In der Stille des Todes: Thriller: Tödliches Wissen Band 1 bis 5: Gesamtband - Corinna Kosche - E-Book

In der Stille des Todes: Thriller: Tödliches Wissen Band 1 bis 5: Gesamtband E-Book

Corinna Kosche

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Beschreibung

Dieser Band enthält folgende Romane: Der Goldene Schuss: Thriller: Tödliches Wissen Band 1 In Deutschland sterben plötzlich Menschen am „Goldenen Schuss“, die nie zuvor etwas mit Drogen zu tun gehabt haben. Eine weitere Verbindung außer der Todesursache, scheint es nicht zu geben. In Tunesien vermisst derweil eine Urlauberin ihren Reisepass und eine Reiseleiterin hat Angst um ihr Leben. Gibt es einen Zusammenhang mit den Ereignissen in Deutschland? Ein Urlaub in Tunesien: Thriller: Tödliches Wissen Band 2 Silvia König wird, vermutlich auf dem Flughafen Monastir, der Reisepass gestohlen. Damit fängt ihr Urlaub völlig anders als erwartet an. Im Hotel wird ihr versichert, dass man sich kümmere. Das sei alles nicht so schlimm. Doch die Wahrheit ist viel schlimmer. Und in Deutschland glaubt man bei der Vielzahl durch einen Goldenen Schuss „verstorbenen“ Personen längst nicht mehr an Einzelfälle. Doch damit stellt sich die Frage nach den Hintergründen. Die Polizei ermittelt auf Hochtouren. Die falsche Frau: Thriller: Tödliches Wissen Band 3 Silvia König hat sich in Tunesien in Thomas Herden verliebt. Es gibt nur ein Problem: Wo immer etwas passiert, ist dieser Mann nicht weit. In Deutschland laufen die Recherchen auf Hochtouren. Fieberhaft wird nach den Hintergründen für die Todesfälle durch den Goldenen Schuss gesucht. Endlich gibt es eine heiße Spur, die sie zu einem Psychologen führt. Doch mitten in den Ermittlungen will man dem Kommissar Thorsten Knoll den Fall entziehen. Was wird hier wirklich gespielt? Ein unheilvolles Geständnis: Thriller: Tödliches Wissen Band 4 In Deutschland überschlagen sich die Ereignisse. Hat sich Dr. Ulrich Braun den Goldenen Schuss wirklich selbst gesetzt? Bettina Braun behauptet zu wissen, wer der Mörder ihres Mannes ist. Welche Rolle spielt die falsche Reiseleiterin, die plötzlich im Hotel in Tunesien aufgetaucht ist? Was ist mit der richtigen Reiseleiterin geschehen? Ist sie überhaupt noch am Leben? Und steckt Thomas Herden tatsächlich hinter dem Übergriff auf Silvia König am Strand, bei dem sie fast ihr Leben lassen musste? Der unliebsame Zeuge: Thriller: Tödliches Wissen Band 5 Drei deutsche Polizisten werden bei Recherchen um den Schuldigen der Morde durch den Goldenen Schuss entführt. Können sie noch lebend gefunden werden? Steckt Dr. Helmut Gottwald wirklich hinter all diesen Verbrechen? Wenn ja, welches Motiv hat der Mann? In dem idyllischen Urlaubsort in Tunesien scheinen alle Fäden zusammenzulaufen, und es sieht so aus, als wenn es endlich all die Antworten auf die noch offenen Fragen gibt …

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Veröffentlichungsjahr: 2025

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Corinna Kosche

In der Stille des Todes: Thriller: Tödliches Wissen Band 1 bis 5: Gesamtband

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Inhaltsverzeichnis

In der Stille des Todes: Thriller: Tödliches Wissen Band 1 bis 5: Gesamtband

Copyright

Der Goldene Schuss: Thriller: Tödliches Wissen - Band 1

1

2

3

4

5

6

7

8

9

10

11

12

13

14

Ein Urlaub in Tunesien: Thriller: Tödliches Wissen - Band 2

1

2

3

4

5

6

7

Die falsche Frau: Thriller: Tödliches Wissen - Band 3

Prolog

1

2

3

4

5

6

7

8

9

10

Ein unheilvolles Geständnis: Thriller: Tödliches Wissen - Band 4

Prolog

1

2

3

4

5

Der unliebsame Zeuge: Thriller: Tödliches Wissen - Band 5

1

2

3

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5

6

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8

9

10

11

12

12

In der Stille des Todes: Thriller: Tödliches Wissen Band 1 bis 5: Gesamtband

von Corinna Kosche

Dieser Band enthält folgende Romane:

Der Goldene Schuss: Thriller: Tödliches Wissen Band 1

In Deutschland sterben plötzlich Menschen am „Goldenen Schuss“, die nie zuvor etwas mit Drogen zu tun gehabt haben. Eine weitere Verbindung außer der Todesursache, scheint es nicht zu geben.

In Tunesien vermisst derweil eine Urlauberin ihren Reisepass und eine Reiseleiterin hat Angst um ihr Leben. Gibt es einen Zusammenhang mit den Ereignissen in Deutschland?

Ein Urlaub in Tunesien: Thriller: Tödliches Wissen Band 2

Silvia König wird, vermutlich auf dem Flughafen Monastir, der Reisepass gestohlen. Damit fängt ihr Urlaub völlig anders als erwartet an. Im Hotel wird ihr versichert, dass man sich kümmere. Das sei alles nicht so schlimm. Doch die Wahrheit ist viel schlimmer.

Und in Deutschland glaubt man bei der Vielzahl durch einen Goldenen Schuss „verstorbenen“ Personen längst nicht mehr an Einzelfälle. Doch damit stellt sich die Frage nach den Hintergründen. Die Polizei ermittelt auf Hochtouren.

Die falsche Frau: Thriller: Tödliches Wissen Band 3

Silvia König hat sich in Tunesien in Thomas Herden verliebt. Es gibt nur ein Problem: Wo immer etwas passiert, ist dieser Mann nicht weit.

In Deutschland laufen die Recherchen auf Hochtouren. Fieberhaft wird nach den Hintergründen für die Todesfälle durch den Goldenen Schuss gesucht. Endlich gibt es eine heiße Spur, die sie zu einem Psychologen führt.

Doch mitten in den Ermittlungen will man dem Kommissar Thorsten Knoll den Fall entziehen. Was wird hier wirklich gespielt?

Ein unheilvolles Geständnis: Thriller: Tödliches Wissen Band 4

In Deutschland überschlagen sich die Ereignisse. Hat sich Dr. Ulrich Braun den Goldenen Schuss wirklich selbst gesetzt? Bettina Braun behauptet zu wissen, wer der Mörder ihres Mannes ist.

Welche Rolle spielt die falsche Reiseleiterin, die plötzlich im Hotel in Tunesien aufgetaucht ist? Was ist mit der richtigen Reiseleiterin geschehen? Ist sie überhaupt noch am Leben? Und steckt Thomas Herden tatsächlich hinter dem Übergriff auf Silvia König am Strand, bei dem sie fast ihr Leben lassen musste?

Der unliebsame Zeuge: Thriller: Tödliches Wissen Band 5

Drei deutsche Polizisten werden bei Recherchen um den Schuldigen der Morde durch den Goldenen Schuss entführt. Können sie noch lebend gefunden werden? Steckt Dr. Helmut Gottwald wirklich hinter all diesen Verbrechen? Wenn ja, welches Motiv hat der Mann?

In dem idyllischen Urlaubsort in Tunesien scheinen alle Fäden zusammenzulaufen, und es sieht so aus, als wenn es endlich all die Antworten auf die noch offenen Fragen gibt …

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Ein CassiopeiaPress Buch: CASSIOPEIAPRESS, UKSAK E-Books, Alfred Bekker, Alfred Bekker präsentiert, Casssiopeia-XXX-press, Alfredbooks, Bathranor Books, Uksak Sonder-Edition, Cassiopeiapress Extra Edition, Cassiopeiapress/AlfredBooks und BEKKERpublishing sind Imprints von

Alfred Bekker

© Roman by Author

© dieser Ausgabe 2025 by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen

Die ausgedachten Personen haben nichts mit tatsächlich lebenden Personen zu tun. Namensgleichheiten sind zufällig und nicht beabsichtigt.

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Der Goldene Schuss: Thriller: Tödliches Wissen - Band 1

von Corinna Kosche

In Deutschland sterben plötzlich Menschen am „Goldenen Schuss“, die nie zuvor etwas mit Drogen zu tun gehabt haben. Eine weitere Verbindung außer der Todesursache, scheint es nicht zu geben.

In Tunesien vermisst derweil eine Urlauberin ihren Reisepass und eine Reiseleiterin hat Angst um ihr Leben. Gibt es einen Zusammenhang mit den Ereignissen in Deutschland?

***

Dieses Buch widme ich meinem Mann, meinem Vater und meinem Bruder.

***

1

Mitten im tiefsten Sauerland 1997

Volker Brandl, achtundzwanzig Jahre jung, gähnte gelangweilt. Um überhaupt etwas Besonderes zu tun, kratzte er sich ausgiebig am Hinterkopf, was seine blonde Lockenpracht ziemlich durcheinander brachte. Aber das war ihm egal. Bei seiner starken Naturkrause war eine ordentliche Frisur sowieso nicht möglich.

Entnervt schielte er zu seinem gleichaltrigen Kollegen Peter Schmidt hinüber, der im Moment friedlich wie ein Baby vor sich hin schlummerte. Volker Brandl verdrehte einmal kurz die Augen, seufzte laut und konzentrierte sich dann wieder voll auf die vor ihm liegende düstere Landstraße. Die beiden Polizisten hatten gerade Nachtdienst, saßen in ihrem Streifenwagen und rollten gemächlich durch eine einsame Gegend mitten im tiefsten Sauerland. Die Scheinwerfer waren hier die einzige Lichtquelle. Vollmond und Sterne konnte man mal wieder nur ahnen. Dicke Wolken und unaufhörlicher Nieselregen verdarben Volker Brandl vollends die Laune. In dieser Stimmung bekam er unwillkürlich Rachegelüste, die er einfach nicht mehr unterdrücken könnte und wollte. Warum sollte es seinem Kollegen eigentlich besser gehen als ihm? Von wegen schlafen! Er sehnte sich nach einer anständigen Unterhaltung.

Auf einmal nickte der Polizist zufrieden, geradezu begeistert von einer Idee und begann sein Störmanöver mit der belanglosen Bemerkung:

„Mensch Peter, heute Nacht ist mal wieder nix los!“

Seinem müden Kollegen schien diese Mitteilung jedoch völlig egal zu sein, denn der setzte seinen Schlaf konsequent fort.

Das machte Volker Brandl natürlich noch nervöser. Irgendwie musste er den Mann doch wach kriegen, sonst würde er noch mal vor Langeweile sterben.

Mit zusammengekniffenen Lippen bog er gerade nach rechts in einen kleinen Feldweg ein, als er fast einen Herzinfarkt bekommen hätte. Ein lauter Schnarcher zerriss nämlich plötzlich die Stille. Entsprechend gereizt fragte er denn auch: „Hey, ist das jetzt ’ne neue Fremdsprache oder was?“

Nach gründlichem Abwägen aller Vor- und Nachteile versuchte Volker Brandl es nun mit einer anderen Variante und versetzte seinem Kollegen einen gehässigen Piekser in den linken unteren Rippenbogen. Das wirkte endlich.

