In den Sommern - Hendrik Kühn - E-Book

In den Sommern E-Book

Hendrik Kühn

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Beschreibung

Grau ist der Tag. Gold ist die Erinnerung.

Wenn die Erinnerung ein einziger langer Sommer ist, ein goldenes Funkeln, ein Abenteuer, eine Liebe von der du zehrst … ein Leben lang?

Über booksnacks

Kennst du das auch? Die Straßenbahn kommt mal wieder nicht, du stehst gerade an oder sitzt im Wartezimmer und langweilst dich? Wie toll wäre es, da etwas Kurzweiliges lesen zu können. booksnacks liefert dir die Lösung: Knackige Kurzgeschichten für unterwegs und zuhause!

booksnacks – Jede Woche eine neue Story!

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

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Seitenzahl: 15

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Kurz vorab

Liebe Leserin, lieber Leser,

wie schön, dass du dich für diesen booksnack entschieden hast! Wir möchten dich auch gar nicht lange aufhalten, denn sicher hibbelst du der folgenden Kurzgeschichte schon voller Freude entgegen.

Vorab möchten wir aber ganz kurz die wichtigsten Merkmale einer Kurzgeschichte in Erinnerung rufen:

Der Name ist Programm: Alle Kurzgeschichten haben ein gemeinsames Hauptmerkmal. Sie sind kurz.Kurz und knapp sind auch die Handlung und die erzählte Zeit (Zeitsprünge sind eher selten).Ganz nach dem Motto »Einleitungen werden total überbewertet« fallen Kurzgeschichten meist sofort mit der Tür ins Haus.Das zweite Motto lautet »Wer braucht schon ein Happy End?« Also bereite dich auf einen offenen Schluss und/oder eine Pointe am Ende der Geschichte vor. Das Geheimnis dahinter: Kurzgeschichten sollen dich zum Nachdenken anregen.Versuch deine Neugier zu zügeln, denn auch für die Beschreibung der Charaktere und Handlungsorte gilt »in der Kürze liegt die Würze«.Die Aussage des Textes ist nicht auf den ersten Blick ersichtlich. Hier bist DU gefragt, um zwischen den Zeilen zu lesen und deine persönliche Botschaft aus der Geschichte zu ziehen.

Jetzt bist du gewappnet für unseren literarischen Snack. Und findest du nicht auch, dass man diesen gleich noch mehr genießen kann, wenn man weiß was drin ist?

Viel Spaß beim Booksnacken wünscht dir

Dein booksnack-Team

Über dieses E-Book

Wenn die Erinnerung ein einziger langer Sommer ist, ein goldenes Funkeln, ein Abenteuer, eine Liebe von der du zehrst … ein Leben lang?

Impressum

Erstausgabe August 2019

Copyright © 2020 booksnacks, ein Imprint der dp DIGITAL PUBLISHERS GmbH Made in Stuttgart with ♥ Alle Rechte vorbehalten

E-Book-ISBN: 978-3-96087-748-6

Covergestaltung: dp DIGITAL PUBLISHERS GmbH unter Verwendung eines Motivs von unsplash.com: © Dineslav Roydev Korrektorat: Daniela Pusch

Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Sämtliche Personen und Ereignisse dieses Werks sind frei erfunden. Etwaige Ähnlichkeiten mit real existierenden Personen, ob lebend oder tot, wären rein zufällig.

Abhängig vom verwendeten Lesegerät kann es zu unterschiedlichen Darstellungen des vom Verlag freigegebenen Textes kommen.

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In den Sommern

Sengend, brütend, drückend steht die Luft in meinem Raum. Der Ventilator rotiert und mahlt sich durch die glühende Mechanik, aber er bewegt kein Lüftchen mehr. Mürbe schaue ich auf die Wanduhr mit ihren geschweiften Zeigern. Ausgerechnet im Sommer. Vater starb im letzten Winter und es war wie die logische Konsequenz aus einem reichen und ausgelebten Leben. Die Blumen waren eingegangen, die Bäume ausgekahlt und Schnee versteckte über Nacht die Reste, um den Zirkel zum Frühling zu schließen. Und jetzt Mutter. Doch ausgerechnet im Sommer. Eine Freundin aus meiner Kindheit schrieb mich gestern an und berichtete, dass sie wieder hergezogen ist, nur eine Straße weiter. Julia, ich erinnere mich an ihren Namen. Doch da ist kein Gesicht. Obwohl das mit Mutter knapp sechs Wochen her ist, fehlt mir die Spannung in meiner Lebensfeder. Ich komme kaum aus dem Bett, mache nichts mit Lust und habe mich nicht bei Julia gemeldet. Wie sah sie noch aus? Die Sommerhitze vereitelt meine Erinnerungsversuche und ich schaue wieder auf die Uhr. Ich ziehe am Hemdkragen und lasse die schwere Luft über meine Brust rollen.

