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Dieses Buch nimmt seine Leser mit auf eine abenteuerliche Expedition in die imposante Bergwelt der Weltreligionen, von deren geschäftigen Basecamps bis in die eisigen Höhen letzter Erkenntnis und darüber hinaus. Wer sich auf dieses Abenteuer einlässt, tut dies auf eigenes Risiko, wird hier doch alles infrage gestellt, was man bisher über die Lehren der großen Weltreligionen meinte glauben zu müssen. "Ich kann mich nicht erinnern, schon mal ein ähnlich unterhaltsames, kurzweiliges und in sich stimmiges religionskritisches Buch gelesen zu haben ... Einziger Nachteil: Das Buch liest sich so spannend und unterhaltsam, dass man es nur allzu schnell ausgelesen hat ... Mein Fazit: Unbedingt lesen!" (Marc Niedermeier, Buchtipp des Jahres 30.09.2020, www.awq.de)
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Seitenzahl: 389
Veröffentlichungsjahr: 2022
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Gewidmet ist dieses Buch der nicht unbeträchtlichen Zahl von Pfarrern (evangelisch, uniert, methodistisch), Lamas (tibetisch), Priestern (katholisch, russisch orthodox, Shinto, Buddhistisch), Zen-Meistern (Soto und Rinzai), Imamen und Mönchen aller Couleur, denen ich in meinem bisherigen Leben begegnet bin – in alter Verbundenheit.
Muftis, Emire oder den Papst habe ich leider noch nicht persönlich getroffen. Ich glaube aber fest daran, dass es sie gibt.
(Bodhidharma, erster Patriarch des
Zen-Buddhismus, 7. Jhdt. n. Chr.)
(HSM)
Vorbereitung unserer Expedition: Ein Test und erste Geländeerkundung
Auf dem Basar der Religionen: Engel, Heilige und sonstiges seltsames Allerlei
Durch die harte Schule: Regeln und Gebote
Auch da müssen wir durch: Riten und Zeremonien
Warum entspannt, wenn's auch verkrampft geht: Einseitige Schöpfung und Angst vor dem Sex
Herr, gib uns unsere Schuld: Sünde, Schuld und schlechtes Karma
Jetzt geht's zur Sache: Himmel, Hölle, Tod und Teufel
Da staunt der Laie: (un)heilige Schriften
Jetzt wird's erst richtig ernst: Gott der Herr persönlich – Offenbarung I
Von allen guten Geistern verlassen
Götterdämmerung – Offenbarung II
Die Ausbeute unserer Expedition: Erfahrung statt Offenbarung
Expeditionsausrüstung:
(für Teilnehmer der Expedition im Preis enthalten)
Anhang I
Auflösung der Testfragen
Anhang II
Von Adam bis Zipfelmütze – Kleines Lexikon religiöser Fachbegriffe
Anhang III
Verzeichnis grundlegender, weiterführender Weiterer heiterer und weiter in die Irre führender Literatur
Ich freue mich sehr, dass Sie auf meine Ausschreibung geantwortet haben und mich auf der geplanten Expedition in die Wunderwelt der Religionen begleiten wollen. Bei so einem Unternehmen kann man wirklich jede Unterstützung gebrauchen. In Begleitung fühlt man sich gerade in einem so heiklen Gelände auch einfach sicherer. Besonders freue ich mich, dass, wie ich sehe, auch eine ganze Reihe potentieller Religionsstifterinnen und Religionsstifter zu diesem Vorbereitungstreffen angereist sind. Gerade für sie wird diese Expedition von besonderem Nutzen sein.
Es soll ja Leute geben, die glauben tatsächlich, das Thema Religion sei erledigt, die religiöse Welt bis in den letzten Winkel erforscht und beherrschbar. Dabei braucht man nur die täglichen Nachrichten zu verfolgen, um zu erkennen, wie aktiv die Urkräfte immer noch sind, die hier wirken.
Es ist wie mit Vulkanen. Oft denkt man, der ist so gut wie erloschen. Und dann wacht man plötzlich auf, es wackeln die Wände, und man muss rennen, damit einen die herumfliegenden Brocken oder der Lavastrom nicht erwischen. Die Welt der Religionen ist nach wie vor eine wilde, urwüchsige Berglandschaft, in der sich arglose Wanderer immer wieder ohne jede Aussicht auf Rettung verirren. Wir aber wollen uns auf gar keinen Fall verirren, und schon gar nicht, dass uns oder sonst irgendjemandem am Ende alles um die Ohren fliegt. Wie Sie sehen, ist unsere Mission – wie ja auch das Stiften einer Religion – keineswegs eine einfache Aufgabe.
An die Teilnehmerinnen und Teilnehmer unserer Erkundungsmission – und mehr noch an die angehenden Religionsstifter und Religionsstifterinnen unter uns – müssen daher allerhöchste Anforderungen gestellt werden. Auf jeden Fall schon mal die einer gewissen Mindestintelligenz. Die setze ich bei Ihnen aber schon mal voraus. Schließlich haben Sie sich auf meine Anzeige gemeldet. Darüber hinaus bedarf es aber auch hervorragender Kondition, solider Fachkenntnisse, hoher Kreativität, handwerklicher Solidität und nicht zuletzt auch absoluter Offenheit und Ehrlichkeit.
Was Letzteres betrifft, so muss ich Ihnen an dieser Stelle selbst ein Geständnis machen: C. D. Gerion ist gar nicht mein richtiger Name. Ich kann nur hoffen, dass Sie Verständnis dafür haben, dass ich es vorziehe, Ihnen vorerst nur unter einem Pseudonym gegenüberzutreten.
Nicht dass ich etwas dagegen hätte, wenn sich auch Fundamentalisten, religiöse Fanatiker und praktizierende Terroristen aller Konfessionen unserer Erkundungsmission anschließen würden – natürlich nur unter Zurücklassung ihres gefährlichsten Handwerkszeugs wie Teppichmessern oder Sprengstoffgürteln. Aber ich habe nicht die geringste Lust, zum ersten Märtyrer der neuen, ultimativen Religion zu werden, die der eine oder die andere von ihnen nach erfolgreicher Bewältigung unserer Mission möglicherweise stiften wird.
Daher zu meiner Person und Qualifikation für die Leitung dieses Unternehmens nur so viel: Ich gehöre zu den Wenigen, die beinahe alle heiligen Berge der Menschheit schon einmal persönlich bestiegen haben. Meine Sammlung beeindruckender Bilder von diesen Expeditionen kann ich Ihnen bei Interesse gern einmal zeigen. Ich bin darüber hinaus aber auch Verfasser eines demnächst erscheinenden und sicher bald vieldiskutierten Standardwerks über Theorie und Praxis der Religionsgründung. Insgesamt also ideale Voraussetzungen dafür, Sie sicher durch das Ihnen bevorstehende abenteuerliche Unternehmen zu führen.
Bevor es endlich los gehen kann, müssen wir, wie Sie jetzt sicher verstehen werden, zunächst erst mal feststellen, ob Sie überhaupt das Zeug für unsere Expedition haben. Ich muss Sie daher bitten, sich vorab dem folgenden kleinen Test zu unterziehen. Keine Sorge, ist in wenigen Minuten erledigt und die Ergebnisse bleiben auch strikt anonym. Bitte lesen Sie den Fragebogen sorgfältig durch und antworten Sie dann nach bestem Wissen und Gewissen. Die richtigen Antworten finden Sie anschließend auf der Rück-seite des Bogens. Aber bitte nicht schummeln und gleich nachsehen. Wie gesagt: Unehrlichkeit würde Sie von vornherein als Teilnehmer unserer Expedition – und als Stifter oder Stifterin einer Religion sowieso – disqualifizieren.
Frage 1
Was ist der Papst, Bischof von Rom, absolutistischer Herrscher des Vatikanstaates, Stellvertreter Jesu Christi auf Erden oder unfehlbar? Sie sehen, wir fangen mit einfacheren Fragen an. Aber noch können Sie nicht entspannen, die wirklich schwierigen Fragen kommen noch ...