„Mann, bist du blöd? Was soll der Quatsch?“

Peter Schmidt war erschrocken zusammengezuckt und rieb sich mit der einen Hand den Schlaf aus den Augen, mit der anderen fühlte er nach der schmerzenden Rippe. Kaum fassbar, aber sie war tatsächlich noch dran. Das verwunderte ihn ein wenig. Müde gähnte er nach dieser überraschenden Feststellung ausgiebig und beschloss, sich bei seinem Kollegen zu revanchieren. Nur jetzt nicht, denn dazu war er im Moment einfach viel zu faul. Er würde ja schließlich noch ausreichend Gelegenheit bekommen, es seinem Kollegen mit gleicher Münze heimzuzahlen. Diese Aussicht beruhigte ihn wieder etwas. Noch einmal streckte er sich ausgiebig auf dem Beifahrersitz und seufzte herzzerreißend: „Nix los heute Nacht!“

„Sehr witzig, genau das habe ich doch gerade gesagt!“

„Also wirklich, warum regst du dich hier eigentlich so künstlich auf? Habe ich dir etwa was getan?“

„Witzbold!“, stieß Volker Brandl total frustriert hervor. Die nächste Bemerkung trug ebenfalls nicht gerade zu seiner Beruhigung bei: „Sag mal, was willst du eigentlich in diesem Feldweg?“

„Pinkeln, wenn du es genau wissen willst!“, fluchte Volker Brandl.

„Na gut, weck mich, wenn du fertig bist“, bat Peter Schmidt und rollte sich auf dem Beifahrersitz wieder zusammen. Während er die Augen erneut schloss, stapfte Volker Brandl wütend davon und suchte nach einem passenden Ort für sein Vorhaben. Dass er sich dabei auch noch zu allem Überfluss nasse Füße holte, gab ihm vollends den Rest. Durch den unaufhörlichen Nieselregen war alles aufgeweicht.

„Ich liebe solche Tage“, stellte Volker Brandl fest und schüttelte sich.

„Was hast du gesagt?“, rief Peter Schmidt vom Wagen herüber. „Ich hab’ dich nicht verstanden!“

„Ist nicht weiter tragisch“, war sich Volker Brandl sicher. Kurze Zeit später, er befand sich gerade auf dem Rückweg zum Streifenwagen, wurde die Straße kurz von zwei Autoscheinwerfern erhellt. Er schenkte dieser Szene jedoch keinerlei Beachtung. Weder Farbe noch Fabrikat, geschweige denn das Nummernschild des Fahrzeugs interessierte ihn. Erst recht nicht, als sie plötzlich über Funk gerufen wurden: „Wagen 105, bitte kommen!“

Volker Brandl beeilte sich und erreichte das Funkgerät als Erster. Peter Schmidt saß zwar direkt daneben, war im Moment aber mit anderen Dingen beschäftigt. Er machte gerade Streckübungen. „Wagen 105. Was gibt’s Frisches, Susi?“

Volker Brandl hatte die Stimme sofort erkannt. Er und die Frau am anderen Ende kannten sich schon sehr, sehr lange. Bei ihr brauchte er nicht formvollendet reden. Sie hatte ihm schon im Sandkasten so manchen blauen Fleck und sonstige Blessuren beigebracht. Einmal hatte sie ihm sogar fast die Nase gebrochen. Da war er lange Zeit versucht, sie zu ignorieren und ihr aus dem Weg zu gehen. Seine Gesundheit war ihm da irgendwie wichtiger. Doch dann kam der Tag, an dem sie ihn verlassen musste. Ihre Eltern zogen in ein Nachbardorf und aus war es mit dieser Kinderfreundschaft. Es hatte ihn damals unheimlich geärgert, dass er zum Abschied mit seinen Tränen kämpfen musste. Aber so war es nun mal. Er war todunglücklich. Als sie wegging, hinterließ sie eine große Lücke bei ihm. Er hatte damals eine Stinkwut auf alle Erwachsenen. Wie konnten die es bloß wagen, ihm seine beste Freundin wegzunehmen? Mit wem sollte er sich denn jetzt zanken?

Jahre später, er hatte sie natürlich trotzdem so gut wie vergessen, lief sie ihm plötzlich bei der Polizei über den Weg. Sie hatten zufällig die gleiche Berufsausbildung gewählt. Es folgten Wochen, in denen sie sich wieder näher kamen. Fast hätten sich die beiden auf eine richtige Liebesbeziehung eingelassen, doch irgendetwas hielt beide davon ab. Sie wussten nicht, was es war, aber es war eine Schranke zwischen ihnen, die sie einfach nicht ignorieren konnten. So kam es, dass sie heute die besten Kumpels waren und sich gegenseitig halfen. Hatte der eine Liebeskummer, ging er zum anderen, um sich dort auszuweinen und Rat zu holen.

„Hallo, Volker“, freute sie sich dann auch, als sie seine Stimme hörte. „Du, pass auf, ich habe da gerade einen ganz merkwürdigen Anruf bekommen. Ein Mann sagte, wenn wir uns beeilen und in eine Waldhütte fahren würden, könnten wir vielleicht noch einen Mord verhindern. Danach folgte eine ausführliche Wegbeschreibung. Ihr seid am nächsten dran. Ich sag euch mal, wie ihr dahin findet, okay?“

„Aber ja doch“, freute sich Volker Brandl. Endlich! Da war sie, die heiß ersehnte Abwechslung im Dienst!

Auch Peter Schmidt stand jetzt wieder als Gesprächspartner zur Verfügung, denn was er mit Gewalt nicht geschafft hatte, war Susi gelungen. Sein Kollege war endlich wach und ausgeschlafen. Im Moment saß er senkrecht auf dem Beifahrersitz und lauschte interessiert der Unterhaltung.

Nach der Wegbeschreibung zur Hütte gab Volker Brandl Gas. An den Wagen, den er kurz vorher auf der Straße gesehen hatte, dachte er keine Sekunde. Mit Sicherheit hätte dann die Zukunft einiger Menschen anders ausgesehen …

2

Zur gleichen Zeit stand Silvia König, fünfundzwanzig Jahre jung, vor ihrem gepackten Koffer und versuchte verzweifelt, ihn zuzukriegen. Offenbar ein unmögliches Unterfangen. Ein Berg von Kleidung, die sie in ihren Tunesienurlaub mitnehmen wollte, wehrte sich hartnäckig, eingesperrt und erdrückt zu werden. Erst nach den seltsamsten Verrenkungen auf dem Kofferdeckel, auf dem sie fest entschlossen thronte, klappte es auf wundersame Weise doch noch. Den lauten Siegesschrei, der ihr daraufhin herausrutschte, konnte sie leider nicht mehr unterdrücken. Gespielt erschrocken hielt sie sich den Mund zu. Was sollten die Nachbarn bloß von ihr denken? Doch ihre Augen lachten dabei.

Überhaupt hatte sie im Moment überaus gute Laune. Schwungvoll sprang sie von ihrem Koffer herunter und landete mit beiden Beinen mehr oder weniger sicher neben ihrem Doppelbett. Dank der Reisevorbereitungen waren nun ausnahmsweise mal beide Seiten zerwühlt. Sie war jetzt schon seit längerem Single und sie hatte den Eindruck, dass sich daran auch nichts mehr ändern würde. Sie hatte einfach kein Glück mit den Männern. Eine Pechsträhne folgte der nächsten und jetzt war sie absolut nicht mehr gewillt, eine neue Beziehung einzugehen. Sie hatte sich schließlich ganz bewusst für diese kleine Wohnung entschieden und wollte hier nie wieder ausziehen. Kein Mann sollte es jemals wieder wagen, ihr Leben durcheinanderzubringen. Sie hatte deswegen genug Tränen vergossen.

Im Moment war sie jedoch weit davon entfernt, in Depressionen zu verfallen. Gut gelaunt zündete sie sich eine Zigarette an. Normalerweise rauchte sie ja nie im Schlafzimmer, aber heute gönnte sie sich das.

Wie um das Glück vollkommen zu machen, spielte dann auch noch eins ihrer Lieblingslieder im Radio. Übermütig tanzte sie durch den Raum, was nicht so ganz einfach war, denn das Zimmer war ziemlich klein und das Bett und der Einbauschrank nahmen eine Menge Platz weg.

Ihre Freude auf die nächsten drei Wochen ließ sie sich dadurch jedoch nicht nehmen.

Lächelnd dachte sie daran, dass sie ja eigentlich erst gar nicht fahren wollte.

Kopfschüttelnd drückte sie die halb aufgerauchte Zigarette in ihrem Aschenbecher aus, als sie an die Unterhaltung mit ihrem Chef dachte.

Dann bestellte sie sich ein Taxi für sechs Uhr morgens und machte schnell noch ihren Wecker startklar.

Anschließend zog sie sich aus und ging ins Badezimmer.

Pudelnass kam sie keine fünf Minuten später wieder unter der Dusche hervor, trocknete sich ausgiebig ab und krabbelte in ihren vorgewärmten Bademantel, der die ganze Zeit vor der laufenden Heizung hing. Laut Kalender war im Moment ja Hochsommer, genau genommen Juli. Petrus schien das aber mal wieder überhaupt nicht zu beeindrucken. Bei schlappen fünfzehn Grad Außentemperatur konnte man schon ins Frieren kommen.

Schnell tauschte sie, im Schlafzimmer angekommen, den Bademantel gegen ein Nachthemd aus und wickelte sich das mitgenommene kleine Handtuch schwungvoll um den Kopf. Das Endergebnis sah allerdings nur entfernt einem graziösen Turban ähnlich. Leider hatte sie noch nie Talent in dieser Technik entwickelt. In Filmen und in der Werbung war es doch immer wieder dasselbe: Unglaublich schöne und schlanke Frauen stiegen nackt aus Wanne oder Dusche, schlüpften dann in ganz entzückende Bademäntel, die sie selbst sich in dieser Qualität und Ausführung wahrscheinlich nie würde leisten können, und wickelten sich dann dermaßen gekonnt ein Handtuch um den Kopf, dass sie sogar mit solch einem Turban unwahrscheinlich erotisch aussahen.

Wenn Silvia König dasselbe versuchte, konnte sich jeder Zuschauer eigentlich nur noch kringelig lachen. Nun, Hauptsache, die Bettwäsche blieb trocken. Da war es schließlich egal, ob der Turban sie elegant wirken ließ oder ob er schlapp und windschief auf ihrem Kopf hing. Außerdem war ja keiner da, der lachen konnte.

Wenig damenhaft sprang sie anschließend mit einem wilden Satz in ihr Bett (also durchaus im Einklang mit ihrem missglückten Turban), deckte sich zu und nahm sich vor, noch ein paar Seiten in ihrem neuen Buch zu lesen. Auf der dritten Seite fielen ihr die Augen zu. Was folgte, war ein schöner Traum. Ein glückliches Lächeln huschte über ihr Gesicht. Das Schicksal gönnte ihr noch ein paar unbeschwerte Stunden. Silvia König ahnte überhaupt nichts. Weder von den Albträumen ganz besonderer Art, die in Tunesien auf dem Programm stehen sollten, noch, dass das Unheil schon längst seinen Lauf genommen hatte …

3

Nach einer halben Stunde Fahrt hatten Volker Brandl und Peter Schmidt die Waldhütte fast erreicht.