In meiner Kindheit waren die Sommer ein langes Abenteuer. Meine Erinnerungen an die Sommer – das Wort klingt so schön in den Ohren – scheinen mit der Zeit immer satter und kräftiger, zu einem goldenen Gelb, genau wie die Sonne, die vom Frühling zum Spätsommer reift. Keine einzige Erinnerung ist grau, denn es gab nur goldene, nur gute Tage. Wir waren ganz und gar Kinder, ganz und gar verrückt, ganz und gar in Bewegung oder ganz und gar in Ruhe. Ganz und gar, das waren wir in jeder Hinsicht, so wie wir es später nie mehr waren. Ich erinnere mich wieder, wie wir alles in die Luft warfen, mit den Füßen schossen oder mit Holzlatten schlugen, sofern es nur einem Ball ähnelte. Das sagten wir auch über den Dicken aus der Nachbarklasse, doch das war nur Spaß. Wir redeten den ganzen Tag dummes Zeug, aber geschlagen haben wir ihn nie. Ich weiß noch genau, wie er eines Nachmittags freiwillig seine Portion Kuchen mit uns teilte. Plötzlich fanden wir ihn alle nett. Wir hatten ihn wie einen Aussätzigen behandelt und er teilte mit uns seinen Kuchen. Obwohl er dick war. Das haben wir alle nicht verstanden. Fortan war er einer von unserer Clique und er brachte täglich Süßigkeiten, denn das war seine Aufgabe. Und wir fragten ihn, warum er immer noch so dick war, obwohl wir ihm alles wegaßen und dann lachten wir. Es war nur Spaß. So waren wir, so waren die Sommer – einfach Spaß.

In den Sommerferien tobten und spielten wir den ganzen Tag und konnten einem Ball stundenlang hinterherlaufen, ohne Pause zu machen. Außer der Dicke natürlich, aber der war schließlich nett. Weniger nett war sein Spitzname und so entschieden wir uns, ihn Strohhalm zu nennen. Darüber ärgerte er sich und er sagte: „Ich bin nun mal dick und weil ihr meine Freunde seid, dürft ihr mich den Dicken nennen.“ Anders war es mit Genie. Der Junge war ein hässlicher Vogel und hat auf wundersame Weise nur ein einziges Mal in einem Mathematiktest die Bestnote geschrieben. Also meinten wir, ihn lieber Genie als den Schönen zu nennen. Und auf wundersame Weise wurde er zum Genie, denn wir respektierten ihn von da an für seine Klugheit. So war das mit allen von uns. Egal ob temporär oder ewig, solche Dinge prägten unsere Welt, denn die Zeit schien in den Sommern stehenzubleiben. Wir wären nie auf die Idee gekommen, dass der Dicke jemals hätte abnehmen können, denn sein Dicksein war für uns seine auszeichnende Eigenschaft. Er war nicht mehr nur der Dicke, weil er dick war, sondern war dick, weil er der Dicke war. Aber Opa, nicht meiner, sondern ein Kumpel, war tatsächlich älter. Ein paar Monate zumindest.

