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In einem Reich, das im Schatten des Dunkelherrschers erzittert, schmieden die freien Völker eine letzte Verteidigungslinie: die mutigen Dainor, die weisen Iriël und die lichttreuen Lúgarim, Orks, die sich vom Pfad der Finsternis abgewandt haben. Doch eine kleine Gruppe von Heldinnen und Helden spürt, dass ihre Bestimmung jenseits der Mauern liegt. Getrieben von Abenteuerlust und dem unerschütterlichen Willen, jene zu retten, die noch nicht in den Schatten gefallen sind, wagen sie einen Schritt, vor dem selbst Krieger alter Tage zurückschrecken würden: den heimlichen Einbruch in das Dunkelreich selbst. Auf ihrem Weg begegnen sie Sylrel, einer Iriël, die alles verloren hat – außer dem Mut, weiterzugehen. Gemeinsam dringen sie tiefer in die Schatten vor, enthüllen grausame Wahrheiten und entdecken zugleich, wie stark Licht sein kann, wenn es von Freundschaft getragen wird. Mit seinem unverkennbaren Stil erschafft Andy Waldner eine female-fronted High Fantasy–Erzählung, die den Geist der Classic Fantasy atmet und dennoch mit zeitlosen Themen berührt. Dieses Abenteuer ist nicht nur ein Tribut an die epische Welt von Tolkien, sondern auch ein Spiegel unserer Gegenwart – ein klares Bekenntnis gegen Gewalt an Frauen und ein Ruf nach Menschlichkeit, Mut und Hoffnung in dunklen Zeiten.
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Seitenzahl: 215
Veröffentlichungsjahr: 2025
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Black Tower Music & Books
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1. Auflage 2025
© 2025 Andy Waldner.
Alle Rechte vorbehalten.
Verlag:
Black Tower Productions
Alte Post 1
6383 Wiesenberg
Schweiz
Herstellung: epubli - ein Service der neopubli GmbH, Köpenicker Straße 154a, 10997 Berlin
Kontaktadresse nach EU-Produktsicherheitsverordnung: [email protected]
Inhaltsverzeichnis
Zeitliche Einordnung
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Namensverzeichnis
Andy Waldner
IN DAS
UNGEWISSE
„In das Ungewisse“ ist eine Kurzgeschichte, die sich nahtlos in die Chroniken von Nyrassar einfügt. Sie kann jedoch gelesen werden, ohne die anderen Bücher zu kennen. Als Leserin oder Leser wirst du dann aber von Namen und Geschehnissen hören, die du vielleicht nicht einordnen kannst, was aber für die Geschichte nicht relevant ist.
Solltest du diese Kurzgeschichte jedoch zusammen mit den Chroniken von Nyrassar lesen wollen, dann empfehle ich, sie nach Kapitel 13 von Averië – Aurelinya zu lesen, da ist sie zeitlich einzuordnen.
Diese Kurzgeschichte ist ab einem Alter von 16 Jahren geeignet.
Viel Spaß beim Lesen!
Andy Waldner
Der Wind kam kalt herab von den Höhen des Arôn-Nimrath, und kleine Wellen kräuselten sich auf der dunklen Fläche des Varethil, jenes finsteren Sees, der wie ein stilles Auge zwischen den Wäldern lag. Hohe Kiefern standen ringsum wie schweigende Wächter, schwarz gegen den Himmel, und jenseits der Ufer breitete sich die weite Ebene von Dorvethar aus. Eine tiefe Stille ruhte über dem Land; nur das Schlagen vieler Hufe, das Knattern und Flattern der Banner im Wind und das murmelnde Rauschen des Flusses waren zu vernehmen, der schäumend über große Steine talabwärts stürzte.
Jorund ließ seinen Blick gen Norden schweifen, dorthin, wo im fernen Dunst das Haldorath-Gebirge aufragte. Dahinter lag die Mark, die den Zugang zu den weiten Ebenen von Skarnveld öffnete, und weiter noch die Lande von Loth-Galor – ein Ort, an dem er sich weder heute noch je zu irgendeiner Zeit wiederfinden wollte.
