Immortal Love - Verborgene Macht: Die Saga in einem Band - Sarah Kleck - E-Book
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Immortal Love - Verborgene Macht: Die Saga in einem Band E-Book

Sarah Kleck

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Beschreibung

Wahre Liebe überdauert alle Zeiten: Der Fantasy-Sammelband »Immortal Love – Verborgene Macht« von Sarah Kleck jetzt als eBook bei dotbooks. Kann die wahre Liebe gefährlich sein? Für die junge Evelyn geht ihr größter Traum in Erfüllung: Sie wird als Studentin in Oxford zugelassen. In der malerischen Universität begegnet sie dem rätselhaften Jared – und fühlt sich von Anfang an zu ihm hingezogen. Evelyn spürt, dass sie füreinander bestimmt sind, als würden sie sich schon sehr lange kennen. Sie ahnt jedoch noch nicht, welches Geheimnis Jared verbirgt: Er ist ein Nachkomme von Merlin, dem legendären Zauberer – und Evelyn ist seit Jahrhunderten seine große Liebe. Aber als Jared von der dunklen Magierin Morgana bedroht wird, muss Evelyn sich ihrem Schicksal stellen und verhindern, dass eine uralte Prophezeiung erfüllt wird … Jetzt als eBook kaufen und genießen: »Immortal Love – Verborgene Macht« von Sarah Kleck – die Fantasy-Bestseller »Die Verborgene« und »Die Macht der Verborgenen« zum ersten Mal in einem Band. Wer liest, hat mehr vom Leben: dotbooks – der eBook-Verlag.

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Seitenzahl: 966

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Über dieses Buch:

Kann die wahre Liebe gefährlich sein? Für die junge Evelyn geht ihr größter Traum in Erfüllung: Sie wird als Studentin in Oxford zugelassen. In der malerischen Universität begegnet sie dem rätselhaften Jared – und fühlt sich von Anfang an zu ihm hingezogen. Evelyn spürt, dass sie füreinander bestimmt sind, als würden sie sich schon sehr lange kennen. Sie ahnt jedoch noch nicht, welches Geheimnis Jared verbirgt: Er ist ein Nachkomme von Merlin, dem legendären Zauberer – und Evelyn ist seit Jahrhunderten seine große Liebe. Aber als Jared von der dunklen Magierin Morgana bedroht wird, muss Evelyn sich ihrem Schicksal stellen und verhindern, dass eine uralte Prophezeiung erfüllt wird …

Über die Autorin:

Sarah Kleck, geboren 1984 in Baden-Württemberg, studierte Diplom-Pädagogik, Psychologie und Soziologie an der Universität Augsburg. Heute ist sie als Personalreferentin tätig und lebt mit ihrem Mann und ihrer kleinen Tochter in Bad Saulgau in Oberschwaben.

***

Sammelband-Originalausgabe Juli 2020

Copyright © der Sammelband-Originalausgabe 2020 dotbooks GmbH, München

Das in diesem Sammelband enthaltene Buch »Die Verborgene« erschien bereits 2014 bei dotbooks, der Nachfolgeband »Die Macht der Verborgenen« erschien 2016 ebenso bei dotbooks.

Copyright © der Originalausgabe »Die Verborgene« 2014 dotbooks

Copyright © der Originalausgabe »Die Macht der Verborgenen« 2016 dotbooks

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Titelbildgestaltung: Wildes Blut – Atelier für Gestaltung Stephanie Weischer unter Verwendung mehrerer Bildmotive von © shutterstock / RavenaJuly / Irina Alexandovna / SSokolov / justdd sowie © pixabay / WolfBlur

eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH (cg)

ISBN 978-3-96655-490-9

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Liebe Leserin, lieber Leser, wir freuen uns, dass Sie sich für dieses eBook entschieden haben. Bitte beachten Sie, dass Sie damit ausschließlich ein Leserecht erworben haben: Sie dürfen dieses eBook – anders als ein gedrucktes Buch – nicht verleihen, verkaufen, in anderer Form weitergeben oder Dritten zugänglich machen. Die unerlaubte Verbreitung von eBooks ist – wie der illegale Download von Musikdateien und Videos – untersagt und kein Freundschaftsdienst oder Bagatelldelikt, sondern Diebstahl geistigen Eigentums, mit dem Sie sich strafbar machen und der Autorin oder dem Autor finanziellen Schaden zufügen. Bei Fragen können Sie sich jederzeit direkt an uns wenden: [email protected]. Mit herzlichem Gruß: das Team des dotbooks-Verlags

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blog.dotbooks.de/

Sarah Kleck

Immortal Love – Verborgene Macht

Die Saga in einem Band

dotbooks.

Sarah KleckDie Verborgene

Für meine Eltern, die mir das Leben geschenkt haben,

und meinen Mann, bei dem ich sein darf, wer ich bin.

Love's not Time's fool, though rosy lips and cheeksWithin his bending sickle's compass come:Love alters not with his brief hours and weeks,But bears it out even to the edge of doom.

Sonnet 116

William Shakespeare

(1564-1616)

Die Liebe ist kein Narr der Zeit,

ob Rosenmund und Wangen auch verblühn:

Die Liebe wandelt nicht mit Tag und Stunde,

denn sie hält aus bis in die Ewigkeit.

Sonett 116

William Shakespeare

(1564-1616)

Prolog

Die Zeit heilt alle Wunden, sagt man. Ich warte noch immer …

Solange ich lebe, kann ich mich nicht an einen Winter erinnern, der so kalt und hart war wie dieser. Eisiger Wind pfiff mir um die Ohren, als ich an jenem Tag die verschneite Anhöhe mühsam hinauf gestiegen war und das gezackte schmiedeeiserne Tor hinter mir mit einem metallischen Quietschen schloss. Das kreischende Geräusch schreckte eine Krähe auf, die sich nach ein paar aufgeregten Flügelschlägen krächzend auf einer schneebedeckten Baumkrone niederließ und mich missgünstig beäugte.

In den letzten Tagen hatte es so stark geschneit, dass selbst die mächtigen Linden, die zahlreich das gesamte Areal umsäumten, unter der weißen Last beinah zusammenzubrechen drohten. Im Moment schneite es kaum. Kleine, gewichtslose Flocken schwebten sanft vom weißgrauen Himmel herab, blieben in meinem Haar hängen und schmolzen auf meinem Gesicht. Eine ganze Weile wandelte ich stumm durch die Reihen und ließ die Stille auf mich wirken. Außer der Krähe war weit und breit keine lebende Seele zu sehen.

Vor einem ovalen, weißen Stein blieb ich schließlich stehen, atmete tief durch, schlang die Arme um meine Mitte und schloss die Augen. Das half mir sonst, das Chaos in meinem Kopf und den Schmerz in meinem Herzen auszublenden, um wenigstens für einen kurzen Moment einen klaren Gedanken fassen zu können. Dieses Mal funktionierte es nicht. Ich spürte eine schier übermächtige Verzweiflung in mir aufsteigen, die mir die Tränen über das Gesicht strömen ließ und in meiner Kehle brannte. Trauer und Wut ließen mich beinahe beben. Ich schlang die Arme noch fester um meinen Körper, um nicht zu zerspringen.

Warum hast du mich hier ganz allein zurück gelassen?

Siehst du nicht, dass ich das alles nicht schaffe ohne dich?

Sag mir, was ich tun soll!

Bitte sag mir, was ich tun soll ohne dich!

Bitte!

Du fehlst mir so sehr!

Kapitel 1

Ein endloser Strom Trauernder folgte der braunen Holzkiste, die von sechs in dunkle Uniformen gekleideten Männern die Anhöhe hinauf getragen wurde. Für Ende Oktober war es bereits ungewöhnlich kalt und während ich direkt hinter ihnen durch das dichte Herbstlaub stapfte, klammerten sich meine eisigen Hände um den weißen Flieder, den sie so sehr geliebt hatte. Es war nicht einfach gewesen, ihn zu dieser Jahreszeit zu bekommen, aber nun war es mir ein kleiner Trost, ihr wenigstens noch ein letztes Mal ihre Lieblingsblumen schenken zu können.

Ich ging weiter, ohne meine Beine zu spüren. Schritt für Schritt trugen sie mich vorwärts, bis ich strauchelte, als die sechs Männer abrupt stehen blieben. Zu meinen Füßen klaffte ein tiefes, schwarzes Loch. Ich blickte hinab. Sogleich wurde mein Körper von einem heftigen Zittern erfasst, das nicht von der beißenden Kälte herrührte. Hilflosigkeit machte sich in meinem Inneren breit. Ich spürte meinen Körper nicht mehr, glaubte beinah, über mir selbst zu schweben und von oben zu beobachten, wie sie die Kiste tief in die schwarze Erde hinab ließen. Dann überwältigte mich die Verzweiflung, nahm jede meiner Zellen ein und zwang mich in meinen gequälten Körper zurück. Jäh fuhr ein brennender Schmerz durch meine Brust und ließ mich keuchen. Aus der Ferne hörte ich einen markerschütternden Schrei, der mir jedes einzelne Haar zu Berge stehen ließ.

Das ist ihre Stimme.

Wo ist sie?

Ich muss zu ihr!

Hilfesuchend fuhr ich herum, doch erst als ich sah, dass mir die Gesichter der Anwesenden voller Mitleid zugewandt waren, wurde mir bewusst, dass ich es war, die geschrien hatte.

Eine entsetzliche, dumpfe Leere erfüllte mich und ließ mich nicht mehr los.

Ich beugte mich mit letzter Kraft vor und legte den Strauß aus weißem Flieder auf die braune Holzkiste, in der meine große Schwester für immer schlafen würde.

