder auftauchte.

Sein Geruch war wie der Rosmarin im Garten der Großmutter, die längst auf dem Friedhof ruhte, deren Bild aber angesichts der grünen Nadeln zuverlässig jedes Jahr im Bilderrahmen des Lebens auftauchte. Er war wie der Lavendel in einem alten Taschentuch. Wie der Haferbrei, den die Mutter kochte, wenn man krank im Bett lag, und zwar auch noch lange nach dem Abklingen der Beschwerden, weil sich die kindliche Psyche eine zusätzliche kleine Streicheleinheit zu ergaunern versuchte.

Sören zu treffen hieß, sich selbst zu erkennen. Und sein Geruch war eine stetige Mahnung daran, dass es etwas zu verlieren gab, das zu wertvoll war, um nicht um jeden Preis gut darauf aufzupassen. Er war Trost, Geborgenheit und Lust zugleich. Bianca hatte nicht widerstehen können, obwohl von der ersten Sekunde an klar gewesen war, dass genau dies ihrer Pflicht entsprochen hätte.

In diesem Sommer hatte sich Sören etwas ziemlich Ätzendes einfallen lassen, mit dem keiner der Beteiligten auch nur im Ansatz zufrieden werden konnte:

Er hatte darauf bestanden, seine Langzeitgeliebte mit in den jährlichen Familienurlaub zu nehmen. Und gleich am ersten Abend wollte er seiner Frau Mara, die nichts wusste, aber vermutlich einiges ahnte, nicht nur die Langzeitgeliebte präsentieren, sondern auch noch ausdrücklich einen Freifahrtsschein für die Aufrechterhaltung der Zweitbeziehung in der Zukunft erzwingen.

Bianca, die Langzeitgeliebte, war mit dieser Idee nicht einverstanden, denn sie konnte nichts provozieren als Konflikte, Stress und Katastrophen. Aber wie immer, wenn ihm etwas wichtig war, hatte Sören sich durchgesetzt und kurzerhand behauptet, er würde jede Art von Urlaub mit Bianca in der Zukunft platzen lassen, ja sogar die Beziehung beenden, wenn sie sich dem „reinen Tisch“, wie er es nannte, verweigerte.

Dann wäre es vorbei mit den verlängerten Wochenenden, die er mühsam der heiligen Familienzeit abzwackte, indem er Dienstreisen vorschob!

Es gab nur zwei Möglichkeiten, hatte er betont: Entweder, Bianca stärkte ihm während der Offenbarung den Rücken und wurde damit belohnt, als Zweitfrau offizielle Anerkennung und erzwungene Akzeptanz zu finden. Oder sie lehnte die Konfrontation ab und verzichtete künftig auf die kurzen Schäferstündchen in der Mittagspause, die kaum länger dauerten als ein durchschnittlicher Song im Radio, auf all die kleinen, gestohlenen Momente, die ihr so kostbar waren.

Natürlich gab es auch noch eine dritte Möglichkeit, nämlich die, sich selbst von Sören zu trennen und ihn für Frau und Kind wieder freizugeben. Aber das war eine Lösung, bei der sie sich eindeutig als größte Verliererin sah – und sie missfiel Bianca aus diesen Gründen von allen Optionen am meisten.

Die ewige Geliebte hatte sich gefügt. Sie waren mit zwei Autos gefahren und hatten auf dem Campingplatz am See zwei verschiedene Domizile bezogen, doch die Nähe und die damit verbundene Zumutung blieb allgegenwärtig.

Und nach dem Abend, wenn die Fakten auf dem Tisch gelegen hatten, konnte ein Drama folgen, das den ganzen Urlaub über andauern mochte.

Es war schwer zu sagen, wie Mara reagieren würde. Trotzdem fühlte Bianca sich mehr als unbehaglich, denn Mara das Herz zu brechen war nicht in ihrem Sinne. Sören aufzugeben und sich selbst damit das Herz zu brechen aber auch nicht.

Dass Bianca und Mara einst innige Freundinnen gewesen waren, machte die Sache umso schlimmer.

Bianca nahm sich nach der Ankunft Zeit, um sich innerlich auf den bevorstehenden symbolischen Todesstoß ihrer ehemals besten Freundin durch den eigenen Mann vorzubereiten.

Sie begutachtete eine Zeit lang ihren blitzsauberen und erstaunlich großen Wohnwagen, den sie für die nächsten Wochen angemietet hatte. In der kleinen Küche war alles vorhanden und ordentlich in den Klappschränken verstaut. Das Bettzeug war frisch und roch angenehm nach Heuboden und Vollwaschmittel. Die Fenster, umrahmt von kitschigen, grün und hellblau gemusterten Gardinen, zeigten ein Umfeld, das idyllisch hätte sein können – wenn nicht in zehn Minuten Entfernung Mara, das Biest, wie Bianca sie inzwischen insgeheim nannte, residiert hätte.