„Hör auf, ein so finsteres Gesicht zu ziehen“, brummte da Skallagrim, ein Mann von wuchtiger Gestalt mit breiten Schultern und einem langen, wirren Bart. Seine grauen Augen funkelten streng. „Du bist des Königs Sohn, Jorund. Vergiss das nicht – und benimm dich auch so.“
Jorund seufzte, straffte die Schultern und setzte sich im Sattel auf. „Skallagrim… werde ich sterben?“
Ein helles, raues Lachen brach die Stille entzwei. „Bei allen Göttern!“ schnaubte Skallagrim. „Wir haben die Mauern Thalgrinds kaum hinter uns gelassen, und du sprichst schon vom Sterben?“ Er schüttelte ungläubig den Kopf. „Hör mir gut zu, Junge: Wir sind die Krieger von Thalgrind. Wir reiten im Namen König Hallvarðrs, deines Vaters. Die Krieger Thalgrinds stehen aufrecht – sie ziehen nicht aus, um zu sterben, sondern um zu siegen! Schreib dir das hinter deine grünen Ohren, und zwar ein für alle Mal. Hast du mich verstanden?“
Jorund erwiderte nichts; er starrte bloß vor sich hin, und seine Augen blieben leer, doch ein Widerspruch kam ihm nicht über die Lippen.
Langsam wand sich die Straße talwärts. Sie führte vorbei an gewaltigen Felsblöcken, die dalagen, als hätten Riesen sie achtlos hingeschleudert. Borstige Gräser und wilde Blumen säumten den Weg, und die Luft war schwer vom harzigen Duft der Kiefern. Die Zeit verrann still und unmerklich, Minuten oder Stunden, bis Jorund erneut sprach.
„Skallagrim… was denkst du, wird uns dort erwarten?“
Der ältere Krieger hob den Kopf und schaute ihn an. „Das weiß ich nicht, Junge. So wie ich es verstanden habe, wollen sie die Belagerung um das Schwarze Reich verstärken. Vielleicht werden wir am Ende mehr bauen als kämpfen. Aber wer kann schon sagen, was Malrik im Schilde führt?“ Er zuckte mit den Schultern. „Eines jedoch weiß ich: Wir haben viele gute Männer und Frauen an unserer Seite. Und gleich, was uns erwartet – ich werde dich schützen, das schwöre ich.“
„Ich bin zwanzig Jahre alt, Skallagrim“, entgegnete Jorund, nun mit einem Anflug von Verärgerung in der Stimme. „Fast so groß wie du – und doch weiß ich kaum etwas von der Welt.“ Seine Augen schweiften über die dunklen Wälder, über die weite Ebene, bis er schließlich zu seinem Begleiter zurückkehrte. „Ehrlich gesagt, ich kenne nicht einmal viel von diesem Malrik. Und nun soll ich ausgerechnet bis an seine Schwelle ziehen.“
Skallagrim grinste breit, und sein bärtiges Gesicht wurde heller. „Zwanzig Jahre? Das ist ja ein ehrwürdiges Alter, mein Kleiner!“ Sein Lachen hallte über das Land, schnitt durch das Pfeifen des Windes und klang wie eine trotzige Antwort auf die drohende Ferne. „Und was Malrik angeht: Wenn du willst, können wir gemeinsam an seine Türe klopfen und fragen, ob jemand daheim ist.“
Da musste selbst Jorund lachen, und für einen Augenblick wich die Schwere von ihm.
Als die Sonne tief im Westen stand und die Wipfel der Kiefern golden färbte, lag Thalgrind weit hinter ihnen zurück. Am Horizont zeichneten sich nun klar die gezackten Linien des Haldorath-Gebirges ab, schimmernd im Dunst.
„Von hier sind es noch gut ein Tagwerk bis zur Mark“, murmelte Skallagrim leise, während er neben Jorund ritt. „Ich rate, dass wir hier ein Lager errichten und bei Tagesanbruch weiterziehen. Doch denk daran, Jorund: Du bist der Sohn des Königs. Es wäre gut, wenn der Befehl zum Lagern von dir selbst käme. Die Männer und Frauen müssen dich sehen und spüren – sie müssen merken, dass du hier bist.“
Jorund schwieg eine Weile, seine Stirn in Falten gelegt. Dann nickte er entschlossen, trieb sein Pferd an und ritt einen weiten Bogen, ehe er sich der Kolonne entgegenstellte. Mit fester Stimme rief er den Kriegern zu, Halt zu machen und das Lager aufzuschlagen. Die Gefolgschaft gehorchte, und schon bald klirrten Hämmer gegen Zeltheringe, und Feuerfunken sprühten in die sinkende Dämmerung.
