Im Sog der Schuld - Laura McHugh - E-Book

Im Sog der Schuld E-Book

Laura McHugh

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Beschreibung

Die Vergangenheit ruht nie …

Nach 17 Jahren kehrt Arden in ihre Heimat zurück, um ihr Erbe anzutreten – die alte Villa Arrowood. Dabei hatte sich die junge Frau geschworen, nie wieder einen Fuß in dieses unheimliche Haus zu setzen. Denn seit ihre beiden Schwestern 1994 auf mysteriöse Weise verschwunden sind, ist Arrowood zum Sinnbild ihrer tief sitzenden Schuld geworden – der Schuld, als Babysitterin versagt und dadurch ihre Familie zerstört zu haben. Während Arden versucht, ihr Elternhaus wohnlich zu machen und sich so ihrer Vergangenheit zu stellen, merkt sie, dass das alte Gemäuer mehr als nur ein Geheimnis birgt und dass die Wahrheit über das Schicksal ihrer Schwestern schrecklicher ist, als vermutet.

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Buch

Nach 17 Jahren kehrt Arden in ihre Heimat zurück, um ihr Erbe anzutreten – die alte Villa Arrowood. Dabei hatte sich die junge Frau geschworen, nie wieder einen Fuß in dieses unheimliche Haus zu setzen. Denn seit ihre beiden Schwestern 1994 auf mysteriöse Weise verschwunden sind, ist Arrowood zum Sinnbild ihrer tief sitzenden Schuld geworden – der Schuld, als Babysitterin versagt und dadurch ihre Familie zerstört zu haben. Während Arden versucht, ihr Elternhaus wohnlich zu machen und sich so ihrer Vergangenheit zu stellen, merkt sie, dass das alte Gemäuer mehr als nur ein Geheimnis birgt, und dass die Wahrheit über das Schicksal ihrer Schwestern schrecklicher ist, als vermutet.

Autorin

Laura McHugh wuchs als jüngstes von acht Kindern in Iowa und Missouri auf. Sie besitzt einen Masterabschluss in Bibliothekswissenschaft, hat als Bibliothekarin und Softwareentwicklerin gearbeitet und bereits mehrere Kurzgeschichten veröffentlicht. In ihrer Freizeit näht sie gerne, sie ist begeisterte Hobbygärtnerin und mag Zombiefilme. Laura McHugh lebt mit ihrem Mann, den gemeinsamen Töchtern und ihrem Hund in Columbia, Missouri.

Von Laura McHugh bereits erschienen

Die Schwere des Blutes

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Laura McHugh

Im Sog der Schuld

Roman

Deutsch von Andrea Brandl

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.

Die Originalausgabe erschien 2016 unter dem Titel »Arrowood« bei Spiegel & Grau, an imprint of Random House, a division of Penguin Random House LLC, New York.

Das Gedicht »Do not stand at my grave and weep« von Elizabeth Mary Frye wurde übersetzt von Bertram Kottmann, https://gedichte.xbib.de/Kottmann_gedicht_Steht+nicht+an+meinem+Grab+und+weint.htm.

Sollte diese Publikation Links auf Webseiten Dritter enthalten, so übernehmen wir für deren Inhalte keine Haftung, da wir uns diese nicht zu eigen machen, sondern lediglich auf deren Stand zum Zeitpunkt der Erstveröffentlichung verweisen.

1. Auflage

Copyright der Originalausgabe © 2016 by Laura McHugh

Copyright der deutschsprachigen Ausgabe © 2019 by Limes in der Verlagsgruppe Random House GmbH, Neumarkter Str. 28, 81673 München

Redaktion: Alexander Groß

Umschlaggestaltung und -motiv: © www.buerosued.de

dn · Herstellung: sam

Satz: Buch-Werkstatt GmbH, Bad Aibling

ISBN 978-3-641-21687-0V001

www.limes-verlag.de

In Erinnerung an Floyd und Telka Silvers und das kleine weiße Haus in der South Fourteenth Street

Steht nicht an meinem Grab und weint,ich schlafe nicht, wie ihr es meint.Ich bin der Wind in Wald und Feld,ich bin ein Schnee, der sachte fällt.Ich bin ein leiser, linder Regen,ich bin der Fluren reicher Segen.Bin in des Morgens stillem Lächeln,ich bin im ersten scheuen Fächelnder milden Frühlingsluft,ich bin ein Sommerrosenduft,ich bin des Herbstwalds bunte Pracht,ich bin der Sternenglanz der Nacht.Ich bin ein Lied, ein Vogelsang,ich bin ein heller Glockenklang.Drum trauert nicht, habt Zuversicht:Ich bin nicht hier – ich sterbe nicht.

MARY ELIZABETH FRYE »STEHT NICHT AN MEINEM GRAB UND WEINT«

Kapitel 1

Früher habe ich immer gespielt, jemand hätte mich an einem merkwürdigen unbekannten Ort ausgesetzt, und ich müsste allein wieder nach Hause finden. Es gab mehrere Varianten des Spiels, aber alle mit einer Gemeinsamkeit: Ich war in irgendeiner Weise eingeschränkt – entweder gefesselt oder stumm, oder mir fehlte ein Arm oder ein Bein. Allerdings war ich stets überzeugt, dass ich den Weg notfalls auch blind finden würde wie ein Hund, der mithilfe eines geheimnisvollen Instinkts dorthin zurückkehrt, wohin sein Herz gehört … zu seinem Herrchen, auch wenn es Tausende Meilen weit weg ist. Manchmal hielt ich in einer der Städte, in die es mich nach unserem Wegzug aus Keokuk verschlagen hatte, einen kurzen Moment inne – in der Schule, in meinem Zimmer oder mitten auf der Straße – und richtete mich innerlich auf Arrowood aus, auf den Mississippi, auf zu Hause. Dort ist es, dachte ich dann. Ich wusste es einfach. Drehte mich reflexartig in die richtige Richtung, wie eine Kompassnadel, die immer nach Norden zeigt.

Als ich nun in der drückenden Hitze durch die weitläufigen Ackerlandschaften von Kansas und Nordmissouri fuhr, vorbei an den endlosen Weizen- und Maisfeldern, spürte ich förmlich, wie mich die Straße nach Iowa zog, als würde ich unweigerlich dort enden, ganz egal, welche Richtung ich einschlug. Ich kniff die Augen gegen die grelle Sonne zusammen; meine Sonnenbrille musste irgendwo zwischen meinen hastig zusammengepackten Taschen und Kartons verschüttgegangen sein, die ich in meinen alten Nissan gestapelt hatte. Es war Ende September, in der Luft lag noch die typische Stickigkeit des Mittleren Westens, ganz anders als die kühle Herbstsonne Colorados, wo sich gerade die Blätter an den Espen zu verfärben begonnen hatten.

Ich befand mich in der Endphase meines Masterabschlusses, als meine Mutter, die vor nicht allzu langer Zeit wieder geheiratet hatte, mich im Februar anrief, um mir mitzuteilen, dass Eddie, mein leiblicher Vater, beim Blackjack im Mark-Twain-Casino in LaGrange tot umgefallen sei. In den Monaten vor seinem Tod hatte ich nichts von ihm gehört, und unsere letzte Begegnung lag mehr als ein Jahr zurück, deshalb fiel es mir schwer zu sagen, welche Gefühle die Nachricht in mir auslöste. Im Grunde hatte ich ihn bereits vor langer Zeit verloren, damals, als meine beiden Schwestern verschwunden waren, und während meine Trauer über diesen ersten Verlust über Jahre hinweg anhielt, empfand ich nun allenfalls eine eigentümliche Betäubung.

Trotzdem heulte ich wie ein Klageweib beim Trauergottesdienst, der in Illinois stattfand, wo er zuletzt gelebt hatte. Die Trauergäste, hauptsächlich Mitglieder der katholischen Kirchengemeinde, der er erst kurz zuvor beigetreten war, hatten ihn hingegen fast gar nicht gekannt. Ich konnte es nicht ausstehen, dass Beerdigungen unweigerlich jeden noch so kleinen Funken Trauer in mir heraufbeschworen, zu dem ich fähig war – Trauer um Verstorbene oder Gott weiß was sonst noch alles –, und sich jede Strophe von »Amazing Grace« wie ein Dolch in mein Herz bohrte, mein Inneres förmlich aufschlitzte. Der Pfarrer trug einen Umhang über seiner Soutane, der sich melodramatisch aufbauschte und den Blick auf das blutrote Futter freigab, wann immer er die Arme hob. Er schwadronierte darüber, wie viel wir mit den Toten gemeinsam hätten: Jeder von uns hätte seine Träume, Fertigkeiten und Talente, wir alle würden so manches bereuen, hätten Menschen um uns, die wir liebten und die wir enttäuschten, und irgendwann gelange jeder von uns an den Punkt, an dem alles Irdische seine Bedeutung verlöre und unser Leben von einer Sekunde auf die andere ewiger Finsternis oder – sofern man daran glaubte – strahlendem Licht weiche. Manchmal komme der Tod zu früh, manchmal nicht früh genug, und für einige Sünder komme er zu dem Zeitpunkt, den sie selbst gewählt hatten.