Alles ging seinen gewohnten Gang. Familien in Campern und Zelten bauten ihre Behausungen auf oder hockten lesend, tratschend, wahlweise schlafend auf Campingstühlen. Bäume und Büsche umgaben den kleinen naturbelassenen See, dessen Wasseroberfläche in der späten Nachmittagssonne glitzerte. Kinder spielten im Sand neben dem Wasser. Ein Hund jagte einem Ball nach, den ein Mann in gestreifter Badehose geworfen hatte.

Biancas Nervosität wurde nicht kleiner, egal, was sie tat. Und war dabei nicht auch ein kleines Gefühl von Freude? Ein stummes Frohlocken? Ein schamhaft verborgenes Jauchzen?

Ja, sie war die Geliebte und Sören wollte, dass es so blieb. Er würde darauf bestehen, mit der Familie UND der Affäre zu grillen, zu baden und Ausflüge zu unternehmen, jedenfalls hatte er das so angekündigt. Weder für Bianca noch für Mara konnten die kommenden Wochen angenehm werden, aber ein leises Gefühl von Triumph konnte Bianca trotzdem nicht unterdrücken. Es wurde schwer zu Boden geworfen von dem nagenden schlechten Gewissen, aber es war zweifelsohne da. Schließlich hatte sie doch die älteren Rechte an Sören, oder etwa nicht?

Bianca setzte sich auf eins der Betten, die jeweils links und rechts im Bug des Campers an den Wänden standen und in der Mitte eine Lücke bildeten.

Mit kühnen Kuscheleien und schmutzigen Aktivitäten würde es wohl heute nichts werden, denn es war davon auszugehen, dass Sören die ersten Nächte brav mit seiner Frau verbrachte. Sie würde nach dem Abend der Enttäuschung des Trostes bedürfen. Und auch die Folgenächte standen unter keinem guten Stern, da machte Bianca sich nichts vor.

Sören würde abends die zweijährige Kim zu Bett bringen, ihr eine Geschichte vorlesen, den zerfledderten Stoffhasen küssen und dann mit Mara, dem Biest, auf der Veranda vor der Ferienhütte sitzen, trockenen Rotwein trinken und Sternbilder bestimmen. Was also sollte sie hier? Die ganze Idee war totaler Blödsinn und würde ihrer aller Leben zerstören! Du verlierst ihn, wenn du nicht mitmachst, hämmerte es in ihrem Kopf. Das war keine irrationale Angst, sondern ein Fakt. Sie hatte keine Wahl. Wenn sie Sören – oder vielmehr den kleinen Teil von ihm, den er ihr zugestand – behalten wollte, musste sie sich fügen.

Der aktivierte Wasserkocher zeigte durch ein dumpfes Schnappgeräusch und lautes Brodeln, dass das Wasser für den Tee fertig war. Bianca erhob sich und goss sich eine Tasse auf, die sie mit nach draußen nahm.

Vor ihrem Wohnwagen befanden sich keine Gartenmöbel – er war die preiswertere Version der Badeferien an diesem Geheimtipp-Ort und bot keinerlei Extras. Eine Hütte wäre für sie aber sowieso auch viel zu groß gewesen, da hätte sie sich in den einsamen Stunden noch verlassener gefühlt. Man konnte jedoch auch ohne Tisch und Stuhl vor dem Gefährt sitzen.

Bianca breitete eine der Decken, auch grünblau gemustert, auf dem Rasen aus und stellte ihre dampfende Tasse daneben. Es ging bereits auf den Abend zu, denn sie waren lang gefahren.

Der Abend würde grauenvoll werden und eine schlaflose Nacht würde folgen.

Und danach? Morgen? Übermorgen? Würde Sören sie überhaupt jemals aufsuchen oder nahm Mara, das Biest, ihn voll und ganz in Beschlag? Würde er auch mit Bianca noch in die Sterne blicken und ihr zum Abschied einen Kuss auf die Stirn drücken? Oder blieben Zärtlichkeiten dieser Art ab heute seiner Frau vorbehalten, die ja so furchtbar verletzt werden würde?

Bianca nippte am Tee, der bitter und moosig roch. In der Luft hingen viele Gerüche: Algen und Teer, Holz und Sonnenmilch, Bratwurst und Bier. Das feine Gespinst von Badekleidung, die schwere Nässe von Frottee über Wäscheleinen, die metallische Kühle von Besteck in den Spülbecken am Sanitärhäuschen. Bianca schloss die Augen.