Frage 2
Ist der Dalai-Lama das geistige Oberhaupt aller Tibeter?
Frage 3
Wofür steht der Name „Heiliges Spaghettimonster“, ein italienisches Restaurant für noble Pastagerichte, das kürzlich in Berlin Kreuzberg eröffnet hat, oder eine neue Religion?
Frage 4
Welche religiöse Funktion weist der Koran dem Kopftuch zu? Schutz der Mekka-Pilgerinnen vor Sandstürmen? Kopfschutz für Gotteskrieger (kleiner Tipp: Stahlhelme waren zur Zeit des Propheten noch unbekannt)? Oder: Schutz aller muslimischen Mädchen und Frauen vor lüsternen Männerblicken?
Frage 5
Wer oder was ist Buddha, ein frühbronzezeitlicher Sonnenheros, der Erfinder des Buddhismus oder ein dickbäuchiger Glücksgott, der Werbung für Chinarestaurants macht?
Frage 6
Nochmal der Koran: Welche Sonderprämie wird dort dem Gotteskrieger in Aussicht gestellt, der als Märtyrer ins Paradies eingeht, eine Schale Weintrauben, zweiundsiebzig knackige Jungfrauen zur allzeitigen Selbstbedienung oder eine Verdoppelung seines Anteils an der Kriegsbeute?
Frage 7
In welcher heute noch praktizierten Religion spielen Menschenopfer die Schlüsselrolle, im Hare Krishna-Kult, im Christentum oder im schiitischen Islam, wo sie im modernen Iran (auch als Reverenz vor dem altpersischen Feuerkult?) möglicherweise in besonderer Reinheit gepflegt werden?
Frage 8
Stimmt es, dass den Frauen im frühmittelalterlichen Arabien erst mit Einführung des Islam Rechte wie eigene Besitz- und Erbansprüche zuerkannt wurden?
Frage 9
Sie haben sicher schon einmal den Begriff Boko Haram gehört oder gelesen. Frage also: Auf das Konto welcher Religion geht die höchste Zahl von Todesopfern religiösen Terrors in Nigeria im ersten Jahrzehnt unseres neuen Jahrtausends? Weil die Antwort so eindeutig ist, werden hierzu keine möglichen Lösungsalternativen vorgegeben.
Frage 10
Sicher haben auch Sie schon gehört, dass wir unsere westlichen Werte (Menschenrechte, Meinungsfreiheit, Demokratie, Gewaltenteilung, Gleichheit vor dem Gesetz etc.) dem Christentum verdanken. Sind Sie aber auch in der Lage, das in wenigen Worten zu begründen?
Zum Abschluss, sozusagen als Joker, noch eine Frage für die Hochbegabten unter Ihnen:
Jesuitenfrage
Welcher weltweit für seine Weisheit verehrte religiöse Führer hat einem später als Massenmörder berüchtigt gewordenen Pseudo-Religionsstifter in zwei Empfehlungsschreiben hochoffiziell bescheinigt, ein “kompetenter religiöser Lehrer“ und Oberhaupt einer ehrenwerten „religiösen Organisation“ zu sein und damit dessen 'Karriere' maßgeblich gefördert?
Vielen Dank für Ihre Kooperation! Und hier auch schon die Auswertung der Testergebnisse:
Sie konnten keine Einzige der vorstehenden Fragen zutreffend oder auch nur halbwegs befriedigend beantworten? Tut mir aufrichtig leid, aber eine Teilnahme an unserer Erkundungsmission wird Ihnen auch nicht wirklich weiterhelfen können. Falls Sie allerdings der Typ sein sollten, der sich grundsätzlich nicht entmutigen lässt und bei Schwierigkeiten erst so richtig zur Hochform aufläuft, kann ich Ihnen durchaus empfehlen, einige der Werke durchzuarbeiten, die ich für Sie und sonstige ernsthaft Interessierte in einer Liste zusammengestellt und Ihnen als Mailanhang III mit meiner Einladung zu diesem Vorbereitungstreffen bereits übersandt habe.
Die Kurzkommentare dort werden Ihnen auch helfen, sich durch den nicht immer ganz ungefährlichen Dschungel der religiösen Literatur zu schlagen, ohne ernsthaft Schaden zu nehmen. So könnten Sie sich doch noch die Chance erkämpfen, zu in einer eventuell erforderlich werdenden weiteren Expedition zugelassen zu werden.
Sie haben die Fragen eins bis zehn alle zutreffend und erschöpfend beantwortet? Schade! Auch Sie werden von der geplanten Expedition nicht weiter profitieren können. Als angehende Religionsstifter oder -stifterinnen haben Sie aber einen klaren Startvorteil: Sie können sofort mit den Arbeiten an ihrer ultimativen Religion beginnen. Falls Sie dann tatsächlich vor allen anderen ins Ziel kommen, wird Sie das sicher über ihre Auslagen für die Anreise zu diesem Vorbereitungstreffen hinwegtrösten.
Sie konnten zwischen 10% und 90% aller Fragen korrekt beantworten? Glückwunsch! Der Kauf des Tickets für die Anreise hierher könnte sich als das beste Investment Ihres Lebens erweisen. Sie haben tatsächlich das Zeug zum Gipfelstürmer und ultimativen Religionsstifter. Ab jetzt verwende ich übrigens – um Ihre Zeit nicht allzu lange in Anspruch nehmen zu müssen – immer nur das generische Maskulinum für alle geschlechtsambivalenten Begriffe, auch wenn mir die Gendergerechtigkeit sehr am Herzen liegt, wie Sie noch sehen werden.
Sie hier vorn in der ersten Reihe waren, wie ich sehe, diejenige, die als Einzige auch die Jesuitenfrage beantworten konnte. Sie haben diesen ganzen Test also nur so aus Spaß nebenher mitgemacht. Einfach nur den höchsten Gipfel der religiösen Welt zu bezwingen oder eine Religion zu stiften würde Sie unterfordern. Geben Sie's zu: Ihr wahres Ziel ist es, die offiziell erste Päpstin zu werden.
Viel Glück! Nur denken Sie daran: Wenn Sie es tatsächlich bis in den Vatikan schaffen, schmuggeln Sie mein demnächst erscheinendes Buch mit da rein. Es wird manche dunkle Stunde geben, in der Sie den geistlichen Trost dieser Schrift bitter nötig haben werden.
Sie gehören zu denen, die einfach nur auf ein Abenteuer aus waren und jetzt enttäuscht sind, dass das hier so trocken und ernsthaft angefangen hat. Sie haben sich also gar nicht erst die Mühe gemacht, die Testfragen durchzulesen oder gar zu beantworten. Macht auch nichts! Sie jedenfalls kann ich beruhigen. Es wird im Folgenden wirklich noch sehr lustig und abenteuerlich werden! Also bleiben Sie einfach bei uns.
Der eine oder andere unter Ihnen mag schon meine bisherigen Ausführungen – zumindest insoweit, als die eigene Religion gemeint gewesen sein könnte – respektlos, wenn nicht gar empörend gefunden haben. Tut mir aufrichtig leid. Jedenfalls gestehe ich Ihnen zu: Sie hätten in unserer in religiösen Angelegenheiten inzwischen wieder so sensiblen Gesellschaft wohl tatsächlich erwarten können, in meiner im Internet verbreiteten Ausschreibung unserer Unternehmung auch noch eine ausdrückliche Warnung etwa folgender Art vorzufinden:
„Vorsicht, schon die Vorbereitungen zu dieser Expedition könnten Ihre religiösen Gefühle verletzen - zu Risiken und Nebenwirkungen fragen Sie Ihren Pfarrer oder Psychiater.“
Dass ich diesen Hinweis versäumt habe, ist für mich allerdings eine – wenn überhaupt – lässliche Sünde. Konnte ich doch davon ausgehen, dass Sie schon den Text meiner Ausschreibung sorgfältig gelesen haben. Dann können Sie jetzt aber auch nicht bestreiten, dass Sie sich des Risikos der Teilnahme an diesem Vorbereitungstreffen voll bewusst waren und unter Inkaufnahme desselben hier angereist sind. Der Hinweis, dass sich diese Ausschreibung auch und vor allem an angehende Religionsstifter richte, war ja wohl deutlich genug.
