Erhalten Sie Zugang zu diesem und mehr als 300000 Büchern ab EUR 5,99 monatlich.
Kein nächtlicher Polizeibesuch, kein Abführen in Handschellen. Spektakulär ist sie nicht, die Geschichte. Aber fünfzehn Jahre ungerechtfertigte Anklagen und Urteile, Demütigungen, berufliche Schikanierung. Mehrere Hunderttausend Franken Kosten. Akrobatische Verteidigungs- und Überlebensübungen. Unter Stress, mit Glück und moralischer Unterstützung habe ich bis jetzt diesen Kampf gegen die Willkür überlebt. Dies ist kein Kriminalroman, sondern eine Tatsachenschilderung.
Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:
Seitenzahl: 169
Veröffentlichungsjahr: 2020
Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:
Kein nächtlicher Polizeibesuch, kein Abführen in Handschellen. Spektakulär ist sie nicht, die Geschichte. Aber fünfzehn Jahre ungerechtfertigte Anklagen und Urteile, Demütigungen, berufliche Schikanierung. Mehrere Hunderttausend Franken Kosten. Akrobatische Verteidigungs- und Überlebensübungen. Unter Stress, mit Glück und moralischer Unterstützung habe ich bis jetzt diesen Kampf gegen die Willkür überlebt.
Dies ist kein Kriminalroman, sondern eine Tatsachenschilderung.
Vorwort
Überblick
1.1 Der 10. August 2004: Zusammenbruch der Sogevalor AG Verhaftungen und Eingriff der Tessiner Staatsanwaltschaft
1.2 Wie war es dazu gekommen?
1.3 Mein Rücktritt aus dem Verwaltungsrat am 10. März 2004
1.4 Eröffnung der Strafuntersuchung, Gerichtsverfahren und Konsequenzen
Die Geschichte der Sogevalor im Überblick
2.1 Die Zeit von 1977 bis 1999
2.1.1 Meine ersten Jahre in der Sogevalor AG
2.1.2 Der Eintritt von Pierpaolo Matteuzzi
2.1.3 Sanierungsmassnahmen von 1991 und die Folgejahre
2.1.4 Der Rückzug von Diego Abbas in die USA und das sogenannte «Settlement»
2.2 Aufbruch zu neuen Ufern
2.2.1 Die Verstärkung des Aktionariats, des Verwaltungsrats und der Geschäftsleitung 1998/99
2.2.2 Die Restrukturierungsmassnahmen im Einzelnen
2.2.3 Die Verwaltungsratssitzungen im ersten Halbjahr 1999
2.2.4 Übertragung der Geschäftsleitung vom Verwaltungsrat auf den Direktor
2.2.5 Diego Abbas’ Rache
2.2.6 Die Verwaltungsratssitzungen vom Oktober und November 1999 und der Rapport Francopagni*
2.2.7 Jahresende: Die Sitzung des Verwaltungsrats vom 23.12.1999
2.3 Der Erhalt der Effektenhändlerlizenz im Sommer 2000
2.3.1 Der Start ins Jahr 2000
2.3.2 Das Verfahren zur Erlangung der Effektenhändlerlizenz
2.4 Die weitere Verstärkung der Organisation und Erweiterung der Kundenbasis in den Jahren 2000/01
2.4.1 Die Arnaboldis
2.4.2 Die wichtige Sitzung des Verwaltungsrats vom 28. August 2001; Hinweis des Präsidenten auf die ungenügende Ertragslage
2.4.3 Die Neuorganisation der Sogevalor nach den Vorschlägen von Dr. Mario Pierotti und Fausto Arnaboldi
2.5 Die Zeit vom Frühjahr 2002 bis im Sommer 2003
2.5.1 Allgemeines
2.5.2 Der Spezialrapport der Ernst & Young von 2003
2.6 Ein Telefonanruf nach San Francisco: Die Ereignisse im Spätsommer 2003
2.7 Turbulenter Jahreswechsel 2003/04
2.8 Wolken über dem Landwassertal
2.9 Mein Rücktritt
2.10 Der Zusammenbruch der Sogevalor
Der 10. August 2004
Die Untersuchung