Eigentlich, meinte sie, hatte sie sich Urlaub verdient und sie hatte ihn auch bitternötig. Es war ein arbeitsreiches und wenig unterhaltsames Jahr gewesen, mit vielen einsamen Stunden, die an der Psyche zerrten und allerlei überflüssigen Aufgaben, die niemandem dienten und doch nie infrage gestellt wurden.

Aber was sollte das für ein Urlaub werden? Den Auftakt bildete eine Tragödie der Sonderklasse, die allen Beteiligten erhebliche Wunden schlagen würde. Nach diesem Abend würden sie schlimmstenfalls Tote zu beklagen haben und bestenfalls eine Scheinharmonie vorlügen, die jede Art von Erholung und Entspannung ad absurdum führte.

Wie würde es Bianca damit gehen, Mara und Kim ständig um sich zu haben? Die vorwurfsvollen Blicke zu ertragen, die gezischten Verwünschungen, den versprühten Hass? Sie würde sich nicht mehr normal bewegen können und immer auf der Hut sein müssen, um nicht neue Brandherde zu entzünden. Die Wochen würden grauenvoll werden! Jede Minute unter den wachsamen Augen der eifersüchtigen Giftschlange, die ihr menschliches Hab und Gut gewiss mit bösen Blicken, gewetzten Krallen und üblen Verwünschungen verteidigte. Die jede Stimmung zerstörte, bevor sie sich überhaupt entfalten konnte. Die Annäherung, Zuneigung und Mitgefühl im Keim erstickte, weil sie selbst das Gefühl hatte, immer zu kurz zu kommen.

Bianca war klar, dass sie ihrer ehemaligen Freundin mit diesem gnadenlosen Urteil unrecht tat, denn früher war Mara ihr als gütiger, verständnisvoller und einfühlsamer Mensch begegnet, doch ihr eigener Frust war einfach zu groß, um auch noch Mitgefühl für die Nebenbuhlerin aufbringen zu können. Obwohl, gab sie unwillig sich selbst gegenüber zu, sie selbst ja eigentlich die Nebenbuhlerin war.

Sören kam bald, um nach ihr zu sehen, wie er sagte. Um zu erfahren, ob sie sich schon wie zu Hause fühlte. Er verpackte seine Kontrolle gern in das hübsche Mäntelchen der Fürsorge. Bei den Worten „wie zu Hause“ musste Bianca grinsen und das Grinsen schmeckte wie ein verdorbener Fisch.

„Hey, Liebelein“, begrüßte er sie und blieb mit der Sonnenbrille auf dem Gesicht vor ihr stehen. Er trug eine andere Jeans als auf der Fahrt und ein frisches T-Shirt. Das konnte er sich leisten, denn er hatte ja eine Frau, die für frische Klamotten sorgte, während eine andere ihn zu sexuellen Gipfeln katapultierte und sein Ego streichelte.

„Fühlst du dich schon wie zu Hause?“ Er legte den Kopf schief, wohl ahnend, dass seine Frage lächerlich, sogar bescheuert war.

„Wenn du damit wissen willst, ob der Wagen gut ausgestattet ist, dann brauchst du dir keine Sorgen zu machen“, gab sie zurück. Mara-Geruch stieg ihr in die Nase. Er haftete fast immer an ihm. Dass er keine Anstalten machte, sich zu setzen, ärgerte sie. Der Geliebte, immer auf dem Sprung, nie voller Muße verweilend. Das Vorurteil stimmte. Andererseits gab es keinen Stuhl, gestand sie sich ein. Auch darin steckte eine Aussage: Sie war nicht dazu in der Lage, ihm in Gänze zu geben, was er brauchte. Und dass er sich nicht neben ihr auf den Boden sinken ließ, enthielt so viel Symbolik, dass es kaum zu übersehen war.

„Es ist sogar Seife auf dem Waschbecken im Bad. Sie hat die Form einer Rose und riecht nach Mottenkugeln.“ Bianca nahm wieder einen Schluck. Erdig, wärmend, tröstend. Die feuchten Teedämpfe stiegen ihr beim Trinken in die Nase und wirkten wie eine beruhigende Salbe auf ihr wundes Herz, das sich schon den ganzen Tag gequält hatte.

„Brauchst du etwas?“ Sören, der Fürsorgliche. Er passte auf seine Frauen auf. Auf alle drei.

Sein gönnerhafter Ton widerte sie plötzlich an. Ob sie etwas brauchte?

Natürlich! Seine uneingeschränkte Liebe, seine Zeit und Aufmerksamkeit, seinen Willen, eine Entscheidung zu treffen. All das brauchte sie! Nicht pastellig gemusterte Gardinen in einem gemieteten Camper und industriell produzierte Rosenseife! Und schon gar nicht die Eskalation einer alten Freundschaft, weil Dinge mitgeteilt wurden, die besser verborgen geblieben wären!