Oder, seien Sie ehrlich, hat auch Sie insgeheim die Vorstellung gereizt, mal selbst eine Religion zu stiften? Wäre vollkommen verständlich, gibt es doch, wie die Geschichte zeigt, kaum einen sichereren Weg, selber unsterblich zu werden. Zumindest für gut ein- bis zweitausend Jahre, wenn wir von den Erfahrungen der bisher unbestrittenen Superstars der Religionsstifterbranche Buddha, Jesus und Mohammed ausgehen.
Um trotzdem jede spätere Klage auszuschließen, möchte ich an dieser Stelle vorsorglich nochmals ausdrücklich festhalten, dass Ihre weitere Teilnahme hier auf eigenes Risiko erfolgt. Darüber hinaus muss ich als Expeditionsleiter auch jegliche Haftung für eventuelle abträgliche Folgen ihrer Beteiligung ausschließen. Das gilt zum einen natürlich für Ihr persönliches Seelenheil. Es gilt vor allem aber auch für jede Religion, die Sie sich aufgrund Ihrer im Laufe unserer Erkundungsmission gewonnenen Erkenntnisse möglicherweise zu stiften veranlasst sehen werden. Dazu ist das Risiko einfach zu groß, dass auch diesmal wieder am Ende alles danebengeht. Denn so viel können wir an dieser Stelle schon mal vorwegnehmen: Bei genauerem Hinsehen muss man leider feststellen, dass alle bisherigen Religionsstifter, selbst die mit den besten Ideen und Absichten, letztlich grandios gescheitert sind. Irgendetwas muss da also immer wieder schieflaufen. Aus Fehlern lernen ist daher die Devise unserer Expedition.
Selbst eingefleischte Religionsfans werden zugeben müssen: Kaum irgendwo können selbst kleinere Fehler so weitreichende und fatale Folgen haben, wie auf diesem Gebiet. Auch für den Religionsstifter selbst, vor allem aber für seine Anhänger. Wer möchte schon am Ende im falschen Paradies aufwachen? Stellen Sie sich nur einmal vor, Sie kommen da an, und da sitzt plötzlich jemand ganz anderes auf dem himmlischen Thron, als der, den man Ihnen verkündet hatte. Oder statt der Ihnen als erfolgreichem Märtyrer in Aussicht gestellten 72 willigen Jungfrauen, die es gar nicht erwarten können, Ihnen zu Diensten zu sein, werden Sie mit einem Schüsselchen Obst abgespeist. Oder Sie müssen feststellen, dass in Ihrem Nirwana nicht mal die Klospülung funktioniert. Oder am allerschlimmsten: Sie haben das Richtige geglaubt, aber das Falsche getan und landen in der Hölle ...
Eins somit ist klar: Religion ist ein zu ernstes Thema, als dass man leichtfertig damit umgehen, und zu gefährlich, als dass man es allein den Gläubigen überlassen dürfte.
Als eine der Hauptfehlerquellen in der jahrtausendealten Geschichte der Religionsstiftung müssen wir wohl mangelnde Systematik oder – um es in heutigen Begriffen auszudrücken – fehlende Wissenschaftlichkeit des Ansatzes erkennen.
Wir haben somit allen Grund, an dieser Stelle erst mal ganz systematisch noch einige grundsätzliche Fragen eindeutig zu klären, auch wenn das den reinen Abenteurern oder Freunden zweckfreien Humors unter Ihnen nochmals ein wenig Geduld abverlangt. Nur so aber können wir sicherstellen, dass wir die Bedeutung unserer Mission richtig einschätzen, unser Ansatz und unsere Grundannahmen richtig sind und wir methodisch und alpinistisch solide und zielgenau vorgehen. Ferner gilt es ja auch zu vermeiden, dass wir bei der Vielfalt der religiösen Landschaft den Überblick oder gar den Blick für das Wesentliche verlieren, uns im Gestrüpp dieses wahrhaft dornigen Geländes verfangen, oder uns bei unserer Mission schlicht in der Wildnis verlaufen.
Also erst mal die Grundfrage: Was ist überhaupt Religion? Diese Frage erscheint Ihnen vielleicht etwas pedantisch, aber ohne den festen Zugriff einer Definition können wir nun mal nichts begreifen - und steilere Lagen erklimmen schon gar nicht. Was bedeutet also das lateinische Wort religio, aus dem sich der Begriff Religion ableitet? Manchmal wird dieses Wort mit „Anbindung an das Transzendente“ übersetzt. Das klingt erst mal gut, bringt uns aber leider nicht weiter, weil das ‚Transzendente‘ nicht konkret fassbar ist. Es meint das, was den Erfahrungshorizont beziehungsweise die geistige Fassungskraft des Menschen übersteigt. Das sind so Dinge wie das ‚Jenseits‘, die Welt der Götter und Geister, das Zwischenreich zwischen Tod und Wiedergeburt, oder das ‚Reich Gottes‘ – alles Dinge, deren Existenz zwar behauptet werden kann, die aber konkret weder begriffen noch lokalisiert werden können. Sie sind “höher denn alle Vernunft“, wie es in der Bibel (Philipper 4, 7) so schön über den ‚Frieden Gottes‘ heißt.
Uns aber geht es hier um das, was Religion dem Menschen konkret bedeutet, was er sich davon erwartet, was sie von ihm fordert, wozu sie ihn macht und letztlich auch, was sie ihm möglicherweise vorgaukelt. Wir greifen daher auf die ursprüngliche Bedeutung des Wortes religio zurück, die so viel wie die sorgfältige Berücksichtigung und gewissenhafte Beachtung von Vorzeichen oder auch Vorschriften meint.
So gesehen wäre allerdings auch jeder religiös, der sich gewissenhaft an die Verkehrsregeln hält oder an Wettervor-hersagen glaubt. Da kann man von ernsthaften Forschern, wahren Abenteurern und angehenden Religionsstiftern mit Recht Tiefgründigeres erwarten. Vor allem aber brauchen wir für unsere Expedition ja einen zuverlässigen Kompass, der uns zeigt, in welcher Richtung wir forschen müssen. Deshalb wollen wir unseren Religionsbegriff noch etwas präziser ausrichten. Im religiösen Sinne der sorgfältigen Berücksichtigung und gewissenhaften Beachtung für wert erachten wir also ab jetzt:
Prinzipien und Werte, nach denen wir unser ganzes Leben und Handeln ausrichten können, weil sie unserem eigenen Wohl und dem unserer Mitmenschen dienlich sind.
Schon an dieser Definition können Sie sehen, dass wir die religiöse Sphäre allen Risiken und Gefahren zum Trotz als grundsätzlich bewahrenswertes Biotop ansehen und erhalten wollen.
Im bis heute üblichen und von den Weltreligionen geförderten Verständnis ist mit ‚Religion‘ allerdings eher die willkürliche Erklärung beliebiger ‚Glaubensinhalte‘ (Ideen, Vorstellungen, Personen, Symbole, Orte, Bücher oder sonstige Gegenstände, oft sogar das alles zusammen) für heilig und deshalb verehrungs- oder anbetungswürdig gemeint. Dies ist traditionell in jeder ernstzunehmenden Religion mit dem Anspruch auf letzte Wahrheit und ewige Gültigkeit verbunden. Deshalb gilt auch für praktisch alle bisherigen Religionen, dass dauerhafte und grundsätzliche Zweifel an den jeweiligen Glaubensinhalten nicht zulässig sein können und im Fall der Zuwiderhandlung mit Strafen wie Steinigung, Höllenqualen oder gar ewiger Verdammnis belegt werden müssen. Das Gesagte entspricht, wie Sie sicher zugeben werden, der bisher praktisch universell gebräuchlichen Definition und gelebten Praxis von Religion.