Violet und Tabitha wurden nicht erwähnt, als der Pfarrer über jene sprach, die meinem Vater vorangegangen waren, weder als Tote noch als Überlebende. Meine beiden kleinen Schwestern waren weder das eine noch das andere, sondern schwebten irgendwo dazwischen, in jener vagen Hölle der Vermissten. Ich war die einzige Zeugin ihrer Entführung. Damals war ich acht gewesen, und meine gesamte restliche Kindheit hatte ich mich gefragt, ob jener Mann, der sie gestohlen hatte, eines Tages zurückkäme, um auch mich zu holen. Er wurde nie gefasst, und ihre Leichen wurden nie gefunden.

Dad wurde auf dem katholischen Friedhof in Keokuk beigesetzt – trotz der Streitigkeiten zwischen ihnen hatte es mein Großvater nicht über sich gebracht, ihm seinen Platz im Arrowood-Familiengrab zu verwehren –, doch ich nahm nicht daran teil. Bei seiner im Vorfeld bezahlten Beerdigung war keine weitere Zeremonie am Grab vorgesehen, daher wurde mein Vater ohne letzte Worte unter die Erde gebracht.

Monate später bekam ich einen Anruf vom Anwalt unserer Treuhandverwaltung, der mich informierte, dass Arrowood, der Familiensitz, den mein Ururgroßvater am Ufer des Mississippi erbaut hatte und aus dem wir kurz nach der Entführung meiner Schwestern ausgezogen waren, nun mir gehörte. Siebzehn lange Jahre hatte das Haus leer gestanden. Die Treuhandverwaltung hatte für den Erhalt gesorgt und darauf geachtet, dass mein Vater es nicht in die Finger bekam und verhökerte. Und nun würde ich endlich nach Hause zurückkehren.

Die Entscheidung war mir nicht schwergefallen. Auch schon vor meinem letzten Semester an der Uni hatte mich nicht viel in Colorado gehalten: Ich war fünfundzwanzig, arbeitete als Assistentin in der Fakultät für Geschichte und wohnte in einem Apartment, das wegen der Brandschutzverordnung eigentlich gar nicht hätte vermietet werden dürfen, weil die Fenster so klein waren, dass man im Notfall nicht hinausklettern und sich in Sicherheit bringen könnte. Der College-Fonds, den Nana und Granddad mir hinterlassen hatten, neigte sich dem Ende zu. Abends saß ich allein in meiner Bude am Laptop, die Finger reglos über der Tastatur, und wartete auf Worte, die nicht kommen wollten, während mir der Titel vorwurfsvoll von der leuchtend weißen Seite entgegenstarrte: Die Wirkung von Heimweh in historischen Erzählungen. In Colorado hatte ich mich niemals wirklich heimisch gefühlt. Anfangs hatte ich geglaubt, die Berge könnten eine Art Ersatz für den Fluss sein, mich gewissermaßen erden, aber das war ein Irrtum.

Mit dem Tod meines Vaters war die Zahl der Menschen, die beide Teile von mir kannten – jenen Teil vor dem Verschwinden meiner Schwestern und jenen, der danach geblieben war –, auf eine beängstigend überschaubare Anzahl geschrumpft. Ich befürchtete, dass sich mein altes Ich vollends auflösen würde, wenn es niemanden mehr gab, der seine Existenz bezeugen konnte. Als der Anwalt meinte, Arrowood gehöre jetzt mir, war mein erster Gedanke keineswegs, was auf mich zukäme, wenn ich nach Keokuk zurückkehren und allein in dem Haus leben würde. Ich fragte mich auch nicht, ob der Mann, der mich in all meinen Träumen verfolgt hatte, wohl noch in der Gegend lebte. Stattdessen dachte ich an meine Schwestern, wie sie im Garten spielten, im Schatten des Seidenbaums, an mein altes Zimmer mit der rosa Tapete und den Rüschengardinen. Und an Ben, der mein Ich von damals am allerbesten kannte. Mit einem Mal war ich von einer unbändigen Energie erfüllt. Kaum hatte ich den Hörer aufgelegt, kippte ich wie elektrisiert meine Kommodenschubladen auf dem Bett aus und zerrte alle meine Sachen aus dem Schrank.

THE PEOPLE OF IOWA WELCOME YOU: FIELDS OF OPPORTUNTIES. Kaum überquerte ich den Des Moines River und las den Spruch auf dem Schild, atmete ich auf. Mit einem Mal bekam ich wieder Luft, so als hätte ich ein unsichtbares Korsett abgelegt. Ich wurde dort geboren, wo der Des Moines River in den Mississippi fließt, und ein Astrologe meinte einmal, aufgrund meines Sternzeichens, Fische, drehe sich alles in meinem Leben um das Wasser – ich war schwer fassbar, immer im Wandel, ließ mich auf nichts festnageln, war wie ein Fluss stets in Bewegung, ohne jemals irgendwo anzukommen.

Es war ein seltsames Gefühl, nach Iowa zurückzukehren; höchst merkwürdig, dass ich mich auf der einen Seite einer Brücke tatsächlich anders fühlen konnte als auf der anderen. Aber es war so. Und alles, was ich sah, linderte augenblicklich meine tief sitzende Sehnsucht: die Bockbrücke, die Pappeln am Ufer, die quer über die Felder verlaufenden Eisenstäbe der Bewässerungsanlagen, der kleine Mineralienladen, in dessen Schaufenster eine ganze Sammlung frisch aufgespaltener Geoden glitzerte. Ich ließ das Fenster herunter und atmete tief die Keokuk-Luft ein, jenen Mix aus erdiger Überschwemmungsebene und Industrieabgasen. Zu meiner Rechten strömte der Mississippi dahin, und obwohl die Felder die Sicht versperrten, spürte ich ihn ganz deutlich – satt, tief und endlos.

Ich fuhr den Highway entlang in die Stadt, deren Einwohnerzahl laut Schild am Ortseingang um rund ein Drittel geschrumpft war, seit wir weggezogen waren. Vor hundert Jahren, als zahlreiche Güter noch auf Dampfern über den Mississippi transportiert worden waren, hatte Keokuk als das Chicago von morgen gegolten, inklusive Opernhaus, medizinischer Hochschule und eines Baseballteams, das es bis in die Landesliga schaffte. Ein Damm und ein Wasserkraftwerk wurden gebaut, die beide bei ihrer Fertigstellung 1913 als die größten der Welt galten. Später schossen Fabriken entlang des Highways wie Pilze aus dem Boden, allerdings hatten viele von ihnen mittlerweile ihre Tore wieder geschlossen, und mit ihnen waren auch die Arbeitsplätze verloren gegangen. So war Keokuk zu einer Mischung aus Glanz und Verfall verblasst, mit bröckelnden Jahrhundertwendebauten, historischem Baumbestand, der allmählich unter der Last des Alters nachgab, und breiten Flaniermeilen, die längst der Verwahrlosung anheimgefallen waren.

Je näher ich dem Zentrum kam, desto älter, größer und feudaler wurden die Häuser – ein hundertjähriger Prachtbau reihte sich an den anderen, keiner wie der andere, einige aufwendig renoviert, andere schmählich vernachlässigt, verwaist und halb verfallen, obwohl die einstige Eleganz selbst in den Ruinen noch erkennbar war.

Ich fuhr die Main Street entlang auf die Ostseite, wo die Straße so holprig wurde, dass das Kleingeld im Tassenhalter klimperte, wobei ich laut die Straßennamen vorlas; aber eigentlich war es unnötig, auch wenn ich selbst noch nie am Steuer gesessen hatte, als ich sie entlanggefahren war. Schließlich bog ich nach links in die Grand Avenue ein, die letzte Straße vor dem Fluss. Sie war stets die feinste Adresse der ganzen Stadt gewesen, wo sich Leute niedergelassen hatten, die sich die schönen Häuser bequem leisten konnten: Ärzte wie mein verstorbener Großvater, Bankvorstände, Fabrikanten, die keinen einzigen Tag am Fließband geschuftet hatten.

Sämtliche architektonischen Richtungen waren vertreten: Richardsonian Romanesque, Queen-Anne-Stil, Neugotik, Jacobethan, Neoklassizismus, Italianate-Stil. Jedes der Häuser war zwei- oder dreigeschossig mit Türmen, Kuppeln und Säulen und stand inmitten von weitläufigen, baumbestandenen Grundstücken, wobei jene auf der Ostseite der Straße an das rund siebzig Meter tiefe Steilufer des Mississippi grenzten. In der Ferne erstreckte sich das Grün der Felder und Wälder von Illinois, hier und da durchbrochen von einem Kirch- oder Wasserturm.

Nach zwei weiteren Blocks bog ich in die Einfahrt von Arrowood und hielt an, als ich zum ersten Mal nach fast zehn Jahren das Haus wiedersah. Ich hatte erwartet, dass es mir kleiner vorkommen würde, nun, da ich erwachsen war und fast alles, was mir als Kind riesig erschien, geschrumpft wirkte. Doch das reich verzierte, im Second-Empire-Stil erbaute Arrowood war genauso eindrucksvoll wie früher – zweistöckig und mit einem hohen, von zwei uralten Eichen flankierten Turm. Das Mansardendach war mit einem schmiedeeisernen Schmuckgeländer versehen, und auf der Rückseite des Hauses, verdeckt von dem hohen Turm, befand sich eine Dachveranda, von der aus meine Vorfahren nach sich nähernden Schiffen und Booten Ausschau gehalten hatten. Ein Schild im Vorgarten bestätigte, dass das unter Denkmalschutz stehende Anwesen einst sogar Anlaufstelle der legendären Underground Railroad gewesen war. Ich fuhr bis zur überdachten Einfahrt und stieg aus dem Wagen, um die Schlüssel vom Verwalter entgegenzunehmen.

