In Blut geschrieben - Anne Bishop - E-Book

In Blut geschrieben E-Book

Anne Bishop

5,0

Beschreibung

Entdecke eine Welt, die von den Anderen bevölkert wird - unheimliche Wesen, die diese Welt beherrschen und für die Menschen Beute sind. Meg Corbyn ist eine Cassandra Sangue - eine Blutprophetin - und kann in die Zukunft sehen, wenn ihre Haut geritzt wird. Eine Gabe, die sich eher wie ein Fluch anfühlt. Meg wird von ihrem Aufseher wie eine Sklavin gehalten, damit er unbegrenzten Zugang zu ihren Visionen hat. Doch als sie entkommt, ist der einzig sichere Platz, an dem sie sich verstecken kann, der Lakeside Courtyard - ein Geschäftsviertel, das von den Anderen geführt wird. Gestaltwandler Simon Wolfgard zögert, die Fremde einzustellen, die sich als menschliche Kontaktperson bewirbt. Er spürt, dass sie ein Geheimnis verbirgt. Und warum riecht sie nicht nach menschlicher Beute? Doch sein Instinkt drängt ihn, Meg den Job zu geben. Als er die Wahrheit über sie erfährt und dass Meg von der Regierung gesucht wird, liegt es an ihm zu entscheiden, ob sie den unausweichlichen Kampf zwischen Menschen und den Anderen wert ist.

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern

Seitenzahl: 827

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
5,0 (1 Bewertung)
1
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.
Sortieren nach:
NANA1

Man kann sich nicht von der Lektüre losreißen

Super!
00



Anne Bishop

In Blut geschrieben

Die Anderen

Astrid Behrendt Rheinstraße 60, 51371 Leverkusenwww.drachenmond.de, [email protected]

Satz, Layout Martin Behrendt

Übersetzung Frauke Watson

Umschlaggestaltung Alexander Kopainski, kopainski-artwork.weebly.com

Umschlagbildmaterialshutterstock.com

Dank an Laura Labas, Michaela Retetzkisowie Anna Milo

ISBN: 978-3-95991-610-3 ISBN der Druckausgabe: 978-3-95991-611-0

Copyright © Anne Bishop 2013Published by Arrangement with Anne BishopDieses Werk wurde vermittelt durch die Literarische Agentur Thomas Schlück GmbH, 30827 Garbsen© dieser Ausgabe 2016 Drachenmond VerlagAlle Rechte vorbehalten

Inhalt

Geografie

Eine kurze Geschichte der Welt

1. Kapitel

2. Kapitel

3. Kapitel

4. Kapitel

5. Kapitel

6. Kapitel

7. Kapitel

8. Kapitel

9. Kapitel

10. Kapitel

11. Kapitel

12. Kapitel

13. Kapitel

14. Kapitel

15. Kapitel

16. Kapitel

17. Kapitel

18. Kapitel

19. Kapitel

20. Kapitel

21. Kapitel

22. Kapitel

23. Kapitel

24. Kapitel

25. Kapitel

26. Kapitel

27. Kapitel

28. Kapitel

29. Kapitel

30. Kapitel

31. Kapitel

Danksagung

Für Blair

Geografie

Namid – Die Welt

Kontinente/ Landmassen (bisher)

Afrikah Cel-Romano / Cel-Romano Allianz der Nationen Felidae Fingerbone Inseln Sturm Inseln Thaisia Tokhar-Chin Brittania /Wild Brittania

Die Großen Seen

Superior, Tala, Honon, Etu und Tahki

Andere Seen

Feather Lake, Finger Lake

Flüsse

Talulah / Talulah Wasserfälle

Städte oder Orte

Hubb NE (aka Hubbney), Jerzy, Lakeside, Podunk, Sparkletown, Talulah Falls, Toland

Wochentage

Erdtag Mondtag Sonnentag Windtag Thaistag Feuertag Wassertag

Eine kurze Geschichte der Welt

Vor langer Zeit gebar Namid Lebensformen aller Art, darunter auch die Lebewesen, die man Menschen nennt. Sie gab den Menschen fruchtbare Teile ihrer selbst, und sie gab ihnen gutes Wasser. Und da sie die Natur der Menschen und auch die ihrer anderen Kinder verstand, sorgte sie außerdem für ausreichende Abschirmung, um ihnen die Chance zu geben, zu überleben und zu wachsen. Und das taten sie.

Sie lernten Feuer zu machen und Hütten zu bauen. Sie lernten das Land zu bestellen und Städte zu errichten. Sie bauten Boote und fischten im Mittelmeer und im Schwarzen Meer. Sie vermehrten sich und verbreiteten sich bis in die letzten Winkel ihrer Welt, bis sie in die wilden Gebiete vordrangen. Und dort entdeckten sie, dass die anderen Kinder Namids bereits die restliche Welt ihr Eigen nannten.

Die Anderen sahen die Menschen nicht als Eroberer. Sie sahen in ihnen eine neue Art von Beute.

Kriege wurden um den Besitz der Wildnis ausgetragen. Manchmal obsiegten die Menschen und ihre Nachkommenschaft verbreitete sich ein wenig weiter. Doch noch öfter verschwanden Teile der Zivilisation und die angsterfüllten Überlebenden versuchten, nicht jedes Mal zu erzittern, wenn in der Nacht ein Geheul aufstieg oder wenn ein Mann sich zu weit von der Sicherheit der stabilen Türen und des Lichts entfernte und man ihn am nächsten Morgen ohne Blut in den Adern wiederfand.

Jahrhunderte vergingen und die Menschen bauten größere Schiffe und segelten über den Atlantischen Ozean. Als sie dort unberührtes Land vorfanden, gründeten sie eine Siedlung am Meeresufer. Dann entdeckten sie, dass auch die Terra Indigene, die Eingeborenen der Erde, dieses Land ihr Eigen nannten. Die Anderen.

Die Terra Indigene, die diesen Kontinent beherrschten, den sie Thaisia nannten, wurden zornig, als die Menschen Bäume fällten und den Boden, der nicht ihnen gehörte, mit dem Pflug bearbeiteten. Daher aßen die Anderen die Siedler und machten sich mit der Form dieser neuen Beute vertraut, wie sie es so viele Male in der Vergangenheit getan hatten.

Die zweite Welle von Entdeckern und Siedlern kam an, fand die verlassene Siedlung und versuchte noch einmal, das Land für sich zu beanspruchen.

Die Anderen aßen auch sie.

Der Anführer der dritten Siedlerwelle jedoch war etwas schlauer als seine Vorgänger. Er bot den Anderen warme Decken und Stoffe für Kleidung sowie interessante glänzende Dinge im Austausch für die Erlaubnis, in der Siedlung leben zu dürfen, und für genug Ackerland zum Bestellen. Die Anderen betrachteten das als fairen Handel und zogen sich aus dem Gebiet zurück, das von nun an die Menschen bewohnen durften. Weitere Gaben wurden für Jagd- und Fischprivilegien ausgetauscht. Diese Vereinbarung stellte beide Seiten zufrieden, obgleich die eine Seite ihre neuen Nachbarn mit eher zähnefletschender Duldsamkeit betrachtete und die andere Seite furchtsam die Zähne zusammenbiss und dafür sorgte, dass die Ihren vor Einbruch der Nacht stets sicher hinter den Mauern der Siedlung geborgen waren.

Jahre vergingen und immer mehr Siedler trafen ein. Viele starben, doch genug Menschen gediehen und kamen zu Wohlstand. Aus Siedlungen wurden Dörfer, die zu Ortschaften und dann zu Städten wurden. Nach und nach verbreiteten sich die Menschen auf Thaisia so gut es ging über das Land, das sie betreten durften.

Jahrhunderte zogen ins Land. Die Menschen waren klug. Die Anderen auch. Die Menschen erfanden Elektrizität und sanitäre Anlagen. Die Anderen beherrschten die Flüsse, welche die Kraftwerke der Menschen antrieben, und die Seen, die frisches Trinkwasser lieferten. Die Menschen erfanden Dampfmaschinen und Zentralheizung. Die Anderen hatten die Kontrolle über den Brennstoff, der zum Betreiben der Maschinen und zum Beheizen der Gebäude nötig war. Die Menschen erfanden und produzierten Waren. Die Anderen kontrollierten die Naturreserven und entschieden dadurch, was in ihrem Teil der Welt hergestellt wurde und was nicht.

Natürlich gab es Zusammenstöße, und manche Orte wurden zu düsteren Mahnmalen für die Toten. Diese Mahnmale machten den Menschen schließlich klar, dass es die Terra Indigene waren, die Thaisia beherrschten, und dass dies bis zum Ende der Welt wohl auch so bleiben würde.

So sind wir nun in der heutigen Zeit angelangt. Kleine menschliche Dörfer stehen inmitten riesiger Landstriche, die den Anderen gehören. Und in größeren menschlichen Städten gibt es eingezäunte Parks, die sogenannten »Höfe«, in denen Andere leben, deren Aufgabe es ist, die Einwohner der Stadt im Auge zu behalten und dafür zu sorgen, dass die Abkommen, die zwischen Menschen und Terra Indigene getroffen wurden, auch eingehalten werden.

Da ist immer noch dieselbe zähnefletschende Toleranz auf der einen Seite und die Angst vor dem, was im Dunkeln umgeht, auf der anderen. Doch sofern die Menschen vorsichtig sind, werden sie überleben.

Meistens überleben sie.