Damit sind wir schon mitten in der Problematik, um die es uns als Erforscher der religiösen Welt und angehende Religionsstifter geht. Diese traditionelle Definition macht nämlich deutlich, dass die bisher real existierenden Religionen praktisch unausweichlich mit fatalen Risiken und Nebenwirkungen verbunden sind. Und das eigentliche Problem: Beipackzettel, in denen der arglose Gläubige vor diesen Risiken und Nebenwirkungen gewarnt wird, sind nicht nur nicht üblich. Sie werden sogar, wenn Sie doch einmal irgendwo auftauchen, umgehend auf den Index verbotener Schriften gesetzt oder gleich verbrannt – und da kann der Verfasser solcher Warnungen noch froh sein, wenn er nicht mit auf dem Scheiterhaufen landet. In früheren Zeiten jedenfalls.
So steht schon mal fest, dass wir um einen ein wenig kritischen Blick auf alles, was uns auf unserem Weg durch die religiöse Topografie begegnen wird, letztlich nicht werden herumkommen können.
Das wiederum führt schon zu unserer nächsten Frage: Warum müssen wir uns in unserem aufgeklärten Zeitalter – und fast 2500 Jahre nach Sokrates – überhaupt noch mit der Welt der Religionen und Götter auseinandersetzen?
Vielleicht denken ja auch Sie: Ist doch heutzutage alles schon viel besser oder zumindest harmloser geworden. Die meisten Christen z.B. sind doch längst tolerant und aufgeklärt und schwärmen sogar von der Ökumene, also einer friedlichen Vereinigung zumindest aller christlichen Kirchen. Wozu also sich jetzt noch so viel Mühe machen?
Das Problem ist: Es besteht leider nach wie vor das Risiko, dass all diesen aufgeklärten Christen eines Tages plötzlich doch noch klar wird, dass sie nur deshalb so tolerant geworden sind, weil sie gar nicht mehr wissen, was man als Christ eigentlich alles glauben muss. Und dass die Ökumene plötzlich greifbar nah erscheint, liegt wohl auch weniger daran, dass die Unterschiede zwischen den diversen christlichen Glaubenswahrheiten kleiner geworden wären, sondern daran, dass kaum einer der aufgeklärten Christen sie heutzutage überhaupt noch benennen kann.
So gesehen wären die zahllosen Opfer des 30-jährigen Krieges oder die des Bürgerkrieges in Nordirland völlig umsonst gewesen. Und selbst die Entweihung und Plünderung der Hauptkirche der orthodoxen Christenheit in Konstantinopel durch das christliche Kreuzfahrer-Heer im Jahr des Herrn 1204 vergebene Liebesmüh. Überhaupt nicht auszuschließen, also, dass früher oder später alles wieder von vorne anfängt.
Sie dort in der hintersten Reihe, Sie finden, wir müssten hier auch noch – und sogar etwas ausausführlicher – über den islamistischen Terror reden? Dazu kann ich nur sagen: Wir wollen uns den Spaß an der Erkundung der insgesamt ja durchaus immer noch majestätischen Bergwelt der Weltreligionen nicht schon hier am Anfang verderben lassen. Schon gar nicht von geistig Minderjährigen, denen man weisgemacht hat, es gäbe heute noch Kreuzzügler oder man müsse Angst vor dem Weihnachtsmann haben.
Der ganze Spuk wäre sowieso schnell vorbei, wenn man den Herren und überraschend wenigen Damen, die in diesem Geschäft tätig sind, kurzerhand jegliche öffentliche Beachtung entziehen würde. Wer spielt denn schon gerne vor leeren Zuschauerrängen, oder in einem Film, den sich niemand ansieht. Damit bin ich jetzt aber vom Thema abgekommen. Wir wollten doch über Religion reden. Und heißt es nicht immer, damit hätte der islamistische Terror gar nichts zu tun? An dieser Abschweifung sind aber auch Sie mit Schuld. Wer wollte denn unbedingt, dass ich dieses ausgelutschte Thema hier auch noch mal breittrete. Wenn wir uns jetzt öfter solche Abschweifungen erlauben, werden wir mit unseren Expeditionsvorbereitungen nie fertig!
Also schnell weiter zu der Frage, ob wir wirklich vollkommen sicher sein können, dass nicht doch eine der bereits existierenden Religionen absolut wahr und damit als endgültig zu akzeptieren ist (egal, was das kostet). Dann gäbe es hier nichts mehr zu erforschen, und ich könnte Sie alle auf der Stelle wieder nach Hause schicken.
Zum Glück gibt es einen verblüffend einfachen Test, um bezüglich der Frage, ob bereits eine einzig wahre und alleinseligmachende Religion existiert, letzte Zweifel auszuräumen. Sie brauchen bloß einmal die Vertreter sämtlicher Religionen systematisch abzufragen. Die werden Ihnen – meist nach glaubhafter Betonung ihrer persönlichen religiösen Toleranz – einmütig versichern, dass alle Religionen Irrwege sind, mit der exklusiven Ausnahme ihrer eigenen. Die werden Ihnen dafür bereitwillig auch alle erforderlichen Beweise liefern.
Die logische Konsequenz aus dieser universellen Einigkeit der religiösen Gelehrten und aufrichtig Gläubigen der ganzen Welt: Es gibt sie offenbar noch nicht, die wirklich wahre und nachhaltige ultimative Religion!
Ein letzter Zweifel an diesem eindeutigen Ergebnis könnte sich vielleicht noch daraus ergeben, dass manche modernen Religionsvertreter die Konkurrenz doch nicht ganz so eindeutig zu verdammen scheinen. So finden viele Christen den Dalai-Lama toll, und dieser revanchiert sich regelmäßig durch anerkennende Worte über die Gegenseite.
Das ist aber einfach zu erklären: Toleranz ist umso leichter, je weniger beide Seiten voneinander wissen. Gilt natürlich auch umgekehrt, wie das Beispiel der Sunniten und Schiiten zeigt, die einander seit rund 1.300 Jahren nur allzu genau kennen und die jeweils ungläubige Seite deshalb umso blutiger bekämpfen.
Ein kleines Beispiel für die toleranzfördernde Wirkung der Ignoranz: Haben Sie auch nur die leiseste Ahnung, welchem Zweck das Kalachakra-Ritual des tibetischen Buddhismus dient? Wenn nicht, fragen Sie mal den Dalai- Lama. Der zelebriert ja dieses zwölf Tage dauernde äußerst aufwendige Ritual gern und häufig, gelegentlich sogar in Europa. Er würde Ihnen erklären, dass es sich dabei um ein traditionelles Friedensritual handele.
Wenn Sie, skeptisch wie Sie sein sollten, nachhaken, würden Sie wohl noch erfahren, dass dieses Ritual den Gläubigen auf direktem Wege zur Erlangung der Buddhaschaft führen soll. Bohren Sie ruhig noch einen Schritt weiter. Dann werden Sie, sollte seine Heiligkeit zufällig gerade ausreichend Zeit haben, möglicherweise noch hören, dass Sie durch Absolvierung des gesamten Rituals und nach Ablegung aller erforderlichen Gelübde die Berechtigung erwerben, als „Shambala-Krieger“ wiedergeboren zu werden.
Ein Friedensritual, dass Sie zum Krieger macht? Damit sollten Sie es nun aber gut sein lassen. Dem Dalai-Lama könnte sonst doch noch sein so beliebtes, von höchster Weisheit kündendes Lächeln aus dem Gesicht fallen. Uns geht es an dieser Stelle ja auch nur um einen kleinen Beleg dafür, dass wir als christliche Abendländer bei aller Begeisterung letztlich herzlich wenig über den tibetischen Buddhismus wissen. Und falls Sie trotzdem gern noch Näheres über die rätselhafte Sache mit dem Shambala-Krieger wissen würden, nur Geduld: Wenn wir erst mal unterwegs sind, werden wir schon bald auf die verblüffende Auflösung auch dieses ganz speziellen Rätsels aus der Wunderwelt der Weltreligionen stoßen.