Als Jorund am Ende der Reihe angekommen war und sein Pferd wendete, kam ihm Skallagrim entgegen. Er musterte ihn schweigend, dann lächelte er, nickte leicht und legte die Rechte an die Brust. „Das war ein guter Anfang“, sprach er schließlich, und seine Stimme klang ernst, doch auch voller Stolz.
Später, als sie im flackernden Licht eines kleinen Feuers saßen und eine einfache Mahlzeit miteinander teilten, spürte Jorund zum ersten Mal, dass er vielleicht doch in die Rolle hineinwachsen konnte, die ihm bestimmt war.
Jorund saß am Feuer, die Hände in den Schoß gelegt, und starrte lange in die tanzenden Flammen. Sein Geist war weit abgewandert, fortgetragen von den wirbelnden Funken, die wie kleine Sterne in die klare Nacht hinaufstiegen. Aus der Ferne klangen Lieder herüber, rau und fröhlich zugleich, durchbrochen vom Schall des Lachens, das über das Lager hallte wie eine Woge aus Leben und Mut. Der Duft von Harz, Rauch und gebratenem Fleisch lag schwer in der Luft, und für einen Augenblick fühlte sich alles friedlich an.
Da erklang eine Stimme hinter ihm, die ihn jäh in die Gegenwart zurückriss. „Herr, ich habe den Lagebericht für Euch.“
„Was? Wie bitte?“ Jorund fuhr hoch, blinzelte und schüttelte die Träumerei von sich. Dann sah er den Sprecher und atmete erleichtert auf. „Ach, Arved – du bist es. Verzeih, ich war mit den Gedanken weit fort. Setz dich doch.“ Er deutete auf den leeren Schemel gegenüber. „Nun, was hast du zu berichten?“
Arved ließ sich nieder, legte Helm und Handschuhe beiseite und sprach leiser: „Die Gegend ist ruhig. Auch die Iriël in Ithilwen zeigen keine Anzeichen von Unruhe, es wirkt, als rechneten sie nicht mit Krieg. Der Durchgang zur Mark ist frei, doch ein großes Heer unter dem Anführer Feysiriel lagert dort. Es sieht so aus, als würden sie den Zugang bereits sichern.“ Einen Moment schwieg er, ehe er Jorund direkt ansah. „Feysiriel ist schwer einzuschätzen. Er ist ein Iriël, ein bewährter Krieger, und viele Schlachten hat er überstanden. Doch er ist… ein eigentümlicher Bursche, nicht so umgänglich wie andere seiner Art. Ich empfehle, große Vorsicht walten zu lassen, wenn wir auf ihn treffen.“
„Feysiriel…“ Jorund runzelte die Stirn, als grabe er nach einer Erinnerung. „Der Name ist mir nicht fremd. Ich habe schon von ihm gehört.“
„Gewiss hast du“, brummte Skallagrim, der sich nun mit schwerem Schritt näherte und sich zu ihnen setzte. Das Feuer spiegelte sich in seinen grauen Augen. „Er war es, der in der Calrúnnar ein ganzes Orkheer niedermetzelte – allein. Die Lieder sagen, er sei schwer verwundet gewesen, gegen einen Felsen geschleudert, beinahe tot. Doch als der Orkhäuptling ihm den letzten Schlag versetzen wollte, erhob er sich wie ein wildes Tier, rasend vor Zorn. Er riss dem Häuptling den Kopf von den Schultern und zertrümmerte daraufhin das ganze Heer. Fünfhundertsechsundzwanzig Orks, so berichten die Sänger – alle von seiner Hand erschlagen.“
Jorund starrte ihn entgeistert an. „Ähm… wie wäre es, wenn du morgen mit ihm sprichst, Skallagrim?“
Da brach Arved in ein leises Lachen aus, und selbst Skallagrim musste grinsen. „Tut mir leid, Prinz Jorund,“ erwiderte er trocken, „morgen habe ich meinen freien Tag.“ Und da lachten sie zu dritt so herzlich, dass die Stille der Nacht für kurze Zeit von ihren Stimmen zerrissen wurde.