Fast drei Monate waren seither vergangen. Ich öffnete die Augen und las die Inschrift auf dem ovalen, weißen Grabstein:

Zara Lakewood

Geliebte Schwester

Wunderbarer Mensch

Sorgfältig wischte ich mir Tränen und geschmolzenen Schnee aus dem Gesicht und konzentrierte mich auf das, was mich hierher geführt hatte. Seit der Beerdigung war ich nicht mehr hier gewesen – ich hätte es wahrscheinlich nicht überlebt. Aber nun erinnerte mich das Gewicht in der Innentasche meines schwarzen Mantels daran, dass etwas passiert war – etwas, von dem ich meiner Schwester erzählen wollte. Mühsam fingerte ich den schweren Brief heraus und betrachtete ihn. Er war adressiert an: Evelyn Francis Kathrin Lakewood.

Darauf bedacht, die unter einer dünnen Eisschicht konservierten Blumen nicht zu zertreten, die noch immer zahlreich das Grab schmückten, legte ich den Umschlag auf ihren Stein und trat einen Schritt zurück.

»Ich habe eine Zusage von Oxford – was sagst du dazu?«

Nach meinem Schulabschluss hatten wir gemeinsam nach einer guten Uni für mich gesucht und auf Zaras Drängen hin hatte ich mich auch für Psychologie am Christ Church College in Oxford beworben, allerdings ohne mir allzu große Chancen auszurechnen. Doch nun hatte man mir einen Studienplatz für den Hilary Term ab Januar angeboten, da irgendein Trottel sein Studium bereits nach dem ersten Trimester geschmissen hatte und ich offensichtlich die Erste auf der Nachrückliste war. Also beschloss ich, zumindest in Betracht zu ziehen, nach Oxford zu gehen. Auch wenn ich keine Ahnung hatte, wie ich das finanzieren sollte. Ich wollte, dass Zara stolz auf mich war. Ich hatte ihr alles zu verdanken ...

Nachdem unsere Eltern bei einem Autounfall tödlich verunglückt waren, als ich noch klein war, hatte Zara wie eine Löwin um das Sorgerecht für mich gekämpft – und gewonnen.

Sie hatte dafür gesorgt, dass wir zusammen bleiben konnten und ich nicht in eine Pflegefamilie musste. Da uns unsere Eltern so gut wie nichts hinterlassen hatten, hatte sich Zara neben ihrer Ausbildung einen zusätzlichen Job gesucht, während es meine Aufgabe gewesen war, mich auf die Schule zu konzentrieren und die eine oder andere Aufgabe im Haushalt zu übernehmen. Regelmäßig war sie erst nach Mitternacht von ihrer Schicht im Restaurant nach Hause gekommen, nur um ein paar Stunden später wieder die Schulbank in der Polizeiakademie zu drücken. Zara war gerade achtzehn geworden und plötzlich verantwortlich für einen Haushalt und ein siebenjähriges Schulkind. Sie hatte sich die letzten zwölf Jahre um mich gekümmert, als wäre ich ihr eigenes Kind und nicht nur ihre kleine Schwester – hatte dafür gesorgt, dass die Rechnungen bezahlt wurden, etwas zu essen auf dem Tisch stand und ich immer etwas Sauberes anzuziehen hatte. Sie hatte sich nie anmerken lassen, wenn wir mal wieder pleite gewesen waren, und wann immer ich Geld für einen Schulausflug oder Ähnliches gebraucht hatte, hatte sie nur gesagt: »Ich kümmere mich darum, mach dir keine Sorgen«, und es irgendwie aufgetrieben.

Wenn ich nachts geweint hatte, hatte sie mich in den Arm genommen und getröstet, bis ich eingeschlafen war. Sie war mir Mutter, Vater, Schwester und Freundin zugleich gewesen, je nach dem, was ich gerade gebraucht hatte.

Sie war der beste Mensch gewesen, den ich kannte. Ich hatte sie über alles geliebt. Sie fehlte mir so sehr, dass es mich beinah umbrachte.

Kapitel 2

»Herzlichen Glückwunsch!«, rief Mrs. Prescott begeistert und drückte mich so fest an ihren üppigen Busen, dass ich fast keine Luft mehr bekam. Ich war, wie jeden Dienstag und Donnerstag, am Nachmittag zu den Prescotts gekommen, um auf den kleinen Timmy aufzupassen. Neben meinem Job bei Beamen’s, dem örtlichen Getränkemarkt, in dem ich die Woche über als Aushilfe arbeitete, war das Babysitting bei dem fünfjährigen Timmy meine einzige Einnahmequelle. Ich hatte Mrs. Prescott gerade erzählt, dass ich in ein paar Tagen das Psychologie-Studium in Oxford aufnehmen würde. Als ich mich nach Luft ringend von ihr löste, sah ich, dass sie Tränen in den Augen hatte.

»Nach dem, was mit deiner Schwester … passiert ist«, sie schluckte, »tut dir ein Tapetenwechsel bestimmt gut«, brachte sie noch heraus, ehe die ersten dicken Tränen über ihre gepuderten Wangen kullerten.

»Ja«, antwortete ich mit belegter Stimme, »das denke ich auch.«

»Weißt du denn schon, wie du das alles finanzieren wirst?«, fragte Mrs. Prescott besorgt, nachdem sie mich einen Moment lang nachdenklich betrachtet hatte.

»Na ja«, antwortete ich, »ich habe letzte Woche die Zusage für das Teilstipendium bekommen, für das ich mich beworben hatte, und das kommt zumindest schon mal für die Studiengebühren und das Wohnheim auf. Zusammen mit Zaras Lebensversicherung dürfte ich also erst mal klar kommen.«

Mrs. Prescott nickte benommen. »Wir werden dich sehr vermissen«, gestand sie schließlich, während ihr erneut Tränen in die Augen schossen, »besonders Timmy.«

»Ihr werdet mir auch sehr fehlen«, gab ich zu und bückte mich, um den kleinen Jungen hochzuheben, der sich an meinen Oberschenkel geklammert hatte. Mit festem Griff schlang er seine Ärmchen um meinen Hals. Ein Anblick, der die Lippen seiner Mutter erneut erzittern ließ.

»Ich gehe jetzt besser«, sagte sie schließlich, wischte sich die Tränen aus dem Gesicht und verschmierte dabei ihr sorgfältig aufgetragenes Augen-Make-up. Noch bevor ich sie darauf hinweisen konnte, hatte sie schon die Tür hinter sich zugezogen. Dana Prescott arbeitete am Empfang eines Nobelhotels und bis ihr Mann Jim, ein erfolgreicher Anwalt, der meist bis tief in die Abendstunden Kundentermine wahrnehmen oder an Geschäftsessen teilnehmen musste, nach Hause kam, passte ich auf den gemeinsamen Sohn auf. Die Prescotts waren erst spät Eltern geworden – beide waren über vierzig –, denn obwohl sie sich von Herzen ein Kind gewünscht hatten, hatte es einfach nicht klappen wollen. Doch dann, als sie die Hoffnung bereits aufgegeben hatten, wurde Dana schwanger mit Timmy, den sie liebevoll mein kleines Wunder nannte.

»Was wollen wir heute spielen, Timmy?«, fragte ich und löste mich aus seinem Klammergriff.

»Ich sehe was, was du nicht siehst«, antwortete er begeistert und strampelte voller Vorfreude, als ich ihn wieder absetzte.

Ich lächelte. Es gab absolut nichts, das mich noch an diesem Ort hielt – doch diesen kleinen Jungen würde ich wirklich vermissen.

Wenige Tage später war es so weit. Mit dem Packen war ich schon fast fertig, als mein Blick an dem eingerahmten Foto auf meinem hölzernen Nachttisch hängenblieb. Ich nahm es in beide Hände, um es besser betrachten zu können. Unwillkürlich breitete sich ein Lächeln auf meinem Gesicht aus. An jenem Tag waren Zara und ich auf dem Jahrmarkt gewesen und dreimal hintereinander die riesige Achterbahn gefahren, bis uns schlecht geworden war. Wir waren glücklich gewesen und hatten ausgelassen in die Kamera gelacht. Mein Blick blieb an einem funkelnden Gegenstand hängen, der um den Hals meines fotografierten Ichs baumelte. Unbewusst wanderte meine freie Hand zu meiner Kehle und ertastete die Umrisse des Amuletts unter meinem Pullover. Langsam zog ich es hervor und sah es – zum wahrscheinlich tausendsten Mal – an. An einer feingliedrigen Silberkette hing ein gleichschenkliges Dreieck aus blaugrünem Kristall, dessen Spitze nach unten zeigte und in dessen Mitte zwei übereinander liegende Wellen geschliffen waren.

Meine Mutter hatte es eines Tages, als sie hochschwanger mit mir gewesen war, auf einem Flohmarkt in London entdeckt. Der Verkäufer hatte einen stolzen Preis dafür verlangt. Also war sie, obwohl ihr das Amulett auf Anhieb gefallen hatte, gerade im Begriff gewesen, es zurück zu legen, als ich in ihrem Bauch wie wild angefangen hatte zu strampeln – sie hatte mir die Geschichte mindestens einhundert Mal erzählt. Es war, als hätte ich dieses Schmuckstück unbedingt haben wollen. Also hatte sie es gekauft. Für mich.

Am Abend meines sechsten Geburtstags, war sie in mein Zimmer gekommen und hatte sich zu mir aufs Bett gesetzt. Behutsam hatte sie sich das blaugrüne Amulett vom Hals genommen und mir angelegt.