Hier aber müssen wir uns nun erst noch einer weiteren für unser Vorhaben wichtigen Frage zuwenden: Warum – angesichts der großen Risiken und des enormen Gefahren-potentials – erklären wir das gesamte religiöse Gelände nicht einfach zum Sperrgebiet? Ein für alle Mal.
Auf diese Frage gibt es zwei Antworten: Erstens: Gegen Religion ist eigentlich gar nichts einzuwenden – wenn sie gut gemacht ist. Zweitens: Wirksam abriegeln ist ohnehin so gut wie unmöglich.
Ich denke, niemand wird bestreiten, dass es ganz offensichtlich ein letztlich unausrottbares Bedürfnis des Menschen gibt, dem Sinn seiner Existenz – oder, wenn Sie das passender finden – dem Sinn der Schöpfung auf die Spur zu kommen. Ebenso tief verwurzelt ist die starke Neigung, fest an die Wahrheit der einem diesbezüglich vermittelten oder von selbst gekommenen Erkenntnisse - letztere auch Offenbarungen genannt - zu glauben. Jedenfalls ist es bis heute niemandem und nirgendwo gelungen, dieses Bedürfnis und diese Neigung endgültig auszulöschen. Selbst dort nicht, wo man das mit aller Macht versucht hat.
Denken Sie nur an die diversen Christenverfolgungen. Oder an Russland. Nach dem Ende der auch in dieser Hinsicht letztlich wenig erfolgreichen Herrschaft des Kommunismus sind Kanonen und Panzer segnende Popen dort inzwischen wieder fast genauso populär wie im Zarenreich. Oder China. Dort hat man nun wirklich nichts unversucht gelassen, jegliche Religiosität auszurotten (Kulturrevolution). Wie ich aber bei einer kürzlichen Expedition zu den heiligen Bergen Chinas selbst feststellen konnte: Inzwischen gibt es bis in die hinterste Provinz des Reiches kaum eine Buchhandlung, in der man nicht ganze Regale voll mit religiösen Schriften findet. Auch die großen Tempelkomplexe auf dem Wutai-Shan, dem Emei-Shan oder dem Qingcheng-Shan, die zu zerstören sich die Roten Garden so viel Mühe gegeben hatten, sind in altem Glanz oder neuem Kitsch wiedererstanden. Und den angeblich bis heute so brutal unterdrückten tibetischen Buddhisten ist es auf wundersame Weise gelungen, in Larung Gar in der Provinz Sichuan eine der weltweit größten buddhistischen Klosteruniversitäten aufzubauen.
Keine Religion ist also auch keine Lösung. Im Gegenteil: Es wird auf diesem Gebiet auch in Zukunft einen riesigen Bedarf geben. Ebenso aber auch weiterhin alle möglichen Propheten, Gurus und Geschäftemacher, die sich nicht zu schade sind, immer wieder allenfalls halbgare oder sogar halbseidene Angebote zur Deckung dieses Bedarfs auf den Markt zu werfen. Keine Frage mehr, also, dass die Menschheit dringend darauf angewiesen ist, dass endlich mal jemand kommt, der bereit ist, Verantwortung zu übernehmen und auch die Fähigkeit und das Durchhaltevermögen mitbringt, eine wirklich überzeugende, einwandfrei und ohne schädliche Nebenwirkungen funktionierende, nachhaltige und natürlich genderneutrale Religion zu stiften. Kein Zweifel: Hier sind gerade auch Sie als Teilnehmer unserer Expedition gefordert!
Wenn Sie sich jetzt fragen sollten, was Sie bei der Bewältigung dieser Herausforderung alles werden beachten müssen: Unsere Erkundungsmission wird Ihnen alle benötigten Hinweise liefern! Allerdings wird diese Expedition alles andere als einfach sein. Wir werden uns nicht darauf beschränken können, die oberflächliche Schönheit und den äußeren Glanz dieser exotischen Landschaft zu genießen. Nein, wir werden die vielfältigen Phänomene der religiösen Topografie sorgfältig durchkämmen und gelegentlich auch in die Tiefe graben müssen. Stück für Stück werden wir alle überflüssigen Deko-Elemente und sonstigen Merkwürdigkeiten ohne erkennbare Funktion, alle möglichen Absurditäten und Auswüchse, eindeutig Falsches und Gefälschtes, nicht mehr Tragfähiges und total Unmögliches beiseiteräumen und besonders harte Brocken sogar wegsprengen müssen. Darunter werden wir dann hoffentlich genügend Überzeugendes und Brauchbares finden.
Gelegentlich werden wir bei unserer Arbeit sogar in die technischen Details religiöser Begriffsdefinitionen, Lehren und Praktiken einsteigen müssen. Das mag etwas mühsam sein, aber als seriöse Erforscher oder gar Stifter von Religionen können wir uns Oberflächlichkeit nun mal nicht leisten. Wenn Sie zu denen gehören, denen es mehr ums Abenteuer oder den Witz des Ganzen geht, können Sie die eher technischen Wegstrecken aber auch gern überspringen und sich direkt das Fazit zu eigen machen, das sich unser Expeditionsteam am Ende einer jeden Etappe erarbeitet haben wird.
Das alles klingt nach einer Herkulesarbeit. Aber keine Sorge: Zum Glück können wir nämlich zahlreiche historische Religionen von vornherein als einer näheren Erkundung nicht würdig aussortieren. So ist eine erste große Gruppe von früher durchaus sehr populären Religionen inzwischen offensichtlich schlicht überholt. Ihre Ideen, Praktiken und Requisiten sind für den modernen Religionsstifter einfach nicht mehr zu gebrauchen.
In diese Kategorie gehören zum Beispiel die sogenannten Naturreligionen. Deren Konstrukteure haben es sich noch ziemlich einfach gemacht, indem sie, wie schon der Name sagt, nur mit dem gearbeitet haben, was sie in der Natur um sich herum vorfanden. So schön ein besonderer Baum, ein bizarrer Fels oder ein Wasserfall sein kann, den religiösen Bedürfnissen des modernen Menschen wird das in den allerwenigsten Fällen genügen.
Ferner sind hier die sogenannten Urreligionen zu nennen wie z.B. Sonnenanbetung, Feuerkult oder die einst so beliebten Menschenopfer (wobei wir ja schon in unserem Eingangstest verblüfft feststellen mussten, dass die Popularität der letztgenannten Idee noch nicht so ganz ausgestorben zu sein scheint). Diese Unterkategorie inzwischen eindeutig überholter Religionen erforderte schon etwas mehr Aufwand, sowohl gedanklich als auch rein handwerklich. So brauchte man dazu beispielsweise bereits (zum Teil riesige!) Steinkreise, Altäre oder Scheiterhaufen.
Eine große Zahl von überwiegend anonymen Entwicklerteams hat dann lange daran gearbeitet, diese Urmodelle zukunftsfest zu gestalten, indem man versuchte, sie zu Hochreligionen auszubauen. Etwa durch deutliche Ausweitung des Götterpersonals. Die alten Ägypter z.B. erklärten im Laufe der Zeit mehrere Hundert Spezialgötter für anbetungswürdig, vom Stiergott Apis über die Sonnengötter Aton und Chepre bis zu Wosret, der Schutzgöttin der Jugend.
Dieser Irrweg eines religiösen Rüstungswettlaufs wurde praktisch weltweit verfolgt. So umgaben die alten Griechen Ihren Zeus auf dem Olymp und auf Erden mit zahlreichen göttlichen, halbgöttlichen und – um das Ganze etwas aufzulockern – auch noch menschlichen Mitstreitern, Herausforderern oder Freunden und vor allem Freundinnen. Die äußerst praktisch veranlagten Römer schufen sich hochspezialisierte Götter und Göttinnen für alle Wechselfälle des Lebens, von der Liebe bis zur Jagd. Die feinsinnigeren Japaner dagegen statteten ihre alte Naturreligion (Shinto) liebevoll mit dem Götterpaar Izanami und Izanagi aus, welches ihnen dann ihre Inseln schuf und diese mit zahlreichen göttlichen Nachkommen bevölkerte, die allesamt einem bunten Manga-Comic entsprungen zu sein scheinen. Da gibt es die sympathische Sonnengöttin Amaterasu oder ihren missratenen Bruder Susanoo, der als Sturmgott alles durcheinanderwirbelt.