Oder wollte sie das tatsächlich? Hatte nicht sie selbst immer darauf gedrängt, Mara reinen Wein einzuschenken? Mehr noch – sich zu entscheiden? Sören wollte sich nicht entscheiden, das war sein Problem. Und weil Bianca es hinnahm, weil sie alles hinnahm, was er machte oder sagte, wurde es auch zu ihrem Problem.

„Wann findet das Date für uns drei heute Abend statt?“, fragte sie und ignorierte seine Frage nach ihren Bedürfnissen, die sie als sinnlos empfand.

„Mara und ich machen nach dem Abendessen mit Kim noch einen Spaziergang um den See. Kim geht um sieben zu Bett. Ich denke, es ist gut, wenn du um neun erscheinst. Ich werde für eine entspannte Atmosphäre sorgen und wir werden ihr sachlich und klar erklären, was los ist. Sie wird es akzeptieren. Sie ist keine Dramaqueen. Sie hat sowieso keine Wahl.“

Da war Bianca nicht so sicher, aber sie nickte ergeben. Widerstand war zwecklos. Er würde sich sonst umdrehen und gehen und dann war sie völlig umsonst mitgekommen. Dann konnte sie auch gleich zurück nach Hause fahren und sich auf einen unsagbar einsamen Sommer mit heftigem Liebeskummer einstellen. Auch Bianca hatte keine Wahl, redete sie sich selbst erneut ein.

Es ärgerte sie, dass er den geplanten Ablauf des Abends verkündete wie ein autoritärer Abteilungschef seinen Mitarbeitern die Organisation eines Projekts. Aufgaben, die wie in Stein gemeißelt von oben herab verteilt wurden, null Mitbestimmungsrecht, keinerlei Interesse an eigenen Ideen und Vorschlägen. Als seien alle Frauen in seiner Umgebung Schaufensterpuppen, die nicht sprachen, sich nicht bewegten, nicht fühlten und nicht dachten. Sie hatten nur ihre Rollen zu spielen und darüber hinaus die Klappe zu halten.

„Es wird alles nach Plan laufen“, schob Sören nach, als sei jede andere Möglichkeit Wahnsinn. „Mara und ich haben eine stabile, enge Bindung“, begründete er seine Zuversicht hinsichtlich des Abends aller Abende.

Mara und ich. Wie oft hatte Bianca diese Worte gehört! Selten dagegen purzelten die Worte Bianca und ich von seinen Lippen. Die beiden Namen mit dem UND dazwischen waren ein Tabu, das von Sören nicht infrage gestellt wurde. Er glaubte wohl, es gehörte sich nicht, der Gattin auf diese Weise verbal das Wasser abzugraben und sie in ihrer Position als Haremsvorsteherin zu bedrohen.

Natürlich gehörte es sich auch nicht, den Mann einer anderen Frau zu vögeln, aber die Dinge lagen nicht so einfach, wie es auf den ersten Blick aussah. Egal, dachte Bianca. Es waren ja bloß Worte. Und in Kürze würde es immerhin ein Mara UND Sören UND Bianca geben.

Ein Lächeln stahl sich auf ihre Lippen, doch es war schnell wieder verschwunden. Das war nicht in Ordnung. Es war einfach nicht okay und im Grunde wusste sie das. Zehn Jahre Lügen. Heute der Schlag ins Gesicht. Die bodenlos unverschämte Forderung eines Mannes, der alles haben wollte und auf nichts verzichten konnte. Sie blieb in diesem Spiel willenlose Handlangerin. Es war unsinnig, sich vorzumachen, dass sie irgendwelche Fäden in der Hand hielt.

„Du kannst die nächsten Tage zum Essen ins Ferienhaus kommen. Morgens, mittags, abends“, ergänzte Sören seinen fixen Plan und zauste ihr Haar, wie es ein Vater bei seinem Kind tat. „Wir wollen alles gemeinsam machen. Zeit miteinander verbringen. Uns auf eine neue Weise kennenlernen und nahe sein.“

„Mara wird davon begeistert sein“, wehrte sie ironisch ab. „Ebenso wie vom gemeinsamen Planschen im See und von den Wanderungen zu viert, die du, wie ich dich kenne, schon ausführlich geplant hast. Neun Uhr sagst du? Okay, ich werde da sein. Aber ich hoffe, es dauert nicht sehr lang und läuft gesittet ab. Die Fahrt war anstrengend und ich muss noch auspacken. Heute wird es eh dein Job sein, deine Frau wieder einzufangen. Sie wird ausflippen. Ich nehme an, du wirst danach nicht noch einmal hier bei mir vorbeikommen, oder?“

Er schüttelte mit dem Kopf.