„Doch Scherz beiseite“, fuhr Arved schließlich fort, räusperte sich und wurde wieder ernst. „Es gibt noch eine andere Nachricht: Von Süden her nähert sich ein kleiner Trupp der Lúgarim, wohl zweihundert bis dreihundert Mann stark. Ich vermute, sie haben dasselbe Ziel wie wir, doch sie liegen noch einige Tagesmärsche hinter uns.“
Jorund hob die Brauen und wandte sich an seinen Gefährten. „Skallagrim, was weißt du über die Lúgarim?“
Jorund lauschte aufmerksam, als Skallagrim leise zu sprechen begann und in die Ferne sah, als suchte er dort nach den rechten Worten. „Die Lúgarim sind ein seltsames Volk“, sagte er nachdenklich. „Sie waren Orks, hervorgegangen aus dem finsteren Königreich. Doch vor vielen Zeitaltern, ehe Sonne und Mond geboren wurden, wandten sie sich von Malriks dunkler Stimme ab. Das Licht der Götter ist in ihnen nicht gänzlich erloschen. Sie suchen nach Frieden und nach Freiheit – so wie wir, und wie die Iriël.“
Einen Wimpernschlag schwieg er, und etwas Ehrfurcht lag in seiner Stimme, als er hinzufügte: „Ich würde die Lúgarim gerne mit eigenen Augen sehen. Sie sind ein Volk von großem Mut – und von Ehre.“
Als am kommenden Morgen die Feuer niedergebrannt waren und die Sonne sanft über die Höhen des Arôn-Nimrath stieg, erwachte das Lager bereits zu neuem Leben. Zelte wurden abgebaut, Pferde gesattelt, Waffen überprüft. Schon bald setzte sich die Schar in geordneten Reihen wieder in Bewegung.
Noch vor dem Mittag erreichten sie einen steinigen Kessel, der sich nach Norden hin öffnete. Dort senkten sich die Hänge, und der Weg führte hinab zur Mark. Duftende Sträucher wuchsen zwischen grauen Felsen, und knorrige kleine Bäume drängten sich trotzig aus schmalen Ritzen.
„Es ist an der Zeit, darüber zu sprechen, wie wir Feysiriel begegnen wollen“, sagte Skallagrim ernst. „Sei dir sicher, Jorund: er wird dich prüfen. Wenn er auch nur den Hauch von Unsicherheit wittert, wird er sie auskosten.“
„Hast du einen Rat für mich?“ Jorunds Stimme klang knapp, doch seine Stirn verriet die Sorge, die ihn beschäftigte.
„Sei eines Königs würdig. Halte seinen Blick. Lass dich nicht provozieren. Sprich wenig – und wenn du sprichst, dann klar, mit dem Ton eines Mannes, der weiß, was er tut.“ Er grinste schief und zuckte mit den Schultern. „So schwer ist das nicht, oder?“
Jorund verzog den Mund zu einem mühsam erzwungenen Lächeln. „Ja, unglaublich einfach. König werden in nur zwei Tagen… Hätte ich doch weniger Feste gefeiert und öfter auf meinen Vater gehört.“
Doch Zeit zum Lernen blieb ihm nicht. Denn plötzlich war der Weg versperrt. Ein Trupp Iriël stand dort. Sie trugen dunkelgrüne Gewänder und darüber Brustpanzer aus Kupfer, in die drei große Sterne eingraviert waren. Ihre Schilde waren von grauem Stahl, verziert mit silbernen Linien, und jeder von ihnen hielt ein langes, leicht gebogenes Schwert in der Hand.
„Daro!“ rief einer der Krieger aus der Mitte und trat einige Schritte vor. „Wer seid ihr, dass ihr mit solchem Aufgebot zur Mark zieht? Sprecht rasch, Dainor – oder sterbt!“
Jorund stieg vom Pferd, trat festen Schrittes vor und legte die rechte Hand auf seine Brust. „Seid gegrüßt, Freunde. Ich bin Jorund, Prinz von Thalgrind, Hallvarðrs Sohn.“ Er versuchte, dem Mann in die Augen zu schauen – doch dessen Gesicht war hinter einem Helm verborgen.