»Es wird dich beschützen«, hatte sie eindringlich geflüstert, war mir liebevoll mit den Fingern durchs Haar gestrichen und hatte mich auf die Stirn geküsst. »Nimm es niemals ab.«

Ich spürte einen Kloß in meinem Hals und schluckte ihn mühsam hinunter. Reiß dich zusammen! Ich hatte jetzt wirklich keine Zeit, in Selbstmitleid zu zerfließen. Wenn ich mich nicht beeilte, würde der Zug noch ohne mich fahren. Vorsichtig wickelte ich den Bilderrahmen in ein Handtuch und verstaute ihn sicher in meinem Koffer. Als ich wieder aufsah, fuhr ich plötzlich vor Schreck zusammen. Im ersten Moment dachte ich, mir stünde jemand gegenüber, der wie aus dem Nichts aufgetaucht war. Doch eine Sekunde später musste ich beschämt feststellen, dass ich vor dem länglichen Spiegel an meinem Kleiderschrank stand und in mein eigenes erschrockenes Gesicht blickte. Du lieber Himmel! Mein Herz klopfte wie wild. In letzter Zeit war ich furchtbar schreckhaft geworden, was, wenn ich so darüber nachdachte, nur an diesem unheimlichen Typen liegen konnte, der mir bereits bei Zaras Beerdigung aufgefallen war. Er hatte etwas abseits gestanden und mich die ganze Zeit über beobachtet. Zuerst hatte ich mir nichts dabei gedacht, schließlich waren viele Leute zur Trauerfeier gekommen, die ich nie zuvor gesehen hatte. Aber dieser seltsame Kerl war mir in den letzten Wochen immer wieder über den Weg gelaufen. Zum ersten Mal ein paar Tage nach der Beerdigung. Da hatte er wie versteinert auf der anderen Straßenseite gestanden und mich unverhohlen angestarrt. Kurz darauf hatte er sich im Supermarkt an derselben Kasse angestellt und dann nur ein Päckchen Kaugummi gekauft. Und eines Abends, nachdem ich bei den Prescotts auf Timmy aufgepasst hatte, hatte ich sogar geglaubt, er wäre mir in der Dunkelheit bis nach Hause gefolgt. Und wie zur Bestätigung hatte er am darauffolgenden Morgen in genau dem Bus gesessen, mit dem ich täglich zu Beamen’s fuhr. Da war er dann stundenlang auf dem Parkplatz herumgeschlichen und hatte durch die Schaufenster in das Innere des Ladens gespäht. Ich war schon versucht gewesen, die Polizei zu rufen, aber als ich mich am Feierabend auf den Weg Richtung Bushaltestelle gemacht hatte, war er verschwunden, und seither hatte ich ihn nicht mehr gesehen. Doch noch immer erwartete ich jedes Mal, wenn ich um eine Ecke bog, ihn dort stehen zu sehen, die Hände in den Taschen seines dunkelgrauen Wollmantels, das schüttere Haar streng nach hinten gekämmt und mit dem immergleichen eingefrorenen Ausdruck im Gesicht, als wäre er ein Geheimagent aus den dreißiger Jahren. Dass mir dieser Kerl nicht geheuer war, war durchaus nachvollziehbar – aber dass mir sogar mein eigenes Spiegelbild Angst einjagte … Ich trat einen Schritt näher an den Spiegel heran. War das tatsächlich ich? Wann hatte ich das letzte Mal in einen Spiegel gesehen? Ich erkannte mich kaum wieder. Meine Wangen waren eingefallen und ich wirkte ausgezehrt. Wann hatte ich zuletzt etwas Richtiges gegessen? Ich konnte mich nicht erinnern. Mir war in den vergangenen Wochen der Appetit gründlich vergangen. An meinen Klamotten hatte ich zwar gemerkt, dass ich Gewicht verloren hatte, aber da ich keinen weiteren Gedanken daran verschwendet hatte, hatte ich lediglich den Gürtel etwas enger geschnallt und es dabei belassen. Ich war schon immer schlank gewesen, aber jetzt wirkte ich regelrecht zerbrechlich.

Meine langen mittelblonden Haare, die bis zur Mitte meines Rückens reichten, hatte ich mit einem Band am Hinterkopf locker zusammengeknotet, ohne sie zu kämmen. Früher hatten sie einen goldenen Schimmer, doch nun sahen meine Haare matt, farblos und ungesund aus. Ich trat noch einen Schritt näher an mein Spiegelbild heran, um mein Gesicht genauer in Augenschein zu nehmen. Ich war so blass, dass meine Haut fast durchsichtig wirkte. Deutlich zeichneten sich dunkle Ringe unter meinen Augen ab. Zara hatte wunderschöne, strahlend grüne Augen gehabt. Meine waren von einem ein paar Töne dunkleren Grün und hatten eine blaugraue Schattierung. Sie hatten ihr Leuchten verloren und wirkten leer und glanzlos. Auch meine Wimpern waren bei weitem nicht mehr so dicht und lang wie früher und meine ehemals vollen Lippen hatten fast die Farbe meiner Haut angenommen. Ich sah entsetzlich aus und hätte, da die ausnahmslos schwarzen Klamotten, die ich seit einiger Zeit trug, den Kontrast noch verstärkten, ohne Probleme als Leiche durchgehen können. Nur zu gern wandte ich mich von dem erschreckenden Anblick ab und konzentrierte mich auf das Packen.

Bei einem letzten Rundgang durch die kleine Wohnung versicherte ich mich, nichts vergessen zu haben. Erneut war ich erleichtert, dass der Nachmieter die Möbel und vor allem das schwere Ledersofa übernehmen wollte, sonst hätte ich mich darum auch noch kümmern müssen. Ich schloss ein letztes Mal die Tür und warf den Schlüssel, wie ich es mit dem Nachmieter vereinbart hatte, in den Briefkasten. Dann nahm ich mein Gepäck und ging, ohne mich noch einmal umzudrehen. Mein ganzes Leben, oder vielmehr das, was davon noch übrig war, passte in zwei Koffer und eine Umhängetasche.

Der silberne Minivan der Prescotts wartete bereits auf der Straße.

»Hier, Evelyn, hier«, rief Timmy aufgeregt und winkte mir zu. Wie ich erwartet hatte, waren sie alle gekommen, um sich zu verabschieden.

Meine Ersatzfamilie, dachte ich zynisch, doch auch mit einer Spur Wehmut. Schließlich waren diese drei Menschen für mich das, was einer Familie am nächsten kam. Und wenn ich ganz ehrlich zu mir selbst war, hatte ich sie alle ein Stück weit ins Herz geschlossen. Sie waren die Einzigen, mit denen ich gerne zusammen war. Die Einzigen, mit denen ich überhaupt Zeit verbrachte. Freunde hatte ich praktisch gar nicht. Mit Gleichaltrigen hatte ich nie viel anfangen können. Deswegen war ich in der Schule auch stets eine Einzelgängerin gewesen. Ich war irgendwie schon immer ein wenig erwachsener gewesen als meine Mitschüler. Für kindliche Albernheiten und jugendlichen Übermut hatte ich mich noch nie wirklich begeistern können und so hatte ich meist abseits gestanden und den anderen beim Spielen, Herumalbern und Pubertieren zugesehen. Meine Kindheit hatte mit dem Tod meiner Eltern ein jähes Ende gefunden, als ich sieben Jahre alt war. Wäre Zara nicht gewesen, wäre ich … wahrscheinlich hätte ich die übliche Karriere eines Waisenkindes durchlaufen: Herumgereicht von einer Pflegefamilie zur nächsten, hätte ich mit viel Glück einen mittelmäßigen Schulabschluss geschafft, nur um dann für den Rest meines Lebens irgendeinen Job zu machen, den ich hasste. Doch dank Zara war ich nun auf dem Weg nach Oxford, zu einer der besten Universitäten des ganzen Landes, vielleicht sogar der ganzen Welt.

Gentleman, der er war, stieg Jim Prescott aus, um mir das Gepäck abzunehmen und es in dem geräumigen Kofferraum zu verstauen. Ich ging ihm zur Hand und zog dann die Schiebetür des Vans auf, um mich auf die Rückbank neben Timmy zu setzen. Timmy versuchte mit aller Kraft, sich aus den strammen Gurten seines Kindersitzes zu befreien, um auf meinen Schoß zu klettern.

»Hast du dir das wirklich gut überlegt?«, fragte Mr. Prescott, als er auf dem Fahrersitz Platz genommen hatte. »Unser Angebot steht noch. Das Haus ist groß genug und …«, begann er, doch ich unterbrach ihn, um ihm zum hundertsten Mal zu versichern, dass mein Entschluss feststand. Ich wollte weg von hier. Einfach nur weg von dem Ort, der mich in jeder Sekunde an all das erinnerte, was ich verloren hatte.

Mrs. Prescott lächelte mich vom Beifahrersitz aus entschuldigend an.

»Ich hab gestern Abend noch mit Ruth telefoniert, meiner Cousine aus Oxford, erinnerst du dich?«, begann sie in dem üblichen fürsorglichen Tonfall.

»Ja, sie arbeitet dort als Taxifahrerin, nicht?«, überlegte ich laut.

»Ja, genau. Sie hat versprochen, dich heute Abend vom Bahnhof abzuholen«, fuhr Mrs. Prescott fort. »Keine Angst, ich hab ihr nur erzählt, dass Timmys Babysitterin ihr Studium in Oxford beginnt. Schließlich gehst du ja dorthin, um ein neues Leben zu beginnen, und da solltest du selbst entscheiden, wem du was und wie viel erzählst.«

»Danke«, brachte ich verwundert hervor. Dass man einer Fremden nicht gleich meine ganze Lebensgeschichte erzählte, hatte ich eigentlich für selbstverständlich gehalten.