Auch die Ausstattung dieser Religionen mit immer schickeren Kulissen in Form von prächtigen Tempeln und Schreinen hat ihnen aber letztlich den folkloristischen Bei-geschmack nicht nehmen können, vom Problem letztlich doch fehlender Glaubwürdigkeit und Globalisierungsfähigkeit ganz zu schweigen. Kein Wunder, also, dass diese Religionen als endgültig ausgestorben eingestuft werden müssen. Nur die Japaner kamen auf die geniale Idee, man könne ja auch an mehrere Religionen gleichzeitig glauben. So konnten ihre Shinto-Götter ihre Nische neben dem letztlich durchsetzungsfähigeren Buddhismus bis heute behaupten. Leider ist dieses Modell des Sowohl-als-auch für zum Schwarz-Weiß-Denken neigende Völkerschaften wie die Europäer schlicht nicht akzeptabel.
Ausgenommen vom Artensterben der höheren Gattungen von Urreligionen blieb sonst nur noch der Hinduismus. Die religiös fortschrittsresistenten Inder haben einfach immer noch Freude an Ihren uralten Göttern. Diese wiederum sind aber leider schon geschmacklich (die blutrünstige Kali) und vom Design her (Elefantengott Ganesha) dem Rest der Welt einfach nicht zu vermitteln.
Den entscheidenden Schritt von der Masse zur Qualität haben dann wohl erstmals die alten Israeliten vollzogen, und zwar so konsequent, dass sie sich den Status eines auserwählten Volkes redlich verdient haben. Ihr neuartiges, als Monotheismus bezeichnetes Modell hat sich als so erfolgreich erwiesen, dass es von Jesus Christus und später vom Propheten Mohammed aufgegriffen und weiterentwickelt wurde. Die so geschaffenen, auch als Offenbarungsreligionen bekannten Glaubenssysteme haben sich wunderbarerweise global ausbreiten und bis in unsere aufgeklärte Moderne hinein halten können. Hier wird sich für uns eine eingehendere Erkundung also auf jeden Fall lohnen.
Das gleiche gilt für das große Gegenmodell zum Monotheismus, das schon rd. 500 Jahre vor Christus in Indien entwickelt worden ist, sich dort aber auf Dauer nicht durchsetzen konnte (die Inder sind, wie gesagt, in religiösen Dingen ein wenig fortschrittsresistent). Buddha, der Stifter dieser Religion, hat nach einem plötzlichen Geistesblitz, auch Erleuchtung genannt, sämtliche Götter zwar für möglicherweise existent, aber schlicht für überflüssig erklärt. Erleuchtungstechnisch brächten die nämlich gar nichts. So ganz konsequent haben sich seine Anhänger nicht an diese Erkenntnis gehalten, wie wir noch sehen werden. Angesichts des originellen Ansatzes, auf göttliche Offenbarung zu verzichten und stattdessen auf individuelle Erfahrung zu setzen, kommen wir bei unserer Suche nach Brauchbarem aber auch an dieser Weltreligion nicht vorbei.
Es bleiben eine Reihe von Nischenreligionen oder -kulten, die wir aber aus verschiedenen Gründen allesamt als Sackgassen der religiösen Evolution einstufen müssen. Hier nur ein kurzer Überblick:
Fruchtbarkeits- und orgiastische Kulte: Als einziger bisher bekannter Fall von mehrfacher Wiederauferstehung ein wahrer Dauerbrenner der Religionsgeschichte. Bringt ja auch immer wieder Spaß. Es fehlt aber schlicht das unerlässliche Mindestmaß an heiligem Ernst.
Todes- und Weltuntergangskulte: Weiter verbreitet als man glaubt, werden aber immer wieder durch die Praxis widerlegt. Die Welt will, bisher jedenfalls, einfach nicht untergehen - eine Erkenntnis, der manche der wahrhaft Gläubigen nicht mehr teilhaftig werden, da sie es vorziehen, rechtzeitig vor dem erwarteten Endspiel das Zeitliche zu segnen.
Profitcenterreligionen: Knallhart z.B. Scientology; geschickte Mischform dagegen die Bhagwan-Sekte oder Neo-Sannyas-Bewegung, die dem Begründer großen Reichtum (vorwiegend in Form zahlloser Rolls Royce-Modelle) ein-brachte, die Anhänger aber wenigstens mit Sex für alle entschädigte. Insgesamt zu einseitige Ausrichtung dieses Religionstyps. Bemerkenswert immerhin die angesichts des oft schlicht idiotischen Marketings erstaunlich hohe Zahl von Anhängern.
Terrorkulte (Boko Haram, Lord's Resistance Army): Gehen überhaupt nicht. Müssen wir uns aber leider doch noch mal etwas näher ansehen, sobald wir auf unserer Expedition an einem geeigneten Aussichtspunkt angelangt sind.
Sogenannte 'Eintopf-Religionen'. Beispiele: Bahai-Religion, diverse New-Age-Creationen oder der ‚Yaqui-Weg des Wissens‘ (Letzteres eine Form von indianischem Schamanismus; kennen Sie vielleicht schon gar nicht mehr, da sich die letzten weißen Anhänger im Pilzrausch in den Weiten der Atacama-Wüste verlaufen zu haben scheinen): Diese Religionen sind alle entweder zu lieblos zusammengerührt, zu wenig oder zu scharf gewürzt, oder die Zutaten haben ihr Verfallsdatum längst überschritten.
Jüngste Innovationen: „KHS - Kirche des Heiligen Spaghetimonsters“ (ist uns schon im Eingangstest begegnet). Oder – in seinem innovativen Ansatz bisher unübertroffen – die Proto- oder Experimentalreligion „Leben als Dachs“. Der Erfinder, immerhin Professor in Oxford, hat zum Zweck der Bewusstseinserweiterung längere Zeit wortwörtlich als Dachs gelebt, mit allem Drum und Dran (Eingraben bis zu 1,80 m unter die feuchte Erde, an faulendem Laub schnüffeln, dem Krabbeln der Marienkäfer lauschen, auf Regenwürmern herumkauen etc.). Insgesamt also Achtsamkeit vom Feinsten. Obwohl er nun weiß, wie ein Dachs denkt und fühlt, ist er mit der darauf aufbauenden Religion offenbar noch nicht ganz fertig. Vielleicht wäre es zielführender gewesen, erst einmal mit ähnlicher Intensität zu erkunden, wie es sich anfühlt, ein Mensch zu sein. Aber wer kommt schon auf so was ...
So wenig ergiebig all diese Religionsstiftungen sind, durchaus interessant sind die häufigen Überschneidungen mit den großen Weltreligionen. Dabei dürfte es sich aber oft um reine Plagiate handeln. So scheint bei den Profitcenter-Religionen das äußerst leistungsstarke Geschäftsmodell des Ablasshandels der katholischen Kirche Pate gestanden zu haben. Auch die sog. Weltuntergangskulte erinnern fatal an einen tragenden Teil der monotheistischen Glaubensgebäude.
Das erfreuliche Fazit jedenfalls: Wir können uns bei unserer Erkundungsmission auf die drei großen Weltreligionen beschränken. Eine gewisse Vereinfachung unserer Aufgabe ergibt sich auch daraus, dass sich praktisch alle bisher gestifteten Religionen in vielerlei Hinsicht ohnehin bemerkenswert ähnlich sind – von den Grundprinzipien über die Praktiken bis hin zu den typischen Formen der Degeneration und Entartung. Darüber hinaus hat uns unser kleiner Streifzug durch die Religionsgeschichte zumindest auch schon mal einen ersten kleinen Schatz an Erkenntnissen gebracht, wie man es nicht machen sollte.