„Und wer seid ihr,“ fuhr Jorund fort, „dass ihr uns mit dunklen Worten den Weg verwehrt, da wir doch von Maurek selbst gesandt wurden, um Loth-Galor zu unterstützen?“
Der Iriël schwieg einen Moment, dann zog er den Helm ab. Langes, blondes Haar fiel über seine Schultern, und leuchtend blaue Augen musterten Jorund aufmerksam. „Ich bin Henival, Anführer der Wacht“, sprach er. „Meine Aufgabe ist es, diese Welt vom Dunkel zu befreien, das auf ihr lastet.“ Er ging langsam um Jorund herum, sein Blick forschend. „Ein Prinz also… Doch ziemlich jung. Sind die Prinzen der Dainor allesamt noch Kinder?“
Jorund hielt stand, reglos. „In euren Augen mögen wir jung erscheinen. Doch wir sind nicht unsterblich wie ihr, Henival. Für uns ist die Zeit ein kostbares Gut, das wir nicht verschwenden können. Vielleicht ist es sogar gut, dass unsere Jahre kurz sind – sie treiben uns dazu, zu handeln, anstatt Jahrhunderte nur zuzusehen und Lieder zu singen.“
Henival blieb stehen. „Du meinst also, wir säßen nur untätig?“
„Das habe ich nicht gesagt. Wenn du das gehört hast, liegt es an dir.“
Henival legte den Kopf leicht schräg, ein Schatten von Belustigung in seinen Augen. „Prinz Jorund von Thalgrind – wenn dein Mut und deine Kampfeskraft ebenso scharf sind wie deine Zunge, dann wird der Feind an dir keinen Freund finden.“ Ein mildes Lächeln huschte über sein Gesicht. „Ihr dürft passieren.“ Mit einer Handbewegung gab er seinen Männern das Zeichen, und sie traten beiseite.
Rasch kehrte Jorund zu seinem Pferd zurück, schwang sich in den Sattel und ritt an Henival vorbei.
„Nathlo i galad na le!“ rief dieser ihm nach – möge das Licht mit dir sein.
Jorund nickte knapp, und sein Heer folgte schweigend.
Nach einigen Minuten, als die Wächter längst hinter ihnen lagen, brach Skallagrim in schallendes Gelächter aus. „Junge, Junge! Kaltschnäuzig hast du dem Iriël die spitzen Ohren langgezogen! Ich bin stolz auf dich, Prinz Jorund!“
Jorund wandte seine Augen ab, und ein Lächeln huschte unsicher über sein Gesicht. Doch in seinem Inneren bebte es noch nach, jener Moment, als er Henival entgegentrat. Denn leicht war es ihm nicht gefallen. Sein Herz hatte gerast, seine Hände hatten geschwitzt, und mehr als einmal war ihm der Gedanke gekommen, einfach zu schweigen und den Kopf zu senken. Doch dann hatte er sich erinnert – an ein Bild aus seiner Kindheit. Er sah vor sich seinen Vater, hoch aufgerichtet, wie er einst ein wildes Pferd gezähmt hatte: nicht mit Gewalt, sondern mit fester Hand, ruhigem Blick und der stillen Gewissheit, dass man nicht weichen durfte.
So hatte er versucht, dieselbe Haltung einzunehmen, gerade zu stehen, die Stimme fester klingen zu lassen, als es sein Inneres vermochte. Ob Henival seine Unsicherheit bemerkt hatte, wusste er nicht – aber es war ihm gleich, denn zum ersten Mal spürte er, dass Mut nicht das Fehlen von Furcht war, sondern ihr standzuhalten.
Er atmete tief durch, und während Skallagrims Lachen zwischen den Felsen widerhallte, wuchs in ihm ein neuer Funken. Er war noch klein, wie eine Glut im Wind – doch er brannte, und Jorund wusste, dass er stärker daraus hervorgegangen war.
Das Land veränderte sich mit jedem Hufschlag. Hinter ihnen lag das steinige, raue Gestein der Berge, wo nur Sträucher und verkrümmte Bäume ihr Dasein fristeten; vor ihnen aber breitete sich die Mark aus, weit und offen, vom Glanz der Mittagssonne übergossen. Dort, wo die letzten Hügel in die Ebene hinabfielen, erhob sich ein wimmelndes Lager. Zelte standen in langen Reihen, Banner flatterten im Wind, und überall hallte das Klirren von Metall, das Knarren von Wagen und das dumpfe Schlagen der Hämmer wider. Männer in Rüstungen gingen geschäftig umher, andere warfen Gräben aus und errichteten Palisaden, als bereiteten sie sich auf eine große Belagerung vor.