Den Rest der fast zwanzigminütigen Fahrt von Fleetwood zum Bahnhof nach Blackpool schien jeder, bis auf Timmy, der noch immer mit seinem Kindersitz kämpfte, seinen Gedanken nachzuhängen. Als wir schließlich da waren, befreite ich den strampelnden Jungen aus seinen Gurten, wofür er sich mit einem Hechtsprung auf meinen Schoß bedankte. Dann folgte der Teil, vor dem ich mich schon von dem Moment an gefürchtet hatte, als ich den Prescotts erzählt hatte, dass ich wegziehen würde: der Abschied. Die sensible Dana war einem Nervenzusammenbruch nahe. Schluchzend vergrub sie das Gesicht in den Händen und schnäuzte geräuschvoll in ein Papiertaschentuch.

Solche Situationen waren mir schon immer unangenehm gewesen. Ich hatte nie gelernt, mit diesen Dingen umzugehen, und war mehr als erleichtert, als es vorüber zu sein schien und sie sich wieder einigermaßen beruhigt hatte.

»Wir haben noch eine Kleinigkeit für dich«, sagte Jim mit fester Stimme und drückte mir einen Briefumschlag in die Hand. »Damit dürftest du die erste Zeit über die Runden kommen.«

»Nein, das kann ich nicht annehmen. Sie müssen nicht …«, protestierte ich in meiner Überraschung.

»Keine Widerrede«, unterbrach Mr. Prescott mich streng und schloss meine Hand um den prall gefüllten Umschlag.

»Aber ich …«, setzte ich erneut an und erntete einen unnachgiebigen Blick von Jim, der den Arm noch immer tröstend um seine Frau gelegt hatte. »Danke«, sagte ich schließlich und steckte den Umschlag in die Tasche.

»Ruf mich an, wenn du angekommen bist«, verlangte Dana, löste sich von ihrem Mann und presste mich zum dritten Mal an sich. »Aber natürlich«, versicherte ich ihr glaubhaft, schüttelte Mr. Prescott die Hand und drückte Timmy einen schmatzenden Kuss auf die Wange. Dann ging ich schwer bepackt in Richtung Bahnhofshalle, wo ich der digitalen Anzeigetafel entnehmen konnte, dass mein Zug von Gleis vier abfuhr und zwar in genau drei Minuten.

Meine Tasche um den Hals und in jeder Hand einen schweren Koffer, rannte ich quer durch die Halle, weiter durch eine Unterführung und erreichte den Zug genau einen Augenblick bevor sich die Türen schlossen. Das war knapp – verdammte Abschiede!

Noch ganz außer Atem betrat ich das nächstgelegene Abteil auf der Suche nach einem freien Platz. Dann verstaute ich mein Gepäck in der Ablage, ließ mich erschöpft in einen Sitz plumpsen und zog meinen MP3-Player an dem Kopfhörerkabel aus der Tasche. Ein kleines dunkelblaues Buch, das sich in den Kabeln verheddert hatte, fiel mit heraus. Mein Sparbuch. Langsam klappte ich es auf und starrte kopfschüttelnd auf den Betrag. Ich konnte es noch immer nicht fassen.

Wie aus dem Nichts hatte ich das Bild des massiven Holzschreibtisches mitsamt dem breiten Sessel vor Augen, auf dem ich einige Wochen zuvor Platz genommen hatte.

»Zehntausend?«, hatte ich ungläubig ausgerufen.

»Zehntausend«, hatte der Notar ruhig wiederholt. »Ihre Schwester hat einige Vorkehrungen getroffen. Für den Fall, dass ihr etwas zustoßen würde, sollten sie abgesichert sein.« Er hatte gerade das Testament verlesen, in dem schlicht stand, dass ich Zaras gesamten Besitz bekommen sollte und als Begünstigte ihrer Lebensversicherung eingetragen war, die sie ohne mein Wissen abgeschlossen hatte. Obwohl sie es nie ausgesprochen hatte, wusste ich, wie wütend Zara auf unsere Eltern gewesen war, weil sie uns mit nichts als ein paar Stühlen und einem abgewetzten Sofa zurück gelassen hatten.

»Und nun noch eine persönliche Anmerkung Ihrer Schwester«, war der Notar mit dem Verlesen des Testaments fortgefahren und hatte sich verlegen geräuspert. »Mach was Sinnvolles damit. Ich liebe dich«, hatte er zitiert. Ich war in Tränen ausgebrochen. Ich liebe dich auch!

Bevor die Trauer mich erneut überwältigen konnte, steckte ich mir wütend die Kopfhörer meines MP3-Players in die Ohren, scrollte das Display auf und ab, bis ich gefunden hatte, wonach ich suchte – die unsanften Klänge von I’m shipping up to Boston der Dropkick Murphys schienen mir für diesen Anlass durchaus angemessen – und drehte die Lautstärke auf, bis ich meine Gedanken nicht mehr hören konnte.

Insgesamt verlief die vierstündige Fahrt ruhig – ein paar Mal war ich sogar eingedöst – und als der Zug endlich in Oxford einfuhr, war die Dunkelheit schon über die geschichtsträchtige Stadt hereingebrochen. Vor dem Bahnhofsgebäude winkte mich, nachdem ich schwer atmend meine Koffer aus dem Zug gehievt hatte, eine Frau mittleren Alters zu ihrem freien Taxi. Das musste Ruth sein, Mrs. Prescotts Cousine.

»Hi, mein Name ist Evelyn Lakewood«, begann ich, als ich vor ihr stand. »Sind Sie Ruth?«

»Ja«, antwortete sie strahlend. »Hallo Evelyn, willkommen in Oxford.«

Mit vereinten Kräften verstauten wir das Gepäck im Kofferraum, bevor ich auf dem Beifahrersitz Platz nahm und ihr die Adresse meines künftigen Zuhauses nannte, die ich auf ein Post-it gekritzelt hatte.

»Das ist eines der Wohnheime der Universität«, stellte sie fest und fuhr mit einem freundlichen Nicken los. Als sie aus dem Augenwinkel sah, dass ich mir die kalten Hände rieb, drehte sie die Heizung bis zum Anschlag auf, woraufhin mir eine intensive Duftwolke entgegen stieß. Taxis haben einen ganz speziellen Geruch. Einen, den man mit dem Geruch anderer Fahrzeuge nicht vergleichen kann. Eine seltsame, drückende Mischung aus Leder, Kunststoffpolitur und Pfefferminz, die nun, da die aus der Heizung strömende Warmluft den Innenraum erfüllte, noch um ein Vielfaches verstärkt wurde. Während ich meine Hände über die Heizung hielt, blickte ich aus dem Fenster und stellte fest, dass man selbst in der Dunkelheit die Schönheit der alten Gebäude dieser ehrwürdigen Stadt bewundern konnte. Die Architektur der city of dreaming spires hatte mich schon immer fasziniert.

»Was studieren Sie denn, Liebes? Dana hat mir gar nichts darüber erzählt«, fragte Ruth nachdem wir die ersten paar Meilen gefahren waren, und riss mich damit aus meinen Gedanken.

»Psychologie am Christ Church«, antwortete ich und erwiderte ihr Lächeln. Sie wirkte beinahe mütterlich mit ihren weichen Gesichtszügen und den hellbraunen Locken, die sich unter der roten Baskenmütze kräuselten.

»Erstes Studienjahr?«

»Ja, morgen geht’s los. Ich bin im Nachrückverfahren angenommen worden«, erklärte ich und atmete geräuschvoll ein, »die anderen sind mir also ein ganzes Trimester voraus.«

»Dann sind Sie bestimmt nervös«, mutmaßte sie mit mitfühlendem Blick.

»Schon ein bisschen«, gab ich zu.

Sie lächelte verständnisvoll. »Meine Tochter hat hier letzten Sommer ihren Abschluss in Medizin gemacht. Sie arbeitet jetzt im St. Mary’s Hospital in London«, berichtete sie mit einem Strahlen.

»Dann sind Sie bestimmt stolz auf sie«, sprach ich das Offensichtliche aus.

»Oh ja, das bin ich«, nickte sie eifrig. »Ihre Familie ist bestimmt auch sehr stolz auf Sie, wenn Sie an einem so renommierten College studieren«, erkundigte sie sich kurz darauf mit einem erwartungsvollen Lächeln.

Ich schluckte schwer; Mrs. Prescott hatte tatsächlich dicht gehalten.

»Das hoffe ich«, brachte ich einen Augenblick später mit heiserer Stimme hervor, worauf Ruth mich fragend ansah.

»Meine Eltern sind gestorben, als ich noch klein war«, erklärte ich nach einer kurzen Pause, ohne zu wissen, warum ich dieser fremden Frau etwas so Privates erzählte. »Seitdem hat sich meine große Schwester Zara um mich gekümmert …« Ich ließ den Satz in der Luft hängen.

»Hat sich gekümmert?« erkundigte sich Ruth so vorsichtig, als sei sie nicht sicher, ob sie mir diese Frage stellen sollte oder nicht.

»Zara ist vor drei Monaten gestorben. Sie war Polizistin und ist im Einsatz getötet worden.« Meine Stimme bebte.

»Das tut mir sehr leid, Liebes«, beteuerte sie aufrichtig. Ich nickte nur, da ich befürchtete, von dem Kloß in meinem Hals überwältigt zu werden, wenn ich weiter redete, und so sagte eine ganze Weile keine von uns etwas.