Im Übrigen wird sich trotz unserer weitgehenden Beschränkung auf nur drei Weltreligionen nicht jeder unter uns in allen dreien gleich gut auskennen. Wir werden daher auf unserer Expedition auch das kleine Lexikon religiöser Fachbegriffe mit uns führen, welches ich Ihnen als Anhang II mit meiner Einladungsmail ebenfalls bereits übersandt habe. Dort können Sie dann immer kurz nachsehen, wenn sie über einen der zahlreichen exotischen Begriffe stolpern, die uns unterwegs begegnen werden.
Abschließend wollen wir uns noch einmal bewusst machen, wie gewaltig trotz aller Einschränkungen immer noch die nun vor uns liegende Herausforderung ist. Sind doch die großen Weltreligionen wahrhaft majestätische Bergriesen, die wir uns angesichts der von ihnen so oft ausgehenden Verheerungen noch dazu als Vulkane vorstellen müssen. Der bei weitem älteste dieser Feuerberge namens Buddhismus erhebt sich auf einer breiten Basis religiösen indischen Urgesteins und liegt scheinbar in tiefer Ruhe da. Der neuere monotheistische Zweiergipfel hat sich in der mosaischen Zone der eurasischen Kontinentalplatte über zweitausend Jahre hin aufgefaltet. Dabei überragen die christlichen und muslimischen Gipfel das Ursprungsgebirge heute in Ausdehnung und Verheerungspotential bei weitem. In diesem gesamten religiösen Gebirgsmassiv schlummern – wie es scheint – immer noch gewaltige Kräfte. Letzteres können wir in aller Deutlichkeit am Berg des Propheten sehen, dessen salafistischer Nebenkrater gerade wieder Tod und Verderben spuckt.
Unter den riesigen Anhäufungen verkrusteter Asche, erstarrter Lava und härtestem Basaltgestein dieser Bergriesen gilt es nun – bildlich gesprochen – den strahlenden Diamanten der letzten Wahrheit zu suchen. Und wenn schon keinen Diamanten, dann wenigstens den ein oder anderen der spirituellen Schätze, deren Vorhandensein uns die Stifter all dieser Religionen ja immer beteuern. Wie aber sollen wir nun diese Riesenberge tauben Gesteins jemals abtragen, um an die wahren Schätze heranzukommen?
Die Antwort ist überraschend einfach: Mit Humor! Keine Kraft der Welt müssen die Anhänger felsenfester Überzeugungen, massiver Lehrgebäude, verkrusteter Strukturen und versteinerter Dogmen mehr fürchten, als die gewaltige Sprengkraft des Humors. Dieser gibt uns ja gleich eine ganze Kiste voller Werkzeuge an die Hand, die wir auf unserer Expedition mitführen werden: Anarchischen Humor für die unvermeidlichen Großsprengungen, sarkastischen Humor fürs Grobe, absurden Humor für schwer Erklärbares und grotesken bis tiefschwarzen Humor für das wirklich Unmögliche, feinen Humor zum Abschleifen von Ecken und Kanten, zur Förderung tieferer Erkenntnis auch noch den jüdischen Humor sowie – last but not least – das befreiende homerische Gelächter, um nach getaner Arbeit den ganzen Staub wegzublasen.
Kurz gesagt: Vieles wird klarer, wenn man ein schräges Licht darauf fallen lässt ... Und uns persönlich wird unser Humor auch noch helfen, uns nicht durch all die Absonderlichkeiten oder gar Schrecknisse, denen wir unterwegs begegnen werden, in die Falle des Sarkasmus, des Zynismus, der Resignation oder gar der Depression locken zu lassen.
So viel Humor heißt aber keineswegs, dass wir die Religionen etwa nicht ernst nehmen würden. Im Gegenteil: Wir nehmen dieses imposante Gebirge ganz genau so, wie es die Geschichte, die Propheten, die Erleuchteten und die Theologen vor uns hingestellt haben. Wir nehmen sie alle beim Wort, sogar Gott und Allah höchstpersönlich.
Die Kiste mit den scharfen Instrumenten der modernen Naturwissenschaften dagegen schleppen wir auf unserer Expedition gar nicht erst mit. Das wäre für uns allzu schweres Gepäck. Mit den Folterinstrumenten darin wollen wir die Bewohner der religiösen Welt auch erst gar nicht erschrecken, halten wir von der Folter doch überhaupt nichts. Schließlich waren und sind die Gläubigen in ihrer Welt damit ohnehin schon viel zu oft konfrontiert.
So abstrakt Ihnen das Ziel unserer Mission auf den ersten Blick auch erschienen sein mag: Spätestens nach dieser Einleitung dürfte nun wohl jedermann und jederfrau klar sein, was uns bevorsteht: Nicht weniger als eine ganz große Expedition. Eine Expedition in die Welt der Religionen, die eine Welt voller seltsamer Wunder, tiefer Geheimnisse und großer Gefahren ist. Kurz: Ein Abenteuer! Und sogar Sie als weibliche Interessenten sind eingeladen, sich vollkommen gleichberechtigt an dieser Expedition zu beteiligen, was in der Welt der Religionen ja keineswegs selbstverständlich ist ...
Zum Abschluss ein Wort noch an unsere Brüder und Schwestern aus der fundamentalistischen Ökumene, die sich uns anschließen wollen: Gott und Allah sei Dank! Ihr habt in dieser Runde bis zu diesem Punkt ausgehalten, anstatt die ganze Versammlung sofort in die Luft zu jagen. Zum Lohn für eure Toleranz sei Euch hiermit nun offenbart, dass Gott in der Inkarnation, die Ihr verehrt, Euch dieses Treffen als Prüfung vorherbestimmt hat. Als ultimativen Test Eurer Glaubensstärke!
Wenn Ihr es schafft, uns auf unserer Expedition bis zum bitteren Ende zu begleiten und dabei standhaft zu bleiben, könnt Ihr gewiss sein: Euer Glaube ist wahrlich unerschütterlich, und nichts auf Erden wird ihn jemals ins Wanken bringen. Nun an denn, kettet Euch fest am Fels Eures Glaubens! Unterschätzt nicht die Kraft der Erkenntnis und die Versuchungen der Vernunft!
Nun aber lasset uns, die wir uns gemeinsam auf den Weg machen wollen, in wahrhaftem Ernst noch einmal niederknien, um in tiefer Demut unser letztes Gebet zu verrichten, ein jeder in Richtung des Berges, der ihm als der höchste erscheint. Fortan nämlich wollen wir uns keinerlei Glauben mehr erlauben – außer dem Glauben an die Vernunft und an die erlösende Kraft des Humors – bis wir am Ziel unserer großen Expedition angelangt sind. Ja, jetzt wollen wir wissen was ist!
So nähern wir uns nun langsam den ehrfurchtgebietenden Bergriesen der Weltreligionen. Schon aus der Ferne bemerken wir zu ihren Füßen ein ameisenhaftes Gewimmel, hören ein fernes Rauschen und Murmeln, und ein feiner Dunst liegt über all dem und lässt die zunächst so klar erscheinenden Umrisse der Berge verschwimmen.
In wachsender Neugier beschleunigen wir unseren Schritt und schnell wird uns klar, was wir da vor uns haben: Einen riesigen Basar! Vorne erst einfache Stände, weiter hinten schon größere Buden und feste Ladenlokale, und die Gebäude noch näher am Berg erinnern uns an riesige Shopping Malls. Sogar große Bühnen und Show-Arenen für Darbietungen aller Art kann man schon von hier aus erkennen. Durch diesen fast undurchdringlich erscheinenden äußeren Ring, der die heiligen Berge umschließt, müssen wir nun als Erstes hindurch.
