Immer besser scheitern - Priska Lachmann - E-Book

Immer besser scheitern E-Book

Priska Lachmann

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Beschreibung

Wir versagen und scheitern alle. Manche offensichtlicher als andere. Aber die Scham darüber, der Schmerz und das manchmal unvermeidbare Loslassen von Träumen verbindet uns alle. Priska Lachmann schreibt in diesem Buch darüber, wie man mit Misserfolgen umgehen kann, was Scham mit Mut zu tun hat, was man vom Scheitern lernen kann. Und warum sie glaubt, dass Gott Imperfektion liebt. Ein ehrliches, Mut machendes Buch über Scheitern, Gnade und Neuanfänge.

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Über die Autorin

Priska Lachmann ist 1986 in Leipzig geboren und dreifache Mädchenmama. Nach ihrem Theologiestudium an der LEE University im US-Bundesstaat Tennessee und der Universität Leipzig machte sie ihr Hobby zum Beruf und arbeitet seitdem als Autorin, Bloggerin und freie Redakteurin in Leipzig. Aktuell schreibt sie noch an ihrer Masterarbeit im Bereich Familien- und Paarberatung an der LEE University.

Für Jasmin.Ruhe in Frieden.

Für alle, die schon mal gescheitert sind.Also für uns alle.

Inhalt

Vorwort

Scheitern, Versagen und Krisen

Scheitern und Schule

Scheitern und Familie

Scheitern und Erfolg

Scheitern und Beziehungen

Scheitern und Körperlichkeiten

Scheitern und Studium

Scheitern und Beruf

Scheitern durch sich selbst

Scheitern und Krisen

Scheitern und Dating

Scheitern und Freundschaft

Scheitern und Reue

Scheitern und Chancen

Scheitern durch andere

Scheitern und Stress

Scheitern und Verletzlichkeit

Scheitern und Scham

Scheitern an Erwartungen

Scheitern und Enttäuschung

Scheitern und Jesus

Scheitern und ein Gott, der alles gut macht

Scheitern und toxischer Optimismus

Scheitern und durchhalten

Scheitern und das Glück daran

Scheitern und wieder aufstehen

Scheitern bewältigen

Scheitern und wahre Liebe

Scheitern und trotz Krisen Rückhalt finden

Schlusswort

Platz für eigene Gedanken, Ideen und Notizen

Empfohlene Literatur, Podcasts und Filme

Podcast „ERF Jess – Immer besser scheitern“

Anmerkungen

„Denn was, wenn Deine Segnungen durch Regentropfen kommen?Was, wenn Deine Heilung durch Tränen kommt? Was, wenn Tausende schlaflose Nächte das sind, was es braucht, um zu wissen, dass Du bei uns bist? Was, wenn Prüfungen in diesem Leben deine verborgenen Segnungen sind?“

Laura Story, „Blessings“ (frei übersetzt)

Vorwort

Vor mehr als drei Jahren hatte ich ein einschneidendes Erlebnis, das mich für eine Woche ins Bett zwang. Ich konnte in dieser Woche aufgrund einer starken Gehirnerschütterung weder Musik oder Podcasts hören noch mich mit Social Media oder guten Büchern ablenken. Ich lag eine ganze Woche lang mit geschlossenen Augen im Bett, schlief viel, und wenn ich wach war, dachte ich über mein Leben nach. Als ich meine Augen wieder öffnen konnte, schrieb ich das Exposé für dieses Buch.

Es war Juli 2020. Nach dem ersten Lockdown. Noch gab es die Hoffnung, dass die Coronapandemie nach einigen Monaten zu Ende sein könnte. Es war ein heißer Sommertag und ich verbrachte das Wochenende in Dresden. Dort hatte ich einige berufliche Termine, nahm zum Beispiel einen Radiobeitrag und einen Podcast auf und schrieb an einem biografischen Roman. Am Samstagnachmittag rief mich eine Freundin an und lud mich auf ein Eis ein. Eine willkommene Abwechslung! Wir fuhren gemeinsam mit ihrem Freund zu einer in dieser Gegend sehr bekannten Brücke, die das „Blaue Wunder“ genannt wird. Für Instagram wollte ich gerne ein Foto machen und bat meine Freundin deshalb, eines zu schießen. Ich hüpfte auf einen Brückenpfeiler, lächelte angemessen, blinzelte in die Sommersonne und wusste gleichzeitig, dass das Model-Gen an mir vorbeigegangen ist. Ungeschickt und unkoordiniert war ich schon immer und bin ich immer noch.