4.1 Die Einvernahmen durch die Staatsanwaltschaft, die erste Runde 2004/05
4.2 Die übrigen Einvernahmen 2004 und 2005
4.3 Das Schweigen der Staatsanwälte
4.4 Ruhe vor dem Sturm
4.5 Die Anfrage von Grossrat Lorenzo Quadri im Tessiner Grossen Rat (Kantonsparlament) im April 2010
4.6 John Noseda, genannt der Sheriff, wird Generalstaatsanwalt
4.7 Rochade in der Staatsanwaltschaft
4.8 Rechtsanwalt Mario Patocchi unter massivem Druck und sein Ausscheiden im Februar 2010
4.9 Die wiedereingesetzte Staatsanwältin Bergomi
4.10 Runde zwei der Untersuchungen: Die Wiederaufnahme der sogenannten Untersuchung
Die verschiedenen Massstäbe der Staatsanwaltschaft
5.1 Die selektiven und unterschiedlichen Einvernahmen der Mitglieder des Verwaltungsrats und der obersten Geschäftsführung
5.2 Die Untersuchungshandlungen und die Bewertung der Untersuchungen durch Staatsanwältin Bergomi
Die Anklage
6.1 Die Anklage gegen mich als ehemaliger Verwaltungsratspräsident
6.2 Die Anklage gegen andere Mitglieder des Verwaltungsrats und der Geschäftsleitung
6.3 Die Begründung der Anklage gegen mich
Das Strafgericht und sein Urteil
7.1 Die Zusammensetzung des Gerichts
7.2 Die Verhandlungen vom 22. bis 25. November 2012
7.3 Die Verkündung des Urteils und seine Begründung
Verfahren in der zweiten Instanz, dem Appellationsgericht des Kantons Tessin in Locarno
8.1 Die Zusammensetzung des Gerichts
8.2 Verhandlungen und das Verdikt des Appellationsgerichts
8.3 Die Begründung
8.4 Das Urteil der zweiten Instanz und seine Folgen
8.4.1 Drohender Ruin und Flucht
8.4.2 Die Mär der Unschuldsvermutung
Die Schelte des Bundesgerichts oder Zurück auf Feld 1
9.1 Ausgangslage
9.2 Die Begründung des Bundesgerichts
9.3 Das Urteil gegen Pierpaolo Matteuzzi vom 23. August 2016
9.4 Der Freispruch von Pierpaolo Matteuzzi vom Vorwurf der ungetreuen Geschäftsbesorgung und Misswirtschaft
Ende gut – alles gut?
Nachwort und Dank
Anhang
Namensverzeichnis
Direkter und indirekter Schaden
Sogevalor als Schweizer Effektenhändler
Otto Carl Meier
Die Sogevalor war eine Treuhandgesellschaft mit Sitz in Lugano. Sie verwaltete Kundenvermögen von Schweizern und Ausländern. Solche Gesellschaften gab es gegen Ende des 20. Jahrhunderts in grosser Zahl. Ihre Dienstleistungen wurden hauptsächlich von Ausländern beansprucht, die wegen der Rechtssicherheit und der stabilen politischen Verhältnisse sowie des Bankgeheimnisses ihr Vermögen oder Teile davon in der Schweiz verwaltet haben wollten. Sie wurden mit der Zeit immer mehr gesetzlichen Vorschriften unterworfen; erinnert sei an die sogenannten GWG-Vorschriften, die die Bekämpfung des Terrorismus und der Geldwäscherei zum Ziel hatten. Dies bedeutete auch immer mehr administrativen Aufwand, so dass es im Laufe der Zeit zu Zusammenschlüssen und Übernahmen in dieser Branche kam.
Die Sogevalor entwickelte sich im Laufe der Jahre von einer kleinen Treuhandgesellschaft zu einem bankähnlichen Institut mit entsprechender Struktur. Ich war Verwaltungsrat und später Präsident des Verwaltungsrats dieser Gesellschaft.
Infolge von Betrügereien der Hauptaktionäre geriet die Gesellschaft in Schwierigkeiten und wurde zwangsweise in einem Konkurs liquidiert.