Dunkle Wolken waren aus dem Norden herangezogen, und die Schwüle fühlte sich an, als wäre ich direkt aus der Badewanne in meine Kleider geschlüpft. Mein Top und die Shorts klebten mir unangenehm am Leib. Ich folgte dem vermoosten Pfad zum Haus, wobei ich mich nur wundern konnte, dass Arrowood während meiner Abwesenheit kein bisschen verfallen war, auch wenn die Blumenbeete leer und die vor dem Eingang gepflanzten Hortensien verschwunden waren. Die rings um das Haus verlaufende Veranda war frisch gestrichen worden, und das Geländer hob sich hell von den dunkelgrauen Schindeln ab. Der Seidenbaum mit seinen langen Ästen stand immer noch mitten im Garten, und ich sah die Zwillinge förmlich vor mir herumtollen, den goldfarbenen Wagen davonbrausen. Ich holte tief Luft, und da war er wieder: der dumpfe Phantomschmerz einer Wunde, die einfach nicht verheilen wollte.

Meine Mutter hatte mich gewarnt. Es sei ein Fehler zurückzukehren, hatte sie gesagt. Arrowood sei Vergangenheit und sollte es auch bleiben, und wenn ich schlau sei, sollte ich beten, dass es einen Kurzschluss gäbe, damit das Haus bis auf die Grundmauern niederbrenne und ich einen dicken Scheck von der Versicherung bekäme. Seit wir weggezogen waren, hatte ich das Haus nur ein einziges Mal betreten, und in all den Jahren hatte ich stets dieses unterschwellige Gefühl der Entwurzelung verspürt. Heimweh war seit jeher ein Begriff, der mich faszinierte – diese bittersüße Sehnsucht nach einer Zeit und einem Ort, die wir zurücklassen mussten. Für meine Masterarbeit hatte ich mich eingehend mit dem Phänomen auseinandergesetzt und wenig überraschend festgestellt, dass Heimweh einst als Erkrankung des menschlichen Geistes oder als körperliches Gebrechen galt. Für mich war es beides. Ich hatte dieses Haus abgöttisch geliebt und die Tatsache, dass ich nicht mehr dort lebte, als Schmerz wie nach einem schlecht verheilten Knochenbruch empfunden.

Bis ich fünfzehn war, hatte ich jedes Jahr in den Sommerferien meine Grammy (meine Großmutter mütterlicherseits) und meine Großtante Alice im Sister House ein paar Blocks südlich von hier besucht. Gemeinsam mit meinem Freund Ben Ferris hatte ich mich hergeschlichen, durch die dunklen Fenster gespäht und mir gewünscht, ich könnte hineingehen. Nana hatte mir einen Bildband, Legendary Keokuk Homes, in die Hand gedrückt, und ich hatte in den Geschichten über die alten Häuser, vor allem Arrowood, geschwelgt. Ob meine Erinnerung hauptsächlich von meinen eigenen Erlebnissen herrührte oder eher auf Nanas Geschichten und den Schilderungen des Buches basierte, vermochte ich nicht zu sagen. Nun, da ich das Haus endlich wieder betreten durfte, hatte ich Angst vor der Diskrepanz zwischen der Realität und den Vorstellungen in meinem Kopf, davor, dass sich alles ganz falsch anfühlen könnte. Das eine Mal, als Ben und ich hineingeschlüpft waren – in dem Sommer, als wir fünfzehn waren –, war es zu dunkel gewesen, und wir hatten Wichtigeres im Kopf gehabt.

Ich sah zum Haus der Ferris’ nebenan, ein cremefarbenes Anwesen im Neugotikstil mit steilen Giebeln, langen, schmalen Fenstern und einer hübschen Remise aus Ziegelsteinen neben der Auffahrt. Vielleicht war Ben ja gerade da und konnte mich hören, wenn ich ihn riefe. Andererseits wusste ich nicht, was ich zu ihm sagen, wie ich die jahrelange Funkstille erklären sollte.

Die Brise frischte auf, ließ die zarten, farnartigen Blätter des Seidenbaums erzittern. Ein paar Regentropfen fielen, als ein viertüriger Dodge-Laster in die Einfahrt bog und hinter meinem Wagen hielt. Der Verwalter war im Alter meines Vaters und hatte kupferrotes Haar, das in einem Kranz über seinen Kopf mit der breiten, glänzenden Stirn verlief. Sein Gesicht wirkte irgendwie gestaucht, alles schien zu eng beisammen zu stehen, als wäre Augen, Nase und Mund nicht bewusst, dass sie eigentlich genug Platz hatten, sich auszubreiten. Er trug eine funktionale braune Hose, Arbeitsstiefel und ein dunkelblaues Hemd, dessen aufgekrempelte Ärmel sich über seine stämmigen Unterarme spannten.

»Miss Arrowood?« Seine Stimme war rau, sein Lächeln freundlich. »Ich bin Dick Heaney. Tut mir leid, dass ich Sie habe warten lassen.«

»Halb so wild, ich bin gerade erst gekommen.«

»Wie schön, dass wir uns endlich kennenlernen«, fuhr er fort. »Ich weiß nicht, ob Ihre Mutter es Ihnen erzählt hat, aber wir waren früher mal befreundet. Auch Ihren Dad kenne ich noch aus der Schulzeit. Er war ein paar Klassen über mir.«

Ich nickte aus reiner Höflichkeit; meine Eltern hatten seinen Namen nie erwähnt, und ich kannte ihn erst, seit der Anwalt ihn mir genannt hatte.

»Das mit Eddie tut mir wirklich leid. Es muss sehr schlimm für Sie gewesen sein.«

Ich wandte den Blick ab, weil ich mit seinem Mitgefühl nicht viel anzufangen wusste. Ich wollte mit Heaney nicht über meinen Vater reden und auch über sonst nichts. Er sollte mir bloß die Schlüssel geben und verschwinden, mich allein mit dem Haus zurücklassen.

»Ich denke, wir haben so weit alles für Sie vorbereitet«, fuhr er fort. »Es sollte alles funktionieren. Auch das Internet. Und die Putzkolonne war erst kürzlich hier, deshalb sollte alles sauber und in Ordnung sein.«

»Danke.«

»Hier.« Er zog einen Schlüsselring aus der Hosentasche. »Sie sind gekennzeichnet. Einer ist für die Haustür, der andere für die Hintertür, gleich neben der Waschküche. In den Verandatüren stecken noch die alten Schlüssel, aber die meisten gehen sowieso nicht mehr auf.« Er wies mit dem Kinn auf meinen Wagen. »Kommt der Umzugswagen nach?«

»Nein.«

»Ah. Verstehe. Wenn Sie mir den Kofferraum aufschließen, trage ich gerne schon mal ein paar Sachen rein. Es fängt gleich an zu regnen, und wenn wir uns nicht beeilen, sind wir im Handumdrehen klatschnass.«

»Das ist nicht nötig«, wiegelte ich ab. »Ich habe nicht viel.«

»Ich helfe gern.«

»Das ist wirklich nett, aber ich komme schon allein klar.«

Er schob die Hände in die Taschen. »Sagen Sie Bescheid, falls Sie es sich anders überlegen. Meine Nummer haben Sie ja. Morgen oder übermorgen komme ich vorbei und mähe den Rasen, aber sollten Sie vorher noch etwas brauchen, melden Sie sich einfach. Im Augenblick ist nicht viel los, deshalb kann ich jederzeit vorbeisehen.«

Ich konnte nur hoffen, dass ich ihn nicht vor den Kopf gestoßen hatte. Als der letzte Verwalter vor zehn Jahren in den Ruhestand gegangen war, hatte Heaney seinen Job übernommen. All die Jahre hatte das Haus leer gestanden. Vielleicht fiel es ihm ja schwer, sich an den Gedanken zu gewöhnen, dass ich jetzt hier war. Ab sofort würde ich mich selbst um Arrowood kümmern, was bedeutete, dass für ihn weniger Arbeit anfiel, auch wenn ich natürlich nicht ganz auf ihn verzichten konnte. Er würde die Reparaturen übernehmen, solange im Treuhandfonds noch genug Geld war.

Auf halbem Weg zu seinem Truck drehte Heaney sich noch einmal um. »Ein Stück weit kann ich Ihre Mutter in Ihnen sehen«, sagte er. »Willkommen zurück, Miss Arrowood.«

Es war ungewöhnlich, dass mich jemand mit meiner Mutter verglich. Ich ähnelte ihr eigentlich nicht, und die Vorstellung, dass ich so sein könnte wie sie, behagte mir überhaupt nicht, doch er schien es als Kompliment zu meinen. Vielleicht hatte sie früher ja noch anders ausgesehen, war ein anderer Mensch gewesen – bevor sie Kinder bekommen und sie verloren hatte.

Als Heaney verschwunden war, ging ich die breite Treppe hinauf. Ein Zaunkönig beäugte mich vom Geländer aus und flog zwitschernd zum Seidenbaum, als ich näher kam. Die Eingangstür war geradezu lächerlich riesig und mit üppigen Schnitzereien verziert wie aus einem Märchen. Ich überlegte, wo man ein solches Exemplar wohl herbekäme, sollte sie jemals ersetzt werden müssen.