„Haben wir es?“, fragte ich meine Freundin nach fünf weiteren Fotos, fünfmal lächeln, gekonnt wegschauen und lässig auf dem Brückengeländer sitzen – so, als wäre diese Situation so natürlich, wie im Kino Popcorn zu essen oder im Garten Unkraut zu jäten. Meine Freundin nickte und ich sprang vom Brückengeländer herunter. Allerdings so unkoordiniert und ungeschickt, dass ich – obwohl es nur 20 Zentimeter bis zum Boden waren – umknickte und über meine eigenen Füße stolperte. Ich stolperte gebückt immer weiter, es fühlte sich an wie in Zeitlupe. Ich sah, dass das Brückengeländer auf der anderen Seite immer näher auf mich zukam. Geistesgegenwärtig riss ich mir die Sonnenbrille von der Nase und landete mit dem Kopf punktgenau auf der metallenen Kante des Geländers. Der Moment wirkte für mich länger, als er es in Echtzeit wahrscheinlich war. Im ersten Augenblick dachte ich: „Super, die Brille ist nicht kaputtgegangen.“ Dass ich stattdessen meine Hände dafür hätte benutzen können, um meinen Kopf abzuschirmen, kam mir erst ein paar Minuten später in den Sinn.

Eine Traube Touristen lief an mir vorbei. Zwei Frauen schauten mich an, schlugen erschrocken die Hände vor den Mund und fingen an zu schreien. Ihre Männer starrten mich an und fragten schließlich: „Brauchen Sie Hilfe?“ Ich winkte lässig ab. „Ach was“, sagte ich, „alles okay!“ Aus dem Augenwinkel sah ich meine Freundin hektisch Taschentücher aus ihrer Tasche ziehen. Sie drückte mir ein paar davon direkt auf die Stirn. Zwei Minuten später waren sie von meinem Blut vollgesogen. Sie schaute mich besorgt an und sagte: „Wir fahren lieber mal ins Krankenhaus. Das muss genäht werden!“

Ich habe nun eine Narbe direkt auf meiner Stirn. Sie wird mich immer an diese Brücke erinnern und daran, wie ich stolpernd mit dem Kopf aufschlug. Eigentlich stolpere ich schon mein ganzes Leben lang vor mich hin. Unzählige Arm- und Zehenbrüche, Wunden und Narben waren das Ergebnis. Aber auch mein Herz, meine Seele und meine Biografie zeigen mein Stolpern mehr als deutlich.

Wir neigen dazu, immer über unsere Erfolge zu sprechen. Wir teilen auf Social Media unsere Hochzeiten, Schwangerschaften und Urlaube. Aber nur die wenigsten trauen sich, über die Schattenseiten des Lebens zu sprechen: Krankheit, Scheidung, Verletzung, Zweifel, Insolvenz und wie diese Schreckgespenster alle heißen. Doch wenn wir nicht wirklich ehrlich sind, wenn wir den Teppich nicht ab und zu mal heben, unter den wir gern all diese unsagbaren Dinge kehren, dann können wir auch keine echten, ehrlichen Beziehungen leben. Durch geteiltes Scheitern lernen wir. Durch Misserfolge anderer können wir lernen, es selbst besser zu machen.

Ich scheitere immer noch. Täglich. Das ist keine Überraschung, denn ich weiß: Auch du scheiterst täglich. Wir reden nur viel zu selten darüber. Aus Scham. Um den Schein zu wahren. Oder vielleicht auch, um uns nicht noch schlechter zu fühlen. Es könnte aber auch sein, dass du noch ganz andere Gründe aufzählen kannst.