»Wir sind da«, verkündete Ruth schließlich und deutete mit der Hand auf ein prachtvolles Gebäude mit der typischen Architektur des frühen siebzehnten Jahrhunderts, vor dessen Eingang sie das Taxi zum Stehen brachte.

»Ich danke Ihnen«, dafür, dass Sie einfach ein netter Mensch sind!

Sie kritzelte noch kurz etwas auf einen Zettel und stieg dann aus, um mein Gepäck aus dem Kofferraum zu wuchten. Ich beeilte mich, ihr dabei zu helfen und drückte ihr den Betrag, den ich auf dem Taxameter gelesen hatte, in die Hand, doch jede Bezahlung lehnte sie vehement ab. Nach dem üblichen Hin und Her wollte ich mich gerade verabschieden, als sie mich sanft am Arm festhielt.

»Das ist meine Telefonnummer«, sie streckte mir einen Zettel entgegen, »ruf mich bitte an, wenn du mit jemandem reden möchtest, Liebes.« Das plötzliche Du überraschte mich ein wenig. Behutsam legte sie das Stück Papier in meine Hand und schloss meine Finger darum. Ich wollte etwas darauf erwidern, doch ich brachte keinen Ton heraus. Obwohl ich mich dafür schämte, ließ ich mich von ihr in den Arm nehmen.

»Wenn der Schmerz nachlässt, bleibt die Liebe in ihrer reinsten Form«, klang ihre Stimme leise an meinem Ohr; und bei diesen Worten brachen alle Dämme. So sehr ich die Tränen auch zurückzuhalten versuchte, es gelang mir nicht. All die Trauer, die Wut und Verzweiflung; all die Gefühle, die ich so lange Zeit nicht hatte zulassen wollen, stürmten in diesem Moment mit voller Wucht auf mich ein. Sich dagegen zu wehren war aussichtslos – und so weinte ich an der Schulter einer Fremden.

»Geh jetzt besser rein, Evelyn, sonst erkältest du dich noch«, riet sie mir, sobald ich meinen Tränenfluss wieder unter Kontrolle hatte.

»Vielen Dank, Ruth. Für alles.« Sie streichelte mir mit dem Handrücken über die Wange, stieg in das Taxi und nachdem sie winkend weggefahren war, atmete ich tief durch, nahm meine Koffer und sah mich um. Ich stand bereits vor dem verschneiten Eingang des Wohnheims. Auch wenn ich noch nie zuvor hier gewesen war, kannte ich das Gebäude von Fotos aus dem Internet und wusste, dass ich an der richtigen Adresse war. Es war eines der beeindruckenden alten Bauwerke, die ich an dieser Stadt so bewunderte. Eine schwere, dunkle Holztür und hohe Fenster, die mit etlichen Spitzen und Ornamenten verziert waren, verliehen dem Haus eine Form von Würde, die man normalerweise ausschließlich Menschen beimaß. Inmitten der weißen Winterlandschaft hatte das Haus etwas Geheimnisvolles, ja beinahe Mystisches.

Im großzügigen Eingangsbereich wurde ich bereits von einer studentischen Hilfskraft erwartet. Ein pedantischer, pickliger Typ mit Brille, der aussah wie ein viel zu jung geratener Professor und sich auch genauso benahm. Er führte mich über eine breite, lackierte Holztreppe mit wackligem Geländer hinauf in den ersten Stock zu meinem Zimmer und ratterte schroff die Hausordnung herunter. Während ich mit halbem Ohr seinen Ausführungen und den Drohungen, was es für Folgen hätte, wenn man sich nicht an die Regeln hielt, lauschte, nahm ich das Zimmer genauer in Augenschein.

Es war hell. Größer, als ich erwartet hatte, und mit einem eigenen kleinen Badezimmer ausgestattet. Erleichtert atmete ich auf. Ich hatte mir schon ein Etagenbadezimmer ausgemalt, vor dem man sich morgens anstellen musste, bis man an der Reihe war, sich die Zähne zu putzen. Außerdem gab es in einem kleinen Erker ein großes, mit hellen Vorhängen umrahmtes Fenster, das tagsüber genügend Licht ins Zimmer lassen würde. Das Bett, inklusive Nachttisch, war groß genug, die Matratze so gut wie neu und die antik anmutende Kommode bot neben einem ebenso alten Kleiderschrank genug Platz für meine spärlichen Habseligkeiten. Ein schmaler Schreibtisch mit Holzstuhl vervollständigte die Einrichtung.

Schlicht, aber schön, stellte ich zufrieden fest und als der Pedant endlich die Tür hinter sich zugezogen hatte, machte ich mich mit einem Seufzen ans Auspacken. Zuerst verstaute ich meine überwiegend dunklen Klamotten im Kleiderschrank, dann bezog ich die Matratze mit meiner olivgrünen Lieblingsbettwäsche und räumte den Inhalt meines Waschbeutels in den Spiegelschrank des kleinen Badezimmers, das mit einem Waschbecken, einer Toilette und einer schmalen Dusche ausgestattet war. Obwohl ich es natürlich nicht erwartet hatte, war ich ein bisschen enttäuscht, dass es keine Badewanne gab. Ich liebte das Wasser und verschwand am liebsten ganz darin. Zu Hause in Fleetwood war ich innerhalb von ein paar Minuten am Wasser gewesen, hier würde ich mich mit der engen Dusche begnügen müssen. Aber wenigstens musste ich sie mit niemandem teilen. Dann schrieb ich noch eine knappe SMS an Mrs. Prescott, um ihr mitzuteilen, dass ich wohlbehalten angekommen war. Ein unter Umständen stundenlanges Telefonat mit ihr wollte ich mir im Moment lieber ersparen. Zuletzt positionierte ich zwei gerahmte Fotos auf dem kleinen Nachttisch. Das erste zeigte meine Eltern, als sie um die dreißig waren und sich verliebt in die Augen schauten, das zweite war der Schnappschuss von Zara und mir, den ihr damaliger Freund auf dem Jahrmarkt gemacht hatte. Wieder spürte ich den Kloß in meinem Hals und die Tränen in mir aufsteigen. Was, um Himmels willen, war heute nur los mit mir? Was sollte diese ständige Heulerei? Aber … ach, was soll’s?, dachte ich. Wenn ich schon mal mit dem Heulen angefangen hatte, konnte ich es auch gleich richtig machen. Dann hätte ich wenigstens für eine Weile meine Ruhe. Vorsichtig holte ich in Gedanken die kleine schwarze Kiste aus meinem Unterbewusstsein hervor und öffnete sie zaghaft. Nur eine oder zwei Erinnerungen, mehr wollte ich mir gar nicht ansehen. Nur ein paar Bilder. Bilder, die ich mir normalerweise verbot, weil sie zu schmerzhaft waren. Weil ich Angst hatte, daran zu zerbrechen. Doch nun ließ ich es ganz bewusst zu. Ich sah Mom und Dad vor mir. Sie hielten sich an den Händen, lächelten mich an. Zara. Sie war bei ihnen. Sah glücklich aus.

Schluchzend vergrub ich das Gesicht in meinem Kissen. Ich war vollkommen allein auf der Welt.

Kapitel 3

Licht drang durch den hellen Vorhang und weckte mich sanft.

Wo bin ich? Schlagartig fiel es mir wieder ein – ich war in meinem Wohnheimzimmer in Oxford. Wie spät ist es? Suchend tastete ich nach meinem Wecker auf dem Nachttisch. Er war nicht da. Mist! Er musste noch in einem meiner Koffer sein. Blitzschnell fuhr ich hoch und stellte fest, dass ich noch meine Klamotten vom Vortag trug. Ein Blick auf mein Handy zeigte, dass es bereits kurz nach halb acht war. Um acht begann meine erste Vorlesung und ich hatte noch keine Ahnung, wo ich eigentlich hin musste.

Na toll, das fängt ja super an!

Für eine Dusche war keine Zeit mehr, also begnügte ich mich damit, die Zähne zu putzen und mir ein bisschen kaltes Wasser ins Gesicht zu spritzen, um meine verheulten Augen abschwellen zu lassen. Da ich meine Bürste nicht finden konnte, fuhr ich mir mit den Fingern durchs Haar und knotete es wirr im Nacken zusammen.

Hastig schlüpfte ich in meine schwarzen Boots, warf den Mantel über, schnappte meine Tasche, ließ die Schlüssel hinein fallen und eilte zur Tür hinaus.

07:50 Uhr, verriet mein Handydisplay, während ich über das vereiste Kopfsteinpflaster der Innenstadt Oxfords hetzte. Schlitternd bog ich um die nächste Ecke, als ich plötzlich erstarrte. Aus dem Augenwinkel glaubte ich einen Mann gesehen zu haben – einen Mann mit schwarzen Lederhandschuhen und eingefrorenem Gesichtsausdruck. Mit weit aufgerissenen Augen fuhr ich herum. Doch dort, wo ich den Kerl vermutet hatte, konnte ich nur eine gewöhnliche Straßenlaterne erspähen. Allmählich machte ich mir ernsthaft Sorgen, den Verstand zu verlieren. Was sollte dieser Typ auch hier in Oxford wollen? Zweihundert Meilen von dem Ort entfernt, an dem ich ihn zuletzt gesehen hatte? Das war vollkommen absurd. Ich versuchte den Gedanken zu verbannen und rannte weiter. Wenigstens hatte ich alle Unterlagen, die ich für den ersten Tag brauchte, in einer Mappe gesammelt, die ich jetzt eilig, an verschiedenen Büchern vorbei, aus meiner Tasche zog, um herauszufinden wo meine erste Vorlesung stattfand.