1. Kapitel

Vom Sturm halb blind stolperte sie in den offenen Bereich zwischen zwei Gebäuden. In der Hoffnung, dem Verfolger, wer immer es auch war, zu entkommen und ein wenig Schutz vor Wind und Kälte zu finden, drückte sie sich eine schräge Hauswand entlang und um eine Ecke herum. Ihre Socken und Sportschuhe waren völlig durchnässt und die Füße so kalt, dass sie sie nicht mehr spüren konnte. Es war ihr klar, dass das nicht gut war, ganz und gar nicht gut, doch sie hatte einfach nach der erstbesten Kleidung gegriffen, als sich eine Gelegenheit zum Weglaufen bot.

Es waren keine Schritte zu hören, die vermuten ließen, dass man ihr folgte, doch das bewies gar nichts. Selbst die Geräusche des zäh fließenden Verkehrs wurden von der massiven Hauswand gedämpft. Während ihres Trainings hatte man ihr Bilder von erfrorenen Menschen gezeigt, daher wusste sie, dass sie nicht mehr lange hier draußen bleiben konnte. Doch die öffentlichen Obdachlosenherbergen waren die ersten Orte, an denen die Jäger nach ihr suchen würden.

Würde sie heute Nacht sterben? War dieser Sturm der Anfang des Endes? Nein. Sie weigerte sich, diese Möglichkeit auch nur in Erwägung zu ziehen. Sie hatte nicht so viel erreicht, war nicht so weit gekommen, nur damit all das endete, bevor es überhaupt angefangen hatte. Außerdem hatte sie manche Teile der Prophezeiung noch gar nicht gesehen. Sie hatte den dunkelhaarigen Mann mit dem grünen Pullover noch nicht gesehen. Bevor sie ihn nicht gesehen hatte, musste sie sich über das Sterben noch keine Sorgen machen.

Das hieß aber nicht, dass sie sich Dummheiten leisten konnte.

Das Gebäude am anderen Ende des offenen Bereichs erweckte ihre Aufmerksamkeit; vor allem, weil es die einzige Lichtquelle war. Sie lugte vorsichtig um die Hausecke, um sich zu vergewissern, dass sie immer noch allein war, und eilte dann darauf zu. Vielleicht fiel ihr eine glaubwürdige Begründung dafür ein, ein paar Minuten darin verbringen zu können – nur lange genug, um ihre eisigen Füße etwas aufzutauen.

Doch das Licht, das eben noch so hell und verheißungsvoll wirkte, erwies sich als Nachtbeleuchtung. Das Haus war verschlossen. Immerhin war es hell genug, dass man das Schild über der Glastür erkennen konnte – ein Schild, das ihr einen noch eisigeren Schrecken als Schnee und Wind eingejagt hätte, wäre sie nicht so verzweifelt gewesen.

Lakeside-Courtyard

M.H.K.G.

Menschengesetz hat keine Gültigkeit. Sie befand sich auf dem Gebiet der Anderen. Zwar war sie hier vorläufig vor menschlichen Verfolgern sicher, aber wenn man sie hier fand, dann war sie Wesen ausgeliefert, die nur so aussahen wie Menschen. Und selbst wer eingesperrt aufgewachsen war, wusste, was mit Menschen geschah, die sich beim Kontakt mit den Terra Indigene leichtsinnig verhielten.

Innen an der Tür klebte ein Schild. Sie starrte es lange an, trotz ihrer gefühllosen Füße und der klirrenden Kälte.

Gesucht: Menschliche Verbindungsperson Anfragen bei Howling Good Reads (um die Ecke)

Ein Job. Die Möglichkeit, Geld für Essen und Unterkunft zu verdienen. Ein Ort, an dem sie sich eine Weile verstecken konnte. Ein Ort, von dem die Jäger sie nicht wegbringen konnten, selbst wenn man sie entdeckte, denn hier hatte Menschengesetz keine Gültigkeit.

Howling Good Reads. Das klang nach einem Geschäft der Anderen.

Sie könnte hier sterben. Die meisten Menschen, die sich mit den Anderen einließen, starben auf die eine oder andere Weise. Doch nach dem, was sie in der Prophezeiung gesehen hatte, musste sie ohnehin sterben. Also würde sie, was auch immer ihr geschehen würde, immerhin ein einziges Mal ganz allein darüber bestimmen können.

Gesagt, getan. Sie stapfte zum Gehsteig zurück und eilte auf die Ecke zu. Als sie rechts auf die Crowfield Avenue abbog, sah sie zwei Leute aus einem Laden treten. Licht und Leben. Sie wandte sich beidem zu.

Simon Wolfgard nahm seinen Platz an der Kasse ein, warf einen Blick auf die Wanduhr und sagte <JETZT.>

Das Geheul aus dem Hinterzimmer zog das erwartete weibliche Quietschen und das eher maskuline Grunzen der Überraschung nach sich.

Er erhob die Stimme, damit die Menschen in seiner Sichtweite ihn hören konnten, und sagte: »Noch zehn Minuten bis Ladenschluss.«

Nicht, dass sie das nicht wüssten. Das Wolfsgeheul war die Vorwarnung, so wie der Wolf, der an der Tür seinen Posten bezog, sozusagen die Diebstahlsicherung des Geschäfts war. Ein Möchtegern-Ladendieb, dem die Hand abgebissen wurde, würde den übrigen menschlichen Kunden von Howling Good Reads messerscharf klarmachen, dass Ehrlichkeit eine gute Sache war. Über eine Blutlache hinwegzusteigen und an einem Wolf, der auf ein paar Fingern herumkaut, vorbeizugehen zu müssen, hinterlässt nun einmal einen bleibenden Eindruck und nicht wenige Albträume.

Aber das hielt die Affen nicht davon ab, am nächsten Tag wiederzukommen, um auf die Blutflecken zu starren und beim Durchstöbern der Bücherregale miteinander zu tuscheln. Die Gefahr, hinter einem Regal hervorzutreten und einem der Anderen in dessen tierischer Form von Angesicht zu Angesicht gegenüberzustehen oder, schlimmer noch, Augenzeuge blitzschnell ausbrechender brutaler Gewalt zu werden, sorgte für einen Nervenkitzel, der dem Verkauf der Horror-Romane und Thriller zugutekam und dem Geschäft einen annehmlichen Profit einbrachte.

Nicht, dass irgendeiner der Läden im Courtyard Profit abzuwerfen brauchte, um im Geschäft zu bleiben. Sie dienten einzig der Bequemlichkeit der Terra Indigene, die den Courtyard bewohnten, und dazu, den Rest der Anderen mit den von Menschen hergestellten Gütern zu versorgen, nach denen es ihnen verlangte. Es war eher der Wunsch, zu verstehen, wie man ein Unternehmen führt – und um die Ehrlichkeit seiner menschlichen Geschäftsbeziehungen zu testen –, der Simon dazu bewog, jeden Monat schwarze Zahlen zu schreiben.

Wenn es um die Öffnungszeiten ging, hielt sich Howling Good Reads jedoch nicht an menschliche Geschäftsgepflogenheiten. An den Abenden, an denen HGR für Menschen geöffnet war, wurde auf den Gongschlag genau um neun Uhr abends geschlossen, und manche der Angestellten scheuten nicht davor zurück, ihre Gestalt zu verändern und herumlungernden Kunden, die die angegebenen Öffnungszeiten eher für einen Vorschlag als für eine strikte Vorgabe hielten, einen warnenden Biss zu verpassen.

Er hatte heute einiges verkauft, mehr, als an einem Abend zu erwarten gewesen wäre, an dem vernünftige Leute zu Hause Schutz vor Erfrierungen durch den scharfen Eiswind suchten, der noch wesentlich mehr Biss hatte als jeder Wolf. Einige dieser Affen lebten allerdings hier in der Nähe und sie benutzten den Buchladen und das dazugehörige Café A Little Bite als abendlichen Treffpunkt, wenn sie nicht in den Kneipen an der Main Street herumhängen wollten.

Menschen heißt das, erinnerte sich Simon. Er schob die Nickelbrille auf der Nase zurecht. Er brauchte sie eigentlich nicht, doch er fand, dass sie ihn ein wenig unbeholfener und damit zugänglicher aussehen ließ. Nenn sie Menschen, wenn sie in deinen Laden kommen. Dann belegst du deine Angestellten nicht so oft versehentlich mit diesem Schimpfwort. Es ist ja so schon schwer genug, menschliche Hilfskräfte zu finden, die man ertragen kann. Es wäre Blödsinn, diejenigen, die man hat, durch Beleidigungen zu vertreiben.

Das Wort war aus Afrikah über den Ozean gekommen, von dort, wo die Liongard die Menschen als haarlose, schnatternde Affen bezeichnete. Nachdem die Terra Indigene von Thaisia Bilder von diesen Affen gesehen hatten, übernahmen sie die Bezeichnung, weil diese auf so viele der Menschen zutraf, mit denen sie in Berührung kamen. Doch als Mitglied der Unternehmensvereinigung, die die Geschäfte des integrierten Bereichs verwaltete, und in seiner Position als Leiter des Lakeside-Courtyards versuchte Simon sich solche Ausfälle zu verkneifen – zumindest nach außen hin.

»Simon?«

Er drehte sich nach der Stimme um, die nach warmem Sirup klang, während deren Besitzerin sich den Kapuzenparka überzog. Durch die Bewegung schob sich ihr kurzer Pullover ein paar Zentimeter nach oben und gab den Blick auf ihren nackten, wohl trainierten Bauch frei, der immer noch weich genug war, um zum Hineinbeißen zu verlocken.

Viele Menschenweibchen strichen um den Laden herum, in der Hoffnung auf eine Einladung ins wilde Abenteuer, aber dieses hier erweckte in ihm eher die Versuchung, die Fangzähne in ihren Hals zu schlagen, anstatt zärtlich an ihrem Bauch zu knabbern.