So oder so finde ich: Wir sollten viel mehr über unsere Versagensgeschichten sprechen. Wenn wir mutig genug sind, uns zu zeigen, wie wir wirklich sind – auch mit unseren Schattenseiten –, können wir auch andere dazu ermutigen, ebenfalls authentischer zu leben. Die Welt würde von einem Ort voller scheinbar perfekter Lebensentwürfe mit erfolgreichen Berufen, angeblich ausgezeichneten Finanzsituationen und den schönsten Familienurlauben zu einem Ort werden, der weniger Druck, weniger Perfektion und weniger Show ist, sondern herrlich echt.

In Wahrheit sehnen wir uns doch alle nach Echtheit, um uns selbst weniger schlecht fühlen zu müssen, wenn wir mal wieder prokrastinieren, unsere charakterlichen Stolpersteine immer noch nicht aus dem Weg geräumt haben oder innere Wunden aus unserer Kindheit uns noch heute zum Stolpern bringen. Was auch immer es sein mag, das dich dazu gebracht hat, dieses Buch in die Hand zu nehmen, eines steht fest: Wir sitzen alle im selben Boot.

Ich schreibe diese Zeilen, um Mut zu machen. Denn ich kenne einen Gott, der nicht nur zweite Chancen schenkt, sondern noch viele mehr. Wir können gar nicht so viel scheitern, dass er uns nicht mehr auffangen würde. Wir können versagen, falsche Entscheidungen treffen und bewusst falsche Wege einschlagen, aber wir haben immer noch einen liebenden, gnädigen Gott, mit dem wir jederzeit sprechen können. Den wir anschreien können. Vor dem wir schweigen können. Selbst wenn wir ihn nicht mehr in unserem Leben wollen, ist er trotzdem noch da. Selbst wenn wir ihn anklagen, versteht er uns und hört nicht auf, uns zu lieben.

Wir versagen und scheitern alle. Jede und jeder Einzelne von uns. Manche höchstens offensichtlicher als andere. Manche nach subjektivem Empfinden tragischer als andere. Und manche auch privilegierter als der Rest der Weltbevölkerung. Aber die Scham darüber, der Schmerz und das manchmal unvermeidbare Loslassen von Träumen verbindet uns alle.

Ich schreibe dieses Buch für dich und hoffe, dass du dich am Ende weniger allein fühlst – und dass du weißt, wie du mit Misserfolg umgehen kannst, was Scham mit Mut zu tun hat, was du von deinem Scheitern lernen kannst und wieso ich glaube, dass Gott Imperfektion liebt.

Dieses Buch entstand in Ergänzung zu meinem Podcast „Immer besser Scheitern“*, der bei ERF Jess erschienen ist.

* QR-Code zum Podcast am Ende des Buches

Gott geht es nicht darum, dass wir perfekte Menschen sind, sondern er will unsere Authentizität, unsere Echtheit. Nur wenn wir ehrlich zu uns selbst sind, können positive Veränderung und Heilung geschehen.

Scheitern, Versagen und Krisen

Aufgrund der Lesbarkeit habe ich mich entschieden, die Begriffe Scheitern, Versagen und Krise mitunter gleichwertig zu verwenden. Aber da es einen Unterschied zwischen diesen Begriffen gibt, ist es mir wichtig, vorab eine Erklärung von ihnen zu geben, bevor wir tiefer in das Thema einsteigen. Dies sind meine Verständnisse der einzelnen Begriffe, aber es gibt durchaus verschiedene Möglichkeiten, diese Worte zu verstehen.

Krisen sind sehr vielfältig und können jeden treffen. Wie bedrohlich und dramatisch sie wahrgenommen werden, ist individuell unterschiedlich. Für manche bricht eine Welt zusammen, wenn beispielsweise eine Beziehung in die Brüche geht, andere sehen darin eine Chance für eine bessere Zukunft. Existenzielle Krisen wie der Tod eines geliebten Menschen treffen jedoch jeden hart.

Krisen führen häufig zu Selbstzweifeln und Ängsten und können die Welt der Betroffenen komplett auf den Kopf stellen. Bisher gültige Lebensnormen und Ziele zählen nicht mehr, und das „schwarze Loch“ im eigenen Leben scheint riesig. Aber es gibt Möglichkeiten, um krisenfest – resilient – und stark zu werden.