Heute nicht oder überhaupt nicht mehr?

Plötzlich packte sie die blanke Angst, die mit Schweißausbrüchen und Herzrasen einherging.

Auf die Angst, die in Sekunden abebbte, folgte eine tiefe Resignation, die Bianca sehr genau kannte. Sie war eine alte, aber ziemlich verhasste Freundin, die einfach nicht verschwinden wollte.

„Dachte ich mir.“ Die Enttäuschung stand ihr ins Gesicht geschrieben. Sie wurde auch nicht dadurch kleiner, dass sie erwartet worden war.

Wie viel Prozent „Sören“ fielen für Bianca ab? Vielleicht dreißig, großzügig geschätzt? Das war gar nichts! Gemeinsame Mahlzeiten und Unternehmungen waren keine Alternative, das war nicht das, was Bianca sich wünschte! Maras stechendem Blick standzuhalten, während sie auf einer Folienkartoffel mit Kräuterquark herumkaute, stand auf ihrer Liste möglicher unterhaltsamer Abendgestaltungen ganz weit unten. Und wenn sie mit Mara morgen gemeinsam in den Teich sprang, musste sie aufpassen, dass die ehemalige Freundin sie nicht voller Zorn und Hass in dem schlammigen Tümpel ertränkte.

Nein, nein, nein, das war alles überhaupt keine brauchbare Idee! Ihre Zweifel begannen wieder übermächtig zu werden, wenn auch ein boshafter Teil von ihr in gewisser Weise frohlockte, dass sie als akzeptierte Geliebte künftig an Anerkennung gewinnen würde und nicht mehr zu ignorieren war.

„Deine drei Schlüpfer und die Zahnbürste kannst du auch an einem anderen Tag in die Schränke räumen. Ich möchte, dass du pünktlich bist und dich nach dem … Eklat, der vielleicht zu erwarten ist, vernünftig und besonnen zurückziehst. Bis morgen werden sich die Wogen geglättet haben und dann sehen wir uns wieder. Zum Frühstück. Punkt acht.“

Na, immerhin hatte er eingestanden, dass es einen Eklat geben könnte! Seine Sätze, klangen sanft, duldeten aber keine Widerrede. Sören schaffte es, eine unmissverständliche Drohung in seinem Lächeln zu verpacken.

Was würde folgen, wenn sie nicht tat, was er sagte? Noch mehr Konflikte, ein offener Bruch, Ignoranz, Liebesentzug? Oder trautes Familienglück, besonders bemüht in Szene gesetzt, damit Bianca genau erkennen konnte, was sie verpasste? Wenn sie sich weigerte, würde er umso penetranter seine eheliche Scheinharmonie zur Schau stellen und Bianca sich wie ein ausgestoßenes Monster fühlen lassen, das sein Recht auf die Zugehörigkeit zur Gruppe auf immer verspielt hatte.

Sie hatte das schon erlebt. Sören wirkte unscheinbar, aber er war ein guter Manipulator und bekam immer, was er wollte. Er verweigerte sich ihr, wenn sie nicht nach seiner Pfeife tanzte. Eine ganz einfache Geschichte, mit der viele faktisch oder seelisch abhängige Frauen sich quälten. Mach mit in seinem Spiel oder geh. Dazwischen gibt es nichts. Die Regeln werden nicht zu deinen Gunsten geändert. Niemals. Geliebt werden oder frei in deinen Entscheidungen sein, das ist die einzige Frage, die sich dir stellt und beides hat einen höheren Preis, als du zu zahlen bereit bist.

Bianca stellte den Tee ins Gras und hob den Kopf. Sah weg von seinen Schuhen und der blassblauen Hose, über seine schmale, knochige Brust, bis ihre Augen die seinen erreicht hatten.

Ihr Widerstand, sowieso eine fragile Angelegenheit, zerstob im Nichts. Sie nickte trübsinnig. Senkte wieder den Blick. Auf Grasspitzen, eine Hummel in einer Wiesenblumenblüte, einen Zipfel ihrer Decke.

„In Ordnung“, hörte sie sich sagen. „Spielen wir wieder heile Familie. Bringen wir die ahnungslose Gattin auf den neusten Stand. Hoffen wir, dass sie ihre Männchen nicht vom Spielbrett fegt und uns das Brett nicht um die Ohren haut. Tun wir so, als wäre alles fein und das Leben ein Schlaraffenland.“

Sören lachte, als ob es ein Witz wäre. Weil er klug und ein guter Beobachter war, entging ihm der Sarkasmus nicht, doch er war nicht bedeutsam genug für ihn, um ihn ernst zu nehmen oder sogar darauf zu reagieren.