Danach wurde gegen mich als Verwaltungsratspräsident eine Strafuntersuchung eingeleitet und schliesslich Anklage erhoben. Zwar wurde ich – im Gegensatz zu einzelnen andern Verwaltungsräten oder Mitarbeitern – nicht verhaftet, aber ich war während fast fünfzehn Jahren ungerechtfertigten Anklagen, Demütigungen und Schikanierungen ausgesetzt und hatte Hunderttausende Franken an Kosten zu tragen.
Das Buch beschreibt die Geschichte und den Zusammenbruch der Sogevalor aus meiner persönlichen Sicht.
Die Tatsachen sind mit Zehntausenden von Seiten belegt, die sich während der Prozesse angesammelt haben: Rapporte, Zeugenaussagen, Einvernahmen und Gerichtsentscheide.
Die Namen einiger Personen wurden geändert, nicht aber diejenigen der Strafverfolgungsbehörden, der Gerichte und von politischen Exponenten, welche im Übrigen ohne Weiteres öffentlich zugänglichen Dokumenten, Urteilen und Presseveröffentlichungen zu entnehmen sind.
Beau Vallon, Seychellen im Dezember 2019 Otto Carl Meier
Am 10. August 2004, einem schönen Sommermorgen, ging ich um 9 Uhr früh an den Bankomaten bei der UBS Bleicherweg in Zürich – einige hundert Meter neben meiner Anwaltskanzlei –, um Geld zu beziehen. Nur: Der Bankomat verweigerte mir die Herausgabe von Banknoten.
Wie ich unmittelbar danach erfuhr, waren zwei meiner früheren Kollegen aus dem Verwaltungsrat der Sogevalor AG, dem ich seit 1976 angehört hatte, bis ich im März, das heisst ein halbes Jahr vor diesem Ereignis, zurückgetreten war, verhaftet worden, ebenso zwei Mitglieder der Direktion. Die Sogevalor war eine Vermögensverwaltungsgesellschaft in Lugano, die vorwiegend, aber nicht ausschliesslich, italienische Kunden betreute. Sie hatte im Jahr 2000 die sogenannte Effektenhändlerlizenz erhalten und konnte dadurch gewisse Bankgeschäfte selbstständig tätigen. So konnten die Kunden direkt bei ihr Konten eröffnen. Dadurch war sie der Aufsicht der Eidgenössischen Bankenkommission (EBK1), einer Behörde in Bern, welche die Tätigkeit der Banken zu überwachen hatte, unterstellt worden.
Wie sich herausstellte, hatte die Bankenkommission der Sogevalor die Betriebsbewilligung im Sommer 2004 entzogen und Deloitte & Touche, eine der grossen Wirtschaftsprüfungsfirmen, mit der Prüfung der Geschäftstätigkeit beauftragt. Die Prüfung führte zum Entzug der Effektenhändlerlizenz, das heisst der Lizenz, als bankähnliches Institut tätig zu sein, und zum Konkurs der Sogevalor AG.
Gleichentags, an eben diesem 10. August, erhielt ich eine Vorladung der Tessiner Staatsanwaltschaft zu einer Einvernahme auf den 23. August 2004.
Alle Bankkonten, meine persönlichen und solche von Firmen, auf denen ich unterschriftsberechtigt war, wurden gesperrt. So unter anderem alle Konten des Hotels Admiral Lugano, bei welchem ich Verwaltungsrat war, und anderer operativer Gesellschaften. Mit Mühe gelang es, den grössten Schaden zu verhindern und die Löhne des Hotelpersonals sowie diejenigen meiner Anwaltskanzlei und meines Treuhandbüros auszahlen zu können.
Dies alles erfolgte, obschon ich am 10. März desselben Jahres 2004 aus dem Verwaltungsrat ausgeschieden war, weil mir damals Informationen über Investitionen, die ich verlangt hatte, von den massgebenden Aktionären, die zugleich Mitglieder des Verwaltungsrats waren, vorenthalten worden waren. Die Umstände dieses Rücktritts werden später noch zur Sprache kommen.