»Asia.« Er neigte den Kopf. Die Geste war Kenntnisnahme und Rausschmiss in einem.

Sie begriff mal wieder nichts. Das tat sie nie. Asia Crane hatte es von dem Moment an, als sie Howling Good Reads das erste Mal betreten hatte, auf ihn abgesehen. Das war einer der Gründe, warum er sie nicht mochte. Je mehr sie sich ihm an den Hals warf, desto mehr fühlte er sich wie eine Trophäe, die es zu erringen galt, und desto weniger ertrug er ihre Gegenwart. Doch sie trieb es nie so weit, dass er sie guten Gewissens wegen unerwünschter Anwesenheit angreifen konnte.

Noch ein paar Leute hüllten sich in ihre Mäntel und Schals, aber außer Simon war niemand vorn an der Kasse.

Asia schenkte ihm wieder dieses Beiß mich – Ich steh’ drauf!-Lächeln. »Nun komm schon, Simon. Es ist schon über eine Woche her und du hast versprochen, darüber nachzudenken.«

»Ich hab gar nichts versprochen«, betonte er und räumte an der Kasse auf.

Sie hatte blondes Haar und braune Augen, und ein paar Menschenmännchen, die im Courtyard arbeiteten, hatten ihm gesagt, dass sie schön war. Aber irgendetwas störte ihn an Asia Crane. Er konnte nicht genau sagen, was es war, außer der Tatsache, dass sie ihm schamlos hinterherlief, obwohl er ihr sein Desinteresse deutlich klargemacht hatte. Dieses Gefühl jedoch war der Grund dafür gewesen, dass er sie nicht eingestellt hatte, als sie das erste Mal im HGR vorbeikam. Es war ebenfalls der Grund, warum er es nicht zuließ, dass sie eines der vier Apartments bezog, die die Verwaltung des Courtyards manchmal für menschliche Angestellte bereitstellte. Und jetzt wollte sie Menschliche Verbindungsperson werden, ein Job, durch den sie Zugang zum ganzen Courtyard hätte. Er würde sie lieber fressen, als ihr diesen Job zu geben. Vladimir Sanguinati, der Mitbesitzer des Ladens, hatte bereits angedeutet, dass er sich an der Mahlzeit beteiligen würde, falls Simon beim Anblick von Asia Crane doch einmal der Hunger überkommen sollte. Das war ein ziemlich faires Arrangement, denn Vlad zog frisches Blut vor, während Simon mehr der Fleischfresser war.

»Wir haben geschlossen, Asia. Geh nach Hause«, sagte er.

Sie stieß einen dramatischen Seufzer aus. »Ich würde das wirklich gerne machen, Simon. Mit meinem jetzigen Job kann ich kaum die Miete bezahlen und außerdem ist er langweilig.«

Jetzt versuchte er nicht einmal mehr, freundlich zu klingen. »Wir haben geschlossen.«

Sie seufzte noch einmal und zog einen Schmollmund, während sie den Reißverschluss ihres Parkas zuzog, die Handschuhe überstreifte und dann endlich den Laden verließ.

John, ein weiteres Mitglied der Wolfgarde, hatte seinen Posten an der Tür verlassen, um den Laden auf Nachzügler abzusuchen. So war Simon allein vorn im Geschäft, als die Tür noch einmal aufging und einen kalten Windstoß hereinließ, den er nach all den Parfüms, den diese Menschen verwendeten, als angenehm erfrischend empfand.

»Wir haben…« Er schaute in Richtung der Tür und verkniff sich das letzte Wort.

Die Frau sah halb erfroren aus. Sie trug Sportschuhe – Sportschuhe, um alles in der Welt! – und ihre Jeans war durchgeweicht bis zu den Knien. Die leichte Jeansjacke war eher angemessen für eine warme Sommernacht, und darunter trug sie ein T-Shirt.

Sie sah so durchgefroren aus, dass er bei ihrem Anblick nicht wie sonst automatisch darüber nachdachte, ob sie essbar war.

»Kann ich etwas für Sie tun?«, fragte er.

Sie starrte ihn an, als ob sie ihn schon einmal gesehen hätte, und das unter nicht besonders angenehmen Umständen. Das Problem war nur, dass sie ihm nicht bekannt vorkam. Wenigstens nicht dem Gesicht oder dem Geruch nach.

Dann machte sie ein paar Schritte auf die Verkaufstheke zu. Wahrscheinlich, um weiter in den Laden zu gelangen, wo es wärmer war, und nicht, um ihm näher zu kommen, dachte Simon.

»I-ich hab das Schild gelesen«, stotterte sie. »W-wegen dem Job.«

Das ist kein Stottern, dachte Simon. Ihre Zähne hatten angefangen zu klappern. Wie lange war sie da draußen gewesen? Dies war ein natürlicher Sturm aus der Seerichtung. Der erste im neuen Jahr. Doch sogar ein natürlicher Sturm konnte furchtbar sein.

»Was für ein Schild?«

»M-menschliche Verbindungsperson«, bibberte sie. «Da stand, dass man sich hier melden sollte.«

Die Sekunden verstrichen. Sie senkte den Blick. Wohl nicht mutig genug, um seinem Blick standzuhalten, nachdem sie ihr Anliegen vorgetragen hatte …

Irgendetwas an ihr bereitete ihm Unbehagen, aber es war nicht dasselbe Unbehagen, das ihn in Asia Cranes Gegenwart beschlich. Und bis er nicht herausgefunden hatte, was genau das war, würde er sie nicht wieder in den Schnee hinausjagen. Außerdem war sie abgesehen von Asia der erste Mensch, der sich für den Job beworben hatte. Das war immerhin Grund genug, ihr ein paar Minuten Aufmerksamkeit zu schenken.

Er sah eine Bewegung im Augenwinkel. John, jetzt in menschlicher Form und in Jeans und Pullover, senkte den Kopf in stummer Frage. Was jetzt?

Simon senkte ebenfalls unmerklich den Blick und schaute in Richtung Kasse.

»Soll ich dichtmachen?«, fragte John und warf der vor Kälte zitternden Frau beim Herankommen ein Lächeln zu.

»Ja.« Er schaute die Frau an. »Lassen Sie uns nach nebenan auf eine Tasse Kaffee gehen und den Job besprechen.«

Sie wandte sich zögernd zur Eingangstür zurück.

»Nein, hier entlang.« Er kam ein paar Schritte hinter der Theke hervor und zeigte auf eine Öffnung in der Wand.

Zwischen beiden Geschäften befand sich eine Gattertür, die man abschließen konnte, wenn eine Seite noch Kundenverkehr hatte. Auf dem Schild neben der Tür stand: Wer A Little Bite betritt, ohne vorher seine Bücher zu bezahlen, wird angebissen.

Auf der anderen Seite der Tür stand: Nehmen Sie den Kaffeebecher ruhig mit. Wir behalten dafür Ihre Hand.

Doch das Hirn der Frau war wahrscheinlich noch nicht weit genug aufgetaut, um den Sinn der Worte zu erfassen, dachte Simon. Sie hatte wahrscheinlich nach dem ersten Schreck bei seinem Anblick noch nicht viel mehr Informationen aufnehmen können.

Tess war gerade dabei, die Glastheke abzuwischen, als sie hereinkamen. Das freundliche Lächeln für Simon veränderte sich blitzartig in einen wachsamen Ausdruck, als sie seine Begleitung erblickte.

»Können wir einen Kaffee haben?«, fragte er und setzte sich an einen der Tische, die der Theke am nächsten waren – und am weitesten weg von der Eingangstür und der Kältezone rund um die Tische am Fenster.

»Es ist noch was in der Kanne«, antwortete Tess und schaute sich die Frau genauer an.

Simon lehnte sich in seinem Stuhl zurück und legte einen Fuß über das andere Knie. »Ich bin Simon Wolfgard. Und wer sind Sie?«

»Meg Corbyn.«

Das fast unmerkliche Zögern sagte ihm, dass sie an diesen Namen nicht gewohnt war. Das bedeutete, dass sie ihn noch nicht lange trug. Simon hasste Lügner.

Menschen, die bei Kleinigkeiten logen, taten dies auch bei einer Menge anderer Gelegenheiten.

Und ein Name war nun wirklich keine Kleinigkeit.

Aber als Tess den Kaffee an den Tisch gebracht hatte und Simon sah, wie die Frau den Becher mit beiden Händen umfasste, um sich daran zu wärmen, ließ er es gut sein.

Er dankte Tess und wandte sich dann wieder an Meg Corbyn. »Sie wissen, worum es bei dem Job geht?«

»Nein«, sagte sie.

»Also haben Sie keinerlei Erfahrung in diesem Bereich?«

»Nein. Aber ich kann lernen. Ich möchte lernen.«

Er bezweifelte nicht, dass sie das ernst meinte, doch er hatte die starke Befürchtung, dass sie an Lungenentzündung sterben würde, bevor sie irgendetwas lernen konnte.

Plötzlich erinnerte er sich an die narbenbedeckte alte Frau, die in der Sonne saß und anbot, Leuten die Karten zu lesen und ihre Zukunft vorherzusagen. Doch an jenem Tag hatte sie ihre Karten nicht zu diesem Zweck genutzt, nicht bei ihm. Was sie getan hatte, war der Grund dafür, dass ihre Worte ihm seit zwanzig Jahren im Kopf herumspukten. Und jetzt hörte er diese Worte wieder so klar, als ob es gestern gewesen wäre.