Das muss Feysiriels Lager sein", murmelte Skallagrim, und prüfte dabei die frisch gezogenen Gräben.
Jorund schwieg. Sein Herz schlug schneller, je näher sie dem Lager kamen. Überall richteten sich Blicke auf sie – misstrauisch, wachsam, wie Speere, die ihm ins Herz zu treffen suchten. Als sie das noch unfertige Tor der Befestigung erreichten, erhob sich eine kräftige Stimme:
„Haltet! Nennt euren Namen und euer Recht, diese Stätte zu betreten.“
Aus dem Schatten eines Zeltes trat ein Mann hervor. Groß von Gestalt war er, mit langem schwarzen Haar, einem Mantel aus schwerem, dunklem Stoff und einem Brustpanzer, in den goldene Linien eingearbeitet waren. Eine tiefe Narbe zog sich über sein Gesicht, und in seinen grünen Augen glomm ein kaltes, fast spöttisches Feuer.
Es war Feysiriel.
Jorund schwang sich vom Pferd, wie er es auch bei Henival getan hatte, doch diesmal fühlte er die Schwere der Stunde deutlicher. Mit fester Stimme sprach er: „Ich bin Jorund von Thalgrind, Hallvarðrs Sohn, Prinz meines Volkes. Wir kommen im Auftrag Maureks, um gegen die Feinde im Norden zu stehen und an eurer Seite zu kämpfen.“
Ein kaum wahrnehmbares Lächeln huschte über Feysiriels Lippen. „An meiner Seite, sagst du?“ Langsam schritt er näher, die Hände locker auf den Knauf seines Schwertes gelegt. „Viele kommen mit solchen Worten. Wenige jedoch erweisen sich als von Nutzen.“ Er maß Jorund vom Scheitel bis zur Ferse, prüfend wie ein Händler eine Ware. „Ein Prinz also. Du siehst jung aus, fast zu jung, um Männer in den Krieg zu führen.“
Jorund hob das Kinn. „Es ist nicht das Alter, das Mut verleiht, sondern die Notwendigkeit. Ich bin nicht bereit, aber die Zeit drängt, und mein Vater... mein Volk erwartet es von mir.“
Ein kurzes Schweigen folgte. Dann lachte Feysiriel leise. „Gut geantwortet. Doch Worte sind leicht, junger Prinz. In meinem Lager zählt die Stärke.“
Er wandte sich an einen Hauptmann. „Unsere Gäste bleiben, bis ich über ihre Brauchbarkeit im Kampf entschieden habe. Bringt ihnen Speis und Trank, während ich mich mit dem Prinzen unterhalte.“
So wurde Jorund inmitten des Lagers geführt, wo viele Blicke ihm folgten, neugierig und musternd. Feysiriel brachte ihn zu einem großen, runden Zelt; die Wachen traten schweigend zur Seite. Drinnen war alles von unerwarteter Pracht: ein massiver Tisch mit vielen Stühlen, mit weißen Fellen belegt, Kommoden aus hellem, filigran geschnitztem Holz, auf denen Kristallkrüge und Becher standen. An der Zeltwand hing eine große Karte, die das Lager, Loth-Galor und die nördlichen Lande zeigte.
„Nehmt Platz, Prinz Jorund“, sagte Feysiriel und goss aus einer geschwungenen Flasche eine grüne Flüssigkeit in zwei Becher. Ein würziger Duft nach Minze erfüllte die Luft. „Ich bin Hauptmann Feysiriel, wie ihr sicher schon wisst. Meine Aufgabe ist es, diesen Durchgang zu sichern, sodass der Feind hier niemals durchbrechen kann. Doch mein Herz verlangt nach dem Westen, dorthin, wo die Front sich wölbt und der Feind mit Macht anbrandet.“ Er leerte den Becher mit einem Zug.