Ich würde sagen, dass ich in Krisen und durch Versagen und Scheitern in meinem Leben Lektionen gelernt habe, die ich sonst nie begriffen hätte.

Beim Versagen erleben wir, dass etwas nicht lief wie geplant; dass es anders ist, als man es sich vorgestellt hat.

Menschen, die ihre Vorhaben nicht verwirklichen können, nennt man Versager. Dabei macht man sich viel zu wenig bewusst, wie viele Dinge in ihrem Leben dennoch schon gelungen sind. Ist man dann trotzdem gleich ein kompletter „Versager“ oder nur jemand, bei dem mal etwas schieflief?

Das Gefühl, versagt zu haben, kann niederschmetternd sein. Wer dieses Gefühl erleben muss, ist eingeladen, Geborgenheit bei Gott zu suchen und damit denjenigen aufzusuchen, der immer Ja zu einem sagt.

Scheitern impliziert, dass da etwas gewesen ist, an das der Mensch geglaubt hat. Eine Vision, eine Absicht, eine Hoffnung, ein Projekt. Es trifft den Menschen genauso hart wie Versagen, weil es ihn mit einer Verlusterfahrung konfrontiert, und bezieht sich auf etwas Endgültiges. Scheitern ist die Schattenseite des Wunschdenkens, dass alles machbar ist.

Scheitern wohnt unserem menschlichen Leben inne. Interessant ist jedoch, dass die alten Philosophen dieses Thema überhaupt nicht wirklich ansprechen. Es gibt kein größeres philosophisches Werk über das Versagen. Dabei steht Scheitern in einem besonderen Bezug zum menschlichen Leben. Gerade durch unser Scheitern manifestiert sich unsere menschliche Natur. Wir sind weder intuitive Lebewesen noch programmierte Maschinen, weil wir frei sind, uns zu irren, zu korrigieren und weiterzuentwickeln.

„Scheitern ist die Grundlage von persönlichen Reifungs- und Entwicklungsprozessen“, schreibt der Autor Mirko Zwack. „Es ermöglicht uns, die zu werden, die wir sind.“1

„Here is the world. Beautiful and terrible things will happen. Don’t be afraid.“

Frederick Buechner2

Scheiternund Schule

Bisher war ich immer davon ausgegangen, dass meine Schulzeit eine leichte Sache für mich war. Ich habe nur so viel getan, wie ich unbedingt musste, war die meiste Zeit nicht sehr interessiert am Lernstoff gewesen und kam trotzdem gut durch.

Erst jetzt, viele Jahre später, weiß ich, was für ein Privileg es ist, lernen zu dürfen, und wie schön es ist, sich auch mit Dingen beschäftigen zu müssen, die einen überhaupt nicht begeistern. Auch das weitet den eigenen Horizont. Für mich waren das alle naturwissenschaftlichen Fächer. Ich habe mich durch extra Fleißaufgaben immer auf eine Note Drei gerettet und war damit zufrieden.

In meinem Abitur belegte ich Religion und Deutsch im Leistungskurs und liebte es. Ich schrieb in beiden Fächern ein sehr gutes Abi. In Mathe sah es überhaupt nicht gut aus, aber wundersamerweise kam ich in der mündlichen Prüfung gut durch, obwohl ich vor Aufregung nicht mal mehr das Einmaleins beherrschte. Ich kann es mir selbst nicht erklären.

Doch ich erinnere mich auch an zwei Erlebnisse, nach denen ich mich dumm und unfähig fühlte. In der achten Klasse schrieben wir bei einer sehr strengen Mathelehrerin einen Test, in dem ich eine Sechs bekam. Die erste in meinem Leben! Ich hatte Glück: Auch alle anderen waren schlecht gewesen, der Test musste wiederholt werden. Sie wollte es uns leicht machen, so schrieben wir den gleichen Test noch mal. Und ich schrieb wieder eine Sechs. Als die Lehrerin mir den Test reichte, fragte sie: „Priska, was ist los mit dir?“ Beschämt versteckte ich den Test in meinem Schulranzen.