Während ich unter dem gewaltigen Tor des Tom Tower, dem Haupteingang zum Christ Church College, hindurch und über den Innenhof rannte, überflog ich die Dokumente in der blauen Mappe und stieß schließlich auf meinen Stundenplan.

Montag, 08:00 Uhr, Vorlesung: Narzissmus und Destruktivität, Professor Carl Bronsen, Hörsaal 7, las ich auf dem handgeschriebenen Zettel.

Wo zum Teufel ist Hörsaal 7?

»Kann ich dir helfen? Du siehst aus, als hättest du dich verlaufen.« Eine junge Frau mit Burberry-Schal und schulterlangen roten Haaren grinste mich an.

»Ja«, antwortete ich verdutzt, »ich muss in fünf Minuten in Hörsaal 7 sein – weißt du, wo das ist?«

»Narzissmus und Destruktivität bei Bronsen?«, erkundigte sich die Rothaarige.

»Ja, genau!«, erwiderte ich erleichtert. Offensichtlich kannte sie sich aus.

»Da läufst du am besten hier nach rechts«, sie wies mit der Hand in die Richtung, die sie meinte, »biegst nach etwa hundert Meter an dem kleinen Brunnen rechts ab, gehst die Treppe bis ganz nach oben und dann stehst du direkt vor dem Eingang.«

Ich versuchte mir die Wegbeschreibung einzuprägen, dankte ihr und rannte los.

»Keine Ursache«, rief sie mir hinterher und klang dabei, als müsste sie ein Lachen unterdrücken.

Ich glaubte schon, zu weit gelaufen zu sein, als ich endlich den kleinen Brunnen erreichte. Wie die Rothaarige gesagt hatte, bog ich links ab, rannte die Treppe hinauf und blieb dann abrupt stehen, als ich mich direkt vor dem Speisesaal, der Dining Hall, wieder fand. Ich runzelte die Stirn und hielt Ausschau nach Hörsaal 7.

Nein, das war eindeutig die Dining Hall. Hier gab es gar keine Hörsäle.

Ich zog mein Handy aus der Tasche – es war 08:05 Uhr.

War ich zu früh abgebogen? Hatte die Rothaarige sich vertan? Hier war ich auf jeden Fall nicht richtig. Plötzlich fiel mir ein, dass ich irgendwo in meiner Mappe einen Lageplan des Collegegeländes haben müsste. Ich kramte in meiner Tasche und zog ihn schließlich hervor.

Okay, mal sehen … hier ist die Dining Hall, da der kleine Brunnen, an dem ich vorbei gelaufen bin, und dort müsste Hörsaal 7 sein.

Mich traf fast der Schlag. Ich war exakt die Strecke mit dem Finger auf der Karte nachgefahren, die ich gerade gerannt war. Dieses rothaarige Miststück hatte mich absichtlich in die falsche Richtung geschickt, als ich direkt vor dem Eingang gestanden hatte!

Ich lief den ganzen Weg zurück, fiel sogar einmal fast hin, als ich auf dem eisglatten Boden ausrutschte, stieß die Außentür auf und fand mich schließlich, völlig außer Atem, vor dem Hörsaal wieder. Die Zeitanzeige auf meinem Handy verriet mir, dass ich mittlerweile fast zwanzig Minuten zu spät war. Verdammt! Ich atmete einmal tief durch und schlüpfte so leise wie möglich durch die Tür. Auf Zehenspitzen schlich ich hinein, penibel darauf bedacht, kein Aufsehen zu erregen. Dann fiel mir ein freier Platz in der letzten Reihe ins Auge. Perfekt. Bis jetzt hatte mich glücklicherweise fast niemand bemerkt. Vorsichtig klappte ich die hölzerne Sitzfläche herunter und setzte mich mit einem erleichterten Seufzen, als im selben Moment der Sitz unter mir nachgab und ich mit einem dumpfen Knall auf dem Boden landete. Ein Wort, das ich niemals in der Öffentlichkeit benutzt hätte, drang über meine Lippen. Augenblicklich spürte ich, wie sich die Hitze in meinem Gesicht ausbreitete und meine Wangen in ein leuchtendes Rot tauchte.

Das darf doch nicht wahr sein, dachte ich und rappelte mich mühsam auf. Als ich dann aber aufsah und zu meinem Entsetzen feststellen musste, dass mir jeder einzelne Kopf im Hörsaal – es waren mindestens fünfzig – zugewandt war, wäre ich am liebsten gleich wieder unter dem Tisch verschwunden. Plötzlich flackerte das Licht. Irgendetwas stimmte wohl mit der Deckenbeleuchtung nicht, doch zu meinem Glück zog das die Aufmerksamkeit einiger Studenten auf sich und sie wandten den Blick ab. Verlegen sah ich mich um. Die Unterlagen aus der blauen Mappe und der restliche Inhalt meiner Tasche waren in einem Umkreis von mindestens drei Metern auf dem Boden verstreut. Seufzend machte ich mich daran, meine Sachen einzusammeln, und bemühte mich, das boshafte Kichern und etwas, das wie ein höhnisches »Alles klar, Blondie?« klang, zu ignorieren. Es war die Rothaarige, die sich einen Spaß daraus gemacht hatte, mich zur Dining Hall zu schicken und nun von oben auf mich herabblickte – keineswegs darauf bedacht, ihre Schadenfreude zurück zu halten.

Oh Gott, das darf doch alles nicht wahr sein!

Auf einmal streckte mir eine schmale Hand mit kurzen, knallbunt lackierten Fingernägeln mein Exemplar von Erich Fromms Anatomie der menschlichen Destruktivität entgegen. Sanfte grüngraue Augen in einem herzförmigen, von kinnlangen, dunkelrot-violett gefärbten Haaren umrandeten Gesicht begegneten meinem Blick.

»Hast du dir wehgetan?«, erkundigte sich das Mädchen aufrichtig und lächelte so breit, dass der Stecker in ihrem rechten Nasenflügel zu funkeln begann.

»Nein, alles in Ordnung«, brachte ich beschämt hervor und fügte hastig noch ein »Danke« hinzu.

»Komm, neben mir ist noch ein Platz frei«, bot sie mir flüsternd an, nachdem wir gemeinsam meine Sachen zusammengesammelt hatten. Und nun, da wir uns gegenüber standen, fiel mir auf, wie klein sie war – höchstens eins sechzig, denn ich überragte sie um gute zehn Zentimeter – und dass sie für ihre zierliche Figur eine auffallend üppige Oberweite hatte. Ich nickte dankend und folgte ihr. Der Professor hatte seine Ausführungen widerwillig unterbrochen und schüttelte sichtlich verärgert über die von mir verursachte Unruhe den Kopf.

»Augen nach vorne, die Show ist vorbei!«, mahnte er seine Studenten zur Konzentration.

Nachdem ich die Stabilität der Sitzfläche gründlich überprüft hatte, nahm ich neben meiner Helferin Platz, und obwohl ich sicher war, das Schlimmste überstanden zu haben, konnte ich das seltsame Gefühl beobachtet zu werden noch immer nicht abschütteln. Auf der Suche nach der Ursache dieses Unbehagens, hob ich zaghaft den Kopf – und dann sah ich … ihn. Seine leuchtend dunkelblauen Augen waren noch immer starr auf mich gerichtet, während sich alle anderen Köpfe wieder nach vorne gedreht hatten. Ich war wie hypnotisiert.

»Ich bin Sally«, flüsterte mir meine Nebensitzerin leise von der Seite zu, um den Professor nicht noch einmal zu verärgern, und riss mich damit aus dem Bann dieser unfassbar blauen Augen. Plötzlich war es mir fürchterlich peinlich, einen Fremden derart anzustarren, und ich drehte mich dem Mädchen zu.

»Ich bin Evelyn. Danke noch mal für deine Hilfe«, fügte ich nach einer kurzen Pause aufrichtig hinzu. Ich war ihr wirklich dankbar. Vor allem weil sie mir das Gefühl vermittelte, nicht nur von arroganten, selbstgefälligen Schnöseln umgeben zu sein, die einen aus purer Bosheit in die falsche Richtung schickten, sondern auch von ganz normalen Leuten.

»Hast du dir wirklich nicht wehgetan? Das sah ziemlich brachial aus«, erkundigte sie sich besorgt und ein wenig belustigt.

»Nein, alles in Ordnung.« Bei dem Gedanken an meine unfreiwillige Showeinlage, musste ich tatsächlich auch ein bisschen lächeln.

»Mann, da hat eben echt jeder hergesehen. Sogar der arrogante Calmburry. Und der interessiert sich normalerweise nur für sich selbst«, ergänzte Sally, sichtlich darum bemüht, ein Kichern zu unterdrücken.

»Calmburry?« Irgendwo hatte ich den Namen schon mal gehört. Wieder flimmerte die Deckenbeleuchtung. Was stimmte denn mit dem Licht hier drin nicht? Waren die Stromleitungen überlastet?

»Du bist wohl nicht von hier, was?«

»Nein, ich komme aus Fleetwood.« Irgendwie hörte sich das an, als müsste ich mich dafür schämen.

»Jared Lord of Calmburry. Der da vorne mit den kurzen braunen Haaren«, half sie mir auf die Sprünge und deutete mit dem Finger auf den Fremden mit den Indigoaugen, der mich eben noch angestarrt hatte. Sie hatte meine ungeteilte Aufmerksamkeit.

»Und … wer genau ist er?« fragte ich, sehr darum bemüht, mir meine Neugierde nicht anmerken zu lassen.