Der Weg dorthin war ziemlich kurvenreich und im Dunkeln nicht leicht zu fahren gewesen.

Ungefähr hundert Meter vor der Hütte stoppte Volker Brandl den Wagen, um den Rest des Weges zu Fuß zu laufen. Peter Schmidt folgte ihm. Geduckt liefen die beiden Polizisten auf das Gebäude zu, mal diesen und mal jenen Baum als Deckung nehmend.

Endlich angekommen, bezogen sie wie auf Kommando auf beiden Seiten der Tür Stellung. Ihre Waffe hatten sie längst in der Hand. Beiden war nicht ganz wohl in ihrer Haut. Was würde sie wohl gleich erwarten?

Angestrengt lauschten sie, hörten aber absolut nichts. Kein Schrei, kein Streit, keinerlei Stimmen. Wenn es den anonymen Anrufer nicht gegeben hätte und in der Hütte jetzt alles dunkel gewesen wäre, hätte man an einen Scherz denken können. Da jedoch die ganze Hütte hell erleuchtet war, musste sich auf der anderen Seite der Tür ja schließlich irgendwer aufhalten. Oder hatte der Mörder bloß vergessen, das Licht wieder auszumachen?

Peter Schmidt puhlte mit der freien Hand zwischen den Zähnen. Das machte er immer, wenn er im Begriff war, eine Entscheidung zu treffen. Volker Brandl kannte das nun schon. Deshalb wunderte er sich auch nicht, als sein Kollege Sekunden später ein Zeichen gab.

Gleich würde sich herausstellen, was das Ganze zu bedeuten hatte.

Würden sie einen Mörder auf frischer Tat ertappen?

Würden sie eine Leiche, aber keinen Mörder mehr vorfinden?

Oder befand sich in dieser einsamen Waldhütte vielleicht nur ein Liebespärchen, das sich gleich zu Tode erschrecken würde, wenn sie beide mit gezogenen Waffen plötzlich vor ihnen stehen würden. Es konnte ja auch immerhin sein, dass sich ein eifersüchtiger, betrogener Mann oder eine solche Frau aus Rache einen schlechten Scherz erlaubt hatte, um dem Techtelmechtel ein unschönes und äußerst blamables Ende zu setzen.

Volker Brandl warf einen kurzen Blick auf seine Armbanduhr. Es war jetzt kurz nach Mitternacht. Vorsichtig begann er, die Tür ein kleines Stück zu öffnen. Sie ließ das widerstandslos über sich ergehen, ohne dabei auch nur ein einziges Mal zu knarren und zu quietschen.

Im ersten Moment waren die beiden Polizisten erleichtert darüber, doch dann wunderten sie sich. Warum ging das alles so glatt? Würden sie direkt in eine Falle tappen?

All ihre Muskeln waren jetzt zum Zerreißen gespannt …

4

„Mensch, Knolle, was ziehst du denn für ein Gesicht? Dir hängt die Kinnlade ja schon unter den Zehennägeln!“

Hans-Jörg Krause, fünfunddreißig Jahre alt, legte misstrauisch seine Denkerstirn in noch tiefere Falten und sah seinen Chef, nichts Gutes ahnend, an.

„Da wird sie auch hängen bleiben, wenn das in dem rasanten Tempo so weitergeht“, fluchte Thorsten Knoll. Er hatte sich an seinen Spitznamen längst gewöhnt. Freunde, Kollegen, Verwandte, ja sogar seine Frau nannten ihn schon immer so. Naja, zumindest seit er sich erinnern konnte. Seinen dreißigsten Hochzeitstag hatten er und seine Frau letztes Jahr mit fast vierzig Gästen in einer Gaststätte groß gefeiert. Seine zwei inzwischen erwachsenen Söhne hatten diesen besonderen Tag zu einem wahren Freudenfest werden lassen. Als Geschenk hatten sie ein verlängertes Wochenende in einem traumhaft schönen Hotel mit allem Drum und Dran erhalten. An diese Tage dachte er noch heute oft zurück.

Doch nicht nur in die Vergangenheit gingen seine Gedanken, wenn er mal ein paar Minuten Zeit zum Verschnaufen hatte, sondern auch in die Zukunft. In ungefähr drei Wochen war es nämlich endlich so weit. Seine Pensionierung stand sozusagen direkt vor der Tür. Er würde sich umstellen müssen. Nur noch Pensionär sein, fern von Leichen und Mördern.

Er war im Laufe seiner Dienstjahre sehr viel ruhiger geworden. Nicht mehr so ein Hitzkopf wie damals. Daher konnte er sich heute auch überhaupt nicht mehr über seinen Spitznamen ‚Knolle‘ aufregen. Solange sie ihn nicht ‚Sellerie‘ nannten, blieb er friedlich.

Im Moment putzte er sich allerdings missmutig die Nase. Sein alljährliches HSH-Syndrom (Husten, Schnupfen, Heiserkeit) hatte ihn mal wieder voll erwischt.

Leider waren das nicht seine einzigen Sorgen. Normalerweise gehörte er ja ins Bett, aber bei dem Theater, das hier im Moment herrschte, konnte er sich das überhaupt nicht leisten.

Knolle steckte das Taschentuch wieder weg und rieb sich die rote Nase mit dem rechten Handrücken endgültig trocken. Sie hatte übrigens die Form eines Enterhakens. Ein Manko, das ihm in frühen Jugendjahren ein paar gehörige Komplexe beschert hatte. Die Selbstsicherheit kam jedoch fast wie von selbst, als er mit knapp zwanzig Jahren seine jetzige Frau kennengelernt hatte. Das war jetzt ein halbes Leben her.

„Man glaubt es kaum! Schon wieder ’ne Leiche! Die dritte innerhalb von fünf Tagen! Es ist zum Mäuse melken.“

Hans-Jörg Krause konnte es nicht fassen. Verblüfft schüttelte er sein schütteres Haupt. Im Gegensatz zu seinem Chef war er wegen seines Aussehens in letzter Zeit überhaupt nicht mehr zufrieden. Von Selbstbewusstsein war weit und breit keine Spur zu sehen. Im Laufe der vergangenen zwei Jahre hatte er eine Menge Haare verloren, ohne, dass er dieses Drama irgendwie hätte beeinflussen können. Das Ergebnis war eine inzwischen ausgeprägte Halbglatze. Und die erschütterte ihn jeden Morgen vor dem Spiegel. Er konnte sich einfach nicht daran gewöhnen. Es war für ihn schon zu einem richtigen Ritual geworden. Nach dem Zähneputzen studierte er regelmäßig seine dunkelblonden glatten Haare, die noch übrig geblieben waren. Dann folgte stets ein stilles Gebet, dass diese ihm doch wenigstens noch erhalten blieben. Es nutzte leider nichts. Gott schien sein Hörrohr verlegt zu haben.

„Was ist hier eigentlich los, Knolle? In unserem beschaulichen kleinen Städtchen sterben auf einmal ein paar Leute an einem Goldenen Schuss, obwohl bei der Obduktion einwandfrei festgestellt werden konnte, dass sie niemals zuvor Rauschgift genommen hatten.“

Der Rest des Satzes war im ohrenbetäubenden Lärm eines gewaltigen Niesers untergegangen. Es folgte ein herzzerreißendes Stöhnen.

„Au Mann, dich hat’s ja ganz schön erwischt. Lass das Taschentuch am besten gleich draußen.“

Knolle nickte nur ergeben und putzte sich erneut die Nase. Als wieder Stille eingetreten war, fragte Hans-Jörg Krause: „Wer ist es denn diesmal?“

„Ein achtzehnjähriger Schüler.“

Knolle lehnte sich in seinen gut gepolsterten Bürostuhl zurück und zündete sich todesmutig eine Zigarette an. Nach einem Zug machte er sie jedoch gleich wieder aus, was von einem heftigen Hustenanfall begleitet wurde. Als er endlich wieder atmen konnte, krächzte er: „Erst war da dieser fünfundzwanzigjährige Arbeitslose, den man in unserem Stadtpark gefunden hat. Dann kam zu allem Überfluss noch eine vierzigjährige Hausfrau und Mutter dazu, die ein Jogger beim Waldlauf entdeckte und nun das hier!“

„Wer hat ihn denn diesmal gefunden. Und vor allem wo?“, fragte Hans-Jörg Krause, allerdings nicht besonders neugierig. Eher weil er sich seinem Chef gegenüber irgendwie verpflichtet fühlte. Am liebsten wäre er ja im Moment zu Hause im Bett gewesen, in den Armen seiner Frau, in die er sich hätte kuscheln und sämtliche Leichen für ein paar Stunden vergessen können.

„Zwei Hobbyangler haben den Fang ihres Lehens gemacht“, meinte Knolle bitter. Nervös kratzte er an seinem Vollbart herum, der vor vielen Jahren einmal dunkelbraun gewesen war. Heute, so kurz vor der Pensionierung, hatte sich die Farbe in silbergrau verwandelt.

Ebenso die dichte Haarpracht. Seine leichte Naturkrause hatte schon immer ein ganz besonderes Eigenleben geführt. Wenn Knolle aufgeregt war, so wie jetzt, dann redete er immer unwillkürlich mit Händen und Füßen. Auch sein Kopf war bei hitzigen Debatten ständig in Bewegung. Dabei löste sich oft eine wildgewachsene Locke, ein Wirbel, den er in all den Jahren nie unter Kontrolle bekommen hatte. Da konnte er machen, was er wollte. Auch jetzt versuchte er, sich wieder freien Durchblick zu verschaffen, denn die Locke war treu und beständig. Sie suchte sich nämlich immer das rechte Auge aus, um sich dort häuslich niederzulassen. Knolle war in jungen Jahren immer sehr stolz auf seine braunen Augen gewesen, deshalb ärgerte ihn diese widerspenstige Locke früher sehr. Konnte so doch keine Frau mehr ungehindert in seinen schönen Augen versinken! Heute, wo ein dicker Bauch und ein wuchtiges Doppelkinn seine ehemals schlanke Statur versteckte, war ihm das egal. Seine Frau liebte ihn auch so. Die Kurzatmigkeit nahm er dabei gelassen in Kauf. Nur seinem Hausarzt trieb er mit seiner saloppen Einstellung regelmäßig die Tränen der Verzweiflung in die Augen.

„Na, dann lass uns mal fahren Knolle!“

Hans-Jörg Krause strahlte einen unglaublichen Arbeitseifer aus, während er das sagte. Schlapp und lustlos hing er auf dem Schreibtisch seines Chefs.

„Auf uns wartet eine Leiche. Hab’ ja auch schon so lange keine mehr gesehen. Ich freu’ mich richtig drauf, echt! Aber was mecker’ ich eigentlich, hätte mir eben einen anderen Beruf aussuchen sollen.“

„Ich weiß überhaupt nicht, was du hast? Eine frische Leiche am Abend kann sein erquickend und labend“, frotzelte Knolle.