Sei deinen Leuten ein Anführer. Sei die Stimme, die entscheidet, wer in deinem Courtyard lebt und wer stirbt. Der Tag wird kommen, wenn ein Leben, das du rettest, jemanden retten wird, der dir sehr nahesteht.

Dass er der Leiter des Lakeside-Courtyards war, hatte seine Schwester Daphne vor zwei Jahren jedoch nicht retten können. Trotzdem dachte er mit Unbehagen an die alte Frau, während diese vor Kälte schlotternde junge Frau auf seine Entscheidung wartete.

Tess stellte eine ihrer Keramikschalen voll heißer Suppe und ein paar Kräcker auf den Tisch.

»Der Rest aus dem Topf«, sagte Tess.

»Danke sehr, aber ich kann dafür nicht bezahlen«, wisperte Meg fast unhörbar, während sie sehnsuchtsvoll auf die Suppe starrte.

Tess warf Simon einen feindseligen Blick zu und erwiderte: »Es kostet nichts.«

»Essen Sie«, forderte Simon sie auf, während sich Tess wieder dem Putzen zuwandte. »Das kräftigt und wärmt.«

Er trank seinen Kaffee, während er Tess beim Aufräumen zuschaute, damit Meg sich ein Weilchen in Ruhe ihrer Suppe widmen konnte.

Tess bereitete ihm Sorgen. Tess bereitete ihm ständig Sorgen, weil bei ihr der Grat zwischen amüsierter Toleranz den Menschen gegenüber und deren Umkehr ins absolute Gegenteil äußerst schmal war. Er wusste nicht, was genau sie war, nur dass sie zu den Terra Indigene gehörte – und dass sie so gefährlich war, dass sogar andere Spezies der Terra Indigene sie fürchteten. Doch als sie vor ein paar Jahren im Lakeside-Courtyard auftauchte, hatte Simon etwas in ihren Augen gesehen, das ihn davon überzeugte, dass sie zum Feind aller Lebewesen werden würde, wenn sie nicht irgendeine Art von Kameradschaft erfuhr.

Sie zum Bleiben zu ermuntern, war seine erste offizielle Amtshandlung als Leiter des Lakeside-Courtyards gewesen. Und wenn er sich ihre Entwicklung von einer reizbaren Einzelgängerin zur einer Person, die erfolgreich ein Geschäft mit Publikumsverkehr führen konnte, so betrachtete, hatte er nie Anlass dazu gehabt, diese Entscheidung zu bereuen.

Das bedeutete jedoch nicht, dass er ihr vorbehaltlos vertraute.

»Was macht so eine Menschliche Verbindungsperson?«, fragte Meg.

Simon schaute auf die Suppenschale. Sie war erst halb leer. Er war sich nicht sicher, ob ihre Frage bedeutete, dass sie nicht mehr essen konnte oder dass sie eine Pause einlegen musste.

»Aufgrund des gemeinsamen Abkommens zwischen Menschen und Terra Indigene befindet sich in jeder Stadt in Thaisia ein Courtyard, ein Stück Grund und Boden, auf dem die Anderen leben. In diesen Courtyards können sie außerdem Produkte aus menschlicher Herstellung käuflich erwerben. Aber Menschen trauen den Anderen nicht und wir trauen den Menschen nicht. Viele dieser Produkte werden von Menschen angeliefert. Und von Anfang an gab es gewisse Vorkommnisse, die die Menschenregierung sowie unsere eigenen Anführer davon überzeugten, dass es von Vorteil sei, eine Verbindungsperson einzustellen, die Post und Pakete entgegennimmt, ohne die Lieferanten gleich mit zu verzehren. Daher wurde in jedem Courtyard eine Warenannahme eingerichtet, die von einer Person geführt wird, die als Kontakt zwischen Menschen und Anderen fungiert. Gehalt und Vergünstigungen entscheidet der Unternehmerverband jedes Courtyards individuell. Die menschliche Regierung ist gesetzlich dazu verpflichtet, jeden Lieferanten mit Bußgeldern zu belegen, der sich weigert, den Courtyard zu beliefern. Auf der anderen Seite gibt es eine zeitlich begrenzte Frist, innerhalb derer die Stelle der Verbindungsperson unbesetzt bleiben darf, ohne dass sich Lieferanten ungestraft weigern dürfen, unser Land zu betreten. Solche Perioden tendieren leider dazu, die Toleranz zwischen den beiden Parteien stark auf die Probe zu stellen – und wenn das passiert, sterben meistens Leute. Manchmal sterben viele Leute.«

Meg aß noch einen Löffel Suppe. »Ist das der Grund, warum Sie Menschen erlauben, bei Ihnen zu kaufen? Um die Toleranz zwischen Menschen und Anderen zu fördern?«

Intelligente Frau. Ihre Schlussfolgerung war nicht ganz korrekt – den meisten Terra Indigene war wenig an Toleranz gegenüber Menschen gelegen –, aber es zeigte ihm, dass sie verstand, warum eine Verbindungsperson benötigt wurde. »Der Lakeside-Courtyard ist eine Art von Experiment. Während die Läden rund um den Marktplatz ausschließlich unseren eigenen Leuten und unseren menschlichen Angestellten zur Verfügung stehen, sind die Geschäfte an der Crowfield Avenue zu bestimmten Zeiten für alle Menschen geöffnet. Dazu gehören der Buchladen und das Café. Außerdem gibt es ein Fitness-Center, das auch eine begrenzte Anzahl von Menschen aufnimmt, und die Änderungsschneiderei. Und auch die Kunstgalerie an der Main Street ist für alle zugänglich, sofern sie überhaupt mal geöffnet hat.«

»Aber die Menschengesetze haben in diesen Geschäften keine Gültigkeit?«

»Genau.« Simon schaute sie aufmerksam an. Er traute Asia Crane nicht über den Weg, doch sein Gefühl Meg gegenüber war irgendwie vielschichtiger. Daher entschloss er sich, sie einzustellen. Es würde dem Lakeside-Courtyard nicht schaden, sie ein paar Tage dazuhaben, vor allem, wenn jemand sie im Auge behielt. Außerdem hätte er dann genug Zeit, um herauszufinden, warum sie ihn so verunsicherte. Doch bevor er ihr das mittteilte, musste er noch etwas klarstellen.

»Menschengesetze haben keine Gültigkeit. Wissen Sie, was das bedeutet?«

Sie nickte. Er glaubte ihr zwar nicht, aber er ließ es auf sich beruhen.

»Wenn Sie den Job wollen, können Sie ihn haben.«

Sie sah ihn an. Ihre Augen hatten die hellgraue Farbe von Wolfsaugen, dabei war sie gar kein Wolf. Ihre blassen Wangen bekamen einen Hauch von Farbe. Und nun, da ihr Haar langsam trocknete, sah er, dass es von einer sehr seltsamen roten Farbe war – und es stank.

Da musste sich etwas ändern.

»Ich kann den Job haben?«, fragte sie, und es schlich sich so etwas wie Hoffnung in ihre Stimme.

Er nickte. »Es gilt der Mindestlohn – und Sie sind verpflichtet, über die Dienststunden Buch zu führen. Sie haben außerdem Anspruch auf einer der Dienstwohnungen über der Änderungsschneiderei und Sie können in allen Geschäften am Marktplatz einkaufen.«

Tess erschien und ließ einen Schlüsselbund auf den Tisch fallen. »Ich hol ein paar notwendige Sachen aus unserem Lager, während du Meg die Wohnung zeigst. Lass die Sachen stehen, ich wasch sie später ab.« Dann verschwand sie wieder so schnell, wie sie gekommen war.

Meg nahm noch einen Löffel Suppe zu sich und trank den Kaffee aus. »Ist sie böse auf mich?«

»Auf Sie? Nein.« Auf ihn? Das konnte man bei Tess nie so genau sagen. Manchmal allerdings erkannte man die Warnsignale schon von Weitem.

Er hielt die Schlüssel hoch. »Wir haben Regeln, Meg, und wir bestehen darauf, dass sie eingehalten werden. Der Zugang zu den Wohnungen des Courtyards ist beschränkt. Sie bringen keine Gäste in die Wohnung, ohne uns vorher davon in Kenntnis zu setzen. Wenn wir einen Fremden riechen, töten wir ihn. Wir akzeptieren keine Entschuldigungen und niemand bekommt eine zweite Chance. Die Ladenzeile an der Ecke ist der Ort, an dem sich Menschen und Andere treffen können, ohne vorher um Erlaubnis bitten zu müssen. Dahin können Sie Gäste mitnehmen. Ist das klar?«

Sie nickte.

»Okay. Dann kommen Sie. Wir gehen durch den Buchladen raus.«

Er führte sie zurück ins HGR, um seinen Wintermantel zu holen, den John für ihn auf die Theke gelegt hatte. Er zog sich den Mantel über, während er die Tür aufstieß und gegen den Wind festhielt, bis Meg draußen war. Dann schloss er ab, packte Meg am Arm, damit sie nicht ausrutschte, und führte sie am Café vorbei zu einer Glastür im Gebäude der Änderungsschneiderei.

»Der erste Schlüssel ist für die Eingangstür.« Er zog den Schlüsselbund hervor und steckte den ersten Schlüssel ins Schloss. Er öffnete die Tür, schob Meg nach drinnen und schloss die Tür hinter ihnen wieder ab. Dann fiel ihm ein, dass Menschen nicht wie Wölfe im Dunkeln sehen konnten und er schaltete das Licht ein, damit Meg die Treppe zum ersten Stock erkennen konnte.

Sie ging die Treppe hinauf und wartete oben im Flur auf ihn.