Und schnell nimmt uns der Rausch der Farben, Formen und Düfte, der Klang von Glocken, Rasseln, Gongs und hölzernen Trommeln, die lockenden Rufe der Händler, das geheimnisvolle Dunkel im Innern der Läden gefangen. Hier fein geschnitzte Figuren von Heiligen, Engeln, Gekreuzigten und lachenden Buddhas, dort Halbmonde auf Bildern, kleinen Teppichen und Kupfertellern, und wieder unzählige Kreuze (sogar welche mit Haken), heilige Bücher in Goldschnitt, Räucherstäbchen und Fläschchen mit heiligem Wasser, Gebetsmühlen, in Silber gefasste Ritualgefäße, kunstvoll aus Menschenschädeln gefertigt, Rosenkränze und in gebührendem Abstand davon die Misbaha, Pilgerstäbe von schlicht bis zur Luxusausführung, Kopftücher in den angesagtesten Farben und stylische Burkas und Nikabs, in sicherem Abstand wiederum davon kunterbunt Heiligenbildchen und Mandalas, und dann auch noch ganze Ladenstraßen mit Weihnachtsschmuck, Klangschalen, Lebkuchen, Ostereiern und all den Leckereien zum Zuckerfest.
Schon spüren wir die Versuchung, das ein oder andere doch zu erwerben. Erst ein weiterer Stand mit Engelchen in allen Größen und Formen beendet den beginnenden Kaufrausch. Augenblick mal, was sehen wir denn da eigentlich? Dralle Babys und süße kleine Kinderchen, selig lächelnd, rosig glänzend und vollkommen nackt. Ein geschnitzter, gemalter oder Gips gewordener Pädophilen-Traum!
Wozu soll das denn gut sein? Ja, wir müssen dieses Kitschgeflügel und den ganzen anderen Krempel auf diesem Jahrmarkt der Religionen nun doch erst mal ganz nüchtern genauer betrachten. Eines scheint allerdings jetzt schon klar: Die Stifter unserer Weltreligionen hätten über all das nur kopfschüttelnd gestaunt, es aber wohl kaum mit ihren jeweiligen Lehren oder Offenbarungen in Verbindung gebracht.
Erstmal die Engel also: Immerhin insoweit wirklich bemerkenswert, weil diese 'Geistwesen' schon seit ewigen Zeiten in der globalen Religionsgeschichte herumflattern. Schon in den Mythen Babyloniens und in den heiligen Schriften der von Zoroaster gestifteten Urreligion. Sogar bis in die Vorstellungswelt der Azteken und als Apsaras in die buddhistischen Höhlenmalereien der Wüste Taklamakan haben sie sich ausgebreitet. Ausgeburten blühender Fantasie, wie sie einzig der Mensch besitzt.
Allein schon ihre multifunktionale Vielfalt: Von simplen Mittlern zwischen göttlicher und irdischer Welt, in der Grundversion Götterboten genannt, bis zum 'gefallenen Engel' in Teufelsgestalt, vom süßlichen Kitsch der Barock-engelchen und vieler der Apsaras der buddhistischen Welt bis zu den blutrünstigen Heerscharen (laut Koran „fünf-tausend gezeichnete Engel“ - Sure 3:124-125), die den plündernden Horden des Propheten erst mal zeigen mussten, wie man fachgerecht Ungläubige umbringt („So haut ein auf ihre Hälse und haut ihnen jeden Finger ab“ - Sure 8:12). Letzteres nicht gerade nett, aber möglicherweise auch nur ein Plagiat aus der Bibel (mehr dazu später).
Bleibt nur noch die Frage: Was soll das alles? Was bringen uns all diese dubiosen Geister auf dem Weg zur Erleuchtung, zur Erlösung oder gar auf der Himmelfahrt ins Paradies? Die unausweichliche Antwort: Rein gar nichts!
Dann schon eher etwas Handfestes. Wie wär's mit all den Reliquien? Ich meine jetzt nicht die unzähligen gefälschten. Darüber kann man leicht spotten (wenn diese Knochen allesamt echt wären, könnte man mit so manchem Heiligen heute ein ganzes Gräberfeld füllen oder aus all den Splittern des Kreuzes Jesu ein mittelgroßes Kirchlein zimmern). Aber ein paar Originalteile werden schon noch dabei sein.
Der im 'Zahntempel' von Kandy, Sri Lanka aufbewahrte Zahn Buddhas vielleicht – angeblich zwar im 16. Jahrhundert von den Portugiesen vernichtet. Aber wie die Singhalesen bis heute glaubwürdig versichern, hatten sie ihren Kolonialherren listig eine Kopie untergeschoben ... Oder das Häufchen Asche und Knochenreste des Erleuchteten, das man in Piprahwa in Nordindien ausgegraben hat. Oder das Turiner Grabtuch?
Zumindest schön anzusehen, jedenfalls soweit es ihre goldene Verpackung betrifft, sind ja auch die ansonsten eher ernüchternden Knochenreste, die die Heiligen Drei Könige im Dom zu Köln hinterlassen haben. Garantiert echt war übrigens die ebenfalls dort aufbewahrte Reliquie mit einem Blutstropfen des verblichenen Papstes Johannes Paul II. Die wurde aber bedauerlicherweise im Juni 2016 von unbekannten Tätern entwendet.
Besser bewacht und wohl auch ziemlich echt sind die Waffen und Barthaare des Propheten Mohammed, die man in Istanbul im Topkapi-Palast bewundern kann. Aber auch aus der Reliquienwelt des Islam gab es in jüngerer Zeit Beunruhigendes zu vermelden: Die Istanbuler Familie, die seit siebenundfünfzig Generationen die heilige Reliquie Hirka i-Serif, ein Gewand des Propheten, gehütet hat, hat dieses Stück Stoff über längere Zeit so inbrünstig gebügelt, dass es inzwischen äußerst fadenscheinig geworden ist.
Aus all dem lernen wir zumindest schon mal eins: Wer seine Chancen auf einen Vorzugsplatz im Jenseits durch Reliquienverehrung erhöhen will, sollte sich beeilen, bevor Diebe, Gewalteinwirkung, unsachgemäße Behandlung oder fachgerechte Anwendung der Radiokarbon-Methode der wissenschaftlichen Altersbestimmung die Zahl garantiert echter Reliquien weiter reduzieren. Aber auch in diesem Fall lässt sich die Frage nicht länger vermeiden: Welche positiven physischen, psychischen oder spirituellen Wirkungen können wir von Aufbewahrung, Betrachtung, Berührung oder sonstiger Verehrung von Reliquien erwarten, die nicht auch durch eine ärztliche oder psychiatrische Behandlung oder ein befreiendes Gelächter erzielt werden könnten? Allenfalls können wir hier von Placebo-Effekten sprechen. Nicht zu leugnen ist vielleicht auch noch eine Hilfsfunktion als Geschmacksverstärker religiöser Gefühle. Genauso wie man das auch vom im religiösen Raum allgegenwärtigen Weihrauch sagen kann. Selbst das aber rechtfertigt wohl kaum das Aufheben, das um den alten Krempel gemacht wird. Also auch hiermit ab in den großen Karton, den wir uns für die Entsorgung alles Nutzlosen bereitgestellt haben.
Dann können wir uns jetzt ja als Nächstes die allseits bekannten und beliebten Symbole der Weltreligionen vornehmen, das Hakenkreuz, das Kreuz und den Halbmond.
Fangen wir am besten mit dem auf den ersten Blick etwas anrüchigen Hakenkreuz an. Wohlmeinende behaupten ja immer wieder, dieses in der Welt des Buddhismus überall (auf Weihrauchgefäßen, an den Enden von Tempeldachbalken, ja sogar mitten auf der Brust des Erleuchteten) zu findende Zeichen wäre ja gar nicht das Nazi-Symbol, weil die Haken in die andere Richtung zeigten. Stimmt leider nicht, es gibt im Buddhismus beide Versionen (wenn Sie es unbedingt wissen wollen: die im Uhrzeigersinn geflügelte als positives Symbol für Aufstieg, Geburt und Glück, die entgegengesetzte negative Fassung als Zeichen für Niedergang, Tod und Vergehen). Trotzdem nicht weiter schlimm. Die Buddhisten haben zweifellos die älteren Rechte an diesem uralten indogermanischen Sonnen- und Glückssymbol. Die Nazis konnten es nur deshalb missbrauchen, weil die alten Inder es vor 5000 Jahren versäumt haben, es sich als geschütztes Warenzeichen eintragen zu lassen.