„Du vergisst dabei wohl, dass wir kurz nach Mitternacht haben. Und wenn ich mich recht erinnere, heißt es in diesem Fall ja wohl: Eine frische Leiche am Morgen bringt Kummer und Sorgen.“

Hans-Jörg Krause amüsierte sich über dieses Wortspiel dermaßen, dass er prustend vom Schreibtisch seines Chefs sprang. Kurz vor der Tür blieb er stehen und schüttelte den Kopf. Über was man sich alles totlachen konnte, wenn man nur lange genug Dienst gehabt hatte.

Auch Knolle erhob sich aus seinem Bürostuhl, nicht ohne sich vorher ausgiebig zu strecken und laut zu gähnen. Er hatte gerade mühsam den Schreibtisch umrundet, als ihn das erneute Klingeln des Telefons zurückhielt.

„So eine scheiß Erfindung!“, fluchte er. Lange rang er mit sich. Sollte er den Hörer abnehmen oder nicht? Doch sein Pflichtbewusstsein funktionierte auch nach Mitternacht noch erstaunlich gut und nach dem zehnten Klingeln war auch eine Spur Neugier dabei, als er sich, vorsichtshalber schlecht gelaunt, meldete. Da wusste er noch nicht, dass sie sehr bald in ein Wespennest stechen würden, was einem gewissen Mörder überhaupt nicht gefiel …

5

Nachdem Volker Brandl die Tür ein kleines Stück geöffnet hatte, zog er sich zur Sicherheit sofort wieder aus der Schusslinie zurück. Er musste schließlich die Möglichkeit in Betracht ziehen, dass bereits jemand mit einer geladenen Waffe auf ihn zielte und dies die letzten Sekunden seines kurzen Lebens werden sollten.

Er merkte, wie seine Hände feucht wurden. Er hasste solche Augenblicke. Die Angst lähmte Volker Brandl.

Sein Kollege schien da weniger Schwierigkeiten zu haben. Peter Schmidt stieß kurzerhand mit dem Fuß gegen die Tür, die daraufhin schwungvoll gegen eine Wand knallte. Durch den Aufprall schwang sie sofort wieder zurück. Bevor sie ganz zugehen konnte, hielt der Polizist sie fest. Er hatte genug gesehen. Mit der entsicherten Waffe in der Hand betrat er vorsichtig die Hütte. Wachsam sah er sich um.

Vor ihm lag eine gemütliche Stube. Ein Polizistenlohn hätte niemals ausgereicht, sich so einzurichten. Der Besitzer dieser Hütte hatte anscheinend zu viel Geld.

An den Wänden hingen Seidentapeten, der Fußboden wies passend dazu beige Fliesen auf, die auch nicht gerade billig aussahen.

Mehrere orientalische Teppiche waren darüber ausgebreitet.

Große Bücherregale nahmen den halben Raum ein. Aufgelockert wurde das Ganze mit ein paar Bildern, einer dunkelbraunen Ledercouch und einem Marmortisch, auf dem zwei halbvolle Weingläser und eine schwach besetzte Schale mit Chips standen.

Der brennende Kamin, einige offenbar kostbare Ziergegenstände und üppige Grünpflanzen ließen diesen Raum endgültig urgemütlich wirken. Über dem Sofa, direkt gegenüber der Eingangstür, hing ein weit verzweigter Wein.

Die vielen Blätter schienen den Mann regelrecht einzurahmen. Er war noch jung, etwa Mitte Zwanzig. Blonde, leicht gewellte Haare, modischer Stufenschnitt, zwar etwas blass um die Nase, aber das konnte jetzt auch von der ganzen Aufregung kommen. In seinen blauen Augen stand die nackte Angst. So schien es jedenfalls. Oder war das nur gut geschauspielert? Wer konnte das so genau wissen? Der Mann trug ein weißes Sweatshirt. Die Muskeln darunter konnte man förmlich sehen. Dazu trug er hellblaue Jeans und schwarze Slipper.

Beim Anblick der beiden Polizisten war er erschrocken zusammengezuckt und hatte sofort seine Hände hochgehoben.

„Guten Abend“, bemerkte Peter Schmidt höflich und beobachtete sein Gegenüber sehr genau. Er sah irgendwie harmlos aus. Fast war er bereit, seine Waffe wieder wegzustecken, aber die angeborene Vorsicht und seine harte Berufsausbildung brachte ihn dazu, es nicht zu tun. Wer wusste schließlich, was dann geschehen würde? Vielleicht hatte der Mann ja trotzdem eine Waffe und sie nur schnell hinter einem der vielen Kissen versteckt, die quer über das Sofa verteilt lagen.

„Volker, guck du dich doch mal um hier, aber sei bitte vorsichtig. Ich trau dem Braten nicht!“

„Sofort“, rief dieser zurück und betrachtete sich den Mann auf der Couch ebenfalls peinlich genau.

„Na komm, nun mach schon. Und pass auf, dass du von hinten nicht noch eins auf die Rübe kriegst. Wer weiß, ob wir mit dem Knaben da alleine sind.“

„Vielen Dank für die Unterrichtsstunde du Oberschlauberger!“ Er fand, dass Peter Schmidt heute wirklich unausstehlich war. Aus Trotz blieb er jetzt extra noch einen Moment länger stehen. Schließlich war der Mann sein Partner und kein Vorgesetzter, der ihn herumkommandieren konnte. Er fand, dass es jetzt langsam an der Zeit war, dass der das mal begriff.

Das Erste, was Peter Schmidt über den Unbekannten definitiv herausfand, war dessen ausgesprochene Unhöflichkeit, denn sein freundliches „Guten Abend“ war unbeantwortet geblieben. Bei genauerem Hinsehen schien es sogar, als wenn der Fremde seine Sprache völlig verloren hätte. Sein Mund klappte nämlich dauernd auf und wieder zu. War der Mann vielleicht stumm? Konnte er gar nicht sprechen und er tat dem Unbekannten unrecht? Der Polizist wusste im Moment nicht, was er von dem Ganzen halten sollte. Das machte ihn nervös und härter, als Peter Schmidt es gewollt hatte, fragte er seinen Kollegen: „Also, Volker, wenn du dich jetzt nicht mal langsam auf den Weg machst, dann gehe ich selbst.“

„Wie kommst du darauf, dass mich das irgendwie belasten würde?“, fragte Volker Brandl frech. Dafür erntete er allerdings einen Blick, der ihn sofort veranlasste, sich schließlich doch noch schleunigst in Bewegung zu setzen.

Am Ende des Wohnraumes hatte er längst zwei weitere Türen, die direkt nebeneinander lagen, entdeckt. Bevor er durch die rechte ging, rief er boshaft zurück: „Kommst du auch wirklich ohne mich zurecht?“

„Bin ich Anfänger oder was?“

Volker Brandl drehte sich noch einmal um und sah, wie Peter Schmidt wütend die Waffe auf den Unbekannten richtete. Dabei erweckte er den Eindruck, als wenn mit ihm zurzeit überhaupt nicht zu spaßen sei.

Kurz darauf fand Volker Brandl heraus, welcher Raum sich hinter der rechten Tür befand, nämlich die Küche. Neugierig sah er sich darin um. Auch hier war alles in Brauntönen gehalten. Zu den rustikalen Einbauschränken passten die weißen Caféhaus- und die beigefarbenen Übergardinen ausgezeichnet. Im ganzen Raum waren verschiedene Dekorationsstücke verteilt, die bräunlichen Wand- und Fußbodenfliesen waren auch hier sehr edel. Das sah sogar ein Laie wie er. Im hintersten Winkel der Küche stand die rustikale Eckbank. Davor befand sich der wuchtige Esstisch, auf dem ein Trockenblumenstrauß und eine Schale mit frischem Obst standen. Direkt neben dem linken Tischbein lag sie.

„Hey, Peter, ich hab’ sie!“

Er wartete die Reaktion seines Kollegen gar nicht erst ab. Mit gemischten Gefühlen bückte er sich und betrachtete die Leiche genauer. Vor ihm lag eine Frau, die einmal sehr gut ausgesehen haben musste. Jetzt war das Gesicht allerdings geschwollen und graublau angelaufen. Die blonden Haare waren schulterlang und umrahmten einen fürchterlich zugerichteten Hals. Die Würgemale waren nicht zu übersehen.

„Es ist eine junge Frau, Peter, und sie ist eindeutig erwürgt worden.“

Er war inzwischen wieder aufgestanden und betrachtete sich die Leiche aus entsprechender Entfernung. Er konnte die leichte Übelkeit nicht unterdrücken, die sich langsam aber sicher in ihm breit machte. Er sah in die offenen Augen der Toten. Ein Bild, das er niemals vergessen würde. Das war nun wirklich nichts für ihn. Klar, er hatte in seiner kurzen Laufbahn schon einige Tote gesehen, aber er glaubte nicht, dass man sich an den Anblick jemals gewöhnen konnte.

Seine Gedanken wurden jäh unterbrochen.

„Nicht so voreilig, Volker, ganz genau kann nur die Gerichtsmedizin herausfinden, ob die Frau da erwürgt wurde!“

„Behalte du mal lieber den Typ da vorne verdammt gut im Auge. Er ist wahrscheinlich der Mörder. Noch dazu einer, den wir auf frischer Tat ertappt haben. Pass auf, dass er dir nicht durch die Lappen geht!“

Zur Unterstützung, und auch, um einfach von dieser Leiche wegzukommen, drehte er sich um und kehrte ins Wohnzimmer zurück. Dort angekommen richteten sich wieder zwei Waffen auf den Mann mit den vielen Muskeln.

„Okay, Mister, nun stellen Sie sich mal vor. Name, Alter, Beruf und all diese schönen Sachen.“

„Kann ich erstmal die Hände runternehmen?“, fragte der Mann vorsichtig.

„Oh, du armer Junge. Die sind inzwischen wohl schon etwas überanstrengt was? Kann ich gut verstehen. Erwürgen kostet manchmal ganz schön Kraft, vor allem, wenn sich das Opfer dagegen wehrt, schon das Zeitliche zu segnen. Und ich nehme mal an, das wird sie wohl gemacht haben. Na, macht ja nichts. Zwischen diesen hübschen Handschellen können sich deine Mordwerkzeuge wieder erholen“, bemerkte Volker Brandl bissig und ging postwendend mit großer Genugtuung ans Werk.

Obwohl der Mann anschließend seine Hände nicht mehr benutzen konnte, sah er weiterhin in zwei Mündungslöcher. Man wusste ja nie! Sorgsam beobachteten die beiden Polizisten jede Bewegung ihres Gegenübers. Würde er vielleicht doch noch versuchen, zu flüchten?

„So, jetzt haben wir dir einen Gefallen getan“, meinte Peter Schmidt und sah dabei ironisch auf die Handschellen. „Jetzt musst du uns aber auch entgegenkommen. Nun red’ schon! Wie heißt du zum Beispiel?“

Der Unbekannte guckte irritiert.

„Sie werden lachen, aber ich weiß gar nichts. Weder meinen Namen, wo ich wohne, wie alt ich bin und was ich hier überhaupt mache.