Ich schob den Schlüssel ins Schloss und drehte ihn um, allerdings musste ich ziemlich kräftig drücken, so als stemme sich von innen etwas dagegen, doch schließlich gelang es mir, sie einen Spalt aufzuschieben, durch den ich hineinschlüpfen konnte. Dunkelheit umfing mich, als ich die Tür hinter mir schloss. Sämtliche Vorhänge waren zugezogen, lediglich durch das Buntglasfenster über dem Treppenabsatz im ersten Stock drang Licht. Die Luft war erfüllt vom Geruch nach alten Büchern, Möbelpolitur und Mottenkugeln. Ich konnte förmlich spüren, wie er sich über mich legte, als ich mitten in der Eingangshalle stand. Ich fühlte mich seltsam ungeschützt; mein Atem schien von den dunklen Walnussböden, den Wänden mit den altmodischen Tapeten und den hohen Stuckdecken widerzuhallen wie ein Flüstern in meinen Ohren.

Zu meiner Linken befand sich der Empfangsraum, durch dessen hölzerne Schiebetüren man ins Esszimmer mit der verzinkten Decke und dem Kronleuchter aus venezianischem Glas und die dahinter liegende Küche gelangte. Rechts von mir waren Großvaters Arbeitszimmer und das Musikzimmer mit der Stereokonsole aus den Sechzigern und dem Mathushek-Flügel, auf dem ich allerdings noch nie jemanden spielen gehört hatte. Ich durchquerte die Eingangshalle, vorbei an der geschwungenen Walnussholztreppe zu dem Salon im hinteren Teil des Hauses. Meine Sandalen klapperten auf dem Holzboden. Hier war es dank der dünneren Vorhänge ein klein wenig heller. Die Möbel waren mit Laken abgedeckt, allerdings konnte ich die Umrisse durchaus erkennen: das alte Sofa und die Sessel, deren Leder unter Hunderten von Ellbogen, Schenkeln und Waden abgewetzt war; der Mahagonicouchtisch mit den Intarsien, auf dem meine Mutter einmal eine Flasche neonrosa Nagellack ausgekippt hatte. Vertikalschiebefenster boten einen Ausblick auf die steinerne Terrasse und den Fluss dahinter. Die Scheiben selbst waren alt und wiesen zahlreiche Blasen und Unebenheiten auf. Es erschien unwahrscheinlich, dass das Glas all die Jahre unversehrt geblieben war, und ich überlegte, ob der Verwalter sich wohl die Mühe gemacht hatte, zerbrochene Scheiben durch antik aussehendes Glas zu ersetzen, oder ob die Treuhandverwaltung die Arbeiten in Auftrag gegeben hatte.

Am hinteren Ende des Grundstücks verlief ein schmiedeeiserner Zaun als einziges Hindernis, um nicht die Uferböschung hinunter und in den Fluss zu fallen. Ein steinerner Tisch mit einer Bank stand auf der Terrasse, gemeinsam mit zwei riesigen Pflanzgefäßen, die früher üppig mit Petunien und Süßkartoffelkraut bestückt gewesen waren. Es gab einen Holzapfelbaum, allerdings ohne die Sandkiste, die mein Großvater für mich und meine Schwestern gebaut hatte, und die hohe Stange, auf der ein Arrowood nachempfundenes Vogelhäuschen für die Hausschwalben gethront hatte. Es war wie eines der Spiele, bei denen Kinder zwei nebeneinanderliegende Fotos vergleichen und die Unterschiede herausfinden sollten: Auf den ersten Blick wirkte alles genauso wie früher, nur fehlten eben bestimmte Dinge.

Ich ging an dem Flur vorbei, der zur Waschküche und der Auffahrt führte, kehrte in die Eingangshalle zurück und ging die Treppe hinauf, wobei die schwüle Hitze mit jeder Stufe schlimmer wurde. Ich löste mein feuchtes Top von der Haut und fächelte mir damit Luft zu. Das Schlafzimmer meiner Eltern befand sich am Ende des Korridors auf der linken Seite und war dank des angrenzenden Wohnzimmers zwar das größte hier oben, trotzdem hatte ich nicht die Absicht, es selbst zu beziehen. Ich ging nach rechts, vorbei an der engen Treppe, die in den zweiten Stock und zum Dachbalkon führte, und blieb stehen, um gegen den dicken Kloß anzuschlucken, der sich in meinem Hals bildete, als ich mich den letzten drei Türen näherte. Sie sahen genauso aus wie die anderen – dunkles Walnussholz mit vier Einsätzen, geschliffene Glasknäufe und Sprossenfenster, die zwar nicht aufgingen, aber zumindest Licht hindurchließen.

Sie waren geschlossen. Ich stellte mir die Zimmer aus der Zeit vor, als meine Schwestern noch da gewesen waren: identische gelbe Kinderbettchen, Fußende an Fußende, vor dem breiten Fenster. Es waren alte Gitterbetten, mit denen meine Mutter so gar nicht zufrieden gewesen war. Die Abstände zwischen den Stäben waren gerade weit genug, dass die Zwillinge sich mit ihren Ärmchen und Beinchen verhaken konnten. An der Wand standen zwei Kinderschaukelstühle, einer mit winzigen Zahnabdrücken, wo Violet sich verewigt hatte; überall auf dem Flickenteppich lagen Madeline-Bücher und Plastikspielsachen herum, gemeinsam mit einer ganzen Armee von Plüschtieren, Elmos, Barneys und Winnie Puuhs, alle in doppelter Ausführung, um tränenreiche Zankereien auf ein Minimum zu reduzieren. Neben Violets und Tabithas Zimmer befand sich unser gemeinsames Badezimmer mit der Tapete mit den Silberstreifen, dem eiskalten Marmorfußboden und der altmodischen Klauenfußwanne. Mein eigenes Zimmer war auf der anderen Seite des Flurs. Es hatte ein weißes Schlittenbett, das einst einer anderen Arden Arrowood gehört hatte – sie war mit zehn an Lungenentzündung gestorben. Ein Regal beherbergte die Sammlung antiker Puppen, die ich jedoch nicht anfassen durfte, und vor den Fenstern hingen rosa Rüschenvorhänge, die mir Grammy zum sechsten Geburtstag genäht hatte.

Ich ging am Zimmer der Zwillinge vorbei und betrat mein altes Zimmer, wobei sich mein Magen verkrampfte, als ich die Laken von den Möbeln zog. Mein Bett war noch da, ebenso wie die dazu passende Kommode und der alte Zylinderschreibtisch, der meine Stifte und die Sammlung von Geoden beherbergte, die mein Vater mit dem Hammer aufgeschlagen hatte. Wir hatten all unsere Möbel zurückgelassen, weil Granddad nicht gewollt hatte, dass wir irgendetwas mitnahmen, das eigentlich nach Arrowood gehörte. Ich hatte oft an mein altes Zimmer zurückgedacht, an meine Sachen, die nur darauf warteten, dass ich zurückkam, und nun sog ich den Geruch so tief ein, wie ich nur konnte, bis meine Lunge brannte, und malte mir aus, dass die schale Luft noch dieselbe war wie in meiner Kindheit; dass sie mich, wenn ich sie nur einatmete, auf wundersame Weise an jenen Samstag vor siebzehn Jahren zurückführte, als ich meine beiden Schwestern das letzte Mal gesehen hatte; zu jenem Tag, nach dem nichts mehr so gewesen war wie vorher.

Kapitel 2

Der Sturm ließ auf sich warten. Zwar türmten sich die Wolken am Himmel, es grollte und tröpfelte, weiter geschah allerdings nichts. Ich entlud meinen Wagen, stapelte Kartons voller Geschichtsbücher auf der Treppe, um sie später nach oben zu schleppen, und trug meinen Thermosbecher in die Küche, um den letzten Schluck verbrannten Kaffees auszukippen, den ich an einer Raststätte außerhalb von Kansas City gekauft hatte. Die marmorne Arbeitsplatte fühlte sich kühl unter meinen Händen an. Noch immer prangte der große gräuliche Fleck neben der Spüle, wo ich als Kind eine Kanne Traubensaft ausgekippt hatte. Natürlich hatte ich gedacht, dass meine Mutter schimpfen würde, doch stattdessen hatte sie bloß abfällig geschnaubt. Was soll’s? Die Arbeitsplatte ist genauso alt und hässlich wie alles andere hier, hatte sie gesagt. Sie hatte sie durch eine schöne glänzende Laminatplatte ersetzen wollen, aber Nana hatte sich mit Händen und Füßen dagegen gesträubt.

Die Abendessenszeit war vorüber. Ich hatte den ganzen Tag über ein flaues Gefühl im Magen gehabt, doch als ich nun in der leeren Küche stand, stellte ich fest, dass ich Kohldampf hatte. Aus reiner Gewohnheit warf ich einen Blick in den Kühlschrank, der logischerweise leer war. Aus irgendeinem Grund erfüllte mich die Vorstellung, das Haus gleich wieder verlassen zu müssen, mit Panik, so als bestünde die Gefahr, dass es sich in meiner Abwesenheit in Luft auflöste, aber ich musste definitiv etwas essen. »Ich bin bald zurück«, versprach ich und tätschelte die Haustür, ehe ich abschloss.