Dann musterte er Jorund erneut. „Doch sagt mir, Prinz der Dainor: Warum verlasst ihr den Schutz eurer Berge und reitet nach Loth-Galor hinab?“
„Feysiriel,“ erwiderte Jorund ernst, „wir würden es nicht tun, wäre die Welt nicht am Scheideweg. Der dunkle Feind ist zurückgekehrt, und er bedroht nicht nur eure Länder. Auch Thalgrind ist in Gefahr.“ Er deutete auf die Karte. „Die Dainor sind Teil dieser Welt, und es ist unsere heilige Pflicht, sie Seite an Seite mit euch, den Iriël, zu verteidigen.“
Feysiriel lehnte sich zurück, die Augen schmal, und sprach leise: „Ihr seid der erste Dainor, der vor mir steht. Und doch seht ihr mir nicht aus wie ein großer Krieger.“„Eure Augen täuschen Euch nicht,“ entgegnete Jorund ruhig, „denn ich bin wahrlich kein Held wie ihr. Ich habe noch viel zu lernen. Doch meine Männer sind ausgezeichnete Kämpfer, deren Mut und Treue ohne Fehl sind.“
Ein langes Schweigen lag zwischen ihnen.
Dann brach Feysiriel die Stille: „Sagt mir, Jorund, ich habe gehört, ihr seid ein sterbliches Volk. Wenn ihr fallt, dann sinkt ihr in den Schatten der Welt und kehrt niemals heim.“ Seine grünen Augen suchten den Blick des Prinzen.
Einen Atemzug lang schwieg Jorund, und in seinen Zügen lag nun tiefer Ernst. „Es ist wahr, was ihr gehört habt. Und vielleicht wundert ihr euch, warum wir uns dennoch dieser Aufgabe stellen.“ Er starrte ins Leere. 'Wäre es besser, sich zu verbergen? Abzuwarten? Warten, bis uns das Alter hinwegrafft?' Langsam hob er den Kopf und sah Feysiriel an. 'Vielleicht wäre es leichter so.
Er nahm den Becher, trank einen Schluck, während Feysiriel ihn nicht aus den Augen ließ. „Doch es ist unsere Sterblichkeit, die unser Los bestimmt. Wir kehren nicht in Veyraths Hallen ein, um dereinst zurückzukehren. Wenn wir fallen, so ist es ein Ende ohne Wiederkehr.“ Seine Stimme war ruhig, doch von Nachdenklichkeit getragen.
Feysiriel runzelte die Stirn. „Ein Ende für alle Zeit? Kein Reich hinter den Schleiern des Todes? Keine Wiederkehr in diese Welt?“
„Nein,“ antwortete Jorund leise, „uns ist nur diese eine Spanne gegeben – kurz wie ein Funke, der im Dunkel aufglimmt. Doch gerade darum kämpfen wir. Unser Mut erwächst nicht aus der Gewissheit, dass es weitergeht, sondern aus der Erkenntnis, dass es jederzeit enden kann.“
Er verharrte kurz, dann sprach er weiter: „Nur indem wir kämpfen, vermögen wir unser Schicksal selbst zu bestimmen. Es ist Opfer und Ehre zugleich.“
Lange ruhte Feysiriels Blick auf ihm. Etwas Unausgesprochenes lag darin – ein Widerstreit zwischen Härte und einer fremden Regung, die vielleicht Mitgefühl war. Schließlich sprach er, leise und beinahe tonlos: „Seltsam ist euer Schicksal, Jorund von Thalgrind. Doch euer Wille, trotz solcher Endlichkeit zu bestehen, ist ein Mut, den ich nicht verachten kann.“
Er erhob sich, trat zur Karte und legte die Hand auf die nördlichen Lande. „Ihr müsst nicht länger verweilen. Geht, führt euer Heer – und wisset, dass Feysiriel an eurer Seite stehen wird, wenn die Dunkelheit herannaht.“
Jorund leerte seinen Becher und erhob sich. Einen Moment stand er schweigend da, dann trat er an Feysiriels Seite und streckte ihm die Hand entgegen. „Ich danke dir, Feysiriel. Du bist ein Mann von Ehre.“ Seine Augen glitten über die ausgebreitete Karte. „Wir ziehen nun gen Norden und folgen dann den Ausläufern des Arôn-Vashar nach Westen. Dort wird sich zeigen, was uns erwartet.“
Feysiriel erwiderte den Händedruck, sein Gesicht ernst und unbewegt. „Was auch immer dir und den Deinen begegnen mag – ihr werdet bestehen.“ Er wandte sich ab, schritt bis zur Tür und hielt dort noch einmal inne. Ein letztes Mal schaute er zu Jorund. „Denn dass wir standhaft bleiben, ist das Einzige, was am Ende zählt.“
Bald darauf setzte sich Jorund mit seinem Heer in Bewegung. In einer langen Reihe zogen sie hinaus aus dem Lager, über die grünen Weiten der nördlichen Ebene, wo das Licht der sinkenden Sonne auf den Helmen und Lanzen glitzerte wie Feuerfunken im Abendwind.