Im folgenden beschriebenen Untersuchungsverfahren – oder besser in dem beschriebenen Ablauf, denn von einem ernsthaften Untersuchungsverfahren kann nicht die Rede sein –, wurde ich dann vom Corte delle Assise Criminali am 14. Dezember 2012 verurteilt: zu einer Strafe von zwei Jahren Gefängnis und zur Bezahlung einer Summe von CHF 300 000 zusätzlich Spesen von CHF 62 544.12 an den Staat sowie Summen in der Gesamthöhe von CHF 37 554 143 an Personen, deren Namen ich nicht kannte, die ich noch nie gesehen und von denen ich mit wenigen Ausnahmen nie etwas gehört hatte. Daneben wurden mir zugerechnete Vermögenswerte im Betrag von CHF 376 000 beschlagnahmt.
Vorgeworfen wurden mir ungetreue Geschäftsbesorgung und Misswirtschaft (siehe dazu weiter hinten).
Die Schludrigkeit des Urteils zeigt sich schon darin, dass da gesagt wird, die Untersuchungshaft werde mir angerechnet, obwohl ich nie in Untersuchungshaft war. Dies ist symptomatisch für die Art, wie der «Fall» behandelt wurde und zeigt, dass das Gericht Akten und Fakten nicht oder falsch und willkürlich würdigte. Das ist jedoch noch der geringste «Irrtum».
Gegen dieses Urteil hatte ich am 29. März 2013 Berufung erhoben. Das Urteil wurde in der zweiten Instanz, der Corte di Appello e di Revisione Penale (kurz CARP), der strafrechtlichen Abteilung des Tessiner Appellationsgerichts, modifiziert.
Den Vorwurf der ungetreuen Geschäftsbesorgung und Misswirtschaft hat das Gericht aufrechterhalten, die Strafe und den Schadenersatz im Urteil vom August 2014 aber reduziert auf achtzehn Monate Gefängnis, bedingt auf zwei Jahre, einer Entschädigung an den Staat von über CHF 300 000 und zusätzlich zur Bezahlung von Schadenersatz in der Höhe von ungefähr CHF 22 000 000 (22 Millionen!) an die Konkursmasse der Sogevalor, vertreten durch Deloitte & Touche bzw. an einzelne Kunden der Sogevalor, die ich nicht kannte und die ich noch nie gesehen hatte.
Das Bundesgericht annullierte dieses Urteil mit Entscheid vom 6. März 2017, und das Appellationsgericht des Kantons Tessin musste einen neuen Entscheid fällen, der im August 2019 – fast fünfzehn Jahre später – für mich zu einem Freispruch auf der ganzen Linie führte.
Geschäftsführende Mitglieder des Verwaltungrates, die zugleich die massgeblichen Aktionäre waren, hatten hinter meinem Rücken (und hinter dem Rücken anderer) durch betrügerische Machenschaften Klienten geschädigt und ihnen einen Schaden in der Höhe von ungefähr 100 Millionen Franken verursacht.
Der Grund, warum ich am 10. März 2004 zurückgetreten war, lag darin, dass mir Informationen über getätigte Investitionen vorenthalten und auch auf mehrmaliges Verlangen von den Mitverwaltungsräten Pierpaolo Matteuzzi, Rodolfo Oechslin und Giorgio Bernardoni – die zugleich die Mehrheit der Aktionäre verkörperten –, nicht ausgehändigt worden waren.
Es war für mich ein gewaltiger Schock, dass Kunden einer Gesellschaft, der ich lange Jahre als Verwaltungsrat und später als deren Präsident gedient hatte, um ihr Geld geprellt worden waren. Dass die Behörden in diesem Fall auch die Tätigkeit des Verwaltungsrats untersuchen müssen, ist nachvollziehbar, auch dass man in solchen Fällen versucht, Vorwürfe wegen mangelnder Aufsicht zu machen, kann ich nachvollziehen.