So waren die Sommer, sie machten uns zu den besten Freunden. Und weil sie so schön warm waren und so lange hell, blieben wir zu beinahe jeder Uhrzeit draußen. Wir trafen uns alle schon immer morgens, um irgendetwas zu machen. Dauernd fuhren wir mit unseren Fahrrädern zum See. Sie klapperten, wenn wir die Berge herunterfuhren und klapperten noch lauter, wenn wir uns nach vorne lehnten, um schneller zu fahren. Einer aus der Clique, der Lange, war immer der Schnellste. Er trat als Letzter in die Pedale, um uns dann großspurig zu überholen. Einmal als wir zum See fuhren, da rasten wir den Berg so schnell hinab, dass uns die Tränen aus den Augen liefen. Entweder war es der Wind an den lauen und feuchten Sommerabenden oder es waren die Mücken, die in unsere Augen schossen. Ich hing schon über dem Lenker und mein Fahrrad klapperte wie eine Werkzeugkiste im Kofferraum, da zog der Lange an mir vorbei und grinste mich unverschämt an. Ich musste nach vorne schauen, um mich irgendwie auf dem unebenen Weg zu halten, und als ich einen raschen Blick zum Langen warf, sah ich, wie er in ein Schlagloch knallte und mit vollem Schwung vom Sattel abhob. Er hätte auch nach vorne gucken sollen, grinste mich aber stattdessen an. Er überschlug sich mit dem Rad und landete im Graben vor der Wiese. Wir lachten so laut, dass er wütend hinaussprang und uns anbrüllte: „Das ist nicht witzig! Ich hätte mir den Hals brechen können!“ Wohl wahr, sein Hals war so lang, dass wir uns wunderten, warum er nicht gebrochen war. In Wirklichkeit sahen wir seinen Sturz nicht als Scheitern, sondern bewunderten ihn als wagemutigen Stunt, den nur er vollbringen konnte. Seine Knie und Ellbogen waren danach aufgeschlagen und er humpelte auf sein Fahrrad zurück. Wir fuhren dann langsamer zum See und das Fahrrad des Langen machte Schleifgeräusche und eierte über den Weg mit einem krummen Vorderrad. Jeden Tag holten wir uns Schrammen und Kratzer und bluteten so häufig, dass wir es ungewöhnlich fanden, einen Tag mal nicht blutverschmierte Arme und Beine zu haben. Wir fragten uns, warum unsere Eltern quasi nie bluteten und ob es etwas sei, das Erwachsene nicht mehr tun. Wie dem auch sei, an dem Abend des Fahrradsturzes wollte der Lange nicht mehr mit uns ins Wasser, saß nur auf der Wiese und schaute uns bei unseren Wasserkämpfen und Kunstsprüngen zu. „Willst du wirklich nicht mit rein?“, fragten wir ihn. „Nee.“ Er hatte keine Lust mehr. Aber bald darauf badeten wir wieder alle gemeinsam und der Lange war frech wie eh und je.

Die Sommer waren herrlich. Wenn die Dämmerung den Himmel einfärbte und die Sonne im Schilf versank, kamen die Mücken und wir sprangen vom Steg ins Wasser. Manchmal saßen wir alle auf der Wiese und genossen schweigend die Sommermelodien. Wir hatten solche Momente, da brauchte es keine Worte. Nur das Zirpen der Grillen und dann sprang Pfeife, der Jüngste von uns, mit vollem Anlauf ins Wasser. Es klatschte nur kurz und das war ein Laut, der in unseren Ohren sang. Manchmal angelten wir und beobachteten das Nippen der Fische auf dem Spiegel des Sees. Wir haben nie Große rausgefischt und aßen den Köderteig oft einfach so. „Warum hast du denn Zucker in den Teig gemacht?“, fragten wir Opa. „Schmeckt doch, oder nicht?“ Als Opa einmal mit seinem Wunderrezept einen Aal angelte, brachten wir ihn zu seinen Eltern, die ihn sogleich mit Butter brieten. Da sich der Fisch noch ohne Kopf in der Pfanne wendete, rümpften wir die Nasen. Warum auch immer, er schmeckte keinem von uns und dann aß ihn der Hund, unter strenger Beobachtung der Katzen. Danach angelten wir nicht mehr.

In den Sommern dachten wir selten über das Warum nach und machten Dinge plötzlich nicht mehr und begannen mit etwas anderem. Warum? Einfach so. Wir redeten die ganze Zeit, aber oft konnte ich mich schon nachts im Bett nicht mehr erinnern, worüber wir geredet hatten. Im Kopf blieben meist nur die besonders witzigen Dinge oder wenn es um Mädchen ging. Genies jüngere Schwester, das war uns unbegreiflich, war wunderschön. Und weil Mathematik gar nicht ihr Ding war, glaubten wir, dass Genie adoptiert worden sein musste. „Bring deine Schwester morgen mit zum See“, nervten wir ihn. „Oder bring sie mit, wenn wir zu den Apfelbäumen fahren.“ Aber er wollte nicht. „Mag sie keine Äpfel?“