„Merkst du was, Peter? Dieser Scherzkeks muss uns wohl für wahnsinnig blöd halten! Müssen wir uns diesen seltsamen, schwarzen Humor nach Mitternacht eigentlich anhören und bieten lassen?“

Bevor sein Kollege antworten konnte, redete der Unbekannte weiter: „Ich muss irgendwie im Sitzen geschlafen haben. Erst als Sie beide so plötzlich vor mir standen, bin ich auf dieser Couch aufgewacht. Aber ich weiß beim besten Willen nicht, wie ich da überhaupt drauf gekommen bin.“

„Ist ja niedlich. Peter, ist es für eine Kinderstunde nicht schon ein bisschen zu spät? Und vor allem sehe ich hier überhaupt keine Kinder!“

Der Polizist reagierte jedoch nicht auf die Frage seines Kollegen, sondern klärte den Unbekannten kurz auf: „Wir haben einen anonymen Anruf erhalten. Wir könnten hier noch einen Mord verhindern, wenn wir uns beeilen würden. Leider sind wir zu spät gekommen. Aber dich haben wir. Du bist der Mörder und wurdest uns direkt auf dem Sofa präsentiert. Was war los, he? Sind wir für deinen Geschmack etwas zu früh auf der Bildfläche erschienen?“

„So ein Quatsch. Wenn ich diese Frau tatsächlich umgebracht hätte, würde ich es mir danach doch nicht noch auf dem Sofa gemütlich machen.“

„Du konntest aber andererseits auch nicht ahnen, dass dein Plan offenbar bekannt war und uns jemand warnen würde. Außerdem warst du von dem Mord vielleicht noch ein wenig erschöpft und musstest erst ein bisschen verschnaufen.“

„Also, nun gib doch endlich auf und gestehe gleich hier und jetzt. Das macht doch alles viel bequemer und einfacher.“

Volker Brandl wurde immer wütender.

Auch Peter Schmidt war von dem komischen Vogel nicht sonderlich begeistert: „Du behauptest also allen Ernstes, dass du unter einem merkwürdigen Gedächtnisschwund leidest? Das ist wirklich wahnsinnig interessant. So einen Blödsinn habe ich schon lange nicht mehr gehört.“

„Aber wenn ich mich doch wirklich an nichts mehr erinnern kann! Und was ist das überhaupt für eine Frau, die ich da angeblich umgebracht haben soll?“

„Aha, die kennst du also auch nicht! Hätte ich mir ja eigentlich denken können. Komm, Peter, geh doch bitte vor und führe uns alle drei zu der Toten. Der Mörder weiß ja leider nicht mehr, wo sein Opfer liegt.“

Volker Brandl ließ ein künstliches Lachen verlauten, womit er unmissverständlich zum Ausdruck bringen wollte, dass er dem Unbekannten vor ihm keine Silbe glaubte.

In der Küche angekommen, stellten sie sich im Kreis um die Leiche herum auf und starrten sie an. Jeder hing für eine kleine Ewigkeit seinen eigenen Gedanken nach.

Die Polizisten waren von Wut, Traurig und Fassungslosigkeit erfüllt.

Was aber dachte der Unbekannte wohl gerade? Er ließ sich äußerlich überhaupt nichts anmerken?

„Nun, fällt dir jetzt wieder alles ein?“

Volker Brandl war gespannt auf die Antwort. Konnte dieser Satansbraten denn jetzt überhaupt noch leugnen? Er konnte, denn er meinte erneut: „Es tut mir leid, aber das, was ich Ihnen bereits sagte, stimmt, und ich habe dem nichts hinzuzufügen. Ich wünschte wirklich, ich würde mich an irgendetwas erinnern können. Es ist, als ob ich eben erst angefangen hätte, zu leben. Ich weiß noch nicht einmal, wie ich aussehe. Es ist ein beschissener Lebensanfang. Seit ich diese Frau hier liegen sehe, habe ich fürchterliche Kopfschmerzen. Ich weiß, das klingt noch viel verrückter. Warum bekommt dieser Mistkerl ausgerechnet beim Anblick seines eigenen Opfers Kopfschmerzen? Hätte er sich vorher überlegen sollen. Ich weiß, dass Sie so was gerade denken …“

„Es ist ja nicht zu fassen. Jetzt hat der Mann nicht nur Gedächtnisschwund, sondern leidet auch noch unter Kopfschmerzen und spielt sich zu allem Überfluss auch noch als Möchtegernwahrsager auf. Das wird ja immer schöner hier!“, tobte Volker Brandl. Er wollte dem Spuk nun endgültig ein Ende bereiten und bat seinen Kollegen, auf den Mann peinlich genau zu achten, während er ihn durchsuchte. Sekunden später zog er dem Mann seine Brieftasche aus der linken hinteren Hosentasche.

„Wie schön, jetzt kommen wir der Sache vielleicht ein bisschen näher.“

Auch Peter Schmidt schien vor Neugier regelrecht zu platzen. Angespannt beugte er sich über die Schulter seines Kollegen und sah damit geradewegs auf ein Passfoto. Volker Brandl hielt jetzt nämlich den Personalausweis des Fremden in der Hand. Das Foto war auf jeden Fall schon mal identisch mit dem Unbekannten.

„So, so. Du heißt also Michael Wagner, bist sechsundzwanzig Jahre alt und Deutscher. Nun, reicht das jetzt endlich, um deinem Gedächtnis auf die Sprünge zu helfen?“

Er sagte das betont ruhig. Beinahe nebensächlich. Aber innerlich brodelte es in Volker Brandl gewaltig! Sicher, er hatte sich vor noch gar nicht langer Zeit etwas mehr Abwechslung herbeigewünscht. Doch dieser Michael Wagner wollte ihn eindeutig für dumm verkaufen. Das mit seinem Gedächtnisschwund konnte der doch noch nicht mal mehr seiner Großmutter erzählen! Er glaubte nicht dran. Der Polizist seufzte, schickte ein Stoßgebet zum lieben Gott hoch und blickte dann den Fremden vor ihm erwartungsvoll an. Seine Augen sprachen Bände. Sie schienen nur eins zu fragen: „Nun, was ist jetzt mit deinem Gedächtnis?“

Als ob Michael Wagner wirklich Gedanken lesen könnte, sagte er: „Es tut mir ja auch furchtbar leid, aber dieser Name sagt mir wirklich überhaupt nichts. Es ist, als gehöre er gar nicht zu mir.“

„So, jetzt reicht’s mir aber. Peter, such’ du hier mal nach einem Telefon und ruf die Mordkommission an. Dem Kerl ist ja überhaupt nicht mehr zu helfen. Aber ich wette mit dir, die Kollegen werden seinem Gedächtnis schon noch auf die Sprünge helfen. Außerdem haben die bestimmt noch ’ne Kopfschmerztablette für ihn … “

6

Pünktlich um zwölf Uhr mittags rollte die „Tunis Air“ gemächlich Richtung Startbahn des Köln–Bonner Flughafens.

Mit an Bord war eine aufgeregte Silvia König. Sie warf gerade einen Blick durch das Fenster rechts neben ihr. Es regnete mal wieder in Strömen. Die Tropfen klatschten an die Scheibe, da es zu allem Überfluss auch noch recht windig geworden war. Das Flughafengebäude verschwand langsam aber sicher aus ihrem Blickfeld. Jetzt gab es nur noch Start- und Landebahnen, zwischendurch ein bisschen Gras, in einiger Entfernung standen ein paar Militärmaschinen und irgendwo dahinter befand sich ein großer Acker mit angrenzendem Waldstück.

Ihre Aufmerksamkeit wurde kurz auf eine Stewardess gelenkt, die im Flugzeuginnern gerade dabei war zu erklären, wo die Notrutschen waren. Dann demonstrierte sie die Anwendung der Schwimmwesten.

Silvia König hörte jedoch nicht lange hin. Schon nach kurzer Zeit wanderten ihre Gedanken in die nähere Vergangenheit und sie musste unwillkürlich lächeln, als sie sich daran erinnerte, wie sie vor gerade mal zwei Tagen ihrem Chef den frisch aufgebrühten Kaffee brachte. Das machte sie jeden Morgen und war insofern nichts Besonderes. Doch vorgestern fragte er sie unvermittelt, ob sie nicht drei Wochen Urlaub in Tunesien machen wolle. Zuerst war sie völlig perplex gewesen. Ihr Chef hatte sich erst kurz geräuspert, bevor er eine Erklärung für diese seltsame Frage abgegeben hatte: „Es ist nämlich so: Ein Freund von mir musste von dieser Reise kurzfristig zurücktreten und fragte mich, ob ich nicht jemanden kennen würde, der für ihn einspringen könnte. Da hab’ ich an Sie gedacht. Sie sind doch frei und unabhängig. Und Urlaub bekommen Sie natürlich auch von mir. Das wäre also gar kein Problem.“

Das wunderte Silvia König erst, war sie doch noch gar nicht so lange bei ihm beschäftigt und hätte normalerweise keinen Urlaubsanspruch gehabt. Überhaupt war sie anfangs von der ganzen Sache nicht im Mindesten begeistert gewesen. Bisher war sie nämlich über ein paar Campingurlaube an Nord- und Ostsee nicht hinausgekommen. Das war lange her. Als Kind hatte sie dort mit ihren Eltern immer einen Teil der Sommerferien verbracht. Nach der Schulzeit hatte das aufgehört. Seitdem war sie nie wieder von zu Hause weggewesen, auch nicht übers verlängerte Wochenende. Sie hatte dabei eigentlich auch nichts vermisst. Und nun dieses Angebot hier. Sie schüttelte unwillkürlich den Kopf und ging insgeheim den letzten Stand ihres Sparkontos durch. Unschlüssig hatte sie ihren Chef daraufhin angesehen und erwartet, dass er ihr den Haken an der Sache erklärte. Denn der musste doch irgendwo sein.

„Kommen Sie, sagen Sie einfach zu. Sie werden es nicht bereuen“, versuchte der es noch einmal und sah sie mit seinem berühmten Hundeblick an, dem sie so schwer widerstehen konnte. Doch dieses Angebot kam ihr dann doch zu plötzlich. Sie war kein Freund von schnellen Entschlüssen, da konnte auch er nichts dran ändern. Fieberhaft suchte sie nach Ausreden: „Ich bin noch nie in meinem Leben geflogen, geschweige denn über die deutsche Staatsgrenze hinausgekommen. Also ehrlich, ich weiß nicht so recht.“

„Überhaupt kein Problem. Ich erkläre Ihnen einfach, wie Sie sich auf dem Flughafen zurechtfinden können. Über Anschluss am Ferienort brauchen Sie sich auch keine Sorgen zu machen. Das Hotel hat ein großes Animationsprogramm. Da ist man bestimmt nicht lange allein.“

„Glauben Sie etwa, ich hätte Angst vor dem Alleinsein?“, fragte Silvia König entrüstet, obwohl dies genau den Punkt traf. Ihr Chef hatte ja mal wieder so recht gehabt. In der Tat machte sie sich Sorgen, was passieren würde, wenn sie die drei Wochen einsam und verlassen in einem fremden Land verbringen müsste. Sie würde sich total langweilen und dafür auch noch so viel Geld bezahlen müssen. Ihr graute es bei dieser Vorstellung.