Aber es liegen Welten dazwischen, den Verwaltungsräten mangelnde Aufsicht vorzuwerfen und der Beschuldigung des Verwaltungsratspräsidenten, all die Betrügereien gekannt und daran mitgewirkt oder sie auch nur gebilligt zu haben und ihn dafür grundlos straf- und zivilrechtlich zu verurteilen.
Ebenso willkürlich ist es, einzelne Mitglieder des Verwaltungsrats, die in der gleichen Position waren, nicht anzuklagen und die oberste Geschäftsführung und die Kontrollorgane völlig unbehelligt zu lassen.
Von diesem Jahre dauernden abstrusen Verfahren, der Willkür und der Verletzung elementarster rechtsstaatlicher Grundsätze durch die Tessiner Strafjustiz ist hier die Rede.
1 Nachfolgeorganisation der EBK ist die heutige Finanzmarktaufsicht, die Finma.
1977 hat mich Diego Abbas1 , damals Hauptaktionär der Sogevalor AG, auf Veranlassung und nach einer Einführung durch Rodolfo Oechslin – den ich aus meiner Zeit kannte, als ich in einer grossen Tessiner Treuhandgesellschaft gearbeitet hatte – gebeten, als einziger Verwaltungsrat tätig zu sein. Es handelte sich für mich um die typische Funktion als fiduziarischer Verwaltungsrat, wie sie damals üblich war. Die Aktiengesellschaft brauchte gemäss Gesetz einen Schweizer mit Wohnsitz in der Schweiz als Mitglied des Verwaltungsrats. Ausländer, die hier tätig wurden, beauftragten dafür deshalb häufig Rechtsanwälte, so war es auch in diesem Fall der Sogevalor.
Ein Jahr zuvor hatte ich mich in Zürich als Rechtsanwalt selbstständig gemacht, nachdem ich vorher während vier Jahren für eine Tessiner Treuhandgesellschaft in Lugano und ein Jahr in Übersee gearbeitet hatte. Als Verwaltungsrat in einer Tessiner Treuhandgesellschaft, der Sogevalor AG, Einsitz zu nehmen, war für mich eine willkommene Gelegenheit, meine Beziehung zum Tessin aufrechtzuerhalten, auch wenn die Entschädigung bescheiden war: damals 2000 Schweizer Franken pro Jahr. Ich hatte sehr gerne in Lugano gearbeitet und dort in den drei Jahren Bekannte und Freunde gewonnen. Meine Frau und ich hatten uns wohlgefühlt, und unsere beiden Kinder waren in Sorengo am Rande von Lugano in der Clinica Sant ’Anna zur Welt gekommen. Wir hatten uns gefreut über die fröhliche Art der meisten Tessiner und die lockere Atmosphäre in den Pizzerias und Grotti, in die man auch Kleinkinder ohne Weiteres mitnehmen konnte, was nach den Erfahrungen in Zürich und Toronto wohltuend war.
Die Sogevalor SA wurde 1972 mit Sitz in der Via Nassa in Lugano gegründet.
Diego Abbas war ein untersetzter, intelligenter, quirliger Mann und auch den schönen Dingen zugetan. Er lebte teilweise in Mailand und in den USA, in Houston/Texas und New York. In New York besass er ein luxuriöses Apartment im Hotel Pierre, wohin er mich in den frühen 80er-Jahren einmal zum Frühstück einlud. In jener Zeit hatte ich für andere Klienten meiner Anwaltskanzlei häufig in New York zu tun. Ich betreute damals unter anderem Immobilienprojekte in der Nähe von Manhattan.
1977, also in der Anfangszeit meiner Tätigkeit bei der Gesellschaft, hatte die Sogevalor neben Diego Abbas noch einen Minderheitsaktionär mit einem substanziellen Aktienpaket, der jedoch von Abbas nach Meinungsverschiedenheiten ausbezahlt worden war, sodass die Gesellschaft ab diesem Zeitpunkt von Abbas allein beherrscht wurde.
Die Sogevalor war eine typische Vermögensverwaltungsgesellschaft, wie sie in jener Zeit üblich waren. Sie investierte Vermögen von Privatkunden in Wertpapiere und in Immobilien. Letzterer Teil gewann zunehmend an Bedeutung.