Für Sören zählte nur, dass alle sich berechenbar verhielten und die Dinge ihren gewohnten Gang gingen. Niemand durfte aus der Reihe tanzen. Keiner durfte eine Meinung entfalten, die der seinen – oder der, die er für die gemeingültige hielt – zuwiderlief. Waren alle seine Frauen lieb und fügsam, verschenkte er Zärtlichkeit. Er vollbrachte dann sogar das Kunststück, jeder seiner Frauen das Gefühl zu geben, sie sei die Einzige auf der Welt.

Sören, der Charmeur, der sich künftig nicht einmal mehr die Mühe machen würde, seinen Betrug zu verbergen! Weil ihm das Lügen und Ausreden erfinden mittlerweile auf den Keks gingen und er sein Leben sauberer und simpler gestalten wollte! Da er überzeugt davon war, dass ihm alles, was er einforderte, auch zustand, kam er gar nicht auf die Idee, jemand könnte ihm seine Offenheit übel nehmen. Offenheit war doch gut, oder? Die Moral stand auf seiner Seite!

Wie perfide, dachte Bianca, deren Verstand nach wie vor kühl analysierte, sich dem Herz aber einfach nicht unterwerfen wollte. Diese von Sören so kühn propagierte Offenheit war eine Waffe, die ihm nicht aus der Hand zu schlagen war! Er richtete sie gleichermaßen gegen Ehefrau und Geliebte und es war ihm gleich, was er damit auslöste. Selbst seine Tochter und die Konsequenzen für sie, die sich aus der Situation ergaben, waren ihm egal. Wie alle Frauen in seinem Leben sollte auch Kim besser früher als zu spät lernen, dass sie sich dem Willen eines Mannes zu beugen hatte, zunächst dem ihres Vaters, später dem ihres Ehemannes, der sie zur Belohnung dafür hegen und pflegen und beschützen würde.

Sören war ein Gift, für welches es kein Gegenmittel gab. Bianca wusste das. Und sie vermutete, dass Mara es auch ahnte. Bald würde auch Mara wissen, dass Bianca es wusste. Welch schräge, schreckliche kleine Familie!

Mara. Bianca sah sie vor sich: Dunkelhaarig, wohlgerundet mit Kurven an genau den richtigen Stellen. Sprühend vor Impulsivität, vorlaut und eigensinnig. Aufdringlich hübsch, mit wachen Augen und einer gefährlichen Intelligenz. Spöttisch und auf eine fast charmante Weise überheblich kommentierte sie die Welt um sich herum, ohne je ein Blatt vor den Mund zu nehmen. Bei allen schlechten Seiten und Macken, die sie hatte, war sie immer direkt und ehrlich.

Manchmal war sie so ehrlich gewesen, dass es geschmerzt hatte. Nicht zuletzt deswegen war die Freundschaft schon vor Jahren abgekühlt und schließlich zerbrochen.

Doch auch ihre Zuneigung war immer ehrlich und unmissverständlich gewesen: Sie konnte gut zuhören und brachte für viele Dinge mehr Verständnis auf, als weniger tolerante und engstirnigere Leute es getan hätten.

Jedenfalls war es grundlegend falsch, einer solch ehrlichen, mutigen und warmherzigen Frau einen Dolch ins Herz zu stoßen! Selbst dann, wenn man ihren Mann für sich selbst haben wollte!

Andererseits war es genauso falsch, sie weiterhin zu belügen. Oder sie belogen zu haben.

Wie man es auch drehte und wendete: Der Karren steckte im Dreck fest und würde ohne Blessuren auch nicht rauszuziehen sein. Mara war ein Biest, aber nicht der Teufel. Und selbst das Biest verdiente einen fairen Angriff, um sich angemessen verteidigen zu können. Den würde Mara nicht kriegen, denn Sörens Offensive war deshalb so schlagkräftig, weil sie auf völlige Überrumpelung baute.

Sörens und meine Offensive, verbesserte Bianca sich im Stillen.

„Ich komme um neun“, nahm sie den eher dünnen Gesprächsfaden wieder auf und signalisierte damit gleichzeitig ihr nicht vorhandenes Interesse, sich weiter zu unterhalten.

Sie rettete sich mit der Aufmerksamkeit in den letzten Schluck Tee. Eine Almhütte in den Bergen. Loderndes Kaminfeuer in verträumter Zweisamkeit. Lammfell unter dem Leib, Schweißfilm auf der Haut. Küsse, die Wogen von Emotionen zu Brechern auftürmten. Berührungen, Seufzer, Geborgenheit.

Dieser Tee versprach alles, was sie hier nicht kriegen würde. Hitze statt Schnee und hitzige Begegnungen statt romantischen Geflüsters vor dem Kamin. Sie seufzte.