Eigentlich hätte sie wissen müssen, dass ihr Chef mal wieder ganz genau wusste, was sie dachte. Er war wirklich sehr nett und feinfühlig. Die Schwächen und Ängste eines anderen Menschen konnten ihm einfach nie verborgen bleiben.

„Hier habe ich übrigens ein Bild von der Hotelanlage“, meinte er dann plötzlich und zog lächelnd einen Urlaubskatalog unter dem Tisch hervor. Als ob er nur darauf gewartet hätte.

„Nun kommen Sie schon, werfen Sie doch wenigstens mal einen kurzen Blick drauf. Das kann doch nicht schaden.“

Sie hatte jedoch erst ihn angesehen und auch jetzt, wo sie gerade an ihn dachte, fühlte sie, wie sympathisch ihr dieser schon etwas ältere Mann doch eigentlich war. Er strahlte eine Güte und Wärme aus, die sie bisher nur bei ihrem eigenen Vater kennengelernt hatte. Die Männer, die dazwischen lagen, konnte man getrost in eine andere Kategorie stecken. Nicht, dass sie sich in ihn hätte verlieben können. Nein, dazu war er im Endeffekt doch viel zu alt. Die beiden trennten etwa dreißig Jahre. Außerdem schien er eine Frau zu haben. Zumindest sah sie ihn öfter mit einer. Es musste eine große Liebe auf beiden Seiten sein, denn immer, wenn sie sich stürmisch begrüßten, sprühten förmlich die Funken. Silvia König war wirklich begeistert von ihrem Chef. Er war für sie in dieser kurzen Zeit, seit sie bei ihm arbeitete, zu einem zweiten Vater geworden. Er war der sanfteste Mensch, den sie sich überhaupt nur vorstellen konnte. Er war immer so ruhig und gelassen. Großzügig war er und gerecht. Oft dachte sie traurig daran, dass sie bisher keinen Mann in ihrem Alter kennengelernt hatte, der ähnliche Charaktereigenschaften besaß.

Mit Schaudern dachte sie an die letzte Beziehung zurück. Das war vor einem halben Jahr gewesen und hatte wirklich tiefe Narben bei ihr hinterlassen. Vor ungefähr vier Monaten war sie dann auch noch arbeitslos geworden. Das war wirklich die Krönung gewesen. Ohne viel Hoffnung war sie daraufhin zum Arbeitsamt gegangen und kam guten Mutes wieder heraus. Man hatte ihr doch tatsächlich eine neue Stelle anbieten können. Danach ging alles superschnell. Ein Vorstellungsgespräch genügte und am nächsten Morgen konnte sie auch schon bei ihm anfangen. Das war das berühmte Glück im Unglück.

Da stand sie also nun vor zwei Tagen ihrem Chef gegenüber und entschloss sich, wenigstens einen klitzekleinen Blick in den Urlaubskatalog zu werfen. Ablehnen konnte sie dann ja immer noch. Als sie jedoch die Fotos der Hotelanlage sah, musste sie erst mal schlucken. Es sah dort einfach traumhaft aus. Ein weiter Sandstrand mit unzähligen Sonnenschirmen, dazu ein hoteleigener Garten, den man nur als eine einzige blühende Oase bezeichnen konnte. Mittendrin lagen die verschiedenen Bungalows der Anlage, doch auch das Hotel selbst sah nicht schlecht aus. Nachdem sie auch noch die Beschreibung dazu gelesen hatte, sagte sie kurzerhand zu.

„Okay, wenn Sie wirklich so kurzfristig drei Wochen auf mich verzichten können und wollen, dann fliege ich. Sie haben mich überredet.“

„Sie werden es nicht bereuen“, lächelte ihr Chef. Beide hatten sich anschließend feierlich die Hände gereicht, diese ausgiebig geschüttelt und danach tranken sie zuerst mal zusammen den Kaffee, den Silvia König gemacht hatte. Erst dann ging es an diesem Morgen an die Arbeit. Die fiel ihr allerdings sehr schwer, denn von der ersten Minute ihrer Zusage an war sie von einer wahnsinnigen Vorfreude erfasst worden.

Gestern Nachmittag konnte sie es kaum abwarten, ihre Schreibmaschine abzudecken und in der Stadt noch ein paar Besorgungen zu machen. Ihr Chef hatte sie gnädiger weise eher nach Hause geschickt. Er musste ihre Aufregung wohl bemerkt haben und hatte anscheinend Mitleid mit ihr.

Als sie dann unten auf dem Parkplatz in ihren Wagen steigen wollte, musste sie leider feststellen, dass sie vor lauter Vorfreude ihre Schlüssel oben im Büro hatte liegenlassen. Fluchend kehrte sie wieder um und erschreckte ihren Chef damit fast zu Tode. Sie entschuldigte sich tausendmal bei ihm und verschwand schnell wieder, bevor sie noch mehr Zeit verplemperte. Schließlich wollte sie noch ein bisschen Geld ausgeben. In einem Warenhaus erstand sie einen neuen Bikini. Der musste unbedingt her, das war einfach unausweichlich. Genauso wie ein paar neue T-Shirts und Blusen.

Das alles war nun schon viele Stunden her. Im Moment saß Silvia König angespannt in ihrem Sitz. Gleich würden sie starten und jetzt bereute sie ihre Entscheidung doch ein bisschen. Noch nie in ihrem Leben hatte sie in so einem großen Flugzeug gesessen. Krampfhaft hielt sie sich an den Armlehnen fest und betete lautlos vor sich hin. Ihre Augen waren dabei fest geschlossen. Sie hätte fast einen Herzinfarkt bekommen, als die Maschine plötzlich zum Stillstand kam, die Motoren laut aufheulten und das Flugzeug danach mit großer Geschwindigkeit über die Startbahn rollte. Silvia König spürte, wie sie dabei in ihren Sitz gepresst wurde. Vor lauter Angst vergaß sie das Atmen. Als ihr das bewusst wurde, waren sie gerade im Begriff abzuheben. Es ruckelte einmal kurz, dann war es endlich geschafft. Sie waren in der Luft. Silvia König öffnete ihre Augen nun doch wieder und erlebte die folgenden Minuten ganz bewusst. Als sich das Flugzeug über der dicken Wolkenbank befand, konnte sie den Flug sogar schon genießen. Es war aber auch wirklich zu schön hier oben. Über ihr der strahlendblaue Himmel, die Sonne blendete sie ein bisschen, unter ihr endlos viele graue Wolken. Und sie steckte mittendrin. Lebend! Sie konnte es kaum glauben. Der Anblick war für sie einfach überwältigend.

Gerührt und voller Dankbarkeit schloss sie noch einmal kurz ihre Augen und war in diesem Moment verdammt froh, dass ihr Chef so hartnäckig geblieben war.

„Fliegen Sie das erste Mal?“

Silvia König zuckte erschrocken zusammen. Sie hatte vorhin zwar registriert, dass sich ein junger Mann neben sie gesetzt hatte, maß dem allerdings keine große Bedeutung bei. Zu sehr war sie mit ihren Gedanken in der Vergangenheit gewesen. Jetzt sah sie nach links und blickte in zwei äußerst ansprechende braune Augen. Die Haare und der Schnauzer hatten die gleiche Farbe. Wie alt mochte er wohl sein? So Ende Zwanzig, Anfang Dreißig vielleicht. Sie musterte ihn kurz und unauffällig, obwohl sie liebend gern etwas genauer hingesehen hätte. Aber das machte man ja schließlich nicht. Der Mann neben ihr gefiel ihr auf Anhieb. Vorbei schien plötzlich die Zeit zu sein, in der sie alle Männer zum Teufel jagen wollte. War das denn wirklich ihr Ernst gewesen?

„Ja, ich fliege tatsächlich das erste Mal. Woher wissen Sie das?“

Hoffentlich merkte er nicht, wie nervös sie bei seinem Anblick geworden war. Das war doch wohl nicht die Liebe auf den ersten Blick, oder? Davon hatte sie bisher nur in ihren vielen Groschenromanen gelesen, mit denen sie sich die einsamen Abende vertrieben hatte. Dass es sie jemals selbst erwischen würde, hätte sie nie für möglich gehalten.

„Sie machten beim Start nicht gerade einen entspannten Eindruck. Es sah ehrlich gesagt sogar so aus, als wenn Sie die Armlehne zerquetschen wollten.“

Mein Gott, so lange beobachtete er sie schon?! Das war ja schrecklich!

Mit einem kurzen Seitenblick musste Silvia König leider feststellen, dass ihr Traummann grinste. Ihr war das sehr unangenehm. Lachte er sie jetzt etwa aus? Hatte er am Ende vielleicht auch schon längst bemerkt, dass Amors Pfeil sie mitten ins Herz getroffen hatte? Das fehlte ihr gerade noch! Sie beschloss, zu ihrer Rühr-mich-nicht-an-Masche zurückzukehren. Dann konnte er sich auch nicht so schnell über sie lustig machen. Betont lässig fragte sie ihn: „Und Sie, fliegen Sie auch das erste Mal?“

Sie klopfte sich insgeheim selbst auf die Schulter. Das hatte sich so richtig schön unnahbar angehört. Höflich distanziert. So war das gut. Bloß keine Gefühle zeigen, dann konnte er ihr auch nicht wehtun.

Trotzdem, sie fühlte es ganz deutlich: Ohne es zu wollen hatte sie sich von einer Sekunde zur anderen unsterblich in ihren Sitznachbarn verknallt.

„Oh nein, ich fliege jetzt bereits das fünfte Mal. Und immer nach Tunesien. Das Land fasziniert mich einfach und da mir besonders das Hotel von Anfang an gefallen hatte, steige ich auch diesmal wieder im selben ab.“

„Wie heißt das Hotel denn?“

„Es ist das ‚Omar Khayam‘. Ein tolles Hotel, wenn man nicht allzu große Ansprüche an Luxus und perfektem Service stellt. Es ist wirklich nicht besonders edel. Die High Society steigt natürlich woanders ab, und solche, die sich dafür halten oder dazu gehören wollen. Für mich reicht’s.

„Meinen Sie etwa das ‚Omar Khayam‘ in Hammamet?“, fragte Silvia König atemlos. Sollte er etwa auch noch im selben Hotel wie sie absteigen? So langsam aber sicher bekam sie Schwierigkeiten. Einerseits freute sie sich natürlich wahnsinnig darüber, den Urlaub vielleicht mit ihm zusammen verbringen zu können, andererseits hatte sie auch Angst. Sie wollte doch nie wieder einen Mann an sich heranlassen! Dieser Plan geriet nun gehörig ins Wanken.

„Sagen Sie bloß, da steigen Sie auch ab?“

Schwang da nicht ein kleines bisschen Freude in der Stimme ihres Sitznachbarn mit? Oder war das mal wieder nur ein Wunschtraum?

„Ja, hatte ich eigentlich so vor.“

„Und wie lange bleiben Sie?“

„Drei Wochen, und Sie?“

„Ich auch! Mensch, das gibt es doch gar nicht! Also wissen Sie was? Wenn wir schon vielleicht unseren Urlaub zusammen verbringen werden, dann könnten wir uns doch eigentlich auch duzen oder?“

„Klar, können wir gerne machen“, pflichtete sie ihm bei und es lief ihr dabei eiskalt den Rücken runter. Das konnte ja heiter werden. Der Mann gefiel ihr immer besser und die Aussicht auf einen wirklich schönen Urlaub ließ ihr Herz schneller klopfen, als ihr lieb war.