„Nun sag mir, was hast du getan, dass er dich so rasch ziehen ließ?“ fragte Skallagrim neugierig, während sie Seite an Seite ritten. „Ich war sicher, wir würden Tage in seinem Lager verweilen müssen.“
Jorund schmunzelte leise, ohne den Blick von der Ferne zu lösen. „Das Bild, das wir uns von Feysiriel machten, war nicht ganz recht. Er mag hart wirken, ja – gezeichnet von dem, was er gesehen und erlitten hat. Doch in seinem Herzen sucht er Frieden. Er will das Dunkle nicht nur bezwingen, sondern für alle Zeit bannen.“ Einen Moment schwieg er, dann legte er die Hand auf den Knauf seines Schwertes. „Weißt du, Skallagrim, wenn der Krieg erst entfesselt wird, wird die Welt Männer wie ihn bitter nötig haben. Männer, die wissen, wie man den Schatten schlägt – und die bereit sind, bis zum Äußersten zu gehen.“
Lange ritten sie gen Norden, still und versunken, ein jeder in seine eigenen Gedanken. Über ihnen spannte sich der weite Himmel, in dem unzählige Sterne wie Silberfunken brannten. Klar und scharf stand der Mond in der Kälte der Nacht, sein Licht goss sich silbern über die Ebene. In der Ferne ragten die Gipfel des Nordens auf, schneebedeckt und von einem sanften Violettschimmer umflossen, der sich im Mondlicht wie ein geheimnisvoller Schleier über die ragenden Zinnen legte. Der Wind trug eine frostige Klarheit mit sich, und die Berge wirkten, als seien sie uralte Wächter am Rand der Welt.
Da hob Jorund die Hand. „Halt! Wir rasten hier. Schlagt das Lager auf.“
Wenig später glommen zwischen aufgestellten Zelten zahlreiche Feuer, um die sich die Krieger sammelten. Gesang und Gelächter erfüllten die Luft, und selbst das helle Klingen von Saiten mischte sich hinein. Der Duft von Fleisch und Kräutern stieg mit dem Rauch in die Nacht.
„Arved, mein treuer Freund,“ sprach Jorund, als sie gemeinsam am Feuer saßen. „Ich möchte hier noch ein, zwei Tage verweilen. Kannst du morgen früh mit deinem Trupp ausreiten und das Land gegen Westen hin erkunden?“ Er nahm einen kräftigen Schluck aus seinem dampfenden Becher, der nach Kräutern und Met roch. „Ich will nicht unvorbereitet weiter reiten.“
„Gut,“ erwiderte Arved ohne Zögern, „wir brechen auf, ehe die Sonne steigt, und kehren nach zwei Tagen zurück.“
Als die Sonne am nächsten Morgen über die Ebene stieg, hing schweres Grau am Himmel. Dichte Wolken trieben dahin, und ein scharfer Wind pfiff durch die Weite, der das Gras niederdrückte. Skallagrim trat ins Zelt, ein verschmitztes Lächeln im Gesicht. „Guten Morgen, Prinz Jorund. Sag mir, warum wünschst du hier zu verweilen?“
Jorund stellte den Becher beiseite und trat nahe an seinen Gefährten. „Zum einen will ich wissen, was im Westen vor sich geht. Zum anderen…“ ein kaum merkliches Lächeln glitt über sein Gesicht, „bin ich nicht abgeneigt, die Lúgarim hier zu treffen.“
„Weise ist es, nicht kopflos vor die Tore des Feindes zu reiten,“ sagte Skallagrim leise und ließ sich schwer auf einen Stuhl fallen. „Die Idee die Lúgarim abzufangen, erfüllt auch mich mit Freude. Wer weiß, welch ein Bündnis daraus erwachsen mag? Es könnte nicht nur im kommenden Krieg, sondern auch für Handel und Frieden von hohem Wert sein.“