„Schön, Liebelein.“ Sören lächelte, was ein milder Abklatsch seines Lachens von eben war.

Wieder tätschelte er Bianca den Kopf, als sei sie ein Schaf, das er niedlich fand.

Sie fühlte sich nun noch mehr wie ein Nichts, als sie es eh schon tat. Diese ständige Empfindung von Selbstmitleid stand auch dem eigentlich angebrachten schlechten Gewissen im Weg, das sie eigentlich die ganze Zeit hätte empfinden müssen.

Wer wäre denn nun wirklich übler von ihnen dran? Mara, die betrogene Gattin und glückliche Mutter, die Frau mit dem perfekten Leben und dem Ring am Finger? Oder Bianca, die Affäre, die nur Krumen zugeworfen bekam und es nicht wert war, eine offizielle Position im Leben des Angebeteten zu erhalten, dafür aber seine Sonnenseite erlebte und den Alltag außen vorlassen konnte?

Ich war zuerst da, dachte sie. Der Mann, das Haus, die Tochter – all das hätte meins sein müssen. Wenn du, Mara, dich nicht so dreist dazwischengedrängelt hättest! Konnte sie deswegen einfach nicht loslassen? Empfand sie aus genau diesem Grund mehr Wut gegenüber ihrer ehemaligen Freundin als Leidenschaft für Sören, wenn sie in seinen Armen lag?

Jedes Treffen verkam unweigerlich zu diesem schalen Triumph, sich zumindest für den Moment zurückerobert zu haben, was ihr von Rechts wegen eigentlich hätte zustehen müssen. Mit Liebe und Lust hatte es nicht mehr viel zu tun.

Bianca erinnerte sich an den Duft, der von Mara ausging – eine Mischung aus betörenden Orchideen, Kuchenteig und Kopfschmerzen auslösender Druckertinte, mit denen bissige Briefe gedruckt wurden – und zog die Schultern hoch. Liebe, Hass, Leidenschaft, Neid, Schuld – dieser wilde, unbeschreibliche Mix, der sich in ihrem Herzen breitmachte wie ein gigantischer Pilz mit weitverzweigtem Sporennetz! Er war ein Fluch, der sie verfolgte!

Sie hatte Mara als Freundin geliebt. Sie liebte Sören als Mann! Sie liebte mit jeder Faser ihrer Seele – und dennoch empfand sie Zorn und Widerwillen und fand keine Worte, die ihre tiefsten Gefühle treffend beschreiben konnten.

Und trotzdem hatte sie keine Hemmungen, heute Abend ihre Hand auf das Messer zu legen, das in Sörens Fingern gnadenlos das dichte Gewebe um das Glück seiner Frau zerschneiden würde. Sie war machtlos angesichts der Intensität ihrer Gefühle, die Leib, Hirn und Leben fluteten.

Viele Gefühle.

Unterschiedliche Gefühle.

Widersprüchliche Gefühle!

Chaotischer als ein sterbender Stern, der sein schwindendes Leben in alle Richtungen schickte, aufdringlich intensiv, verheerend und zerstörerisch, explodierend und nichts als Schwärze hinterlassend.

„Schön“, sagte Sören erneut und drückte ihr einen Kuss auf den Scheitel. Nicht liebevoll, sondern eindeutig mit Nachdruck. Es war ein letzter Hinweis, nicht aufzumucken, um den Status quo nicht zu gefährden.

„Schön“, flüsterte Bianca und sah ihm nach.

Es war immer wieder erstaunlich, welch seltsame Eigendynamik sich in ihrer ungewöhnlichen Dreierbeziehung entwickelte und wie weh ihr nach jeder Begegnung ums Herz war.

Gar nichts war schön! Aber sie konnte es nicht ändern. Sie musste diesen Mann behalten und diesen Mann gab es nur mit seiner Frau.

Kapitel 2

Mara

Kim war von der Fahrt erschöpft gewesen und deshalb nach dem Abendessen und einem kurzen Spaziergang über den Platz schnell eingeschlafen.

Das Ritual des Zubettbringens, Vorlesens und Singens beruhigte Mara selbst fast mehr als ihre Tochter. Sie spürte eine Unruhe in sich, die weder zu benennen, noch zu beherrschen war. Als würde am Horizont ein Gewitter aufziehen, obwohl die Sonne noch das Himmelszelt beanspruchte.

Vielleicht lag es daran, dass Sören so geheimnisvoll getan hatte. Er wolle sich „einen ruhigen Abend machen“, um ein paar „Dinge zu klären“, hatte er verkündet, als sie nach dem Essen mit den Armen bis zum Ellbogen im Spülbecken das Geschirr abgewaschen hatte.