„Ich heiße Thomas Herden und du?“, unterbrach er ihre Gedanken.

„Silvia König“, antwortete sie kurz und knapp. Es war verrückt. Wie zwei alte Freunde, die sich nach langer Zeit wiedergesehen hatten, schüttelten sie sich in zehntausend Meter Höhe die Hände.

Danach sah sie wieder geistesabwesend aus dem Fenster neben sich. Mühsam versuchte sie, ein lockeres Gespräch in Gang zu setzen: „Ist das nicht herrlich?“

„Was ist herrlich? Dass ich Thomas Herden heiße, oder dass wir zusammen den Urlaub verbringen werden?“

Silvia König musste lachen.

„Nein, keines von beiden. Ich meinte eigentlich den Ausblick hier.“

„Ach so“, meinte er gespielt gekränkt und enttäuscht. „Warte erst mal ab, bis wir über den Alpen sind. Da ist bestimmt wieder so gutes Wetter, dass du die Berggipfel fast anfassen kannst. So klar liegen sie vor dir. Das war für mich bisher immer das Schönste vom ganzen Flug.“

Thomas Herden hatte nicht übertrieben. Nach dem Essen, die Tabletts wurden gerade wieder weggeräumt, konnte sie sich selbst davon überzeugen. Je länger sie geflogen waren, desto brüchiger war die dicke Wolkenbank geworden. Jetzt war es draußen so klar geworden, dass sie tatsächlich die Berge, einen kleinen See und sogar winzig kleine Segelboote unter sich erkennen konnte.

Silvia König befand sich in einer geradezu euphorischen Stimmung. Langsam bekam sie es mit der Angst zu tun. Sie hatte nämlich in ihrem kurzen Leben schon öfter die Erfahrung machen müssen, dass mit Sicherheit etwas Schlimmes passierte, wenn sie so glücklich und ausgelassen war wie jetzt. Irgendwie wartete sie innerlich bereits auf die nächste Katastrophe. Dass sie dazu allen Grund hatte, sollte sie schon sehr bald erfahren …

7

Als Knolle den Hörer wieder auf die Gabel gelegt hatte, sackte er förmlich in sich zusammen. Er machte dabei einen erbarmungswürdigen Eindruck.

„Noch ein ‚Goldener Schuss‘?“, fragte Hans-Jörg Krause völlig entgeistert. Er konnte es irgendwie nicht glauben.

„Nein, kein ‚Goldener Schuss‘. Ausnahmsweise mal ’ne Abwechslung. Und was für eine! Eine Tote in einer Waldhütte. Sie ist höchstwahrscheinlich erwürgt worden. Ein paar Meter neben der Leiche haben zwei Kollegen von uns einen Mann gefunden.“

„Etwa auch tot?“

„Aber nein, eher ein überaus lebendiger Mörder mit einer tollen Phantasie. Sein Erinnerungsvermögen scheint komplett versagt zu haben.“

„Dem können wir wieder auf die Sprünge helfen, da bin ich mir ziemlich sicher. Lass mich ruhig mal mit ihm allein. Ich bin zurzeit ziemlich genervt und übermüdet. Was meinst du wohl, wie schnell der seine Meinung ändert und sein Geständnis unterschreibt.“

„Sei nicht albern Hans-Jörg!“, wies sein Chef ihn zurecht. Auch er brauchte dringend Schlaf und hatte im Moment seinen Sinn für schwarzen Humor verloren.

„Mein Gott, nun krieg’ dich mal wieder ein! Sag mir mal lieber, was wir jetzt mit dem geangelten Schüler machen?“

„Der war zuerst tot. Höchstwahrscheinlich. Zumindest ist er uns zuerst gemeldet worden. Also werden wir uns jetzt mit dem beschäftigen. Komm, fahren wir los.“

Stumm folgte ihm Hans-Jörg Krause kurz darauf auf den langen Flur. Beide hingen dort eine kleine Weile ihren Gedanken nach.

Während Knolle überlegte, wie sie wohl am schnellsten zum Tatort kommen konnten, dachte sein Kollege über sein schönes warmes Bett nach. Was für eine Nacht! Das Wetter passte ausgezeichnet dazu. Bevor sie draußen auf dem Parkplatz in ihren Wagen steigen konnten, wurden sie erstmal so richtig schön nass.

„Dieser ekelhafte Nieselregen steigert meine Laune ja nun wirklich nicht“, maulte Knolle.

„Ganz meiner Meinung, Chef. Wir wären allerdings etwas trockener geblieben, wenn unsere Regenschirme nicht sinnigerweise im Auto liegen würden. Da nützen sie uns nämlich auch nichts.“ Knolle nickte missmutig. Während der Fahrt unterhielten sie sich über die drei bisher gefundenen Rauschgiftleichen.

„Die müssen irgendetwas gemeinsam haben. Außer, dass sie auf dieselbe Art und Weise gestorben sind, meine ich natürlich. Was wissen wir bisher von den Opfern?“ Thorsten Knoll sah seinen Kollegen fragend an.

„Tja, also, da wäre zuerst einmal ein fünfunzwanzigjähriger Arbeitsloser, der im Stadtpark gefunden wurde.“

Während sein Chef fuhr, zückte Hans-Jörg Krause ein kleines Notizbuch und fing an, alles aufzuschreiben, was ihm einfiel.

„Geschlecht: männlich. Name: Christian Rietmann, Haare: rotblond, Alter: fünfundzwanzig Jahre, Beruf: leider arbeitslos, vorher als einfacher Lagerarbeiter tätig gewesen. Familienstand: ledig. Keine Freundin, ansonsten enge Bindung zu Eltern, seinem Bruder und zwei Schwestern. Allen war in letzter Zeit nichts Besonderes aufgefallen. Er war wohl etwas ruhiger als sonst, aber das schoben alle auf seine Arbeitslosigkeit.“

„Ist das alles was wir wissen? Reichlich mager!“, unterbrach Knolle Hans-Jörg Krause. „Was weißt du denn noch über diese Frau im Stadtpark.“

„Okay, also, Geschlecht: weiblich …“

„Ich glaube, eine Frau ist immer weiblich, du Scherzkeks.“

„Jetzt unterbrich mich doch nicht dauernd! Lass mich doch mal alles aufschreiben, was mir gerade so einfällt. Du bist im Moment aber auch wirklich ungenießbar. Mit dir ist echt nichts los!“

„Recht vielen Dank. Wäre ich selbst gar nicht drauf gekommen.“

Hans-Jörg Krause verzichtete auf weiteren Streit mit seinem Chef. Stattdessen zählte er unbeirrt die Fakten auf: „Also, Name der Frau: Irene Nordhoff, Alter: vierzig Jahre, Haarfarbe: strohblond, gefärbt. In Wirklichkeit: braun, Beruf: Hausfrau und Mutter. Sie hinterlässt einen Ehemann, einen Sohn und zwei Töchter. Die Kinder sind noch relativ klein. Unter zehn. Auch diese Angehörigen haben wir nach besonderen Ereignissen befragt. Keinem war etwas Außergewöhnliches aufgefallen. Nur vor einem halben Jahr etwa, da war sie mal eine Zeit lang nervöser als sonst gewesen. Hat sich aber schnell wieder gelegt. Sie hatte sich damals bei ihrer Familie beschwert, einfach zu wenig Zeit für sich zu haben. Seit sie regelmäßig einmal in der Woche einen freien Nachmittag hatte, an dem sie tun und lassen konnte, was sie wollte, hatte sich das wieder erheblich gebessert.“

„Na toll. Bin ja mal gespannt, was wir über die dritte Leiche noch alles so herausfinden.“

Kurze Zeit später kamen sie am Tatort an. Alles war wie immer. Es herrschte mal wieder reges Treiben. Der Gerichtsmediziner beschäftigte sich gerade intensiv mit dem toten Schüler, ein paar andere Polizisten suchten nach irgendwelchen Spuren und ein Fotograf lief wie ein aufgescheuchtes Huhn durch die Gegend und bannte alles auf Zelluloid, was ihm vor die Linse kam. Naja, fast alles. Ein bisschen System steckte schon dahinter. Er war schon lange kein Anfänger mehr und den beiden Kripobeamten wohl vertraut.

„Hallo ihr zwei, müsst ihr auch mal wieder dran glauben? Schweiß Wetter was? Wäre jetzt am liebsten mit meiner Frau vorm brennenden Kamin. Da saßen wir nämlich gerade, als das Telefon klingelte. Wir waren kurz vorher von einer Party zurückgekommen und wollten den Abend noch ein bisschen anders als sonst ausklingen lassen, wenn ihr versteht, was ich meine. Also wirklich, manchmal hängt mir dieser Job wirklich zum Hals raus! Aber wisst ihr, was mich am meisten genervt hat, Jungs? Meine Frau zuckte nur allwissend die Schultern und ging dann schnurstracks ins Bett. Das allein war schon gemein. Wie konnte sie denn am Klingeln des Telefons erkennen, dass ich noch mal beruflich weg musste. Hätte ja schließlich auch sein können, dass sich nur einer verwählt hat. Oder einer macht mitten in der Nacht einen auf Telefonterror. So ein Perverser mit Stöhnerei und so. Ich bin dann natürlich hinter ihr her gelaufen und habe sie einfach gefragt: ‚Hey, Schatz, bist du jetzt sauer?‘ Also ehrlich, alles hätte ich verstanden, aber sie sagte nur lapidar: ‚Ach komm, Dickerchen, ich wusste doch schon vor unserer Hochzeit, dass du nachts manchmal raus musst. Ich werd’s überstehen.‘“

Der Fotograf holte tief Luft und meinte dann geknickt: „Da hab’ ich mich allen Ernstes gefragt, ob sie mich überhaupt noch liebt. Wenn ihr das doch egal ist, dass ich kurz vor der Erfüllung meiner ehelichen Pflichten die Kurve kratze, dann passt da doch was nicht. Meint ihr nicht auch?“

„Nimm’s nicht so tragisch, Dickerchen, sie wird schon nicht gleich weglaufen. Eine gute Ehe hält so was aus. Sex ist nicht alles.“

Knolle hatte sich inzwischen gebückt. Missmutig und angeekelt sah er sich den Toten an. Es war kein schöner Anblick, denn die Leiche hatte schon ein Weilchen im Wasser gelegen.

„Dr. Witte?!“

„Ja?“ Der Gerichtsmediziner blickte Knolle erwartungsvoll an.

„Sagen Sie mir bitte, wie lange dieser Junge schon tot ist. Nur so ungefähr. Ich weiß ja, Genaueres können Sie immer erst nach der Obduktion sagen.“

„Ungefähr ein Tag.“

„Sonst können Sie uns nichts Besonderes sagen?“, fragte Knolle mit wenig Hoffnung. Zu Recht, denn der Gerichtsmediziner antwortete: „Alles Weitere wird die Obduktion ergeben.“ Dabei schüttelte Dr. Witte den Kopf und wunderte sich, warum es in dieser Welt immer so hektisch zugehen musste. Wie sollte er vorher sagen können, was er finden würde? Wenn das Opfer erst mal vor ihm auf dem Tisch lag, konnte ihm so schnell keiner was vormachen. Er würde alles über den Toten herausfinden, was er herausfinden wollte und musste. Aber das dauerte nun mal.