Die Geschäfte wurden von Alleinaktionär Diego Abbas persönlich und allein getätigt. Ein beachtlicher Teil dieser Investitionen erfolgte in den Vereinigten Staaten, vielfach in Houston. Abbas selbst verbrachte dort einen grossen Teil seiner Zeit, und auch seine Familie lebte spätestens seit Ende der 80er-Jahre in den USA. Seither verbrachte er immer weniger Zeit in Europa. Die Bedeutung der Investitionen in Immobilien in den USA nahm zu, daneben investierte Abbas das Geld der Klienten nach wie vor an der Börse, vor allem in New York. Mit dieser operativen Tätigkeit hatte ich nichts zu tun, hingegen orientierte mich Diego Abbas von Zeit zu Zeit. Ich beschäftigte mich mit den formellen Teilen wie Verwaltungsratssitzungen, der Durchführung von Generalversammlungen und teilweise mit juristischer Beratung. Rodolfo Oechslin betreute zusammen mit einem halben Dutzend Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern die Administration der Gesellschaft.
1988 trat Pierpaolo Matteuzzi in die Sogevalor ein. Er kam aus einer Tessiner Privatbank, ursprünglich Italiener aus Bologna, wo er gemäss seinen eigenen Aussagen auch eine erfolgreiche Karriere als Fussballer hinter sich hatte. Er brüstete sich gerne mit seiner Fussballvergangenheit und Frauengeschichten. Er war extravertiert und hatte mehr Führungseigenschaften als Rodolfo Oechslin, der zwar ebenfalls gut mit Leuten umgehen konnte, aber einen gutmütigen Charakter hatte und schwerlich Nein sagen konnte. In der Gesellschaft nahm Rodolfo Oechslin nach wie vor die Funktion des Administrators wahr, er betreute die Buchhaltung und das Personal, hatte aber von allem Anfang an einen guten Kontakt zu Klienten und zu den Agenten, die der Gesellschaft Klienten zuhielten, deren Vertrauen er zu gewinnen wusste. Im Gegensatz zu Pierpaolo wurde er tatsächlich von Frauen umschwärmt. Zusammen machten sie den Eindruck eines guten Teams.
Pierpaolo Matteuzzi war der Finanzberater, der die Investitionen zusammen mit Diego Abbas tätigte, er hatte ihm gegenüber eine Assistentenfunktion. Im Laufe der Zeit übertrug ihm Abbas immer mehr Kompetenzen und Funktionen, er betrachtete ihn als seinen Ziehsohn und führte ihn in das Geschäft in den USA ein.
Nach seinem Eintritt wurde der Verwaltungsrat neu organisiert. Pierpaolo Matteuzzi wurde Mitglied, Rodolfo Oechslin ebenso und gleichzeitig Verwaltungsratsdelegierter, und ich wurde Präsident.
Der Kontakt und die Zusammenarbeit zwischen Diego Abbas und Pierpaolo Matteuzzi wurde immer enger und persönlicher, Pierpaolo wurde auch an Abbas’ Familienfeste eingeladen, beispielsweise zu religiösen jüdischen Festen für die heranwachsenden Kinder in Houston.
Diego Abbas kam immer seltener in die Schweiz. In der Regel besuchte Pierpaolo ihn in den USA, häufig zusammen mit Rodolfo Oechslin. Pierpaolo übernahm neben Rodolfo einen grossen Teil der operativen Führung der Sogevalor in Lugano, unter anderem als Klientenbetreuer und Verwalter von deren Vermögen zusammen mit Diego Abbas.
Der Jahresabschluss 1991 enthielt nach der Meinung der Revisionsstelle ungedeckte oder zumindest ungenügend gedeckte Debitorenbestände. Die Gesellschaft beschloss daraufhin, ein Sanierungsverfahren durchzuführen unter der Aufsicht der damaligen Revisionsstelle, der Neutra AG. Die Neutra AG wurde später von der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Ernst & Young übernommen. Leitender Revisor war schon damals Michele Ortelli, eidg. dipl. Wirtschaftsprüfer, der die Sogevalor auch später, nämlich 1999 bis 2004, als leitender Revisor der Ernst & Young betreute, in der Zeit also, in welcher – wie wir noch sehen werden – gemäss Behauptungen der Staatsanwaltschaft Tessin die kriminellen Handlungen erfolgten, die zum Zusammenbruch der Gesellschaft führten.