In der zehnten Klasse hatten wir Astronomie. Als Hausaufgabe sollten wir beobachten, wie der Mond wanderte, und dazu einen Aufsatz schreiben. Meine Schulfreundin wohnte bei mir um die Ecke und wir versuchten an dem Abend, den Mond zu entdecken. Doch es war bewölkt. Sie fand im Lehrbuch zwei Seiten, die sich mit dem Mond beschäftigten, und entschied sich, diese Seiten abzuschreiben und dem Lehrer zu erklären, dass dies ihre Lösung war, um sich trotzdem mit dem Thema beschäftigt zu haben. Sie gab mir ihre Abschrift und ich schrieb genau das Gleiche. Wir gaben die Aufgabe ab, und ich bekam eine Fünf und die Aufforderung, nach der Stunde zum Lehrerpult zu kommen. Dort erklärten meine Freundin und ich ihm, dass diese Lehrbuch-Abschrift dadurch zustande kam, dass wir nur fünf Häuser entfernt voneinander wohnten. Er blieb bei seiner Entscheidung, meinte, ich hätte abgeschrieben, und schlug mir vor, dafür einen Vortrag über die Sonne zu halten. Ich schämte mich schrecklich dafür, dass er den Eindruck hatte, ich könnte geschummelt haben. Und dann noch zu Unrecht! Den Vortrag bereitete ich vor und verstand dabei kein Wort. Als ich ihn halten sollte, hatte ich meine Periode und so starke Bauchschmerzen, dass ich mich am Lehrertisch festhalten musste. Ich ratterte den Vortrag herunter, ohne zu verstehen, was ich da erzählte. Ich blickte in gelangweilte Gesichter und bekam eine Eins. An diesem Tag sank mein Glaube an erwachsene Menschen und deren Urteilsvermögen.

In der elften Klasse wurde ich in einen Mathekurs gesetzt, in dem ich nicht viele kannte. Neben mir war ein Platz frei und eine neue Schülerin setzte sich zu mir. Ihr Name war Laura und sie war das coolste Mädchen, das ich je gesehen hatte. Dreadlocks, extravagantes Make-up, Kunst-Leistungskurs. Sie war hochintelligent, in jedem Fach überragend und fleißig, ohne dabei überheblich zu sein. Sie war authentisch, freundlich, humorvoll und warmherzig. Ich mochte sie sofort. Laura war im Gegensatz zu mir in Mathe sehr gut. Wenn wir Klausuren zurückbekamen, hatte Laura 14 Punkte und ich vier. Ich war allerdings frei von Neid oder Missgunst und freute mich ehrlichen Herzens für sie. Meine vier Punkte waren nicht so wichtig, ich hatte andere Interessen und Fähigkeiten, und nicht jeder kann so herausragend vielbegabt sein. Die Schule blieb in meiner Erinnerung und in meinem Empfinden trotzdem eine schöne, leichte Zeit. Aber andere Menschen sehen das in unserer Leistungsgesellschaft mitunter anders, wie ich feststellen musste.

Denn knapp 20 Jahre später sitze ich an einem Freitagabend mit meiner großen Tochter in einem Konzert und feuere Laura an, die ihre neuen Songs vorstellt. Laura hat ihre Leidenschaft zum Beruf gemacht und ist unter dem Namen „Laura Liebeskind“ Sängerin geworden. Ich betreue ihren Merchandise-Stand. Laura sagt von der Bühne: „Priska werdet ihr nachher am Merch-Stand treffen. Wisst ihr, wann ich wusste, dass Priska eine wirklich tolle Freundin ist? Als ich in Mathe 14 Punkte hatte und sie nur vier – und sie sich für mich gefreut hat!“ Ich werde rot. Zum Glück sieht man das im Dunkeln nicht.