„Also, ich für meinen Teil werde jetzt wieder verschwinden. Wenn ich diesen Knaben da auseinandergenommen habe, habe ich durchaus Hoffnung, in mein warmes, trockenes Bett zu kommen. Dort werde ich dann von strahlendblauem Himmel und grünen Wiesen träumen. Ist echt komisch, aber immer, wenn ich einen harten Tag hatte, träume ich was unglaublich Schönes. Da kann ich die Uhr nach stellen.“

„Das ist ja wirklich eine tolle Einrichtung“, meinte Knolle ironisch. Die Träume des Gerichtsmediziners interessierten ihn im Moment nicht die Bohne und er machte keinerlei Anstalten, dies höflich zu überspielen.

„Leider muss ich Sie enttäuschen, Dr. Witte. Auf uns wartet noch eine Leiche. Ihr Arbeitstag ist also doch noch nicht zu Ende.“ Dem armen Gerichtsmediziner wären daraufhin fast die Augen aus dem Kopf gefallen. Schließlich verdrehte er sie aber doch nur ausgiebig und fluchte: „Ist das Ihr Ernst?! Ich komme immer noch nicht ins Bett?!“

„Nein, nicht bevor sie bei zwei Leichen eine Obduktion vorgenommen haben.“

„Das werden wir ja sehen!“

Wütend stapfte Dr. Witte zum Wagen zurück. Das tat er so schwungvoll, dass er fast auf dem nassen Gras ausgerutscht wäre, was seine Laune nun wahrlich nicht hob. Zeternd erreichte er den Wagen und verschwand darin.

Das war für Knolle der Startschuss. Er drehte sich zu den beiden Männern um, die die Leiche gefunden hatten. Da hockten sie nun, in sich zusammengesunken, unter ihrem großen Anglerschirm und bedauerten wahrscheinlich gerade ausgiebig, dass sie heute Nacht nicht bei ihren Frauen geblieben waren. Woher sollten sie auch ahnen, dass sie so einen Fang machen würden. An Aale hatten sie dabei wahrscheinlich eher gedacht. Stumm schlürften sie ihren mitgebrachten Kaffee aus der Thermoskanne und Knolle beschloss, die beiden in Ruhe zu lassen. Sie konnten sowieso nichts sagen.

Doch vorher musste er noch etwas klären. Er wandte sich deshalb an einen Polizisten und fragte ihn: „Gibt es hier eigentlich irgendwelche Fuß- oder Reifenspuren?“

„Die sind hier reichlich vorhanden. Der Boden ist sehr feucht, da sieht man ’ne Menge. Hier vorne zum Beispiel“, meinte der Polizist und zog Knolle ein Stück mit, „ist eine Schleifspur. Und dort sind deutlich Reifenspuren zu erkennen. Ich schätze, der Mörder hat sein Opfer aus den Wagen geholt und es dann hierhin geschleift.“

„Dann machen Sie doch bitte Gipsabdrücke von den verschiedenen Fußabdrücken. Danach sagen Sie bitte den beiden Anglern, sie sollen uns so schnell wie möglich ihre Schuhe aufs Präsidium bringen. Nur so können wir feststellen, auf welche Fußspuren wir uns konzentrieren müssen. Und wenn Sie ihnen das gesagt und ihre Personalien haben, lassen Sie sie nach Hause gehen. Die Aussage habt ihr ja bestimmt schon oder?“

„Klar doch.“ Der Polizist drehte sich um und schnitt eine Grimasse. Auf die Idee mit den Gipsabdrücken war er schon selbst gekommen. Er war ja schließlich nicht blöd!

Knolle und Hans-Jörg Krause setzten sich wieder in Bewegung. Zusammen gingen sie auf ihren Wagen zu, als es passierte. Knolle rutschte auf dem nassen Gras ebenfalls aus und hatte nicht so viel Glück wie Dr. Witte. Er landete nämlich zur Belustigung aller Anwesenden gründlich auf seinem Hintern. Nun könnte man meinen, dass dieser ja schließlich genügend gepolstert war. Trotzdem schien Knolle Schmerzen zu haben, denn er stöhnte ein paar Mal laut auf.

Hans-Jörg Krause war hin- und hergerissen. Einerseits konnte er sich vor Lachen kaum halten, andererseits wollte er seinen Chef auch nicht hängen lassen, denn durch sein Übergewicht war dieser derart ungelenkig, dass er ohne fremde Hilfe nicht mehr auf die Füße kam. Knolle ruderte gerade wie wild mit den Armen, was ihn allerdings auch nicht weiterbrachte.

Hans-Jörg Krause ließ ihn noch einen kleinen Moment leiden, dann reichte er ihm die Hand und zog ihn hoch. Danach sah er zu, dass er weg kam. Kichernd lief er zum Wagen zurück und wartete dort auf seinen Chef, der den Rest des Weges überraschenderweise unfallfrei überstand. Doch statt darüber glücklich zu sein, schnauzte Knolle mit hochrotem Kopf: „Lach nicht so dreckig, mein Lieber!“

Auf dem ganzen Weg zur Waldhütte und der nächsten Leiche tobte und haderte er mit seinem Schicksal. Das war nun wirklich nicht seine Nacht!

8

Während die „Tunis Air“ sich im Anflug auf den Zielflughafen Monastir befand, warf Silvia König einen Blick aus dem kleinen Fenster neben sich. Während des Fluges hatte sie sich angeregt mit Thomas Herden unterhalten und ihre Begeisterung über ihn hatte sich nicht im Geringsten gelegt. Es war, als ob sie ihn schon viele Jahre kannte. Er kam ihr so vertraut vor.

Für einen Augenblick schloss sie erneut die Augen und träumte davon, wie sie mit ihm nachts am Strand liegen würde. Über ihr funkelten die Sterne und der Mond schien ganz romantisch dazu. Die Luft war seidenweich.

Sie stellte sich gerade vor, wie er sie voller Leidenschaft in seine Arme riss und sie sich natürlich überhaupt nicht dagegen wehren konnte, als das Flugzeug auf der Landebahn aufsetzte. Es gab einen ordentlichen Ruck und Silvia König war damit wieder auf dem Boden der Tatsachen. Was sie irgendwie bedauerte.

Während die Maschine gemächlich ausrollte, warf sie einen Blick auf das Flughafengebäude. Es war viel kleiner, als sie das vom Köln–Bonner Flughafen kannte. Weiß getüncht und mit ein paar großen Palmen davor.

Sie sah nach schräg oben und betrachtete den strahlend blauen Himmel. Es war jetzt etwa zwei Uhr mittags und im Gegensatz zu Deutschland ziemlich heiß hier. Vom Flugkapitän hatten sie über Bordlautsprecher bereits erfahren, dass im Moment über dreißig Grad herrschten. Ob sie die Hitze wohl vertragen würde?

Etwa eine Viertelstunde später stand sie in einer langen Warteschlange, die sich vor der Passkontrolle gebildet hatte. Thomas Herden stand neben ihr. Während sie kurze Zeit später dem Beamten am Schalter ihren Reisepass gab, dachte sie daran, was es doch für ein Zufall war, dass sie beide sich begegnet waren. Ob er wohl verheiratet war? Oder sonst wie gebunden? Wo wohnte er in Deutschland eigentlich? Sie nahm sich vor, das zu gegebener Zeit herauszufinden.

Jetzt hatte sie andere Sorgen. Hinter der Passkontrolle befanden sich mehrere Transportbänder. Nachdem sie sich dort ihr Gepäck zusammengesucht hatten, gingen sie durch eine große Halle. Hier herrschte eine Menge Leben. Um sie herum waren kleine Geschäfte, mehrere Sitzreihen und unglaublich viele Leute.

Sie lachte laut los, als sich plötzlich eine Gruppe Einheimischer regelrecht überschlug, um ihren Koffer tragen zu dürfen. Richtig eingekeilt war sie vorübergehend in der Menge. Doch Thomas Herden beendete schließlich diese Attacke, sagte irgendetwas auf Französisch und nahm ihr das Gepäck selbst aus der Hand.

„Lass mich den mal tragen. Ich verlange kein Trinkgeld dafür. Du kannst dein Kleingeld noch oft genug loswerden. Ich habe nämlich vor, mit dir die Gegend unsicher zu machen. Da geht es auch mal mit Pferd oder Kamel los.“

„Was, ich und auf einem Kamel? Nie im Leben! Da brauchst du dir überhaupt keine Hoffnung machen! So ein niedliches Tierchen ist mir einfach zu unsicher und vor allem zu hoch.“

„Du brauchst da überhaupt keine Angst zu haben. Ich selbst habe das schon oft genug gemacht. Ist alles halb so schlimm. Ich bin noch nie runtergefallen. Dann wirst du es auch nicht.“

„Das sagst du so in deinem jugendlichen Leichtsinn. Ich ziehe das Unglück magisch an.“

Thomas Herden schüttelte beruhigend den Kopf.

„Probier es einfach mal aus. Es ist herrlich, auf so einem Kamel durch die Gegend zu reiten. Du wirst schon sehen, wenn du erst mal drauf sitzt und davonschaukelst, willst du gar nicht wieder runter.“

„Das ist mir schon klar. Ich hab’ nämlich Angst vorm Fallen!“ Die nächsten zwei Stunden verbrachte Silvia König unter anderem damit, sich eine passende und plausible Ausrede einfallen zu lassen. Eins wusste sie ganz sicher: Sie würde nie auf eines dieser Kamele steigen. Da konnte er machen, was er wollte!

Nach einer anstrengenden Fahrt erreichten sie endlich das „Omar Khayam“. Inzwischen grenzenlos schlecht gelaunt verließ sie mit Thomas Herden und drei weiteren Neuankömmlingen den Bus. Dann baute sie sich vor dem Haupteingang auf und wartete erneut auf ihr Gepäck. Sie wischte sich in der Zwischenzeit mehrmals mit der Hand durchs Gesicht und fluchte innerlich, als sie an die beiden alten Damen im Bus zurückdachte, die sich strikt geweigert hatten, während der Fahrt mehr als ein einziges Fenster zu öffnen. Sie hatten Angst vor Zugluft. Man wolle sich schließlich nicht erkälten!

Kurze Zeit später erreichten sie die kühle Hotelhalle. Entnervt sagte sie zu Thomas Herden: „Angst vor Zugluft, dass ich mich nicht gleich schief lache. Was machen die erst mal am Strand? Nehmen die sich da Pelzmantel und Wolldecke mit oder was?“

„Wahrscheinlich werden die beiden gleich ’ne Aspirin gegen mögliche Fieberschübe nehmen, wenn sie pudelnass aus dem Meer steigen.“

Silvia König schüttelte den Kopf: „Ich glaube nicht, dass die schwimmen gehen. Sie würden ja sonst Gefahr laufen, sich die Blase zu erkälten.“