Er trat an ihr vorbei, schaute auf den Schlüssel, um die Zimmernummer zu finden, und unterdrückte einen überraschten Ausruf. Tess hatte ihm den Schlüssel für das Zimmer gegeben, dass am weitesten von der Crowfield Avenue entfernt lag – und näher an der Treppe, die zum Zentrum des Courtyards führte.

Er öffnete die Zimmertür und schaltete die Deckenbeleuchtung ein. Dabei trat er sich automatisch die nassen Stiefel von den Füßen und ließ sie im Flur zurück. Während er wartete, bis Meg sich aus den nassen Sportschuhen gekämpft hatte, schaute er sich um. Badezimmer und Schrank an einem Ende. Ein Küchenbereich mit kleinem Kühlschrank, Mikrowelle, einer kleinen Küchentheke mit Waschbecken und einen winzigen Hängeschrank für Geschirr und Lebensmittel. Ein Einzelbett und eine Kommode. Ein kleiner rechteckiger Tisch und zwei Stühle mit gerader Lehne. Ein Polstersessel mit Fußhocker und ein leeres Bücherregal mit Leselampe.

»Handtücher sind im Badezimmer«, sagte er. »Sie sehen aus, als könnten Sie eine heiße Dusche gebrauchen.«

»Danke«, flüsterte Meg.

»Das Badezimmer ist da drüben.« Simon zeigte in die Richtung.

Sie zitterte so sehr, dass er sich fragte, wie sie allein aus ihren nassen Sachen kommen würde. Aber er hatte nicht die Absicht, ihr zu helfen.

Die Badezimmertür schloss sich hinter ihr. Seinem scharfen Tiergehör entging nicht viel, aber er ignorierte die Geräusche. Während er die Extra-Decken aus der untersten Kommodenschublade holte, hörte er die Klospülung und einen Moment später ging die Dusche an.

Er hatte aus dem Fenster gestarrt und dem Schnee zugesehen, der immer noch leise herabrieselte, als Tess mit zwei großen Taschen mit Reißverschluss eintrat.

»Ich setze es auf dein Konto«, sagte sie. Ihr Haar, sonst glatt und braun, war jetzt wild gelockt und von grünen Strähnen durchzogen – ein Zeichen dafür, dass Tess momentan nicht gerade die Ruhe selbst war. Immerhin waren die Strähnen nicht rot, denn das würde bedeuten, dass sie verärgert war.

Wenn ihr Haar rot wurde, starben Leute.

»Setze was auf mein Konto?«, fragte Simon.

»Zweimal Kleidung zum Wechseln, Schlafkleidung, Waschzeug, ein Wintermantel und Stiefel und was zum essen.«

Der Mantel war knallrot, eine Farbe, die viele der Bewohner des Courtyards anzog, denn sie signalisierte geschlagene Beute. Da dies vermutlich der Grund war, weshalb bisher niemand den Mantel gekauft hatte, fragte sich Simon, warum Tess ihn ausgerechnet für Meg ausgesucht hatte.

»Ich dachte mir, dass das Mittagessen Teil ihrer Bezahlung sein könnte«, sagte er laut.

»Vielleicht solltest du das mit dem Rest der Unternehmensgruppe diskutieren, bevor du so viele Entscheidungen im Alleingang fällst. Vor allem im Hinblick darauf, dass du gerade eine Verbindungsperson eingestellt hast, ohne uns vorher zu Rate zu ziehen«, antwortete Tess bissig.

»Du hast mir die Zimmerschlüssel gebracht, bevor ich dich darum gebeten habe, also hast du ganz offenbar auch eine Entscheidung getroffen«, hielt Simon ihr entgegen.

Tess antwortete nicht. Sie setzte eine Tasche auf dem Bett ab und brachte die andere in den Küchenbereich. Dann verstaute sie die Lebensmittel und stellte sich zu ihm ans Fenster. »Du nimmst sonst keine Streuner auf, Simon. Vor allem keine streunenden Affen.«

»Ich konnte sie nicht da draußen in der Kälte lassen.«

»Doch, das konntest du. Du hast auch andere Menschen ihrem Schicksal überlassen. Warum ist dieser Mensch hier anders?«

Simon zuckte mit den Achseln. Er wollte nicht über die vernarbte alte Frau sprechen, die schon so viele seiner Entscheidungen beeinflusst hatte.

Wir brauchen eine Verbindungsperson, Tess.«

»Eine dämliche Idee, wenn du mich fragst. Die einzigen Menschen, die diesen Job wollen, sind Diebe, die glauben, sie können uns bestehlen, oder Leute, die vor ihren eigenen Gesetzen auf der Flucht sind. Du hast den letzten rausgeschmissen, weil er ein fauler Sack war, und der davor … den haben die Wölfe gefressen!«

»Nicht nur wir«, murmelte Simon verärgert.

Aber er musste zugeben, dass Tess nicht unrecht hatte. Die Verbindungspersonen hatten meistens kaum genug Zeit gehabt, ihren Job zu erlernen – wenn sie sich überhaupt so viel Mühe gemacht hatten –, bevor man sich aus irgendeinem Grund wieder nach jemand Neues umsehen musste. Das war einer der Gründe, warum er ihn Asia nicht angeboten hatte. Denn das war nur wieder einer ihrer Versuche, seine Aufmerksamkeit zu erzwingen. Und er musste es wirklich nicht haben, dass sie noch mehr um ihn herumschnüffelte, als sie es ohnehin schon tat.

»Wovor ist Meg Corbyn auf der Flucht?«, fragte Tess. »Sie kommt nicht von hier. Nicht mit der Kleidung, die sie anhatte.«

Er schwieg, weil er dem nichts entgegenzusetzen hatte. Das Wort »Ausreißer« stand Meg geradezu auf die Stirn tätowiert.

Tess’ grüne Strähnen verblassten allmählich. »Vielleicht bleibt sie lange genug, um wenigstens etwas von dem aufgelaufenen Paketstau abzuarbeiten«, seufzte sie.

»Vielleicht«, sagte er. Er glaubte nicht einmal daran, dass Meg Corbyn, oder wer auch immer sie war, lange genug bleiben würde, um ihren ersten Gehaltsscheck zu kassieren. Aber sie hatte gesagt, dass sie es lernen wollte und das hatte noch keiner der anderen Menschen gesagt. Nicht einmal Asia.

Nach einer etwas ungemütlichen Pause sagte Tess: »Du solltest gehen. Nackte Frau unter der Dusche … Fremder Mann in der Wohnung … Man liest so was in den Büchern, die diese Menschen schreiben.«

Simon zögerte, doch Tess hatte recht. »Sag Meg, dass ich morgen um halb neun im Kontaktbüro auf sie warte. Dann hab ich Zeit, ihr eine kurze Einführung zu geben, bevor um neun Uhr die ersten Lieferungen kommen.«

»Du bist der Boss.«

Er legte die Schlüssel auf den Tisch und verließ die Wohnung – und fragte sich prompt, ob er das Mädchen praktisch umgebracht hatte, indem er sie mit Tess allein ließ.

Das Duschwasser, das auf sie niederprasselte, war so heiß, dass es wehtat, und das fühlte sich einfach wunderbar an. Meg benutzte das Shampoo und die Seife, die sich in dem Duschregal befanden. Und dann stand sie einfach so da, mit einer Hand an die Wand gestützt.

Sie war erst einmal in Sicherheit. Wind und Schnee hatten ihre Spuren ausgelöscht. Ein paar Menschen würden sie sehen, und das war eine Gefahr, aber solange sie innerhalb der Grenzen des Courtyards blieb, konnte ihr niemand etwas anhaben. Nicht einmal …

Zitternd streckte sie beide Arme aus. Dünne, schnurgerade Narben, in etwa einem Zentimeter Abstand zueinander, bedeckten ihre Oberarme von den Schultern bis zum Ellenbogen. Dieselben Narben befanden sich auf ihrem linken Oberschenkel und an der Außenseite des rechten Oberschenkels. Ein sehr präzise ausgeführter Streifen lief die linke Seite ihres Rückens hinab. Die Schnitte mussten präzise sein, sonst waren sie wertlos. Dann taugten sie zu nichts. Außer zur Bestrafung.

Sie ignorierte das Raster von Narben auf dem linken Oberarm und richtete ihre Aufmerksamkeit stattdessen auf die drei Narbenlinien auf dem Unterarm. Diese Narben würde sie niemals bereuen. Die Visionen, die sie gesehen hatte, als sie sich diese Narben schnitt, hatten ihr die Freiheit beschert. Und ebenso eine Vision ihres eigenen Todes.

Ein weißer Raum. Ein schmales Bett mit Metallgitter. Sie war in diesem Raum gefangen und ihr war so kalt, dass ihre Lungen außerstande waren, einen einzigen Atemzug zu tun. Und Simon Wolfgard, der dunkelhaarige Mann, den sie in der Prophezeiung gesehen hatte, war da, und er lief knurrend auf und ab.

Sie stellte das Wasser ab und öffnete die Tür der Duschkabine.

Einen Moment später klopfte es an der Badezimmertür.

»Meg? Hier ist Tess. Ich mache die Tür auf und reich Ihnen einen paar Pyjamas rein, okay?«

»Ja, danke!«

Meg schnappte sich ein Handtuch und hielt es sich vor den Körper. Sie war froh, dass der Wasserdampf den Spiegel beschlagen hatte, sodass man die Narben auf ihrem Rücken nicht sehen konnte.

Als Tess die Tür wieder geschlossen hatte, stieg Meg aus der Dusche, trocknete sich hastig ab und schlüpfte schnell in einen Schlafanzug. Sie wischte den Spiegel frei, vergewisserte sich, dass ihre Narben nicht zu sehen sein würden, und betrat den Wohnbereich.