Am Merchandise-Stand werde ich von einigen auf meine vier Punkte angesprochen. „Ich glaube nicht, dass es gut ist, vor den Kindern über Schwächen zu sprechen“, meint eine fremde Frau. „Wieso?“, frage ich. „Sie werden es einem irgendwann vorhalten. Sie sagen dann: ‚Du warst auch nicht gut, da muss ich mich nicht anstrengen.‘“ Ich bin irritiert: „Und wieso sagst du dann nicht, dass es für dich nicht gut war, schlecht zu sein, und du dir wünschst, du hättest dich mehr angestrengt? Oder warum sagst du nicht: Ich sehe, dass du mehr könntest, wenn du dich mehr anstrengen würdest? Oder warum spielt es überhaupt eine Rolle – müssen wir denn überall gut sein? Ich habe Mathe in der Form nie wieder gebraucht in meinem Leben!“ Die fremde Frau zuckt mit den Schultern. Andere mischen sich ein. Eine erzählt mir, sie sei auch nie gut gewesen in Mathe. Jeder hat eine Meinung und ich werde nachdenklich. Werden meine vier Punkte von der Gesellschaft so anders gewichtet, als ich es selbst tue? Findet sie, ich hätte versagt? Und was, wenn dem so ist?

Im Endeffekt können wir nicht kontrollieren, was andere Menschen über uns denken, wir können nur kontrollieren, was wir selbst über uns denken, wie wir selbst handeln und ob wir mit uns zufrieden sind.

Wenn wir eine richtig traumatische Schulzeit hatten oder sitzen geblieben sind, den Abschluss nicht geschafft haben oder gemobbt wurden, dann ist das eine Identität, die einen bis ins Erwachsenenalter verfolgen kann. Schule ist identitätsstiftend. Aber in Wahrheit dürfen wir unsere Identität bei uns selbst und bei Gott suchen. Und in Wahrheit muss Schule überhaupt nichts darüber aussagen, wie schlau oder dumm wir sind, wie begabt oder wie beliebt. Egal, wie sehr ich mich über das Schulsystem aufrege, wie sehr ich mir eine Chancengleichheit wünsche, eine Reform des Bildungssystems, so weiß ich auch, dass es sehr wichtig ist, diesem Ort nicht die Macht über die komplette kindheitliche Erfahrungswelt zu geben.

Ich habe eine sehr enge Freundin seit dem Kindergarten. Judith kommt aus einer Künstlerfamilie, hat ein Herz aus Gold und ist sehr intelligent. In der Grundschule fiel mir auf, wie wunderschön sie zeichnen konnte. Manchmal schummelten wir im Kunstunterricht, und sie malte ein Bild für mich mit, was ich dann abgab und eine Eins bekam. Die Gabe des Zeichnens ist an mir vorübergegangen. Ich lernte von ihr, wie man Sterne malt, und bis heute zeichne ich sie so, wie sie es mir in der zweiten Klasse gezeigt hat. Später spielten wir Schwedenquartett, zu Hause Brettspiele, schwärmten für die Backstreet Boys und bekamen Kakao und Obstplatten von ihrer Mutter. Judith war unglaublich kreativ und konnte sich die schönsten Geschichten ausdenken und schreiben. Es verblüffte mich nicht, dass sie später Germanistik studierte. Doch schon nach zwei Semestern brach sie ab und studierte Pharmazie. Ich konnte es nicht verstehen. Wie konnte sie nur ihre Gaben nicht leben wollen? Judith war in der Schule ebenso schlecht gewesen in Naturwissenschaften wie ich. Und doch zog sie das Studium durch. Sie war gut und wurde Apothekerin. Ich habe heute noch Hochachtung vor ihr, denn sie ist Apothekerin aus Leidenschaft. Sie ist ein schönes Beispiel dafür, dass Schule uns ein großes Allgemeinwissen vermittelt, uns Bildung schenkt, aber nicht unsere ganze Identität bestimmen muss.

„Was bedeutet Scheitern eigentlich? Ich denke, es bedeutet im Grunde genommen nur, dass wir unser Leben in vollen Zügen leben. Wir machen Erfahrungen auf verschiedenen Ebenen, anstatt uns nur mit der Eintönigkeit eines einzigen, gleichbleibenden Gefühls zu begnügen.