Es hatte irgendwie bedrohlich geklungen, dabei war das nicht Sörens Art. Meistens ließ er die Dinge zu Hause laufen, ohne sie zu kommentieren und ohne sie beeinflussen zu wollen. Er war froh, wenn der Alltag reibungslos funktionierte und Mara ihm trotz Kind und Berufstätigkeit den Rücken freihielt. Mit profanen Problemen wurde er nicht gern belästigt; er schätzte es, wenn sie diese in die Hand nahm. Um banale Probleme würde es sich demnach nicht handeln, die waren zu unbedeutend, um seine heiligen Synapsen zu beschäftigen. Worum mochte es also gehen? Gab es einen Grund, etwas an ihr auszusetzen? Das war kaum vorstellbar. Es mochte arrogant klingen, aber Mara hatte alles im Griff. Immer und überall.

Mara wischte sorgfältig die Teller im Abtropfgestell sauber und stapelte sie so im Schrank, dass sie genau übereinanderstanden und das Muster in dieselbe Richtung zeigte. Sie war eine Frau der Tat, pragmatisch, zupackend, perfekt organisiert. Auf ihren Instinkt, der sich stets an ihrem messerscharfen Verstand orientierte, konnte sie sich meist verlassen. Was hatte es zu bedeuten, dass dieser Instinkt gerade rote Alarmlämpchen blinken ließ? War „etwas im Busch“, wie es so schön hieß? Nun, sollte dem so sein, dann würde sie der Herausforderung so begegnen, wie sie es gewohnt war: selbstsicher und umsichtig. Eben eine Macherin!

Sören war losgegangen, um Wein am Kiosk zu besorgen, wie er sagte. Während Mara das Besteck polierte und in die Schublade gleiten ließ, die Köpfchen der Löffel sauber ineinander geschmiegt, dachte sie mehr darüber nach, als gut für sie war. Sie hatten jede Menge Wein im Gepäck, es gab keinen Grund, welchen zu kaufen.

Stahl er sich damit Zeit, um sich zu sammeln? Sich seine Worte genau zu überlegen? Aber warum, zum Teufel? Würde er ihr gleich irgendetwas vorwerfen? Kritik anbringen?

Ihr fiel beim besten Willen keine Erklärung dafür ein. Der gemeinsame Alltag war vollgestopft mit Terminen, klappte aber dank ihrer hervorragenden Organisation reibungslos. Kim war ein fröhliches, unbeschwertes Mädchen, das keinerlei Klagen verursachte. Sie konnten ihre Kredite für das Haus am Stadtrand, die Küche und die beiden Wagen bedienen. Samstags gab es Sex. Gut, immer wieder nach demselben Muster, etwas langweilig vielleicht. Aber es gab Ehen, in denen gar nichts mehr lief und wo viel Mühe in die Aufrechterhaltung einer Fassade gesteckt wurden, die ein erschreckend hässliches Antlitz verbarg. Davon waren sie weit entfernt.

Worum würde es also an diesem Abend gehen? Ein unbehagliches Gefühl breitete sich in ihrer Magengegend aus.

Sie wischte die Krümel vom Tisch und spülte den Lappen unter fließendem Wasser aus. Hängte ihn an den Herdgriff, rieb sich mit dem Geschirrtuch die Hände trocken. Sah aus dem Fenster.

Ein schöner Platz, den sie da gebucht hatten. In der Nähe eines Badesees gelegen, voller verträumter Natur und klein genug, um sich schnell zurechtzufinden. Auch das Häuschen war toll. Die karierte Bettwäsche roch frisch und sauber. In der Küche war alles vorhanden, was man brauchte, um eine Familie ein paar Wochen zu versorgen. Die Chromspüle glänzte, auf dem Fernseher im Wohnzimmer lag kein Stäubchen. Vielleicht war die Einrichtung etwas altmodisch, aber sie präsentierte sich solide und bodenständig. Eher eine robuste Kornblume als ein empfindsames Röschen. So wie sie selbst. Ein Röschen war sie nie gewesen.

Mara blickte sich um. Alles war picobello. Sie spürte, wie sich ihr Herzschlag und ihre Atmung beruhigten und überlegte kurz, ob sie nach Kim sehen sollte.

Aber da kam Sören ja zurück! Ein Blick aus dem Fenster der zum Wohnzimmer hin offenen Küche ließ sie seinen typischen Gang erkennen, noch bevor sie Gesicht oder Kleidung zuordnen konnte. Er war nicht allein. Eine Frau war bei ihm. Schwarzhaarig (nicht echt), groß, schmal.

Irgendetwas kam ihr an der Frau bekannt vor … Moment mal! Das war doch …