Im Schneckentempo fuhr ich die Grand hinunter, wobei ich erleichtert feststellte, dass all die Häuser von früher noch da waren; dann schlug ich den Weg zur Main Street zum A & W Drive-in ein, wohin ich jeden Sommer mit Grammy gefahren war, um einen Coney Island Hotdog und ein Root Beer mit Vanilleeis zu holen. Ich hielt nach den vertrauten orangebraunen Schildern Ausschau, doch sämtliche Schalter waren abgebaut worden und das Gebäude leer geräumt, abgesehen von den papierartigen Nestern eifriger Wespen in den Ecken der Fensterrahmen.

Enttäuscht stieg ich wieder ein und machte mich auf die Suche nach etwas anderem. Auch den alten Kmart gab es nicht mehr. Stattdessen beherbergte das Gebäude eine Glaubensgemeinschaft namens Assembly of God, deren Gottesdienstzeiten auf einem handschriftlichen Schild an den Schwingtüren hingen. Am Ende der Straße, wo die Main in den Highway überging, war das frühere Sojabohnenfeld einem Walmart mit einem weitläufigen asphaltierten Parkplatz gewichen. Daneben befand sich eine neue Einkaufszeile mit den üblichen Kleinstadt-Billigshops und einem Sonic Drive-in, dessen neonfarbenes Schild sich geradezu obszön vom bewölkten Himmel abhob.

Das Sonic verströmte nicht dieselbe Nostalgie wie das A & W, wo das Root Beer in dicken, beschlagenen Glasbechern serviert worden war, aber immerhin gab es einen Drive-in-Schalter, wo ich einen Hotdog mit Mais (der sich als lappiges, fettiges Etwas entpuppte) und eine Zitronenlimo bestellte, die in einem beschlagenen Styroporbecher ausgeschenkt wurde. Ich wollte nicht im Wagen sitzen bleiben und beim Essen auf den Supermarkt starren, deshalb fuhr ich zum Rand Park, wo ich mich in der schwülen Abendhitze auf eine Bank setzte und auf den Fluss hinunterblickte.

Der Mississippi war genau so, wie ich ihn in Erinnerung hatte – breit und grau unter den dunklen Wolken; hier und da wirbelten Strudel in der Tiefe die ansonsten glatte Oberfläche auf. Ich kannte den Fluss in sämtlichen Variationen: schlammig und angeschwollen im Frühjahr, mit dahintreibenden Baumstämmen, deren Rinde von der Strömung völlig abgeschabt war; tiefblau in der grellen Sommersonne und mit dichtem Wasserliliengestrüpp am Ufer, während im Winter die Eisschollen im Wasser trieben und die Jagdunterstände entlang des kahlen Ufers sichtbar wurden.

Als ich noch klein war, hatte ein hoher Steinwall den Park vom Wasser getrennt, allerdings war er 1993, dem Jahr, bevor wir wegzogen, der schweren Überflutung zum Opfer gefallen. Früher war ich häufig mit Grammy und Grampy, meinen Großeltern mütterlicherseits, hierhergekommen, und ich erinnerte mich noch gut daran, wie Grampy einmal über den Wall geklettert war, um eine winzige Babyschildkröte für mich aus dem Wasser zu fischen. Sie war kaum größer als ein Vierteldollar gewesen.

Nach dem Essen zog ich mein Handy heraus und rief meine Mutter an, um ihr zu sagen, dass ich angekommen war. Sie wohnte mit ihrem neuen Ehemann Gary in Minnesota. Na ja, eigentlich traf die Bezeichnung »neu« nicht ganz zu, da ihre Hochzeit bereits fünf Jahre zurücklag, aber ich hatte mich immer noch nicht richtig an ihn gewöhnt. Gary leitete eine Gemeinde einer evangelikalen Megachurch, einen der größten Franchise-Ableger in der ganzen Gegend. Anfangs hatte ich Mom kein Wort geglaubt, als sie mir erzählt hatte, auch Kirchen könnten nach dem Franchise-System betrieben werden, so wie Kentucky Fried Chicken.

Bei einem meiner Besuche begleitete ich sie zu einer Messe und stellte fest, dass Garys Kirche namens Passage völlig anders aussah als die katholischen Gotteshäuser, die ich aus meiner Kindheit kannte. Ich war daran gewöhnt, auf harten Holzbänkchen zu knien und ohne Sinn und Verstand Gebete vor einem lebensgroßen leidenden Jesus Christus am Kreuz herunterzuleiern. In Garys Kirche hingegen gab es eine Cafeteria, wo DVDs von Garys Predigten verkauft wurden, und eine leuchtend gelbe Rutsche, über die die Kinder in die Sonntagsschule im Untergeschoss gelangten. Auf einer Bühne spielte eine christliche Rockband, inklusive professioneller Lightshow, und an der Rückenlehne der bequem gepolsterten Bänke befand sich statt der Ablage für Gesangs- oder Messbücher ein Halter für den Kaffeebecher. Das Gotteshaus wirkte so gar nicht wie eine Kirche, und vielleicht machte ja genau das es so attraktiv für die Gläubigen.

Ich freute mich, dass es Mom gut ging; nach dem Vorfall mit den Zwillingen war sie lange Zeit bedrückt und traurig gewesen, aber inzwischen schien sie ein völlig neuer Mensch zu sein. Sie hatte die Tabletten abgesetzt, mit denen sie seit einer Ewigkeit ihre Ängste, Depressionen und Schlafstörungen in Schach zu halten versucht hatte. Außerdem zitierte sie pausenlos den TV-Prediger Joe Osteen oder begann ihre Sätze mit »Gary sagt …«, statt für sich selbst zu sprechen. An ihrem Finger prangte ein fetter Brillant – 1,2 Karat, wie sie mir unablässig unter die Nase rieb, als hätte das irgendeine Bedeutung für mich.

Meine Mutter war überzeugt davon, dass Gary durch göttliche Fügung in ihr Leben getreten war … dass Gott sie höchstpersönlich zueinander geführt hatte. Sie und Dad waren bereits einige Zeit getrennt, wenngleich nicht geschieden gewesen, und Dad hatte es – absichtlich oder nicht – wieder in Richtung Keokuk gezogen, obwohl er es damals kaum hatte erwarten können, die Stadt hinter sich zu lassen. Ich war aufs College gegangen und hatte Mom in unserem schäbigen Reihenhaus in Rochester zurückgelassen, wo sie das erste Mal in ihrem Leben wirklich alleine gewesen war. Meine Mutter, die Grammys innigen letzten Wunsch, sie möge in den Schoß der Kirche zurückkehren, ignoriert hatte, behauptete, eines Morgens sei der Heilige Geist über sie gekommen und habe sie aus dem Bett gezerrt; er habe sie unter die Dusche gestellt, ihr die Haare aufgedreht, ihr das Sonntagskostüm (ein marineblaues Polyesterensemble, das sie zu Beerdigungen trug) angezogen und sie zur nächsten Kirche gefahren. Die Arrowoods waren katholisch, und die Familie meiner Mutter gehörte den Methodisten an, doch für Mom spielten Bezeichnungen und Namen keine Rolle. Sie erkannte die Passage-Kirche aus dem Fernsehen, und als Pastor Gary ihr an jenem Tag die Hand schüttelte, spürte sie, wie sie mit einem Mal nach all den Jahren der Leere ein tiefer Friede durchströmte und die dunklen Scharten ihrer geschundenen Seele heilte.

Im Zug ihrer wöchentlichen Bibelstunden entspann sich eine zarte Romanze zwischen ihnen. Kurz nach der Scheidung von meinem Dad heiratete meine Mutter ihn und zog in ein geräumiges Haus im Ranchstil, das so neu war, dass ihnen von den Ausdünstungen der Teppichböden und Anstriche übel wurde. Ich hatte meine Mutter nie als religiösen Menschen empfunden, doch nun behauptete sie plötzlich, sie sei wiedergeboren worden, und spielte ihre Rolle als Pastorengattin mit der überzeugenden Leidenschaft einer Tammy Faye Bakker vor all den Skandalen um sie und ihren Prediger-Ehemann.

Mom hob in der Sekunde ab, als der Anrufbeantworter ansprang. »Ich bin’s«, sagte ich. »Ich bin da.«

»Arden, ich halte das immer noch für einen Fehler«, erwiderte sie. Im Hintergrund lief der Fernseher, eine jener Nachrichtensendungen, bei denen alle wild durcheinanderquasseln, bis einer laut wird, was unweigerlich in einem Schreiduell endet. »Was ist mit der Uni? Nach dem ganzen Schlamassel, in den du dich da hineingeritten hast, ist es ja nicht ganz einfach, aber Gary sagt, wenn du deinen Abschluss jetzt nicht machst, wird es immer schwieriger, sich noch mal aufzuraffen.«

»Das war nicht der Grund, weshalb ich dich angerufen habe, Mom, sondern ich wollte dir bloß sagen, dass ich heil angekommen bin.«

»Ich will doch nur dein Bestes. Es ist schon schwer genug, heutzutage einen Job zu finden«, erklärte sie, als wisse sie nur zu gut, wovon sie sprach, was definitiv nicht der Fall war. Meine Mutter hatte seit einer halben Ewigkeit nicht mehr gearbeitet, es sei denn, man bezeichnete ihren Status als Garys Ehefrau als Arbeit. »Und du weißt ja selbst, dass es nicht besonders gut lief, als du das letzte Mal bei uns gewohnt hast, deshalb ist das keine Alternative … nur für den Fall, dass es dein Plan nicht aufgeht.«

»Ja, ja. Aber kein Dach über dem Kopf zu haben, ist im Moment das Einzige, wovor ich keine Angst haben muss.«

Sie stieß einen tiefen Seufzer aus, und ich sah förmlich vor mir, wie sie die Augen mit den hellen, dick getuschten Spinnenbeinwimpern verdrehte. »Gary und ich beten jeden Tag, dass du auf den rechten Pfad zurückkehrst. Jeden Tag. Mit all unserer Kraft.«

Ich stellte mir vor, wie sie und Gary vor ihren Caffè-Latte-Gläsern saßen, Gebete für mich sprachen und sich dabei im Takt der Musik der Rockband auf der Bühne wiegten – Mom in einer leuchtend bunten Tunika, Gary mit seiner sprayfixierten Schmalztolle, die selbst der Erdanziehungskraft eisern widerstand. Sie beteten, dass ich mich wieder fing und sie nie wieder einen spätabendlichen Anruf bekämen, in dem sie um Hilfe ersucht wurden.