Sally sah mich an, als würde ich hinterm Mond leben. »Er ist der letzte Überlebende des Calmburry Clans«, erklärte sie langsam, als wäre ich schwer von Begriff.

»Seine Familie ist eine der ältesten Englands. Oder besser gesagt: war. Sie sind alle bei einem Flugzeugabsturz vor zwölf Jahren ums Leben gekommen – beide Eltern, die Schwester und der Onkel. Er war der Einzige, der überlebt hat. Es war überall in den Medien.« Verständnislos sah sie mich an. »Hast du davon echt nichts mitbekommen?«

»Nein.« Möglicherweise weil ich vor zwölf Jahren durch den Tod meiner eigenen Eltern etwas abgelenkt war?!

»Er tut mir echt leid deswegen«, fuhr sie fort, »aber ich kann ihn trotzdem nicht leiden.«

»Hmm«, war alles, was ich als Antwort zustande brachte. In meinen Ohren begann es bereits zu rauschen. Jared Calmburry war der Letzte seiner Familie … wie ich. Er hatte alles verloren … genau wie ich.

So unauffällig wie möglich musterte ich den vier Reihen vor mir sitzenden Fremden. Sein grauer Pullover machte einen ziemlich teuren Eindruck, die kurzen haselnussbraunen Haare, die an den Spitzen in einen dunklen Goldton übergingen, saßen perfekt – zumindest soweit ich das von seiner Rückansicht beurteilen konnte. Ich versuchte mir in Erinnerung zu rufen, wie sein Gesicht ausgesehen hatte, als wir uns ein paar Minuten zuvor in die Augen geblickt hatten.

Als hätte er meinen Gedanken gehört, neigte sich Calmburry leicht zur Seite und drehte den Kopf, um auf eine Frage seines Nebensitzers zu antworten, wie es schien. Er hatte ein wunderschönes Profil. Eine kleine, gerade Nase; dichte, dunkle Wimpern, die seine einzigartigen Augen umrahmten, und vollkommen glatte, reine Haut. Seine weichen, aber gleichzeitig maskulinen Gesichtszüge waren atemberaubend. Verstohlen begutachtete ich seinen Körper. Jared war weder schmächtig, noch ein aufgeblasener Muskelprotz. Vielmehr hatte er die Figur eines Athleten. Unwillkürlich fragte ich mich, welche Sportart einen derart perfekten Körper formen würde. Und vor allem, wie oft man diesen Sport betreiben musste.

»Ich weiß, dass er gut aussieht, aber glaub mir: Er ist die Mühe nicht wert!«, flüsterte mir Sally nachdrücklich ins Ohr. Ich war so sehr in seinen Anblick vertieft gewesen, dass ich vor Schreck beinahe vom Stuhl gefallen wäre, als sie mich ansprach.

»Außerdem verkehrt er nur mit Seinesgleichen. Solltest du also nicht mindestens eine Million auf dem Konto haben, vergisst du ihn besser gleich.«

Überaus beschämt darüber, Jared Calmburry so offensichtlich gemustert zu haben, wandte ich mich widerwillig ab und konzentrierte mich auf die Vorlesung. Mit mäßigem Erfolg. Mein Blick glitt unweigerlich immer wieder dorthin, wo er saß.

Als der Professor schließlich das Ende der Vorlesung verkündete, verabschiedete sich Sally mit einem »Wir sehen uns, bis dann« und eilte zur Tür hinaus. Ich hatte keine Zeit zu überlegen, wo sie so schnell hin wollte, denn einen Herzschlag später klebte mein Blick wieder an Jared, der zwischen den anderen Studenten durch die Stuhlreihen zum Mittelgang des Hörsaals drängte. Plötzlich versperrte mir jemand die Sicht.

»Da hast du dem guten alten Professor Bronsen aber ordentlich die Show gestohlen«, sagte eine freundliche Männerstimme.

»Ja. Scheint so«, gab ich geistesabwesend zurück.

»Er lässt sich während seines stundenlangen Monologs über Libido und Destrudo nicht gerne unterbrechen.« Ein Lächeln breitete sich auf seinem Gesicht aus. »Du kannst nur hoffen, dass er deinen Namen nicht kennt, sonst zieht er dir in der Prüfung für deinen kleinen Stunt eine Note ab.« Das Lächeln des Studenten wurde noch breiter. Ich erwiderte es halbherzig und schielte gleichzeitig über seine Schulter, auf der Suche nach Jared. Vergeblich. Er war in der zum Ausgang drängenden Menge verschwunden.

»Ich bin übrigens Felix«, fuhr er unbeirrt fort und als ich nicht reagierte, fügte er belustigt hinzu: »Keine Angst, du kannst mir deinen Namen ruhig anvertrauen, ich verrate dem alten Bronsen kein Sterbenswörtchen.« Feierlich hob er die Hand wie zu einem Schwur und machte eine gespielt ernste Miene. »Versprochen!«

»Oh, entschuldige«, antwortete ich mit einem leichten Kopfschütteln und streckte ihm meine Hand entgegen, »Evelyn.«

»Nun, Evelyn«, er sprach meinen Namen beinahe zärtlich aus, »was hast du als Nächstes?«

Noch immer etwas überfordert mit diesem unerwarteten Gespräch, kramte ich in meiner Tasche, zog meinen mittlerweile zerknitterten Stundenplan heraus und warf einen Blick darauf.

»Einführung in die Psychologie bei Professor Harrison in Hörsaal 4.«

»Darf ich dich begleiten?«, bot er mir freundlich an. »Ich kenne jeden reparaturbedürftigen Stuhl in diesem College – eine Bruchlandung für heute reicht, oder?« Erneut breitete sich ein Lächeln auf seinem Gesicht aus und als ich ihn nun erstmals richtig ansah, fiel mir auf, wie sympathisch Felix wirkte. Die zerzausten schwarzen Locken umrahmten sein ovales Gesicht und passten perfekt zu den dunklen Augen, um die sich bereits erste kleine Lachfältchen gebildet hatten. Er grinste so breit, dass sich auf seinen Wangen kleine Grübchen bildeten und seine strahlend weißen Zähne sichtbar wurden. Bei genauerem Hinsehen fiel mir auf, dass der linke Schneidezahn ein bisschen schief war und ein ganzes Stück über seinen rechten Nachbarn ragte. Alles in allem war Felix … hübsch. Ich konnte nicht anders, als sein Lächeln zu erwidern.

»Okay«, willigte ich ein, »nach dir.«

Wir bahnten uns zwischen den anderen Studenten einen Weg aus dem Hörsaal.

»Ich hab dich hier noch nie gesehen. Hast du das College gewechselt? Oder das Studienfach?«, fragte er neugierig, während wir ins Freie hinaustraten. Es hatte wieder angefangen zu schneien und dicke, nasse Flocken klatschten mir ins Gesicht. Da ich weder Schal, noch Mütze oder Handschuhe dabei hatte, blieb mir nichts anderes übrig, als meinen Mantel ein bisschen enger um mich zu schlingen und den Kopf einzuziehen, um mich vor dem Wetter zu schützen. Felix tat es mir gleich.

»Nein, heute ist mein erster Tag«, rief ich gegen den eisigen Wind. »Ich bin im Nachrückverfahren angenommen worden.«

»Na, dann war das heute ja ein gelungener Start ins Studium«, spielte er lächelnd noch einmal auf meinen Sturz an.

»Das kann man wohl sagen. Ich bin gestern Abend erst angekommen, heute Morgen hab ich verschlafen und … na ja, den Rest kennst du ja.« Dass die Rothaarige mich außerdem in die falsche Richtung geschickt hatte, verschwieg ich.

»In welchem Studienjahr bist du denn?«, erkundigte ich mich, nachdem wir ein paar Schritte über eine verschneite Wiese, abseits des Fußweges, gegangen waren und uns aus dem Studentenpulk gelöst hatten.

»Auch im ersten, aber ich hab schon letztes Jahr im Oktober angefangen.«

»Und wie gefällt es dir bis jetzt?«

»Die Vorlesungen und Seminare sind ziemlich gut«, er zögerte, »aber die Leute hier sind, sagen wir mal, gewöhnungsbedürftig.«

»Wie meinst du das?«

»Sieh dich doch mal um«, mit einem Mal schien er aufgebracht. »Lauter reiche Söhnchen. Die sind alle Mitglied in irgendeiner elitären Verbindung, haben Kohle ohne Ende und machen bei jeder Gelegenheit einen auf dicke Hose.«

Das erinnerte mich an das, was Sally vorhin gesagt hatte.

»Meinst du jemand Bestimmtes?«, hakte ich nach, da ich mir keinen Reim auf Felix’ plötzlichen Stimmungsumschwung machen konnte.

»Ach, die meisten hier sind so«, sagte er abfällig, »der Schlimmste ist aber glaub ich dieser Calmburry.« Ich horchte auf. »Immer von seinen Leuten umringt, die ihm auf Schritt und Tritt folgen. Am besten ist es, wenn man diesen Verbindungstypen von Anfang an aus dem Weg geht.«

»Hat er dir etwas getan?«, bohrte ich nach, begierig, noch mehr über Jared zu erfahren.

Felix lächelte mich bedeutungsvoll an. »Weißt du«, begann er seltsam gedehnt, »jemand wie ich muss sich im Leben alles hart erarbeiten – ich studiere hier mit einem Stipendium, für das ich mir den Arsch aufgerissen habe. Während jemand wie er sich einfach kaufen kann, was er möchte. Ich bin sicher, dass er seine Noten nur einer großzügigen Spende aus dem Erbe seiner stinkreichen Familie zu verdanken hat.« Felix’ unerwartete Feindseligkeit ließ mich ein bisschen zurückschrecken und wir gingen schweigend nebeneinander her, bis er fragte: »Was ist mit dir? Hast du Kohle?«

Einen Augenblick war ich verblüfft über diese direkte und indiskrete Frage, doch ein Blick in sein Gesicht verriet, dass er es nicht ganz ernst meinte.