»Geben Sie mir die nassen Sachen. Ich lass sie für Sie trocknen.«

Meg nickte, holte die Sachen und reichte sie Tess.

»Es ist Essen im Schrank und im Kühlschrank«, sagte Tess. »Und zweimal Kleidung zum Wechseln. Ich hab die Größe geraten, wenn sie nicht passen, können Sie das im Laden umtauschen. Simon wartet morgen um acht Uhr dreißig im Kontaktbüro, um Sie einzuweisen.«

»Okay«, murmelte Meg. Jetzt, wo ihr wieder warm war, kostete es sie enorme Anstrengung, wach zu bleiben.

»Die Schlüssel liegen auf dem Tisch«, sagte Tess und ging zur Tür.

»Sie waren sehr freundlich, vielen Dank«, antwortete Meg.

Tess drehte sich um und starrte sie an. »Legen Sie sich jetzt lieber schlafen.« Dann ging sie hinaus.

Meg zählte bis zehn und lief zur Tür. Sie war sich nicht sicher, ob man überhaupt etwas hören konnte, wenn man wie im Film das Ohr an die Tür presste, aber sie tat es trotzdem. Sie hörte nichts, schloss die Tür ab und schaltete das Deckenlicht aus. Die Straßenbeleuchtung der Crowfield Avenue war so hell, dass sie den Weg zu den Fenstern fand. Sie zog die schweren Vorhänge eines Fensters zu und ließ nach einigem Zögern ein Fenster unverhüllt. Dann tastete sie sich zum Bett zurück, schlüpfte hinein und lag eine Weile zitternd unter der Decke, bis diese ihre Körperwärme aufgenommen hatte.

Irgendwo im Courtyards lauerte der Tod auf sie. Aber heute Nacht würde er sie nicht holen. Niemand würde sie heute Nacht holen.

Meg stieß einen Seufzer der Erleichterung aus, schloss die Augen und schlief ein.

Simon schüttelte sich, um sein Fell aufzubauschen. In Menschengestalt würde er nicht hier draußen sein wollen, aber das Schneetreiben hatte aufgehört und als Wolf machte ihm die Kälte nichts aus – außerdem sammelten sich einige der Wölfe gerade, um im Freien herumzulaufen.

Er wurde nervös, wenn er zu lange in menschlicher Form blieb. Klar, er hatte sich freiwillig gemeldet, um den Courtyard zu leiten, und die Öffnung einiger Geschäfte für Menschen, um diese dadurch besser im Blick zu haben, ging auf seine Initiative zurück. Doch das hieß nicht, dass es den Umgang mit ihnen leichter machte und dass das stundenlange Herumhängen in Menschengestalt während der Öffnungszeiten von HGR ihm besonders guttat. Er brauchte genug Zeit in dieser Haut, brauchte Auslauf.

Elliot trottete auf ihn zu. Simon war der Leitwolf, doch sein Vater war das offizielle Gesicht des Lakeside-Courtyards. Elliot hatte kein Interesse an Geschäftsführung und der Kontakt mit anderen Terra Indigene, besonders den Elementals und den Sanguinati, bereitete ihm Unbehagen. Aber er war geschickt im Umgang mit der Menschenregierung und er war der Einzige unter ihnen, der stundenlang mit dem Bürgermeister und anderen Würdenträgern verhandeln konnte, ohne einen von ihnen zu beißen.

Daher wurde Simon von vielen als Geschäftsführer betrachtet, während man den geselligeren und weltgewandteren Elliot oft fälschlicherweise für den eigentlichen Leiter des Courtyards hielt. Aber das war Simon nur recht. Mochte sein Vater ruhig Hände schütteln und auf Bankette gehen und sich fotografieren lassen. Und wenn der Bürgermeister und seine Kumpane großes Glück hatten, würden sie niemals erfahren, dass auch Elliots Weltgewandtheit nur oberflächlich war.

Es gesellten sich noch sieben andere Wölfe zu ihnen. Erfreut über die Gesellschaft, joggte Simon die verschneite Straße entlang. Jede Spezies der Terra Indigene, die den Courtyard bewohnte, beanspruchte einen Bereich des Grund und Bodens als ihr eigenes Territorium, doch der Rest war Gemeinschaftsgebiet. Jenseits der Brücke über das Flüsschen lag das Territorium der Hawkgard, daher schlugen die Wölfe die erste Straße ein, die ins Zentrum des Courtyardgebiets führte, um sich dort unbehelligt austoben zu können.

Wölfe, dachte er, als sie begannen, sich warm zu laufen. Vielleicht hatten Wölfe einmal so ausgesehen, als die Welt noch jung war. Die Terra Indigene – schnell, stark und tödlich – hatten die massigere, archaische Form beibehalten. Die Tiere jedoch, die von den Menschen heute Wolf genannt wurden, verhielten sich zu den Terra Indigene eher wie Luchse zu Tigern.

Die Straße unter ihren Pfoten war nur mit wenigen Zentimetern Schnee bedeckt, der Rest war kunstvoll zu den Seiten hin auseinandergetrieben. Er musste unbedingt daran denken, den Mädchen am See später dafür zu danken.

Nachdem seine Muskeln warm geworden waren, schlug Simon volles Tempo über die Brücke an, das Rudel im Gefolge. Herrlich, so zu rennen. Herrlich, den guten, sauberen Biss des Wetters zu spüren. Schön, den Geschmack …

Der Wind drehte. Eine Eule, eine der nächtlichen Wächter des Courtyards, flog über sie hinweg und stieß einen Warnschrei aus. <Eindringlinge!>

Um diese Zeit dürfte hier auf der Straße zwischen dem Lakeside-Park und dem Courtyard niemand unterwegs sein, mit Ausnahme von Schneepflügen, die die ganze Nacht über hin- und herrumpelten, um die Straßen für all die Menschen freizuräumen, die am Morgen zur Arbeit kamen. Wenn ein Arbeiter aus der Stadt doch einmal mitten in der Nacht in den Courtyard musste, hätte ein Regierungsbeauftragter Elliot vorher davon in Kenntnis gesetzt. Also hatte kein Mensch das Recht, jetzt hier draußen zu sein.

Simon nahm die Witterung auf und rannte in vollem Lauf eine schmale Zufahrtsstraße hinunter, die dicht am Zaun des Courtyards entlangführte.

Kein Geheul, kein Laut, keine Warnung. Nur schwarze, weiße und graue Gestalten, die mit dem Schnee und der Nacht verschmolzen, während sie auf den Feind zurasten.

Wenn die Menschen Waffen dabei hatten, konnte das gefährlich werden, denn der tiefe Schnee auf der Zufahrtsstraße bremste die Geschwindigkeit der Wölfe so weit ab, dass die Eindringlinge Zeit hätten, einen oder zwei Schüsse abzugeben. Doch auch die Menschen mussten sich einen Weg durch den Schnee bahnen. Selbst wenn sie einen Wolf verwundeten, würden sie nicht entkommen.

<Da drüben>, sagte Simon.

Drei Menschen kämpften sich durch den Schnee aus der Richtung des schwarzen schmiedeeisernen Zauns, der den Courtyard umschloss.

<Gewehr>, berichtete Elliot.

<Ich seh es>, antwortete Simon. Nur einer, der das Land mit einem Gewehr in der Hand betritt? Unwahrscheinlich. Nur weil er keine anderen Waffen sehen konnte, hieß das noch lange nicht, dass es keine gab.

Er sah die schwarze Rauchwolke, die dicht über der Schneeoberfläche auf die Eindringlinge zuschoss, ignorierte sie und richtete stattdessen seine Aufmerksamkeit auf den Mann mit dem Gewehr. Der Narr hatte nicht aufgepasst und daher weder ihn noch die anderen Wölfe kommen sehen, bis der dritte Mann sich umsah und einen Warnschrei ausstieß.

Der Gewehrlauf fuhr herum und richtete sich auf Simon.

Sie würden den Feind nicht schnell genug erreichen. Der Schuss würde einen von ihnen treffen.

Plötzlich umschloss die schwarze Rauchwolke den Mann mit dem Gewehr. Ein Teil des Rauchs formte sich zu Händen, die den Gewehrlauf genau in dem Moment nach oben rissen, als der Mann den Abzug betätigte.

Simon hetzte an der Rauchwolke vorbei und sprang den zweiten Mann an, sodass sie beide durch den Aufprall aus dem Schneepfad heraus und auf den frischen Neuschnee gerissen wurden. Seine Zähne schlossen sich über dem dicken Schal um den Hals des Mannes. Während die eiserne Kraft des Wolfskiefers der Beute langsam die Luftzufuhr abquetschte, schlossen sich die Zähne der anderen Wölfe um die Handgelenke des Mannes und hinderten ihn daran, sich zu wehren.

Der Mann in der Rauchwolke schrie.

Simon hielt seine Beute fest, bis sie aufhörte zu strampeln. Dann ließ er den Hals los, hob den Kopf und roch am Gesicht des Mannes. Nur bewusstlos.

Bestens.

Blut aus dem Hals des dritten Mannes spritzte auf den Schnee, als die Wölfe seine Kleider aufrissen, um an das Fleisch zu gelangen.

Die Rauchwolke um den ersten Mann verdichtete sich zu einem schwarzhaarigen Mann in schwarzen Jeans und Rollkragenpullover. Seine Arme waren um den Menschen geschlungen; seine Hände umklammerten immer noch die Hände, die den Gewehrlauf hielten.