»Hey.« Ich beschloss, das Thema zu wechseln. »Ich wusste ja gar nicht, dass der Verwalter ein alter Freund von dir und Dad ist.«

»Was?«

»Dick Heaney, der Verwalter. Er meinte, er würde dich noch aus der Schule kennen.«

»Kann sein«, erwiderte sie desinteressiert. Ich kannte diesen Tonfall ebenso gut wie das Achselzucken, das ihn üblicherweise begleitete, weil sie mich in der Vergangenheit unzählige Male damit abgespeist hatte. »Ist ja eine Kleinstadt.«

Nachdem ich aufgelegt hatte, blieb ich noch eine Weile am Ufer sitzen und blickte auf den Fluss hinaus, der chamäleongleich seine Farbe wechselte, während die Sonne hinter den Wolken allmählich unterging. Stechmücken und Motten surrten und flatterten herum, ließen sich auf meinem verschwitzten Gesicht nieder, verfingen sich in meinem Haar. Meine Muskeln fühlten sich verspannt von der langen Fahrt an, und ich spürte, wie sich ein dumpfer Kopfschmerz von der Schädelbasis aus ausbreitete. Ich fuhr zurück zum Haus (mein Haus, flüsterte ich, als ich die Haustür öffnete) und ging nach oben, um ein Bad zu nehmen.

Das Badezimmer sah genauso aus, wie ich es in Erinnerung hatte, mit der alten Streifentapete, dem venendurchzogenen Marmorfußboden und dem gerahmten, zu einem Sepiaton verblassten Druck von Raffaels Sixtinischer Madonna. Auch die alte Wanne mit den Klauenfüßen, die jeweils eine Silberkugel umschlossen hielten, war noch da. Die Zwillinge und ich hatten zahllose Male zusammen gebadet und Mom angebettelt, noch einen Schuss Mr. Bubble ins Wasser zu kippen, was sie aber nie getan hatte. Sie hatte mit einer zerfledderten Ausgabe von Angst vorm Fliegen auf dem geschlossenen Toilettendeckel gesessen und den Kopf geschüttelt, ohne auch nur aufzublicken. Ich öffnete den Waschtischunterschrank und erwartete halb, nach siebzehn Jahren dieselbe rosa Plastikflasche zu finden, vielleicht ja sogar Moms Buch, aber abgesehen von einer vom Licht aufgeschreckten Familie Silberfische, die unter einer verrosteten Toilettenbürste hervorflitzte, war er leer.

Ich drehte die Hähne auf und zuckte zusammen, als das hohe, metallische Kreischen im stillen Raum widerhallte. In all den Jahren hatte ich völlig vergessen, wie es in einem alten Haus war, all die gespenstischen Geräusche, das Knarzen der Holzböden in der Nacht, das Klopfen und Fauchen der Heizkörper, die Erschütterung, wenn der Wind durch die Kamine fuhr und eine Tür zuknallte; ich hatte vergessen, wie das durch die alten Rohre aufsteigende Wasser einen glauben machen wollte, dass Stimmen aus den Wänden drangen. Einmal, als kleines Mädchen, war ich überzeugt davon gewesen, jemanden auf dem Flur meinen Namen flüstern zu hören, und statt mich mit einer logischen Erklärung zu beruhigen, hatte meine Mutter gemeint, die anderen Ardens, die lange vor meiner Geburt in diesem Haus gestorben waren, würden mich rufen: Arden Blythe, die, fiebrig und nach Luft ringend, in ihrem Zimmer im zweiten Stock einer Lungenentzündung erlegen war; Arden Jane, die sich beim Sturz von der Treppe das Genick gebrochen hatte; Arden Amelia, die nach dem Stich einer Biene, die in einem Pfingstrosenstrauch ins Haus gelangt war, einen anaphylaktischen Schock erlitten hatte. Keines der Mädchen hatte auch nur das Teenageralter erreicht.

Ich zog mich aus, ließ mich in die Wanne gleiten und streckte die Beine aus. Trotzdem schaffte ich es nicht, mit den Zehen den Wannenrand zu berühren – sie war überdimensioniert, wie alles in diesem Haus. Wenn ich die Augen schloss, roch ich wieder den süßen Bonbonduft von Mr. Bubble. Ich wünschte, es wäre so einfach: die Augen zu schließen und in der Zeit zurückzureisen, alles auszulöschen, was in den Jahren dazwischen schiefgelaufen war. Mit dem Finger fuhr ich die Narben auf der Innenseite meines Arms nach, die gezackten rosafarbenen Linien, die vom Handgelenk bis fast zur Achselhöhle reichten und mich daran erinnerten, dass ich nichts ungeschehen machen und nicht einfach so nach Colorado zurückkehren konnte.

Der alte Gummistöpsel war porös und geschrumpft, deshalb war das Wasser abgelaufen, noch bevor es kalt werden konnte. Um ein Haar rutschte ich in der Lache auf dem spiegelglatten Marmorboden aus. Entweder hatte ich versehentlich beim Aufstehen Wasser über den Rand gespritzt, oder die Wanne war undicht. Ich musste nächstes Mal besser aufpassen, und falls die Wanne ein Leck haben sollte, würde ich Heaney anrufen und ihn bitten, sie zu reparieren.

Ich ging in mein Zimmer, packte meine Bettwäsche aus und richtete alles her, ehe ich die langen Rüschenvorhänge zurückzog, die Grammy für mich genäht hatte – nach all den Jahren war das Kaugummirosa durch die Sonneneinstrahlung zu einer gelblichen Fleischnuance verblasst, und eine Staubwolke stieg aus ihnen auf. Meine Haut fühlte sich ganz feucht nach dem Baden an, und ich versuchte, das Fenster zu öffnen, um die kühle Abendluft hereinzulassen, gab jedoch nach kurzer Zeit auf. Die Holzrahmen hatten sich im Lauf der Jahre völlig verzogen, deshalb gaben die Riegel keinen Millimeter nach. Der Mond war hinter den Wolken verborgen, und es war zu dunkel, um den Fluss zu sehen. Aber das machte nichts. Ich konnte ihn trotzdem spüren, ein lebendes Etwas, pulsierend wie eine Arterie. Seit ich von ihm getrennt gewesen war, hatte mir stets etwas gefehlt. In all den trübseligen Städten, in die wir gezogen waren, hatte ich aus meinem Fenster geblickt, hinaus auf Gestrüpp, leere Felder oder einen einsamen Parkplatz, und nichts gefunden, was groß oder stark genug gewesen wäre, um mich zu erden. Stattdessen hatte sich ein endloses Nichts zwischen mir und dem Fluss, meinem Zuhause, erstreckt.

Es war viel zu heiß und meine Haut zu glitschig, um ein Nachthemd anzuziehen, deshalb löste ich nur das Handtuch um meinen Körper und legte mich direkt auf das Laken. Meine Gedanken wanderten zu meinen Schwestern. Standen ihre Bettchen noch in ihrem Zimmer? Die kleinen Schaukelstühle? Meine Mutter hatte sie beim Umzug einfach stehen lassen. Ob ihre Kleider noch in den Schränken hingen, inzwischen voller Spinnweben? Lagen ihre Puppen und Bücher unter einer dicken Staubschicht überall auf dem Boden verstreut? Noch war ich nicht bereit, es herauszufinden.

Erst kürzlich hatte ich von einer Entführung in einer Kleinstadt im Mittleren Westen gelesen, ganz ähnlich wie Keokuk. Ein kleines Mädchen hatte mit seiner Schwester im Park gespielt, als ein Mann aus ihrem Wohnviertel sie von seinem Wagen aus beobachtet und herübergerufen hatte. Das kleinere Mädchen hatte sich noch einmal zum Spielplatz umgedreht und in letzter Sekunde seine Schwester auf den Beifahrersitz steigen sehen. Ich erzähle dir gleich ein Geheimnis, hatte der Mann gesagt. Als er eine Stunde später gefasst wurde, hatte er die Leiche des Mädchens bereits in einem Hickory-Wäldchen verscharrt. Ich fragte mich, was für ein Geheimnis er ihr erzählt hatte, als sie allein gewesen waren. Ich bin das Letzte, was du auf dieser Welt siehst.