»Soll ich darauf echt antworten?«, fragte ich mit hochgezogenen Augenbrauen.

»Das musst du nicht«, er hielt einen Moment inne und sah mich eindringlich an. »Ich habe vom ersten Augenblick an gesehen, dass du anders bist als die anderen hier.«

Was war das denn? Flirtete er etwa mit mir? Wir kannten uns gerade mal ein paar Minuten.

»Ähm … danke«, antwortete ich verlegen und verwundert zugleich, woraufhin er in schallendes Gelächter ausbrach.

»Wir sind da«, erklärte Felix, sobald er sich wieder gefangen hatte. »Hörsaal 4.«

»Vielen Dank«, erwiderte ich aufrichtig und schlüpfte an ihm vorbei zum Eingang.

»Evelyn«, rief er mir nach, kaum dass ich mich umgedreht hatte, »weißt du, wo die Dining Hall ist?« Das wusste ich nur zu gut, schließlich hatte ich am Morgen schon direkt davor gestanden.

»Ja, wieso?«

»Hast du Lust mit mir zu Mittag zu essen?«

»Ja, klar«, antwortete ich, ohne nachzudenken, und bereute meine überstürzte Zusage eine Sekunde später. Er strahlte über beide Ohren.

»Okay, dann treffen wir uns in der Mittagspause vor der Dining Hall. Bis nachher.«

Bevor ich darauf reagieren konnte, wandte er sich um und ging in die Richtung davon, aus der wir eben gekommen waren.

Oh Mann, ich musste mich unbedingt zusammenreißen. Der Tag hatte schon unmöglich angefangen – erst hatte ich verschlafen und war der Rothaarigen gründlich auf den Leim gegangen, dann hatte ein völlig Fremder mich mit einem einzigen Blick total aus dem Konzept gebracht und Felix hatte es zweimal geschafft, mich zu überrumpeln. Wenn ich mich nicht endlich sammelte, könnte noch weiß der Himmel was passieren.

Für einen Moment schloss ich kopfschüttelnd die Augen, atmete ein weiteres Mal tief durch und schritt durch die mächtige, mit Schnitzereien verzierte Holztür. Dabei schüttelte ich die dicken Schneeflocken von meinem Mantel und trocknete mein Haar behelfsmäßig mit einem Taschentuch, ehe ich mir einen Platz in Hörsaal 4 suchte. Nach und nach setzten sich auch meine Kommilitonen, und Professor Leonard Harrison begann pünktlich mit der Vorlesung Einführung in die Psychologie.

Harrison war ein Professor, wie er im Buche steht. Er trug die obligatorische Tweed-Jacke über dem dunkelblauen Pullunder, unter dem ein weißer Hemdkragen hervorblitzte. Abgewetzte schwarze Lederslipper und eine dieser zu hoch sitzenden Altmännerhosen vervollständigten sein Outfit. Um seine Stirnglatze zu verbergen, hatte er sich das spärliche graue Haar quer über den Kopf gekämmt. Die goldgeränderte Halbmondbrille saß ihm ganz vorne auf der Nasenspitze und als er zur Begrüßung lächelte, gab er den Blick auf eine Reihe krummer und schlecht gepflegter Zähne frei.

Den Großteil dessen, was er in der Vorlesung behandelte, wusste ich bereits aus meinem Psychologie-Vorbereitungskurs. Trotzdem schrieb ich sorgfältig mit, schließlich fehlten mir ein paar Monate Stoff im Vergleich zu den meisten anderen hier.

Als Professor Harrison seine Vorlesung beendet hatte, sah ich auf meinem Stundenplan nach, wo ich als nächstes hin musste und stellte zufrieden fest, dass sowohl Statistik als auch Geschichte der Psychoanalyse in Hörsaal 4 stattfanden. Ich konnte also einfach sitzen bleiben und mich zurücklehnen.

Statistik bei Professor Sigmund Gallert brachte mich etwas ins Schwitzen. Für Mathe hatte ich noch nie viel übrig gehabt und Gallerts Sprachfehler – eine Art nuschelndes Lispeln – machte es auch nicht gerade einfacher, den komplexen Berechnungen zu folgen, da ich mir ständig ein Kichern verkneifen musste. Wenigstens schien es meinen Kommilitonen nicht anders zu ergehen, wie ich erleichtert feststellte. Obwohl ich trotz allem einigermaßen verstanden hatte, was Professor Gallert versuchte zu vermitteln, musste ich unbedingt den verpassten Stoff nachholen. Vielleicht sollte ich mich einer Lerngruppe anschließen? Ich beschloss, mich möglichst bald nach einer umzusehen.

Froh, Gallerts befreiendes »Schluss für heute« zu hören, lehnte ich mich zurück und versuchte mich für einen Moment zu entspannen.

Dann, wie auch schon nach Einführung in die Psychologie, beobachtete ich, wie die meisten Studenten fluchtartig den Raum verließen und neue hereinkamen. Mit einem Unterschied: Diesmal wirkte alles sehr viel hektischer. An den Hinausströmenden vorbei drängten bereits kurz nach Vorlesungsende etliche Studenten herein, um sich einen Platz zu sichern. Schon nach ein paar Minuten versprach es richtig voll zu werden und selbst die sonst so unbeliebten Plätze in der ersten Reihe waren schnell vergeben. Sogar als alle Stühle besetzt waren, strömten noch immer Leute ins Innere und ließen sich, verärgert darüber, keinen Sitzplatz mehr ergattert zu haben, auf der Treppe im Mittelgang nieder. Meine Erwartungen an diese Vorlesung wuchsen von Minute zu Minute. Geschichte der Psychoanalyse, Professor Karen Mayflower, las ich noch einmal auf meinem zerknitterten Stundenplan und hob gespannt den Kopf, als die Dozententür an der Stirnseite des Hörsaals sich geräuschvoll öffnete und jemand eintrat.

Professor Mayflower war eine gut gekleidete, hochintelligente und durchaus attraktive Frau Mitte fünfzig, die mich vom ersten Moment an beeindruckte. Ich hing an ihren Lippen und saugte begierig jedes ihrer Worte auf. Eine Stunde später hatte ich bereits meinen halben Block mit Mitschriften vollgekritzelt. Ich hatte so viel geschrieben, dass es mich allmählich sogar ziemlich anstrengte, auf das weiße Papier zu starren. Bildete ich mir das nur ein, oder war es wahnsinnig hell hier drin? Ich überlegte gerade, ob sie hier ganz besonders starke Neonröhren verwendeten, als ich einen bohrenden Blick in meinem Hinterkopf spürte. Langsam drehte ich mich um, um diesem unbehaglichen Gefühl des Beobachtetwerdens auf den Grund zu gehen – und hielt wie vom Schlag getroffen mitten in der Bewegung inne. Jared Calmburry saß, durch das Gefälle im Hörsaal deutlich erhöht, etwa fünf Reihen hinter mir und starrte mich an. Als ich merkte, dass es sein Blick war, den ich auf mir gespürt hatte, erschrak ich so sehr, dass ich mich blitzschnell wieder nach vorn drehte. Im selben Moment begann das Licht urplötzlich zu flackern.

Was hat das zu bedeuten?

Noch immer spürte ich seinen Blick in meinem Nacken und kämpfte mit aller Kraft gegen den Drang, mich erneut umzudrehen. Waren seine Augen schon die ganze Zeit auf mich gerichtet gewesen und ich hatte es nur nicht bemerkt, weil ich auf Professor Mayflower konzentriert gewesen war? Oder bildete ich mir das Ganze doch nur ein und Calmburry beobachtete mich gar nicht. Wieso sollte er auch? Nach dem, was Sally und Felix mir erzählt hatten, würde er sich sowieso nicht mit jemandem wie mir abgeben. Aber warum spürte ich dann noch immer seinen Blick auf mir ruhen? Vorsichtig drehte ich mich erneut um und sah ihn an. Er blickte mir direkt in die Augen – mein Herz setzte einen Moment aus. Ich hatte mich also nicht getäuscht, Calmburry beobachtete mich tatsächlich. Selbst aus dieser Entfernung konnte ich seine tiefblauen Augen beinahe leuchten sehen. Die Kiefermuskeln hatte er deutlich angespannt und der Ausdruck in seinem Gesicht wirkte neugierig und ungläubig zugleich. Aber da war noch etwas anderes … Faszination? Ich konnte es nicht benennen.

»Hätten Sie wohl die Güte dem Unterricht zu folgen, meine Liebe?«

Ich erstarrte. Meinte sie mich? Hastig drehte ich mich wieder nach vorne und begegnete Professor Mayflowers tadelndem Blick. Doch dann, von einer Sekunde auf die andere, wandelte sich der Ausdruck auf ihrem Gesicht. Sie riss die Augen auf, öffnete ungläubig den Mund und blickte abwechselnd von mir zu dem ein paar Reihen hinter mir sitzenden Calmburry.

»Nimue«, murmelte sie perplex, »das ist unmöglich!« Für einen kurzen Moment sah die Professorin aus, als erleide sie gerade einen Schlaganfall. Dann schüttelte sie den Kopf, als wollte sie einen Gedanken vertreiben, stotterte etwas, das nach »Entschuldigung« klang, und verließ fluchtartig den Hörsaal, kurz bevor die Vorlesungszeit um war.

»Was