In ihrer Rauchform entzogen die Sanguinati ihrer Beute das Blut durch die Haut. In diesem Wetter lag nicht viel Haut frei, aber das Gesicht des Mannes war mit feinen Blutperlen bedeckt, die an der Luft augenblicklich zu Eis gefroren.

<Vlad>, grüße Simon.

Vladimir lächelte ihn an und zeigte dabei lange Fangzähne. »Ich nehm’ diesen mit in die Kammern. Großvater guckt gerade einen seiner alten Filme und wird sich über einen frischen Imbiss freuen.«

Simon senkte zustimmend den Kopf.

»Nyx und ich kommen später rum und sammeln ein, was noch zu gebrauchen ist. Den Rest entsorgen wir dann.« Immer noch lächelnd, entriss Vlad dem Mann das Gewehr, packte ihn an seinem schweren Wintermantel und rannte gewandt zurück in das Gebiet der Sanguinati. Das Gewicht schien ihm nicht das Geringste auszumachen.

Simon verfolgte den Pfad der Menschen zurück und betrachtete die abgeknickten Wacholderbüsche, die als Sichtschutz zwischen die Straße und den Courtyard gepflanzt worden waren – und um den Courtyard vor neugierigen Blicken von der anderen Straßenseite aus zu schützen. Er erhob sich auf die Hinterläufe und bahnte sich mit den Schultern einen Weg zwischen zwei Büschen hindurch.

Die Spur begann bei einem Wagen, der mit eingeschalteter Warnblinkanlage an der Böschung der Parkside Avenue geparkt war. Der Wagen würde gemeldet werden, sobald der nächste Schneepflug vorbeikam, aber vor dem Morgen würde keiner kommen und Fragen stellen. Wenn überhaupt einer kam.

Er trottete zu seiner Beute zurück.

Ein paar Wölfe machten sich zufrieden über den anderen Mann her. Elliot wartete neben dem bewusstlosen Mann. Als Simon herankam, wandte Elliot den Kopf in die Richtung, in die Vlad verschwunden war.

<Das war unsere Beute>, knurrte er.

<Seine auch>, knurrte Simon mit gefletschten Zähnen zurück. <Wir teilen.>

<Fleischverschwendung.>

<Nein.> Klar, die Sanguinati hatten für das Fleisch keine Verwendung, aber nachdem Vlads Familie sich bedient hatte, würde er Boone Hawkgard, dem Fleischer des Courtyards, Bescheid sagen. Und morgen würde ein diskretes Schild im Schaufenster die Terra Indigene darauf hinweisen, das besonderes Fleisch im Angebot war.

Der veränderte Atemrhythmus des Mannes deutete an, dass er wieder zu Bewusstsein kam. Nun war es Zeit, zu essen.

Vorderläufe verlängerten sich zu langen, behaarten Fingern mit schweren Klauen. Simon und Elliot rissen Wintermantel, Schal und Flanellhemd auf und zerschlitzten die Jeans und die langen Unterhosen von den Oberschenkeln bis zu den Knöcheln.

Ein keuchender Atemzug. Der Mann öffnete die Augen.

Simon hob die Lefzen und schlug ihm die Zähne herzhaft in den Bauch, während Elliot den Schrei des Mannes durch einen gezielten Biss in die Kehle erstickte.

Reißen, beißen, das heiße, frische Fleisch verschlingen. Simon zog die Leber aus der Bauchhöhle und verschlang sie genießerisch. Das Herz überließ er Elliot. Er aß sich satt und wandte sich dann ab, während er seine Zehen wieder in Wolfspfoten zurückschrumpfen ließ. Dann rollte er sich in dem frischen Schnee, um sein Fell zu säubern. Als seine Freunde ihren Hunger gestillt hatten, stimmte Simon das Beutegeheul an. Wenn heute Abend andere Wölfe unterwegs waren, konnten sie nun auf einen Happen vorbeikommen.

Wir teilen, dachte er und schaute auf den Arm, den er seiner Beute irgendwann während der Mahlzeit vom Körper gerissen hatte. Er hob ihn auf und lief damit zur Main Street zurück. Dann trottete er über die Brücke und durch das Wolfsterritorium und legte den Arm im Corvinusgebiet ab. Die Krähen würden sich über das Frühstück morgen freuen.

Eine Minute später hatte Elliot ihn eingeholt. Er trug ein Stück Brustkorb im Maul. Das Teilen war zwar nicht eine der Stärken seines Vaters, aber als sie in den Lakeside-Courtyard einzogen, hatte er sich Simons Wünschen untergeordnet.

Ja, die Krähen würden morgen früh gut essen. Und wenn alle ihren Teil abbekommen hatten, dann war von den Affen nicht mehr viel übrig, das es wert war, verbrannt oder begraben zu werden.

2. Kapitel

Das ist ein Auto, das ist ein Zug, das ist ein Bus … Ein Totenkopf bedeutet Gift … Schhh! Ruhe! Wir haben Unterricht … Pass auf, cs759! Schau dir an, wie das aussieht, wenn sich jemand vergiftet hat … Das ist ein Hund, das ist eine Katze … Dieses Video zeigt eine Frau zu Pferd … Das ist ein Kind, das ist ein Hammer. So sieht ein Gesicht aus, wenn …

Ein Rumpeln riss Meg aus ihrem unruhigen Schlaf. Mit klopfendem Herzen starrte sie auf die dunklen, von grauem Morgenlicht beschienenen Umrisse und versuchte sich zu erinnern, wo sie war, während sie auf die Schritte im Flur wartete, die bedeuteten, dass die Wandelnden Namen kamen, um sie wie jeden Tag mit Gehirnwäsche und Unterricht zu »verwöhnen«.

Die Wärter und die anderen Angestellten in ihren weißen Uniformen mit Namensschildern über der Brusttasche. Die Weißkittel, die an ihnen herumstocherten und -drückten und entschieden, was die Mädchen brauchten, um im erstklassigen Zustand zu bleiben. Und cs747, die sie anschrie, dass sie auch einen Namen hatte, nämlich Jean, und nur weil der nicht an ihrer Bluse steckte, war er noch lange nicht weniger real.

Jean musste wochenlang ruhiggestellt werden, nachdem sie eines dieser Namensschilder gestohlen und damit ihre schöne, teure Haut dadurch ruiniert hatte, indem sie sich ihren Namen mit der an dem Schild angebrachten Nadel in Großbuchstaben auf den Bauch geritzt hatte. Danach wurden die Namen auf die Uniformen aufgestickt. Und als Jean wieder in den Unterricht kam, nannte sie alle diejenigen, die in der Anlage arbeiteten, Wandelnde Namen und weigerte sich fortan, ihnen irgendeine darüber hinausgehende Individualität zuzugestehen.

Die Wandelnden Namen hassten Jean. Aber Meg hatte den Rasereien und den unklaren Faseleien des älteren Mädchens von einem anderen Leben gut zugehört, und sie sehnte sich nach etwas, das sie nur von den Bildern aus dem Unterricht kannte. Dass sie sich in Gedanken Meg nannte anstatt cs759, war ihr erster stiller Akt des Widerstands gewesen.

Wieder ein Geräusch, diesmal eher ein regelmäßiges Knirschen als ein Rumpeln.

Sie war nicht mehr in der Anlage. Nicht mehr in ständiger Reichweite der Wandelnden Namen oder des Überwachers, der die gesamte Anlage verwaltete. Sie befand sich im Lakeside-Courtyard … und in Reichweite der Terra Indigene.

Meg schlüpfte aus dem Bett und schlich zu der Seite des Fensters, von der aus sie ungesehen hinausschauen konnte.

Ein neues Rumpeln ertönte, als ein schweres Fahrzeug die Straße herunterkam. Die schwere Schaufel vor ihm schob den Schnee zur Seite.

Schneepflug. Die, die sie in den Unterrichtsvideos gesehen hatte, machten kein Geräusch, aber das war normal. Geräuscherkennung war ein anderes Unterrichtsfach als Bildererkennung. Geräusche und Bilder wurden selten zusammen eingesetzt, außer wenn man den Mädchen Videoclips vorspielte.

Gleichmäßiges Knirschen.

Sie beugte sich vor, um mehr von der Straße zu sehen.

Ein Auto fuhr die Straße entlang. Das Knirschen war das Geräusch der Reifen auf dem Schnee. Schnee und bittere Kälte. Jetzt hatte sie ein Geräusch, das zu dem gehörte, was sie gesehen und gefühlt hatte – ein Erinnerungsbild und kein Unterrichtsbild.

Zitternd kroch sie zurück ins Bett und rollte sich unter der Bettdecke zusammen, bis ihr wieder warm wurde.

Sie war entkommen und davongelaufen. Sie war sich nicht sicher, wo genau der Courtyard lag – sie hatte sich darauf konzentriert, wo sie hinlaufen musste, und nicht darauf, wo sie hergekommen war –, aber es fühlte sich so an, als wäre sie weit weg von dem Ort, an dem der Überwacher seine Mädchen hielt. Er würde jemanden schicken, um nach ihr zu suchen. Obwohl sie so weit aufgebraucht war, dass er sie beruhigt hätte abschreiben können, würde er es nicht zulassen, dass sie mit ihrem Ausbruchsversuch davonkam. Denn dadurch könnten auch die anderen Mädchen auf dumme Gedanken kommen, und das konnte sich der Überwacher nicht erlauben.

Aber jetzt hatte sie erst einmal einen Job – und einen Arbeitgeber, dessen andere Form ein Wolf war. Das sah man an seinem Nachnamen. Wer Wolfgard hieß, war ein Terra Indigene, der sich in einen Wolf verwandeln konnte. Oder vielleicht war es ein Wolf, der sich in einen Menschen verwandeln konnte. Selbst der Überwacher, der seine Spione überall hatte, hatte nicht mehr über die Anderen herausfinden können, als fast alle ohnehin schon wussten.