Bei der Sanierung 1991 wurde das Kapital auf eine Million Franken erhöht, und die für die Sanierung notwendigen Mittel wurden von Diego Abbas und Pierpaolo Matteuzzi aufgebracht. Die Kapitaleinlagen wurden von der Revisionsstelle, der Neutra AG, überwacht. Insbesondere die Herkunft der Gelder, die Pierpaolo einbrachte, wurden damals klar ausgewiesen und kontrolliert. Dieser hatte nachweislich ein Darlehen einer Bank und solche von privaten Industriellen aus Italien erhalten, und er hatte die entsprechenden Dokumente vorgewiesen, woran ich mich sehr gut erinnere. Gesamthaft hat er USD 1 384 000 und Diego Abbas USD 1 500 000 an neuen Finanzmitteln eingeschossen, was von der Revisionsstelle auch bestätigt wurde.3
In den Folgejahren entwickelte sich die Sogevalor ohne grosse Probleme und fuhr in ruhigen Gewässern.
Diego Abbas äusserte in den 90er-Jahren den Wunsch, sich in die USA zurückzuziehen und die Sogevalor an die lokalen Mitarbeiter in Lugano zu übertragen. Die entsprechenden Verhandlungen fanden zwischen Pierpaolo Matteuzzi und Diego Abbas statt, was anfangs gut funktionierte. Später kam es zu Unstimmigkeiten, insbesondere als sich zeigte, dass gewisse von Abbas initiierte Investitionen schlecht gelaufen waren. Damit traten, zehn Jahre nach den von der Revisionsgesellschaft verlangten Sanierungsmassnahmen, Schwierigkeiten auf.
Im Zusammenhang mit der Übertragung der Aktien der Sogevalor auf Pierpaolo Matteuzzi (und Rodolfo Oechslin) kam es zu Meinungsverschiedenheiten hinsichtlich der Sogevalor beziehungsweise der ihren Klienten zustehenden Vermögenswerte und deren Werthaltigkeit. Es zeigte sich leider, dass Vermögen von Gläubigern wegen der von Diego Abbas getätigten Investitionen in den USA, welche Verluste verursacht hatten, nicht mehr voll gedeckt waren. Diese Vermögenswerte waren juristisch in den beiden Fonds Tissera und Global enthalten. Die Verluste waren nach Ansicht der Sogevalor – insbesondere gemäss Pierpaolo Matteuzzis und Rodolfo Oechslins Urteil – durch Diego Abbas persönlich zu vertreten. Nachdem dieser für die Investitionen in jener Zeit allein zuständig und verantwortlich gewesen war, war diese Auffassung grundsätzlich richtig und seine Verantwortung offensichtlich. Abbas war allerdings anderer Auffassung. Die Sogevalor erhob Klage gegen Diego Abbas und verschiedene von ihm kontrollierte Gesellschaften vor dem District Court in Dallas (Texas) im Januar 1998. Die Tatsachen und juristischen Fragen waren äusserst komplex, und langwierige Prozesse zeichneten sich ab, deren Ausgang aus juristischer und wirtschaftlicher Sicht nach Auffassung der amerikanischen Anwälte in den USA unsicher war. Die US-Anwälte empfahlen, eine gütliche Einigung zu suchen. Aus diesem Grund wurde am 17. Juni 1998 eine Vereinbarung mit Abbas und zugleich ein «Settlement» mit den Gläubigern (Klienten) entworfen und abgeschlossen, bei welchem die Gläubiger eine Quote von 62 Prozent ihrer Investition erhielten. Die Investitionen der Klienten der Sogevalor waren indirekt über die Fondsgesellschaften Tissera und Global erfolgt, so dass sich im Rahmen und als Folge dieser Vereinbarung der Wert der Investitionen des Fonds reduziert hatte, nämlich auf die 62 Prozent.