Ich wusste genau, wie die kleine Schwester sich fühlte. Ich war direkt neben Violet und Tabitha gewesen und hatte sie nur für einen kurzen Moment alleine gelassen. Ich wünschte, der Entführer hätte auch mich mitgenommen, damit sie nicht allein gewesen wären. Stattdessen war ich zurückgeblieben, und sie waren fort; ihr Leben war zu einem geflüsterten Geheimnis geworden, das meine Ohren niemals erreichen würde.

Kapitel 3

Als ich erwachte, fühlte sich das Bett unangenehm eng an, so als würde sich jemand gegen mich pressen. Doch als ich mich herumrollte und die Augen aufschlug, war ich allein, nur die Sonne knallte durch die Fenster und direkt auf mich, als wäre ich ein Brathähnchen auf dem Spieß. Es dauerte einen Moment, bis ich mich orientiert hatte. Ich lag da und bestaunte die Details meines alten Zimmers, die ich all die Jahre so schmerzlich vermisst hatte. Das Lilien-Medaillon an der Zimmerdecke, die üppigen Verzierungen um die Fenster, die wilden Wirbel, die vor den Augen tanzten, wenn man nur lange genug auf die Tapete mit dem Rosenmuster starrte, die vom welligen Fensterglas verzerrte Flusslandschaft von Illinois.

Ich nahm mein Handy vom Nachttisch, um meine Mails zu checken, wobei ich das kleine Mitteilungssymbol ignorierte, das die Anzahl der ungelesenen Nachrichten anzeigte. Vor Kurzem hatte ich die Zehntausendermarke geknackt. Ich hatte schon lange aufgehört, all die ungewollten Mails zu löschen: Werbung von Old Navy und Target, Angebote für Kreditkarten, Newsletter, für die ich mich meines Wissens nie angemeldet hatte, Benachrichtigungen über versäumte Termine, Kontoauszüge, die ich lieber gar nicht erst sehen wollte. Ich scrollte mich durch die neuesten Nachrichten, wobei ich auch jetzt noch automatisch nach dem Namen meines Studienberaters Ausschau hielt. Doch es gab weder eine Mail von Dr. Endicott noch von einem meiner Assistentenkollegen von der Uni – schon seit Monaten nicht mehr. Nur ein Name, vertraut und keineswegs willkommen, stach mir ins Auge: Josh Kyle, der Begründer einer Webseite namens Midwest Mysteries.

Es war über ein Jahr her, seit ich das erste Mal von Mr. Kyle gehört hatte. Er hatte meine Mailadresse im Online-Studentenverzeichnis entdeckt und wegen eines Interviews angefragt. Er bezeichnete sich als »sachkundigen Mystery-Fan« und grenzte sich entschieden von sensationsgierigeren Seiten wie CrimePhile und Haunted Heartland ab (»Ich bin keiner dieser Geisterjäger oder Blutlachen-Freaks«, hatte er beteuert). In seiner ersten Mail hatte er wie ein zwölfjähriger Blogger geklungen, der sich viel zu wichtig nahm; aus purer Neugier hatte ich Midwest Mysteries aufgerufen und die Kontaktseite angeklickt. Sein Foto war mit einem düsteren Schwarzweißfilter bearbeitet worden und zeigte einen Typen mit einer tief ins Gesicht gezogenen Baseballmütze, einer Sonnenbrille auf der Nase und in einer Windjacke, die es unmöglich machte, seine Statur zu erahnen.

Zu meiner Überraschung entpuppte sich seine Story über das Verschwinden der Zwillinge als fundierter und aufschlussreicher als die meisten anderen Artikel, auf die ich bisher im Internet gestoßen war und bei denen es sich in der Mehrzahl um freimütig von der »Arrowood Kidnapping«-Wikipedia-Seite abgekupfertes Geschreibsel handelte. Er schien in der Nähe von Fort Madison zu leben und erinnerte sich daran, als Junge von der Entführung meiner Schwester im Radio gehört zu haben.

Und wieso genau wollen Sie mich interviewen?, hatte ich gefragt. Sollte der Artikel das Interesse an dem Fall wiederaufleben lassen und womöglich neue Hinweise ergeben, wäre ich sofort bereit, Rede und Antwort zu stehen, allerdings konnte ich mir nicht vorstellen, wie ein Gespräch mit mir dazu führen sollte. Ich hatte nichts Neues zu erzählen.

Ich schreibe ein Buch, hatte er geantwortet. Über bekannte ungelöste Kriminalfälle in Iowa. Die drei bedeutendsten sind die Axtmorde von Villisca, die Entführung der Zeitungsjungen des Des Moines Register und das Verschwinden Ihrer Schwestern. Ich würde gern weitere persönliche Details verarbeiten, um dem Buch mehr Leben einzuhauchen; vielleicht könnten Sie mir ja ein paar alte Familiengeschichten erzählen oder so. Das würde mir sehr helfen.

Und Sie hoffen, dass Sie Profit daraus schlagen?, hatte ich angemerkt.

Kann schon sein, hatte er erwidert. Vielleicht verdiene ich tatsächlich etwas damit, allerdings passiert das eher selten. Die Einkünfte aus meinen anderen Büchern decken noch nicht einmal die Kosten. Ich tue all das nicht, um reich zu werden, sondern mein Ziel besteht darin, alte Fälle noch einmal aufzugreifen und sie in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit zu rücken, in der Hoffnung, dass sie doch noch gelöst werden.

Ich war nicht ganz sicher, ob ich ihm glauben sollte. Professionelle Ermittlungen waren ins Leere gelaufen, und weshalb sollte ein Amateur, der sich als »sachkundiger Mystery-Fan« bezeichnete, mehr erreichen können? War es überhaupt möglich, heute noch ein Verbrechen wie die Axtmorde von Villisca aufzuklären, nachdem alle Beteiligten seit vielen Jahren tot waren? Und private Details über die Familien preiszugeben, half wohl auch niemandem weiter außer Josh Kyle selbst, um mehr Bücher zu verkaufen. Ich konnte ihn nicht daran hindern, über meine Familie zu schreiben, allerdings brauchte ich ihn nicht auch noch dabei zu unterstützen.

Nach diesem ersten Austausch hatte ich seine Mails blockiert und mich bemüht, ihn und sein Buch ganz schnell zu vergessen. Dann, an dem Tag, als die Todesanzeige meines Vaters in der Zeitung von Keokuk stand, fand ich prompt eine Mail von Mr. Kyle in meinem Mail-Postfach vor.

Mein aufrichtiges Beileid, lautete die Betreffzeile. In der Mail drückte Kyle mir seine Anteilnahme aus und entschuldigte sich für den Fall, dass er mir zu nahetrat, aber er habe bereits mehrere Mails an mich geschickt, ohne eine Antwort zu erhalten, daher habe er das Risiko auf sich genommen und mir von einem anderen Account aus geschrieben, falls ich ihn blockiert hätte. Auch auf diese Mail reagierte ich nicht.

Heute jedoch verharrte mein Finger beim Anblick des Betreffs mitten beim Scrollen. Harold Singer.

Zum Zeitpunkt der Tat hatte ein Mann hier gelebt, der einen goldfarbenen Wagen besaß, wie ich ihn mit meinen Schwestern hatte wegfahren sehen: ein Fabrikarbeiter namens Harold Singer. Die Polizei hatte ihn so heftig in die Mangel genommen, dass er seinen Job bei Union Carbide verloren hatte und quasi aus der Stadt gejagt worden war. Singer gab an, er habe früher an dem Tag an der Grand Avenue geparkt, um die hübschen Häuser zu betrachten, während er sein Mittagessen vertilgte, doch er habe weder meine Schwestern noch mich im Garten gesehen.

Meine Eltern sprachen niemals in meinem Beisein von dem Vorfall, deshalb fand ich die Details erst Jahre später heraus, als Grammy mir erlaubte, die Zeitungsausschnitte durchzugehen, die sie gesammelt hatte. Nachdem sich in meiner neuen Schule herumgesprochen hatte, wer ich war, kamen mir allerlei Gerüchte zu Ohren, aber erst als ich alles schwarz auf weiß sah, konnte ich sagen, was davon stimmte und was nicht. Trotz Singers Aussage erwirkte die Polizei einen Durchsuchungsbefehl für sein Haus und seinen Wagen, wobei Schuhkartons mit Dutzenden von Rollen nicht entwickelter Filme in einem Verschlag unter den Bodendielen sichergestellt wurden. Ja, gab er zu, er sei Hobbyfotograf, aber das sei schließlich kein Verbrechen. Die Filme wurden entwickelt, und es stellte sich heraus, dass Singer mehrere Häuser in der Stadt fotografiert hatte und dass auf vielen davon Kinder zu sehen waren – beim Spielen im Garten, auf dem Rad die Straße entlangfahrend, auf Schaukeln sitzend.

Bei der zweiten Befragung gab Singer an, es sei reiner Zufall, dass die Kinder auf den Fotos zu sehen seien. Er hätte die Häuser fotografiert, um sie als potenzielle Einbruchsobjekte auszuspionieren. Er blieb bei seiner Aussage, dass der zeitliche Ablauf nicht stimme: Er sei gegen eins in Arrowood gewesen und danach nach Hause gefahren, um sich ein Nickerchen zu gönnen. Keiner glaubte ihm, weil zwei Zeugen (ich und Ben Ferris, mein Freund und Nachbarsjunge) angaben, seinen Wagen erst später, gegen vier, gesehen zu haben. Ben hatte ihn von seinem Zimmer aus beobachtet und konnte sich an die Uhrzeit erinnern, weil er gerade Geige geübt hatte. Niemand konnte Singers Alibi bestätigen, allerdings ergaben weitere Befragungen, die Durchsuchungen seines Hauses und Grundstücks und die Untersuchung seines beschlagnahmten Wagens keinerlei Hinweise darauf, dass er die Zwillinge in seine Gewalt gebracht hatte.