Sie dachte über Schnee und Kälte nach und darüber, einen ganzen Tag lang zusammengerollt im Bett zu verbringen.

Und darüber, an ihrem ersten Arbeitstag entlassen zu werden und da draußen auf sich allein gestellt zu sein. Also stand sie auf und nahm noch eine lange, heiße Dusche, weil es hier niemanden gab, der ihr das verbot. Sie zog den Bademantel über und rubbelte sich das Haar trocken, während sie die Kleidung betrachtete, die Tess ihr dagelassen hatte. Nicht viel Auswahl. Ein Paar schwarze und ein Paar dunkelblaue Jeans. Zwei dicke Pullover: einer schwarz, der andere mittelblau. Zwei cremefarbene Rollkragenpullis.

Schwarz erschien ihr zu formell für den ersten Arbeitstag, daher entschied sie sich für Blau. Erleichtert, dass von der Unterwäsche bis hin zu den klobigen, jedoch überraschend bequemen Schuhen alles passte, inspizierte sie die Küchenecke. Sie öffnete Türen und Schubladen und fand eine kleine Kaffeemaschine, von der sie keine Ahnung hatte, wie man sie bediente, sowie eine Mikrowelle, von der sie auch keine Ahnung hatte, wie man sie bediente. In einer Schublade befanden sich die Bedienungsanleitungen, aber ein Blick auf die Uhr sagte ihr, dass sie das Nachlesen besser verschieben sollte. Ihr Kopf war voll von Bildern, aber das waren jeweils Bilder oder Clips von bereits ausgeführten Aktionen – genug Information, damit sie erkennen konnte, worum es ging, aber nicht genug, um es dann auch selbst tun zu können.

Die Schnitte, die man ihr zugefügt hatte, um sie für Lügen und Widerrede zu bestrafen, hatten sie beinahe den Verstand verlieren lassen. Aber sie hatten auch viele vorherige Bilder, die sie in den Prophezeiungen gesehen haben musste, miteinander verbunden und in einen erkennbaren Zusammenhang gebracht. Wenn sie nicht bestraft worden wäre, dann hätte sie auch nicht gelernt, wie man wegläuft.

Da Meg nicht wusste, wie lange das Essen vorhalten musste, beschränkte sie sich auf ein Glas Orangensaft und zwei Stückchen scharfen, gelben Käse und ein Stück gekochtes Hähnchenfleisch. Danach war sie immer noch hungrig und fand nach weiterem Suchen eine Schachtel Cornflakes und ein Päckchen Schokoladenkekse.

Sie riss das Päckchen auf und aß zwei der Kekse so schnell, dass sie nicht einmal deren Geschmack wahrnahm. Den dritten Keks kaute sie langsam und genüsslich. Dann stellte sie die Packung entschlossen in den Schrank zurück und schloss die Tür.

Unterrichtsbild: Ungeziefer, das über im Schrank stehende, geöffnete Packungen krabbelt.

Sie öffnete die Schranktür und nahm die Packung mit den Keksen heraus. Man konnte sie nicht mehr richtig verschließen, daher suchte Meg in den Schränken herum, bis sie im Fach unter der Mikrowelle ein paar kleine Glasschüsseln mit Deckeln fand. Aber die Packung passte in keine von ihnen hinein, solange sie nicht ein paar mehr Kekse aß …

Sie griff nach einem weiteren Keks, überlegte es sich dann aber anders und suchte noch einmal in den Schränken herum. Schließlich fand sie einen Topf mit Deckel, der groß genug war. Ein Blick auf die Uhr sagte ihr, dass sie keine Zeit mehr hatte, also musste der Topf herhalten.

Sie zog die Stiefel an und steckte ihre Schuhe in eine der großen Reißverschlusstaschen, die Tess ihr dagelassen hatte. Sie musste sich unbedingt eine Handtasche für all die Kleinigkeiten anschaffen, die man so bei sich trug.

Was für Dinge trugen Frauen eigentlich so bei sich?

Während Meg zur Tür ging, war sie so stark mit all den Unterrichtsbildern von Handtaschen und deren Inhalt beschäftigt, dass sie durch das leise Klopfen an der Tür zu Tode erschrak und mit einem erschrockenen Quieken zurücktaumelte. Das zweite Klopfen, lauter und ungeduldig, klang auf eine seltsame Weise geradezu beruhigend.

Meg entriegelte die Tür und zog sie so weit auf, dass sie hinausschauen konnte.

Simon Wolfgard starrte sie an.

»Mr Wolfgard.« Sie machte die Tür ganz auf. »Ich hatte Sie nicht erwartet.«

»Nicht?« Er trat über die Türschwelle und drängte sie dadurch in die Wohnung zurück. »Da Sie diese Arbeit noch nie gemacht haben, dachte ich mir, dass Sie es vielleicht zu schätzen wissen, wenn man Sie auf Ihre Pflichten aufmerksam macht. Außerdem wollte ich Ihnen die Abkürzung zum Verbindungsbüro zeigen, damit Sie nicht an der Straße entlanggehen müssen.«

Woher wusste er, dass sie es vermeiden wollte, außerhalb ihres Gebietes zu sein? Wusste er, wer sie wirklich war? Was sie war?

Er beobachtete sie. Im Gegensatz zu gestern Abend war seine Nickelbrille nicht imstande, die bernsteingrünen Raubtieraugen hinter den Gläsern zu verbergen. Aber er tat weiter nichts, als sie zu beobachten … weil er darauf wartete, dass sie ihren Mantel überzog, damit er ihr den Weg zum Verbindungsbüro zeigen konnte, bevor er selbst zur Arbeit ging.

In manchen der Filme, die man ihr gezeigt hatte, grunzten Menschen genervt auf oder schlugen sich mit der Hand vor die Stirn, wenn sich sie bei einer Dummheit ertappten. Meg hatte das Gefühl, dass Simon Wolfgard bereits wusste, dass sie ziemlich dumm war, und sie hatte keine Lust, das auch noch zu bekräftigen.

Sie holte den roten Mantel aus dem Kleiderschrank.

»Mütze, Handschuhe und Schal«, sagte er und sah sich im Zimmer um, als wolle er den jetzigen Zustand mit dem vergleichen, was er hier gestern Abend gesehen hatte.

Meg fand das Gesuchte im Schrankregal. Sie wickelte sich den Schal um den Hals und zog sich die Mütze über, während sie auf ihn zuging.

»Schlüssel«, sagte er.

Sie sah die Schlüssel auf dem Tisch liegen. Dann blickte sie sich um, so wie er es getan hatte, und versuchte sich daran zu erinnern, was ein normaler Mensch vor dem Verlassen einer Wohnung tun würde.

»Fertig?«, fragte Simon.

War das eine Fangfrage? Sie hatte so viele Fragen. Es gab so viel, das sie nicht wusste. Aber er war ihr Arbeitgeber und so erschien es ihr nicht angebracht, ihn Dinge zu fragen, die nichts mit dem Job zu tun hatten.

Er trat in den Flur hinaus und sah ihr dabei zu, wie sie unbeholfen mit dem Schlüssel im Loch herumstocherte. Sie steckte die Schlüssel in die Manteltasche und stellte erleichtert fest, dass diese einen Reißverschluss hatte. Leute verloren gern mal ihre Schlüssel. Die Narben an ihren Zehen legten davon Zeugnis ab.

Einige Schritte von ihrer Tür entfernt befand sich ein weiterer Flur, der auf die Rückseite des Gebäudes und zu einer hölzernen Tür mit Glasfenstern führte.

Simon drehte den Türknopf. »Das ist der dritte Schlüssel am Schlüsselbund. Sie brauchen keinen Schlüssel, um hinauszugehen, aber Sie brauchen ihn, um wieder hineinzukommen.«

»Der dritte Schlüssel«, wiederholte sie. Sie folgte ihm nach draußen und fühlte, wie ihre Lungen gefroren. »Es ist kalt!«

»Sie befinden sich im Nordwesten und es ist Winter. Da ist es nun mal kalt. Vorsicht auf diesen Stufen. Sie wurden heute Morgen gefegt, aber sie können immer noch glatt sein.«

Entgegen seiner eigenen Warnung, sprang er förmlich die Stufen hinunter. Meg klammerte sich mit einer Hand am Geländer fest und umklammerte die Reißverschlusstasche mit der anderen.

Simon zeigte auf ein Gebäude, das schräg gegenüber von ihnen lag. »Das ist die Rückseite des Verbindungsbüros. Wir gehen da sofort hin. Aber vorher …« Er schritt an einem einstöckigen Gebäude mit großen Türen vorbei. »Die Garagen. In einigen davon stehen Fahrzeuge, die anderen werden als Lager genutzt.«

»Garagen«, murmelte sie und bemühte sich, mit seinen langen Schritten mitzuhalten.

Simon wandte sich nach links und führte sie an einem leeren Bereich vorbei, der an drei Seiten von Mauern umschlossen war.

»Angestelltenparkplatz«, sagte er. Er hielt einen Moment inne, um auf eine Tür in der Rückwand zu zeigen. »Die führt zum Kundenparkplatz. Sie ist abgeschlossen und wird nur zu Wartungszwecken benutzt.« Er ging am Parkplatz vorbei und durch einen Torbogen.

Meg schaute an den Gebäuden hoch, die einen freien Bereich umstanden. Drei davon waren jeweils drei Stockwerke hoch; eine Seite, in der sich zwei größere Torbögen befanden, war nur zweistöckig.