Ich war immer überzeugt gewesen, dass Singer der Täter war, schließlich hatte ich meine Schwestern in dem goldfarbenen Wagen davonbrausen sehen. Es war der einzige handfeste Hinweis. Der Wagen wurde erst vier Tage nach der Entführung gefunden und sichergestellt – genug Zeit für Singer, Violet und Tabitha zu töten und verschwinden zu lassen oder sie zu jemand anderem zu bringen und danach alle Beweise für die Tat zu beseitigen.

Ich öffnete Kyles Mail. Bitte entschuldigen Sie, wenn ich Sie behellige, schrieb er. Erstens habe ich gehört, dass Sie nach Keokuk zurückgekehrt sind (es tut mir übrigens leid, wenn Sie gehofft hatten, dass es nicht herauskommt – der Verwalter hat es jemandem bei den Stadtwerken erzählt, als er alles für Ihre Ankunft vorbereitet hat, und das hat sich natürlich herumgesprochen, wie Sie sich gewiss vorstellen können.) Jedenfalls wollte ich Sie zu Hause willkommen heißen. Zweitens schließe ich aus Ihrem Schweigen, dass Sie nicht bereit sind, mir bei meinem Buch zu helfen; trotzdem halte ich es für fair, Sie darüber zu informieren, dass ich den Villisca- und den De-Moines-Fall nicht in diesem Band behandeln werde, sondern mich ausschließlich auf das Verschwinden Ihrer Schwestern konzentrieren möchte. Ich habe ein bisschen recherchiert und andere befragt, die damals in den Fall verwickelt waren, darunter auch Harold Singer. Nach allem, was ich erfahren habe, denke ich, dass Ihr Augenzeugenbericht nicht der Wahrheit entspricht. Ich würde mich gern mit Ihnen darüber unterhalten, was Sie an jenem Tag zu sehen geglaubt haben. Mir ist klar, dass das alles sehr schmerzlich für Sie sein muss, aber ich an Ihrer Stelle würde lieber die Wahrheit wissen wollen.

Ich wusste nicht recht, was ich davon halten sollte. Allem Anschein nach hatte sich Josh Kyle mit dem, was er herausgefunden zu haben glaubte, nicht an die Behörden gewandt, denn es hatte mich niemand angerufen. In den letzten Jahren hatte sich nichts Neues mehr ergeben. Und sein Vorwurf schmerzte mich tatsächlich – die Vorstellung, dass ich mich geirrt haben könnte. Woher wollte ausgerechnet er das wissen? Er war doch gar nicht dabei gewesen. Was ich damals gesehen hatte, war in einer Endlosschleife in meine Gehirnwindungen eingebrannt, und auch wenn ich noch so gern vergessen wollte, konnte ich es nicht, weil es wieder und wieder wie ein Film in meinen Gedanken ablief.

Die Zwillinge wurden an einem sonnigen Septembernachmittag entführt. Es war der Samstag des Labor-Day-Wochenendes, ich war gerade in die zweite Klasse gekommen, und es fühlte sich immer noch wie Sommer an. Meine Mutter war irgendwo im Haus, durch die dicken Mauern, schweren Seidenvorhänge und die dunklen Walnussvertäfelungen von der Außenwelt abgeschottet; wahrscheinlich schlief sie, las einen Roman von Danielle Steel oder starrte einen Berg Wäsche vor ihrer Nase an. Mein Vater war nicht da. Vermutlich arbeitete er. Damals wusste ich nicht, was er genau tat oder wieso er ausgerechnet an einem Feiertagswochenende arbeiten musste; allerdings hatte ich einmal mitbekommen, wie mein Großvater ihn als Schwindler bezeichnet hatte, der anderen nur irgendwelchen Blödsinn andrehte. Ich hatte meiner Mutter versprochen, auf die Zwillinge aufzupassen, was ich nur zu gerne tat. Als Erstgeborene war es ein völlig normaler Instinkt, andere herumkommandieren zu wollen, doch da ich erst acht war, waren Violet und Tabitha mit ihren knapp zwei Jahren die Einzigen, die dafür infrage kamen.

Am Abend zuvor hatte ich mich ständig übergeben müssen, weil ich mir den Magen verdorben hatte. Im Dunkeln war ich von dem Badezimmer, das ich mit meinen Schwestern teilte, durch das ganze Haus getappt, um meine Mutter zu wecken und ihr zu sagen, dass es mir nicht gut ging. Sie lag allein im Bett, kaum mehr als eine kleine Erhebung unter der Daunendecke. Mein Vater war wahrscheinlich unten, sah fern oder hörte Musik. Auf dem Nachttisch meiner Mutter reihte sich ein Tablettenfläschchen ans andere. Sie wollte wissen, ob ich Fieber hätte, worauf ich meinte, ich sei nicht ganz sicher. Ich wünschte mir, dass sie mir die Hand auf die Stirn legte und so über meine heiße Haut erschrak, dass sie nach meinem Vater rief. Ich malte mir aus, wie sie sämtliche Lichter einschaltete und völlig panisch Granddad anrief, um ihn zu fragen, was sie tun sollte. Stattdessen tastete sie lediglich nach ihren Schlaftabletten, schluckte trocken eine hinunter und schickte mich in mein Zimmer zurück.

Am nächsten Morgen war ich übermüdet und fühlte mich schwindlig, wenngleich sich mein Magen beruhigt hatte. Falls es etwas Ansteckendes gewesen war, hatten die Zwillinge es jedenfalls nicht aufgeschnappt, denn bis zum Nachmittag ging es ihnen gut. Wir spielten Pfadfinder im Garten, und ich mimte die leidgeprüfte Gruppenleiterin. Eigentlich durften sie nicht nach draußen, aber Pfadfinder im Haus zu spielen, machte keinen Spaß. Die Zwillinge ließen sich leicht ablenken und hörten nicht richtig zu, wenn ich sie über ihre imaginären Abzeichen für die korrekte Zubereitung von Marshmallow-Sandwiches fürs Lagerfeuer oder die korrekte Bestimmung von Vögeln aufklärte. In Wahrheit waren sie noch viel zu klein für Spiele mit festen Regeln, und ich wünschte, Mom würde sich zu uns gesellen. Sie hatte schon eine Ewigkeit nicht mehr Pfadfinder mit mir gespielt. Als sie mit den Zwillingen schwanger gewesen war, hatte sie ganze Nachmittage damit zugebracht, auf dem Bett liegend mit mir Candy Land zu spielen. Ab und zu war sie zwischen zwei Runden eingenickt, was mir Gelegenheit gegeben hatte, ungeniert ihren Bauch anzustarren, der sich unter ihrem hochgerutschten T-Shirt wölbte. Von ihrem nach außen gestülpten Bauchnabel hatten sich gezackte, rosafarbene Linien über ihre Haut geschlängelt, die so gespannt aussah, als würde sie gleich platzen. Je dicker ihr Bauch geworden war, desto weniger hatte sie Lust zum Spielen gehabt. Mit Kindern spielen ist wirklich schwer, hatte sie gesagt und ihre geschwollenen Finger auf ihren Leib gelegt, um einen spitzen Ellbogen oder ein Knie zurückzuschieben, die sich von innen gegen ihren Bauch stemmten. Sobald deine Schwestern auf der Welt sind, hast du immer jemanden zum Spielen.

Die Zwillinge lagen auf der Decke, die ich im Schatten des Seidenbaums ausgebreitet hatte, wo wir vor der Nachmittagssonne geschützt waren. Wir hielten uns so nahe am Haus auf, dass Mom mich hoffentlich nicht schimpfen würde, wenn sie merkte, dass wir trotz ihrer Anweisung nach draußen gegangen waren. Weit und breit war kein Nachbar zu sehen. Mrs. Crutchfield, die in dem neoklassizistischen Haus nebenan wohnte, litt unter einem Diabetikerfuß und zeigte sich nur selten. Das Queen-Anne-Haus der Brubakers gegenüber war verwaist: Es war komplett eingerüstet, damit es gestrichen und renoviert werden konnte, während sich die Besitzer im Urlaub im Nationalpark von Wisconsin aufhielten. Ich sah zu Bens Haus hinüber und überlegte, ob ich noch ein drittes Mal klopfen sollte. Beim ersten Mal hatte Mrs. Ferris gesagt, Ben müsse Geige üben und dürfe erst rauskommen, wenn er fertig sei. Er hatte erst kürzlich damit angefangen und schaffte nicht einmal das erste und leichteste Stück, »Mississippi Hot Dog«, was eigentlich noch nicht mal als richtiges Stück durchging. Eigentlich hatte Ben gar keine Lust auf Geige gehabt, sondern einen Kunstkurs am YMCA belegen wollen, aber seine Mutter hatte auf stur geschaltet. Beim zweiten Versuch hatte Mrs. Ferris noch nicht mal die Tür aufgemacht.